Zweiter Teil: Novemberrevolution Und Weimarer Republik (1918
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30 Zweiter Teil Novemberrevolution und Weimarer Republik (1918 – 1928) Erstes Kapitel Die Hallische Künstlergruppe 1.1. Novemberrevolution und Novembergruppe Genau in die Zeit der „Sturm“-Ausstellung im Oktober/November 1918 in Halle fiel der Ausbruch der Novemberrevolution in Deutschland. Sie zog die Künstler, die vom Krieg desillusioniert und mit der deutschen Nachkriegsgesellschaft unzufrieden waren, in ihren Bann. Ausgehend von der russischen Revolution verbanden sich damit Hoffnungen auf eine neue Gesellschaft, in der vor allem der Kunst eine bedeutende Rolle zukommen sollte. Sie wollten dabei sein bei der radikalen Neuordnung der Gesellschaft und so gründete sich „aus der Gleichheit menschlicher und künstlerischer Gesinnung“ 164 1918 die „Novembergruppe“ unter dem Wahlspruch: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Zu den Initiatoren gehörten die Maler Max Pechstein, César Klein, Moritz Melzer, Heinrich Richter und Georg Tappert. 165 Wie Karl Völker schlossen sich in der Folgezeit viele Künstler, Architekten, Schriftsteller, Filmschaffende und Komponisten aus ganz Deutschland der Gruppe an. Sie sahen die Moderne als die dem neuen Staat adäquate Kunst an. Der Expressionismus war dabei nicht nur eine Frage der künstlerischen Form, sondern, wie es Bernhard Zeller 1960 formulierte, „auch der Ausdruck eines neuen Lebensgefühls“. 166 Gleichzeitig gründeten sich auf lokaler Ebene Künstlergruppen mit dem Ziel der Veränderung des Menschen und der Gesellschaft durch die Kunst. So u. a.: die „Dresdner Sezession Gruppe 1919“ (1919-1925), „Das Junge Rheinland“ (1919-1929) in Düsseldorf, die „Gruppe Rih“ (1919-1920) in Karlsruhe, die „Vereinigung für Neue Kunst und Literatur“ – „Die Kugel“ (1919-1923) in Magdeburg und schließlich in Halle die „Hallische Künstlergruppe“ (1919-1925). Die Ziele, Forderungen und Aufgaben wurden in Manifest-Entwürfen, die teils utopische Ideen, teils realistische Vorschläge enthielten, und den im Januar 1919 erschienenen 164 MANIFESTE 1964, Bd. 1, S. 156. 165 KLIEMANN 1969, S. 10 f. 166 ZELLER 1960, S. 5. 31 Richtlinien 167 der Novembergruppe dargelegt. Man verstand sich als Vereinigung der radikalen bildenden Künstler, sah sich nicht als Ausstellungsverein, sondern setzte sich das Ziel, Einfluss auf die Entscheidung in allen künstlerischen Fragen zu erlangen. So wurde die Einbeziehung in alle Aufgaben der Baukunst, bei der Neugestaltung der Kunstschulen und ihres Unterrichts, bei der Umwandlung der Museen, bei der Vergabe der Ausstellungsräume und bei der Kunstgesetzgebung gefordert. 168 Die Hallische Künstlergruppe trat der Novembergruppe als Kollektivmitglied bei, so beschrieb es Richard Horn in seinen Lebenserinnerungen. 169 In der 1969 erschienenen Publikation von Helga Kliemann über die Gruppe ist allerdings nur Karl Völker als Mitglied verzeichnet. 170 Auf der Berliner Kunstausstellung im Spätsommer 1919 beteiligte sich neben ihm auch Richard Horn bei der Novembergruppe. Im Glaspalast am Lehrter Bahnhof stellten außerdem der Verein Berliner Künstler, die Berliner Sezession und die Freie Sezession aus. Horn war mit der Plastik „November“ 171 und Karl Völker mit den Bildern „Pietà“ 172 und „Felsen“ 173 und mit zwei Aquarellen vertreten. 174 Aquarelle aus dieser frühen Zeit weist das Werkverzeichnis nur wenige, meist in Privatbesitz, auf. 175 1.2. Gründungsmitglieder und Manifest der Hallischen Künstlergruppe In der Hallischen Kunstausstellungszeitung wurde der Mai 1919 als Gründungsmonat für die Hallische Künstlergruppe angegeben. 176 Rückblickend erinnerte sich Richard Horn, dass sich in der gesellschaftlichen Aufbruchstimmung im Januar 1919 die Gruppe gründete. 177 Er benannte als den Kern der Vereinigung Karl Oesterling, Martin Knauthe, seinen Vater Paul Horn, Karl Völker und sich selbst, „fünf Künstler, die an eine neue Zeit, an ein neues Deutschland glaubten.“ 178 Fast täglich, schrieb er in seinen autobiographischen Notizen, saßen sie zusammen und diskutierten über Politik und Kunst. Richard Horn war dabei in der Runde der Jüngste mit Anfang zwanzig. Knauthe, 167 KLIEMANN 1969, S. 57. 168 MANIFESTE 1964, Bd. 1, S. 159. 169 HORN 1981, S. 26. 170 KLIEMANN 1969, Tab., o.S. Allerdings scheinen von Kliemann nicht alle Mitglieder erfasst worden zu sein. So fehlte z.B. Alfred Gellhorn, der darauf selbst überaus enttäuscht reagierte. Vgl. dazu BUßMANN 2003, S. 34, Fn. 174. 171 KUNSTAUSSTELLUNG 1919, S. 70, Nr. 1192. 172 Im Katalog der Kunstausstellung abgebildet. 173 Vermutlich handelt es sich um das im WV als ‚Gebirgslandschaft mit Menschen’ erfasste Bild. Es wurde bereits 1918 auf der gemeinsamen Ausstellung von Karl Völker und Karl Oesterling ausgestellt und ist auf einem Foto dieser Präsentation zu sehen. 174 KUNSTAUSSTELLUNG 1919, S. 73, Nr. 1274-1277 und Abb. S. 67. 175 ‚Landschaft mit drei Kiefern’; ‚Landschaft mit Bergkegel I’; Landschaft mit Bergkegel II’; ‚Landschaft mit Teich’; ‚Kleine Landschaft’. 176 Brattskoven, Otto in: Hallische Kunstausstellungszeitung 1919, S. 4. 177 HORN 1963. 178 HORN 1976, S. 34. 32 Oesterling und Völker waren zu diesem Zeitpunkt fast dreißig Jahre alt und Paul Horn Mitte vierzig. In den Folgejahren engagierten sie sich gemeinsam für Kunst und Politik, arbeiteten immer wieder an gemeinsamen Projekten, unternahmen aber auch Wanderungen und organisierten Feste. Rückblickend waren es für Horn „die entwicklungsreichsten und entscheidendsten Jahre“ des Lebens. 179 Am wenigsten ist über den Bildhauer Karl Oesterling, der um 1890 auf Usedom geboren wurde und am 16.3.1919 in Halle starb, bekannt. Er arbeitete u.a. in der Steinmetz- Werkstatt von Otto Staudte in der Huttenstraße. Almuth Schuttwolf benannte in ihrer Dissertation vier erhaltene Arbeiten von ihm in Halle. Drei Werke befinden sich auf dem Gertraudenfriedhof und ein Relief auf dem Stadtgottesacker. 180 Paul Horn 181 und sein Sohn Richard 182 hatten jeweils im väterlichen Steinmetzbetrieb ihre Ausbildung absolviert. Paul Horn war nach seiner Handwerkerlehre noch Schüler von Professor Topfmeyer in Hannover gewesen, bevor er in Halle eine eigene Werkstatt eröffnete. Sein Sohn Richard erweiterte seine Kenntnisse nach der Ausbildung zwei Jahre an der schlesischen Holzschnitzschule in Bad Warmbrunn und im Anschluss an der halleschen Kunstgewerbeschule bei Paul Thiersch und Gustav Weidanz. Auf Grund der politischen Situation gab er dann seine ursprüngliche Absicht Architekt zu werden auf, denn, so schreibt er in seinen Lebenserinnerungen, „ich hätte weiter studieren müssen und hätte zusehen müssen, wie die reale, geistig lebendige Gegenwart ohne meine Aktivitäten in die Zukunft stürmte.“ 183 Karl Völker und Martin Knauthe waren durch die Ausbildung an der Dresdner Kunstgewerbeschule geprägt. Im Mittelpunkt stand dort das Zusammenwirken der Künste für den Raum, das sich durch die richtungsweisende III. Deutsche Kunstgewerbeausstellung 1906 184 in Dresden noch verstärkt hatte. Knauthe besaß unter den Freunden die umfänglichste und weitreichendste Ausbildung, wie Jürgen Scharfe in seiner Diplomarbeit über den Architekten und Künstler dargestellt hat. 185 Parallel zu seiner Qualifikation an der Kunstgewerbeschule, in der Klasse für Raumkunst bei Wilhelm Kreis, absolvierte er eine Tischlerlehre in den „Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst“, bei der er eine zweckorientierte Gestaltung unter Verwendung einfacher Formen kennenlernte. Unter Alexander Hohrath entstanden noch in Dresden seine ersten, nicht erhaltenen architektonischen Entwürfe. Die frühzeitige Hinwendung zur Baukunst zeigte 179 HORN 1981, S. 25. 180 Vgl. Fn. 130. 181 Vgl. Fn. 85. 182 Vgl. Fn. 86. 183 HORN 1981, S. 26. 184 SCHARFE 1979, Bd. 1, S. 96-99. 185 Ebd., S. 99-110. Vgl. Fn. 84. 33 eine nach dem Abschluss der Kunstgewerbeschule eine Aspirantur im Büro des Dresdner Architekten Oskar Menzel, ein Sommersemester an der TH in Dresden 186 und die Übernahme der Bauleitung für einen Umbau eines Wohn- und Geschäftshauses. 187 Das Scheitern seiner gemeinsam mit einem Freund eröffneten Kunstschule führte zur zeitweiligen Übersiedlung nach Halle, wo er im Büro für Architektur und Ingenieurbau der Brüder Arthur und Bruno Föhre arbeitete. Während des Krieges hatte Knauthe eine Anstellung im halleschen Hochbauamt, bevor er für kurze Zeit nach Berlin in das Büro von Bruno Paul wechselte, das dieser neben seiner Tätigkeit als Leiter der Berliner Kunstgewerbeschule unterhielt. Bruno Paul war damals sicherlich eine der schillerndsten Persönlichkeiten, der als Karikaturist zwischen 1896 und 1906 für den Simplicissimus tätig gewesen war, bei Möbeln einfache zweckdienliche Formen propagierte und gleichzeitig als einer der bevorzugten Architekten für Villen und Schlösser der Zeit arbeitete. Seine Reformideen für einen praktisch orientierten Kunstunterricht entsprachen sicherlich Knauthes Vorstellungen von dieser Ausbildung, die später auch in das Manifest der Hallischen Künstlergruppe einflossen. Anfang Mai 1918 kehrte Martin Knauthe nach Halle ins Büro Föhre zurück, für das er schon 1917 an der Gestaltung des Kaffee Bauer mitgewirkt und dabei den ihm von der Arbeit am Gertraudenfriedhof bekannten Karl Völker wiedergetroffen hatte. Etwa ab Februar 1919 arbeitete Martin Knauthe dann als selbständiger Architekt. Noch im selben Monat veröffentlichte er im Volksblatt einen Beitrag unter dem Titel „Bausünden in Halle“, in dem er die städtebauliche Entwicklung kritisch beurteilte und Halle als „eine verbaute, verwahrloste und unhygienische Stadt“ 188 beschrieb. Er malte zugleich das utopische Bild einer Stadt, in der die neuen „Wohnkolonien ... in gesunde(n) Gegenden“ liegen,