Antifaschismusalsantitotalitarism
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AntifaschismusalsAntitotalitarismus? FrancescoLuigiFerrari(1889–1933) Uwe Backes Dr. Uwe Backes, apl. Abstract Prof., geb. in Greime- rath. Stv. Direktor am Outside Italy, little is known of the anti- Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusfor- Fascism of Francesco Luigi Ferrari, one schung e. V. an der TU of the closest allies of Sicilian priest and Dresden. Studium der Christian Democrat Luigi Sturzo. Based Politikwissenschaft, on his most important publications be- Geschichte und fore and after his exile (1926), the con- Germanistik, 1987 tribution pursues this crucial question: Promotion (Universität Trier), 1997 Habilita- Did Ferrari, in ways similar to Sturzo’s, tion (Universität Bay- combine anti-Fascism with anti-totalitari- reuth). Publikationen zum Thema zuletzt: Luigi anism? How did he comparatively classi- Sturzo, Über italienischen Faschismus und Tota- fy Italian Fascism as a movement and a litarismus. Hg. und eingeleitet von Uwe Backes regime? To which analytical categories und Günther Heydemann, unter Mitarbeit von did he reach back for this purpose? Did Giovanni de Ghantuz Cubbe und Annett Zingler, Göttingen 2018. he change his attitude over time? I.Einleitung Der Antifaschismus Luigi Sturzos (1871–1959), als Anführer der katholischen Volkspartei (Partito Popolare Italiano, PPI) einer der schärfsten politischen Geg- ner des Faschismus von seinen Anfängen bis zur zwangsweisen Exilierung 1924, hat in der internationalen Forschung nicht zuletzt deswegen Aufmerksamkeit erregt, weil er in den langen Jahren seines Exils einen unermüdlichen publizisti- schen Kampf gegen den Faschismus führte und das Regime Mussolinis als einer der Ersten vergleichend einzuordnen suchte. Der sizilianische Priester hatte so maßgeblichen Anteil an der Entfaltung des Totalitarismusansatzes.1 Außerhalb 1 Vgl. neben dem Beitrag von Emilio Gentile in dieser Ausgabe zuletzt Uwe Backes/ Günther Heydemann, Einleitung der Herausgeber. In: Luigi Sturzo, Über italienischen Faschismus und Totalitarismus. Hg. und eingeleitet von Uwe Backes und Günther Hey- demann unter Mitarbeit von Giovanni de Ghantuz Cubbe und Annett Zingler, Göttin- gen 2018, S. 7–48. Totalitarismus und Demokratie, 18 (2021), 53–71, ISSN: 1612-9008 (print), 2196-8276 (online) © 2021 Vandenhoeck & Ruprecht; https://doi.org/10.13109/tode.2021.18.1.53 Open Access publication under a CC BY-NC 4.0 International License. 54 Aufsätze / Articles Italiens wenig bekannt ist einer seiner engsten Mitstreiter, Francesco Luigi Fer- rari, der ihm 1926 ins Exil folgte und dort im März 1933, nicht einmal 44 Jahre alt, verstarb. Ein Jahr nach Sturzos „Italien und der Faschismus“2 veröffentlichte er ein eigenes systematisches Werk zum faschistischen Regime, dessen autokra- tische Konturen sich in den Jahren nach der Matteotti-Krise immer schärfer ab- gezeichnet hatten.3 Von 1930 bis zu seinem Tod war er Herausgeber und Redak- teur eines der bedeutendsten publizistischen Foren des antifaschistischen Exils: „Res Publica. Revue d’Études Politiques Internationales“ – in enger Verbindung mit Sturzo, anderen Größen des antifaschistischen italienischen Exils sowie pro- minenten Unterstützern aus verschiedenen europäischen Ländern. Verstand Ferrari in ähnlicher Weise wie Sturzo Antifaschismus als Antitotali- tarismus?4 Wie ordnete er den italienischen Faschismus als Bewegung und Regi- me vergleichend ein? Welcher analytischen Kategorien bediente er sich dabei? Veränderte sich seine Haltung im Zeitablauf? Diese zentralen Fragen werden nach einer biografischen Skizze in zwei Abschnitten zu beantworten versucht, die zuerst die Spezifik seines Antifaschismus und dann dessen Verknüpfung mit dem Antitotalitarismus beleuchten. Dabei ist letztlich sekundär, ob und wie Ferrari die neuen komparativen Kategorien „totalitär“/„Totalitarismus“ nutzte. Wichtiger erscheint die Frage nach den Grundüberzeugungen, Wertmaßstäben und Perzeptionsmustern, die seinen Antifaschismus leiteten und den Blick auf andere politische Bewegungen und Regime bestimmten. 2 Luigi Sturzo, Italien und der Faschismus, übersetzt von L. und Alois Dempf, Köln 1926. Weitere Ausgaben: ders., Italy and Fascismo, translated by Barbara Barkley Carter, New York 1927; ders., L’Italie et le fascisme, traduit de l’italien de Marcel Prélot, Paris 1927; ders., Italia y el fascismo, traducción española con un estudio preliminar „Sturzo y el fascismo“ por Mariano Ruiz Funes, Madrid 1930. 3 Vgl. Francesco Luigi Ferrari, Le Régime fasciste italien, Université Catholique de Lou- vain: Collection de l’École des Sciences Politiques et Sociales, Paris 1928, S. 71. Vgl. zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden frühen Faschismusbücher Gabriele De Rosa, Francesco Luigi Ferrari tra storia del movimento cattolico e storia d’Europa. In: Giorgio Campanini (Hg.), Francesco Luigi Ferrari a cinquant’anni dal- la morte. Atti del convegno nazionale di studi (Modena, 27.–28.5.1983), Rom 1983, S. 21–65. Außerdem: Giuseppe Ignesti, Cattolici democratici italiani di fronte alle ten- denze totalitarie del regime fascista. In: Wolfram Pyta/Carsten Kretschmann/Giuseppe Ignesti/Tiziana Di Maio (Hg.), Die Herausforderung der Diktaturen. Katholizismus in Deutschland und Italien, 1918–1943/45, Tübingen 2009, S. 77–91; Francesco Traniel- lo, Fascismo e storia d’Italia nell’analisi dei popolari in esilio. In: Italia Contemporanea, (1982) 149, S. 87–103. 4 Auf „einer Linie“ mit Sturzo sieht Ferrari in dieser Hinsicht Salvatore Latora, I popo- lari e il fascismo: Sturzo, Ferrari, Donati. In: Eugenio Guccione (Hg.), Luigi Sturzo e la Democrazia nella Prospettiva del Terzo Millennio. Atti del Seminario Internazionale (Erice, 7.–11. Oktober 2000), Florenz 2004, S. 893–899. Backes, Francesco Luigi Ferrari 55 II.Lebensweg Francesco Luigi Ferrari wurde am 31. Oktober 1889 in Modena als Sohn von Domenico und Luigia Golfieri de’ Buoi geboren.5 Er wuchs in wirtschaftlich be- scheidenen, von tiefer Religiosität geprägten Verhältnissen auf. Lange nachwir- kenden Eindruck auf den Achtjährigen hinterließ die zeitweilige Inhaftierung des Vaters, der als katholischer Journalist und Stadtrat in die Verhaftungswel- le nach der blutigen Niederschlagung des Mailänder „Weizenpreis-Aufstands“ vom Mai 1898 geriet. Nach dem Ende seiner Schulzeit (in mehreren Städten infolge beruflich bedingter Ortswechsel des Vaters) nahm Ferrari zunächst ein Ingenieurstudium in Modena auf (1907), um zwei Jahre später zur Jurisprudenz zu wechseln. In dieser Zeit begann er, sich in seiner Heimatstadt in Vereini- gungen der katholischen Jugend zu engagieren, insbesondere im Stadtverband der Studentenvereinigung „Federazione universitaria cattolica italiana“, wo die Ideen der „ersten“ italienischen Christdemokratie Romolo Murris (wegen seines „Modernismus“ 1907 suspendiert, 1909 exkommuniziert; 1943 Aufhebung der Exkommunikation durch Papst Pius XII.) lebendig waren.6 Auch dank seines Engagements und mit der Unterstützung des jungen Modeneser Vorsitzenden Giuseppe Casoli sowie des Erzbischofs Natale Bruni entwickelte sich die Sek- tion in Modena zu einem Zentrum kultureller und sozialer Aktivitäten, das in der nationalen Führung des Studentenbundes Aufmerksamkeit erregte. Seine Bemühungen um die Einrichtung eines Arbeitsamtes in Modena markierten die Anfänge einer „weißen“ Gewerkschaftsbewegung in der Region. Darüber hinaus engagierte er sich mit seinen Freunden um den Aufbau eines katholischen Ver- einswesens in Konkurrenz zu den „roten“ Assoziationen sozialistischer Prägung. So entstanden u. a. ein Arbeiterbund, eine Bauernunion, ein Mieterverein, eine Frauenliga und eine Genossenschaftsbank.7 Im Juli 1913 verteidigte Ferrari seine juristische Masterarbeit erfolgreich und begann eine steile Karriere als Rechtsanwalt am Obersten Kassationsgericht. Als Stadtratsmitglied in Modena (ab Juli 1914) setzte er sich u. a. für die Ein- führung einer Grundsteuer ein. Die Motive seiner Parteinahme für den Eintritt 5 Vgl. Giuseppe Ignesti, Introduzione. In: Francesco Luigi Ferrari, Il Regime Fascista Italiano, con una presentazione di Gabriele de Rosa. Hg. von Giuseppe Ignesti, Rom 1983, S. CXI–CXXVII; Mario G. Rossi, Francesco Luigi Ferrari. Dalle Leghe Bianche al Partito Popolare, Rom 1965. 6 Vgl. Ignesti, Introduzione, S. CXIII. Über die Verbindungen zum rheinischen Sozial- katholizismus vgl. Stefano Trinchese, Kulturkampf und Zentrum im Denken Luigi Sturzos und der Popolari. In: Historisch-Politische Mitteilungen, 6 (1999), S. 29–48. Vgl. als Überblick auch Giorgio Vecchio, Christliche Demokratie in Italien (https:// www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=5eef6213-9782-6d83-32ef-99b66b 43d840&groupId=252038; 12.11.2020). 7 Vgl. Rossi, Francesco Luigi Ferrari, S. 93–112; Giuseppe Ignesti, Francesco Luigi Fer- rari. In: Alessandro Albertazzi/Giorgio Campanini (Hg.), Il Partito Popolare in Emilia Romagna (1919–1926), Band II: I Protagonisti, Rom 1987, S. 128–144. 56 Aufsätze / Articles Italiens in den Ersten Weltkrieg unterschieden sich nicht grundlegend von denen „säkularer“ Demokraten, die mit dem Kampf gegen das Habsburgerreich die Umsetzung der Risorgimento-Ideen nationaler Unabhängigkeit, der Befreiung der Völker und des Antiabsolutismus verbanden.8 Als zweiter Leutnant eines Artillerieregiments nahm er bis Kriegsende an den militärischen Auseinanderset- zungen teil, zuletzt mit dem Kapitänsgrad ausgestattet. Am Tag des Sieges lernte er seine Frau, Orsola Filbier („Lina“; 1897–1971) aus Triest, kennen.9 Sie lebten bis zu seiner Exilierung in Formigine, fünf Kilometer südwestlich von Modena, und bekamen fünf