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E davon 1 E DIE ERSTE ÖSTERREICHISCHE BOULEVARDZEITUNG für den/die 2Verkäufer/in Bitte kaufen Sie nur bei AUGUSTIN- KolporteurInnen, die sichtbar ihren Ausweis tragen!

www.augustin.or.at NUMMER 222 27.2. – 11.3.08 KUNST HILFT STRASSENMENSCHEN GANZ UNTEN IN JERUSALEM

AUF TV-KANAL OKTO VEREINSMEIEREY 2 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08

Coverfoto von Tal Adler: Richtigstellung Religiöse Bettler und fromme Obdachlose be- Ich wurde im Augustin Nr. 184 vom völkern die »heilige Juli 06 mit der Behauptung zitiert, Herausgeber und Medieninhaber: Stadt« Jerusalem. In der Warren Rosenzweig habe die Haken- V erein Sand & Zeit. Galerie »Barbur« in Je- Herausgabe und Vertrieb der Straßen-Zeitung AUGUSTIN. kreuze im Nestroyhof, deren Entfer- Vereinssitz: 1050 Wien, Reinprechtsdorfer Straße 31 rusalem wurden Kunst- nung er verlangt habe, selbst gemalt. projekte für arabische Dies ist unrichtig. Ich habe eine der- I nternet: h ttp://www.augustin.or.at Straßenkinder durchge- artige Behauptung nie aufgestellt updating: Angela Traußnig führt. Eine Reportage und werde sie auch in Zukunft nicht von Kerstin Kellermann aufstellen. Organisation ( Vertrieb/ Kolporteure/ Vereinsangelegenheiten) auf Seite 28 Martin Gabriel Team: Mehmet Emir, Andreas Hennefeld, Riki Parzer, Eva Rohrmoser 1050 Wien, Reinprechtsdorfer Straße 31 Tel.: (01) 54 55 133 Fax: (01) 54 55 133-30 Dichter Innenteil [email protected] Redaktion (Abos/ Schreibwerkstatt/Öffentlichkeitsarbeit): ie sind durchleuchtet! Wir wissen jetzt näm- oder literaturnahen Texte, die bisher in anderen 1050 Wien, Reinprechtsdorfer Straße 31 lich, dass Sie zu jenen Käuferinnen oder Käu- Blatt-Teilen verstreut waren, plus Essays, plus Be- Tel.: (01) 587 87 90 Fax: (01) 587 87 90-33 Sfern des Augustin zählen, die das Blatt nicht sprechungen belletristischer bis philosophischer [email protected] nur zum Zwecke der Unterstützung des Verkäufers Bücher. In herkömmlicher Journalistensprache Redaktionsteam: oder der Verkäuferin erwerben, sondern auch da- handelte es sich um das Feuilleton des Augustin; Karl Berger, Robert Sommer (DW: 11) (Koordination und rum, weil Sie einer Lektüre des Augustin nicht ab- die Dominanz der von ausgegrenzten, marginali- Gestaltung); Mehmet Emir, Andreas Hennefeld, Mario Lang geneigt sind. Was wir nicht wissen: ob Sie damit sierten, stimmlosen Menschen stammenden Tex- (DW: 13), Erika Parzer, Claudia Poppe, Eva Rohrmoser, Rein- hold Schachner (DW: 12), Christina Steinle, Angela Traußnig zur Minorität oder Majorität der KäuferInnen zäh- ten auf diesen zehn Seiten verbietet selbstredend (DW: 10), Aurelia Wusch len! Da sie nun aber jedenfalls zur Lektüre-Frakti- die Verwendung dieses bürgerlichen Etiketts. Pro- on gehören, sind wir Ihnen eine Erklärung schul- fi-Texte und Texte »blutigster Laien« sind in der MitarbeiterInnen: Illustrationen: Thomas Kriebaum, Carla Müller, OttaGringo, dig, warum die Zeitung ab dieser Ausgabe ein we- Rubrik DICHTER INNENTEIL chaotisch gemischt Richard Schuberth. Fotos: Tal Adler, Mehmet Emir, Kerstin nig anders gegliedert ist als bisher. Die gravierends- – und jedenfalls nach Augustin-Art ohne Hierar- Kellermann, Ronnie Niedermeyer,Wenzel Müller. Texte: te Neuerung ist die zehnseitige Rubrik DICHTER chie geordnet. Der Hierarchie-Feindlichkeit ist Volker Frey, Gottfried, Gerald Grassl, Erwin Heiss, Heidema- rie Ithaler-Muster, Jella Jost, Konstantin Kaiser, Kerstin Kel- INNENTEIL. Unserer Meinung nach ist dieser auch die Rubrik HEROES zum Opfer gefallen. lermann, Kolousek Michael, Rainer Krispel, Jenny Legen- Doppelbegriff höchst doppeldeutig, vielleicht aber Denn fast in jeder Ausgabe werden mehrere Men- stein, Uwe Mauch, Wenzel Müller, Christa Neubauer, Hel- finden Sie noch mehr Bedeutungen darin. Dieser schen porträtiert – sie alle sind im augustinischen mut Neundlinger, Ursula Omoregie, Erwin Riess, Martin Schenk, Richard Schuberth, Werner Schuster, Kreuzworträt- Blattteil vereinigt die Beiträge, die bisher unter Sinn Heroes. Servus bis zur nächsten Reform – die sel: Eva Wagner. Texterfassung: Luvi. Lektorat: Richard WERKSTATT erschienen, plus alle literarischen eine des Designs werden wird … I Schuberth

StrawanzerIn: EDITORIAL E-Mail: [email protected]

Radio Augustin er Umstand, dass die Pan- was Mitleid erregt, bombardiert, (Seite 27) sind in diesem Lande Verantwortlich: Aurelia Wusch kahyttn – das Haus der fragen die einen; die anderen selten geworden. Der eine ist 50, 1050 Wien, Reinprechtsdorfer Straße 31 DPunks in der Johnstraße – aber schätzen den Augustin ge- der andere 45 Jahre tot. Tel.: (01) 587 87 90 – 14 von der Gemeinde zwar drei Klo- rade wegen der Widerspiege- Dass das vorherrschende »Aus- [email protected] papier-Großpackungen bekam, lung einer von den Mainstream- länder«-Bild, das von Klischees TV Augustin aber noch nicht den Hauptmiet- Medien ausgesparten Realität nur so trieft, auch von den »se- Verantwortlich: Christina Steinle vertrag, hat zu einer Verstim- der Stadt. riösen« Zeitungen fortwährend 1050 Wien, Reinprechtsdorfer Straße 31 mung zwischen BewohnerInnen Dass die Welt traurig genug reproduziert wird, ist Thema Tel.: (01) 587 87 90 – 15 und Rathaus geführt (Seite 4). ist, dem ist freilich nicht leicht zu zweier Essays im neubenannten [email protected] Diese Meldung, zusammen mit widersprechen, denn Persönlich- letzten Teil des Blattes (Seiten Inserate (KEINE Kleinanzeigen! Für Gratis-Wort- Wenzel Müllers Text- und Fotore- keiten wie Theodor Kramer (Sei- 34 bis 36). Richard Schuberth anzeigen siehe Hinweis auf Seite 14): portage (Seiten 6 bis 8) über ei- ten 25 bis 26) oder Kurt Wolff legt sich dabei mit der »Presse« Gerda Kolb nen durchschnittlichen Winter- an, deren Kommenta- Tel.: 0 699 19 42 15 92 tag eines Obdachlosen, mit Rein- tor den Rat bekommt: E-Mail: [email protected] hold Schachners Bericht (Seiten Und seien auch vor- Druck: 10 bis 11) über die Aufgaben sichtig mit Kausalität Herold Druck- und Verlagsgesellschaft und Probleme der Streetworke- von schlechte Deutsch 1032 Wien, Faradaygasse 6 rInnen, die deeskalierend in der und schlechte Taten, »Drogenszene« am Karlsplatz sonst fallen vielleicht Verlagsort: Wien aktiv sind, sowie mit Kerstin Kel- auf dich zurück … I lermanns Reportage über die Information: AUGUSTIN erscheint jeden 2. Mittwoch Straßenkinder und Bettler von Auflage dieser Nummer: 35.000 Jerusalem (Seiten 28 bis 29) er- gibt einmal mehr den themati- Mitglied des International schen Schwerpunkt »Obdachlo- Mit der geborgten Has- Network of Street Papers sigkeit«. Und einmal mehr wird selblad flanierte R. Nie- AUGUSTIN erhält keinerlei Subventionen diese Schwerpunktwahl polari- dermeyer durch sein sieren: Die Welt ist traurig ge- »richtiges Wien« nug, warum werden wir auch via (Seiten 16, 17) PSK, Blz 60.000, Nr. 92 051 517 Augustin mit Tristesse und allem, Bawag, Blz 14.000, Nr. 05 010 666 211 FANPOST NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 3

liebsten würden sie wohl selbst, scheiden, welchen wie weiland Haider, die Wägen Fortschritt sie machen DAS NACKTE LEBEN an glückliche und dankbare Arme wollen, sondern die übergeben, ein Höhepunkt pater- AK-Bildungsabteilung. nalistischen Verhaltens. »Get your grammer Dass diese Haltung nicht bloß right« wird gefördert, Populismus ist, sondern tiefstes Kommunikationskurse 100 EIER – ODER ROSAROTER sozialdemokratisches Selbstver- keinesfalls. Den AK-Bil- PATERNALISMUS ständnis repräsentiert, musste ich dungsveranstworli- 100-Euro-Bildungsgutschein für letzte Woche selbst erleben. Ich chen sind also Kurse, AK Wien-Mitglieder. Den Bil- wollte mein verblasstes Englisch- die sie selber nie besu- dungsgutschein der AK Wien Maturaniveau mit einem Konver- chen würden, recht können alle Mitglieder der AK sationskurs in der Volkshochschu- und billig, um »das Wien anfordern. AK Wien-Mit- le Brigittenau auffrischen und da- Volk« zu befriedigen? glied sind Sie, wenn Sie bei ei- für den allseits beworbenen 100- Wer verschont uns vor nem Wiener Unternehmen nicht Euro-Bildungsgutschein der Ar- dem Paternalismus der selbstständig beschäftigt sind. beiterkammer (siehe oben) einlö- sozialdemokratischen Ihre Mitgliedsnummer finden Sie sen. Dies sei nicht möglich, wur- Art? auf Ihrer persönlichen AktivKarte de mir mitgeteilt, und selbstver- Kurto Wendt, E-Mail oder im Adressfeld der Mitglie- ständlich gebe es auch keine Aus- derzeitung AK FÜR SIE. Geben nahmeregelungen und keine Um- DIE MIT DEM Sie bei der Kursanmeldung für ei- gehungsmöglichkeiten. Im E-Mail SCHWARZEN nen AK plus gekennzeichneten der pädagogischen Assistentin WINKEL Kurs bekannt, dass Sie Ihren Bil- der VHS-Brigittenau liest sich das Werte Redaktion! Eine dungsgutschein einlösen wollen. so: »Über die Bestimmungen der Veranstaltungsreihe Der Gutscheinbetrag wird Ihnen AK dürfen wir uns nicht hinweg- und eine Ausstellung auf der Rechnung gut geschrie- setzen. Wir dürfen leider auch in Berlin anlässlich des ben. Barablöse von Gutscheinen nicht auf Ihren Vorschlag, dass Gedenkens an die Op- bzw. Rückerstattung von Teilbe- Sie einen anderen Kurs mit Gut- fer der Aktion »Ar- Aus Mehmet Emirs Fotoserie für eine Boulevardzeitung trägen ist nicht möglich. Bitte be- schein buchen, den Englisch C1 beitsscheu Reich« der anderen Art achten Sie auch die jeweiligen Konversationskurs aber besu- (1938) haben mich an Anmelde- und Stornobestimmun- chen, eingehen.« eure Serie über die gen der Bildungseinrichtungen. Ich rief einen Bekannten bei jene Nazi-Opfer erinnert, die von de herum und überlässt die Sorge (aus: http://wien.arbeiterkam- der Arbeiterkammer Wien an, den Nazis als »asozial« bezeich- für seine Unterhaltung der Allge- mer.at) um zu intervenieren, auch er ent- net wurden und in den Konzen- meinheit.« Ich wünschte mir, Geht es nach der SPÖ, sollen täuschte mich. Natürlich müsse trationslagern mit dem schwar- auch im Augustin wieder mehr die Ärmsten der Gesellschaft ein- es Regeln geben und die Kurse zen Winkel stigmatisiert wurden. darüber zu lesen – auch deswe- hundert Euro erhalten, als Aus- würden gezielt ausgewählt. »Die In der Ausstellung sind Haftbe- gen, weil die aktuellen Bestra- gleich für die steigende Inflation. Mitglieder würden nicht verste- gründungen der Kripo im Rah- fungsmaßnahmen gegen die Ar- Sozialminister Buchinger und Fi- hen, wenn man einfach jedem ei- men des Feldzugs gegen soziale beitslosen (leider auch seitens des nanzstaatssekretär Matznetter nen Hunderter gibt.« Von den sie- Außenseiter dokumentiert wie: AMS) nur aus dieser Tradition der präsentierten auf einer Presse- benundvierzig Englisch-Kursen »D. ist ein arbeitsscheuer Abwertung der nicht »volle Leis- konferenz zwei volle Billa-Ein- der VHS-Brigittenau werden gan- Mensch, der einer geregelten Ar- tung« Bringenden gesehen wer- kaufswagerl, um den Wert ihres ze vier von der AK gefördert, beit nie nachgegangen ist. Er lebt den können. Vorschlags zu visualisieren. Am nicht die Einzelnen sollen ent- von Betteln, lebt planlos im Lan- Micha Kempin, E-Mail 4 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 TUN & LASSEN magazin

Zog die Gemeinde Wien die Punks über den Tisch? KLOPAPIER STATT MIETVERTRAG!

rei Großpackungen Klo- sis. Im Gegenzug willigten sie einbaren und mit einer Koope- papier, zwei Verlänge- beispielsweise ein, Sozialarbeit rationsvereinbarung abzu- Drungskabel, einen Putz- im Rahmen und Ausmaß von schließen. Das betrifft einer- wagen, drei Besen, drei Hand- Journaldiensten zu akzeptie- seits die Mietvereinbarun- feger, zehn Liter Putzmittel ren. Jetzt steht ein Container gen(!), andererseits eine Ver- und einen mit SozialarbeiterIn- vor ihrem Haus, der rund um einbarung über den respektvol- nen bespielten Container be- die Uhr mit SozialarbeiterIn- len Umgang untereinander kamen die BewohnerInnen der nen besetzt wird. Die chroni- und mit NachbarInnen. Die Pankahyttn von der Gemeinde sche Unterforderung der Sozi- Gespräche mit den Vertrete- Wien als Einstandsgeschenke. alarbeiterInnen können die rInnen der Pankahyttn verlau- Die Pankahyttn ist eine Initia- Punks noch mit einer Portion fen sehr konstruktiv.« Wie es tive von Punks mit Treffpunkt Zynismus verdauen; so steht in aussieht, verhielten sich die Mariahilfer Straße, die über ihrer Aussendung von Mitte Punks tatsächlich konstruktiv, Jahre hinweg von der Gemein- Februar: »Unmittelbar vor un- so ließen sie sich entgegen je- de Wien ein Haus forderten, serer Nase wird sinnlos Kohle der Punkattitüde eben den um ein Wohn-, Kultur- und So- fürs Computerspielen und Na- Container vor den Latz knal-

zialprojekt verwirklichen zu sebohren vergeudet.« len, doch für die Gemeinde ANG können. Mitte Dezember war Weniger lustig ist, dass der dürfte die Bedingung Mietver- L es dann so weit – ein Haus in Mietvertrag nach wie vor aus- trag ein Verfallsdatum gehabt ARIO der Johnstraße konnte von den steht. Andrea Jäger, die für die haben. Seit Bezug des Hauses :M OTO Punks bezogen werden. So Gemeinde Wien mit den gab es laut Punks seitens der F weit, so gut, doch diese Initia- Punks verhandelte, äußerte Gemeinde Wien »keine Verträ- Dass der Putz von den Wänden bröckelt, ist den tive forderte schon vor Jahren sich im Juli 2007 gegenüber ge, keine Verhandlungstermi- BewohnerInnen der Pankahyttn vermutlich kein Dorn auch eine Sicherheit in Form dem Augustin mit den Worten: ne und keine Sanierungsarbei- im Auge. Eine schiefe Optik verursacht eher das Verhal- eines unbefristeten Hauptmiet- »Ziel der Gespräche ist es, im ten«. ten der Gemeinde Wien, die sich ziert, einen unbefris- vertrages auf Betriebskostenba- Vorfeld Bedingungen zu ver- reisch teten Hauptmietvertrag anzubieten

eingSCHENKt

Erfahrung der sozialen NGOs häu- fig vor. Ähnliches wird vom Arbeits- Schande Armut marktservice berichtet. Wer sozial Benachteiligte zu Sün- denböcken macht, wer Leute am So- er andere stigmatisiert, sagt: mulierte Jean Paul Sartre. »Soziale Dritten verfügbar gemacht worden zialamt bloß stellt, wer Zwangsin- Schande über euch! Ihr seid Scham fordert zu ihrer eigenen Mo- sind (Neckel).« strumente gegen Arbeitssuchende Wnicht richtig, ihr gehört nicht ralisierung auf«, so Soziologe Sig- Beschämung hat direkte Auswir- einsetzt, wer mit erobernder Fürsor- dazu, ihr habt versagt. Schaut auf hard Neckel. »Um eine Erklärung kungen auf das unterste soziale ge Hilfesuchende entmündigt, der uns! So gehört es sich! Stigmatisie- für den Sinn der Verletzung zu er- Netz; auf die Sozialhilfe, die Not- schwächt Menschen. rung ist ein Prozess der Zuschrei- gründen, die man zuvor erfahren standshilfe, und ist dort ein bestim- Beschämung schwächt. Stigmati- bung von Merkmalen, die Ableh- hat.« Damit der Akt der Beschä- mender Faktor. Zwei Studien der sierung macht Leute, die jetzt schon nung, Beklemmung oder Unbeha- mung seinen Zweck erreicht, muss letzten Monate haben auf die Ef- wenige Ressourcen haben, noch gen bei Dritten hervorrufen und die für den beschämenden Mangel die fekte der Beschämung hingewiesen. verwundbarer. Aus der Gesund- Stigmatisierten entwerten. Funktio- Verantwortlichkeit auf die be- Das Europäische Zentrum für Wohl- heitsforschung gibt es eine Reihe niert seit Jahrtausenden. Der Begriff schämte Person selbst übertragen fahrtspolitik und Sozialforschung von Hinweisen, dass neben der Be- Stigma kommt aus dem Grie- werden. kam zum Ergebnis, dass nur 40 % schämung, die permanenten Erfah- chischen und bedeutet Brandmal, Beschämung ist also entsolidari- der Hilfesuchenden die Sozialhilfe rungen von Einsamkeit und Ohn- Kennzeichen, Narbe. sierend und spaltet die Betroffenen. in Anspruch nehmen, obwohl sie ein macht Menschen schwächen – psy- Die Betroffenen empfinden Sie wendet den Kampf gegen die Recht darauf hätten und sie auch chisch wie physisch. Das Gegengift Scham. Sie fürchten, ihr Gesicht zu Armut zu einem Kampf gegen die bräuchten. Und eine breit angeleg- zur Beschämung ist Anerkennung verlieren, und wissen ihr Ansehen Armen. Sie steht wirksamen Zusam- te Erhebung zum Sozialhilfevollzug und Respekt. Anerkennung müsste bedroht. Beschämung hält Men- menschlüssen entgegen. Sie ist eine ergab, dass Demütigungen Bedürf- eigentlich unbegrenzt vorhanden schen klein und rechtfertigt die gerissene Form, Armutsbetroffene tiger auf den Sozialämtern in ho- sein. Ist sie aber nicht, Sie wird wie Bloßstellung und Demütigung als »wehrlos« zu halten, ihnen Rechte hem Ausmaß auftreten. Die Hitliste Geld zu einem knappen Gut, das von den Beschämten selbst verschul- vorzuenthalten. »Die Beschämung der Beschämungen wird von herab- sich nach dem sozialen Status und det. ist die subtilste Form, sich ihrer zu lassendem Verhalten angeführt, der sozialen Hierarchie in einer Ge- Das ist das Tückische daran. »Mei- bemächtigen, weil die Kriterien der aber auch Lächerlichmachen und sellschaft verteilt. Schande über uns. ne Scham ist ein Geständnis«, for- eigenen Selbstachtung dann von Unterstellungen kommen nach den Martin Schenk TUN & LASSEN NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 5 magazin

Filmtage zum Recht auf Nahrung VHS Urania und »der wiener salon« setzen auf BIOSPRIT ODER KEULE? FRAUEN-NETZWERKE ie Biosprit-Beimischung bei Kraft- Hunger öffentlich aufmerksam machten. fahrzeugen ist zwar gut gemeint, Genützt haben sie offensichtlich wenig. er Prolog zur Projek- präsentieren, wobei das pro- Ddoch die Kehrseite der Medaille Mit den Dokumentarfilmen vermitteln treihe URANIA femi- klamierte Ziel lautet: »Frau- zeigt erhöhte Treibgas-Emissionen durch die vier veranstaltenden Organisationen Dnin wurde schon ge- en auf ihrem Weg nach oben großflächige Brandrodungen und Land- FIAN, Normale, ÖBV und AgrarAttac startet – der Verein »der wie- zu ermutigen und stärken«. raub für Palmöl-Plantagen. Der Film »Fet- nicht nur Informationen, die einer breiten ner salon« lud gemeinsam Vertreterinnen der Netz- te Beute. Indonesiens Palmöl-Wüste« von Öffentlichkeit kaum zugänglich sind, son- mit der Fotogalerie Wien werke werden zu Workshops Inge Altemeier und Reinhard Hornung be- dern laden begleitend zu den Vorführun- zum Fotowettbewerb eingeladen, dort gilt es, Ide- handelt die negativen Folgen einer EU-Di- gen ExpertInnen zu Publikumsgesprächen »MannsBilder: Frauen foto- en für Veranstaltungen zu rektive, die besagt, dass bis 2030 zwanzig ein. grafieren Männer«. Am 8. entwickeln, die unter der Prozent Bio-Sprit dem herkömmlichen Trotz überwiegend bedenklicher Mate- März, anlässlich des interna- Dachmarke URANIA feminin Treibstoff zugeführt werden sollen. »Fet- rie kann bei diesen Filmtagen auch ge- tionalen Frauentages, wer- angeboten werden sollen. te Beute« bildet auch den Auftakt der lacht werden, denn als Genreausreißer den die besten Aufnahmen Darüber hinaus sind auch Filmtage »Hunger.Macht.Profite.«, die mit steht Louis de Funès in »Brust oder Keu- des zeitgenössischen Mannes Gemeinschaftsprojekte von vier Dokumentationen strukturellen Ur- le«, eine Satire auf die Industrialisierung aus dem Blickwinkel von Frauennetzwerken ange- sachen von Hunger in Zeiten der Globali- der Lebensmittelherstellung sowie den Frauen in der Wiener Urania dacht. sierung nachgeht. Weltweit leiden über Mikrokosmos der Feinschmeckerküche, gezeigt. Zugleich ist dieser Den ersten Termin, also 850 Millionen Menschen chronisch an auf dem Programm. reisch Termin der Auftakt von URA- am internationalen Frauen- Hunger, obwohl bereits in den NIA feminin, das Schwer- tag, gestalten die netzwerk- 1970er Jahren entwicklungspoliti- punktthema für das erste enden Künstlerinnen und sche Organisationen in Kampagnen Halbjahr der VHS Urania. Autorinnen Linde Prelog, mit dem Motto »Hunger ist kein Hintergrund: Männer bilden Jenny Simanowitz und Johan- Schicksal. Hunger wird gemacht.« Seilschaften und legen sich na Awad-Geissler mit ihrer auf die Lücke zwischen Nahrungs- im Berufsfeld gegenseitig die Sicht auf Berufserfolg von mittelüberfluss und weltweitem Rutsche. Frauen. Die Volkshochschule initi- reisch AT . ierte gemeinsam mit »der INFO wiener salon« eine auf zirka INFO NORMALE

: 10 Veranstaltungen konzi- »Hunger.Macht.Profite.« »URANIA feminin«

6. bis 9. März 2008 OTO pierte Reihe, um die Vernet-

F 8. März, 17 Uhr Schikaneder Kino zung von berufstätigen Frau- Uraniastraße 1 Margaretenstraße 24 Aus der Dokumentation »Hühnerwahnsinn«: In Europa wird Hühnerfleisch überproduziert und folg- en zu fördern und bestehen- 1010 Wien 1040 Wien www.derwienersalon.com Eintritt: ? 5,- lich zu Dumpingpreisen in Mittel- und Zentralafrika de Frauennetzwerke einer www.hungermachtprofite.at angeboten. Dort fehlt es oft an den nötigen Kühlan- größeren Öffentlichkeit zu lagen, und die Salmonellen lassen schön grüßen … GEHT’S MICH WAS AN? Kriterien für die Vergabe von Gemeindewohnungen: objektiv und sozial – oder mit 30-Prozent-Quote?

ie Tageszeitung »Der Stan- nach »objektiven und sozialen Ge- grenze für BewohnerInnen mit Wenn Menschen nichtdeutscher dard« berichtete kürzlich, sichtspunkten« – so steht’s in ihren nichtdeutscher Muttersprache« – Muttersprache – die ja sowieso die- Ddass Gemeindewohnungen in Vergaberichtlinien – organisieren? außer der Mensch wurde in Öster- selben übrigen Kriterien erfüllen der Salzburger Gemeinde Hallein In den Richtlinien finden sich die reich geboren. müssen – dringender als andere auf seit 1. April 2005 nur zu maximal 30 üblichen sozialen Kriterien, z. B. ge- Die Verhinderung von Gettos ist Gemeindewohnungen angewiesen Prozent an Menschen mit nicht- ringes Einkommen, alleinige Obsor- sicher eine sinnvolle Maßnahme – sind, sollen sie diese »nach objekti- deutscher Muttersprache vergeben ge für Kinder, Behinderung, Delo- doch wenn daraus resultiert, dass ven und sozialen Gesichtspunkten« werden. Damit soll »ein gegensei- gierung … Diese Gründe sind wohl Menschen, die sich keine andere auch erhalten. Dann wäre es an der tig anerkennendes und respektvol- »objektiv und sozial«. Genauso ist Wohnung leisten können, wegen Gemeinde zu überlegen, was sie tun les Miteinander der verschiedenen es einzusehen, dass die Wohnungs- der falschen Muttersprache in men- kann, um den Kontakt unterschied- Kulturen, Religionen und Volks- werberInnen seit mindest 3 Jahren schenunwürdigen Zuständen leben licher Gruppen zu verbessern. gruppen« gewährleistet werden. ihren Hauptwohnsitz in Hallein ha- müssen, verkehrt sich ihr Sinn ins Gegenseitige Anerkennung und Gettobildung soll verhindert wer- ben müssen. Gegenteil. So wird aus Integration respektvolles Miteinander beweisen den. Wer genauer liest findet aber Diskriminierung. Die Schaffung von sich im persönlichen Umgang – und Rechtlich ist die Situation eindeu- auch folgende Voraussetzungen: Anerkennung und Respekt hat nicht im Mischungsverhältnis der tig: Es liegt eine – rassistische – Dis- »Österreichische Staatsbürgerschaft wohl eher mit der Einstellung und Sprachen und Kulturen in einem kriminierung aufgrund der ethni- oder Staatsbürgerschaft eines EU- der Kommunikationsbereitschaft Haus. schen Zugehörigkeit vor. Doch wie Mitgliedsstaates« und die bereits der beteiligten Personen zu tun und Volker Frey soll Hallein die Vergabe wirklich angesprochene 30- Prozent-Ober- weniger mit Statistik. www.zara.or.at TUN & LASSEN 6 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08

Wenn Obdachlose zueinander hielten … Ein Tag im Leben von M. M.

Jeden Tag ist er auf der Stra- er einfach seine Ruhe haben möch- dachlosen in der Früh mit frisch ge- überhaupt durch große Toleranz aus- ße. Notgedrungen, da Michael te. Auch morgen möchte er noch kochtem Kaffee und Gebäck versorgt zeichnet: Im Unterschied zu ande- Maier keine eigene Wohnung seine Wege machen können, ohne werden. Manchmal gibt es auch Tor- ren Heimen werden hier auch Per- hat. Im Winter muss er wis- von fremden Passanten erkannt zu te, je nachdem was am Vorabend in sonen mit Hunden und Alkoholpro- sen, wo er einkehren kann, werden. den Anker-Filialen liegen geblieben blemen aufgenommen. um sich zwischendurch Und tatsächlich ist er jeden Tag ist, das dann als Spende an die Ob- Die VinziRast ist kein Ganztages- etwas auszuruhen und aufzu- auf den Straßen Wiens unterwegs. dachlosenhilfen geht. betrieb, sondern nur von 18.30 bis wärmen. Notgedrungen, denn er hat keine ei- Das Frühstück hatte Maier in ei- 7 Uhr geöffnet. (Am Wochenende gene Wohnung. Seit mehreren Wo- ner Ecke des Vorraums eingenom- darf eine Stunde länger geschlafen chen übernachtet er in der Vinzi- men. Der einzige Platz, der halb- werden.) Wo und wie die Heim- Rast, der Notschlafstelle für obdach- wegs rauchfrei ist. So unterschied- schläfer den Tag verbringen, ist ih- ach links oder nach rechts? lose Menschen in Wien-Meidling. lich die Menschen sind, die hier Ob- nen überlassen. Ob die Sonne In welche Richtung soll ich Jeden Morgen heißt es dort um 6 dach suchen und finden, Junge und scheint oder Schnee fällt, es warm heute gehen? Vor dieser Uhr aufzustehen. Das Licht wird an- Alte, Frauen und Männer, sie wei- oder kalt ist, egal, sie müssen raus NFrage steht Michael Maier gedreht, und den Heimschläfern sen eine Gemeinsamkeit auf: Der auf die Straße. Maier hustet in ei- jeden Morgen kurz nach 7 Uhr. Nen- bleibt genau eine Stunde, sich fertig Morgen fängt für sie mit einer Ziga- nem fort, eine Grippe. Gerne würde nen wir ihn Michael Maier, eigent- zu machen, denn spätestens um 7 rette an. Diese kleine Freude wird er sich nun einfach in ein Bett legen lich heißt er anders, aber er möchte Uhr haben sie das Haus zu verlas- ihnen hier auch großzügig gelassen, und sich auskurieren. Doch dieses nicht, dass sein wahrer Name in der sen. Die Prozedur erinnert an das wie das Heim, das auf eine Privatini- Bett gibt es nicht. Stattdessen muss Zeitung steht. Nicht weil er etwas zu Militär. Aber auch an einen norma- tiative von Cecily Corti (der Witwe er sich entscheiden: links oder verbergen hätte oder ihm seine Si- len Hotelbetrieb: Ehrenamtliche des bekannten österreichischen rechts? Heute entscheidet er sich für tuation peinlich wäre, sondern weil Helfer sorgen dafür, dass die Ob- Filmregisseurs) zurückgeht, sich links. Er knöpft seinen Mantel zu,

Herr M. will anonym bleiben – nicht, weil ihm seine Situation peinlich wäre TUN & LASSEN NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 7

Gerne würde Herr M. in einem Bett liegen, um seine Grippe auszukurieren setzt sich eine Wollmütze auf und zieht sich ja auch nur ein bisschen ausru- Handschuhe an, alles Kleidungsstücke, hen und aufwärmen. Der Mantel fle- die er in der VinziRast erhalten hat. ckig, die Schuhe zerschlissen, man sieht sofort, dass er regelrecht von der Straße kommt und nicht unbedingt ei- Ein Traumtänzer in New York nen Volkshochschulkurs belegen oder gar leiten möchte. Im letzten Sommer kam Maier, 68, zu- Doch der Schein trügt auch. Denn rück nach Wien, in seine Heimatstadt. Maier ist nicht nur Sandler, er ist auch Davor war er mehrere Jahre in den Doktor der Biologie. In der Aktenta- USA und Kanada gewesen. Er hatte sche, die er stets bei sich trägt – sein eine Erbschaft gemacht und konnte einziges persönliches Hab und Gut – , von dem Geld ganz gut leben. Seine hat er die Zeugnisse der Universitäten Tage in New York füllte er vor allem Wien, Graz und Pennsylvania. Das Er- mit Spazierengehen aus. An den nächs- gebnis von mehr als 70 Uni-Semestern, ten Tag verschwendete er, ganz unbe- im In- und Ausland. Gerne wäre er Pro- kümmerter Traumtänzer, kaum einen fessor geworden oder wenigstens wis- Gedanken. Und so kam es, dass plötz- senschaftlicher Mitarbeiter, doch das lich alles Geld aufgebraucht war. Im war ihm vergönnt, vor allem auch des- YMCA konnte er nicht länger über- halb, weil er, wie er selber sagt, schon nachten, quasi von einem Tag auf den immer »ein fauler Hund« war. So blieb anderen begann für ihn ein Leben als er mehr oder weniger der »ewige Stu- Sandler, von Obdachlosenheim zu Ob- dent«, der im Laufe der Jahre einige dachlosenheim, von einer Suppenkü- Forschungsaufträge erhielt und den ei- che zur anderen. Das Flugticket zurück nen oder anderen Artikel in einer Fach- nach Wien schenkte ihm ein Freund. zeitschrift veröffentlichte. Nun ist Maier wieder in dem Bezirk, Maier bricht wieder auf. Nächster in dem er auch aufgewachsen war: in Fixpunkt auf seiner Tour: die U-Bahn- Meidling. Allerdings auf der Straße. Station Längenfeldgasse. Hier besorgt Und ohne Geld. Es ist kalt, also heißt es er sich, Morgen für Morgen, die Gra- für ihn, als Erstes einen warmen Ort tis-Zeitungen. Weiter geht’s mit denen aufzusuchen, einen, wo er auch sicher in den Waschsalon. Ein warmer Raum sein kann, dass er nicht gleich wieder mit mehreren Sesseln, niemand ist hier hinausgeschmissen wird. So ein Ort, drinnen, schon gar nicht eine Auf- das hat Maier inzwischen auf seinen sichtsperson. Maier macht es sich vor Touren durch Wien herausgefunden, einer Waschtrommel bequem und stu- ist der Aufenthaltsraum der Volkshoch- diert die neuesten Nachrichten aus der schule Meidling. Welt. Es sieht so aus, als warte er nur Lehrer und Schüler gehen aus und darauf, dass seine Wäsche fertig wird. ein, es herrscht eine muntere Betrieb- Bei den zerschlissenen Schuhen und samkeit, und in der fällt es nicht weiter den tagtäglichen Fußmärschen kein auf, dass da einer am Tisch sitzt, der Wunder: Maiers Füße sind voller Bla- gar nichts konsumiert. Maier möchte sen. Was für den so genannten Nor- TUN & LASSEN 8 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 malbürger nur ein ärgerliches Weh- wehchen ist, ist für ihn eine verita- ble Behinderung. Aber deshalb zum Arzt gehen? Der würde ihn wohl nur auslachen. Und wegen Husten im Krankenhaus vorstellig werden? Da muss schon ein ärgeres Gebre- chen vorliegen. Natürlich, im Notfall kann er, der nichts, auch keine E- Card hat, sich einen Krankenschein vom Sozialamt ausstellen lassen, das wurde ihm von Sozialarbeitern ge- sagt. Doch noch kann er sich ja auf den Beinen halten.

Das andere Gesicht von McDonald’s

Stärker als die Schmerzen ist alle- mal die Scham, die er empfände, wenn er beim Schwarzfahren er- wischt würde. Und so lässt er U- Bahn, Straßenbahn und Autobus links liegen und macht seine Wege zu Fuß. Um 12.30 Uhr gibt es bei Herr M. macht es sich im warmen den Klosterschwestern in der Kai- Waschsalon bequem serstraße, um 13.30 Uhr bei denen in der Ungargasse und um 15 Uhr bei denen am Mariahilfer Gürtel Lippen, denn den genauen Wortlaut kostenlos warmes Essen. Diese Ter- kennt er, obwohl inzwischen mine hat Maier im Kopf, sie sind es Stammgast, immer noch nicht. Die auch, die seinen normalen Tagesab- Schwestern sehen gütig darüber hin- lauf strukturieren. weg. Neulich hatten sie Maier eine Angst vor dem Verhungern Lesebrille geschenkt, denn seine braucht Maier nicht zu haben. Al- war kaputt gegangen. Zufälligerwei- lerdings kommen Obst und Gemüse, se und zum Glück stimmt die Diop- also Vitamine, bei der Gratis-Kost et- trienstärke der neuen Gläser. was zu kurz, jedenfalls wird Maiers Die Lesebrille braucht Maier vor Gebiss sukzessive lückenhafter. allem dazu, seinen E-Mail-Verkehr Maier betritt das Kentucky Fried zu erledigen. Gerade in Montreal Chicken in der Mariahilfer Straße. hat er noch einige Freunde, mit de- Nicht weil er Gusto auf Coca Cola nen er weiterhin in Kontakt ist. Zum oder Hühnerfleisch hätte, sondern Großteil sind es ehemalige Schüler, weil er einen Zwischenstopp einle- denen er Nachhilfe in Mathematik Insofern ging es, erzählt Maier, Rast für ihn eine gewisse Verbesse- gen möchte. Er weiß, hier kann er in und Deutsch gegeben hatte. Mit ihm in Montreal besser. In der Uni- rung zu vorher. Einen Euro muss er der Ecke sitzen, ohne etwas bestel- Nachhilfe-Unterricht wollte Maier versität standen große Sofas, wo für die Nacht zahlen, viel Geld, len zu müssen. Eine ähnliche Erfah- auch in Wien Geld verdienen, doch man sich niederlegen und ausschla- wenn man keines hat. rung macht er auch immer wieder im »Bazar«-Büro wurde er abgewie- fen konnte, ohne dass daran jemand Maier hat einen Pensionsantrag bei McDonald’s: Diese Fast-Food-Lo- sen: Nachhilfe-Anzeigen von Leuten Anstoß nahm. Dafür waren die gestellt. Viel wird er nicht bekom- kalitäten, die der aufgeklärte Bürger in seinem Alter würden sie nicht an- Nachtquartiere dort weniger kom- men, das weiß er jetzt schon, dazu gerne verabscheut, und das mit gu- nehmen! Punkt. Basta. fortabel. Erstens waren die im Rah- hat er zu wenig im Leben gearbeitet. tem Grund, zeigen sich Obdachlo- Seine E-Mails schickt Maier vor- men der Kirchen-Aktion »Out of the Mit Sorge scheint ihn das aber nicht sen gegenüber überaus tolerant. Der nehmlich in der Wiener Hauptbü- cold« immer nur für eine Nacht ge- gerade zu erfüllen. Wie er überhaupt Mensch wird so akzeptiert, wie er cherei ab, da ist es kostenlos. Aus ei- öffnet, so dass man am Tag jeweils keinen unglücklichen Eindruck ist. Auch wenn er kein zahlender nem weiteren Grund sucht er gerne weiterziehen musste, und zweitens macht. Die Unbekümmertheit eines Gast ist. Es stellt sich die Frage, ob den Ort am Gürtel auf: Hier gibt es gab es nur Matratzenlager auf dem Tagträumers. der Kellner – im sagen wir – Café gut gepolsterte Sessel, in denen es Boden. Es empfahl sich, mit der gan- Was wird er machen, wenn er Central wohl auch einen Gast ak- sich prächtig schlafen lässt. Das zen Kleidung zu schlafen, weil an- plötzlich wieder über eigenes Geld zeptieren würde, der sich nur nie- muss freilich, worin Maier inzwi- dernfalls am nächsten Morgen un- verfügen wird? Maier braucht nicht dersetzen, aber nichts konsumieren schen längst eine gewisse Perfektion weigerlich etwas fehlte, die Hose lange nachzudenken und sagt, dass möchte. erlangt hat, im Sitzen und möglichst oder die Schuhe, denn es wurde viel er sich wieder an der Uni einschrei- Vom Kentucky Fried Chicken zu unauffällig geschehen, weil sonst gestohlen. »Dass Obdachlose zuei- ben und weiter studieren wird. den Ordensschwestern am Mariahil- der angeheuerte Wachschutz in der nander halten, habe ich nicht in Drei Wochen später: Michael Mai- fer Gürtel, zum Mittagessen. Vor Bibliothek unweigerlich einschrei- Montreal erlebt und erlebe ich auch er liegt mit Lungenentzündung im dem Essen wird hier das »Vater un- tet, bestimmt, wenn auch nicht un- nicht in Wien«, sagt Maier. Immer- Spital. ser« gebetet. Maier bewegt nur die freundlich. hin bedeutet das Bett in der Vinzi- Text und Fotos: Wenzel Müller TUN & LASSEN NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 9

Augustin-Gespräch mit Flüchtlings-Helfer Michael Genner Schubhaft ist Haft ohne Schuld

Europa wolle seinen Reich- mentarsten Rechte abzu- scheidenden mental nicht tum, der nicht zuletzt auf der sprechen: das Recht auf vorbereitet. Es wird noch Arbeit der »Fremden« und auf Asyl, auf persönliche dauern, bis es uns gelingt, der Ausbeutung der Dritten Freiheit, auf Achtung ih- den gordischen Knoten des Welt beruhe, mit niemandem res Privatlebens, und Rassismus zu durchhauen. ganz besonders: das teilen, sagt Michael Genner. Recht, nicht gefoltert zu Soll ich Ihre Antwort als Re- Dem Wiener Flüchtlingsbera- werden. signation verstehen? ter ist oft vorgeworfen wor- Es liegt mir fern zu resig- den, durch »Politisieren« sein Wer sind die Men- nieren, weil ich doch Erfol- eigenes humanitäres Engage- schen, die das Gesetz ge in meiner Arbeit habe, ment für Asylsuchende zu betrifft? weil ich – trotz schwierigs- schwächen. Doch wie könnte Es sind Menschen, die in ter Ausgangsbasis – Ver- man ohne Politik Europa so ihrem Heimatland gefol- folgten helfen kann. Und tert wurden und hier auch, weil immer mehr ändern, dass es zum Teilen be- neuer Verfolgung ausge- Menschen in diesem Land reit ist? setzt sind. Viele meiner in Bewegung gekommen tschetschenischen Klien- sind, um gegen eine rassis- ten sind schwerst trauma- tische Politik zu opponie- önnen Sie mir etwas über sich tisiert. Sie berichten, dass ren. Ich glaube daran, dass selbst und Asyl in Not sagen? sie in russischen Filtrati- Utopien Realität werden ANG K onslagern in Gruben ge- L können. Früher waren offe-

Ich habe 1989 beim Flughafensozi- steckt wurden, mit Was- ARIO ne Grenzen zwischen den aldienst begonnen, Flüchtlinge zu ser kniehoch befüllt und :M »Erbfeinden« Deutschland OTO

unterstützen. Seit 1993 bin ich mit Betondecken ver- F und Frankreich undenkbar; Rechtsberater bei Asyl in Not, seit schlossen. Sie berichten der Fall des »Eisernen Vor- Michael Genner liebt keine halbe Sachen 2004 Obmann dieser Organisation. von Folter durch Schläge hangs« war es ebenso. Asyl in Not ist eine »NGO neuen und Strom. Dann flüchten Also glaube ich, dass in Zu- Typs«: Wir sehen uns nicht nur als sie hierher und wandern wieder ist kein neues Phänomen. Vor Jahr- kunft ganz andere Mauern fallen humanitäre, sondern als politische hinter Gitter: Schubhaft, das ist Haft tausenden schon wurden »Fremde« werden; ich glaube an offene Gren- Organisation. Wir verbinden recht- ohne Schuld, ohne Urteil und De- verfolgt, versklavt, als Menschenop- zen überall auf der Welt. liche und soziale Hilfe für einzelne likt, meist ohne Chance auf psycho- fer für die Ernte der Sesshaften um- mit dem politischen Angriff auf ein logischen Beistand und rechtlichen gebracht; schon damals galten Gibt es einen Unterschied zwi- ungerechtes System. Schutz. Traumatisierte einzusperren »Fremde« als »böse« und »uner- schen politischen und Wirt- stellt den Tatbestand neuerlicher wünscht«. Auf die Dauer aber ha- schaftsflüchtlingen? Wie sehen Sie die Situation, in Folter dar. ben Abschottung, Ausgrenzung und Die Bereiche vermischen sich. Ich der sich Flüchtlinge in Europa Inzucht stets zur Degeneration, zur meine, dass generell von »Einwan- wiederfinden? Welche Auswirkung hat das Ge- kulturellen Verarmung und zum derern« gesprochen werden soll. Wir haben es mit einer »Festung setz auf Ihre Arbeit? Aussterben geführt. Dabei muss das Individuum im Mit- Europa« zu tun, die Flüchtlingen Die rechtlichen Möglichkeiten wur- telpunkt stehen, mit seinem Erfin- und MigrantInnen den Zuzug ver- den einerseits beschränkt, anderer- Sehen Sie einen Weg, wie die dungsgeist und Überlebenswillen: wehrt. Das bezeichne ich als rassis- seits bedeutet es für uns eine enor- Festung Europa fallen könnte? Es bedarf schon besonderer Fähig- tische Politik. In Österreich ist seit me Mehrarbeit an Berufungen und Ja, wenn wir einen grundlegend keiten, die Gefahren, die eine 1. Jänner 2006 ein Gesetz in Kraft, Haftbeschwerden. Trotzdem kön- neuen Gesellschaftsvertrag schaf- Flucht mit sich bringt, zu überste- das dazu dient, Menschen ihre ele- nen wir immer wieder einzelne Ver- fen, der auch der eingeborenen Be- hen. Viele dieser Menschen sind folgte vor der Abschiebung schüt- völkerung Hoffnung gibt. Er muss Pioniere, deren Intellekt und Pro- INFOzen. Aber auch das bedeutet oft nur allen Menschen, die in Europa le- fessionalität für die Wirtschaft in eine Verlängerung der Angst, wenn ben und arbeiten, gleiche Rechte Europa nützlich sein könnten, aber Asyl in Not sie dann jahrelang, ohne Arbeitser- bringen. Das Wahlrecht zuvorderst, Fremdenhass und rassistische Ge- 1090 Wien, Währinger Straße 59/2 laubnis, in völliger Ungewissheit auf nach dem Grundsatz der amerikani- setze hindern sie daran. Aber ich (WUK), U6 Währinger Straße/Volks- den Ausgang des Verfahrens war- schen Revolution: »No taxation wit- bleibe Optimist. Eines Tages wird oper Beratungszeiten: Montag, 9–13 Uhr ten. hout representation« – wir zahlen Europa umdenken müssen. Es wird Dienstag, 13–18 Uhr keine Abgaben, wenn wir nicht lernen, EinwandererInnen auf zivi- Rechtsberatung, Sozialberatung Sie haben eine Festung Europa auch im Parlament vertreten sind. lisierte Weise zu empfangen, sie (Deutsch, Russisch, Englisch, erwähnt, wie sieht diese aus? Dazu gehören weiter soziale Schutz- willkommen zu heißen und als Ge- Französisch) Europa schottet sich ab. Es will sei- gesetze, um den Einheimischen die winn für die Gesellschaft zu sehen. www.asyl-in-not.org, Tel.: (01) 408 42 10, [email protected] nen Reichtum, der nicht zuletzt auf Angst zu nehmen, sowie Förde- Oder – es wird untergehen. Spendenkonto: Raiffeisen, der Arbeit der »Fremden« und auf rungsmaßnahmen für dynamische Mit Michael Genner Kontonummer: 5.943.139 der Ausbeutung der Dritten Welt EinwandererInnen. Aber auf eine sprach Ursula Omoregie (BLZ: 32000) beruht, mit niemandem teilen. Das solche Reform sind die derzeit Ent- TUN & LASSEN 10 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 Streetwork – eine Anlaufstelle für Drogenabhängige »Es fehlt eine Kultur von unten«

Der Augustin veröffentlichte bezirke und somit ist es vielleicht letzten Dezember einen offe- anders gelagert, aber im herkömmli- nen Brief einer Drogenabhän- chen Sinne hat es bislang dort keine gigen. Die Verfasserin forderte Aufenthaltsszenen gegeben.« Mit den im Herbst 2006 eröffne- die Wiederaufnahme des Be- ten größeren Räumlichkeiten in der triebes des so genannten Karlsplatzpassage sei auch das An- Streetworkerbusses. Reinhard gebot von Streetwork gestiegen. Die- Auer, Leiter des Sozialpro-jekts ser Neustrukturierung wurde aber Streetwork, das diese mobile schließlich der Streetworkerbus am Anlaufstelle mit Standort West- Westbahnhof geopfert – dazu Auer: bahnhof betrieben hatte, lud »Wir haben auf bestimmte Umstän- den Augustin zu einem de reagiert. Am Karlsplatz hat es schon immer eine Aufenthaltsszene Gespräch über Streetwork ein. gegeben, diese ist in den letzten Jah- ren größer geworden. An anderen Plätzen Wiens gingen jedoch immer weniger Menschen ihren Drogenge- s ist kurz nach zehn Uhr vor- schäften nach. Am Karlsplatz ren- mittags. In dem für Karls- nen uns die Leute die Tür ein, daher platzpassagen-Verhältnisse wollte ich die Anlaufstelle am Karls- Eschwach frequentierten platz personell unterstützen und Gang steht gut ein Dutzend Perso- musste die Leute vom Bus hier ein- nen vor einer Glastür. Sie scheinen setzen. auf den Betriebsbeginn von Street- Eine kleine Gruppe, die den Bus work zu warten, doch beim Näher- nützte, wird jetzt nicht mehr spe- kommen zeigt sich, dass die Pforte ziell bedient, was schade ist. Sie längst geöffnet ist und die Warte- müssen jetzt zu uns oder zum Gansl- schlange schon in den Gang hinaus- wirt kommen.« ANG reicht. Somit werden die Zahlen, die L

Reinhard Auer noch von sich geben ARIO sollte, nachvollziehbar: »3800 Sprit- :M Kultur von unten

zen werden im Durchschnitt täglich OTOS F innerhalb von achteinhalb Stunden Die Karlsplatzpassage ist ein stark ausgeteilt, an Spitzentagen verbu- Raus aus dem Sackerl, rein in die Klappe: Streetwork tauscht benützte gegen frequentierter Ort, der auch von unbenützte Spritzen chen die SozialarbeiterInnen knapp marginalisierten Gruppen wie eben über 900 Kontakte durch zirka 700 adäquat reagieren zu können, ande- gen benützte eingetauscht) und in Drogenabhängigen, aber auch Ob- verschiedene Personen (ungefähr 20 rerseits um Fantasien zerstreuen zu weiterer Folge basale Beratungen dachlosen aufgesucht wird. Zwi- Prozent des Klientels sucht Street- können, denn mit den Kontaktzah- und Hilfeleistungen angeboten be- schen diesen genannten Gruppen work mindestens zweimal täglich len kann man die Szene groß ma- kommen. Zum einen die sozialmedi- und den PassantInnen und Ge- auf). chen«, meint Auer und fügt hinzu, zinische Einrichtung Ganslwirt in schäftsleuten vor Ort gibt es Reibe- Doch, wie viele Menschen in es sei an der Zeit zu schauen, »was der Esterhazygasse im sechsten Be- flächen. Aus diesem Grunde wurde Wien illegale Substanzen zu sich hinter dem Phänomen illegaler Kon- zirk und zum anderen die Bera- im Herbst 2005 das Projekt »Help nehmen, möchte Reinhard Auer sum steckt, das sind neue Perspekti- tungsstelle Streetwork am Karls- U« von der Stadt Wien und den Wie- nicht schätzen. Stattdessen nimmt ven und Ziele in unserer Arbeit.« platz, beides Einrichtungen des Ver- ner Linien initiiert. Eine Presseaus- er das Wort »Selbstkritik« in den eins »Wiener Sozialprojekte« (= sendung aus dem Büro der Gesund- Mund, denn es gebe zwar schon vie- VWS). heits- und Sozialstadträtin Renate le Kontaktstatistiken von einzelnen Am Karlsplatz – die einzige Auf die Frage, ob es in Wien kei- Brauner beschreibt diese Projekt fol- Drogeneinrichtungen, aber »wir Szene!? ne andere Szene als jene am Karls- gendermaßen: »Das umfangreiche sind aufgerufen zu schauen, wer die- platz gebe, erläutert Reinhard Auer: Aufgabengebiet von Help U umfasst se Leute sind, die zu uns kommen. Seit November letzten Jahres, also »Wir machten ein Szene-Monitoring einerseits das Kommunizieren von Woher kommen sie? Sind es immer mit dem Aus für die mobile Anlauf- nördlich der Donau, d. h. wir sind angemessenem Verhalten im öffent- die gleichen? Versteckt sich hinter stelle am Westbahnhof, gibt es in Hinweisen nachgegangen, wenn lichen Raum und Informationen den Hunderten, die schon zu uns Wien nur noch zwei Orte, wo Ab- Spritzen gefunden worden sind. Wir über Hilfsangebote für sozial desin- kommen, noch eine große Menge?« hängige von illegalen Substanzen haben keine Aufenthaltszenen ge- tegrierte Personen, die Unterstüt- Die Sozialarbeit hat bis dato in die- niederschwellig und anonym vorran- funden, d. h. aber nicht, dass es zung der Geschäftsleute bei Proble- se Richtung zu wenig geforscht. gig Spritzen tauschen oder erwer- nördlich der Donau drogensicherer men, die durch die Drogen- und Al- Mehr Fakten wären in zweierlei ben können (über 90 Prozent der ist, dass dort keine Drogen konsu- koholszene entstehen, andererseits Hinsicht wichtig: »Einerseits um ausgegebenen Spritzen werden ge- miert werden. Es sind große Wohn- aber auch Fahrgastinformationen.« TUN & LASSEN NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 11

Sozialarbeiterin Alexan- dra, Zivildiener Stefan (l. o.) und Sozialarbeite- rin Jeannette (r. o.) bei Beratungsgesprächen, die anonym und kosten- los genützt werden kön- nen. Reinhard Auer (l. u.), Leiter von Streetwork, appelliert, »bei Drogengeschichten die Moral draußen zu lassen«

tiativen ortet der ehemalige sozialar- fer« zum Klientel gehören, von de- beiterische Leiter des Ganslwirt, der nen man ausgehen kann, dass sie in auch bei dessen Gründung mit an der Arbeitswelt und in der Gesell- Bord war, in der allgemeinen mora- schaft integriert sind und trotzdem lischen Bewertung von Drogenkon- illegale Drogen konsumieren, denn sum: »Die Moral ist bei diesen Ge- »in Zeiten, wo der Leistungsdruck schichten draußen zu lassen, ganz so stark wird, wird auch der Zeit- egal, was konsumiert wird. Es sollte raum des Ausstieges kürzer, da bie- Kultur werden, dass wir uns begeg- ten sich natürlich Drogen an«. nen und nicht den anderen bewer- Reinhold Schachner ten.« Reinhard Auer spricht hier den gesellschaftspolitischen Kontext an, INFO der für ihn von einem Leistungsden- Das Konzept von Streetwork ist aus- ken, dem nicht alle gewachsen sind, gerichtet für Personen, die illegale geprägt sei: »Welche Möglichkeiten Substanzen vorrangig intravenös Sozialarbeit ist das definitiv keine, auch die Drogenhilfe betreffend –, sind vorhanden, wenn man diesem konsumieren. Das Angebot reicht vielmehr scheint es ein sanfter jedoch mangle es an Zusammen- Druck nicht mehr standhalten vom Spritzentausch über Beratungs- Wach- und Ordnungsdienst zu sein, schlüssen von Betroffenen, die nicht möchte – das ist jetzt wissenschaft- gespräche (auch Rechtsberatung und ab März ärztliche Beratung) und Be- der kurioserweise mit 1. März 2008 von oben vorgegeben seien: »In lich nicht korrekt, aber eine Mög- treuung bis zum Bistro- und Frauen- im Verein Wiener Sozialprojekte(!) Wien gibt es keine drogenspezifi- lichkeit des Aussteigens bietet das cafébetrieb. Alles kann anonym, frei- eingegliedert wird. Für Reinhard sche Gruppe, die sich zusammenge- Verrücktwerden, das Entrücken, willig und kostenlos beansprucht Auer soll »Help U« den oben ge- schlossen hat, ein Selbstverständnis aber auch der Gebrauch von Sucht- werden. nannten Fraktionen »in einem me- entwickelt hat und den Satz unter- mitteln, der Ausstieg in den Rausch. Allgemeine Öffnungszeiten der Bera- tungsstelle Karlsplatz diativen Sinne gerecht werden« und streicht: ‘Wir sind süchtig‘. Diese Dass man sich dabei in die Tasche (Passage Secession): »die drogenspezifische Gruppe zu Kultur gibt es in Ländern wie Eng- lügt, ist selbstredend, denn mit dem Do.–Di.: 10–18.30 Uhr uns weiterleiten«. land, Deutschland oder Holland. So Ausstieg durch Substanzen ist nichts Mi.: 15–18.30 Uhr Nach dem Gesprächsabschnitt könnte man auch zur Entstigmati- gewonnen – außer für den Mo- Weitere Informationen, auch über über die alltägliche Arbeit, mit der sierung beitragen. Es ist sehr viel an ment.« Reinhard Auer gibt auch den Ganslwirt, unter: www.vws.or.at Streetwork konfrontiert ist, themati- Willen, Ressourcen und Netzwerken noch zu bedenken, dass es viele Wo- sierte Reinhard Auer einen allgemei- vorhanden, aber es ist von oben auf- chenendkonsumenten oder nach Hinweis: Radio Augustin sendet am nen Bereich, der für ihn schon in gesetzt. Es braucht auch eine Kultur der Arbeit Konsumierende gibt, also Montag, dem 17. März, zwischen 15 Richtung Philosophie gehe. Für den von unten.« nicht nur jene, »die klassisch ver- und 16 Uhr auf Orange 94,0 Auszüge Leiter von Streetwork bestehe in Ös- Eine mögliche Ursache für das wahrlost daherkommen«. Es sei die aus dem Gespräch mit Reinhard Auer. terreich in gutes soziales Netz – Nichtzustandekommen solcher Ini- Realität, dass »Leute mit Aktenkof- TUN & LASSEN 12 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08

Zum Buch »Generation Pleite« von Matthias Müller-Michaelis Kassensturz für Anfänger

Viele glauben immer noch, über Weihnachts- und Urlaubsgeld führen und laufende Kos- dass man sich wie früher durch abfedern konnte, den trifft es hart, ten, unvorhergesehene Leistungsbereitschaft allein ei- dass viele Firmen Betriebsvereinba- Ausgaben, notwendige nen relativen Wohlstand rungen zu Sonderzahlungen kündi- Rücklagen, einzutreiben- gen, bisher freiwillige Leistungen de Forderungen und zu- sichern kann. streichen oder schlicht Tarifflucht rückzuzahlende Schul- begehen durch Austritt aus den je- den zu berücksichtigen. weiligen Arbeitgeberverbänden. Wird das Geld knapp, Schließlich tun viele immer noch sollte man einen Kassen- ie können nichts dafür, so, als ob man sich wie früher durch sturz machen und ein wenn Ihr Geld nicht Leistungsbereitschaft allein einen re- Haushaltsbuch führen. »Sreicht.« Mit dieser poin- lativen Wohlstand sichern könnte, Müller-Michaelis macht tierten Überschrift eröffnet der Wirt- meint Müller-Michaelis. Doch Mitar- etwa ein »Fuhrparkkos- schaftsexperte Matthias Müller-Mi- beiterabbau, magere oder fehlende ten-Quiz«, weil die meis- chaelis sein Buch »Generation Plei- Gehaltserhöhungen und Streichun- ten Familien nicht wis- te«, das sich weniger an jene wen- gen von Sozialleistungen treffen sen, wie viel Geld sie ihr det, die als überschuldet gelten und auch Beschäftigte in Branchen oder Auto eigentlich kostet. Je ihren finanziellen Verpflichtungen bei solchen Unternehmen, wo dies nach Automarke darf nicht mehr nachkommen können, vor einem oder zwei Jahrzehnten man mit 126 bis 465 als an die, welche trotz sicherer Jobs kaum denkbar gewesen wäre. Und Euro pro Monat Gesamt- mit ihrem Einkommen nicht aus- wer als ZeitarbeiterIn beschäftigt kosten rechnen – das kommen. wird, für die/den verschärft sich die sind zwischen 25 und 60 Der Autor schreibt also für Men- Problematik. Cent pro Kilometer. Er schen, die nicht auf großem Fuß le- erklärt, warum man jähr- ANG ben, jedes Jahr eine kleine Gehalts- lich ein Zwölftel des L erhöhung bekommen und »die eine Kaum jemand weiß, wie viel Werts der Haushaltsgerä- ARIO oder andere Sparschraube bei den ein Auto wirklich kostet te für Neuanschaffungen :M OTO privaten Ausgaben angezogen ha- auf die Seite legen sollte. F ben« – und bei denen das Geld trotz- Wenn man auch nichts dafür kann, Der Autor gibt Tipps Wer Finanzprobleme hat, sucht sein Glück im dem nicht reicht. dass das regelmäßige Netto-Einkom- zum Strom- und Wasser- Wettspiel, wer das Wettspiel liebt, kriegt Finanz- Müller-Michaelis belegt (für men den monatlichen Grundbedarf sparen – und zum »rich- probleme Deutschland, aber für Österreich gilt nicht (mehr) deckt, so weiß Müller- tigen Einkaufen«, er dies genauso), dass die Lebenshal- Michaelis doch ein paar Tipps, mit klärt über günstige Finanzierungen Geldgeschenke, Geld einteilen, tungskosten insgesamt stärker stei- denen man der Schuldenfalle entrin- und typische Verbraucherfehler bei Handy als Kostentreiber). gen als die Einkommen und dass et- nen könnte. Es sind dies nun keine Geldgeschäften auf. So hält er es Und im Abschlusskapitel »Krisen- waige Entlastungen durch sinkende Tricks, auf die man selbst zur Not etwa für unvernünftig zu sparen, management – was tun, wenn Kon- Preise in Bereichen stattfinden, für nicht auch käme, doch weiß der Au- während zeitgleich noch Kredite ab- kurs droht?« gibt es einen »Über- die wir gar nicht so viel Geld ausge- tor, dass die meisten Menschen dazu gezahlt werden, oder für sinnvoll, schuldungstest« zum Beispiel mit ben, also für langlebige Gebrauchs- neigen, unangenehme Dinge zu ver- Konto, Spargelder und Kredit auf folgender Frage: »Wenn Sie Urlaub güter wie etwa Unterhaltungselek- drängen und z. B. Rechnungen und verschiedene Banken zu verteilen. planen oder bereits gebucht haben: tronik. Mahnungen ungelesen ablegen, Außerdem meint er, dass die meis- Werden Sie zur Bezahlung des Reise- Und dazu kommen noch – gegen- wenn sie Finanzprobleme haben. ten Familien falsch versichert sind – preises Ihr Konto überziehen müs- über früher – Mehrkosten für Hand- »Diese Vogel-Strauß-Methode des sie haben Policen, die sie nicht be- sen und es dann bis nach dem Ur- ys, Pay-TV oder Kabel-TV, wobei die- Kopf-in-den-Sand-Steckens ist ty- nötigen oder die zu teuer sind. Und laub durch die roten Zahlen zie- se mehr oder weniger bewusst in pisch gerade in finanziellen Dingen. er warnt: Wenn das Konto um mehr hen?« Wem bei diesem Test akute Kauf genommen würden, während Jeder Schuldnerberater kann ein Kla- als ein halbes oder sogar um ein Net- Überschuldungsgefahr bescheinigt man, so Müller-Michaelis, etwa ge- gelied davon singen.« to-Monatseinkommen überzogen ist, wird, dem kann auch Müller-Mi- gen steigende Wohnnebenkosten Und so sind für Müller-Michaelis kommt man nur noch mit einem chaelis nicht mehr viel helfen und nicht viel machen könne. (In Öster- Geldprobleme auch psychologischer sehr engen Sparprogramm wieder in empfiehlt vor allem den Gang zur reich kostet ja die Miete bereits 40 Natur, wie sich dies im Unterschied die schwarzen Zahlen. Außerdem Schuldnerberatung. Prozent des Durchschnittseinkom- zwischen gefühltem und realem Ein- geht durch ein im Minus geführtes Wer aber bloß mit seinem Geld mens.) Wer Zusatzausgaben einst kommen, im Selbstbetrug beim Ein- Konto der Überblick bei den Finan- nicht auskommt, wird in »Generati- schätzen der persönlichen Situation zen schnell verloren. on Pleite« gewiss viele nützliche Rat- zeigt, aber auch in Wissenslücken. Schließlich erhält man noch Tipps schläge finden. Ob man diese dann INFODie Menschen, meint der Autor, zur Pensionsvorsorge, finanzielle auch in die Tat umsetzt, steht auf ei- Matthias Müller-Michaelis würden weder zu Hause noch in der Strategien für jedes Alter (von 20 bis nem anderen Blatt – dem Kontoaus- Generation Pleite Schule lernen, wie man mit Geld über 55) und einige Überlegungen, zug beispielsweise. Knaur, 2008 umgeht. Und er rät, einen Haushalt wie die Kinder den Umgang mit 7,20 Euro wie ein Wirtschaftsunternehmen zu Geld lernen können (Taschengeld, Werner Schuster KRAUT & RÜBEN NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 13

MEHMET EMIRS BRIEFE AN DEN VATER Je mehr ich Deutsch verstehe, desto komplizierter wird Österreich

Hallo Vater! passt sind, da würden die Hühner MIR Wie geht es dir? Mir geht es gut! lachen, wenn sie Deutsch verstehen

Hier ist alles teurer geworden! Die würden. Die Obleute haben ihre : M. E

Regierung möchte gegen die Teue- Politikerpensionen. Was denken OTOS rung kämpfen. Als ob sie nicht mit- sie, die Leute, die solche Politiker F Vater Sohn schuldig wäre an der Teuerung! Ge- zu ihren Vertretern der Regierung gen wen sie kämpfen sollen, wissen gegenüber wählen? die lieben Großkoalitionäre selber Es werden sehr viele russische hört! Die hat nicht der Innenminister hier nur Probleme! Ich bin mir selber nicht! Die Hauptsache ist, sie kämp- Oligarchen nach Österreich zur EM gerettet, sondern sie selbst hat sich schwerig genug – und ich soll mich fen und sind medial präsent. Haupt- kommen. Das angsterregende Bild vor dem Mann befreien können. um andere kümmern, damit sie inte- sache, den Menschen das Gefühl zu der 5 Millionen Russen, die uns nach Jetzt kommt es heraus, dass die ver- griert sind? Es ist wirklich nicht mein geben: »Wir machen eee wos dage- dem Zusammenbruch des Kommu- storbene Innenministerin auf Grund Problem. Es sollte das Problem derer gen«. Die Hoffnung auf eine stabile nismus überschwemmen würden, der damals bevorstehenden Wahlen sein, die es stört. Mich stört es nicht, Regierung der Österreicher ist ziem- hat sich durch die Medienberichter- auf die Hinweise eines Polizeihunde- wenn Muslime Kopftuch tragen. Am lich gedämpft. Für neue Wahlen ist stattung über die Neureichen in ein führers nicht eingegangen ist! Land in Österreich tragen die Bäu- es noch sehr früh! Man möchte zu- positives Russenbild verwandelt. Sie Die politische Luft der Alpenrepu- rinnen ja auch Kopftuch. Ich könnte mindest bis zum EM-Ende warten. sind immer beliebter in der Innen- blik ist in den letzten Wochen ziem- sie also als katholische Fundamen- Weil man sich auf die EM-Millionen stadt, in Kunstgalerien, in teureren lich dünn geworden! Eine kleine talistinnen beschimpfen. Das tue ich sehr freut. Die Regierung wird die- Geschäften, auf den Skipisten, auf Musterdemokratie geht die Donau natürlich nicht. Natürlich ist das sen Wirtschaftserfolg auf ihre Fah- den Almhüten usw. Wobei man unter! In dieser Sache werden wir Ganze nicht mit der Kopftuchdebat- nen schreiben, um für die nächsten über das Türken-Bild der Österei- nicht gefragt, Vater. Uns beschäftigt te in der Türkei zu vergleichen! Es Wahlen gewappnet zu sein. Aber cher nichts ähnlich Positives berich- man mit Deutschkursen, Integrati- tut mir Leid, dich mit unseren öster- was wird der normal sterbliche Ös- ten kann! on. Und unter den Migranten sollen reichischen Problemen zu stören! terreicher davon haben! Die Pensio- Vater, du hast sicherlich von dem die, die Deutsch können, die Ver- Vater, je mehr ich Deutsch kann, nisten-Hauptverbände sind unter Fall Kampusch gehört! Die, die vor 8 mittlerrolle übernehmen. Als ob wir desto komplizierter ist es, Österreich der Obhut der politischen Parteien. Jahren von einem Mann entführt das goldenen Ehrenzeichen der Re- zu verstehen! Wenn man sich anschaut, wie die wurde! Auf der ganzen Welt hat publik Österreich bekommen wür- Liebe Grüße an die Mama! Pensionen an die Inflation ange- man/frau von dieser Kampusch ge- den. In den Ausländern sieht man Dein Sohn Memo

CHRISTAS SPARKÜCHE

derung von Oliver Goldsmith aus Tiefschlafpha- Fliegenpilz dem Jahr 1769 die Ärmeren den se, die bis zu Schwammerlrausch leisten, indem 24 Stunden manita muscaria begleitet nützten den Pilz. Die Pilze wurden sie ihre Holzschüsseln hinhielten, dauern kann. uns von Kindheit an – kaum roh gegessen oder als spezielle Zu- wenn die reichen Berauschten zum Bei eventu- Aein Märchenbuch kommt bereitungen gereicht, die getrock- Wasserlassen vors Haus traten. ellen Vergiftungen durch Überdo- ohne sein Bild aus. Als einer der neten mit Tabak vermischt ge- Auch andere Quellen berichten sierung kann man entweder die größten heimischen Pilze (sein Hut raucht. Die Pima-Indianer kennen vom rituellen Urin-Trinken. herkömmlichen Ratschläge anwen- kann einen Durchmesser von über einen Trunk, für den die rohen Pil- Die optimale Dosierung sieht Jo- den (Gabe von Medizinalkohle, 20 cm erreichen) wächst er als Sym- ze in Milch gegeben werden, die nathan Ott beim ersten Mal bei Auslösen von Erbrechen, Magen- biosepartner vor allem von Birken mit heißer Asche erwärmt wurde; höchstens 1/4 bis 1/2 Tasse zerhack- spülung) oder einer Empfehlung und Kiefern, aber auch Tannen und dieser Auszug wird zu gleichen Tei- ter oder sautierter Substanz. Ande- der Korijaken folgen: zwei oder Eichen. Sein Vorkommen ist über len mit Agavenschnaps vermischt. re raten zu einer Dosis von »nicht drei Esslöffel Fett, Öl oder Butter den gesamten europäischen und Ende des 19. Jahrhunderts, als in mehr als einem mäßig großen« bis einnehmen, sobald sich der Magen- asiatischen Raum verbreitet; in Italien eine Insektenpest viele Wein- zu »einem großen und zwei klei- druck einstellt. Ob der Trick funk- Amerika gedeiht eine gelblich ge- gärten zerstörte, gab es Überlegun- nen« Exemplaren – der schwanken- tioniert, ein Schluckerl vom Wodka färbte Unterart. Ob sich der deut- gen, den Mangel an Wein durch de Wirkstoffgehalt scheint die Sa- zu nehmen, ist allerdings nicht er- sche Name des narrischen Schwam- den Genuss von Fliegenpilzen aus- che schwierig zu machen. Ott sieht wiesen. merls davon herleitet, dass Fliegen zugleichen – ob sie verwirklicht die oral wirksame Dosis von Musci- Christa Neubauer mit ihm getötet werden können wurden, ist nicht genauer bekannt. mol bei etwa 6 mg. (im Versuch eher widerlegt) oder Der Hauptwirkstoff der Amanita Die Wirkung liegt zu Beginn in QUELLEN ob er weiland Hexen zum »Fliegen« muscaria ist die Ibotensäure, die bei einer ein- bis zweistündigen dämp- bringen konnte, liegt im Dunkeln. der Trocknung (am besten in der fenden Phase, in der es auch zu ve- Angelika Prentner: Bewusstseinsver- Vorsicht vor den Kusinen des Flie- Sonne) in das weit wirksamere getativen Nebenwirkungen kom- ändernde Pflanzen von A-Z. Springer genpilzes: andere Amanita-Arten Muscimol umgewandelt wird. Die men kann. In der Folge treten die 2005 wie z. B. der »Racheengel« wirken höchste Wirkstoffkonzentration stundenlang anhaltenden beleben- Richard Schultes/Albert Hofmann: hochtoxisch. findet sich in der Haut der Hüte den Effekte ein: gehobene Stim- Pflanzen der Götter.AT Verlag 1998 Schamanen unterschiedlichster und hier wiederum am Anfang der mung mit Singen, Tanzen und Red- Giorgio Samorini: Halluzinogene im Kulturen verwenden den Fliegen- Wachstumsperiode. Interessant ist, seligkeit bis zu Euphorie und Eksta- Mythos. Nachtschatten 1998 pilz seit mindestens 3500 Jahren: dass die Wirkstoffe den Organismus se. Der Berauschte glaubt über Peter Stafford: Enzyklopädie der Bekannt ist der Soma-Kult der Ve- weitgehend unverändert passieren. enorme körperliche Kräfte zu ver- psychedelischen Drogen. Volksverlag den, aber auch sibirische Völker be- So konnten sich gemäß einer Schil- fügen. Danach kommt es zu einer 1980 MARKTPLATZ 14 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 www.f13.at Rätselauflösung für Heft 221 F13-T-Shirts im Angebot Schwarze Katzen für die graue Stadt!

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WAAGRECHT: 1. feiern mit Leopold Bloom 8. spieltechnisch ist Jörg Hai- SENKRECHT: 1. Hippies 2. ein Kriecher sozusagen 3. lateinischer Knochen der einer 16. alte Fernsehzeiten: Fury war das Pferd, er der Hund 17. Lieb- mutiert mit mane zu einem Türken 4. wo die Sonne aufgeht 5. verkehrte haberin, handwerklich 18. United Kingdom 19. Turkye 20. abgeteilter Be- Kebab – Schwester 6. Beginn einer Seefahrt 7. ist er leer, gibts Handy nichts trieb 21. Monat ist am Anfang rot 22. Aufforderung zum federlosen Huhn her 9. Kraftlosigkeit 10. der Poet schaut auf und sieht ihn blinken 11. ei- von hinten 26. Ablage für große GeisterInnen als letzte Gabe der Wiener- ner von einem fremden Stern 12. rechts eben, links neben – nur anfänglich stadt 28. faul ist es protestwurftauglich 29. Pelzhandhülle für kalte Däm- gegeben 13. Greißler im mittleren Westen 14. staatliche Erlaubnis zum chen 30. ergänzt mit wort wirds ein Substantiv 31. viel Blutwasser mit Ab- Kommen 15. Nachbarland 17. Bad Aussee auf dem PKW 23. ein umgedreh- wehrstoffen 32. Gestein, seltener als Schotter, daher teurer 34. ein solches ter Wiener Ganove 24. hat einen Pflegevater 25. ganz schön frech, das Tier mieft ordentlich 35. Sozialismus, Salsa und Zigarren, sehr sympathisch Dirndl 27. Bares für Gefälligkeiten 29. PPP of mean 33. woher nehmen 38. wo der Ball zappelt 39. such a film you can see im Kino 41. deutscher und nicht das? 36. Ochsenknecht heißt so 37. Feingewebtes für Hemdchen grün-roter Innenminister am Anfang 42. schrecklicher Zar 43. über drüber 40. südlicher Begleiter 46. ein halbes Finale 48. hodenloser Stier 49. gegen- von rechts auf neudeutsch 44. offen macht er keinen daraus 45. knusprig über Luv 50. diesen Eingang erfand Faraday 52. vorderer Teil der Auber- ohne Abschluss 47. Gage nach geleisteten Solidarbeiträgen 50. ganz ver- gine 55. verlängere vorne den Tag und eine neue Woche beginnt mit ihm kehrt steht der Gummibaum in London 51. Kleeblätter sind zuallererst das 59. Tamponname steht bereits für sich 61. eine solche Fuhr ist eine Ver- 53. erwartungsgemäßes Ende beim Krimi 54. das Programm dieser Alten schmähung 62. Holland kurz liegt im AUGUSTIN 56. gibt bei Zwölf den Zeitpunkt an 57. Ex-DDRler um- gangssprachlich 58. der revolutionäre Osten war so 60. Brüder zu ihr, san- gen wir 61. end am Ende, Tag am Ende 63. gewandt und geschickt 64. fau- nistischer Hubschrauber 65. Kuhsager

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Mit der geborgten Hasselblad flanierte R. Niedermeyer durch sein »richtiges Wien« Brausebäder, Lakritzengläser, Halskrawatten

Zeugnisse eines Verlustpro- kurzweilig 364 Buchseiten. Ein Re- zur Überraschung der Verwandt- che der aus Deutschland und Öster- zesses, die Schauplätze vor zensionsexemplar des Buches, vom schaft. reich zugewanderten Juden und Jü- ihrer Zu-Tode-Moderni- Verlag zur Verfügung gestellt, warte- Ronnies Mutter lernte Ronnies Va- dinnen pauschal als »Hitlers Spra- te unter einer zunehmenden Staub- ter in Los Angeles kennen: rezipro- che« verachteten. Ronnies gefühlte sierung, der Zustand vor dem schicht drei Monate lang darauf, von ke Faszination der Schönheit des Ausgrenzung löste sich auf, als er Verlöschen der für wertlos er- der Augustin-Redaktion rezensiert Partners. Doch auf Schönheit lässt die Schule wechselte. Eine pädagogi- klärten städtischen »Alt- zu werden. Dann wurde es dem Au- sich keine Beziehung gründen – das sche Einrichtung, die nach den anti- lasten« vor dem Hintergrund tor zu blöd – und er erschien in der wusste der vierjährige Ronnie Nie- autoritären Konzepten der engli- der Angleichung der Weltstäd- Redaktion mit einer Mutmaßung im dermeyer nicht, als sich seine Eltern schen Summerhill-Schule geführt te in der Ästhethik des Neoli- Gepäck: Ob es möglich sei, dass das scheiden ließen, das weiß er heute. wurde, bot das Klima, in dem sich beralismus – das Thema ver- Desinteresse gegenüber seinem Ronnie, sein jüngerer Bruder und Ronnies außergewöhnliche Talente gangener und zukünftiger Fo- Buch mit dem antikapitalistischen die Mutter mussten sich allein in entfalten konnten. Mit 15 Jahren toreportagen im Augustin ist Reflex des Augustin zu tun habe, der Wien durchschlagen; die geistige wurde er Assistent des Englischleh- einen Sprössling von »Foto-Nieder- und körperliche Behinderung des rers. Die Porträts seiner Mitschüler, auch jenes von Ronnie meyer« quasi automatisch zu einer Bruders verhinderte eine Vollberufs- die er zeichnete, fanden besonders Niedermeyer. Mit einer ausge- »non important person« erklärte. tätigkeit der Mutter. Immerhin sorg- unter den zahlreichen äthiopischen liehenen Hasselblad unter- Diese Unterstellung weisen wir von te der Vater für eine gute Schulbil- Schülern Absatz, die ihre Freundin- wegs, hat der Wienbeobachter uns; in unserer Naivität hatten wir dung für Ronnie. nen damit überraschten. die Sujets für seinen im Vor- Niedermeyer für einen bayrischen »Da sich niemand mit mir be- So sehr Ronnie diese Schule an jahr erschienen Bildband Allerweltsnamen gehalten, wie Him- schäftigte, habe ich mich mit Bü- den Leib geschnitten schien, so un- »Zeit und Wien« gesammelt. melfreundpointner. Aber Ronnies chern beschäftigt«, erzählt Ronnie. wohl fühlte er sich in der gespalte- Die Begriffe »Foto« und »Nie- Befürchtung, genährt von entspre- Kein Tag ohne Lektüre, schon im nen israelischen Gesellschaft: »Ich chenden Erfahrungen (siehe unten), Vorschulalter. Im Alter von acht Jah- hatte das Gefühl, zwischen zwei dermeyer« stehen in unserer machte uns auf dessen ungewöhnli- ren interessierte ihn vorzugsweise Welten zerrieben zu werden«, be- Geschichte freilich in einem che Herkunft aufmerksam. Und so die Astronomie. In den Schulpausen gründet er seinen Entschluss, nach ganz anderen Zusammen- musste der Fotograf, statt über seine sah man Ronnie nicht bei den ande- Wien zurückzugehen. Er tat es im hang, als der sprichwörtliche Fotos, zunächst über sein Leben re- ren Schülern: Er verkroch sich in die Alter von 18. Die Jahre der Gelegen- gelernte Wiener vermutet. den. Schulbibliothek. heitsjobs begannen. Ronnies Mutter ist in Israel gebo- Sie mündeten in das Spezialgebiet ren. Dorthin waren aus Russland der Fotografie. Mit einer alten sow- und Polen, wo die Lage unerträglich Das Gefühl, zwischen zwei jetischen Fotokamera, die er für vier in aufgelassenes Betriebs- wurde, die Eltern der Mutter emi- Welten zerrieben zu werden Euro bekam, nahm er jeden Fotoauf- Brausebad der Gaswerke. griert. Israel hieß damals Palästina. trag entgegen. Die Auftraggeber ver- Im Narrenturm die Puppe in In dem Dorf, in dem sie lebten, war Die Mutter blieb eine Fremde in langten das Klischee, Ronnies foto- Eder Halskrawatte aus Rindsle- Ronnies Großvater weit und breit Wien. Weniger als Jüdin, vielmehr grafisches Interesse aber galt dem der. der einzige jüdische Schaf- und Zie- allgemein als Fremde fühlte sie sich wirklichen Wien. Mit einer schwe- Der Grabkerzenautomat der Gärt- genhirt. Er hat Memoiren hinterlas- hier nicht voll respektiert. Als Ron- dischen »Hasselblad« dokumentier- nerei Ziegler. sen. Sein Hirten-Know-how entwi- nie 13 war, beschloss sie ihre Aus- te er diese Wirklichkeit, die er insbe- Ein alter Stammgast am Stamm- ckelte sich dank menschlichen Kon- wanderung nach Israel. Denn, ob- sondere im noch nicht globalisier- tisch des Gasthauses Nestler in der taktes mit den arabischen Nachbarn. wohl sie religionsfern lebte, ihre jü- ten und postmodernisierten Wien Güpferlingstraße. Väterlicherseits ist Troppau der dische Identität war unverrückbar, fand. In Ronnies Kopf entstand ein Der Innenhof des Seifensieder- Bezugspunkt, das heute in Tsche- und sie war immer bemüht, ihrem Buchprojekt – und im Brandstätter hauses. chien liegt. Ronnies Urgroßvater Sonn jüdische Traditionen zu ver- Verlag die Bereitschaft, aus dieser Der Verkäufer türkischer Braut- hatte in dieser Stadt das legendäre mitteln, erinnert sich Ronnie. »Ich Phantasie Realität werden zu lassen. kleider am Hannovermarkt. Gartencafé Niedermeyer gegründet. selbst erklärte mich schon als Kind Freilich musste sich der Fotokünst- Die Totenkammer im Friedhof der Die Familie aus Troppau (das urba- zum Atheisten«, fügt er lächelnd ler selbst um die Finanzierung küm- Namenlosen. nistische Kleinod, bis 1918 österrei- hinzu. mern. »Ich habe 800 Firmen ange- Helmut Seethaler in einem aufge- chisch-ungarisch, wurde damals Aus seiner Wiener Kinderzeit sei schrieben – keine einzige war be- lassenen Würstelstand, voll beklebt auch »Klein Wien« genannt) emp- ihm kein auf ihn gemünzter Vorfall reit, das Buch zu sponsern«, sagt mit seinen Lyrikzetteln. fand sich als durch und durch öster- des Antisemitismus bekannt. Was es Ronnie Niedermeyer. Dabei spielte Gläser mit 82 Sorten Lakritze in reichisch, nirgends anders als in bedeutet, von Rassismus betroffen wohl auch der Neidkomplex eine der Lakritzbar. Wien hätte sich der aus Russland zu- zu sein, erfuhr er erstmals in Israel. Rolle: »Der Sohn vom Niedermeyer Wie ein Stück Wiener Poesie liest rückgekehrte Großvater niedergelas- »Der mit dem Hitlerbild in der Woh- geht schnorren«, solche Gerüchte sich die Liste der Fotoerklärungen. sen. 1957 gründete er die Handels- nung«: Das war der paradoxeste Ruf- seien ihm herangetragen worden, Bilder des wirklichen, bald aber viel- kette Niedermeyer. Ronnies Vater name, den Ronnie je verpasst be- ärgert sich Ronnie Niedermeyer leicht schon als obsolet erklärten verkaufte die Firma am Höhepunkt kam. Ein Zeichen der Ablehnung über eine Unterart des Sozialrassis- Wien, und begleitende Texte füllen ihrer wirtschaftlichen Power, also seitens jener Nachbarn, die die Spra- mus, das Ressentiment gegen den VORSTADT NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 17

vermeintlich G’stopften. »Dabei hab Wirt des Schlossrestaurants war, stellt hatte, dass – unbeabsichtigt – brauche diese Uhren, um zu sehen, ich nicht einmal das Geld für den was Ronnie nicht wusste, Universi- immer wieder Uhren im Bild waren. dass ich nicht mehr zur letzten U- Erwerb einer gebrauchten Hassel- tätsrat der Akademie der Bildenden Die verschiedenen Zeiten, die diese Bahn rennen muss. Die ist schon blad.« Vom Vater, dem Ex-Fotohan- Künste und zudem Freund des PR- Uhren zeigten, wurden zum Kriteri- längst weg – und ich habe Zeit, zu delsriesen, erwartete der gründlich Managers der Immobilienforma CPI, um der Gliederung. Und überhaupt: Fuß nach Hause zu gehen, schlen- aus dem Handel geratene Sohn die für ihren Jahresbericht einen Dass es so viele Uhren im öffentli- dernd und beobachtend, um Details längst keine Unterstützung mehr, künstlerischen Fotografen suchte. chen oder halböffentlichen, im gas- wahrzunehmen, wie es Ronnie Nie- umso mehr schmerzen die Vorurtei- Als Ronnie Niedermeyer das Buch- tronomischen und im amtlichen dermeyer kann. le, die an den Namen der Familie projekt eigentlich schon aufgegeben Raum gibt, die es bald nicht mehr Robert Sommer geknüpft sind. Die Lösung der Buch- hatte, stellte sich CPI als Mäzen zur gibt, erregt Staunen und gehört dis- finanzierung ergab sich wie im Mär- Verfügung. kutiert. Ich jedenfalls klammere INFO chen. Niedermeyers Aufnahmen »Zeit und Wien« hat Ronnie das mich nicht an die Hoffnung, der Tri- vom Interieur des Schlosses 364 Seiten dicke Band deshalb ge- umph des Mobiltelefons mache die- »Zeit und Wien – Ein Reiseführer für Thürnlhof in Simmering gewannen nannt, weil sich beim Sichten und se Uhren, oft auf hohen Pfeilern auf- Wiener«. Christian Brandstätter Ver- lag, 2007, ca. 364 Seiten, 49,90 Euro eine ungeahnte Bedeutung. Der Kategorisieren der Fotos herausge- gespießt, unnötig. Ich, handylos, VORSTADT 18 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08

Fußball als Sozialprojekt: die Wiener Viktoria Viktorianische Vorbildwirkung

2006, im 75. Jahr ihres Beste- ramponierte Kunstrasenanlage aus- des maroden Vorstands an. »Das ers- Mit Roman Zeisel über Integrati- hens, stand die Viktoria aus gewechselt werden. te Jahr war schwierig: Innerhalb des on zu sprechen, würde diverse Poli- Meidling vor dem sportlichen »Wenn ich gewusst hätte, was da Vereins trafen wir auf Widerstände, tiker egal welcher Partei wohl be- auf mich zukommt, hätte ich mir und von außen wurden wir nur mil- schämt verstummen lassen. Die und finanziellen Aus. Kaum das wohl drei- und viermal über- de belächelt, weil wir so gar nicht Angstmacher könnten ihn keines- zwei Jahre später scheint die legt«, sagt Roman Zeisel, 38 Jahre dem entsprachen, wie normalerwei- falls als Multi-Kulti-Utopisten ver- Wiederbelebung geglückt. alt, seit seinem 19. Lebensjahr se Funktionäre im Wiener Fußball spotten; dafür sieht er die Welt, mit Noch dazu mit mehr als unge- selbstständiger Versicherungsmakler auftreten.« Abgesehen von den der er es zu tun hat, viel zu nüch- wöhnlichen Mitteln. und Vorstandsvorsitzender der Vik- Schulden, zu deren Zahlung man tern. Und die Integrations-Beauftrag- toria. Obwohl geborener Margare- verpflichtet war, bemühte sich das ten könnten kaum mehr argumen- tener, erfuhr er seine fußballerische neue Leitungsteam, sämtliche Alt- tieren, warum die gut ausgedachten Sozialisation auf dem Viktoria-Platz. lasten so schnell wie möglich über Konzepte in der Wirklichkeit so »Ich hab mit kleinen Unterbrechun- Bord zu werfen. »Aufgrund der fi- gen von Kindheit an hier gespielt, nanziellen Lage waren wir quasi ge- bis vor zwei Jahren.« Insofern hätte zwungen, auf unseren Nachwuchs er wissen müssen, worauf er sich zurückzugreifen. Wir haben aber einließ, als er im Jahr 2006 gemein- schnell gesehen, dass das nur funk- n Meidling wird gebaut. Der sam mit insgesamt neun anderen tioniert, wenn wir uns mit der sozia- Weg von der U-Bahn-Station Kollegen dem Niedergang seines len Situation vor Ort auseinander Tscherttegasse zum Sportplatz Klubs entgegentreten wollte. »Der setzen.« Und dieser Ort heißt Meid- Ider Wiener Viktoria führt vor- Verein hatte zu der Zeit ungefähr ling – nicht mehr nur ein klassischer bei an den Neubauten des Kabel- 50.000 Euro an Verbindlichkeiten Arbeiterbezirk, sondern einer mit werks, die in ihrer Mischung aus angehäuft, alles nur durch die übli- einem hohen Anteil an Migrantin- Übersichtlichkeit und verordneter chen Verfehlungen: teure Spieler, nen und Migranten, deren Lebens- Buntheit wie Lego-Häuser wirken. die niemals hielten, was sie verspra- verhältnisse sich bei genauem Hin- Die Straßen säumen Bauzäune, die chen, und ein organisatorisches Um- sehen nur allzu oft als trist bis per- kaum das dahinter liegende Auf- feld, das in die eigenen Taschen ar- spektivenlos entpuppen. »Wir trai-

und Abrissgelände verdecken. Gut beitete.« nieren die Kinder nicht nur. Sucht- MIR möglich, dass es hier in ein paar Jah- prävention ist ein zentraler Punkt E

ren wohnlich sein wird. Einstwei- unserer Vereinsarbeit. Außerdem EHMET len hilft nur der Glaube an eine bes- Sprachunterricht auf dem haben wir gemerkt, dass viele Eltern :M

sere Zukunft. In dieser Hinsicht ist Fußballplatz unserer Buben kaum Deutsch spre- OTOS F man auf dem Gelände des Oberliga- chen, obwohl sie schon mehr als Vereins Wiener Viktoria schon wei- Zeisel und seine Partner, die sich fünfzehn oder zwanzig Jahre hier le- Roman Zeisel, anfangs milde belä- chelt, rettete mit neun Spielern aus ter – auch wenn dort die bauliche sämtlich aus einer Spielergenerati- ben. Das hat natürlich auch Auswir- seiner Generation einen Traditions- Sanierung erst bevorsteht. Erst im on rekrutieren, stellten sich dem kungen auf die Sprachentwicklung klub und initiierte zum Drüberstreu- nächsten Jahr soll dort nämlich die Abgrund und traten die Nachfolge der Kinder.« en auch noch ein Frauenteam

KNICK-TIPP

Oberliga A: SPC Helfort 15 – Wiener Viktoria Regionalliga Ost: FAC TfW – First Vienna FC; fünf stärksten Teams des Herbstes matchen sich Sun Company; Sa., 1. 3., 15 Uhr: Zum Frühjahrs- Fr., 7. 3., 19.30 Uhr: Bereits in Runde zwei der in Hin- und Rückspielen um die Schale. Auch beginn bekommt es die Viktoria gleich mit ei- Frühjahrssaison erwartet uns in der Regionalliga wenn der klare Favorit wie immer Neulengbach nem unmittelbaren Konkurrenten im Kampf um der erste große Schlager: Auch wenn die Vienna heißt, könnte die Kiste heuer so eng werden wie die vorderen Plätze zu tun: Die Helfort liegt nach kaum mehr ins Titelrennen eingreifen kann, wird lange nicht mehr. Gelang es doch ausgerechnet dem Herbst unmittelbar vier Punkte vor den sie es sich wohl nicht nehmen lassen, die poten- den in den vergangenen Saisonen so gebeutel- Meidlingern auf Rang drei. Ob es die Helforter ziellen Aufstiegskandidaten gehörig zu ärgern. ten Landhäuslerinnen, den Serienmeisterinnen nach ihrem unglücklichen Kurzgastspiel in der Und was läge näher, als diese Serie mit einem aus dem Wienerwald die einzige Niederlage zu- Wienerliga gelüstet, sich noch einmal nach der Auswärtssieg gegen den Herbstmeister aus Flo- zufügen. Die im Vorjahr zweitplatzierten Graze- Decke zu strecken und im Meisterkampf mitzu- ridsdorf einzuläuten? Hochklassiges ist auf je- rinnen haben zwar ihre Top-Talente Carina Wen- spielen, sei dahingestellt. Ganz nach oben will den Fall zu erwarten, noch dazu im schönen »Na- ninger und Viktoria Schnaderbeck an Bayern die Viktoria heuer noch nicht – wohl aber hat turstadion« an der Hopfengasse. München verloren, konnten sich aber dennoch man es sich zur Aufgabe gemacht, ein Team zu Adresse: Hopfengasse 8, 1210 Wien relativ souverän fürs Play-off qualifizieren. Vieles formen, das ab Herbst zum großen Sprung nach Tel.: (01) 271 12 80 spricht also für einen ersten Knaller in diesem oben ansetzen soll. Daumen drücken für die jun- Anreise: U6 (Endst. Floridsdorf), dann weiter Frühjahr! gen Wilden unter der geistlichen Obhut des Da- mit 26 Adresse: Jochbergengasse, 1210 Wien lai Lama! Tel.: (01) 292 42 71 Adresse: Kendlerstraße 42, 1160 Wien Frauen-Bundesliga: USC Landhaus – LUV Anreise: U6 (Endst. Floridsdorf), dann weiter Tel.: (01) 982 36 58 Graz; Sa., 15. 3., 15.30 Uhr: Alles neu in der ÖFB- mit 30 od. 31 Anreise: S45, U3, 10, 48 Frauenliga: Der Meistertitel wird in diesem Früh- jahr erstmals im Play-off-Modus ausgespielt. Die [hn] VORSTADT NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 19

COACHING ZONE

VON UWE MAUCH

»Keinen Neid«

o schnell ändern sich beim Fußball- Sozial-Projekt Schwarz-Weiß Augus- Stin die Rahmenbedingungen: Nach dem tragischen Tod unseres Einser-Tor- manns Mandi und einer anhaltenden künstlerischen Pause des Tagebuch-Schrei- bers Gottfried stand unser Team im Herbst 2007 plötzlich ohne Tormann da, nicht ganz, denn mit freundlicher Genehmi- gung der Ballesterer-Redaktion half Kolle- ge Wenzel Müller dankenswerter zwi- schen den Torstangen aus. Gewiss, eine Kompromisslösung. Doch da traten plötzlich die beiden Augustin- Verkäufer Thomas und Christian auf den Plan. Im Augustin-Büro erkundigten sie sich, ob vielleicht noch der eine oder an- dere Tormann gesucht wird. Das war vor Weihnachten. Seither ha- ben die beiden kein Training ausgelassen. Integration läuft bei der Viktoria wie am Schnürchen Schön auch: Unsere neuen Torhüter sind nicht nur Kollegen, sondern auch Freun- de. Thomas Grussl, 41, spielte bereits vor schwer umzusetzen sind. Zeisel kostet das operiert. Außerdem konnte Gregory den Ver- sieben Jahren für das Augustin-Team im Versagen der repräsentativen Sphäre bei der ein auch für sein Engagement in Sachen Tibet Tor. Er berichtet von einer hoffungsvollen Förderung der sozialen Infrastruktur nur ein entflammen. Und so wird am 1. Mai das in- Karriere als Jung-Fußballer. Seine ersten mildes Schulterzucken: »Ich habe damit um- offizielle Nationalteam Tibets ein Spiel gegen »Handsch« zerriss er beim SV Wolfsberg im steirischen Schwarzautal. »Mit 17 hab’ zugehen gelernt, dass man von öffentlicher die erste Mannschaft der Viktoria bestreiten. ich in der Reservemannschaft von Flavia Seite bestenfalls Kleinigkeiten erwarten »Als der Dalai Lama zu Besuch in Melk war, Solva debütiert. In der Ersten kam ich bei kann, wenn Wahlen vor der Tür stehen. Statt- konnte ich ihn als Vereinsvertreter sogar ken- LUV Graz und bei Neusiedl am See zum dessen trete ich gezielt an private Unterneh- nen lernen«, erzählt Zeisel. »Als ich ihm vor- Einsatz, damals in der zweiten Division.« men heran, um konkrete Unterstützung für gestellt wurde, war ich so aufgeregt, dass mir Acht Jahre jünger ist Christian Prokop, meine Projekte zu erhalten.« Daraus ist ein die Frage nicht mehr einfiel, die ich ihm ei- der das Fußballspielen in Wien, in den Netzwerk an Sponsoren entstanden, das gentlich stellen wollte.« Nachwuchsmannschaften des traditions- deutlich mehr ermöglicht als das Weiterbeste- Seit kurzem trainiert auf dem Viktoria-Platz reichen Gersthofer SV gelernt hat: »Ich habe dort acht Jahre draußen gespielt, hen eines außer Tritt geratenen Traditions- auch ein Frauenteam. »Von einer 14- bis zu linkes Mittelfeld, und zwei Jahre im Tor.« klubs: Demnächst sollen am Klubgelände einer 42-Jährigen reicht da die Bandbreite. Thomas und Christian haben sich durch Sprachkurse nicht nur für die Kinder, son- Im Juni wollen wir das Team offiziell für den das Zeitungsverkaufen kennen gelernt. dern auch für deren Eltern angeboten wer- Wiener Verband anmelden«, berichtet Zeisel Beide spielen und trainieren mit Leiden- den. Und für den Sommer plant Zeisel eine nicht ohne Stolz. Für das Herrenteam formu- schaft. Beide zeigten daher zuletzt – nicht ganztägige Kinderbetreuung, die allein erzie- liert er ebenfalls klare Perspektiven: »Vor weiter verwunderlich – ansteigende Form. hende Mütter aus der Gegend in Anspruch zwei Jahren waren wir akut abstiegsgefähr- Im Trainingsspiel gegen den FC Gruft ha- ben sie ihrer Mannschaft mit tollen Para- nehmen können. »Voraussetzung ist aller- det, nun stehen wir an vierter Stelle der Ta- den den knappen Sieg gerettet. dings, dass sie die Zeit nützen, um etwas belle. Das Ziel fürs nächste Jahr kann nur Christian stellte beim letzten Training Sinnvolles in Angriff zu nehmen: einen Aufstieg lauten.« Voraussetzung für kommen- zufrieden fest: »Die Fangsicherheit Sprachkurs, Arbeitssuche oder einen Ent- de Höhenflüge ist dabei nicht nur die Stabili- kommt wieder zurück.« Thomas nickte: zug.« Zeisel hat einen sicheren Instinkt dafür, sierung des Sozialgefüges, sondern auch wei- »Bei mir auch. Ich habe auch keinen Neid, dass sich eine wirkliche Gemeinschaft letzt- terhin eine vernünftige finanzielle Gebarung. wenn der andere gut fängt.« I lich nur über Tauschverhältnisse etabliert. Großes Aufatmen herrscht diesbezüglich seit Das birgt Enttäuschungen, schützt aber auch wenigen Wochen, als mit der Solarium-Kette vor Abhängigkeiten und Gleichgültigkeit. »Sun Company« ein Sponsor gefunden wer- den konnte, der auch die noch anstehenden Raten der alten Schulden übernimmt. »Wir Viktoria Social Inc. führen den Verein wie ein Unternehmen«, erklärt Zeisel und macht deutlich, dass an der Die Vorbildarbeit der Viktoria zieht inzwi- gesellschaftlichen Peripherie soziales Enga- AUCH schen weitere Kreise: Über den Präsidenten gement und unternehmerisches Denken kei- M Roman Gregory, Sänger der Meidlinger Rock- nen Widerspruch darstellen. Am Viktoria- WE :U gruppe »Alkbottle« und ebenfalls ehemaliger Platz scheint in Meidling nicht nur architek- OTO Mitspieler von Zeisel, entwickelte sich ein tonisch die Postmoderne angekommen zu F Kontakt zu Willi Resetarits und dessen Inte- sein. Thomas Grussl (li.) und Christian Prokop sind Freunde grationshaus, mit dem man mittlerweile ko- Helmut Neundlinger VORSTADT 20 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 »Gleich eingeschnappt«

Cornelia Ehmayer bittet die Metropole auf die Couch – LOKAL- sie ist Wiens erste Stadt- psychologin. MATADOR

O Von Uwe Mauch (Text) und N 174 Mario Lang (Foto)

tadtpsychologische Praxis schnappt, anstatt Ehmayer, hier muss es sein! den Einwand als Die korpulente, etwas aufge- Chance zu betrach- Sdonnert wirkende Dame ten.« Das monotone seufzt, erleichtert. Na alsdann! Sie Abschasseln erin- hat sich heute vom Naschmarkt nert die Psychologin kommend in den vierten Bezirk be- an festgefahrene Be- quemt, ist durch die Pressgasse ohne ziehungen. Stadtbe- erkennbare Eile mehr stolziert denn wohner: »Schatz, spaziert. Noch immer ein wenig wir sollten reden.« skeptisch, tritt sie nun in das Haus Stadt: »Über was Nr. 6. Dort wird sie bereits erwartet. Cornelia Ehmayer wohnt, arbeitet und reist in Wien sollten wir noch re- Von Cornelia Ehmayer, von der ja den?« erzählt wird, dass sie Wiens erste wurde. Dass sie in Wiener Neustadt vor allem von der Tradition lebt, ver- Die Frau Oberstudienrat auf der und bisher einzige Stadtpsychologin ins Gymnasium gegangen ist. Dass stellt zwangsläufig den Blick für Couch weiß nicht, was sie erwidern ist. sie Wien ursprünglich nur »vom neue Ideen.« Vieles scheint festge- soll, hört daher ihr Gegenüber do- Die ältere der beiden Frauen Schulstangln« her kannte, Südbahn- fahren, einzementiert. »Auch bei Ih- zieren: »Je mehr Mitsprachemög- nimmt behutsam ihren Hut ab, dann hof, Flohmarkt, Indienschals statt In- ren Beamten und Politikern.« Im- lichkeiten die Bewohner in einer sagt sie mit nasalem Achterbezirk- dustrieproduktion. Dass sie in Wien mer noch hat der Satz in Wien Gül- Stadt haben, umso besser ist das für unterton, dass man ihr von der später auch ihr Studium mit Erfolg tigkeit, wonach nur derjenige etwas die urbane Entwicklung.« Ganz »Frau Magistra« einen Satz vorgele- abgeschlossen hat, dabei auch er- gilt, der bereits tot ist oder wenigs- schlecht sei es hingegen, wenn sich sen hat, der ihr nicht mehr aus dem kennen musste, dass Wien anders, tens im Ausland erfolgreich war. kreative Köpfe auf ein Mittelmaß re- Kopf gehen mag. Wenn es also wirk- jedenfalls nicht Ternitz ist. Und dass »Verglichen mit Berlin wirken Sie, duziert fühlen – und deshalb der lich stimmt, dass sich auch eine ihr die großen Distanzen anfangs zu gute Stadt, deutlich älter, vorsichti- Stadt angewidert den Rücken keh- Stadt auf die Couch legen kann, schaffen gemacht haben. »Bei uns ger, skeptischer.« ren. An dieser Stelle reißt fürs Erste dann würde sie jetzt, bitt’schön, daheim geht man alles zu Fuß, oder Und stimmt es, was die Leute sa- die Therapieeinheit ab, es wird hof- gern Platz nehmen. Die Stadtpsycho- man fährt mit dem Radl.« Na gut, gen, dass ich mit den Zuwanderern fentlich nicht die letzte gewesen login, sie wirkt deutlich legerer, Ternitz hat ja auch keine U-Bahn. nicht so recht zurechtkomme? – sein. nickt freundlich. Auch als ein Zei- Die Gnädigste auf der Couch »Dieses Problem haben nicht nur Wichtig ist vielleicht noch: Die chen der Genugtuung für diese spät rutscht bereits unruhig auf ihrem Sie. Zuwanderung ist für jede große Stadtpsychologin ist nicht bei der zuteil werdende Ehre. Es hat näm- Popo hin und her. Sie möchte unbe- Stadt eine Herausforderung. Die Gemeinde Wien angestellt, wodurch lich fast zehn Jahre lang gedauert, dingt wissen, wo die Stadtpsycholo- Wiener Integrationspolitik muss den sie ihre Außen-, ihre Übersicht bis sich die konservative Metropole gin persönliche Stärken vermutet. Vergleich mit anderen nicht scheu- leichter bewahren kann. Zu ihrer zu ihr herabließ. Stadtpsychologin? Das ist aufgelegt. Über »das Wesen en. Hier gibt es immerhin ein Be- Klientel zählen inzwischen Stadtent- Zu was brauchma das. Eine Frau ist von Wien« hat Ehmayer eine eigene wusstsein, daher auch Kompetenz.« wickler im Rathaus, Gebietsbetreuer sie auch noch? Geh bitt’ euch gar Studie verfasst. Demnach kann Weniger hilfreich, um nicht zu sa- draußen in den Bezirken, der Ver- schön. Wien – wie andere europäische gen kontraproduktiv, sei hingegen band Wiener Volksbildung sowie pri- Cornelia Ehmayer möchte vor der Großstädte auch – auf ein unver- die mangelnde Bereitschaft zum Dia- vate Planungsbüros. Über Wien will ersten Sitzung Grundsätzliches sa- wechselbares Image bauen: »Wien log mit den Bürgern: Wehe, jemand Ehmayer am Ende keineswegs Bö- gen: Dass ihre Arbeit auf einer The- steht für etwas, Wien hat auch im weist auf einen Missstand hin, Stich- ses kommen lassen, im Gegenteil: se der italienischen Gemeindepsy- Ausland eine Identität, die geprägt wort Hundstrümmerl, auch dazu »Hier wohne, hier arbeite und hier chologin Donata Francescata beruht, ist von der Kunst und dem Hang gibt es natürlich eine Ehmayer-Stu- reise ich.« Der nahe Naschmarkt wonach man sich eine Stadt wie zum Vergangenen.« die, dann ziehe sich Madame sofort dürfte es ihr besonders angetan ha- eine Person vorstellen kann, mit Und wo sehen Sie, Verehrteste, auf ihre barocke Position zurück, ben. Jedenfalls hat sie gegen einen Stärken und Schwächen. Dass sie meine Schwächen? Auch bei dieser und die ist halt noch immer von Fototermin auf der klassischen Wie- selbst im niederösterreichischen In- Frage kann die Expertin aus dem oben herab: »Ist jemand anderer ner Delikatessen-Meile wenig ein- dustriestädtchen Ternitz sozialisiert Vollen schöpfen: »Eine Identität, die Meinung, sind Sie gleich einge- zuwenden. I ART.IST.IN NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 21 magazin

Terra incognita für Wolferl – »Mozart in China« MARIONETTEN UND SCHATTENFIGUREN Symposium zu Arbeit in in bisschen als Nachzügler zu Der zehnjährige Kunst, Kultur und Medien Wolfgang Amadeus Mozarts Danny (Kaspar Si- E250. Geburtstag im Vorjahr monischek) und der DIE VORHUT DER kommt nun Bernd Neuburgers und gleichaltrige Li Wei Nadja Seelichs Kinderfilm »Mozart (Marco Yuan) rei- PREKARISIERUNG in China« in die heimischen Kinos. sen von Salzburg Neuburger (Regie) und Seelich gemeinsam nach (Co-Regie und Drehbuch), die China, wo Li Weis er Begriffs Avantgarde bezeich- schon einige Filme für Kinder ge- Großvater ein tradi- nete ursprünglich die Vorhut mi- meinsam gedreht haben – u. a. tionelles Schatten- XTRAFILM litärischer Truppen, also jenen

:E D »Sommer mit den Burggespen- theater besitzt. Lei- Teil, der vorrückte und somit zuerst in OTO stern« und »Lisa und der Säbel- der fehlt dem alten F Feindberührung trat. Im 20 Jahrhundert zahntiger« – schufen eine Mi- Mann das Geld, Eine Reise ins Reich der Mitte öffnet neue Horizonte wurde Avantgarde auf den künstleri- schung aus Real- und Animations- um das Theater zu für einen kleinen Buben und eine Mozart-Puppe schen Bereich übertragen und stand, film. Die Geschichte ist unterhalt- erhalten. Li Wei, bzw. steht noch immer, für radikalen sam, spannend, auch lehrreich und Danny und die anderen Kinder des Im Projekt zur Rettung des Schat- Fortschritt. Gegenwärtig lässt sich fest- enthält die, für ein junges Publi- Ortes erstellen einen Rettungsplan, tentheaters wird sie noch eine machen, dass KünstlerInnen, Kultur- kum essentiellen Elemente Aben- damit das Theater nicht einem Ho- wichtige Rolle spielen. und Medienschaffende auch für eine teuer, Geheimnis, Spaß und ein gu- telbau weichen muss. Doch vor ih- Gerade in den Puppentricksze- Avantgarde, die leider nicht mit kreati- tes Ende. Wie so oft in Buch und rer Abreise spielt sich eine poeti- nen werden Klischees auf nette vem Tun in Verbindung gesetzt werden Film retten Kinder wieder einmal sche Geschichte der phantasti- Weise auf die Schaufel genommen, kann, stehen. Die genannten Berufs- die Welt, na ja, diesmal nicht das schen Art ab: Im Salzburger Mario- generell geht es in dem Film da- gruppen bildeten unfreiwillig die Vor- ganze blaue Erdenrund, aber im- nettentheater, wo Dannys Mutter rum, spielerisch Vorurteile zu hut in Sachen Prekarisierung und merhin die kleine Welt eines chi- arbeitet, erwachen nachts die Pup- überwinden – auch jene, die es im Selbstausbeutung. Ihre Einkommens-, nesischen Puppentheaters. Und pen zum Leben – und beginnen zu Osten gegenüber den Westlern Versicherungs- und Arbeitsbedingun- dazu verwenden die Kids keine streiten. Die Puppe Amadeus ist gibt. gen, sollten sie in keiner höheren Liga magischen Tricks, sondern nur ein völlig entnervt und sucht Inspirati- J. L. kommerzieller Bereiche tätig sein, bie- wenig Phantasie, Arbeitseifer und on in neuer Umgebung und ver- ten Stoff für Trauerspiele mit offenem viel Begeisterung für ihre Sache. steckt sich in Dannys Reisekoffer. Ab 29. Februar in Wiener Kinos Ende. Die erfreulichen Nebenerschei- nungen einer Selbständigkeit wie rela- tiv freie Zeiteinteilung, Mobilität oder Gedankenspielräume können kaum Wien Museum zeigt Fotos aus »Swinging Vienna« noch die ökonomischen Nachteile wett- machen. Diese verschärften Bedingungen wer- MUSEALER LIFESTYLE den am ersten Märzwochenende im Rahmen des Symposiums »State of the er in den späten 1960er großer Fotograf. Also war auch ich Art« unter die Lupe genommen. Veran- Jahren in Wien »in« war, berühmt, dank der Gunst der gro- stalter ist der Kulturrat Österreich, ein Wgeriet in die Fänge des ßen Stunde«, so Skrein. Zusammenschluss von Interessensver- Christian Skrein. Bereits im Alter Der Fotograf verkehrte im Café tretungen von Kunst-, Kultur- und Me- von 18 Jahren fotografierte Skrein Hawelka, was ihm Modelle wie dienschaffenden. Am Eröffnungstag KREIN für einige Zeitungen und Illustrier- Ingrid Schuppan Wiener, Arnulf S wird der Arbeitsbegriff theoretisch und te. »Es war damals die große Zeit Rainer oder Walter Pichler bescher- politisch behandelt, das Programm des der Fotografen, die Zeit des Blow- te. Skrein verband in seinen Fotos HRISTIAN zweiten Tages bezieht sich auf aktuelle up, ganz nach dem berühmten auch VertreterInnen einer lokalen :C Veränderungen des Arbeitsmarktes, die OTO Film »Blow up«. Das heißt, jeder, Avantgarde mit dem in London ge- F die Klientel des Kulturrates immer der nur einen Fotoapparat halten prägten Lifestyle, d. h. Popkultur Eine Art Gebrauchsgummi-Fetisch: mehr zu Über-LebenskünstlerInnen ma- und seine Bilder irgendwie verkau- mit seinen damaligen Bestandtei- Mannequin Angelika Schubert po- chen. fen konnte, war ein berühmter, len wie Minirock, Disco und Ha- sierte für Christian Skrein im reisch »Schlauchdirndl« schisch. INFO Das Wien Museum zeigt über INFOSeinhundert Fotografien Skreins aus April) an. Und Museumsdirektor »State of the Art« »Late Sixties« »Swinging Vienna« und bietet Spe- Wolfgang Kos lässt mit Edek Bartz 4. und 5. März 2008 28. Februar bis 11. Mai zialführungen mit damals involvier- sein Pop-Museum wiederauferste- Akademie der bildenden Künste Wien Wien Museum Karlsplatz ten Personen wie Christian Brand- hen – unter dem Motto »I Feel Schillerplatz 3 Eintritt: ? 6,–/3,– (erm.) stätter (2. März), Katarina Noever Free« werden sie am 29. April Hits 1010 Wien Gratis f. Arbeitslose, Notstands- Programm unter: und Sozialhilfeempfangende (9. März), Ingrid Wiener (23. und Raritäten aus »Swinging Lon- http://kulturrat.at/debatte/arbeit www.wienmuseum.at März) sowie mit Skrein selbst (20. don« auflegen. reisch 22 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 ART.IST.IN AUFG’LEGT magazin DUO 505 »Another Illusion« (Konkord/Hoanzl) Too Much Future: Ein Film über DDR-Subkultur www.myspace.com/duo505 Es tröpfelt. Jetzt nicht im PUNK IM ARBEITER- UND BAUERNSTAAT Sinne von »es geht nichts wei- iese Dokumentation in der Re- quenz daraus war, dass die Staatsge- ter«, eher im me- gie von Carsten Fiebeler und walt der DDR mit unverhältnismäßi- teorologischen Michael Boehlke gewährt Ein- gem Aufwand daran ging, »Punkbands Sinne. Oder noch D blicke in das Leben von sechs Protago- zu zersetzen«, wie es ein ehemaliger eher im Sinn von Umwälzung nistInnen der Punkszene der DDR aus Polizei-Offizier im Film kaltherzig for- stimmungstechnischer Großwetterla- den Jahren 1979 bis 1989. Der Film muliert. Was das für die DDR-Punx für gen auf konsumfreundliches Popfor- stellt dabei Ausschnitte der heutigen mitunter drastische Auswirkungen mat aus der Dose. Hinter der krypti- Lebenswelten der zwei Frauen und hatte, erwischt einen umso härter, als schen Bandbezeichnung stehen die bei- vier Männer zu ihrer Punkvergangen- die Dokumentation ihren Hauptperso- den Musik-Elektriker Bernhard Fleisch- heit in Beziehung. Letztere wird nen zuvor den Raum gibt, ihre Zugän- mann und Herbert Weixelbaum. Und durch Fotos und rare (und raue!) Bild- ge, Motivationen und Ansätze zu ILMVERLEIH wer »505« googelt, um die tiefere Be- F deutung des Bandnamens zu erfor- und Tondokumente, unter anderem Punk (und zum Leben) einst und jetzt schen, muss zuallererst an Kriegs-U- der Bands Wutanfall und Namenlos, zu erzählen. Diese unterscheiden sich ISIONEN V Booten, französischen Automobilen in denen zwei der Interviewten spiel- im Grundtenor des letztlich unschul- EUE

und Sonstigem vorbei, bis er/sie zur Ro- ten, spürbar. »Punk in Westeuropa dig-sehnsüchtigen Auflehnens gegen :N land Groovebox 505 gelangt. Aus dieser war ein popkulturelles Phänomen mit Langweile und enge Spießigkeit kaum OTO Rappelkiste kommen dann all diese ver- politischen Ursachen. Punk in der von entsprechenden West-Geschich- F störend schönen Klangkonstrukte. DDR dagegen war ein politisches Phä- ten. Insgesamt vermag der Film, der Punk – ein politisches Phäno- Wozu man einfach tanzwandeln oder nomen mit popkulturellem Hinter- »keine Heimatkunde der DDR-Subkul- men, das die DDR-Obrigkeit sich bewegungsarm ein paar promille- »zersetzen« wollte gestärkte Säfte einfüllen kann. Spätes- grund«, sagen Michael Boehlke und tur in den 80ern« sein will, über die tens dann, aber ganz sicher beim Imagi- Henryck Gericke, die das Script zum Nähe und Sympathie zu seinen Men- INFO nation-Disco-Cover »Just an Illusion« Film geschrieben haben und unter schen und deren Geschichten zu be- rührt sich was, und wenn auch noch Di- dem Titel »Too Much Future« auch rühren. Als Mehrwert liefert er Denk- »Ostpunk! Too Much Future« nosaur Jr.s »Feel the Pain« zeitgemäß mit einem Buch, einer Compilation anstöße über das Dreiecksverhältnis Ab 1. März im verdreht wird, ist die Pop-Großwetter- und diversen Ausstellungen die Ge- von subkultureller Identität, dem Per- Schikaneder Kino lage wieder in Ordnung. Margaretenstraße 24 schichte jener Subkultur nachzeich- sönlichen und dem Politischen. 1040 Wien DIVERSE nen, die sie selbst prägte. Eine Konse- R. K. »Protest Song Contest 2004–2007« (Pate Rec./edel) Fußball als Metapher in einem Jugendtheaterstück www.protestsongcontest.at Protest, der Spaß macht? Für KICK IT LIKE PARZIVAL manche ein Wi- derspruch. Aber in Zeiten, wo bei ie Regisseurin Corinne bewusst aus Schau- Antiglobalisie- Eckenstein und der Autor spielerInnen verschie- rungsdemos der DBenedict Thill bringen die dener Nationalitäten halbe Zug aus- beste Voraussetzung für ein Thea- und Hautfarben zu- schert, um sich beim Laberl-Riesen terstück, das um den Fußballsport sammengesetzt – da- McDonald’s mit Global-Food zu laben, kreist, mit – die beiden kennen runter auch der aus muss zwangsläufig auch Protest lustvoll sich laut Thill »überhaupt nicht mit Nigeria stammende vom Stapel laufen. Dafür sorgt die ERSON Fußball aus«. Augustin-Verkäufer B Spaßguerilla rund um den Rabenhof & Gut, das Stück »Fieberträume« und, selbstredend, Co. mittlerweile schon seit 2004 mit AINER dem etwas anderen Bandcontest. Auf ist nun als Koproduktion von Schauspieler Francis :R OTO dem vorliegenden Sampler versammeln »Theaterfoxfire« und »Dschungel Okpata. F sich die Sieger bis 2007 und weitere Fi- Wien« entstanden. Die Geschichte Zentrale Figur in nalisten. In komprimierter Form be- hat nicht direkt mit Fußball zu tun, »Fieberträume« ist So schön kann Fußball sein – vor allem, wenn die- kommt die Torheit dann doch noch ei- ser Sport als Ausgangspunkt für ein Theaterstück, das Ballestern steht als Metapher eine mysteriöse ältere bei auch noch ein wenig der Parzival-Mythos hi- nen Sinn. Dafür sorgen unter anderem für ein »gesamtgesellschaftspoliti- Frau, Marilyn – die die Beiträge von Georg Freizeit, Chris- neinspielt, dient toph & Lollo und vor allem Mieze Me- sches Thema«, so der Autor. Der Schiedsrichterin? –, dusa & Tenderboy. »Bitte kane Demos Titel weist auf surreale Momente die scheinbar das Schicksal lenkt. INFO mehr« spaßelt der Dieselmensch, und hin, so soll auch »der Grundgedan- Marilyn lebt schon seit Ewigkeiten dem kann man im Hinblick auf die Er- ke von Fiebern und Träumen das allein in einem verwüsteten Fuß- »Fieberträume« nährungsgewohnheiten der Demons- Stück tragen« – ein Stück, das Thill ballstadion bis zu dem Tag, als sie Premiere am Freitag, 7. März trierenden durchaus etwas abgewin- dem Genre »postapokalyptische beschließt, den alten Traum der Ta- um 20 Uhr nen. »Die Flammen des Protests wer- Sporttrashkomödie« zuordnet. felrunde und die Suche nach dem Weitere Vorstellungen (auch vormit- den weiter lodern«, und der Protest tags) bis zum 15. März wird weiter verlustigt, und dabei wird Fußball als Event und sein pop- heiligen Gral wieder aufleben zu Im Dschungel Wien/Museumsquartier weiter der eine oder andere gute Song kultureller Charakter interessiere lassen … und die Funktion des Par- Eintritt zwischen ? 5,– und ? 12,– abfallen. Nicht mehr und nicht weni- Eckenstein, aber auch seine Inter- zivals nimmt eine Figur namens Dazu Näheres unter: ger. lama nationalität. Das Ensemble wurde David Beckham ein?! reisch www.dschungelwien.at ART.IST.IN NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 23

Musikarbeiter unterwegs – mit Mauracher von Elektronik zu Rock Es liegt an den Songs MUSIK-

»Loving Custodians« heißt das künstlerische Maßlosigkeit? Gleich- sik von Mauracher sehen kann – wie ARBEITER neue Album von Mauracher. zeitig führt einem ein Gespräch wie eine Postkarte, die für sich etwas Dahinter steht die Reise des an diesem Abend aber (wieder ein- vorstellt, die aber nur durch das spe- UNTERWEGS Tiroler Wahl-Wieners Hubert mal) vor Augen, wie unmöglich es ziell wird, was man wie drauf- Mauracher von einer Sound- ist, eine solche Aussage allgemein- schreibt. Als ich ihm das erzähle, welt zur anderen. gültig treffen zu wollen, viel zu sehr kann Hubert damit etwas anfangen. hängt das mit den Parametern der Was als Rückkopplung auf den facet- eigenen Wahrnehmung von Musik tenreichen (Alternative-)Rock mit sik unter seinem Namen erscheint, zusammen, mit dem, was man von erhöhtem Pop-Appeal und elektro- Hubert macht heute seine Musik für ihr erwartet und erhofft. Ein ver- nischen Versatzstücken seiner Band und mit seiner Band. »Mit Maja (Ra- ie Nacht vor dem Inter- dienter ehemaliger Studiobetreiber den Gedanken zulässt, dass sie ihren cki, die Sängerin, Anm) rede ich lan- view haben wir über viel mengte sich dann noch mit dem Kil- Mehwert durch das entwickelt, was ge über die Texte, versuche ihr zu geredet. Über das Leben, lerargument von überhaupt ein: »Er HörerInnen in sie hineinprojezieren den Melodien die Bilder zu vermit- Ddie Liebe, den Tod. Und is ein ganz ein Lieber, der Hubert.« – und dafür hat sie mit Stücken wie teln, die ich beim Schreiben im Kopf auch über Mauracher. Die hem- Das is ja die Crux: Die meisten Mu- »Rosary Girls« oder »Butcher Boy« hatte.« Gitarrist Daniel Grailach, mungslose Begeisterung eines der sikerInnen sind ja immer so nette nicht die schlechtesten Grundflä- Bassist Martin Weismayr und Drum- wenigen schreibenden Kollegen, die Menschen und wollen/können chen zu bieten. Schnell wird klar, mer Sasa Nikolic komplettieren das solchige dann in ihrem Medium nichts Böses. (Sagt man das aus der dass Hubert ein Überzeugungstäter Quintett. Mit dem sich auch vor- auch zum Ausdruck bringen für »Lo- Nähe dann auch über Reinhard Fen- ist, ein Musiker, der mit »Loving trefflich Abenteuer erleben lassen, ving Custodians«, regte meinen Wi- drich?) Custodians« wo angekommen ist, wie ein Flug ins albanische Tirana derstandsgeist. Nicht dass ich das Al- wo er hinwollte – und von wo aus er (nachzuhören auf »Tirana – Bonus bum damals schlecht fand oder heu- weitergehen wird. Track«). te schlecht finde, aber letztlich war Vom Zillertal nach Tirana Zum Leben von der Musik reicht Nach langen Querelen – »der Flie- und ist es für mich typisch, dass aus- es bei ihm manchmal schon, manch- ger war überbucht und am Anfang gerechnet solche handwerklich ta- Ja, er macht tatsächlich einen sehr mal nicht. »Dann borg ich mir halt meinten sie, es können nur 4 von dellose, »gut gemachte«, rund klin- netten Eindruck, Hubert Mauracher, was aus und zahl dass dann zurück.« uns mitfliegen« – sitzen sie schließ- gende Musik bei einem hiesigen 32 Jahre alt. So sehr, dass bei unse- Für den Menschen Hubert Maura- lich im Flieger, nur um durch die Major erscheint. Weil letztlich sagt rem Gespräch im Cafe Sperl von der cher war es essentiell, dem elterli- Fenster zu sehen, dass beim Anrol- sie mir nichts, diese Musik, verstehe Wand hinter ihm ein Foto meiner chen Gastronomie-Betrieb in Tirol len ihr Equipment zurückbleibt. ich nicht wirklich, warum sie so ist, geistigen Nemesis, Robert Menasse, und der eigenen vorbestimmten »Der Pilot war selber Musiker, hat wie sie ist, würde ich sagen – sie hängen kann, ohne dass es mich ab- Chefkoch-Rolle den Rücken zu keh- dann durchgesagt, dass ein Orches- heißt (für mich) nichts. Wo ist der lenkt. ren und Ende der 90er nach Wien ter an Bord sei, und hat tatsächlich Wahnsinn, die überkippende Lei- Die letzten Meter vor dem Sperl zu gehen, dort den Traum von der noch einmal umgedreht, um unsere denschaft, die emotionale und ist mir eingefallen, wie ich die Mu- eigenen Musik zu jagen. Daneben Instrumente einladen zu lassen.« jobben – »alles, nur Weniger dramatisch verlief die Auf- nicht Gastronomie« – nahme der 12 Songs von »Loving und die Energie in die Custodians« mit Mario Thaler in Suche nach Sounds den Weilheimer Uphon Studios. und musikalischen Thaler aus dem Umfeld von Notwist Strukturen stecken. und Qualitätsgarant für gediegenen Als elektronischer Ein- Alternativ-Pop erwies sich als der zelkämpfer konnte er goldrichtige Partner für den Perfek- mit »29 Degrees« tionisten Hubert Mauracher. »Mario (2003) reüssieren, er- hat dann gesagt: ‚Wenn das Album schienen auf Fabrique draußen ist, werden sie wieder alle Records, einem Label, anrufen, die Österreicher, und sa- dass ihm bis heute die gen, das wollen wir auch!’ Dabei Treue hält. Über »Kis- verstehen sie nicht, dass es an den sing My Grandma« Songs liegt.« (2005) entwickelte er Rainer Krispel sich hin zur Band, weg von reinen Club- Sounds und näher an ANG

L INFO der eigenen musikali- ARIO schen Sozialisation in Mauracher »Loving Custodians«, :M diversen namenlosen Fabrique Records/Universal OTO F Kombos. www.mauracher.net Hubert Mauracher, beinahe ohne den Musikarbeiter Auch wenn die Mu- www.myspace.com/mauracher ART.IST.IN 24 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08

»Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan« Theodor Kramer im März 1938

Zum 50. Todestag Theodor Freunde Kramers taten sich zusam- Kramers gibt es im März und men, monatlich für seinen Unterhalt Anfang April eine Reihe von zu spenden. Auch das fand nach Veranstaltungen. Die fortdau- dem März 1938 ein rasches Ende. ernde Unterschätzung dieses Was Kramer 1938 widerfuhr, ist vielen widerfahren. Am 30. Mai ver- großen österreichischen Poe- liert er seine Wohnung und muss zu ten hat wohl auch damit zu seiner Mutter ziehen. Sie stirbt tun, dass er nach dem Zusam- 1943 in Theresienstadt. Verzweifelt menbruch des Nazisystems bemüht er sich um eine Ausreise in zwölf Jahre lang zögerte, aus die USA, in die Schweiz, nach seinem englischen Exil nach Shanghai, in die Dominikanische Re- Österreich zurückzukehren. publik, in irgendein Land. Am 20. Konstantin Kaiser, Mitbegrün- August unternimmt er einen Selbst- mordversuch. Im September muss der der Theodor Kramer die Familie in ein engeres Quartier Gesellschaft, berichtet im Fol- umziehen und Kramer wird von ei- genden, was Kramer im jahr nem SA-Mann beim Anstellen vor 1938 widerfuhr. einem Konsulat niedergetreten. In seinen Pass wird ein großes J ges- tempelt und er erhält einen neuen Zwangsvornamen: Israel. »Sämtliche Schriften« Kramers finden sich auf lle Jahre wieder feiert ös- der »Liste des schädlichen und uner- terreichische Dichtung mit wünschten Schrifttums«. Er besucht »Lyrik im März« ein Früh- Kurse der Israelitischen Kultusge- Alingserwachen. Nicht ganz meinde, um sich auf die Emigration so frühlinghaft ging es im März vorzubereiten – einen Buchbinder- 1938 zu. Der damalige SS-Mann und Lehrgang und einen für künftige spätere Nazigegner Albert Mas- Hausbedienstete. Denn nur ganz siczek erinnerte sich, elend gefro- Prominente und »domestic ser- ren zu haben, als er mit seiner Ein- vants« dürfen nach Großbritannien. heit, alle Studenten, alle in kurzen Im Februar 1939 verlässt ihn seine Hosen und weißen Stutzen, beim Frau Inge Halberstam: Sie darf nach Bundeskanzleramt Stellung bezog. England ausreisen, um eine Stelle Wärmer hatten es wohl die streitba- als Hausgehilfin anzutreten. Schließ- ren Mitglieder des »Bundes deut- lich gelingt auch ihm die Flucht. Am scher Schriftsteller Österreichs«, die 21. Juli 1939, gerade noch vor vielleicht schon an ihren Beiträgen liebt. Otto Schenk, der sich derzeit Gestalter des Zeitlosen genannt. Es Kriegsausbruch, erreicht er England. für das »Bekenntnisbuch österrei- mit Rilke müht, brillierte mit Wein- kann nicht meine Aufgabe sein, hat für ihn interve- chischer Dichter« bastelten, das heber. Selbst ein Oskar Werner be- mich heute zu diesen großen Fra- niert. dem Reichsminister für Volksaufklä- sprach eine Schallplatte, auf der ne- gen zu äußern: ich möchte nur mit rung und Propaganda Joseph Goeb- ben Goethe und Schiller Weinheber einigen Worten bescheiden festle- bels bei seinem Besuch in Wien dar- als der dritte Klassiker zu hören ist. gen, was ich selbst gern sein und … dass du starbst, bevor die gereicht wurde. Josef Weinheber, Während in der NS-Zeit Josef wofür ich gehalten werden möchte. Horde kam nach dem in Wien immer noch ein Weinhebers Ruhm begründet wur- Gern möchte ich ein Chronist mei- Platz benannt ist, begrüßte die de, wurde Theodor Kramer zu ei- ner Zeit sein. Kramer war umsichtig. Er verteilte Heimkehr des »Führers« hymnisch: nem Unbekannten. Zum letzten Mal Dem »Chronisten seiner Zeit«, seine Manuskripte an »arische« Deutschland, ewig und groß, las er im Jänner 1938 in Wien aus dem Sozialisten Kramer, der arbeits- Freunde zur Aufbewahrung. Er gab Deutschland, wir grüßen dich! seinen allem Hymnischen abholden los, nicht sehr gesund und zudem sie in kleinen Portionen Ausreisen- Führer, heilig und stark, Gedichten. Er leitete die Lesung mit noch Jude war, ging es nicht so gut den mit. Vieles davon hat Kramer Führer, wir grüßen dich! wenigen Worten ein: wie dem pensionierten Postbeamten selbst wieder eingesammelt, man- Heimat, glücklich und frei, In diesen Tagen, in denen sich Weinheber. Seit 1933 konnte er ches hat erst sein Nachlassverwal- Heimat, wir grüßen dich! alle Dinge im Umbruch befinden, nicht mehr in deutschen Zeitungen ter Erwin Chvojka wieder zusam- Der Nationalsozialist Weinheber wird vielfach auch die Frage nach publizieren; seit dem Februar 1934 mengetragen. Aber es gibt eine Lü- wurde nach seinem Selbstmord, dem Dichter und seiner Stellung in- wurde es auch in Österreich immer cke: Kein Gedicht aus der Zeit von 1945, im Nachkriegsösterreich Ge- nerhalb seiner Zeit aufgeworfen. Der schwieriger: »Hier werde ich«, Herbst 1937 bis März 1938 findet genstand großer Verehrung. Wein- Dichter wird Vorkämpfer und Parti- schreibt er 1937, »immer mehr ge- heber-Lesungen bekannter Schau- san seiner Zeit, er wird Verkünder schnitten und meine Gedichte wer- spieler waren landauf, landab be- und Seher, er wird Bewahrer und den nicht mehr angenommen.« Fortsetzung Seite 26 ART.IST.IN NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 25

3 Stück Kramer

Abschaffung Sind die wilden Schweine aus dem Land verjagt, die verkohlten Hütten aufgebaut, und ragt Barbara Chlum, ohne Mantel, die Schnürschuhe offen, blank im Dorf der Maibaum, Flattern und Geflitz, Stickerin, arbeitslos, ledig, zuständig nach Frain, oh, wie wird das schön sein, Bruder Sliwowitz. wurde im Hotel in Gesellschaft betroffen und sie besaß nebst zwei Groschen hierfür keinen Schein.

Barbara Chlum musste mit auf das Sittenamt kommen; und als ihr Körper nicht Spuren von Krankheit aufwies, Vom Nicht-Beigeben wurde vom Herrn Kommissär sie persönlich vernommen, der sie verwarnte und weiter des Landes verwies. Was immer auch die guten Freunde sagen, ist auch das Leben leichter zu ertragen Auf sein Geheiß fuhr mit ihr ein Beamter nach Mauer, mit abgestumpftem Sinn als Einerlei: setzte sie ab und verschwand in das Weichbild der Stadt. in dem, was du verlangst, gib niemals bei. Barbara Chlum fand Quartier auf drei Tage beim Bauer, aber sie war auch nachher noch zur Ernte zu matt. =s ist wahr, die Welt liegt, wie sie ist, im Argen; doch musst du schuften, dreimal denken, kargen, Barbara Chlum kam die Straße der Stadt zugeflossen; nicht mittun bei der Großen Schweinerei: aber sie dachte an das, was der Herr Kommissär in dem, was du verlangst, gib niemals bei. laut Protokoll über sie polizeilich beschlossen, hielt vor dem Zweigbahngeleis, und sie hungerte sehr. Schmerzt Elend dich, lass dich dein Mitleid schmerzen, merz aus, was recht dich dünkte, auszumerzen; Abend strich über die Gräser, die Brandsohlen brannten und reißt dir früh dabei das Herz entzwei: und der erblondete Saum roch nach Weinbrand und Tee; in dem, was du verlangst, gib niemals bei. Barbara Chlum schlich, gedrückt an die Latten und Kanten, hin wie ein Tier in den Stall in ihr kleines Café. Zusammengestellt von Siglinde Bolbecher. Die Gedichte Theodor Kra- Barbara Chlum wurde nachts auf dem Gürtel betroffen, mers sind entnommen der großen dreibändigen Ausgabe seiner Stickerin, arbeitslos, ledig, zuständig nach Frain, »Gesammelten Gedichte«, herausgegeben von Erwin Chvojka. landesverwiesen; in Hadern, die Schürschuhe offen, Copyright Paul Zsonay Verlag 1997 und 2004. brachte man sie laut Rapport der Arrestwache ein.

Theodor Kramer in Kürze:

Geboren am 1. 1. 1897 in Niederhollabrunn, Niederösterreich, als Sohn Slawisch des jüdischen Dorfarztes. Besucht die Mittelschule in Wien; im Ersten Weltkrieg schwer verwundet. Gospodar, dein Großgut birgt heut unsre Band, Nach dem Krieg Buchhändler und -vertreter; Sozialdemokrat. Ab 1931 unsre guten Flinten lehnen an der Wand; freier Schriftsteller, ausschließlich Lyriker, im ganzen deutschen Sprach- Frost knarrt in den Ästen, Wind pfeift durch die Ritz, raum bekannt. gute Wärme gibst du, Bruder Sliwowitz. 1939 flüchtet er nach London. 1940/41 als »feindlicher Ausländer« in- terniert. 1943 bis 1957 Bibliothekar an einem College in Guildford (Süd- Treiben wir die Fremden übers Jahr erst aus, england). Vorstandsmitglied des österreichischen Exil-P.E.N.; in engem Gospodar, wer, glaubst du, bleibt im Herrschaftshaus? Kontakt mit anderen Exilschriftstellern wie , und Werd ich knechtisch aufstehn, wo ich mächtig sitz? . In den 1950er Jahren vereinsamt er. Sind nicht solche Tölpel, Bruder Sliwowitz. 1957 wirde er nach Wien zurückgeholt und erhält eine Gnadenpensi- on. In Wien arbeitet Erwin Chvojka mit ihm an der Sicherung seines un- Haben unser Herzblut nicht für nichts vertan; geheuren unpublizierten Werks. alles für die Seinen will der Partisan: Kramer stirbt am 3. 4. 1958 in Wien. Posthum wird ihm der Preis der Mutterschaf und Lämmer, Gänse, Geiß und Kitz, Stadt Wien verliehen. Erst 25 Jahre nach seinem Tod kann Erwin Chvojka Kürbis und Melone, Mais und Sliwowitz. Kramers »Gesammelte Gedichte« in drei großen Bänden herausgeben. ART.IST.IN 26 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08

sich in der monumentalen dreibän- aus einem mitschwingenden Wissen Wovon ich leben werd, digen Ausgabe seiner Gedichte. Ist um Späteres. er, der sich selbst zum Chronisten berufen hat, angesichts der Ereignis- Die Wahrheit ist, man hat mir ist unerfindlich se verstummt? 1943 schreibt er in nichts getan. Veranstaltungen zu Theodor Kramer einem Brief an eine Freundin: Ich darf schon lang in keiner Zei- Im Zug dachte ich mir eine Arbeit tung schreiben, aus und mir fielen die Gedichte die Mutter darf noch in der Woh- Dienstag, 4. März Ende 1937 Anfang 1938 ein, die nung bleiben. Ausstellungseröffnung »Vom Nicht-Beigeben« zum Allerbesten gehören und die Die Wahrheit ist, man hat mir Gaußplatz 11 1200 Wien ich nicht habe. Es ist ein so rasender nichts getan. 19.30 Uhr Schmerz, als ob mir ein Messer in den Leib gestoßen und langsam um- Der Greisler schneidet mir den Dienstag, 11. März gedreht würde … Schinken an Doris Windhager/Georg Siegl/Adula Ibn Quadr: BEIM STROMWIRT. Wo sind diese Gedichte? Sind sie und dankt mir, wenn ich ihn Vertonte Kramer-Gedichte Gaußplatz 11 auf ewig verloren? bezahle, kindlich; 1200 Wien Vielleicht schrieb Kramer später wovon ich leben werd, ist 19.30 Uhr Gedichte, die diesem verschollenen unerfindlich. Werk auf der Spur waren. Gedichte Die Wahrheit ist, man hat mir Dienstag, 18. März folgen ja oft dem Schatten eines Ver- nichts getan. Podiumsdiskussion; Theodor Kramer – Liebe, Eros, Prostituti- säumten, eines halb Vergessenen, on Verlorenen. Der große Zyklus »Wien Ich fahr wie früher mit der Gaußplatz 11 1938«, den Kramer in England spä- Straßenbahn 1200 Wien ter ausfeilte, hebt mit Gedichten und gehe unbehelligt durch die 19.30 Uhr vom April 1938 an. Gassen; Dienstag, 25. März Georg Siegl (Bild Mitte, zwischen Doris In »Wien 1938« konzentriert sich ich weiß bloß nicht, ob sie mich Podiumsdiskussioin: Theodor Windhager und Ibn Quadr) präsentiert Kramer ganz auf das Leben der von gehen lassen. Kramer und der Sozialismus erstmals seine Kramer-Vertonungen den Nationalsozialisten Verfolgten. Die Wahrheit ist, man hat mir Gaußplatz 11 Zwischen ihnen und denen, die wie nichts getan. 1200 Wien immer weiterleben, hat sich bereits 19.30 Uhr eine unüberbrückbare Kluft aufge- Es öffnet sich mir in kein Land die Montag, 31. März tan. Nicht einmal Kramer, der die Bahn, Hans-Eckardt Wenzel, Lieder vielfältigen Typen Wiens und seiner ich kann mich nicht von selbst von von Henriette Haill (oberöster- Umgebung nie aus dem Auge verlor, hinnen heben; reichische Dichterin, Zeitge- kann sie in seinen Gedichten über- ich habe einfach keinen Raum zum nossin Kramers) Gaußplatz 11 winden. Er spricht nun vom Alltag Leben. 1200 Wien der Verfolgten, vom Zusammenzie- Die Wahrheit ist, man hat mir 19.30 Uhr henmüssen in überbelegte »Juden- nichts getan. wohnungen«, von der täglichen Dienstag, 1. April Angst, abgeholt zu werden, vom Ab- Dem Zuspruch, dass ihm doch Hans-Eckardt Wenzel: LIEDER AM RAND. Eine Auswahl von schied, von seiner Heimatliebe, von nichts (nichts Besonderes) gesche- 200 Kramer-Gedichten, die der Hans-Eckardt Wenzel, der Musiker aus seinem 1935 verstorbenen Vater: hen sei, folgt die wachsende Ver- deutsche Liedermacher vertont Norddeutschland, hat den »Weinviertler« Ich bin froh, dass du schon tot zweiflung, die einen Monat später hat Kramer entdeckt, als dieser in Österreich bist, Vater, zu dem schon erwähnten Selbst- Kirche am Gaußplatz noch unbekannter als heute war dass du starbst, bevor die Horde mordversuch führt. Kramer hat Jah- 1020 Wien 19.30 Uhr kam, re danach noch versucht, die Ver- die mich schrubben ließ, die mir zweiflung nicht panisch abzuweh- Mittwoch, 2. April im Prater ren, sondern anzunehmen, als eine Festveranstaltung zum 50. Todes- am Kastanienblust die Freude Zuflucht, als »letzten Rest vom tag Theodor Kramers nahm. Rest«, wie es in »Lob der Verzweif- Urania, Mittlerer Saal 1010 Wien Ein paradoxer Trost ist es, den lung« heißt. Um den, der da »unbe- 19.30 Uhr sich Kramer hier selbst und seinem helligt« durch die Gassen geht, hat Vater spendet. Es ist eine der weni- sich ein Leerraum gebildet, durch Samstag 26. April gen Stellen bei Kramer, in der er den er möglichst unauffällig gleitet; Stadtflucht ins Theodor Kramer- Misshandlungen erwähnt, die ihm man atmet nur mehr zufällig die ge- Land. Bus-Exkursion von 9 bis 22 Uhr angetan wurden. Auch in dem Ge- meinsame Luft. Das ist kein »Raum dicht »Die Wahrheit ist, man hat zum Leben«, wie Kramer in bitter- Eine Kooperation von Theodor mir nichts getan«, entstanden am ironischer Anspielung auf die Le- Kramer Gesellschaft und Aktions- 13. Juli 1938, ist Paradoxes der Aus- bensraum-Ideologie der Nazis sagt. radius Wien. Nähere Informatio- gangspunkt. Im Vergleich zu ande- Die Kontinuität des Lebens ist zer- nen: Tel.: (01) 332 26 94 www.aktionsradius.at ren, die etwa am 1. April 1938 ins stört (»… wovon ich leben werd, ist Die Bus-Exkursion in die Region, in der KZ Dachau deportiert wurden, unerfindlich«). Das Gedicht handelt Kramer aufwuchs, endet mit einer Ver- scheint Kramer glimpflich davonge- von einem Bruch, einem Bruch der nissage der Ausstellung »Vor Tag – Ar- kommen zu sein. Man hat ihm bloß Lebensperspektiven, der Persönlich- beiten aus dem Kramer-Zyklus 07–08« die Wohnung genommen, ihn gede- keit und ihrer Tätigkeit. Es sagt: Mir von Magdalena Steiner in Patzmanns- mütigt und getreten. Das Gedicht wurde nichts getan, mir wurde nur dorf, Weinviertel gewinnt seine hellsichtige Schärfe alles zerbrochen. I ART.IST.IN NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 27

Literat und Gentleman – Der Verleger Kurt Wolff Unerhörtes Gespür für Tiefes

»Man verlegt entweder Bücher, wandelt zwischen ihnen.« von denen man meint, die Leu- Kurt Wolff (1887–1963), prägen- te sollen sie lesen, oder der Verleger des letzten Jahrhun- Bücher, von denen man meint, derts, mit unglaublichem Gespür für die Leute wollen sie lesen. Ver- tiefe und große Werke– nicht immer gewinnbringend! – sozial, risikobe- leger der zweiten Kategorie, reit, sein eigenes Vermögen investie- das heißt, Verleger, die dem rend, kapitulierend, exilierend nach Publikumsgeschmack New York, wieder neu beginnend, dienerisch nachlaufen, zählen zählt heute zu den großen Verlegern für uns nicht – nicht wahr?« des 20. Jahrhunderts, neben Fischer, Dieser Selbstpositionierung Piper, Suhrkamp und Rowohlt. Und Kurt Wolffs haben wir etliche zum Entdecker Franz Kafkas. Kafkas ERLAG

Würfe Weltliteratur zu verdan- Verwandlung und Meyrinks Golem -V waren es wohl, die mich in die Tie- EIDLE ken, deren AutorInnen ohne fe des Literaturhauses zogen. Dort Wolff unentdeckt oder Ge- :W

fällt mir als Erstes die lange Reihe OTO heimtipps geblieben wären. von gehefteten 80-Pfennig-Büchern F Kurt Wolff mit Rabindranath Tagore. Der Wolff Verlag Der außergewöhnlichen Verle- auf, mit prominenten Namen (heu- publizierte in den 20er Jahren eine achtbändige Werk- ger-Persönlichkeit ist eine Aus- te!) zu einem erschwinglichen Preis. ausgabe des bengalischen Dichters, Philosophen, Ma- stellung im Wiener AutorInnen und IllustratorInnen des lers und Musikers Literaturhaus gewidmet. Verlages: Werfel, Kafka, Brod, Benn, Kokoschka, Strindberg, Roth, Stern- heim, Trakl, Claudel, Goll, Mann, win« Helen Wolff Umberto Ecos Der blizierte Pan- ie stehen fast alle bei mir im Rabindranath Tagore! Und die Weib- Name der Rose in den Pantheon theon Books Bücherregal. Wie es sich für lichkeit: Käthe Kollwitz und natür- Books Verlag auf. Ein weiterer Best- Lost Treasures einen gutbürgerlichen Spross lich Hannah Arendt, Mechthilde seller. of Europe, 427 Sgehört. Ich hatte sie einst ge- Lichnowsky oder Else Lasker-Schü- Und wieder sehe ich mich vor Fotografien, lesen. Vorher hatte sie schon mein ler erschienen im Kurt Wolff Verlag. dem Schaukasten stehend, sinnie- ein Denkmal Vater zwischen den Fingern. Und in Meilensteine der Geschichte, wie rend, ja fast plötzlich Stimmen hö- der zerstörten Wolff gilt als der seinem Herzen. Unvergessen. Man- auch Lou Andreas Salomé, deren Be- rend: »Lest! Geht in Büchereien! Kulturgüter »Entdecker Kafkas« che für mich auch. Und ich sehe sie dürfnis nach Unabhängigkeit und Geht in Literaturhäuser! Stellt euren Europas. Leider nun in ihren alten Originaleinbän- absoluter Freiheit ihn faszinierte. Fernseher, falls ihr einen habt, vor blieb es nicht den im Schaukasten liegen – unten, »(…) das gemeinsame Erlebnis un- die Türe! Wascht euch eure Köpfe das letzte Buch als Denkmal einer im Literaturhaus Wien, einst Drama- serer Zeit.« selber!« Falls ihr ein Buch unter- Zerstörung. Möge es keine weiteren tisches Zentrum, aber davon weiß Eine absolute Sensation ist das wegs »zufällig« auf einer Bank lie- mehr geben. heute niemand mehr – wie ein paar vergriffene Buch des Fotografen Au- gen seht, nehmt es! Es schickt euch Jella Jost alte Knochen, aus denen man etwas gust Sander Antlitz der Zeit, Gesich- der Himmel, lest es und lasst es für herauszulesen vermag. Über die ter aus allen Schichten der Bevölke- den Nächsten, die Nächste wieder INFO Zeit. Wie zum Beispiel Der Golem rung, eine wahre Fundgrube an Er- irgendwo liegen. So zirkulieren Bü- von Gustav Meyrink. Noch 20 Jahre schütterung; Armut und Dekadenz cher gratis in Wien! So einfach und Ausstellung im Wiener Literaturhaus später rieche ich die Geschichte aus der 20er Jahre. Kurt Wolff und He- doch so reich könnte die Welt sein. 300 Exponate, z. T. erstmals der den Seiten, sehe die pantomimische len Wolff bauten sich ab 1946 im Mein nächstes Buch, bald 100 Jahre Öffentlichkeit präsentiert Sprache des Golem – des Lehmmen- Exil eine neue Existenz auf. Wieder alt, das ich in das urban moderne Seidengasse 13 schen – vor mir und das okkulte hatte er ein unglaubliches Gespür Kapital-Ghetto hineinschmeißen 1070 Wien Mysterium einer alten jüdischen Le- für relevante Themen der Zeit und werde, wird Das grüne Gesicht von bis 5. März 2008 Mo., Mi., 9–17 Uhr gende, im zerbröckelnden Prager so gelangten Die Blechtrommel von Meyrink sein: spannend, übersinn- Di., 9–19 Uhr Ghetto. »… ängstlich geduckt, er- Günther Grass und Doktor Zhivago lich, atemberaubend. Eine Brücke Fr., 9–13 Uhr füllt von Armut, Verbrechen und (Schivago!) von Boris Pasternak, zu über den Abgrund tiefster menschli- Ausstellungsführung: Mittwoch, 5. Verzweiflung, kroch Gasse an Gasse internationalem Durchbruch. Und cher Verkommenheit. März, 17.30 Uhr der alten Judenstadt (…), der Golem nach Kurt Wolffs Tod nahm »die Lö- Bereits kurz nach Kriegsende pu- ART.IST.IN 28 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08

Kunstprojekte für Ausgeschlossene. Ein Bericht aus Jerusalem Lieber kein Schutz vor dem Todesengel

Religiöse Bettler und fromme Obdachlose bevölkern die »heilige Stadt« Jerusalem. Kin- der aus der Westbank und Hebron tragen Einkaufskörbe, packen Gemüse oder verkau- fen Feuerzeuge, weil ihre El- tern ihr Gebiet nicht verlassen dürfen. In der Galerie »Barbur« in Jerusalem wurden Kunst- projekte für arabische Straßen- kinder durchgeführt. Eine Re- portage von Kerstin Kellermann.

m 24-Stunden-Shop auf der Yaf- fa-Straße in Jerusalem wühlt ein Mann in abgerissenem Anzug in einem Berg kleiner Kupfermün- DLER

I A zen, den er neben der Kassa abge- AL legt hat. Die beiden Kassiererinnen :T OTO

schauen ihm etwas ängstlich zu. F Zwei Packerl Taschentücher will der Kinder aus der Westbank arbeiten in der Altstadt, weil ihre Eltern das Gebiet höfliche, rothaarige Sandler kaufen nicht verlassen dürfen und die Verkäuferin hat gleich die Tafeln Schokolade nachgezählt, die neben den Taschentüchern gestapelt jungen Frauen kriegen einen Lach- Konfessionen und Glaubensrichtun- chen Nervenklinik, eingeliefert – sind. Plötzlich überreicht der Sand- anfall. »For my Happiness«, wieder- gen. Frauen halten sich für Maria, amerikanische ProtestantInnen gel- ler in einer großen Geste mit Ver- holt die eine ein paar Mal, während die Mutter Gottes, und entblößen ten als besonders anfällig. Der Un- beugung und Lächeln der an der die andere dem Mann hinterhereilt, ihre Brust auf der Straße. Um die terschied zwischen ihrem imaginier- Kassa sitzenden jungen Frau fünf um ihm sein Geld zurückzubringen. Hundert werden jährlich mit dem so ten Jerusalem und der realen leben- Shekel (ein Euro). »For your Happi- Jedes Jahr stranden in Jerusalem genannten »Jerusalem Syndrom« ins digen Stadt wühlt sie auf. Um ihre ness!«, ruft er und läuft davon. Die religiöse Menschen verschiedener Kfar-Schaul-Krankenhaus, der staatli- Enttäuschung zu überspielen, flüch- ten sie in einen Wahn. »Jeremia war einer der ersten, die forderten, dass jeder, der sich in Jerusalem ›wie ein Prophet gebärdet‹ (Jer 29,27), in Haft genommen wird«, schrieb der Journalist Amos Elon.

An der Klagemauer

»Wollen Sie nicht mehr geben?«, fragt der stolze Bettler mit Kippah und Löckchen auf der breiten Trep- ELLERMANN

K pe, die hinunter zur Klagemauer führt. »Ich sammle nicht für mich, ERSTIN sondern für arme Familien.« Unter :K den Arm hat er sich eine große glä- OTO F serne Dose geklemmt, die bis oben »Essen für die, die es brauchen.« Die richtige Küche für Obdachlose ist in der Yaffa-Straße hin voll ist mit Dollarscheinen. Für ART.IST.IN NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 29 eine Spende schenkt er rote Woll- Er steht neben einem offenen Wa- standlern verhan- Fädchen her. Zwei orthodoxe Juden gen, auf dem Gebäckkringel verkauft delte, um die Kör- mit Hut und Anzug verkaufen werden. be-Kinder z. B. für Glücksbringer aus einem Plastiks- »Im Mahane-Yehuda-Markt tragen Ausflüge freizu- ackerl. Wie von Zöllnern oder Wege- arabische Jungen den Leuten die kriegen. Uri Ame- lagerern wird auf jedem Treppenab- Einkäufe nach Hause oder packen di vertraute der satz bis hinunter um Geld gefragt. Gemüse ein oder aus. Sie stammen Gruppe Räumlich- Weit ist der Blick über die Hügel, in aus geschlossenen Gebieten (closed keiten in einem der Ferne leuchtet die Kuppel des neighbourhoods), wie der West- Kindergarten an, Felsendoms auf dem Tempelberg, bank. Ihre Eltern dürfen nicht raus- die sich schnell zu unten stehen die Betenden vor der kommen, um selbst arbeiten zu ge- einem Treffpunkt Mauer. Über dem Berg wirken die hen. Sie werden die Körbe-Kinder entwickelten. dunklen Wolken so, als ob eine genannt«, erzählt der Programmie- freundliche Macht quer über dem rer Denis Mashkevich, der Foto- Geschehen thront, obwohl hier in workshops mit den Acht- bis Vier- Eingesperrte 3000 Jahren Ströme an Blut vergos- zehnjährigen durchführt. »Das sind Stadt sen wurden. Kinder von Arabern mit permanen- Nach der Sicherheitskontrolle, die ter Aufenthaltsgenehmigung, die »Das Zentrum der wie viele der Sicherheitsjobs von dem Staat egal sind. Sie unterstützen Stadt sollte wieder äthiopischen Juden und Jüdinnen ihre Familien mit jeder Art von belebt werden, durchgeführt wird, steht man auf schlechten Jobs. Zur Schule gehen denn als die Alt- der breiten, abschüssigen Rampe, sie offensichtlich nicht.« Dass Kin- stadt jordanisch die hinunter zur Klagemauer, zur be- der aus Hebron in der Altstadt auch war und es Schie- rühmten Westmauer führt. Hier Feuerzeuge um zwei Shekel verkau- ßereien gab, sie- ELLERMANN wurde 1968 im Auftrag von Vertei- fen, erzählt später Adina, die Djane delte der Staat z. K digungsminister Moshe Dayan ein Latifa Punk. Mit Kindern aus Heb- B. in Musrara Ju- ERSTIN

dicht besiedeltes Viertel abgerissen, ron konnten aber keine Workshops den aus Marokko :K OTO

seine moslemischen BewohnerIn- gemacht werden, obwohl es Denis an. In Nachlaot F nen hatten drei Stunden Zeit, um und seine Gruppe immer wieder lebten aber schon Hauptsächlich Dollarnoten erhält dieser Bettler, der auf auszuziehen. versuchten. Es war nicht wirklich lange vor der der Treppe zur Klagemauer steht möglich, sie zu gewinnen. Staatsgründung Is- Die Körbe-Kinder Denis ist einer der Gründer des raels jemenitische Stadtteilzentrums »Barbur«, das ur- Juden, eine schwache und arme Be- schmeißen und total feindlich sein. Im Frauensektor, der kleiner ist als sprünglich eine Galerie werden soll- völkerung«, berichtet Denis. »Wir Wir erwarteten, dass die Leute un- der der Männer, bettelt eine Frau te, damit nicht alle AbsolventInnen befürchteten, dass sich die Men- ser Haus abfackeln würden, und es mit rotem Leiberl Touristinnen an, der Jerusalemer Kunstuniversität Be- schen nicht für Kunst interessieren, drohten wirklich radikale Religiöse ihre Kinder hüpfen fröhlich um sie zalel nach Tel Aviv abwandern. »Wie und begannen mit linken Kinofil- damit, einen Gartenschuppen abzu- herum. Dicht gedrängt stehen Frau- baut man eine Szene für sich selbst? men. Die ultraorthodoxen Asheke- brennen, weil wir ein Fensterkreuz en direkt an der Mauer, während Du tötest dich selbst professioneller- nazim in Nachlaot, die in geschlosse- aus Holz befestigten, das wie ein re- über ihnen Spatzen in den von der weise, wenn du als Künstler in Jeru- nen Enklaven leben, denken sowie- ligiöses Kreuz aussah.« Denis wei- Sonne beschienenen alten Steinen salem bleibst«, sagt Denis, der drei- so, dass wir uns im Krieg befinden, gerte sich auch, an der Tür des Zen- sitzen. Rückwärts geht eine Reihe mal betont, selbst kein Künstler zu also zeigten wir einen Dokumentar- trums ein Metsusah anzubringen, Mädchen von der Wand weg. Oben sein, und seine Tage mit seinem Lap- film, in dem es darum geht, was mit ein Schutzsymbol: »Vor 2000 Jah- bahnt sich ein alter, schwarz geklei- top im Lokal Nocturno verbringt. den Leuten im Kopf passiert, wenn ren waren die Juden Sklaven in deter Mann mit Bart laut schimp- Die KünstlerInnen Masha Zusman, eine Stadt geschlossen oder ver- Ägypten, der Pharao nutzte sie als fend seinen Weg durch eine afrikani- Hagit Keysar, Yanai Segal, Avi Sabah schlossen wird. Nach zwei Monaten Sklavenarbeiter für den Pyramiden- sche Touristengruppe. In dem bun- und Denis lernten 2005 Uri Amedi des Eingesperrtseins werden neue bau aus. Dieses Türzeichen bedeu- ten Gemisch an Menschen, die die kennen, einen Sozialarbeiter, der Killer produziert.« tet, dass der Todesengel nicht in die- Altstadt bevölkern, lösen sich Zu- rührig Dinge in Angriff nimmt, um Heftige Diskussionen mit Rechten ses Haus geht, sondern nur in die und Einordnungen auf. Bewertun- die sich eigentlich die Stadt küm- folgten, aber die Leute kamen im- der Ägypter. Mit dem Metsusah gen und Werturteile verschwinden mern sollte. Örtliche Parks, örtliche mer wieder, zu neuen Filmen und wäre Barbur nur ein Haus für Juden zwischen den hupenden Auto- alte Leute oder die Wiederbelebung Diskussionen, zu Ausstellungen und gewesen und nicht für alle anderen, schlangen und weiß leuchtenden des alten Marktes, des Shuk im Vier- in letzter Zeit auch zu Workshops. die ebenfalls zu uns kommen.« Steinhäuschen vor den Toren. Es tel Nachlaot. Amedi will das Zen- »Die bloße Tatsache, dass du dein bleibt allein der optische Eindruck. trum der Stadt entwickeln, er inte- Kulturzentrum in diese schwierige Mit Dank an Karin Schneider und Am Yaffa-Tor kletzelt ein Junge ressiert sich für die Community, die Nachbarschaft setzt, bedeutet, dass Friedemann Derschmidt vom Rites mit eifrigem Gesicht ein Plastiks- Gemeinschaft. Er stellte auch einen du dich mit ihr auseinander setzen Institute ackerl mit den Fingern auseinander. Sozialarbeiter an, der mit den Markt- musst. Sonst würden sie dich raus- 30 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 Casting Day

Jänner 2008, fröhliche waren. Ich habe auch beim Improvisa- Kardinal-Nagl-Platz. Eine freundliche Feierwochen und Frustes- tions- und Straßentheater einer arabische Migrantin zeigte mir den sen vorbei! Erwerbslosengruppe mitgewirkt. »Zah- Weg quer durch das »erdige Grätzl«, Sylvesterwunsch: Abneh- len Sie mir bitte die Fahrtspesen nach die alte Heimat des Joe Zawinul. Nach men mit Alkoholentzug! Bregenz und retour zu einem Vorspre- mehreren Auskünften von PassantIn- 7.Ziel: Ernährungsumstellung – keine chen für den neuen James-Bond-Thril- nen fand ich das neue Jugendzentrum Kurz-Diät! Eine neue sehr sympathi- ler?«, frage ich etwas frech. »Leider in einem Gassenlokal Ecke Schlacht- sche Ärztin nimmt sich seit dem 4. nein!«, antwortet die korrekte AMS- hausgasse neben dem neuen rot gefär- Quartal 2007 Zeit für Gespräche mit Beamtin sofort. »Ein Ticket nach Vor- belten Gebäude der GPA. mir auf Krankenschein. arlberg retour gibt es nur bei einer offi- An einem Couchtisch wird mir so- Entzug vom »Alk« in den ersten 2 ziellen Einladung zu einem Bewer- fort ein Papier in die Hände gedrückt Tagen okay – nicht so schwer, sogar bungsgespräch! Ein Artikel im STAN- mit der Bitte, diesen Fragebogen aus- ohne Praxiten – ein Beruhigungsmit- DARD ist zu wenig!« zufüllen. Ich stand an der Theke: Heu- tel! Hoppla! Am 3. Tag »kubanische »Storno für die Fahrt ins Ländle«, te kein Alkoholausschank – Glück für Freunde« auf Besuch: zu dritt eine Fla- sammle ich meine Gedanken. »Kann den »Alki« auf Entzug! sche Havanna Club mit gekühltem Eis meine alemannische Heimat daher Hutgröße – Augenfarbe – Körpergrö- in 3 Stunden geleert. Erster Rückfall! nicht sehen, ich bin Schwabe aus ße und Gewicht – meine neuen Daten Am Tag danach Blutabnahme, welche Stuttgart«, überlege ich weiter. kannte ich nach etwa 10 Kilo Abnah- Werte habe ich wohl? Am Nachmittag gibt´s ein weiteres me teilweise noch nicht. 1,78 m, Eine Woche später immer noch »tro- Casting für den neuen Dornhelm-Film ca.100 kg. »Schauen Sie mir in die Au- cken«! Keine Entzugstabletten benö- »La Bohème« mit Anna Netrebko in gen (… Kleines)!« Ich bückte mich tigt! Ergebnis der Blutabnahme: kein Erdberg. Ich gehe daher in das nahe und blickte in die faszinierenden Gu- Diabetes! Erleichterung! Ich habe seit gelegene Theresienbad und leiste mir ckerln des jungen Madls der Agentur. November 2007 auf Anraten meiner eine Saunakarte. Ich entspanne bei »Blau!« Ich schrieb die Antwort ins Ärztin keine gezuckerten Säfte mehr sehr heißen Aufgüssen und eiskalten richtige Kasterl. »Die richtige Hutgrö- getrunken. Ich esse seit 7. Jänner Tauchgängen, kurz: eine angenehme ße, wissen Sie Ihre?«, fragte ich meine 2008 nix Süßes. Kneipp-Kur. herausgeputzte Lady neben mir. »Nein, 14 Monate Pensionsansuchen, daher Der Super-G in Kitzbühel war der ich auch nicht!«, verblüffte sie mich. keine AMS-Zwänge! (Ablehnung im Höhepunkt des Vormittags. Der etwas Papier ausgefüllt. Namensschild mit September 2006. Klage im Jänner beleibte Saunawart fieberte einem Filzstift angefertigt. Ich werde zur Fo- 2007 mit Anwältin der Gewerkschaft eventuellen Comeback des Hermina- tografin geschickt. Sie knipst mich im eingereicht. Anfang Oktober habe ich tors entgegen. Die »heißen« Saunagäs- Porträt von vorne und in voller Größe nach langer Überlegung und Rechtsbe- te platzierten sich mit Bier und »Mine- von oben bis unten, ich ziehe meinen ratung das Verfahren für beendet er- ral ohne« um einen großen vierecki- leider noch vorhandenen Bauch leicht klärt). gen Tisch. Alle hielten Hermann Maier ein, halte die Luft kurz an, halte den Am 18.Oktober hatte ich bei einem und den anderen ÖSV-Topläufern die Namenszettel vor meinen voluminösen Ersatzberater den ersten Kontrollter- Daumen. Manche wurden bejubelt, Körper – fertig sind die Posen. min. Er führte nur ein kurzes Gepräch manche ausgebuht. Der 2. Platz des Ich reihe mich in eine lange Schlan- und begrüßte mich zurück in der AMS Flachauer Superstars wurde eupho- ge im Stiegenhaus zu den Keller- (= »Allgemeine Maßnahmen-Stelle«). risch gefeiert. Haben die anderen alpi- räumen des »Etablissements« ein. Die Weihnachtszeit verbringe ich nen Skifahrer nicht teilgenommen »Zwei Sunden warten!«, schockt uns mit Konsumzwang und Frustessen. Ich oder sind sie alle gestürzt? Nach 5 eine fesche Mitdreißigerin beim zittere dem 18. Jänner entgegen! AMS- Stunden Erholung – heute Wellness Hinaufgehen. »Wie viele sind noch vor Termin! Meine liabe Beraterin mit genannt – frisch geduscht, frisch gewa- uns?«, fragt mich meine Nachbarin vor Duftkerzen in der Schönbrunner Stra- schen und gekampelt war ich fit für mir. »Die lange Reihe ist nicht ße hat mich freundlich empfangen. den zweiten Anlauf, beim Film zu job- vollständig einzusehen!« antworte ich »Jetzt kommt der neue Kurs?«, denke ben. ihr. Ihr Mann habe sie »geschickt«. ich. Sie sucht sehr lange im PC nach »Du liebst ja Opern«, hat er zu ihr ge- Jobs oder geeigneten Kursen für mich. sagt. Ich bin froh! Der nächste Termin ist Augenfarbe und Hutgröße Wir erfahren vom Personal der erst am 18. März. Ich habe zwei Mo- Agentur, das Jugendzentrum wolle uns nate Ruhe!!! Die Adresse für das Vorsprechen war gegen 18 Uhr rauswerfen. Noch ein- Ich will meine schauspielerischen im TV-Teil der KRONE vermerkt. Das einhalb Stunden! Es kann nicht sehr Talente unter Beweis stellen. Ich habe Jugendzentrum war nicht leicht zu fin- lange dauern. Plötzlich eine halbe entsprechende Gene von meinen El- den. Ich landete zuerst im falschen Ge- Stunde vor dem Ende wird der Keller tern geerbt, die LaiendarstellerInnen bäude in der Lechnerstraße nahe dem »evakuiert«. Wir werden alle nach DICHTER INNENTEIL DICHTER INNENTEIL NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 31 ÜLLER M ARLA :C LLU I oben gebeten. Wir werden auf engstem nen von oben bis unten an. »Einmal und sie im Bedarfsfall anrufen.« Ich gehe hi- Raum zwischen Stiege und Wand zu- drehen!« Ich lege eine Pirouette hin. »Voll- nüber zu den zwei jungen feschen Mädchen. sammengepfercht. bart sehr gut – entspricht der Zeit der Hand- Sie notieren: Erfahrung im Straßen- und Im- Ein junger Mann spendet zur Kurzweil lung von La Bohème. Bauch kein Problem! provisationstheater, und meine allgemeinen und zur Überbrückung der Wartezeit einen Aber die langen schönen weißen Haare müs- Daten erhalten sie durch den ausgefüllten deftigen Witz. Alle lachen befreit. Die Vor- sen abgeschnitten werden – sehr kurz, wir Fragebogen. Die Fotos werden dazugefügt. derleute werden jetzt schnell weniger. Ein haben einen Friseur!« Zweimal Casting – leider heute nix gewe- charmanter älterer Herr mit Krawatte und Kurzes Überlegen meinerseits. »Kommt sen. Umsonst gehungert? Nein! Ich trinke schickem Mantel ist offensichtlich ein Profi! drauf an!«, antworte ich. »Wie viel ist die heute immer noch keinen Alkohol, laufe in Er weiß über die Bedingungen für Statisten Gage?« 30 Euro pro Tag – 10 Stunden lang der Früh im nahen Park und mache meine der Staats- und Volksoper Bescheid. mit Catering-Buffet. Wir werden Sie 3 bis 7 Gymnastikübungen an Laternenpfählen zwi- Ich bin jetzt 15 Minuten vor 18 Uhr unter Tage benötigen. Wie gesagt, wenn Sie die schendurch und von 9 bis 9.15 Uhr mit Bay- den letzten 6. Ich kann mich kurz vor dem Haare radikal kürzen!« Weiteres Nachden- ern-TV. Ich esse Müsli und trinke Früh- Meeting mit der Casting-3er-Jury auf einem ken meinerseits: »Das lohnt sich nicht! Ein- stücks- und Abendtee. Kurz, ich habe meine Klapp-Kino-Sessel neben einem Billardtisch einhalb Jahre dauert es, die Haare wieder Ernährung völlig umgestellt! Ich fühle mich entspannen. Ich gehe das letzte Mal vor dem wachsen zu lassen!« Die zwei weiblichen viel besser und kann meine Strümpfe und »Urteil« auf das WC. Die Nervosität fällt. Jurorinnen pflichten mir bei: »Hätten wir Schuhe ohne Kreuzschmerzen anziehen. Ich bin dran! Zuerst werde ich von einem auch nicht gemacht! Tut uns Leid, Sie muss- So haben der Jänner und Februar 2008 jungen Mann mit meinem Namen zwischen ten so lange warten. Aber lassen Sie sich an eine andere Welt für mich geschaffen. Bauch und Brust ein zweites Mal foto- der Bar bei den Bürodamen registrieren, sie grafiert. Dann schauen mich zwei Agentin- können dann eine Setcard für sie anlegen Mischa und die Schreibwerkstatt DICHTER INNENTEIL 32 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 Die Kleine Donau. Ein Antrag.

ack to the roots. Durch einen Zufall, nenbad oder eine Schwimmstunde nehmen. Schon alleine diese Monumente sollten Grund der für mich an Mystik grenzt, erhielt Doch nun zurück in die Vergangenheit. Die genug für eine Namensänderung von Donauka- ich eine Wohnung im 2. Bezirk. Dem Kleine Donau als Seitenarm des Hauptstromes nal in Kleine Donau sein. Vielleicht finden BBezirk, in dem ich aufgewachsen bin, zu bezeichnen, war wohl doch etwas vor- sich ja Liebhaber der Donau, die durch Anträ- dem ich meine Kindheit, meine Jugend und schnell von mir. Denn im Mittelalter war der ge, Unterschriftenaktionen u. s. w. eine Na- auch meine größten Erfahrungen in der mittle- Donaukanal ja der Hauptstrom des mächtigen mensänderung durchzusetzen versuchen. Wer ren Hälfte meines Lebens zu verdanken habe. Flusses der Donau. Durch zahlreiche meiner Meinung ist, soll einfach an den Au- Als Hundebesitzer hätte ich es nicht besser Hochwasser verlegte sich der Hauptstrom im- gustin schreiben oder ein E-Mail schicken (Be- treffen können. Rechts von meiner neuen mer wieder. Um 1700 wurde das erste Mal die treff: »Kanal«). Wohnung liegt in etwa 20 Meter Entfernung Bezeichnung Donaukanal benutzt, da sich die unendliche Weite der Hauptallee-Achse, durch die unbändige Kraft des Wassers der links von meinem Wohnsitz liegt der Donauka- Strom immer mehr nach Osten verlagert hatte. Kreuzfahrten für arme Schlucker nal. Obwohl ich den Begriff Kanal nicht gerade Als im 19. Jahrhundert die Regulierung der als passend empfinde. Donau erfolgte, führte man einen nochmaligen Doch nun wieder zurück zu den Top-Spots der Viel lieber hätte ich – und das wäre auch Ausbau des Donaukanals durch. Das geschah Kleinen Donau. Wie schon am Anfang dieses historisch richtiger, weil es sich um einen ehe- im Jahr 1870. Aufgrund eines Gesetzes vom Artikels erwähnt, befinden sich sogar zwei maligen Seitenarm handelt, der damals noch Juli 1892 erfolgte der Ausbau der Wiener Strände am Fluss. Richtig gelesen: Strände! Es unreguliert war – den Namen Kleine Donau. Stadtbahn. Die so genannte Donaukanallinie wurden weder Kosten noch Mühen gescheut, Kanal hat irgendwie einen bösen Beige- wurde 1901 als letzte der Stadtbahnlinien in wie man so sagt, um den feinsten Sand nach schmack. In einem Kanal fließt doch meistens Betrieb genommen. Heute kennen wir sie alle Wien zu bringen. Ausgestattet mit Liegestüh- nur Ab- und Schmutzwasser. Doch bei der als U4. len, Sonnenschirm und Bars, vermitteln die Kleinen Donau, wie ich sie ab jetzt stur nen- In den 1960er Jahren entgingen wir nur Strände ein bisschen Karibikfeeling mitten in ne, gibt es auch nachweislich – selten, aber knapp einer Katastrophe. Denn einige weniger Wien. Die nächste Location als Geheimtipp zu doch – sogar Biberwanderungen. kluge Politiker hatten sich für eine Stadtauto- beschreiben, wäre vor vielen Jahren an- Die Kleine Donau hat sich in den letzten bahn eingesetzt, die links und rechts des Do- gebracht gewesen. Das Flex ist heute kein Ge- Jahren ziemlich gemausert. Es gibt Strandca- naukanalufers verlaufen sollte. Ich weiß zwar heimtipp mehr.Trotzdem hat es sich, den Göt- fés, und – man glaubt es kaum – sogar Sand- nicht, wem wir es zu verdanken haben, aber tern sei dank, noch nicht dem Mainstream strände mit Liegestuhl und allem Pipapo. dieses Projekt wurde nie in die Realität umge- verschrieben. Obwohl im Flex nicht gerade Selbst ein Schwimmbecken auf einer schwim- setzt. Dadurch blieb uns Wienern ein Naher- meine Musik gespielt wird, muss ich anerken- menden Insel, nach dem Vorbild der Berliner holungsgebiet erster Klasse erhalten. Das war nen, dass das Lokal – wenn man es so nennen oder Pariser Erstauflagen, gibt es. Da kann gar nicht so selbstverständlich, denn die Auto- kann – immer wieder für geile Bands und man heute gemütlich mitten in Wien ein Son- und Straßenlobby hatte damals noch wenig Festln gut ist. Dann wäre dann noch die Sum- Opponenten, und merstage zu erwähnen, das »Flex« der Bobos, TRICKY DICKY’S SKIZZENBLÄTTER in den 60er Jah- sicher schon mal im Seitenblicke-Magazin im ren hat sie vieles Fernsehen gesehen. Da meine Wien-Strawan- durchgesetzt, was zer-Tipps für erschwingliche »Kurzurlaube« heute unvorstell- stehen, möchte ich dieser Summerstage nicht bar wäre. weiter Beachtung schenken. Nun zu den Se- Seit ich in der neuen Wohnung lebe, hat henswürdigkei- sich bei mir ein Traum in meinen Schädel fest- ten. Jede der Brü- gesetzt. Und er kann verwirklicht werden, seit cken, die über die es den Twin City Liner gibt: Schiffsreisen mit Kleine Donau füh- Einstiegsmöglichkeit am Donaukanal. Kreuz- ren, ist ein Kunst- fahrten für Arme. Von Wien nach Bratislava, werk. Doch alles, dort einen Tag verbringen, und dann am was architekto- Abend wieder retour. nisch sich entlang Die Leopoldstadt wird oft verkannt. Medien- des Donaukanals berichte über Prostituierte, Kriminalität etc. erstreckt, wird in sorgen für ein schlechtes Image. Als einer, der den Schatten ge- früher im 15. Bezirk lebte, kann ich sagen, stellt von der le- dass sich meine Lebensqualität um etliches gendären Nuss- verbessert hat. Am meisten liebe ich die dorfer Schleuse. nächtlichen Spaziergänge an der Kleinen Do- Die zwei Löwen nau mit meinem Hund. Wenn sich die Later- links und rechts nen im Wasser spiegeln und man an den fast des Gewässers menschenleeren Ufern gehen kann, gleicht es erheben durch für mich fast einer Meditation. Drum raus aus ihren grünen dem Haus und den Donaukanal, Verzeihung, Glanz die Schleu- die Kleine Donau genießen! se zu etwas Ma- jestätischem. Michael Kolousek DICHTER INNENTEIL NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 33 Wien, I. Herrengasse NO 91

achdem Groll eine halbe Stunde holfen zu haben, fügte der Mann hinzu. Er reagierten im Café Central vergeblich auf den habe nämlich einen alten Onkel, der auch im erstaunt, aber Dozenten gewartet hatte, machte Rollstuhl sitze und er hätte ihn gern einmal freundlich. Bereit- WIENER Ner sich auf den Weg zur Toilette. ins Café eingeladen. willig wiesen sie Wo denn hier die Behindertentoilette sei, er- Groll überlegte einige Zeit. Währenddessen mir den Weg in kundigte er sich bei einer Kellnerin. Die hat- trat der Ober ungeduldig von einem Fuß auf den Speisesaal, AUSFAHRTEN te ihn nur mit großen Augen angestarrt und den anderen. Auch der Dozent hatte seine eine zierliche Kö- war dann mit einem winzigen Erdbeertört- Zeitungsausschnitte beiseite gelegt und beug- chin steckte mir chen weitergeeilt. Der zweite Versuch bei ei- te sich in Erwartung von Grolls Antwort vor. sogar eine Kaisersemmel zu.« Groll fingerte ner Dame hinter dem Mehlspeispult endete Endlich sagte Groll, während er den Ober mit im Rollstuhlnetz, zog die Semmel hervor, mit einem hilflosen Achselzucken. Daraufhin ernster Miene anschaute: blies sorgfältig den Staub ab und legte sie auf erkundigte Groll sich beim Zahlkellner und »Wenn’s mich gschwind so fragen, so seine Serviette. Während Groll sein Mahl mit bekam immerhin eine Antwort. Behinderten- könnt ich´s gar nicht sagen.« Salz und Pfeffer bestreute, holte der Dozent toilette gebe es im Café Central keine, sagte Der Ober sah unsicher von Groll zum Do- Messer und Gabel von der Anrichte. der Mann unwirsch. Sie sei auch nicht erfor- zenten und wieder zurück. Groll lächelte höf- Erwin Riess derlich, denn über die Stufen beim Eingang lich. Nach einer angedeuteten Verneigung könne ohnehin kein Rollstuhlfahrer hinauf. machte der Ober auf den Absätzen kehrt und * Neue Zürcher Zeitung, 9. 2. 2008, ** eben- Diese Antwort erschien Groll logisch und eilte mit wehenden Frackschößen in da, 7. 12. 2008, *** ebenda, 28. 12. 2008 klar. Mit sich und der Welt im Reinen kehrte Richtung Küche davon. er zu seinem Tisch zurück. »Typisch Groll«, sagte Mittlerweile war der Dozent eingetroffen. der Dozent. »Ich hatte Er entschuldigte sich für die Verspätung und gehofft, in Ihrem sechs- präsentierte Groll drei Zeitungsartikel, über ten Lebensjahrzehnt hät- die er eine Aussprache begehrte. Ein Text ten Sie sich gemäßigt.« handle vom Wiederaufstieg des Armeevereins »Habe ich auch«, erwi- ZSKA Moskau, dem einstmals führenden Eis- derte Groll. »Ich habe hockeyclub der UdSSR; der Dozent vermeinte keine Pflastersteine gegen darin ein Symbol für die Konsolidierung der die Scheiben geworfen, russischen Militärmacht zu erkennen. *) Der als ich eine halbe Stunde in geringer Höhe erfolgte Überflug eines rus- in der Kälte im Freien sischen Langstreckenbombers über den ame- stand und mehrere Gäste rikanischen Flugzeugträger Nimitz sei nur ersuchte, sie mögen den eine weitere Bestätigung dieses Befunds. Der Kellner holen, vor der zweite Artikel beklage den Umstand, daß es Treppe warte ein in den westlichen Geheimdiensten zu wenige Rollstuhlfahrer. Der Kell- Spione im Außendienst gebe. **) ner kam aber nicht, er »Besonders der dritte Text wird Sie interes- setzte auf Zeit und warte- sieren«, setzte der Dozent fort. »Er be- te, dass das rollende Pro- schreibt die Cognac-Industrie in Südwest- blem sich von selbst ver- Frankreich. Deren Umsatz entspricht zieht.« hundertsiebzigtausend Renault Twingos oder »Und ich habe mich 25 Airbus A 321 und sichert zweiundzwan- verspätet!«, jammerte der zigtausend Arbeitsplätze. Fünfundneunzig Dozent. Das ist unver- Prozent des Cognacs gehen in den Export, zeihlich.« die Hälfte davon in die USA. Der Rest verteilt Im Gegenteil, erwider- sich auf Singapur, Großbritannien und te Groll, das sei ein Deutschland sowie – mit rasch steigenden Glücksfall gewesen. Er Zuwächsen – China und Russland. Letztere habe dadurch das be- fragen überwiegend die sehr teuren Cognacs rühmte Café Central von nach, die bis zu vierzig Jahre in Eichenfässern einer anderen Seite ken- gelagert werden. Die USA hingegen gelten als nen gelernt. Ein Stück die Markt für die billigste Version. Sie sehen, Straße hinunter sei die auch am Cognac kann man die geänderten eiserne Tür des Material- Machtverhältnisse in der Welt ablesen.« ***) lifts aufgegangen und ein Groll wollte schon nach dem Artikel grei- kräftiger dunkelhäutiger fen, da stand plötzlich der Zahlkellner neben Mann habe einen Müll- ANG ihm. Es gehe ihn zwar nichts an und er habe container auf die Straße L

sehr viel zu tun, aber dennoch würde er gern geschoben. ARIO wissen, wie Groll mit seinem Rollstuhl über »Mit Hilfe des Material- :M OTO die Stufen ins Café hinaufgekommen sei. Er lifts gelangte ich in die F könne sich jedenfalls nicht erinnern, ihm ge- Küche. Die Mitarbeiter Der Dozent hatte sich verspätet DICHTER INNENTEIL 34 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08

Vom Ausländerkonstruieren (2) »Ehrenmorde« versus »Familientragödien«

usländerkriminalität« – allein der Österreich gebürtigen Roma und Sinti, die Begriff klingt bereits rassistisch. von den Nazis als »staatenlos« in KZs depor- Die verheimlichten Suizide »ADenn auch wenn die Medien mit tiert worden waren, blieb nach 1945 die immer neuen Statistiken zu beweisen versu- Staatsbürgerschaft oft ebenso verweigert wie Und wenn sie dann Opfer krimineller Hand- chen, dass die Kriminalität unter Zuwande- Kindern von Zuwanderern, die in Österreich lungen werden, von der fast alltäglichen Ab- rern zunehme, bleibt allein das Auseinander- geboren und groß geworden sind. zocke durch Hausherren über die dividieren in »die Ausländer« und »die Inlän- Aber es ist das gleiche Problem wie bei ras- Ausbeutung durch Schwarzarbeit bis zu tätli- der« – egal zu welcher Frage – rassistisch! sistischen oder minderheitenfeindlichen Äu- chen Angriffen, vermeiden sie Anzeigen bei (Ausnahme: Der Inländer-Rum – grauenhaft ßerungen der Rechten, Politikern und der Polizei, um dadurch nicht noch schmeckend, aber billig!). Die Grünen luden Medien: Man sollte sie einfach ignorieren, möglicherweise ein zweites Mal Opfer zu kürzlich zu einer Diskussionsveranstaltung um sie mit Antworten nicht auch noch ernst werden (Schubhaft usw.). zum Thema »Kriminelle Ausländer – Mythos zu nehmen und damit aufzuwerten. Anderer- Während die Selbstmorddrohung der tele- oder Problem«. Ein zwiespältiges Unterfan- seits dürfen diese Ungeheuerlichkeiten auch genen Arigona Zogaj eine gewisse mediale gen. So blieb bei der Diskussion lange die nicht unwidersprochen bleiben. Aufmerksamkeit erreichte, blieb zum Beispiel einfache Frage unbeantwortet: »Wer oder Es bleibt das alte üble Spiel eines Teils der der Fall eines Selbstmordes vor wenigen Wo- was ist ein Ausländer?« Politik: Um von den Profiteuren der Demolie- chen – von einem Afrikaner in Schubhaft ver- Bis sich die Diskussionsteilnehmer auf dem rung des (angeblichen) Sozialstaates abzulen- übt – von der Presse unbeachtet. Podium (der grüne Justizsprecher im Natio- ken, wird als Verursacher sozialer Missstände Wenn es in Schubhaft Suiziddrohungen nalrat, Albert Steinhauser, die grüne Gemein- eine Gruppe Wehrloser herbeigeredet und - von Inhaftierten gibt, werden nicht die un- derätin Alev Korun, »Falter«-Redakteur Flori- geschrieben: »Die Ausländer«! (natürlich sind menschlichen Lebensbedingungen für die Be- an Klenk und der Kriminalsoziologe Arno Pil- damit nicht Touristen, Spitzenmanager- oder troffenen beseitigt, sondern es werden Maß- grim. Moderation: Augustin-Mitarbeiterin Sportler gemeint). nahmen beschlossen, die Suizid verhindern Gerda Kolb) darauf einigten, dass – Auch wenn die empirischen Zahlen etwas können, etwa durch Zwangsernährung. »legistisch« – österreichische Staatsbürger die anderes sagen. Aus dem Eine Frau aus dem Publikum berichtet, wären, die über eine Staatsbürgerschaft verfü- Parlamentsstenogramm die Beantwortung ei- dass ihr Bruder von vier Polizisten erschossen gen. ner diesbezüglichen Anfrage der FPÖ: »Bun- worden war. Die Beamten wurden frei Aber auch dieser »kleine gemeinsame Nen- desministerin Dr. Berger teilte unter Hinweis gesprochen. Ihre Rechtfertigung: Sie hätten ner« bleibt natürlich fragwürdig: In auf die aktuelle Statistik mit, dass die Zahl in Notwehr gehandelt. Doch ihr Bruder war der Verurteilungen ausländischer Straftäter unbewaffnet! um 8 % gesunken ist und der Rückgang bei Seit Jahren kämpft sie – bisher erfolglos – den verurteilten ausländischen Jugendlichen darum, diesen Fall aufzuklären. Zur Erinnerung: sogar 23 % beträgt.« Professor Pilgrim kritisiert, dass der Asylbe- Frage an den Kriminalsoziologen Prof. Pil- griff viel zu eng ausgelegt und damit den so grim: Wurde je statistisch erhoben, wie viele genannten »Wirtschaftsflüchtlingen« das Blei- Zuwanderer Opfer von Kriminalität wurden? berecht verweigert wird. Nein, das geschah nie, und realistische Für das Kapital gibt es keine Grenzen. Zahlen wären auch schwer zu ermitteln. Wenn für Unternehmen der Betrieb einer Re- Die neue Adresse von Wenn Flüchtlinge oder Emigranten nach gion nicht mehr genügend rentabel ist, wird Österreich kommen, wird ihnen sofort von die Fabrik geschlossen und in einem anderen Vertrieb und den Behörden signalisiert, dass sie Land mit billigeren Lohnkosten neu eröffnet. unerwünscht sind. Wenn hingegen jene Leute, deren Arbeit und Das beginnt bereits im »Kleinen«. Die Ge- Existenz in jener Region vernichtet wurde, in Redaktion meinderätin Alev Korun erzählt aus ihrer Pra- einem anderen Land ein neues Leben erhof- xis, als sie noch Sozialarbeiterin war. Sie be- fen, werden sie hier wie Kriminelle behan- gleitete Flüchtlinge zur Fremdenpolizei in der delt. des Augustin lautet: Wasagasse. Dort gab es keine Sitzgelegenhei- Die Diskriminierung beginnt bereits im Ge- ten und an den Wänden waren Tafeln, dass brauch der Worte. In Deutschland wurden das Anlehen an der Wand verboten sei. Ihre »Ehrenmorde« (die übrigens nichts mit dem Klienten mussten erst einmal Stunden lang Islam zu tun haben, sondern zum »Ehrenko- stehen, bis sie drankamen. dex« rückständiger Bergstämme gehören) Und in der entsetzlichsten Konsequenz ge- verübt. In Österreichs Medien wird darüber schieht dann in der Folge Behördenwillkür berichtet, als ob dieser »Brauch« fixer 1050 Wien, wie in den Fällen des Todes von Marcus Bestandteil der meisten Zuwanderer aus der Omofuma oder des Folteropfers Bakary Jassey. Türkei (und anderswo aus »der Fremde« her) Insgesamt wird somit den Zuwanderern ein auch hier fast Alltag wäre. Reinprechtsdorfer Gefühl der Rechtsunsicherheit vermittelt, Wenn ein Österreicher Amok läuft und sei- und dass sie von Seiten der Behörden kaum ne gesamte Familie ausrottet, steht in den Hilfe erwarten können. Zeitungen »Familientragödie …« Straße 31 gerald grassl DICHTER INNENTEIL NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 35

Vom Ausländerkonstruieren (1) Hol mich aus dem Ghetto, Kleinert, Mann!

n einem Gastkommentar mit dem Titel sind wohlfeil! Es mögen zwei Schubladen sche Omi ihr Geschenk für den Enkel in ihrer Kuschelpädagik mit absurder wohl feiler sein als eine. Doch für Unsinn gibt ausländischen Sprache vor dem Vater mit den Konsequenz in der »Presse« vom 11. es keinen Mengenrabatt, sondern Zeilenhono- Worten rechtfertigte: »Dieser Schlagring wa- IFebruar gibt Professor Detlev Kleinert, rar. Nach dieser Demonstration seiner sprach- ren aber billig!« Auch dürfte sie die heilvolle der seine berufliche Laufbahn beim lichen Kompetenz geht der Professor mit ei- Unkenntnis des Feuilletonistenjargons davor Bayerischen Fernsehen begann und auch Süd- ner Unverfrorenheit ans Werk, die ihm die schützen, ein türkisches oder georgisches Sy- osteuropa-Korrespondent der ARD in Wien Leadership wohl aller türkischen und nonym für das hoch tönende und niedrig klin- war, ein Lehrbeispiel dafür, wie ein paar rich- deutschen Straßengangs Berlins sichern könn- gende wohlfeil zu verwenden. Professor Klei- tige Gedanken in Kombination mit Klischees te. nert indes feilt weiter an Fragen der Rüstung: und Kausalverdrehungen größeren Unsinn er- Die immer wieder durch Pisa bestätigten geben, als es ehrlich-konsistente Falschheit je Probleme beginnen damit, dass die Kinder in Wie sollen Dragana und Mohammed unter fertig brächte. Und weiters, wie man auf einer den Ausländerghettos die deutsche Sprache solchen Umständen das Rüstzeug erwerben, halben Seite »Presse« Zeilenhonorar schindet nur völlig unzureichend sprechen, weil sie je über die Volksschule hinaus weiterzukom- mit der Aufblähung des simplen Vorurteils, sich zu Hause nur in ihrer Muttersprache ver- men? dass nicht die österreichische und deutsche ständigen, der Fernseher auf das Programm Gesellschaft, sondern der mangelnde Integra- ihrer Heimat eingestellt ist und der Freundes- Indem du und deinesgleichen ihnen nicht tionswille der Ausländer auf der einen, die kreis ebenfalls nicht weltfremde Kuschelpädagogik der Ausländer- Deutsch spricht. freunde auf der anderen Seite schuld seien an TONIS BILDERLEBEN der Gewalt gegen deutsche Pensionisten und Nicht nur der Pisa-Statistiken. Freundeskreis nicht! Die richtigen Gedanken in Kleinerts Text Auch der Zirkel jener stammen auch nicht von ihm, sondern von Feinde, denen keine der deutschen Politikerin Bilkay Öney und der Schublade wohlfeil ge- Rechtsanwältin Seyran Ates. Diese fetten sein nug ist, sie Zuwande- Honorar per Zitat um ganze 24 Zeilen auf, mit rern und ihren der grundsätzlich berechtigten Kritik eines Kindeskindern nicht linken Kulturrelativismus, hinter welcher über den Schädel zu Kleinert seine Ressentiments jedoch wie hin- schlagen. Doch nicht ter einem Gesichtsschleier verstecken will. die Kenntnisse der Doch der Schleier ist zu transparent, als dass deutschen Sprache nicht die Fratze von Rassismus und Unlogik trennen weißen von durchschiene. Rassismus deshalb, weil er un- rotem Mann, sondern entwegt von Inländern und Ausländern Zugang zu geförderten schreibt, auch wenn bei Letzteren deutsche Wohnungen, Sozial- und österreichische Staatsbürger der zweiten leistungen und den und dritten Generation gemeint sind. Unlogik Gastarbeiter-Kommen- deshalb, weil er die mangelnden taren der »Presse«. Deutschkenntnisse der Ausländer für ihren Weiters dürfte auch Hang zu Drogenkriminalität, Pensionistenprü- das Bürgermeisteramt geln und Arbeitslosigkeit verantwortlich von Pisa die Bestäti- macht. Dabei läuft er bereits im ersten Absatz gung der von Kleinert seiner eigenen krummen Logik mit bestätigten Probleme bewundernswerter Wucht in den Dolch: dementieren … Bleibt zu hoffen, Wenn es um das Thema Ausländer geht, ist dass das Ausländisch Vorsicht geboten. Nur zu leicht gerät man in der ausländischen TV- eine Schublade, in die man eigentlich gar Sender besser ist als nicht hineingehört, die jedoch in Zeiten emo- das Deutsch der Pro- tional geführter Diskussionen (…) nur wohl- fessoren von ARD und feil sind. BR, deren kluger Boy- kott durch Migranten Doch bezieht Professor Kleinert die kolum- jene erst in die nistische Angebervokabel wohlfeil nicht etwa Kolumnen der »Pres- auf die Ausländer, gegebenenfalls hätte er es se« treibt. Jedenfalls immerhin zu einer wirtschaftspolitischen ist es völlig unvorstell- Wahrheit geschafft. – Nein, die Schublade bar, dass die ausländi- DICHTER INNENTEIL 36 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08

länger Rüstzeug verwehren, für das Draga- Kindern unterscheidet, wie es Kleinert im zu Welt und Gemeindewohnungen sie ver- nas und Mohammeds Eltern malochen und Stil der Nürnberger Rassegesetze vorführt, bannt haben, und zahlen ihnen Studium Steuern zahlen, und du selber dankbar sei- und dem Abfackeln von Migrantenwohnun- und Schule oder zumindest Lehre! Aber bit- en, nix müssen Kanal räumen, weil nix kön- gen, dem Abknallen im Hof spielender tür- te, bitte lehren ihnen nicht selbst Deutsch nen Plural von Singular unterscheiden und kischstämmiger Kinder und dem Verprügeln und halten fern von Journalistenghetto und weil schreiben dürfen Blödsinn in Zeitung, afrikanischer Passanten, sondern – wieder Kolumnistenfamilie, aus der von Uni dessen Lektüre lehren Kanaken wie Bajuwa- eimal – das Video von den Jugendlichen, die herausgeholt worden zu sein Germanistik- ren schlechte Deutsch und schlechte Den- den Münchner Pensionisten krankenhaus- promotion von bosnische Mädchen erst hat ken! – Moment, damit kein Missverständnis reif geschlagen haben. Er nimmt auch Be- ermeglicht. Und schreiben in Zukunft nix aufkommt: zug auf Kriminalstatistiken, verschweigt mehr Ausländer und Inländer, weil nicht aber jene, die einen eklatanten Rückgang nur werden zu pauschal verwandt, sondern Also hier, mit allem Nachdruck: Ich habe von Gewaltverbrechen belegen. Den Grund, seien pauschal verwandt mit Springerstiefel- nichts gegen Ausländer (dieser Begriff wird warum Menschen aus unteren sozialen tritt in Afrikanergesicht. Und seien auch sowieso viel zu pauschal verwandt!), – Schichten verbrechensanfälliger sind als vorsichtig mit Kausalität von schlechte etwa »Presse«-Gastkommentatoren, weiß Deutsch und schlechte Taten, sonst fallen Verwandten Sie ihn nicht so pauschal, Kleinert gerade noch mit mangelnder Ber- vielleicht auf dich zurück und riskieren di- Herr Professor, fiele das gar nicht auf aufsausbildung zu korrelieren, seine Intelli- cke Lippe, weil Schreiben von wohlfeilen genz reicht aber nicht hin, das nicht ihrem Schublade führen am End wohl zu Feilen – erlaube mir aber andererseits, gegen die Ausländersein in die Schuhe zu schieben. auf Kinnlade. politische Korrektheit zu verstoßen, die Natürlich wünscht er, der nicht in die Aber du haben schon recht, wenn du am Ausländer pauschal zu Heilsgestalten hoch- wohlfeile Schublade will, in die er sehr Schluss von Kommentar wohlfeile Schubla- zustilisieren. wohl hineingehört, Mohammed und Draga- de von Pathos aufreißen: na eine tolle Karriere und prahlt zum Hinter dieser Phrase, erkennt der erfahre- Beweis, nichts gegen Ausländer zu haben, Eure Kinder haben nur dann eine Chance ne Feuilletonleser, kann nur der Wunsch damit, sogar Mädchen aus dem Ausland he- für ein geregeltes Leben in dieser stecken, sie pauschal zu Unheilsgestalten rausgeholt zu haben. So klingt es, wenn Gesellschaft, wenn ihr euren Pflichten als runterzustilisieren. Die Fährte war richtig: sich ein Kleinert moralisch vergrößert: Erzieher nachkommt –

Und auch wenn Gutmenschen es nicht Dass so etwas möglich ist, haben die bei- und ihnen das Lesen der »Presse« verbie- hören wollen: Es gibt einen Zusammenhang den Mädchen gezeigt, die ich 1992 aus Sa- tet? zwischen Bildungsniveau und Kriminalitäts- rajevo herausgeholt und in meiner Familie statistik. aufgenommen habe: Die eine ist heute pro- – und das heißt, die Kinder müssen die movierte Germanistin, die andere wird Sprache lernen. Wer würde das leugnen! Doch meint Klei- demnächst in Physik promoviert. nert damit nicht etwa die Mel-Gibson-Fil- Gut gefolgert, Kleinert! So lasst uns hof- me, welche ARD und BR regelmäßig Und somit, du alte Mädchenherausholer, fen, dass Dragana und Mohammed und De- ausstrahlen; auch nicht den Kausalzusam- seien auf Schliche von Lösung von ganze jan und Alev lernen, was Detlev nimmer menhang zwischen jener Gesinnungsart, Ausländerfrage gekommen: Holen auch Dra- lernt. die beim Aufrechnen von Schulerfolgen gana und Mohammed und alle andere aus Richard Schuberth zwischen ausländischen und deutschen Ausländerghetto, in das mangelnde Zugang Meine erste große Liebe …

s war einmal … So beginnen alle zu leben. Natürlich war ich als junges Mäd- meine Geschichte von meiner tatsächlichen Märchen. Auch mein Leben ist wie chen sehr beein-flusst von Medien und orien- ersten großen Liebe erzähle, um zu vermit- ein Märchen, mit vielen Rätseln, die tierte mich nach Liebesfilmen und Jugend- teln, dass es in meinem Leben viele viele Eich lösen musste, vielen guten und zeitschriften, die ich heimlich unterm Kopf- schöne glückliche Erlebnisse gab und auch schlechten Geistern und Feen, viel Zauberei, kissen versteckte. Trotz allem führe ich heu- heute noch gibt. Wundern und eigenwilligen Standorten – te eine recht stabile Ehe mit meinem Johan- phantasievoll, verzaubert, aber auch manch- nes, der mir viele Freiheiten gönnt, doch oft mal gefährlich. Der Prinz hat mich öfters träume ich noch von einer Liebe, wie es sie Und plötzlich war da Paul … wach geküsst, oder ich musste auch manch- nur im Märchen gibt. mal den Frosch erlösen. Doch heute weiß Eigentlich habe ich Angst vor richtigen Ich hatte gerade die Handelsschule positiv ich, dass mein Märchen, meine Geschichte Männern und so bleibt alles eine Fiktion, abgeschlossen und nun schien der Ernst des gut ausgehen wird. auch wenn mich das jetzt ein wenig traurig Lebens zu beginnen. Da ich doch oft die Ohne jetzt zu polarisieren, war für mich macht. Manchmal ist es besser, die Sterne Schule schwänzte und mir so meine Freiheit die Liebe immer das wichtigste im Leben, dort zu lassen, wo sie sind und nicht vom stahl, hatte ich Angst vor der Zukunft und weil ich sie als Kind nicht bekam, viele Be- Himmel zu holen, weil sie auf der Erde doch vor einer geregelten Arbeit. Eines war mir ziehungen unglücklich endeten und ich mir verglühen. Auch ich lebe meine Rolle perfekt klar, dass ich die angebotene sichere Anstel- somit ein eigenes Bild davon machte, Liebe und heute liegt es mir nahe, dass ich euch lung bei unserer Bank ablehnen würde. Mein DICHTER INNENTEIL NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 37

Vater verhandelte mit dem Bankdirektor, weil schlüpfte, wie in Trance, meine Augen hinge- doch es durfte nicht sein. Ich fand ihn nicht er glaubte, er hätte dann alles, was für mein bungsvoll und doch schüchtern auf Paul wie erwartet bei einem Fest, er suchte mich – zukünftiges Leben wichtig sei, getan. Ich wuss- gerichtet, aus meinen Jeans und bedeckte mit ich suchte ihn!!! Meine Gefühle spielten ver- te selbst noch nicht was ich wollte. Ich wollte meinen Händen schützend meinen Schoß. rückt, die Sehnsucht brannte in meinem Her- nur weg von zu Hause, weg von dem spießbür- Es folgte keine Begierde. Es war ein noch zen! Enttäuscht und ohne ihn noch einmal zu gerlichen Niveau unserer kleinen nie gekanntes Sich-fallen-Lassen, ein Sich-je- treffen, reiste ich nach zwei Tagen ab. Als ich Marktgemeinde. Ich wollte die Welt kennen manden-Anvertrauen, es war Sehnsucht, mitei- im Zugabteil saß, hatte ich schon wieder ein lernen. nander eins zu werden, jahrelange Sehnsucht Gefühl, das ich auch noch nie hatte. Wie in Vorerst kam ich nur nach Sillian, einem Luft- auch, den anderen ganz zu spüren. Ich habe Zeitraffer, wie in einem Film liefen diese 2 Wo- kurort an der Staatsgrenze zu Italien. Ich er- mich hergeschenkt und nie mehr hatte ich die- chen in Sillian vor meinen Augen ab. Es waren hielt dort einen Job als Allround-Kraft. Servie- ses Gefühl, nur dies eine Mal. Es war wunder- die glücklichsten Tage meines damaligen Le- ren, kochen, Betten machen, Gäste empfangen schön. An diesem Abend wurde ich eine Frau. bens. Die Zeit war stehen geblieben. Schon so und Bürotätigkeit. Zum ersten Mal weg von zu Spät kam ich nach Hause und traumlos jung erfuhr ich, dass Liebe, Achtung und Res- Hause. Nachmittags saß ich am Bügelbrett und schlief ich ein. Um 6 Uhr morgens begann pekt abverlangt, zu sich und dem anderen – ich schaute hinaus in die Sonne und ich hatte mein Dienst. Ich holte die Milch beim Nach- und daran kann man wachsen. Deprimiert erste schwerwiegende Depressionen, verbun- barn, und als ich meinen Geliebten sah, hatte kam ich zu Hause an und nach ein paar Tagen den mit viel Heimweh. Trotzdem spürte ich ich plötzlich Respekt und Achtung vor ihm kam der erste Brief aus Osttirol von Paul, mit auch Freiheit, obwohl meine Chefleute es mit und auch ein Gefühl des Gewachsenseins an der Frage, ob ich meine Periode wohl bekom- ihrer autoritären Aufsichtspflicht sehr ernst meiner Persönlichkeit. Beschämt blickte ich men habe. Doch die Abstände der nahmen. ihm in die Augen und dieses erste Mal war das Briefsendungen wurden immer länger und Und plötzlich war da Paul, der einzige Mal geblieben, als wäre es ein Symbol, blieben schließlich ganz aus. Ich habe ihn nie Nachbarssohn, von dem ich mich überreden ein Symbol gegen den Alltag – einfach etwas wieder gesehen … Als es Winter wurde und ließ, mit ihm in die Disco nach Italien zu fah- Besonderes. Meine Chefin erfuhr von der Liai- Väterchen Frost zu Besuch kam, war diese Lie- ren und auf eine rasante Spritzfahrt mit son mit dem Nachbarssohn und ich bekam gro- be auch aufs Eis gelegt. Das große Feuer, das in seinem neuen Sportauto. Er war 20 Jahre alt ße Schwierigkeiten, da auch andere Burschen den Himmel leuchtete, erfror. Vergessen habe und er gestand mir, dass er Alkoholprobleme nach mir fragten. Es folgte kein Happyend. ich diese kurze Zeit nie und habe diesen be- und er noch kein Mädchen gefunden habe, für Aufdringliche Hotelgäste und sogar mein be- sonderen Spätsommerabend minutiös und das die es sich lohnen würde, das Trinken aufzuge- tagter Chef klopften an mein sicher zugesperr- Bild von Paul in meinem Kopf gespeichert. ben. Eine Rechnung, die meist nicht aufgeht. tes Personalzimmer. Eines Tages kam ich nach Zwei Menschen, die sich durch ihre Liebe für Ich glaubte, ich könnte ihm helfen, seinen Al- einem Ausflug über die Staatsgrenze kurze Zeit retten konnten. Paul, der mich zur koholkonsum einzu-schränken, was mir in die- durchnässt und per Autostopp erst am frühen Frau machte, die heute – mehr als 20 Jahre ser kurzen Zeit auch gelang. Dafür hatte ich Morgen zur Arbeit und daraufhin wurde ich später – noch immer nicht ganz erwachsen ist. damals meinen ersten Martinirausch! Ich war fristlos entlassen. Ich packte nun denn meine Aber dennoch habe ich mein Leben, so wie es damals doch erst 18 und hatte überhaupt Koffer und quartierte mich in der nächstgele- jetzt ist, im Griff, obwohl ich das Gefühl habe, noch keine Ahnung, warum Männer trinken, genen Pension ein. Trotz meiner positiven Ent- das »erste Mal« immer noch vor mir zu haben aber es wurde auch nicht unser Problem. Paul wicklung hatte ich furchtbares Heimweh, ob- … erzählte mir immer wieder von seinen Sorgen wohl mir sofort eine Stelle als Serviererin in … und ich hoffe, ich werde niemals aufhö- und das war wohl sein Hauptproblem, dass Sillian angeboten wurde. Ich wollte nur noch ren zu träumen … Männer nicht schwach sein dürfen, sondern ein paar schöne Tage mit Paul verbringen, Heidemarie Ithaler-Muster immer Stärke zeigen müssen. Als ich in seiner Gegenwart mit jemanden anderen ausgelassen tanzte, kamen ihm die OTTAGRINGO Tränen. Aber ich hatte mich für ihn entschieden. Als Peter Maffay das Lied sang: »So bist Du – jun- ges Mädchen, reife Frau und auch Kind«, ku- schelte ich mich an Pauls Seite und ich wusste noch nicht, dass mich das Lied ein Leben lang begleiten würde. Ich fühlte mich geborgen wie nie zuvor und oft erzählte ich ihm von meinem strengen Vater. Dann der erste zaghaf- te Kuss, ein sanftes Berühren unserer Lippen – immer und immer wieder, und als er mit sei- ner Hand meine Brüste berühren wollte, ge- stand ich ihm, mit keinem Mann zuvor solche Intimitäten ausgetauscht zu haben. Mein Gott – ich hatte mich verliebt, ver- liebt in jemanden, der auch erreichbar war und mit dem ich das auch leben durfte. Dass ich so weit entfernt war, von der Obhut mei- nes Vaters, bestärkte meine schönen Gefühle umso mehr. Es machte mich unabhängig und frei! Paul fragte mich, ob ich mit ihm schlafen wolle, er wünsche es sich so sehr. Schamhaft ließ ich es zu, als er mir den dunkelroten Herbstpullover über den Kopf streifte und ich DICHTER INNENTEIL 38 NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 Wieso?

ie Sonne ist hinter grauschwarzen Sand – über meine Haut lief. Wieso?, schien möchte mich in die feuchtwarme Watte des Häusertürmen verschwunden und aus mich dieser Blick zu fragen. Bald schon hätte Schlafens kuscheln. Werde ich munter, sollte der Ferne rumpelt der Donner. Scharf- ich das alles vergessen gehabt, hätte ich nicht alles nur ein böser Traum gewesen sein. Wieso Dkantige Wolkenfetzen zerschlitzen unlängst in der Zeitung gelesen, dass er sich in geht das nicht? Ich würde mich so gerne ins den Himmel. Fenster schielen auf die Straße, seiner Zelle erhängt hatte. Hat er das mit Eva Gras legen und die Flugzeuge am Himmel beob- durch die ich gehe. Ich fühle keine Freude, kei- …? Ich hätte es gerne gewusst. achten. nen Schmerz, kein Leid, keine Reue – ich bin Ich zerre einen Sack schwerer Gedanken und Er hatte das Auto in der Box abgestellt. Nur leer. Meine Gedanken frösteln in mir. heißer Angst hinter mir nach. Am liebsten wür- noch einige hundert Schritte bis zum Wieso?, will ich von mir wissen. Wieso habe de ich ihn hinter einem Haustor abstellen und Wohnhaus. Seine Bewegungen waren langsam, ich das getan? Ich warte auf eine Erklärung, die schnell davongehen. Aber er würde mir nachru- ohne Hast. Die Stille um ihn war eine einzige nicht kommen will. Dem Warum werfe ich kei- fen. Oder – noch schlimmer – er würde einem sanfte Berührung zwischen Himmel und Erde. nen Gedanken zu. Die Wahrheit ist oft so ein- Neugierigen von meinem Geheimnis berichten. Die untergehende Sonne war rostig gefärbt. Der fach, dass sie niemand glaubt. Aber das Wieso Angst! Ich habe weniger Angst vor dem, was Straße entlang standen Bäume, aufgereiht wie ist etwas, das mich verwundert, erschreckt, ent- geschehen wird. Das war mir sofort nach mei- Zinnsoldaten. Dazwischen vereinzelt Bänke. setzt. So genanntes emotionales Handeln ist für nem Handeln bewusst. Angst habe ich davor, Auf einer saß ein Mann. Er war groß, mager, mich nur billige Affekthascherei. Nichts für wie es geschieht. Vor allem Unbekannten habe bleich, die Wangen eingefallen. Bärtig, dreckig, mich. Das habe ich immer den anderen überlas- ich mich schon immer gefürchtet. Verstecken schlecht gekleidet, mies drauf. Erfahren im Um- sen. Mein Leben habe ich als geraden Strich mit möchte ich mich da und so machen, als wäre gang mit Demütigungen. Eine Bierflasche am dem Lineal vorgezeichnet und meine Gefühle in nichts geschehen. Resignation ist etwas Boden zwischen den Beinen. Sozialer Schrott, einer Schachtel verpackt, wo ich sie – je nach Jämmerliches. Ich wollte, ich könnte mich dachte er sich im Vorübergehen. Der hat hier Bedarf – gezielt herausnehmen kann. Dir ist nur heimlich davonstehlen. Irgendwohin, wo mich nichts verloren! Er selbst war diensteifrig, ein- das Leben gegeben worden, aber keine Seele – keiner kennt und keiner weiß. Aber wer vorm satzorientiert, gnadenlos zu sich selbst. Das das hatte man mir einmal gesagt. Da gab ich Unglück flüchtet, den jagt es. Und immer wie- macht zwar nicht beliebt, hatte ihm aber Erfolg keine Antwort. Soll man doch glauben, was man der quält mich das Rätsel nach dem Wieso. Wer gebracht. Freunde keine. Wieso kann ein will. alles erklären kann, hat für alles Verständnis. Mensch so tief sinken? War er empört und mit Eva war so schön wie eine im Sonnenschein Auch für mich? Ich kann den Geruch von fer- sich selbst zufrieden. Wenn einer zu viel Glück läutende Glocke am Ostersonntag. Das wusste nem Regen einatmen. erlebt, macht er sich keine Gedanken mehr sie, und sie genoss die nervös tastenden Blicke über seine Grundlage. der Männer. Dann kam sie mit Wolfgang, was Regen klatscht auf das Straßenpflaster. Ich su- alle erstaunte. Er hatte das gutmütige Lächeln Zur Verblüffung des Beamten che nach einem Geländer, an dem ich mich in eines Idioten – oder eines Heiligen. Je die Erinnerung tasten kann. Möchte in ihrem nachdem, wie man es sehen wollte. Oft machte Das Leben könnte so schön sein, wenn man es Dunst die Gegenwart vergessen, die mit gräss- sie ihn vor anderen lächerlich, was er demütig so vorsichtig nimmt, wie es genommen werden lich geballter Faust neben mir steht. Wieso hast geduckt hinnahm. Als man Eva fand, war in ih- will. Aber Leidenschaft reduziert uns zu Skla- du das getan?, frage ich mein Spiegelbild in der ren Augen noch starre Verwunderung. Wolfgang ven. Liebe herrscht ohne Gesetz. Da gibt es nur Auslagenscheibe. Vielleicht, ist die Antwort, wurde auf Grund von Indizien verurteilt, das Jetzt. Zählt der Augenblick. Zeit ist nichts weil ich die Wahrheit eher ertragen kann, als obwohl er weinerlich seine Unschuld beteuerte. anderes als das Vorspiel zur Unendlichkeit. Ich Zweifel zu haben. Reue bringt Verlorenes nicht Ich war bei der Verhandlung. Als er dann in glaube, ich sitze mit dem Rücken zur Wand, wieder. Wahrscheinlich hätte ein einziges erklä- Handschellen aus dem Saal geführt wurde, sah schaue auf die Türe und warte. Hilflos, ausgelie- rendes Wort gereicht, und alles wäre anders ge- ich seinen Blick, der unangenehm – wie feiner fert. Alles ist in eine düstere Leere getaucht. Ich kommen. Vielleicht – aber das ist nicht sicher – hätte ich verzeihen können. Ich habe lieber BESTELLSCHEIN eine Hütte auf Erden, als einen Thron in den Wolken. Aber dieses Wort kam nicht. Was ich sah, war ein Lächeln mit einem Schatten von für ein AUGUSTIN-Abo (25 Ausgaben) List um den Lippen. Manche müssen sich erst um 70 Euro Geschenkabo ab 70 Euro in Wut bringen, um stark zu sein. Ein Sturm voller Vernichtung brach über Förderabo ab 90 Euro mich herein. Etwas in mir, das ich nicht kann- te. Das mich zersprengte. Hammer sein, nicht Name: ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Amboss. Ich wollte vernichten und habe mich dabei auch selbst vernichtet. Hass und Adresse: ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Jähzorn sind ein furchtbares Unternehmen. DIE ERSTE Auch verletzter Stolz ist ein Funken zum Feu- ÖSTERREICHISCHE PLZ: –––––– Ort: –––––––––––––– Tel.: –––––––––––––––––––––– er. Ein Wort kann man zurücknehmen, eine BOULEVARDZEITUNG Tat nicht. Sie haftet und brennt auf der Haut. Die Rechnung Ich balanciere an den Randgebieten der Seele, geht an: Name & Adresse: ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– der Abgründe, der Angst. Meistens liebt man die am meisten, die uns verlassen haben. Ich (Nur bei Geschenkabo ausfüllen) –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– möchte ein Geständnis ablegen, sage ich. Wieso?, ist der diensthabende Beamte in der –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Wachstube verblüfft und fühlt sich gestört. Einsenden an: AUGUSTIN Reinprechtsdorfer Str. 31; 1050 WIEN ABO-Tel. 587 87 90/Fax 587 87 90-30 e h a DICHTER INNENTEIL NR. 222, 27. 2. – 11. 3. 08 39 Selbst der Strick ist zu teuer

9. 2. auch, der Volksmund. Wer ist nun dieser wenn man kein Klopapier Ich erfahre im TV vom Brand in einem Vor- legendäre Volksmund? In meinem Bekann- mehr hat. Ja, und in so arlberger Altersheim. Meine Mutter ist in tenkreis findet sich ein Edmund, ein Zeitungen mit einem ge- Oberösterreich in so einer Einrichtung. Und Raimund, aber ganz sicher kein Volksmund. wissen Mindestmaß an klarerweise macht man sich bei so einem Obwohl es bei den seltsamen Vornamen, Niveau wird schon seit TAGEBUCH Ereignis diverse Gedanken. Es gab nämlich mit denen Neugeborene derzeit bereits geraumer Zeit über hohe EINES mehr als 10 Tote. Man hörte auch von einer nach ihrer Geburt bestraft werden, durch- Lebenshaltungskosten ge- 92-Jährigen, die schwer verletzt im Spital aus auch einen Waldemar Volksmund wehklagt. Und egal, wo AUGUSTIN - liegt. Und was soll ich sagen? Es wird Pschistranek geben könnte. Sagt zumindest ich geh’, oder steh’, da tut bereits jetzt über den Termin gerätselt, zu mein weitschichtiger Bekannter Marvin mir mein Ohr schon so VERKÄUFERS dem die alte Dame bei »Vera« eingeladen Marcel Ochsenhofer. weh, weil verschiedenste sein wird. Denn diese Vera lässt ja bekannt- Schichten der lich kein peinliches Interview aus. Bevölkerung unter diesen beinahe schon 14. 2. verrückten Preisen leiden. Die Löhne dage- Valentinstag. Wahrscheinlich von Gärtnern, gen halten sich stark im Hintergrund. So 10. 2. Floristen und Chocolatiers erfunden, um die mancher vom Suizid gefährdete Mitbürger Wie wir alle wissen, ist jetzt Fastenzeit. Was tote Geschäftszeit im Winter zu reani- konnte andererseits von seinem Vorhaben in Zeiten der abnehmenden Religiosität ei- mieren. Ein Grund für viele Männer, ihre abgehalten werden, weil ganz einfach kein gentlich gar nicht mehr so wichtig sein soll- derzeitige Partnerin mit Blumen zu Budget mehr vorhanden war, um sich auch te. Aber trotzdem wird man allüberall mit überhäufen. Die Beweggründe dafür sind nur einen Strick zu kaufen. Und was tut die Tipps zum Thema Fasten überhäuft. Wer verschiedene. Die sind mir heute aber egal. Koalition dagegen? Weiterer Kommentar … nun aber ernsthaft fasten möchte, dem sei Mir geht es um den Verkauf unseres Fach- siehe oben. z. B. ein Mittagessen in der »Gruft« emp- blattes für soziale Ungereimtheiten an die- fohlen. Nicht wenige Menschen müssen das sem Jubeltag für Gärtner und Schokoladen- ganze Jahr über von dieser einen täglichen erzeuger. Ich rate so vielen Kollegen wie Mahlzeit leben. Denn das ganze beinahe möglich einmal den Spruch: »Zu Valentin 21. 2. schon zwanghafte Fasten hat bei den meis- einen Augustin« zu probieren. Wenn man Ich arbeite jetzt im Würfelshop 1190, ten Mitmenschen ja nur mit der Bikinifigur unsere Zeitung genau liest, dann kann man Muthgasse 105. Nicht weit von der U4-Sta- zu tun. Nur so am Rande erinnere ich mich, schon sehr blumige Artikel darin finden. tion Heiligenstadt. Dabei fällt mir auf, dass dass vor etlichen Jahren auf dem Titelbild Und der Augustin hält auch länger als die wir weit mehr Möbel gespendet der Zeitschrift »Die Ganze Woche« ein sehr durch-schnittliche Schnittblume. bekommen, als wir verkaufen. Also liebe dicker Kopf zu sehen war. Und die Über- Leute! Kommt doch mal auf Besuch und schrift lautete: »Bischof Krenn zum Thema seht euch bei uns um! Gottfried und das Fasten«. Einen weiteren Kommentar erspa- 15. 2. Team würden sich freuen. re ich mir aus strafrechtlichen Gründen. Sieh da, sieh da, Timotheus! Als ich vorü- [email protected] bergehend an einem Blumenstand vorbei- komme, muss ich sehen, dass die dort feil- 11. 2. gebotene Ware nur mehr 50 % vom Vorta- Es passiert des Öfteren, dass ich mir völlig gespreis kostet. Weitere Kommentare gedankenlos den einen oder anderen zwecklos, weil nicht jugendfrei. Schwachsinn im TV zu Gemüte führe. AUGUSTIN Schreibwerkstatt Wenn man allerdings zu psychischen Erkrankungen neigen sollte, dann ist der 16. 2. Diesmal »Genuss« so mancher Sendungen gar nicht Viele Leute gehen gerne tanzen. Das ist ihr so gut. Ein seltsamer Brauch hat sich derzeit gutes Recht. Darum eilen sie aufgrund des Mittwoch bei verschiedenen Sendern eingeschlichen. heuer so kurzen Faschings nach wie vor von 12. März, Nämlich, dass alles Mögliche gesucht wird. einem Ball zum anderen. Was man dann Superstars, Dancingstars, Superbauern und über die Eintrittspreise so zu hören be- 18–20 Uhr was weiß ich noch alles. Wenn es mit dieser kommt, das spottet jeder Beschreibung. 65 seltsamen EU-Politik zum Thema Landwirt- Euro und mehr nur für den Eintritt! Davon schaft so weitergeht, dann befürchte ich in leben viele meiner KollegInnen eine ganze 1050 Wien, nicht allzu ferner Zukunft die Sendung Woche! Weiterer Kommentar entfällt, weil Reinprechtsdorfer »ÖSDPB« = Österreich sucht den Psycho- … siehe oben. bauern«. Straße 31 im Hof 17. 2. 13. 2. Man glaubt es kaum, aber ich lese sehr ger- Gäste willkommen Gut Ding braucht Weile. Sagt der Volks- ne Tageszeitungen. Wohlgemerkt Zeitungen mund. Eile mit Weile. Sagt auch der Volks- und nicht »Österreich« oder »Heute«. Die mund. Und ganz viele andere Sachen sagt er sind relativ gut für einen Campingurlaub,