Kirche Im Liberalen Bürgerstaat

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Kirche Im Liberalen Bürgerstaat Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg KARL-HEINZ BRAUN Kirche im liberalen Bürgerstaat Das Erzbistum von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Monarchie 1918 Originalbeitrag erschienen in: Heribert Smolinsky (Hrsg.): Geschichte der Erzdiözese Freiburg Freiburg: Herder, Bd. 1 (2008), S. 121-210 Karl-Heinz Braun Kirche im liberalen Bürgerstaat. Das Erzbistum von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Monarchie 1918 1. Staatskirchentum Politisch-kultureller Hintergrund Christentum und aufstrebendes Bürgertum, wie verhalten sie sich zueinander? Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist in Baden wesentlich von dieser Frage- stellung bestimmt. Weniger ausgeprägt gilt dies für die durch Staatsvertrag vom 7. Dezember 1849 an Preußen übergebenen Fürstentümer Hohenzollern-Sigma- ringen und Hohenzollern-Hechingen. 1 Sowohl in den Jahren nach der Französischen Revolution als auch nach der ba- dischen Revolution 1848/49 profilierte sich das (städtische) Bürgertum mit einem beachtlichen Selbstbewusstsein. Das wirkte sich auf das offizielle Verhältnis von Kirche und Staat ebenso aus wie auf die individuelle Einstellung gegenüber kirchlichen Ansprüchen überhaupt. Gleichzeitig war das Papsttum unter Gregor XVI. (1831-1846) 2 bestrebt, sei- nen Einfluss auf die Katholiken auch in Deutschland zu verstärken. Einen er- heblichen Anteil an diesem Prozess hatten die Nuntiaturen, die ihrerseits immer mehr von einer zentralen Verwaltungsstelle, dem Kardinalstaatssekretariat des Papstes, dirigiert wurden. In beiden divergierenden Entwicklungen, dem bür- gerlich-liberalen Emanzipationsprozess einerseits und dem Bemühen Roms um eine stärkere Einflussnahme auf das kirchliche wie gesellschaftliche Leben in den einzelnen Ländern andererseits, lag bereits ein erhebliches Spannungs- potential, das die nächsten Jahrzehnte markant prägen sollte. Das gilt auch für andere Regionen des Deutschen Bundes, in hohem Maß für Frankreich, auch für Norditalien und andere Länder, freilich mit jeweils regional unterschiedlichen Zugangsweisen und Versuchen, solche Probleme zu lösen. In Baden entstand in dieser Zeit eine liberale Partei, die das gesellschaftliche Bewusstsein von neuer Bürgerlichkeit in die Politik transponierte und bisweilen in höchster ideologischer Grundsätzlichkeit den Kampf gegen kirchliche Bemü- hungen um eine profiliertere Selbstbestimmung in bisher ungewohnter Weise 121 Karl-Heinz Braun entfachte. Innerhalb der Kirche Deutschlands besaßen die sog. Kölner Wirren 1837 bis 18413 eine beachtliche, wenn auch verdeckte Wirkungsgeschichte: es war deutlich geworden, dass staatliche Bestimmungen an katholischem Selbst- bewusstsein scheitern konnten. Daraus folgerten gewisse kirchliche Kreise eine entschiedene Selbstständigkeit gegenüber dem Staat, besonders dann, wenn er wie in Baden von einem protestantischen Herrscherhaus und einer liberalen bürgerlichen Führungsschicht repräsentiert wurde, und verlangten diesen ge- genüber ein emanzipatorisches Auftreten der Kirchenleitung. Diese Profilie- rungsbestrebungen galten jedoch nicht nur gegenüber solchen Regierungen, son- dern auch den Gläubigen überhaupt, die dadurch religiös geführt und politisch in ihrer Einheitlichkeit ein wirksameres gesellschaftliches Potential darstellen sollten. Am Ende des Neunzehnten Jahrhunderts wird sich dieses Programm als weitgehende römische Durchstrukturierung des Katholizismus durchgesetzt haben und sogar vielen als selbstverständlich konsequent erscheinen. Vertreter solcher Kirchlichkeit nannte man „Ultramontane", da sie sich in ihren Maximen „jenseits der Berge" (d.h. aus deutscher Sicht: hinter die Alpen, also nach Rom) ausrichteten. In Baden stellen sich die 40er Jahre des 19. Jahrhunderts als jene Inkubationszeit dar, in der sich besonders über die Publizistik ein ultramontanes Bewusstsein äußern und verbreiten konnte.' i . Zunächst waren die Jahre nach den revolutionären Unruhen 1848/49 durch. Konsolidierung gekennzeichnet. Die badische Politik bemühte sich bei den Bür- gern um die „Wiedergewinnung des Vertrauens" 5, das vor und nach den Revoluti- onen stark abgenommen hatte. Programmatische Reden wie noch ein Jahrzehnt zuvor durch Rotteck, Itzstein, Welcker oder Hecker fehlten in den Karlsruher Parlamentsdebatten; es ging weit vorsichtiger und differenzierter zu. Gerade die liberale Partei trug wesentlichen Anteil an dieser Politik. Auf diese Weise mau- serte sie sich von der „Umsturzpartei" hin zu einer bürgerlichen Repräsentanz und schuf so „die Grundlagen [...] für den Umschwung von 1860". 6 Kirchliche Emanzipationen Politisch gesehen kam die Wende von Seiten der katholischen Kirche, „deren Ver- treter den Augenblick für gekommen hielten, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche auf eine neue Basis zu stellen" 7. Das galt auch für den Freiburger Erzbi- schof Hermann von Vicari. Er, der Revolutionen grundsätzlich ablehnte und im Gegensatz zu seinem Domkapitel nicht am Empfang der Revolutionsregierung am Freiburger Bahnhof teilgenommen hatte, profitierte an der Niederschlagung der Revolution und nutzte seinen Autoritätsgewinn, um ihn mit konkreten Wün- schen nach gewissen Veränderungen innerhalb des Staatskirchensystems zum Ausdruck zu bringen. Doch übersahen sowohl der Erzbischof als auch die Vertre- 122 Kirche im liberalen Bürgerstaat ter der katholischen Kirche in Öffentlichkeit und Politik, dass die gesellschaft- lich-politische Konsensfä.higkeit gegenüber ihren immer deutlicher geäußerten Plänen weit geringer war, als sie es sich in ihren „Idealvorstellungen" ausmalten. Diese waren zunächst nur innerhalb eines gewissen konfessionell-katholischen Bewusstseins beheimatet, das in einer Papsthörigkeit und -verehrung ihr höchstes Sicherungsmoment erkannte. Ziel ihres politischen Handelns war die Eroberung eines größeren Freiheits- und Gestaltungsraumes für die katholische Kirche in Baden. Man wollte sich dem dirigistischen Zugriff des Staatskirchentums entzie- hen. In der Frage, wie stark das im großherzoglichen Baden praktizierte Staats- kirchensystem beseitigt oder nur in wesentlichen Bereichen modifiziert werden sollte, gab es auch unter den katholischen Repräsentanten höchst unterschied- liche Auffassungen. Sowohl der Erzbischof als auch sein Domkapitel gehörten zunächst nicht zu den Protagonisten dieser neuen Richtung. Doch hinterließen die revolutionären Ereignisse 1848/49 und deren militärische Niederschlagung Eindrücke, die manche bisherige Positionierung veränderte. Ein undifferenzier- tes „Weiter so", eine stete Orientierung an den Jahren vor der Revolution über- zeugte in kirchlicher Hinsicht nicht mehr. So kam es, dass sich die Emanzipation des Katholizismus faktisch gegen die konservativen Regierungen nach 1848 rich- tete; und das, obwohl gerade diesen an einem friedlichen Ausgleich sehr gelegen war und deren Zielsetzungen mit den Idealen der Kirchenleitung beachtliche Interessenüberlagerungen aufwiesen. Die Dialogbereitschaft der Staatsbehörde bestätigte zunächst das kirchliche Begehren nach Veränderung, obwohl die Regierung keineswegs an eine grund- sätzliche Modifikation des badischen Staatskirchentums dachte. Katholische Kirchenpolitiker verkannten die generelle Praktikabilität ihrer Vorstellungen. — gerade im Hinblick auf die badische Führungsaristokratie und ihre parlamen- tarische Gewichtung. Im Windschatten des Ringens kirchlicher Vertreter um einen wachsenden Freiraum kirchlicher Selbstbestimmung — etwa in den Verhandlungen um ein Konkordat —, entwickelten sich die Liberalen zu einer politischen Alternative gegenüber der konservativen Regierung. Gerade die katholische Sicht des Indi- viduums und der Gesellschaft wurde faktisch immer mehr zum Widerpart li- beraler Definitionen. Dass diese zu politischen Auseinandersetzungen führten, lag langfristig am wenig liberalen Auftreten der liberalen Regierungspartei. Zu bedenken gilt jedoch auch, dass diese Politik die Spannungen zwischen der ka- timlischen Kirche und einem von ihren kulturellen Maßstäben und Settings sich elenden Bürgertum zum Ausdruck brachte. Dieses befand sich hauptsächlich im städtischen Bereich, in Mannheim, Heidelberg, Karlsruhe, Freiburg und Konstanz, vereinzelt auch in kleineren Städtchen wie z.B. Lahr oder Lörrach. Im weitgehend ländlichen Gebiet dominierten agrarisch orientierte Verhältnisse. In 123 Karl-Heinz Braun den Jahresverlauf drangen kirchliche Feste und Riten mit noch anderer Nachhal- tigkeit als im städtischen Bereich ein. Hier besaß die katholische Kirchlichkeit einen selbstverständlicheren Einfluss. Nun zeigt sich in der politischen Mikroperspektive eine solche Konstrastie- rung noch differenzierter, zumal sich Religion sowohl in ihren Repräsentanten als auch in ihren Gläubigen stets in kulturellen Kontexten und Vorstellungen bewegte, die gerade im Erzbistum Freiburg keineswegs einheitlich waren. Schon deshalb darf der Katholizismus nicht von vornherein auf eine gleichförmige In- teressenslage reduziert werden. Bezüglich einer katholisch kirchlichen Entschie- denheit konnte dennoch in gewisser Hinsicht ein Nord-Südgefälle beobachtet werden. Hegau und Bodenseeraum waren weniger bereit, einen Ultramontani- sierungsschub zu unterstützen als nördlichere Gebiete der ehemaligen Bistümer Würzburg, Speyer oder auch Straßburg. Aus Traditionen moderat aufgeklärter Rechtsvorstellungen speiste sich das Bewusstsein, im „monarchischen" Regierungsprinzip die Sicherung kirchlicher Lebensäußerungen gewährleistet zu sehen. Das galt für die kanonische Kirchen- leitung ebenso wie für die staatliche Führung. Dieser Überzeugung war auch der Freiburger
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