<<

FRANZ Margit, Transnationale und transkulturelle Ansätze in der Exilforschung am Beispiel der Erforschung einer kunstpolitischen Biographie von Walter Langhammer. In: Franz Margit et al (Hrsg.), Mapping Contemporary History. Zeitgeschichten im Diskurs. Wien, Köln, Weimar 2008, S. 243-272.

Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung am Beispiel der Erforschung einer kunstpolitischen Biographie von Walter Langhammer

Margit Franz

Firstly, let’s divest ourselves of the temporal error that aes[thetic] experience is funda- mentally the same everywhere. Th e aim and purpose of art and indeed of all cultural activities diff ered rather widely at various continents and ages. It is common know- ledge that the great philosophies and religions diff ered not only in their answers to the problem of human thought but also in the question they primarily posed. Yet it is still often assumed that artistic creations anywhere have a common ideal. Once we realize that works of art not only spoke diff erent languages but also served diff e- rent motives at various times and continents we gain a much wider perspective for contemplating the eff ects of cultural infl uences. Does it not seem natural, from this viewpoint, that external infl uences were more eff ective, ’fall on fertile soil‘, if they originated from congenial sources and that they remained ineff ective if they came from a substantially alien ideology? If we refl ect how far Christian dogmatism and European aesthetics, which developed from classical Greece, diff ered for 2000 years from Asiatic philosophies and oriental art forms would we perhaps fi nd a clue to the insignifi cance of European infl uences on Indian art in the past?

If this line of speculation is correct it would also help to explain why European cul- tural infl uences increased in our age. I think that fast and intensive communication is less important than the breaking down of ideological barriers between the continents. Religious fervour has been declining both in Europe and Asia and has ceased to be ideological nucleus of social and cultural life. Whatever spiritual diversities still exist between and European ideas and beliefs are no longer orthodox enough to form an obstacle to cultural exchange. It seems therefore inevitable that in this age of cultural reconciliation Europe an infl uences have become fruitful stimulants in Indian art.1

1 Walter Langhammer, European Infl uences to Indian Art. Maschinschriftliches Manuskript. Kekoo Gandhys Langhammer Archiv: derzeit Prof. Partha Mitter, Oxford, UK.  Margit Franz

Walter Langhammer2 beschreibt in seinen Überlegungen zum Th ema „European Infl u- ences to Indian Art“ Globalisierungsprozesse und ruft gleichzeitig zur Abkehr vom Uni- versalismus und von kulturell-homogenisierten Strukturen und Denkordnungen auf, wo- bei er auch auf den Kulturtransfer in einer stetig zusammenwachsenden Weltgesellschaft eingeht und diesem einen stimulierenden Impulsfaktor zuschreibt.

Einleitung

Anthony Giddens setzt diesen Globalisierungsprozess mit dem der Moderne gleich und defi niert ihn als Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, als Verdichtungsmoment unterschiedlicher Vernetzungsvorgänge, als multidimensionale Verfl echtungsprozesse, de- ren Resultate dialektische Prozesse sind. Dies versucht Roland Robertson mit seinem Be- griff der „Glokalisierung“ („Glocalization“)3 auszudrücken, einer permanenten Interaktion von lokalen und globalen Einfl üssen, die eine Mischung zwischen Homogenisierung und Heterogenisierung zu Tage bringt. Roland Robertson und Stuart Hall weisen seit Beginn der Globalisierungsdiskussion auf die Bedeutung hin, auch das oppositionelle Potential von Globalisierung in die Erkenntnis einzubeziehen, indem sie der „de-localization“ eine „re-localization“ bzw. „re-nationalization“ gegenübergestellt haben.4 Globalisierung ist so- mit als ein widerspruchsvoller Prozess zwischen Universalismus und Partikularismus zu verstehen. Vor allem unter kultureller Globalisierung sind dialektische Prozesse zu verste- hen. Der Migrationsforscher Ludger Pries führte in den späten 1990er Jahren in Anlehnung an Pierre Bourdieus „sozialen Raum“ den Begriff des „transnational sozialen Raumes“

2 Dieser Aufsatz entstand im Rahmen eines vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank fi - nanzierten Forschungsprojektes zu „Walter Langhammer: Graz – Vienna – Bombay – London. Media- tor between Arts/ Cultures/ Worlds/ Realities & Continents“, das von September 2006 bis Dezember 2007 unter der Leitung von Helmut Konrad durchgeführt wurde. Es stellt die erste diesbezügliche Pu- blikation zum Einfl uss einer mitteleuropäischen Emigrantengruppe auf das künstlerische Leben, ins- besondere auf die moderne Malerei und ihre Produktionsbedingungen in der jungen postkolonialen Metropole Bombay dar. 3 Roland Robertson, Glokalisierung: Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit, in: Ulrich Beck (Hrsg.), Perspektiven der Weltgesellschaft, Frankfurt/Main 1998, S. 192-220. 4 Stuart Hall, Th e Local and the Global. Globalization and Ethnicity, in: Anthony D. King (Hrsg.), Cul- ture, Globalization and the World-System. Contemporary Conditions for Representation of Identity, Minneapolis 21998, S. 19–30. Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung  ein, welcher von ArbeitsmigrantInnen geschaff ene, geographisch-räumlich diff use, sozi- ale „Verfl echtungszusammenhänge“ bezeichnet und sich auf folgenden Ebenen abbildet: politisch-legaler Rahmen, materielle Infrastruktur, soziale Strukturen und Institutionen, Identitäten und Lebensprojekte.5 Darunter sind somit „soziale Landschaften“ (Appadurai) zu verstehen, in denen sich eben diese „sozialen Verfl echtungszusammenhänge“ (Elias) entwickeln. „Transnationale soziale Räume“ bezeichnen somit Lebens- und Handlungszusammen- hänge, die regelmäßigen, da identitätsstiftenden Kontakt über nationalstaatliche Gren- zen hinweg erfordern. Es werden in der Forschung zunehmend unterschiedliche Kulturen auch innerhalb von Staaten wahrgenommen bzw. verschiedene Milieus und soziale Räume diff erenziert, weil sich transkulturelle soziale Räume, die stetig kulturelle Grenzen über- schreiten und diesbezügliche Lebens- und Handlungszusammenhänge ausbilden, verstärkt entwickeln. Arjun Appadurai bezeichnet diese im Zuge verstärkter Globalisierungsten- denzen als „imaginierte Landschaften“, als „scapes“, die er in den Bereichen Medien („me- diascape“), Technologie („technoscape“), Finanz („fi nancescape“), Ideologie („ideoscape“) und Ethnien („ethnoscape“) ansiedelt.6 Darunter sind Ströme von Informationen und Netzwerke von identitätsstiftenden Beziehungen verbunden mit kulturellen Handlungen zu verstehen, die im steten Fließen der unterschiedlichen Ebenen immer wieder neue Zu- sammensetzungen produzieren. Ein analytischer Blick muss sich daher auch von kulturell-homogenisierten Denk- strukturen befreien und dem Pluralen, dem Sowohl-als-auch, dem Hybriden, dem Trans- nationalen, dem Transkulturellen öff nen – Widersprüche zulassend. Räume werden zu Netzwerken, Räume werden zu Strömen, Räume werden zu Brücken, welche als Verstän- digungsprozesse interpretiert werden können. Friedensnobelpreisträger Oscar Arias be- schreibt einen Weltbürger als jemanden, der Unterschiede als natürliche und willkommene Eigenschaften ansieht; auf diesen sogar aufbaut, indem ein hybrider Raum, ein „dritter Raum“, entworfen wird – an den Bruchlinien der Grenzen, der Fremdheiten und Unter- schiede. Homi Bhabha beschrieb diesen „produktiven Zwischenraum“, das „Dazwischen“, den „dritten Raum“ als kreativen Handlungs- und Konfl iktraum, in dem kulturelle „Ver- handlungen“ in einen Zustand der Hybridität münden. Exil als kontinuierliche Konfronta-

5 Ludger Pries, Transnationale soziale Räume. Th eoretisch-empirische Skizze am Beispiel der Arbeitswan- derungen Mexiko-USA, in: Beck, Perspektiven der Weltgesellschaft, S. 75. 6 Arjun Appadurai, Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization, Minneapolis - London 1996; Arjun Appadurai, Globale ethnische Räume. Bemerkungen und Fragen zu einer Entwicklung einer transnationalen Anthropologie, in: Beck, Perspektiven der Weltgesellschaft, S. 11–40.  Margit Franz tion mit Diskontinuitäten, Brüchen und Diff erenzen eröff net diese unfreiwilligen „Freiräu- me“ (Widerspruch intendiert!). „Das Bild von der Brückenfunktion des Migranten erlaubt es, diesen nicht mehr negativ als Außenseiter zu konnotieren, sondern in ihm gleichzeitig einen kulturellen Wegbereiter einer Verständigung zwischen unterschiedlichen Geistes- und Werthaltungen zu sehen.“7 Schon 1986 prognostizierte Paul Michael Lützeler der Exilforschung „eine Mittler- funktion zwischen Kulturkreisen“: „Sie könnte aufgrund ihrer komplementären Doppelper- spektiven von Innen- und Außensicht zu einem kulturellen Ferment werden, das zur Über- windung von Ethnozentrismus, unrefl ektierter Enkulturation und Xenophobie beiträgt.“8 All diese Überlegungen könnten aber auch den linearen Gedanken von Kulturtransfer, die von Ausgangs- und Zielkultur mit Vermittlungsinstanz(en) ausgehen, diversifi zieren und Gedanken zu einem „neutralen Kulturtransfer“ einleiten. Basierend auf sich perma- nent verändernden Netzwerken, in unterschiedliche Richtungen, Ausformungen und In- tensitäten agierend, kann durch eine Auseinandersetzung mit dem Fremden als Reiz, als Anregung, als Herausforderung des Eigenen, durch das Einbringen von Neuem, Internati- onalem in eine sich konstituierende nationalstaatliche Moderne – wie es im postkolonialen Indien passierte – Neues im „Dazwischen“ entstehen, das Elemente unterschiedlicher Kul- turen, Zusammensetzungen und Verschmelzungsstadien enthält. „Die Vermittlung zwi- schen dem Eigenen und dem Fremden, die den Standort des Hybriden bezeichnet, kommt dabei beiden Seiten zugute. Der Exilant als Vermittler zwischen den Kulturen [...] kann als Modell für die Existenz im Exil schlechthin gelten [Hervorh. M. F.].“9 Auch die ForscherInnen selbst sind gefordert, transnational und transkulturell zu agie- ren, sich in unterschiedlichen Kulturen zu bewegen, zwischen ihnen zu bewegen, sich ein- zubringen und damit aktiv zur Überwindung des Dualismus beizutragen, der durch die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts generiert wurde (Said).10 Aber Einteilungen werden gerade im Zeitalter von Transformationen brüchig, Defi niti-

7 Andrea Reiter, Diaspora und Hybridität: Der Exilant als Vermittler, in: Armin Eidherr/Gerhard Lan- ger/Karl Müller (Hrsg.), Diaspora – Exil als Krisenerfahrung: Jüdische Bilanzen und Perspektiven, Wien 2006 (Zwischenwelt 10), S. 45. 8 Paul Michael Lützeler, Exilforschung: Interdisziplinäre und interkulturelle Aspekte, in: Helmut F. Pfan- ner (Hrsg.), Kulturelle Wechselbeziehungen im Exil – Exile across Cultures (Studien zur Literatur der Moderne 14), Bonn 1986, S. 363. 9 Reiter, Diaspora und Hybridität, S. 45; vgl. auch: Michaela Wolf/Georg Pichler, Übersetzte Fremdheit und Exil – Grenzgänge eines hybriden Subjekts. Am Beispiel Erich Arendt, in: Claus-Dieter Krohn et al. (Hrsg.), Übersetzung als transkultureller Prozess (Exilforschung 25), München 2007, S. 7–29. 10 Edward W. Said, Orientalismus, Frankfurt/Main – Berlin – Wien 1981. Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung  onen, „Stereotypen und vereinfachende Kategorien, die das Denken und die Kommunika- tion der Menschen untereinander so sehr behindern, [sind] zu durchbrechen”11, Kategorien sind zu hinterfragen. Der Tradition Michel Foucaults und Edward Saids folgend gilt:

Ein Intellektueller ist wie ein Schiff brüchiger, der gewissermaßen mit dem Land zu leben lernt, nicht auf ihm – nicht wie Robinson Crusoe, dem es darum ging, sein kleines Eiland zu kolonisieren, sondern eher wie Marco Polo, den niemals sein Sinn für das Wunderbare verließ und der immer ein Reisender war, ein zeitweiser Gast, kein Beutemacher, kein Eroberer, kein Aggressor.12

Vor allem in Forschungsdisziplinen, die sich mit außereuropäischen, trans-, multi- und interkulturellen Agenden befassen, sind empathische ForscherInnen gefordert, die selbst diese Kulturen erlebt, erspürt haben, aber insbesondere fähig und bereit sind, Perspektiven zu wechseln und sie kritisch in den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext einzuschreiben.

Wer war nun Walter Langhammer?

Walter Carl Maria Langhammer wurde am 19. April 1905 als ältester Sohn von Karl und Katharina Langhammer in Graz geboren. Nach seiner Schulzeit zog er nach Wien, um an der „Künstlerakademie“ zu studieren. Langhammer besuchte die Allgemeine Malerschule bei den Professoren Ferdinand Andri, Hans Tichy und Josef Jungwirth von 1923 bis 1927 und schloss mit der Meisterschule für Malerei bei Prof. Jungwirth im Sommer 1928 sein Studium ab.13 In Wien machte er sich mit Landschaftsmalerei, Porträts und Karikaturen – seiner „kleinen Leidenschaft“ – einen bescheidenen Namen.

Die Wände der Reiss-Bar in der Inneren Stadt tragen Hunderte seiner kleinen stark farbigen Aquarelle, auf denen Prominente des geistigen Lebens ergötzlich festgehal- ten sind. Auf der Internationalen Karikaturenausstellung des Künstlerhauses waren diese Blätter als größere Kollektion ausgestellt und fanden den verdienten internati- onalen Erfolg.14

11 Edward W. Said, Götter, die keine sind. Der Ort des Intellektuellen, Berlin 1997, S. 135. 12 Said, Götter, die keine sind, S. 66–67. 13 Universitätsarchiv der Akademie der bildenden Künste Wien, Schülerakten. 14 Österreichische Kunst, 6 (1935) 5, S. 11.  Margit Franz

Durch die Heirat mit Käthe Urbach im Jahre 1928, der einzigen Tochter des jüdischen, sozialdemokratischen Bezirksvorstehers des ersten Wiener Gemeindebezirks, Dr. Otto Ur- bach, hatte er auch Zugang zu führenden sozialdemokratischen Kreisen und erhielt einige Aufträge für die Fertigung von Plakaten für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei15 sowie für Illustrationen in sozialdemokratischen Zeitschriften wie Der Jugendliche Arbeiter und für Kalender.16 Obwohl er kein Mitglied des „Künstlerhauses Wien“ war, beteiligte er sich an zahl- reichen Ausstellungen in den 1930er Jahren. Sein Einkommen fand er als Zeichenlehrer u. a. am Humanistischen Gymnasium Kundmanngasse in Wien. Manche Quellen lassen eine Lehrtätigkeit an der „Frauenakademie Wien“ vermuten, können aber aufgrund der Zerstörung des Archivs nicht bestätigt werden. Private Zeichenstunden fetteten sein Ein- kommen auf und führten ihn auch mit jener Person zusammen, die ihm – nach der Macht- übernahme der Nationalsozialisten in Österreich – einen Weg ins Exil eröff nete.

Th ere was this Parsi girl called Silloo Vakil from Bombay who was studying with him and she used to say to him, ‘Walter, you must come to India one day,’ and he would say ‘Ja, ja.’ So when Hitler came along and he had to leave Austria, he wrote to Vakil, saying that he would like to come to India. And she walked into the offi ce of Sir Francis Low, editor of Th e Times of India, and said, ‘I am the daughter of Rotarian Vakil and I would like you to promise me something.’ She was cheeky enough to do that. Th e result was that Langhammer was appointed as the fi rst art director of the TOI [= Times of India, Anm. M. F.].17

Die politische Gesinnung seines Schwiegervaters, die jüdische Herkunft seiner Schwieger- familie und seine eigene politische Einstellung zwangen ihn 1938 nach einer vierjährigen inneren Emigration endgültig, einen Weg aus Österreich zu fi nden. Nachdem Otto Ur- bach im August 1938 verstorben war, verließen Walter und Käthe Langhammer im Sep- tember des selben Jahres den Kontinent Richtung Indien – mit nur zehn Reichsmark, aber einer Arbeitszusage für die größte englischsprachige Zeitung des indischen Subkontinents in der Tasche. Die Schwiegermutter, Charlotte Urbach, folgte im April 1939 und lebte fort-

15 Österreichische Nationalbibliothek, Plakatsammlung. 16 Für diese Informationen bin ich Herrn Dr. Josef Seiter zu großem Dank verpfl ichtet. 17 Kekoo Gandhy, Th e Beginnings of the Art Movement, in: Seminar (2003) 528, in: , 18. 10. 2007. Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung 

Abb. 1: „Portrait of Mrs. Shirin Vimadalal“18 Walter Langhammer gewann mit diesem Porträt seiner Förderin die Goldmedaille 1939. an mit18dem Ehepaar19 – nicht immer zu Walter Langhammers Wohlgefallen. In Bombay stellte sich der künstlerische Erfolg umgehend ein. Bereits 1939 gewann er die Goldmedail- le der „Bombay Art Society“20 und war integraler Bestandteil des künstlerischen Lebens in der Metropole am Arabischen Meer.

18 Silloo war der Kosename für Shirin Vimadalal, geborene Vakil (Abbildung: Bombay Art Society). 19 Archiv der Stadt Wien, Meldeakten. 20 Bombay Art Society (Hrsg.), Golden Jubilee Exhibition 1939, Bombay 1939, S. 93. Bombay war bis Mitte der 1990er Jahre die Bezeichnung für das heutige .  Margit Franz

Abb. 2: Anti-Nazi-Karikatur vom 29. Juni 194321

Walter Langhammer hatte schon in21Österreich Anti-Nazi-Karikaturen veröff entlicht, in Indien schaff te er es im Juni und Juli 1943 mit dem selben Genre mehrmals auf die Ti- telseite der aufl agenstarken Times of India. Die in Österreich veröff entlichten Anti-Nazi- Karikaturen hatten auch die Entlassung aus der Internierung 1940 initiiert. Nach der ersten Internierungswelle bei Kriegsausbruch 1939, die alle männlichen „enemy aliens“ über 16 Jahre betraf – wobei viele Internierte in den folgenden Wochen wieder entlassen wurden – folgte eine zweite Internierungswelle im Frühjahr 1940 nach der Besetzung Frankreichs durch Hitlerdeutschland und der verstärkten Gefahr einer Invasion am indischen Subkon- tinent selbst, welche nun auch Frauen und Kinder einschloss.22 Walter Langhammer war in Ahmednagar interniert, seine Ehefrau und seine Schwiegermutter in Satara, einem „Parole

21 Anti-Nazi-Karikatur, Titelblatt Times of India vom 29. Juni 1943 (Abbildung: Kekoo Gandhys Langham- mer Archiv) 22 Joachim Osterheld, British Policy towards German-speaking Emigrants in India 1939-1945, in: Anil Bhatti/Johannes Voigt (Hrsg.), Jewish Exile in India 1933-1945, New Delhi 1999, S. 25-44. Allgemein zu Exil in Indien: Margit Franz, „Passage to India“. Österreichisches Exil in Britisch-Indien 1938-45, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.), Jahrbuch 2007, Münster 2007, S. 196- 224. Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung  settlement“ Lager.23 Käthe Langhammer veranlasste Rudy von Leyden, den besten Freund Langhammers, der aus politischen Gründen und aufgrund seiner jüdischen Abstammung schon 1933 nach Indien gekommen war, bereits bei Kriegsausbruch in Besitz eines bri- tischen Passes und wie Langhammer im Kunst- und Publizistikbereich tätig war, Kopien dieser Karikaturen an die betreff enden Stellen zu schicken, um die politische Gesinnung und die Loyalität zum britischen Machtapparat (Times of India war in britischer Hand) zu demonstrieren. Die Initiative trug Früchte; die Langhammers kehrten nach Bombay zurück, wo Käthe von 1942 bis 1946 als Zensorin für die britische Armee arbeitete.24 Bombay war in den späten 1940er und 1950er Jahren sowohl die Kulturhauptstadt des jungen indischen Nationalstaates als auch das Finanzzentrum des unabhängigen Indiens und wurde somit seiner Metropolenstellung als zweitgrößte Stadt des vormaligen Bri- tischen Empires auch im postkolonialen Indien gerecht. Hier waren Käthe und Walter Langhammer überaus aktive Mitglieder des „Bombay Art Society Committee“ und di- verser anderer Kunstgruppen, wobei ihre Unterstützung für die „Progressive Artists’ Group“ (PAG) eine sehr hohe kunsthistorische Bedeutung für die indische moderne Malerei hat. Gemeinsam mit Rudy von Leyden, dem außergewöhnlich engagierten Kunstkritiker der Times of India, dem Kunstsammler und Wiener Emigranten Emmanuel Schlesinger und dem indischen Geschäftsmann und späteren Galeristen Kekoo Gandhy bildeten sie den Kern eines Netzwerkes zur Förderung für die unbekannten und aus der Tradition der bri- tisch-indischen Moderne ausscherenden Künstler.

Th ey were initiated into international modernism by three refugees from Vienna who were resident in the city in the 1940s: Walter Langhammer, Rudi von Leyden and Emmanuel Schlesinger, who helped wean these artists away from the provincial modernism of Britain. Th e Progressive Artists were some of the main architects of Indian modernism, who came to fruition in Nehruvian India.25

23 Ahmednagar wie Satara waren ehemalige britische Militärlager, die sich im heutigen Bundesstaat Maharashtra in der Nähe der Stadt Poona befanden. In Ahmednagar wurden bis 1941 männliche Zi- vilinternierte festgehalten. In Satara errichtete man ein „Parole Settlement“, ein Zivillager ohne Stacheldraht,vornehmlich für Familien und Frauen; es bestand bis Ende 1946. 24 Interview Käthe Langhammer, 1993, London, UK. Dankenswerterweise von Yashodhara Dalmia zur Verfügung gestellt. Transkription: Margit Franz. 25 Partha Mitter, Th e Triumph of Modernism. India’s Artists and the Avantgarde 1922–47, London 2007, S. 227; vgl. auch: Partha Mitter, Th e Indian Avant Garde in the 1940s: Social Commitment versus For- malism, in: National Gallery of Art, Center for Advanced Study in the Visual Arts (Hrsg.), Center 26, Record of Activites and Research Reports. June 2005–May 2006, Washington 2006, S. 121–124.  Margit Franz

Mitglieder dieser Gruppe sind heute das „Who is Who“ der indischen modernen Ma- lerei und repräsentieren die Elite der aufstrebenden indischen Maler am Weltkunstmarkt. Die sechs Gründungsmitglieder waren K. H. Ara, S. H. Raza, M. F. Husain, S. K. Bakre, H. A. Gade und F. N. Souza. Später sind vor allem folgende Künstler mit der Gruppe asso- ziiert worden: V. S. Gaitonde, Krishen Khanna, Ram Kumar, , Akbar Padamse und Bal Chabda.26 Sie wurden zu einem künstlerischen Sprachrohr des neuen, unabhängigen Indien, ihre Bewegung war eine nationalistische – radikal aber auch den indigenen Kulturen und ihren Ausdrucksformen verhaftet. M. F. Husain erinnert sich:

We came out to fi ght against two prevalent schools of thought of these days […] the Royal Academy, which was British-oriented, and the revivalist school in Mumbai, which was not a progressive movement. Th ese two we decided to fi ght, and we de- molished them. Th e movement to get rid of these infl uences and to evolve a language that is rooted in our own culture, was a great movement, and one historians have not taken note of. It was important because any great change in a nation’s civilization begins in the fi eld of culture. Culture is always ahead of other political and social movements.27

Aber auch Walter Langhammer selbst machte sich einen Namen als Künstler. Seine über- aus populären, farbintensiven, aber doch realistischen Porträts der Reichen und Berühmten des Nachkriegsindien zieren noch heute Wohn- und Repräsentationsräume indischer High-Society-Kreise. Jährlich stellte er seine Kunstwerke einem zunehmend interessier- ten Publikum in den größten öff entlichen Sälen zur Schau. Seine Ausstellungen wurden von den „Governors of Bombay“ bzw. Persönlichkeiten aus dem öff entlichen Leben der Metropole eröff net, in vielen Zeitungen besprochen und waren jahrelang ein Fixpunkt des künstlerischen Lebens in Bombay. In der Times of India hatte er neben dem Aufgabenbereich des „Art Directors“, der die künstlerische Gestaltung aller Publikationen der Times of India (u. a. Morgen- und Abendausgabe, Economic Times) beinhaltete, auch die künstlerische Herausgeberschaft

26 In Indien werden lange oder mehrteilige Vornamen üblicherweise mit den jeweiligen Anfangsbuchstaben abgekürzt. Zur Information eine Liste der „vollen“ Namen: Krishnaji Howlaji Ara, Syed Haider Raza, Maqbool Fida Husain, Sadanand K. Bakre, Hari Ambadas Gade, Francis Newton Souza als Gründungs- mitglieder und Vasudeo S. Gaitonde von den späteren Mitgliedern. 27 Zit. in: Aman Nath, Horizons. Th e Tata-India Century, 1904–2004, Mumbai 2005, S. 200. Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung  für die Illustrated Weekly, eine farbige Wochenausgabe der Times of India, und der Times Annuales übernommen. Trotz künstlerischem und ökonomischem Erfolg waren die Langhammers 1957 ge- zwungen, das Land zu verlassen; eine chronische Diarrhoe hatte Walter Langhammer letztendlich fast das Augenlicht geraubt.28 Die Familie siedelte sich in London an, die bri- tische Staatsbürgerschaft hatten sie schon nach dem Ende des Krieges erhalten. Charlotte Urbach starb Ende der 1950er Jahre dort, Walter Langhammer verstarb 20 Jahre, nachdem er sein geliebtes Indien verlassen hatte. Er kehrte nach 1957 nie mehr nach Indien zurück, sondern schickte seine Frau Käthe. Seine indischen Netzwerke blieben aber auch in Eu- ropa aktiv. Einige der Künstler und Freunde kamen auf ihren Reisen nach London zu Besuch. S. H. Raza kam mehrere Male aus Paris, wo er sich niedergelassen hatte, nach London. Außerdem integrierte die indische Botschaft in London Langhammer und seine Ehefrau in diverse Kunstaktivitäten. Rudi von Leyden war nach Europa remigriert und hatte sich letztendlich in Wien niedergelassen, wo es zu regelmäßigen Treff en mit den Langhammers kam. Zudem erlaubte eine verbesserte Telefon- und Postkommunikation einen aktiven Austausch. An seinen persönlichen, künstlerischen und sozialen Erfolg in Indien konnte Walter Langhammer in London überhaupt nicht mehr anknüpfen. Gebrauchs- und Werbegrafi k wurden zur Einkommensquelle. AuftraggeberInnen für Porträts in Öl oder für Aquarelle fanden sich letztendlich nur mehr in einer österreichischen und tschechischen Exilgemein- de, die sich um eine Freimaurergruppe gebildet hatte.29 Kekoo Gandhy versuchte – jedoch erfolglos – Langhammers Gemälde in britischen Galerien unterzubringen. Seine Frau Käthe überlebte ihn um fast 20 Jahre, in denen sie sein kunstpolitisches Erbe vor allem in Indien durch diverse Aktivitäten zu verstärken suchte – Initiativen, die zum damaligen Zeitpunkt noch auf keinen fruchtbaren Boden fi elen. Indien war das Land, das ihn berühmt und auch reich sowohl an fi nanziellen Mitteln wie auch an Netzwerken und Kontakten gemacht hatte. Heute sind seine Bilder Teil exklu- siver indischer Privatsammlungen von vermögenden und einfl ussreichen Familien. Man- che dieser Bilder haben mittlerweile einen unbezahlbaren Wert erreicht, wie beispielsweise Langhammers Porträt des jungen S. H. Raza, der wie erwähnt heute selbst zu den berühm- testen indischen Malern gehört, bzw. die Familien- und Kinderporträts der Tatas, einer der führenden indischen Industriellenfamilien. Aber auch in Privatsammlungen außerhalb In- diens fi nden sich seine Gemälde wieder, schuf er doch viele Porträts von „Expatriates“, die

28 Interview Käthe Langhammer. 29 Privatarchiv und Interviews E. L., Dezember 2006, Jänner 2007, London, UK.  Margit Franz in den 1940er und 1950er Jahren wegen diplomatischer oder geschäftlicher Verpfl ichtungen in der indischen Metropole weilten. Zudem entstanden unzählige Landschaftsbilder, die er auf seinen ausgedehnten Reisen durch Indien und Europa schuf: von Kaschmir bis Gu- jarat, von Mumbai bis Kerala, Venedig, Graz, Salzburg, die Schweizer Alpen, Amsterdam sowie unzählige Gemälde von britischen Landschaften und seiner letzten Lebensstation London. Anhand dieser Gemälde lassen sich sein Exilweg und die vielen Reisen in die Kunstmetropolen Europas gut nachvollziehen. In Österreich vollkommen unbekannt und vergessen30, erlebt er derzeit in Indien große Beachtung in der indischen Kunstgeschichte, die sich in den letzten Jahren verstärkt auch mit der indischen modernen Malerei beschäftigt. So schrieb 2004 der Kunstanalytiker und -kritiker Ranjit Hoskote: “Walter Langhammer was a key fi gure in the history of post-co- lonial Indian art, an infl uential connoisseur and patron who was also an artist.”31 In der stetig wachsenden analytischen kunsthistorischen Literatur wird seine Bedeutung und sein Einfl uss als multidimensional und evident beschrieben: Walter Langhammer war neben seiner aktiven künstlerischen Tätigkeit Mentor, Wegbereiter, Wegbegleiter, Pionier, Förderer und Vermittler. So wie der Mensch Walter Langhammer verschiedene Facetten lebte, so war auch sein Agieren in den diversen Kreisen und Kulturen ein multidimensio- nales: Walter Langhammer war Maler, Graphiker, Karikaturist, akademischer Maler, Pro- fessor, Lehrer, Produzent und Sprecher von Kunstradiosendungen, Sozialist, Freimaurer, Rotarier, Exilant, Emigrant, Charmeur, Frauenfreund, Ehemann, Kunstkritiker, Partylöwe, Kunstsammler, unabhängiger Kunstpolitiker ... In seiner Person spiegelt sich die Funktion eines „Link“, einer „Verbindungsstelle“, einer „Verknüpfung“ zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen und Interessensgrup- pen wider, der durch seine spezielle Stellung behilfl ich war, einer jungen revolutionären Kunstrichtung in Indien Gehör, Platz und Anerkennung – zuerst persönlich, später allge- meingesellschaftlich – zu verschaff en. Schon vor mehr als 50 Jahren war „Netzwerken“ sein Paradigma. Kommunikation, Übersetzung und Interaktion zwischen Ost und West waren seine Funktion im internationalen Gefüge des kosmopolitischen Bombay. Sein Leben wie seine kunstpolitische Biographie sind ein herausragendes Beispiel für „neutralen Kultur- transfer“, der nicht zwischen Ursprungsland und Zielland abläuft. Die Betrachtung seiner Funktionen eröff net eine neue Debatte über das neutrale, hierarchielose Zusammenfl ießen

30 Unerwähnt in: Peter Weibel/Günter Eisenhut (Hrsg.), Moderne in dunkler Zeit. Widerstand, Verfol- gung und Exil steirischer Künstlerinnen und Künstler 1933-45, Graz 2001. 31 Ranjit Hoskote, Walter Langhammer: 1905-1977, in: Delhi Art Gallery (Hrsg.), Manifestations III: Hun- dred Artists from the Delhi Art Gallery Collection/Roobina Karode, New Delhi 2005, S. 139. Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung  verschiedener Einfl üsse auf off enem, im Sinne von weltoff enem, Boden – in unserem Fall des kosmopolitischen, modernen und sich im Rahmen der nationalstaatlichen Neudefi ni- tion Indiens befi ndlichen Bombay und seiner elitären Kunstzirkel. Er bewegte sich in ver- schiedenen Gruppen, zwischen verschiedenen Gruppen und um verschiedene Gruppen. Für die Analyse des Wirkens von Langhammer wurden fünf „imaginierte“ Räume der Interaktion, des gegenseitigen Einfl usses und Austausches betrachtet.

[ARTS]

Langhammer was like a godfather to Ara, Raza, Gaitonde, Raiba and several others. Every Sunday, these artists would gather in his studio. He would narrate his expe- riences of Europe and like a mentor, share with them the tenets of a good painting. He became the readymade reliable source for them to learn about art in Europe and the temperament of the modern masters.32

Er ermutigte die jungen Künstler, eröff nete ihnen Raum für Experimente, indem er ihnen sein Atelier zur Verfügung stellte, und bot ihnen Foren zur Diskussion, Kritik und Aus- stellung. Die sonntäglichen Treff en in seiner Wohnung in der Napean Sea Road 20 mit herrlichem Blick über das Meer waren dem künstlerischem Austausch und der intensiven Refl exion der Werke der jungen Experimentierfreudigen gewidmet: “Th ey [= die Lang- hammers, Anm. M. F.] ran a salon where many painters would come on sundays to discuss their work.”33 Indem er seinen kritischen Zugang zur europäischen Moderne mit ihnen teilte, er- möglichte er es ihnen, ihren eigenen Platz zu fi nden – unter dem Schutzmantel seiner kritischen Führung und Unterstützung. “Th ey said, we are what we are. We don’t want to copy the West. We are products of our immediate environments and want to establish our identity by being contemporary.”34 Einer der Bekanntesten der Gruppe heute, S. H. Raza, erzählt:

32 Kekoo Gandhy, Walter Langhammer: 1905–1977, in: Delhi Art Gallery (Hrsg.), Manifestations II: Indian Art in the Twentieth Century: Hundred Artists from the DAG Collection/Roobina Karode, New Delhi 2004, S. 46. 33 Yashodhara Dalmia, Th e Making of Modern Indian Art. Th e Progressives, New Delhi 2001, S. 61. 34 Gandhy, Th e Beginnings of the Art Movement.  Margit Franz

Professor Walter Langhammer took to me very kindly and not only gave his studio for me to work where he stayed but also helped me with his views on the kind of work I was doing then. He used to put in front of me paintings by Raphael, El Greco, Monet and Cézanne, paintings of the Persian, Rajput and Mughal miniatures and he would say, ’Look at these paintings and tell me what is happening there.’ It was a tough job but it was an eminent awareness of form which started developing in me which I started to follow in time to come.35

Langhammers Einfl uss auf seine künstlerische Entwicklung beschreibt Raza unter ande- rem so: “With advice from Langhammer and remarks by Bresson, I set to thinking quite a lot and ultimately in 1949–50, I was already constructing pictures with a lot of geometry in it.”36 Langhammers hohe soziale Position und seine direkten und öff entlich artikulierten Sympathien für die modernen und avantgardistischen Ansätze initiierten auch ein Um- denken bei den Granden und Einfl ussreichen der eingesessenen, oft traditionsverhafteten Kunstszene in Bombay.

Th ere was an excitement and enthusiasm that people like Rudi and Wayne [Hartwell, an American diplomat] had which played a part in their [the PAG’s] development. Langhammer used to say again and again that there was a tremendous potential for an art movement to grow. Th e momentum will grow year by year; he had that kind of prophetic feeling and a great deal of love for them.37

So weiß Kekoo Gandhy auch zu erzählen, dass Langhammer von den Jungen „vorge- schickt“ wurde, um die Notwendigkeit eines öff entlichen Raumes für Ausstellungen bei fi nanzkräftigen und prominenten Vertretern der Kunstszene vorzutragen, was letztendlich zur Gründung der „Jehangir Art Gallery“ in Central Bombay führte.38 In einigen Fällen lassen sich anfänglich auch künstlerische Stilelemente erkennen, die auf Langhammer verweisen, im Besonderen bei S. H. Raza. Der junge Künstler schuf ein Selbstporträt, das ihn zusammen mit seinem Künstlerfreund F. N. Souza und Walter

35 Dalmia, Th e Making of Modern Indian Art, S. 61. 36 Dalmia, Th e Making of Modern Indian Art, S. 148. 37 Kekoo Gandhy, in: Dalmia, Th e Making of the Modern Indian Art, S. 62. 38 Interviews Kekoo Gandhy, April 2004, Mai 2007, Mumbai, Indien. Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung 

Abb. 3: S. H. Raza-Ausstellungseröff nung der „Bombay Art Society“ 194839 Erste Reihe, von links: Unbekannt, S. H. Raza, Käthe Langhammer, Rudy von Leyden Zweite Reihe, von links: Walter Langhammer, K. H. Ara, Emmanuel Schlesinger

Langhammer39in der Mitte des Gemäldes zeigt.40 Langhammer schuf selbst ein mittler- weile „priceless“ Porträt seines Schülers, das sich in einer indischen Privatsammlung befi n- det, deren Besitzer nicht genannt werden möchten.41 Ähnlichkeiten in Stil und Ausdruck dieser beiden Porträts und auch anderer Gemälde, vor allem Landschaftsgemälde, sind nicht zu übersehen. Der Stil Langhammers zeigt expressionistische Züge mit dem Ver- such, die multidimensionalen Anlagen der Persönlichkeit mit kräftigen Pinselstrichen an-

39 Foto: Privatarchiv S. H. Raza, Paris. 40 Delhi Art Gallery (Hrsg.), Mindscapes. Early Works by S. H. Raza 1945–50, Delhi 2001, S. 27. 41 Dalmia, Th e Making of Modern Indian Art, S. 147; auch in: Ashok Vajpayi (Hrsg.), Raza. A Life in Art, New Delhi 2007, S. 37.  Margit Franz zulegen, während die Farbgestaltung stark von der Realität abweicht. Aber auch außerhalb dieses Künstlerkreises initiierte er neue Techniken und unterstützte die Öff nung von In- stitutionen und Denkschulen. R. K. Laxman, Indiens bekanntester Karikaturist, der durch Langhammer seine erste Beschäftigung bei Times of India fand und dessen bildliche Kom- mentare das indische Zeitgeschehen seit damals meisterhaft kritisch refl ektieren, schrieb in seiner Autobiographie:

To break monotony of work, the professor [= Walter Langhammer, Anm. M. F.] had arranged with the neighbouring JJ School of Arts to supply models for life classes once a week for us to improve our skills. Th ese models were standard types – a bear- ded sadhu, an old man with a turban, a young working girl holding a pot on her hip. Th ese models posed sitting on a stool or standing, according to our requirements for sketching. One day when the model arrived the professor stepped out of his cubicle and bello- wed in his deep gruff voice, ’Nude!’ I was shocked to see the lady who had arrived dis- robe immediately and calmly assume an artistic pose without a stitch on her body.42

Als Kunstvermittler versuchte Langhammer nach dem Weltkrieg europäische Kunst direkt nach Indien zu bringen, indem er und seine Frau auf ihren Reisen in die Hauptstädte Eu- ropas verschiedene Drucke sammelten und sie in Indien zugänglich machten, im privaten Kreis wie auch in öff entlichen Ausstellungen. So kam es in den späten 1940er Jahren zu einer Ausstellung moderner französischer Kunst, die aus den angekauften Drucken der Langhammers bestand und vom französischen Kulturattaché in Bombay eröff net wurde. Dieser vergab letztendlich auch ein Stipendium für Frankreich, das S. H. Raza zugespro- chen wurde.43 Zudem kam es zu verschiedenen Vermittlungsbemühungen zwischen Ga- lerien, Instituten und Ausstellungshallen wie dem „Institute of Foreign Languages“ von Charles Petrasch (siehe dazu ausführlicher später) und dem „Bombay Art Society Salon“. Aber auch private, ökonomisch orientierte Räume öff neten sich für die jungen Künstler:

Th e Chemould story started in 1941 with the establishment of Chemould Frames. It was thorough the frame manufacturing business that Kekoo Gandhy came to know many young artists such as K. H. Ara, S. H. Raza, Siavax Chawda, K. K. Hebbar and M. F. Husain. Displaying their paintings in specially designed frames, Chemould

42 R. K. Laxmann, Th e Tunnel of Time. An Autobiography, New Delhi 1998, S. 93-94. 43 Interview Käthe Langhammer. Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung 

Frames on Princess Street virtually became the show-window for contemporary art of the day, linking these artists and prospective clients. [Hervorh. M. F.] At a time when there were practically no venues for modernist art in the city, the show-room became the site for small, informal solo shows such as that of M. F. Husain in 1951.44

Das Familienunternehmen von Kekoo Gandhy war ursprünglich auf Gipsrahmen und Stuckarbeiten („moulding“) spezialisiert gewesen. Walter Langhammer beklagte das Feh- len von Kunstrahmen für seine Gemälde kurz nach seiner Ankunft in Bombay und wurde durch einen anderen österreichischen Exilanten, Dr. Schimmel, an Kekoo Gandhy ver- mittelt. Langhammer begann moderne Rahmen selbst zu entwerfen, die in der Fabrik von Gandhy gefertigt wurden. Kurz danach eröff nete Gandhy sein erstes Rahmengeschäft in der Princess Street und wurde dadurch mehr und mehr in den Kreis der jungen Künstler integriert. Dies führte letztendlich zur Eröff nung einer modernen Kunstgalerie. „Che- mould Gallery“ ist heute eine der berühmtesten Galerien Bombays, die Gandhys eine der höchst angesehenen Familien im Kunstbetrieb Indiens.45 In seiner Wiener Zeit hatte Walter Langhammer Beschäftigung als Kunsterzieher ge- funden, er trug den Titel „akademischer Maler“ und Professor, in Bombay fand er nun eine Anstellung als gewerblicher Künstler bzw. Gebrauchsgraphiker und als Direktor der Design Abteilung der Times of India – seine Leidenschaft für die Malerei wurde aber nie durch diese lebenserhaltenden Einkommensgenerierungsmaßnahmen getilgt. Seine Liebe für Licht und Farben und seine off ene und freundliche Annäherung an die neue Um- gebung in Indien eröff neten ihm neben seiner hohen berufl ichen Stellung viele Tore bei einfl ussreichen und vermögenden Menschen in Indien, die seine realitätsnahen, aber doch expressionistisch angelegten, an Oskar Kokoschka erinnernden Gemälde zu schätzen be- gannen. Er schuf Porträts von VertreterInnen der britischen Kolonialadministration, der jüdischen, parsischen und hinduistischen Religionsgemeinschaften, von europäischen „Ex- patriates“ und Mitgliedern der Künstler- und Kulturgemeinde in Bombay. Er porträtierte die vornehmlich parsische High Society in Bombay, im Besonderen waren seine Kinder- porträts beliebt, wobei etwa die Söhne der Industriellen, u. a. der nunmehrige Industrieka- pitän Ratan Tata, mehrmals auf der Leinwand festgehalten wurden. Aber auch politische Persönlichkeiten des jungen indischen Nationalstaates, wie Mahatma Gandhi und Sardar

44 Chemould Gallery, in: , 2. 2. 2007. 45 Interviews Kekoo Gandhy. Siehe auch: Karin Zitzewitz, Th e Perfect Frame. Presenting Modern Indian Art. Stories and Photographs from the Collection of Kekoo Gandhy, Mumbai 2003.  Margit Franz

Vallabhbhai Patel, fanden Eingang in den Kreis der Porträtierten.46 Seine künstlerischen Fähigkeiten nutzte Langhammer auch für Restaurationsarbeiten. Käthe Langhammer er- zählte die eindrucksvolle Geschichte nach dem frühen Ableben von Amrita Sher-Gil im Jahre 1941, die zwar 1937 die Goldmedaille der „Bombay Art Society“ gewonnen hatte und heute als Begründerin der indischen modernen Malerei gilt, aber dennoch in Kunstkrei- sen sehr umstritten war. Nach ihrem Tod vernachlässigte ihre Familie ihre künstlerische Hinterlassenschaft. Die Gemälde wurden in einem abgelegenen, stickigen Raum gelagert, bis der Protegé von Sher-Gil, der Kunstsammler und -kritiker Karl Khandalawala, diese vor einer endgültigen Vernichtung durch das subtropische Klima Bombays retten konnte. Er zeigte die Gemälde Walter Langhammer, der sich bereit erklärte, diese eigenhändig zu restaurieren. Die geretteten Gemälde befi nden sich heute in der „National Gallery of Mo- dern Art“ in New Delhi und sind unbezahlbare Teile der Sammlung moderner indischer Kunst.47 Priya Maholay-Jaradi, Kunsthistorikerin und Kuratorin der mächtigen und einfl uss- reichen „“, beginnt die Geschichte der Kunstförderung durch ihr Unternehmen mit folgender Erzählung:

Langhammer was commissioned by the Tatas to do a series of art works on the Jamshedpur steel plant in the late 1940s. Th is was defi nitely among the pioneering series of industrial artworks commissioned in any era. Langhammer sojourned in Jamshedpur for about three months to complete these works. Illustrative in nature, they refl ect a high order of execution. Th e impressionistic style of painting, which leans on bold strokes while eschewing fi ne details, also lends to this series an aura of nostalgia. Th e deep, warm colours of the canvases exhale the smell of the sweat of labour, the burning of coal, the heat of the furnaces and the sound of machine- ry. Without being a dry document of industry, the works stir the viewer with their sensitive portrayal of a magnifi cently successful industry in a fl edgling democracy and economy. Langhammer‘s series was outstanding for its artistic, documentary and historic character.48

46 Mahatma Gandhi and Sardar Vallabhbhai Patel waren wichtige Mitglieder der indischen Unabhängig- keitsbewegung gegen die britische Kolonialherrschaft. Patel war Indiens erster Innenminister, zudem hatte er das Amt des stellvertretenden Premierministers bis zu seinem Tod im Jahre 1950 inne. 47 Interview Käthe Langhammer. Zu Amrita Sher-Gil: Yashodhara Dalmia, Amrita Sher-Gil. A Life, New Delhi 2006; Amrita Sher-Gil. Eine indische Künstlerfamilie im 20. Jahrhundert, München 2006. 48 Priya Maholay-Jaradi, A homage to heritage, in: , 17. 10. 2007. Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung 

Walter Langhammer wurde als „artist-in-residence“ nach Jamshedpur in die riesige In- dustrieanlage der Tatas in Uttar Pradesh eingeladen, um die Stahlwerke künstlerisch zu dokumentieren – diese Einladung stellt die erste Kunstförderung indischer Industrie dieser Art überhaupt dar.49 Die daraus resultierenden Gemälde, die kurz nach Erreichung der indischen Unabhängigkeit entstanden, werden von der „Tata foundation“ als ein „marve- lous work showcas[ing] the economic achievement of an infant democracy“ beschrieben. Das nachfolgende „artist-in-residence“-Programm in Jamshedpur wurde von Langham- mer initiiert und viele Jahre weitergeführt und somit ein wichtiges Element der indischen Kunstförderung.

[REALITIES] WALTER LANGHAMMER BRIDGING BETWEEN YOUNG EXPERIMENTATIVE ARTISTS AND ART-COLLECTORS RESPECTIVE FINANCE PEOPLE.

Kekoo Gandhy, eine weitere Schlüsselfi gur dieser Aufbruchszeit indischer Kunstförderung, bekennt:

I can’t say honestly that I was interested in art to begin with, or that I had any great knowledge of it. I got interested through my friends Langhammer and Leyden, after seeing their great enthusiasm for contemporary Indian art. I was moved by their be- lief in the future of Indian contemporary art. And once I began interacting with the artists – they were such beautiful, trusting people, Ara and Raza and Hebbar – I felt I could be a go-between. As a Rotarian, I was meeting a certain class of people, and I felt I had a distinctive role to play.50

Zusammen mit Langhammer war er beim „Rotary Club“, dessen Mitglieder sich aus wohlhabenden, einfl ussreichen und gut vernetzten Finanz-, Geschäfts- und Politikzirkeln zusammensetzten und sich auch karitativen Anliegen annahmen. Im speziellen Fall aber eröff nete dieses Netzwerk dem erwähnten experimentellen Kunstkreis Zugang zu den öko- nomisch privilegierten Kreisen Bombays. Bald waren interessierte und bemühte Kunstför- derer ausfi ndig gemacht, und man begann private Ausstellungen zu organisieren. Manchen dieser Kunstpatrone war es gestattet, private „previews“ zu besuchen, was beispielsweise

49 Nath, Horizons, S. 174–175. 50 Gandhy, Th e Beginnings of the Art Movement.  Margit Franz der Grund für die außergewöhnliche Sammlung moderner indischer Kunst des „Tata Ins- titute of Fundamental Research“ (TIFR) auf der Halbinsel Colaba in Bombay ist. In die- sem Sinn agierte der Kreis um/mit Walter Langhammer als Pionier der Kunstförderung; ihm gehörten sowohl der Atomphysiker und Wissenschaftsmanager Dr. Homi Bhabha als auch der Schriftsteller und Kunstkritiker Dr. Mulk Raj Anand, der auch das bekannte in- dische Kunstmagazin Marg (Modern Architectural Research Group) gegründet hat, an. Diese Zeitschrift veröff entlichte nicht nur Bilder der „Progressive Artists’ Group“ und anderer junger Kunstrichtungen, sondern zeichnete sich auch durch analytische Kunstkritiken und -rezensionen aus, welche von international anerkannten KunsthistorikerInnen wie Stella Kramrisch oder KunstkritikerInnen wie Rudy von Leyden verfasst wurden. Langhammer und Leyden waren ein kunstpolitisches Duo, das in fi nanztechnischen Belangen vom österreichischen Industriellen und Pharmaziefabrikanten Emmanuel Schle- singer, der sich schon vor seiner Flucht aus dem besetzten Österreich als Kunstsammler ausgezeichnet hatte, unterstützt wurde. In der Wochenendbeilage der Times of India wie in der Th e Illustrated Weekly, Indiens erster teilweise kolorierter Wochenzeitung, für die Langhammer künstlerisch verantwort- lich zeichnete, fanden viele der jungen Künstler ihre Bilder in Farbdrucken wieder. Dieser demokratische Zugang zur modernen Kunst wurde von den elaborierten und engagierten Kunstkritiken Rudy von Leydens gestützt, quasi als „Schaufenster“ zu einem großen, neuen Publikum der urbanen Mittelklasse des unabhängigen modernen Indiens. „Dinner parties“ und Feste bei Leyden und Langhammer, wo Frau Langhammer öster- reichische Bäckereien und Kuchen serviert haben soll, waren der reale, der physische Treff - punkt dieser jungen, mittellosen, experimentierenden Künstler und der britischen und in- dischen High Society von Bombay, vornehmlich aus der Religionsgemeinschaft der Parsen, von denen einige zu Kunstsammlern wurden – „deals were done with cigars and brandy“. Indem sie die Mittel der direkten wie indirekten Kommunikation und ihre Netzwerke bewusst und aktiv nutzten, gelang es dem Kreis Langhammer-Leyden-Schlesinger-Gan- dhy, eine weltoff ene „Expatriate“-Gemeinschaft von Diplomaten, Journalisten und inter- nationalen Wirtschaftstreibenden in Bombay für die unkonventionellen, jungen, manch- mal anarchistischen Künstler zu interessieren. Diese fi nanzstarke Gruppe konnte auch angemessene Preise für die Kunstwerke bieten bzw. verschaff te den Künstlern Zugang zu internationalem Kapital. Das ist einer der Gründe, warum nicht wenige der Frühwerke von Mitgliedern der „Progressive Artists’ Group“ in Privatsammlungen in der Schweiz, in Belgien, in den USA und in Kanada zu fi nden sind. Langhammers Verbindungen zu den Industriellenzirkeln waren off ensichtlich außerge- wöhnlich; zum Beispiel gestaltete er das Emblem der ersten indischen Fluglinie, der „Air Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung 

Abb. 4: Langhammer-Ausstellungseröff nung durch Rani Maharaj Singh, die Frau des Governors of Bombay am 16. November 1949 in der Convocation Hall der Universität.51 Von links: V.V. Oak, Rani Maharaj Singh, Walter Langhammer, Sir Cowasjee Jehangir, Käthe Langhammer

India“ –51aufgrund seiner guten Beziehungen zur Tata Familie. Er übernahm das Symbol des Zentaur, was als weitere Brücke zwischen der europäischen und der indischen Kultur interpretiert werden kann, und gab dem Emblem sein modernes, bis zum heutigen Tag be- stehendes Erscheinungsbild. Die folgende Geschichte stammt von Vasudevan Th ulasidas, Vorsitzender und Managing Director von „“:

After the formation of Air-India International in 1948, four Lockheed Constellations were ordered to commence international operations. Th e management began casting

51 Foto: Kekko Gandhys Langhammer Archiv.  Margit Franz

about for a symbol that would denote speed and simultaneously have universal appeal. Sagittarius, the archer, is the ninth sign of the Zodiac. Th e Greeks represented this constellation in the act of shooting an arrow. As it symbolizes movement and speed, the Centaur, a stylized version of Sagittarius, was selected as Air-India‘s logo. […] Th e Centaur was selected by the late J.R.D. Tata, former Chairman of AIR INDIA and adopted by Prof. Walter Langhammer, a well known artist and former Art Di- rector of Times of India, Mumbai.52

Seine Verbindung zur „Air India“ und somit zur Tata-Familie lässt sich auch durch die Gestaltung der Plakate für die Fluglinie in den frühen Bestandsjahren des Unternehmens nachweisen. Andere Vertreter der „Progressive Artists’ Group“ wie etwa M. F. Husain folgten ihm nach. Zudem trat Langhammer als Raum-Designer für einen weiteren Teil der „Tata Group“, der Holding rund um die Taj Hotel Gruppe, auf: Er entwarf das Innendesign des Restau- rants „Rendezvous“ im berühmten Hotel am Gateway of India.53

[WORLDS] WALTER LANGHAMMER BRIDGING BETWEEN THE WORLD OF PAINTING AND THE WORLD OF LITERATURE.

Neben den „Brücken“ zwischen den jungen Künstlern und Kunstsammlern bzw. Kunst- förderern und Finanziers bildete der Kreis um Walter Langhammer auch eine Verbindung zwischen der Welt der Malerei und der Welt der Literatur. Zu dieser Zeit stellte Dr. Mulk Raj Anand – Schriftsteller, Kunstkritiker, Herausgeber, der sich auch in diesem Kreis um die PAG bewegte – die Zentralfi gur der indischen Literaturszene dar. In seinen Schriften und seiner Herausgeberschaft der progressiven Kunstzeitschrift Marg zeigt sich der Geist des jungen, postkolonialen Indiens, der Aufbruch von der britischen Kolonialtradition und deren Konventionen zu einem modernen, unabhängigen Indien in all seiner Vielfalt, auf alte indische Traditionen stolz, Neues schaff en wollend. Mulk Raj Anands „at-home-soi-

52 Interview with Vasudevan Th ulasidas, in: Mr. V. Th ulasidas Has Assumed Charge as Chairman & Man- aging Director of Air-India Eff ective December 22, 2003, in: , 18. 10. 2005. 53 Interview Jal Cowasji, vormaliger Direktor der Abteilung „Publicity & Public Relations of Air India“, Initiator der Kunstsammlung von Air India, früherer Mitarbeiter von Langhammer bei Times of India, Mai 2007, Mumbai, Indien. Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung  rees“ wurden zum Treff punkt von MalerInnen, LiteratInnen, SchauspielerInnen und ande- ren Künstlerinnen und Künstlern. Geeta Kapur, führende indische Kunstkritikerin, -histo- rikerin und -kuratorin, bestätigt: “He [Mulk Raj Anand, Anm. M. F.] became, along with European emigré patrons and critics like Emmanuel Schlesinger, Walter Langhammer and Rudy van Leyden, host, friend and comrade-in-arms to these young artists.”54 Aber schon frühere Begebenheiten belegen die Verbindung, die Walter Langhammer mit der Welt der Literatur pfl egte; er illustrierte Bücher, Kurzgeschichten und Zeitungs- artikel. Bereits im Jahr 1931 hatte er in Wien eine Kurzgeschichte von Joseph Kalmer mit dem Titel „Der lächerliche Lawson“ illustriert.55 Der selbe Joseph Kalmer, österreichischer Übersetzer, der im Londoner Exil lebte, wurde 1952 von der Times of India nach Indien eingeladen. Ein Brief in dessen Nachlass lässt darauf schließen, dass sich Langhammer für Kalmer bei seinen Arbeitgebern eingesetzt hat. Kalmer und Langhammer kannten sich seit über 20 Jahren. Das wichtige Resultat dieser Reise, die in vielen Artikeln, Reportagen und Reiseberichten in Zeitungen, Zeitschriften und Kunstpublikationen – er verfasste auch mehrere Artikel zu Langhammer56 – dokumentiert ist, war aber, dass Kalmer ein sehr ak- tiver Mediator zwischen der indischen Literatur und dem deutschsprachigen Raum wurde, indem er begann, viele indische Autoren ins Deutsche zu übersetzen. Die bekanntesten unter ihnen waren Khuswant Singh, der Nobelpreisträger Rabindranath Tagore und Mulk Raj Anand. Nach seiner damaligen Indienreise veröff entlichte er 180 (!) Übersetzungen aus acht indischen Sprachen ins Deutsche, wodurch die meist jungen indischen Autoren einen direkten Zugang zum deutschsprachigen Publikum bekamen. Für 1958 hatte Joseph Kalmer eine zweite Indienreise geplant, da er u. a. den Plan verfolgte, eine Anthologie indischer Literatur zu veröff entlichen. Die Reise kam aus fi nanziellen Gründen und auf- grund des zunehmend schlechter werdenden gesundheitlichen Zustands des Literaturver- mittlers Kalmer aber nicht mehr zustande.57

54 Geeta Kapur, Partisan Modernity, in: Annapurna Garimella (Hrsg.), Mulk Raj Anand, Shaping the Indian Modern, Mumbai 2005, S. 38. 55 Veröff entlichungsverzeichnis Radio-Wien, 7 (1931) 37, S. 21–22. Für alle Hinweise zu Joseph Kalmer bedanke ich mich herzlichst bei Frau Dr. Tanja Gausterer. 56 Beispielsweise: Joseph Kalmer, Der Maler Walter Langhammer, in: Velhagen und Klasings Monatshefte (1953) 2, S. 99–103. 57 Vgl. Tanja Gausterer, Der Literaturvermittler Joseph Kalmer. Versuch einer Annäherung, phil. Dipl. Wien 2004; Tanja Gausterer, Literatursoziologische und kulturwissenschaftliche Implikationen im Leben und Werk des Literaturvermittlers Joseph Kalmer (1898–1959), phil. Diss. Wien 2007; Tanja Gausterer/Volker Kaukoreit, Der Journalist Joseph Kalmer – eine Spurensicherung. Mit bibliographischer Dokumentation sei- ner Beiträge in der antinazistischen Londoner „Zeitung“, in: Zwischenwelt 21 (2005) 3/4, S. 30–37 und 87–88.  Margit Franz

Langhammer fertigte in London – wie schon in seinen Wiener Jahren – Illustrationen von Büchern und Kurzgeschichten an. Unter den bekanntesten AutorInnen befi ndet sich die Nobelpreisträgerin Pearl S. Bucks, für deren Buch „Th e Th ree Daughters of Madame Liang“ er das Titelbild gestaltete. In den späten 1950er und frühen 1960er Jahren illustrierte er regelmäßig Kurzgeschichten für das Journal Argosy der London School of Journalism & Gallagher’s Rich Dark Honeydew.

[CONTINENTS] WALTER LANGHAMMER AND THE NETWORK OF (FORMER) GERMAN-SPEAKING EXILE PEOPLE IN INDIA.

Die Durchsicht eines einzigen Nachlasses im Archiv des Literaturhauses in Wien zeigt einen intensiven und herzlichen Kontakt zwischen ehemaligen österreichischen Exil- antInnen in Indien, der bis zum Ableben der einzelnen Personen über den ganzen Erdball gepfl egt wurde: Dr. Robert Heilig und seine Frau Anna, die Malerin war und in Bom- bay ausgestellt hatte, hatten vor allem in Jaipur (Rajasthan) viele Jahre gelebt, bevor sie 1973 nach Wien zurückkehrten. Elise Braun-Barnett in New York, Lolly Leyden, der Bruder von Rudy von Leyden, selbst Maler und Fotograf, der seinen Lebensabend in der Schweiz verbrachte, und das Ehepaar Langhammer in London pfl egten eine so genann- te „Exilanten-Indien-Netzwerk-Verbindung“.58 Rudy von Leyden, der schon erwähnte Kunstkritiker der Times of India und enge Freund und Mitstreiter von Langhammer für die „Progressives“ (PAG) hatte sich nach einigen Schicksalsschlägen entschieden, seinen Lebensabend in Wien zu verbringen. Dort kam es – wie auch in London – immer wieder zu gesellschaftlichen Zusammenkünften und zu gemeinsamen Besuchen von Kunstaus- stellungen und -veranstaltungen. Käthe und Walter Langhammer verbrachten mehrere Urlaube in Österreich, einige davon auch in Begleitung von Robert und Anna Heilig. Ihre Urlaubsdestinationen waren Orte in Tirol, Gmunden und der Attersee. Ein österreichbezogenes Exil-Netzwerk bestand allerdings schon in Indien. Ein weiterer österreichischer Exilant in diesem Netzwerk war Karl (später Carl oder Charles) Petrasch. Er war nicht so begünstigt wie Langhammer, denn er konnte weder eine permanente An- stellung fi nden, noch konnte er das britische Empire von seiner Loyalität trotz eindeutiger

58 Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur/Handschriftenabteilung, Nachlaß Dr. Robert Heilig. Für Zugang und inhaltliche Unterweisung ins Archivmaterial bin ich Frau Dr. Ursula Seeber zu großem Dank verpfl ichtet. Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung  anti-nationalsozialistischer Aktivitäten überzeugen. Auch scheiterten alle Interventions- versuche von Seiten seiner österreichischen wie indischen Freunde. Hilde Holger hatte in dieser Angelegenheit sogar den Erzbischof von Bombay kontaktiert; später erinnerte sie sich: ”[…] I tried to get out from camp for aliens my ’Arian’ friend Carl Petras who was accused to be a Nazi, which was not true as he saved my life being Jewish.”59 Charles Petrasch, früherer Sprachenlehrer und Journalist, später Fotograf, Inhaber ei- ner Sprachschule und Kunstvermittler zwischen Ost und West, verblieb bis mindestens 1945 als „enemy alien“ in Internierungshaft in Dehra Dun.60 Nach seiner Freilassung wur- de er Manager von Hilde Holger, seine Hauptaktivität umfasste aber die Gründung des „Institute for Foreign Languages“ in Bombay mit einer späteren Niederlassung in New Delhi. Das Institut wurde ein wichtiges Zentrum der Vermittlung von westlicher Kunst ins Bombay der jungen indischen Unabhängigkeit und stellte Raum für Experimente zwi- schen Ost und West zur Verfügung. Th eaterauff ührungen, Literaturlesungen, Tanzabende und Ausstellungen fanden hier ein Forum. Er war ein weiterer österreichischer Exilant in Indien, der sein Leben der Vermittlung zwischen den Kulturen und den Kontinenten mit großem Engagement widmete. 1952 verstarb er an einem Hitzeschlag. In seinen wenigen Bestandsjahren hat das „Institute for Foreign Languages“ auch im Bereich der Malerei Einzigartiges zustande gebracht. Der junge S. H. Raza bekam die Gelegenheit, seine Bilder in seiner zweiten Solo-Aus- stellung im Jahr 1950 an Petraschs Institut in Bombay zu zeigen.61 Zusammen mit von Ley- den und Schlesinger eröff nete Langhammer diese Möglichkeit für den jungen Künstler, indem sie das Netzwerk der kunstinteressierten deutschsprachigen ExilantInnen in Indien nutzten. Petraschs Institut ist aber auch Beispiel eines direkten Kunst/Kulturtransfers aus Mitteleuropa ins Bombay der späten 1940er und frühen 1950er Jahre:

Th is air of internationalism, was to wane afterwards, wafted art exhibitions, theatre performances, and musicians with an enviable regularity. One such example was the series of three exhibitions of Central European paintings from a private collection mounted at the Institute for Foreign Languages. Th e fi rst of these, which consisted entirely of self-portraits by artists such as Kathe Kollwitz, Carl Hofer, Max Lip-

59 Hilde Holger auf dem Umschlag eines Briefes vom Erzbischof in Bombay, in: Hilde Holger Archive, Primavera Boman-Behram, London, UK. 60 In Dehra Dun, im heutigen Bundesstaat Uttranchal, befand sich das größte Zivilinterniertenlager der Briten während des Zweiten Weltkrieges. 61 Delhi Art Gallery (Hrsg.), Mindscapes, o. S.; Dalmia, Th e Making of Modern Indian Art, S. 149.  Margit Franz

permann, Oskar Kokoschka, Otto Nagel, and Van Repper, made an impact with its introverted dramatization.62

Höchstwahrscheinlich handelte es sich dabei um die Sammlung von Emmanuel Schle- singer, der schon als Hutfabrikant in Wien euphorischer Kunstsammler gewesen war, und Teile seiner Sammlung nach Indien retten konnte. Dieses Beispiel zeigt aber auch sehr klar die multidimensionale Überlagerung der di- versen Netzwerke – Kunst, Exilanten, Finanz ...

[CULTURES] WALTER LANGHAMMER: AN INTEGRATIVE LINK BETWEEN PARSEN, JAINS, JEWS, BRITISH AND MUSLIM-HINDU ART-PEOPLE.

Der Kreis um Walter Langhammer und die „Progressive Artists’ Group“ war ein weiterer Knotenpunkt von Aktivitäten, verschiedene Kulturen zusammenzubringen und über all diese kulturellen Unterschiede hinweg ein gemeinsames Interesse für die Herausbildung einer modernen indischen Kunst und zum Entdecken von neuen Ausdrucksformen in ei- ner jungen, postkolonialen Umgebung aufzubauen. Besonders Langhammers Verbindung mit der Times of India, welche bis 1947 in bri- tischen Händen und danach unter der Führung einer fi nanzkräftigen Jain-Familie war, eröff nete einen wichtigen Zugang zu Medien und Hochfi nanz. Die Gemeinschaft der Jains entstand im sechsten vorchristlichen Jahrhundert in Indien um mehrere Führer, ein historisch fassbarer Gründer ist Mahavira. Der Jainismus hat wie der Buddhismus seine Wurzeln in der Vorgängerreligion des Hinduismus, im Brahmaismus, lehnt aber das Kas- tensystem ab. Seine AnhängerInnen haben sich einem Gewaltlosigkeitsgebot („Ahimsa“) verpfl ichtet, was zu einem strengen Vegetarismus und zu der Ausübung von Berufen führt, die keine Lebewesen verletzen, weshalb sie oft im Bankenwesen und Handel zu fi nden sind. Sie bilden innerhalb der indischen Gesellschaft eine Art eigene Klasse von einfl uss- reichen und oft sehr vermögenden (Geschäfts-)Leuten.63 Langhammer hatte sowohl Zugang zu diesen Jain-Kreisen wie zu denen der Parsen. Parsen sind Mitglieder der gut vernetzten, liberalen, aber traditionsverhafteten zoro- astrischen Gemeinde, die sich als Nachkommen eines Volkes, das im achten Jahrhundert

62 Dalmia, Th e Making of Modern Indian Art, S. 59. 63 Allgemein zu Jainismus: Paul Dundas, Th e Jains, Oxford 22002. Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung  wegen religiöser Verfolgung in Persien an die Westküste des heutigen Indiens auswanderte, defi nieren. Seit damals haben sich die Parsen in die Kulturenvielfalt Indiens integriert, während sie ihre Traditionen und Bräuche beibehielten und diese bis heute praktizieren. Viele Parsen gelangten im Zuge der britischen Herrschaft und der Industrialisierung bzw. Modernisierung zu großem Vermögen. Briten und Parsen haben über die Jahrhunderte hinweg ein Naheverhältnis aufgebaut; ihr liberaler und weltoff ener Lebenszugang, ihre off ene Bereitschaft, moderne Lebensweisen, Erziehungsansätze, Kulturaktivitäten und ei- nen ausgeprägten wirtschaftlichen Unternehmensgeist anzunehmen, hat sie zu einer Art „Statthalter“ der britischen Lebensweise in Indien gemacht. In den Tagen des „Raj“, der britischen Herrschaft in Indien, sah man diese beiden Gruppen einvernehmlich bei Drinks und Ballveranstaltungen Riesen-Abkommen schließen. Als die Briten abzogen, luden sie die Parsen nach Großbritannien ein und boten ihnen britische Pässe an. Die Parsen blie- ben aber großteils in Indien.64 Langhammers bereits angedeutete enge Verbindung mit Dr. Homi Bhabha, Atomphy- siker, erster Vorsitzender der „Indian Atomic Energy Commission“, Gründer des „Tata Institute for Fundamental Research“ und selbst großer Kunstliebhaber –„he himself was a musician, a painter, and a fi ne draughtsman“65 –, öff nete viele Türen zu reichen und ein- fl ussreichen Parsen-Familien wie denen der Tatas (Langhammers „artist-in-residence“- ship in Jamshedhpur). Die wohl nachhaltigste Anbindung an die Gemeinschaft der Parsen bildete die lebens- lange Freundschaft und Zusammenarbeit mit der Familie von Kekoo Gandhy, dem bereits erwähnten Bilderrahmenfabrikanten und Gründer der ersten modernen Kunstgalerie in Bombay. Gandhy ist es auch, der noch heute das Erbe Langhammers in der Metropole am Arabischen Meer hoch hält; ihm ist es zu verdanken, dass Langhammer über die Jahr- zehnte hinweg in Indien nicht in Vergessenheit geriet. Die Verbindung Langhammers zur jüdischen Gemeinschaft fand in der Zusammen- arbeit mit Emmanuel Schlesinger, dem vormaligen österreichischen Geschäftsmann, der in Indien durch ein pharmazeutisches Unternehmen vor allem während des Krieges zu großem Reichtum kam, seinen wichtigsten außerfamiliären Ausdruck. Käthe Langham- mer, geborene Urbach, war jüdischer Abstammung, sie und ihre Mutter hatten Österreich wegen rassistischer Verfolgung verlassen müssen.

64 Einen guten Überblick zu den Parsen bietet: Pheroza J. Godrej/Mistree Firoza Punthakey (Hrsg.), A Zoroastrian Tapestry. Art, Religion & Culture, Ahmedabad 2002. 65 Dalmia, Th e Making of Modern Indian Art, S. 59.  Margit Franz

Aber auch sein engster Freund, Rudy von Leyden, hatte eine jüdische Mutter, die zu- sammen mit ihrem Ehemann den Söhnen Albert („Lolly“) und Rudy 1938 ins Exil nach Indien folgte. Anna Heilig, Graphikerin und Malerin, und ihr Ehemann Dr. Robert Hei- lig, der jüdische Arzt Dr. Schimmel oder der deutsch-jüdische Arzt Dr. Weingarten zähl- ten wie andere jüdische Flüchtlinge zum engen Freundeskreis der Langhammers, die sich alle u. a. auch den Kunstanliegen widmeten. Ihre Aktivitäten in der „Jewish Relief As- sociation“ – Käthe Langhammer berichtete von Hilfsleistungen für Flüchtlinge auf den durchkommenden Schiff en im Hafen von Bombay66 – eröff neten ihnen auch Zugang zur wohlhabenden und einfl ussreichen jüdischen Gemeinschaft in Bombay sowie Kontakte mit den Gründerfamilien der Sassoons und Ezekiels. Waren die Kunstsammler, Förderer und Kritiker großteils Parsen, Jains oder Juden, so waren die jungen Künstler meist Hindus oder Muslime, die aus nicht vermögenden, sondern meist einfachen Verhältnissen stammten: M. F. Husain verdingte sich als Plakatmaler, S. H. Raza anfänglich als Designer im „Express Block Studio“, K. H. Ara begann als Autowäscher u. a. bei Rudy von Leyden, der sein Talent und seine Begeisterung für Malerei förderte. „Dinner parties“, Feste, Vernissagen und andere kulturelle Veranstaltungen wurden zum Treff punkt und „melting pot“ all dieser verschiedenen Kulturen. Briten, „Ex-patri- ates“, Exilanten, Anhänger von verschiedenen Religionsgemeinschaften sahen über alle kulturellen Hindernisse hinweg und schufen eine hybride Atmosphäre. Ein eigenständiger Kunstausdruck sowie eine eigenständige, verschmelzende Identität konnte in diesem „drit- ten Raum“ entstehen – fern von Klassen-, Kasten-, und Religionszugehörigkeit. Das ist umso bedeutender in einer Zeit, in der Indien und Pakistan von Religionskämp- fen erschüttert wurden. Schon die Gründung beider Nationalstaaten hatte viel Blutvergießen unter den religiösen Gruppen der Hindus und Muslime gekostet. Das Überwinden religiös bedingter Ressentiments und das Schaff en eines gemeinsamen, hybriden, jungen, nationalen wie internationalen, der internationalen Avantgarde verhafteten Raumes ist auch ein poli- tischer Ausdruck eines Willens der Versöhnung und des Vorwärtsschreitens als Teil einer internationalen humanitären Gemeinschaft, deren Wert der Freiheit in Ausdruck, Lebens- und Artikulationsform als wichtigstes Kriterium innewohnt. Yashodhara Dalmia, die Historikerin der „Progressive Artists’ Group“, schrieb: “Rudolf von Leyden, Walter Langhammer, and Emmanuel Schlesinger were not only patrons of art and of the Progressive Artist Group, they also introduced a European art sensibility that was radically diff erent from the Royal Academy of Art style taught in art colleges in India.”67

66 Interview Käthe Langhammer. 67 Dalmia, Th e Making of Modern Indian Art, S. 59. Transnationale & transkulturelle Ansätze in der Exilforschung 

Abb. 5: Kekoo und Khorshed Gandhy vor dem Langham- mer-Porträt ihrer Kinder Adil und Rashna, Mumbai Mai 200768

68Diese neue Sensibilität eröff nete die Erschaff ung eines neuen Raumes zwischen Ost und West, „stimuliert“ durch Instrumente aus dem Westen, um das Indische fern der ko- lonialen Überarbeitung und Überlagerung wieder aufzuspüren bzw. neu zu entdecken und daraus ein Neues, ein Indigenes, ein Modernes, ein Avantgardistisches aus der unmittel- baren Umgebung zu kreieren. Walter Langhammer beschreibt diesen „Kulturaustausch“, diese „Stimulation“, folgen- dermaßen:

In fact the fi rst and only period in which European infl uences have caused a vigorous stimulation of Indian art is our present time. Contemporary Indian painting and sculpture is very strongly infl uenced by modern European trends. However, many feeble imitations of foreign forms are apparent. Th e heritage of historical Indian art is an equally strong component in current artistic production and the few outstanding works of contemporary Indian art show a well digested blending of both European and traditional Indian elements. Nevertheless they are often original in conception and we see now in India the beginning of a distinct and characteristic national style

68 Foto: Margit Franz.  Margit Franz

of art. Th is is no mean achievement in our days where art outside of Europe is mostly eclectic.69

Im speziellen Fall ist es die Vermischung von indischer traditioneller Kunst, welche er sammelte und hoch schätzte, welche jedoch damals wenig Bedeutung im zeitgenössischen Kunstbetrieb hatte, und das Denken der internationalen Avantgarde, das er und andere durch verschiedene Vermittlungsaktivitäten – Vorträge, Radiosendungen, Ausstellungen, Publikationen, Diskussionen, Literatur – nach Indien brachten und dem er durch seinen Status in der Kunstszene zu Achtung und Gehör verhalf. Darin ist seine wichtige Rolle (in Zusammenhang mit dem erwähnten Personenkreis) zu sehen: „in creating both a con- sciousness and an appreciation of Indian art“.70 Walter Langhammer agierte als Grenzgänger, der sich nicht einschüchtern ließ, wie ein Weltensammler, der nicht urteilt, wie ein Weltenreiter, der nicht beherrscht. Er besaß die Eloquenz, Position und Selbstsicherheit, Verschiedenes gleichwertig nebeneinander stehen lassen zu können und im Dazwischen ein reiches und erfülltes Neues entstehen zu lassen.

69 Langhammer, European Infl uences to Indian Art. 70 Nath, Horizons, S. 174.