Bülow90 Historie (Pdf)
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Bülowstraße 90 Tradition der Innovation Rechercheergebnisse zur Geschichte des Hauses Verfasser: Michael Bienert Stand: 20. Oktober 2020 (Version 4.0) Im Auftrag der Gewobag Das Haus Bülowstraße 90 im Jahr der Eröffnung der Hoch- und Untergrundbahn, 1902 Foto (Ausschnitt): Siemens Historical Institute 1 Inhalt 3 Vorbemerkung 5 Actien-Gesellschaft für Bauausführungen 9 Vom Wohn- zum Geschäftshaus: Bülowstraße 90/91 14 S. Fischer: Verlag der Nobelpreisträger 17 Malerinnen unterm Dach 18 Zwischen Augenheilkunde und Neurologie: Georg Abelsdorff 20 Ein neuer Eigentümer lässt aufstocken: David Grove AG 23 Akteur im Hintergrund: Bankhaus Bett, Simon & Co. 24 Der Architekt Richard Abraham 27 Ein ORT für Juden 29 Garagen, Judenboykott und Arisierung: Hemdenmatz GmbH 30 Neue Produkte, schnittige Reklame 33 Die Familie Abraham wird ausgeplündert 37 Eroberung des Hauses durch die Reichsmarine 40 Nachkriegszeit: Neue Mieter im Haus 44 Der lange Kampf um Wiedergutmachung 47 Florierendes Gewerbe: Mode, Nähmotoren und Lokale 49 Hubschrauber im Hof 51 Die Neue Heimat Berlin saniert 56 Anhang: Tabellarische Chronik 2 Vorbemerkung Ausgangspunkt der Recherche war das Vorhaben der Gewobag, das Haus Bülowstraße 90 zu einem Standort für innovative Arbeits- und Lebensformen weiterzuentwickeln. Es stand zu vermuten, dass es dafür Anknüpfungspunkte in der Geschichte des Hauses und seiner Bewohner(innen) geben könnte. Tatsächlich wurde das Haus 1896/97 von einer großen Aktiengesellschaft erbaut, die im Gründerzeitboom entstand, in moderne Bautechnologien investierte und damit gute Geschäfte machte. Berühmt wurde die Adresse Bülowstraße 90 als Geschäftssitz des S. Fischer Verlages, des maßgeblichen deutschen Literaturverlags der Moderne an der Schwelle zum 20. Jahrhunderts. Die Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann, Thomas Mann und Hermann Hesse hatten hier eine Berliner Geschäftsadresse und auch Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ wurde 1929 in der Bülowstraße 90 verlegt. Zu den ersten Mieterinnen im Haus gehörten emanzipierte Malerinnen, die sich um 1900 einen Platz in der Kunstwelt erkämpften. Ärzte und Rechtsanwälte zogen in den Jahren um den Ersten Weltkrieg ein, in den 1920er-Jahren wurden neben Druckerzeugnissen auch Sanitäranlagen, Elektroapparate, Motorräder und Autoteile vertrieben. Das jüdische Berufsbildungswerk ORT, das bis heute weltweit aktiv ist, hatte hier einige Jahre lang seine Zentrale. Die Geschichte des Hauses ist eng verknüpft mit den Lebenswegen jüdischer Bewohner(innen) und Eigentümer, die in der NS-Zeit verfolgt und vertrieben wurden. Von 1926 bis 1939 war der maßgebliche Eigentümer ein jüdischer Architekt, der in der NS-Zeit im Zuchthaus Brandenburg zur Aufgabe seines gesamten Vermögens gedrängt wurde, um sein Leben zu retten. Erst nach jahrelangem juristischem Tauziehen wurde das Haus 1956 an seine Witwe zurückgegeben. Die Vermutung liegt nahe, dass es daneben weitere Mieter und Unternehmen gegeben hat, die Opfer des NS-Unrechts wurden. Die vorliegende Recherche stützt sich auf folgende Unterlagen: - Dokumente im Gewobag-Archiv, übernommen aus dem Bestand der WIP (ehemals Neue Heimat Berlin) - Bauaktenarchiv des Bezirks Tempelhof-Schöneberg - Literaturrecherchen im Fachbereich Berlin-Studien der Zentral- und Landesbibliothek, Auswertung der Postkartensammlung und der Berliner Adressbücher 1871-1943 - Recherche im Landesarchiv Berlin (Handelsregisterakte der David Grove AG, Entschädigungsakten der Familie Abraham/Arams) - Internetrecherchen 3 Die ursprüngliche Fassade des Hauses Bülowstraße 90, Aufnahme um 1922, und Titelseite der 1922 erschienenen Festschrift zum Firmenjubiläum. Aus: Actien-Gesellschaft für Bauausführungen 1872-1922, Berlin 1922, S. 1 und 73. 4 Actien-Gesellschaft für Bauausführungen Errichtet wurde das Haus in der Bülowstraße 90 (ursprünglich Nr. 90/91) nach Plänen des renommierten Architekturbüros Cremer & Wolffenstein von der Actien- Gesellschaft für Bauausführungen, die 1912 auch ihren Geschäftssitz dorthin verlegte. Entstanden war die Gesellschaft bereits im Jahr 1872 vor dem Hintergrund eines durch französische Reparationszahlungen befeuerten Baubooms nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71. Die Reichsgründung und der Aufstieg Berlins zur Reichshauptstadt lösten damals eine fieberhafte Geschäftstätigkeit aus. Am 1. Januar 1873 wurden die ersten Aktien des Unternehmens ausgegeben, über das es 50 Jahre später hieß, es dürfe „nicht nur zu dem ältesten Großbaugeschäften, sondern auch zu den ältesten Actien-Gesellschaften gezählt werden. Das Unternehmen wurde schon zu einer Zeit, als diese Gründungsform noch sehr wenig verbreitet war, durch ihre Leiter auf eine Basis gestellt, die es ihr ermöglichte, einen großen Kreis von Interessenten, Fach- und Bankleuten, in ihren Bestrebungen zu verbinden. Ein erheblicher Teil der Bauten, die heute in Berlin den Fremden als Sehenswürdigkeiten gezeigt werden, wurden von der A. G. f. B. ausgeführt.“1 Mehrere Bauten stehen heute tatsächlich unter Denkmalschutz - darunter das um 1899 errichtete Gewerkschaftshaus am Engelufer2, das 1910 erbaute Wohnhaus des Industriellen, Schriftstellers und ermordeten Reichsaußenministers Walther Rathenau in Grunewald3 und eine Kathedrale der Elektrotechnik aus den 1920er- Jahren: das Umspannwerk Humboldt in Prenzlauer Berg 4. Eine Dokumentation zum 50-jährigen Bestehen des Unternehmens listet neben zahlreichen Geschäftshäusern in Mitte, am Potsdamer Platz und im Neuen Westen an realisierten Projekten auf: Die Technische Hochschule in Charlottenburg (heute TU Berlin), die große AEG-Halle von Peter Behrens an der Voltastraße und die von ihm entworfene NAG-Autofabrik in Oberschöneweide, das Hebbel-Theater von Oskar Kaufmann, das Jüdische Krankenhaus im Wedding, die Tribüne an der AVUS und vieles mehr.5 Die stolze Behauptung, zahlreiche moderne Sehenswürdigkeiten des modernen Berlin errichtet zu haben, hatte absolut ihre Berechtigung. Das Wohn- und Geschäftshaus in der Bülowstraße 90 wurde im Sommer 1897 bezugsfertig. Drei Jahre zuvor hatte die Actien-Gesellschaft für Bauausführungen in der Nähe ein ähnliches Projekt realisiert: Die Häuser in der Motzstraße 5 (damals Nr. 79) und Nollendorfstraße 15 haben den Krieg ebenfalls überdauert. Damals wandte sich die Gesellschaft allmählich dem Industriebau zu, „zunächst durch Hochbauten auf diesem Gebiet, und schließlich durch die Einrichtungen besonderer Abteilungen für Tiefbau und Eisenbetonbau. – Eine Abteilung für Schreinerei und ein eigener 1 Das deutsche Eisenbahnwesen der Gegenwart, Berlin 1922/23, S. 354. 2 http://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/liste_karte_datenbank/ de/denkmaldatenbank/daobj.php?obj_dok_nr=09090026 3 http://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/liste_karte_datenbank/ de/denkmaldatenbank/daobj.php?obj_dok_nr=09046522 4 http://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/liste_karte_datenbank/ de/denkmaldatenbank/daobj.php?obj_dok_nr=09065209 5 Actien-Gesellschaft für Bauausführungen 1872-1922, Berlin 1922. 5 großer Zimmerplatz bestand seit Jahren.“6 In Berlin war die Actien-Gesellschaft für Bauausführungen am Bau der Stadtbahn, am U-Bahn-Bau und am Aufbau der Elektritzitätsversorgung beteiligt. Sie baute auch außerhalb Berlins und eröffnete Niederlassungen unter anderem in Hamburg, Königsberg, Leipzig, Stettin, Halle, Köln und München. 1928 vergab sie eine Konzession für Stahlbeton-Hochbauten in die UdSSR. Die Firmenzentrale hatte seit 1873 ihren Sitz in der Genthiner Straße 3, ehe sie 1912 in das seinerzeit um einen Stahlskelettbau im 2. Hof erweiterte Haus in der Bülowstraße 90 verlegt wurde. Während der Weltwirtschaftskrise geriet die Aktiengesellschaft in Schwierigkeiten, musste 1931 Konkurs anmelden und wurde 1938 aus dem Handelsregister gelöscht. Gründeraktie der Actien-Gesellschaft für Bauausführungen. Quelle: Historisches Wertpapierhaus AG, www.hwph.de 6 Das deutsche Eisenbahnwesen der Gegenwart, Berlin 1922/23, S. 354. 6 Baugesuch vom 9. April 1896. Quelle: Bauakte 7 Situationsplan von Berlin mit dem Weichbilde und Charlottenburg, 1882, Ausschnitt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Gegend um das Grundstück Bülowstraße 90/91 noch wenig bebaut, die Bülowstraße noch nicht ausgebaut. Quelle: Zentral- und Landesbibliothek Berlin Genehmigte Straßenfassade für das Haus Bülowstraße 90/91. Quelle: Bauakte 8 Von Wohn- zum Geschäftshaus: Bülowstraße 90/91 Der Bebauuungsplan für Berlin und seine Umgebung von 1862, der sogenannte Hobrechtplan, schrieb die Anlage eines breiten Straßenzuges im Süden der Stadt vor. Der sogenannte Generalszug wurde nach Helden der Befreiungskriege gegen Napoleon benannt, 1864 erhielt ein Abschnitt per Kabinettsorder den Namen Bülowstraße. In den 1880er Jahren wurde die Straße ausgebaut. Auf dem als Holz- und Kohlenplatz genutzten Grundstück Bülowstraße 90/91 standen damals mehrere Schuppen, 1882 wurden ein Treibhaus und ein Keimentwicklungshaus für einen Gärtner errichtet. 1896 erwarb die Actien-Gesellschaft für Bauausführungen das Grundstück Bülowstraße 90/91 von einer Witwe und erhielt die Baugenehmigung für ein Wohnhaus. Im Vorderhaus waren zwei Geschäfte im Erdgeschoss vorgesehen, im Obergeschoss äußerst großzügige Wohnungen, die durch ein repräsentatives Marmortreppenhaus erschlossen wurden. In den schmalen Seitenflügeln waren Küchen, Kammern und Dienstbotenzimmer untergebracht, im Quergebäude weitere Wohnungen. Der relativ großzügig bemessene Innenhof war begrünt, hinter dem Quergebäude wurde ein großer Garten mit Zierbeeten und einem Spiel- bzw. Tennisplatz angelegt. Zur Bülowstraße hin zeigte das Haus eine mit Stuckelementen reichlich