BR-ONLINE | Das Online-Angebot Des Bayerischen Rundfunks

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BR-ONLINE | Das Online-Angebot Des Bayerischen Rundfunks BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 30.07.1999 Freya Klier Schriftstellerin und Regisseurin im Gespräch mit Corinna Benning Benning: Grüß Gott, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich bei Alpha- Forum. Unser heutiger Gast ist Freya Klier, engagierte Bürgerrechtlerin, Schriftstellerin, Regisseurin und Mitbegründerin der DDR- Friedensbewegung. Herzlich willkommen, Frau Klier. Klier: Hallo. Benning: Frau Klier, Ihre Biographie umspannt eigentlich zwei Leben: ein ost- und ein westdeutsches, und das ist ein Schicksal, das so nur in einem geteilten Land denkbar ist. Sie sind 1950 in Dresden geboren und übten Schauspiel- und Regietätigkeiten in Dresden, Leipzig und Ostberlin aus. 1985 erhielten Sie Berufsverbot, 1988 wurden Sie verhaftet und aus der DDR ausgebürgert. Seither sind Sie freischaffende Autorin und Regisseurin in Westberlin. Sehen Sie sich in einer gewissen Weise als Opfer der deutschen Geschichte? Klier: Das würde ich nun überhaupt nicht sagen. Wenn Sie mich jetzt gefragt hätten, ob ich mich mehr als Ostdeutsche fühle, dann hätte ich ja gesagt, weil ich ja 38 Jahre dort gelebt habe. Ich sehe mich überhaupt nicht als Opfer. Ich habe zwar sehr schlimme Dinge erlebt, u. a. auch einen Mordanschlag und auch sehr viele Gefängnisaufenthalte in unserer Familie. Denn ich selbst war zweimal im Gefängnis, und mein Vater und mein Bruder waren ebenfalls im Gefängnis. Aber dennoch ist es so, dass ich eher kraftvoll aus dieser Zeit herausgegangen bin und nun meine Kraft auch für diejenigen einsetzen kann, die nun wirklich Opfer sind: die zwar nicht tot sind, aber die seelisch so zerstört sind, dass sich jemand für ihre Interessen und Nöte einsetzen muß. Benning: Vor zehn Jahren, anläßlich des 40. Jahrestages der Bundesrepublik, haben Sie geschrieben: "Mein deutsches Gefühl hält sich in Grenzen. Das mag daran liegen, dass ich zur Zeit des Mauerbaus noch Thälmann-Pionier war, vielleicht aber auch daran, dass ich einen italienischen Großvater habe. Die deutsche Frage beschäftigt mich aber außerordentlich." Sie haben sich selbst als ein Kind der Aufbauzeit bezeichnet: Wie haben Sie diese Kindheit "unter einem geteilten Himmel", um mit Christa Wolf zu sprechen, erlebt? Klier: Ich habe sie ja nicht als geteilten Himmel erlebt. Statt dessen ist es so, dass dann, wenn wir über Deutsch-Deutsches reden, meiner Meinung nach viel zu sehr vergessen wird, dass da eine bestimmte Generation eine enorme, sogar eine entscheidende Rolle spielt: Denn wiedervereinigt haben sich im Prinzip ja nur die Alten, also diejenigen, die als Generation noch selbst ein vollständiges Deutschland erlebt haben. Ich selbst bin Jahrgang 1950 und in Dresden aufgewachsen, also im Tal der Ahnungslosen: Das heißt, ich wußte schon, dass es ein anderes Deutschland gibt, aber wir hatten dort keine Verwandten oder irgendeine andere Beziehung, die irgendwie dazu beigetragen hätte, mich neugierig zu machen auf oder mich aufzuklären über die gesamtdeutsche Geschichte. Mein Vater galt als Staatsfeind: Er ist, wie gesagt, auch im Gefängnis gewesen – und hörte heimlich den "Deutschlandfunk". Das war, wie es bei uns hieß, der "Hetzsender der Bonner Ultras". Ich wiederum war das schiere Produkt der schulischen Erziehung. Das heißt, ich war ein stolzer, strammer Pionier. Wenn mein Vater diese "Bonner Ultras" hörte oder meinen verehrten Walter Ulbricht beschimpfte, dann habe ich mich mit der Pionierzeitung daneben gesetzt – solange, bis ich ein paar Ohrfeigen bekommen habe, weil es meinem Vater irgendwann reichte. Das war ein Widerstand meinerseits gegen das Ewiggestrige – wozu eben auch mein Vater gehörte. In Gegenwart von Kindern wurde ansonsten ja auch nicht über Politik gesprochen. Benning: 1990 haben Sie unter dem provozierenden Titel "Lüg Vaterland" die Erziehung in der DDR analysiert. Das war, wie Sie konstatierten, eine Erziehung, die von Biedermeier und Stalin und von einer treuherzigen, schlichten und kleinbürgerlichen Geisteshaltung geprägt war. Inwieweit hat Sie diese Erziehung selbst geprägt, und inwieweit konnten Sie sich selbst davon bereits befreien? Klier: Die Frage ist durchaus berechtigt. Ich habe in diesem Buch ja versucht zu beschreiben, was diese 40 Jahre dabei bedeutet haben. Man muß diese Zeitspanne schon mitbedenken, denn es hat dabei sehr unterschiedliche Generationen und auch unterschiedliche Versuche gegeben. Am Anfang gab es ja auch noch durchaus glaubwürdige Lehrerbildner. Das war ganz am Anfang der DDR, als man noch nicht wußte, dass man endgültig in Stalins Gewalt und damit nur ein sowjetischer Vasallenstaat ist. Das heißt, die Leute rangen damals noch um Demokratie. Die ersten Lehrerbildner waren auch schon in der Weimarer Zeit Lehrer und hatten dann im Anschluß daran in der Nazizeit Berufsverbot. Das war also auch noch ein völlig anderer Menschenschlag. Zu Beginn der fünfziger Jahre wurden sie aber frühzeitig kaltgestellt. Es wurde dann von der SED ein eigener Apparat von Schulfunktionären aufgebaut, der im Lauf der Zeit immer stärker bestimmend wurde. Ich war als Kind von drei Jahren bereits in einem Kindergarten der Staatssicherheit: Das war eine sehr furchtbare Zeit für mich, denn ich wußte nicht, warum ich da hin mußte. Ich mußte z. B. mit meinen drei Jahren mit dem Gesicht zur Wand stehen und darüber nachdenken, warum mein Vater ein Staatsfeind ist. Von solchen Drangsalierungen bleibt nur übrig, dass man sich ausgestoßen fühlt, denn solche Dinge wie "Staatsfeind" versteht man ja als Kind nicht. Das heißt, ich wollte dann dazugehören: Das hat mich sehr lange geprägt. Ich wollte bei den Pionieren sein, ich wollte nie mehr draußen in der Ecke stehen. Ich bin dann eigentlich erst durch eigene Erfahrungen in der Jugend so richtig wach geworden. Denn wenn man ein Kind ist und es nur darum geht, alten Leuten zu helfen und Flaschen zu sammeln usw., dann ist das ja auch mit meinen christlichen Werten identisch gewesen und dann habe ich das auch gerne gemacht. Das Problem fängt aber bei der Ehrlichkeit an, denn wenn man ein Jugendlicher ist, ist man besonders bedürftig nach Ehrlichkeit. Da spürt man dann gerade in politischen Fragen diese ganze Verlogenheit und diese Ungerechtigkeiten: Wer wird ausgestoßen? Wer wird bevorzugt? Wer ist stromlinienförmig und darf dadurch aufsteigen usw.? Ab da ging es dann bei mir los – ohne dass ich genau hätte analysieren können, welche verschiedenen Schichtungen da in diesem Staat eigentlich zusammenkamen. Statt dessen geschah das rein emotional aus der empirischen Erfahrung heraus. Benning: Sie sagen, dass Ihnen die größte Schwierigkeit die Anpassung gemacht hat, dass Sie ein freiheitsliebender Mensch sind, der das, was von ihm verlangt wurde, genau nicht machen konnte: sich anzupassen und sich selbst als Duckmäuser zu identifizieren. Klier: Ich muß sagen, dass kann ich überhaupt nicht, und ich gehöre auch zu den Leuten, die meinen, dass die Menschen auch unterschiedliche Veranlagungen haben. Es gibt ja auch andere Diktaturen: Solche Mentalitäten oder Naturen wie ich haben es da wahrscheinlich immer schwer und überleben härtere Diktaturen normalerweise auch nicht. Insofern hatte ich mit der DDR noch Glück, dass ich es doch irgendwie geschafft habe, ohne mich zu verbiegen. Ausgelöst durch diese hohe Gefängnisstrafe für meinen Bruder und seine Freunde, die im Prinzip für den Besitz von Beatles-Texten vergeben wurde, habe ich einen solchen Schock bekommen, dass ich von da an nicht mehr bereit war, etwas hinzunehmen. Das heißt, ich bin nicht auf Konfrontation gegen das System als solches gegangen, sondern gegenüber dem, was ich erlebt habe, was ich gesehen habe. Über lange Zeit, über viele Jahre, blieb das so. Dazu kommt – und das gilt für uns alle –, dass wir durch diese sehr straffe und strenge schulische Erziehung alle einer Art Gehirnwäsche ausgesetzt gewesen sind, die sehr stark war. Man muß sich dessen zuerst einmal bewußt werden, um das überhaupt abstreifen zu können: Viele haben das im Osten bis heute nicht gemacht. Ich habe durch die Geheimbefragungen von Frauen und von Jugendlichen, die ich gemacht habe, Wissen zusammengetragen für dieses Buch "Lüg Vaterland", dessen erste Fassung ich ja noch in der DDR geschrieben habe und die dann bei meiner Verhaftung beschlagnahmt wurde. Ich bin dadurch immer weiter hineinkommen: Das Ganze war in der DDR so eingeteilt, dass eigentlich kein Bereich vom anderen Informationen besessen hat. Die wirklichen Informationen gab es nur oben: in der Synthesis, bei der Staatssicherheit. Es gab aber Leute, die mir ganz einfach anonym zugearbeitet haben. Ich habe dann gemerkt, dass ich dadurch erst eigentlich anfange zu denken: Ich habe richtig gespürt, wie ich anfange zu denken und eben nicht mehr das denke, was ich hier an der Basis denken soll, sondern dass ich von draußen draufschauen kann. Das ist also ein langer Prozeß, in dem man das abstreifen muß. Ich habe in meiner DDR-Zeit gar niemanden erlebt, der das bis zum Ende der DDR gekonnt hat: Das ist eine mühselige Arbeit, zu der man "draußen" sein muß, lesen können muß usw. Benning: In Ihrem Buch "Lüg Vaterland" lautet ein Schlüsselsatz: "Der Drill zu Gehorsam, Selbstaufgabe und Denunziantentum läuft ausschließlich über die Vermittlung der höchsten kommunistischen Ideale, mit denen sich das Kind, der Heranwachsende, leidenschaftlich identifizieren kann." Würden Sie soweit gehen zu sagen, dass 40 Jahre DDR-Bildungspolitik auch 40 Jahre Mißbrauch und Manipulation von Jugendlichen waren und kommunistische Ideale im Grunde genommen nur Lug und Trug? Klier: Mit den Idealen ist das so eine Sache. Aber
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