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Ein Denkmal in SchwarzweiSS, ein Hotel und La Gioconda Astano im Malcantone liegt in Abgeschiedenheit und dient heute dem Bedürfnis nach Ruhe. In der Vergangenheit war mehr los. Das einstige Leben illustrieren das Albergo della Posta, alte Fotos und berühmte Personen – vom Architekten des Zaren bis zur Mona Lisa

Von Paul Imhof [Text] und Tomas Wüthrich [Fotos]

Eingebettet in eine Terrassenlandschaft, liegt Astano unbehelligt vom Durchgangsverkehr in der westlichen Grenzecke des Malcantone

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Eugen Schmidhauser, der in Astano auch einmal Gemeindepräsident war, hielt mit seiner Kamera das Dorf und sein Leben fest. Das Foto von 1932 zeigt das Schild der Osteria Mena. Dort hängt der großflächige Abzug heute

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Antonello Campano, pensionierter Polizeikommissar, in einem Gäßchen beim Convento aus dem 15. Jahrhundert: »Zu meiner Zeit als Sindaco waren in der Gemeinde 60 Prozent Zweitwohnsitze«

⅟₁ – Anzeige

Die Verbindungs- uf Auf den letzten Metern war. Dabei ist es geblieben, die italienische straSSe nach steigt das Sträßchen noch Verkehrspolitik hat wichtigere Präferenzen und einmal etwas an, dann endet zu befriedigen. Ein Glück. es jäh, gestoppt von drei Italien wurde nie Pfählen, die den Asphalt vom s ist still, die Mittagspause dauert gebaut. Ein Glück WAaldweg trennen. Einen halben Meter wei- noch. Vor dem letzten Haus am ter hinten ragt der Grenzstein aus dem Bo- ESträßchen, das von Astano her am den. Von da an windet sich ein Saumpfad Laghetto vorbei westwärts führt, steht der auf den Passo di San Grato und weiter berg- Lieferwagen eines Malergeschäfts. Auf der ab zum Wallfahrtskirchlein Maria delle gegenüberliegenden Seite hat sich jemand Grazie, nach Trezzino und Dumenza. Die auf dem Liegestuhl im Garten ausge- einst geplante Straße von Dumenza nach streckt. Die Schrift an der Hausmauer kon- Astano wurde „noch nicht erstellt, da sie serviert Vergangenheit, „Cavagnin Café auf italienischer Seite erhebliche Mittel zur Thé Chocolat“, ein Kiosk offenbar, zu Überwindung der Steigung erfordert“, wie Diensten der Passanten, als die „Vecchia 1963 in einer Abhandlung über das Malcan- dogana svizzera Astano“ noch mit einer tone in „Geographica helvetica“ zu lesen Mannschaft besetzt und die Grenze bis

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über den Monte Clivio hinaus mit einem Zaun bewehrt war. An den Stacheldrähten baumelten Glöckchen, die bei Erschütte- rungen bimmelten und die Zöllner vor Schmuggler warnen sollten. Schmuggel? – „Lebensmittel“, erklärt Antonello Campana, pensionierter Polizei- kommissar, ehemaliger „Sindaco“ und Prä- sident des „Patriziato“, der Bürgerschaft, die in der ganzen Schweiz zu Hause ist, aber kaum mehr in Astano. „Reis. Kaffee. Lederwaren. Mein Vater brachte vor 50 Jah- ren eine Tasche aus feinstem Leder von Ita- lien mit“, sagt Campana. Und: „Während des Krieges kamen hier Juden und Italiener über die Grenze.“ Und heute? Dürfte es ver- mutlich bequemer sein, im unsäglichen Stau auf der Hauptstraße über Ponte Tresa aufs Deklarieren zu verzichten und sich dem Zufallsprinzip anzuvertrauen.

om ersten Stock seines Anteils am prachtvollen Barockpalazzo, der Veinst die Sippe der de Marchi be- ⅟₁ – Anzeige herbergte und den Campana vor zwei Jah- ren via Internet erworben hat, schauen wir zur Kirche Santi Pietro e Paolo hinüber, wo im Friedhof eine Pestsäule von 1687 an Eu- ropas alte Seuche erinnert. Wir haben den Ort vorher besucht. Auch dort hat sich nichts geregt, keine Nonna mit Kopftuch und Rosenkranz, die Blumen auf einem Grab büschelt, kein Mensch, kein Hund, nicht einmal eine Katze döst an der Sonne. Von der anderen Seite der Straße, wo auf einer Anhöhe kürzlich gegossene Beton- mauern eine künftige Villa erahnen lassen, war bloß das diskrete Surren des Baukrans zu hören, als ob man Rücksicht nähme auf das alarmrote Schild am Ortseingang, auf dem „Stazione climatica riconosciuta“ steht, anerkannter Klimakurort.. Nicoletta Brentano-Motta, Erbin des Posta und der Fotos, hält in der ehemaligen Wohnung „Vor 70 Jahren gab es hier sieben, acht ihrer Großeltern Schmidhauser-Zanetti ein Glasnegativ ans Licht Osterien“, erzählt Campana, der sein Le- ben lang in Astano gewohnt hat und Tag für Tag nach und später nach Chi- asso gependelt ist. Drei immerhin haben überlebt: das „Elvezia“ mit der letzten tur- niertauglichen Bocciabahn des Malcanto-

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ne, die „Osteria Mena“, eine Tessiner Gast- stube wie aus einem enthnologischen Lehrbuch, und das „Albergo della Posta“, ein „Swiss Historic Hotel“, dessen einsti- ger Besitzer Eugen Schmidhauser Astano und dem Malcantone ein Denkmal gesetzt hat. „Mein Großvater hat den Tourismus ins Malcantone gebracht“, sagt Nicoletta Brentano-Motta, die jetzige Besitzerin des Hotels und Kunsthistorikerin im Kunst- haus Zürich. „Wir leben in einem Schlafdorf“, sagt Campana, „hier arbeiten nur noch weni- ge“. Übers ganze Jahr halten sich rund 300 Menschen in Astano auf, im Sommer fünf- mal mehr, Touristen und Feriengäste. Schon zu Campanas Zeit als Sindaco „wa- ren 60 Prozent der Häuser Zweitresiden- zen“. Weniger sind es nicht geworden, auf dem vorstehenden Hügelrücken Riva Sole, den während des Zweiten Weltkriegs pol- nische Internierte rodeten und entsumpf- ten, breitet sich eine Siedlung von gut 40 Häusern aus, ein veritables Villenviertel. 2/3 – Anzeige Bis Anfang der 1970er Jahre konnte man bauen wie man wollte, zerfallene „rustici“ in „palazzi“ verwandeln und einmal sogar einen „ruccolo“, einen Vogelfangturm.

it den „dringlichen Massnahmen Die Zeit ist nicht stehen geblieben, die Mauern sind es: Das »Swiss Historic Hotel« Albergo gegen die Zersiedelung“ schob della Posta an der Via Domenico Trezzini, der Hauptstraße durch Astano Mder Bund 1972 der „Bauwut und Bodenspekulation“ landesweit einen Rie- gel vor, der freilich nie richtig griff, wie man längst weiß. Auch ein Bauernhof steht auf Riva Sole, der letzte von Astano. 1850 fraßen sich noch 4000 Ziegen auf dem Monte Rogorio satt, der im Rücken Asta- nos das Dorf vor Nordwinden schützt; heu- te figuriert die Ziege nur noch im Gemein- dewappen und als „Sagra della capra“, Ziegenfest, auf der Saisonkarte des „Pos- ta“: ein Menü mit Braten, Trockenfleisch, Wurst und Innereien von Ziege und Zick- lein, das schon fast euphorisch den kulina- rischen Zeitgeist der „Cuisine du Terroir“ feiert. So isoliert das Dorf in seiner Grenze- cke zwischen Lago di Lugano und Lago

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Marco Morandis Großonkel »Richin« hat »La Gioconda«, die Mona Lisa, vermutlich 1913 gezeichnet, nachdem sie sein Freund Vincenzo aus dem Nachbardorf jenseits der Grenze im Louvre gestohlen hatte

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Zu Eugen Schmidhausers ⅟₁ – Anzeige Zeiten waren die Belichtungs- zeiten lang, die Personen durften sich nicht bewegen: Die Postkutsche vor dem Albergo della Posta, »Festa veneziana« auf dem Laghetto von Astano (1905)

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terte Exzentriker aus Westfalen Postkarten mit Motiven seines Leibfotografen Schmid- hauser, schrieb Prospekte und Gedichte und versuchte, den Tourismus im Tessin anzukurbeln. 1906 publizierte Fastenrath ein dün- nes Bändchen mit dem Titel „Fröhliches Volk im Tessin“ als „illustrierte Salon-Aus- gabe“ voll schwärmerischer Gedichte und Melodien über Gestalten aus dem Südkan- ton, „die ich im Liede heute dem gesamten deutschen Volke vorführe“. Einfach war es wohl nicht, der Einheimischen habhaft zu werden, denn, so Fastenrath im Vorwort: „Der Tessiner im Allgemeinen ist ein ei- gentlicher Zugvogel und zwar, weil er seit jeher ‚der Not zu gehorchen hatte und nicht dem eigenen Triebe’.“ Der Boden gab für die Landwirtschaft zu wenig her, das Dorf bot einem Handwerk zu wenig Kund- schaft; die Männer waren gezwungen, das Brot für ihre Familien auf der anderen Sei- te des Gotthards zu verdienen. Wer konn- te, verbrachte zwei, drei Monate im Winter ⅟2 – Anzeige zu Hause – die ersten Saisonniers im Land waren Mitbürger. Fastenrath: „Der Tessi- ner [...] ist anspruchslos, bescheiden, gut- mütig, sehr talentvoll, anpassungsfähig und kunstsinnig.“ Barbara Sudati, Chefin der Osteria Mena, kocht die Polenta wie eh und je über dem Feuer im Cheminee „Der Not“ und den genannten Eigen- schaften gehorchend, haben Tausende Tessiner schon vor Jahrunderten in aller Welt gearbeitet. Einigen, auch aus dem Domenico Maggiore liegen mag, so deutlich profitiert 1880 in Betrieb, pflegt auf seine Weise „li- Malcantone, gelangen Würfe von Weltfor- Trezzini es von der nicht gebauten Direktverbin- ving history“ und zeigt Szenen aus dem mat. Der berühmteste Sohn Astanos war dung nach Italien. Neben Touristen schätz- Alltag des Dorfes, fotografiert vor einem von Zar Peter dem Großen nach Russland aus Astano legte ten auch junge Familien die Abgeschieden- Jahrhundert von Eugen Schmidhauser berufen worden: Domenico Trezzini, ge- als Vertrauens- heit, sagt Campana, der nur noch „zwei, (1876-1952), der aus dem Thurgau stamm- boren 1670 in Astano, gestorben 1734 in person des Zaren drei richtige Astaneser“ kennt. Was die an- te und nach der Ausbildung zum Fotogra- Sankt Petersburg, war dort von 1704 bis zu die Grundlagen deren zum Leben brauchen, besorgen sie fen und Studium in München seinem För- seinem Tod „als leitender Architekt und sich im Luganese, an ihrem Arbeitsort. derer, dem Deutschen Rudolf Fastenrath Festungsbaumeister tätig. Als Vertrauens- von Sankt Kein Wunder also, dass es in Astano kei- (1856-1925), ins Malcantone folgte, 1905 in person des Zaren legte T. die Grundlagen Petersburg nen Lebensmittelladen mehr gibt. „Latte- Astano Ginevra Zanetti ehelichte und so zum Aufbau der neuen Hauptstadt“ heißt ria“, „Macelleria“, „Alimentari“ – alles ver- unversehens in eine Hoteliersfamilie ge- es im Historisches Lexikon der Schweiz. schwunden. Dorfleben? „Existiert kaum heiratet hatte. Fastenrath, der in Herisau Im Schatten des militärischen Söldner- noch“, sagt Campana. das Ortstheater „Tonhalle“ geleitet hatte, tums hatte sich auch eine handwerkliche Umso deutlicher lebt Astano im „Al- war nach unweit von Astano ge- Reisläuferei formiert; arrivierte Architek- bergo della Posta“ auf, allerdings in der zogen und hatte am Luganersee ein Ver- ten, Maler und Ingenieure durchstreiften Vergangenheit. Das Hotel, seit mindestens kehrsbüro eröffnet. Dort vertrieb der begü- in der Kutsche das Malcantone und sam-

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melten Handwerkernachwuchs ein. Er- In Dresden staunlich, dass aus so winzigen Ortschaf- ten Baumeister stammten wie Placido erhielt Eugen Visconti aus Pura, Architekt von Kaiserin Schmidhauser Katharina II.. Luigi Zanetti aus Sessa baute 1909 eine Gold- im Dienste von Papst Pius VII., Theodoro medaille für sein Anastasia aus Breno konstruierte die Was- serversorgung von Kairo, und die Familie fotografisches Pelli aus schuf sich während dreier Können Jahrhunderte einen Namen als Künstler und Festungsbauer.

ie die Fotografien in ihm Schnellfeuer-Kamera durch Astano bewe- dient auch das „Albergo gen, er musste Stativ und Kamerakasten Wdella Posta“ selbst als zeit- installieren, bevor er seine Motive festhal- geschichtliches Dokument: das Haupt- ten konnte. So wirken die Fotos gestellt haus, wo in den Anfängen Telegramme und manchmal auch gestelzt, inszeniert verschickt, Pferde und Gäste versorgt wur- wie zwei „Oberitalienische Bauernweiber“ den; das erweiterte Restaurant, angebaut mit beladener, hölzerner Gerla am Rü- in der Funktionalität der 1960er Jahre als cken, oder eine Pferdekutsche vor dem schnörkelloser Saal mit flächendeckender Hotel, der „Landbriefträger“, der „Dorf- Fensterfront zum Garten; und die Casa Ni- barbier“ aus Fastenraths „Lieder-Cyclus“, coletta, das angrenzende Viertel des Ba- der „Dorfpolitikus“, arrangiert vor dem rockpalazzos, in dem Antonello Campana Cheminée mit eingebauter Sitzgelegen- ⅟2 – Anzeige wohnt. 1984 wurde es im strengen Stil der heit. Nur schon der Befehl „Nicht bewe- Zeit umgebaut, und insbesondere das gen!“ dürfte eine gespannte Künstlichkeit Treppenhaus strahlt die Munterkeit eines geschaffen haben. Schulhauskorridors aus. Im obersten Stock des Hotels befindet Doch Schmidhausers Fotografien, un- sich die Wohnung der Besitzer, original er- übersehbar im ganzen Hotel, füllen auch halten aus den Zeiten ihrer Großeltern, diesen kahlen Raum mit Leben. Die Sze- wie Nicoletta Brentano-Motta angekün- nen aus dem Tessin der vorletzten Jahr- digt hat. In Bern aufgewachsen, ist sie in hundertwende dokumentieren fast holz- der Deutschschweiz geblieben. „Im Hotel schnittartig ein karges Leben; sie erinnern habe ich noch nie übernachtet“, sagt sie, an Armut, Handwerk und Brauchtum, heu- aber als Kind habe sie während der Som- te überwunden wie verschwunden, aber merferien in Lugano Prospekte des Posta auch an ein Leben ohne Hektik und den unter die Scheibenwischer geparkter Autos Zwang, auf dem Laufenden sein zu müs- geklemmt. In der Wohnung der Großeltern sen. Auf einem wandgroßen Abzug im Re- lagern Originalplatten Schmidhausers, do- staurant flimmern bildfüllend die weißen kumentarisch wie künstlerisch wertvoll: Blüten eines Busches wie Feuerwerk, dar- 1909 ist er in Dresden mit der Goldmedail- unter sitzt Hotelbesitzerin Ginevera in le für Fotografie ausgezeichnet worden. kontemplativer Erstarrung, in ihrer dunk- „In Dresden!“, sagt Brentano-Motta, das len Kleidung versunken im Schatten des heiße etwas. „Dort herrschte ein besonde- Neu ist nur die Lampe. Nicoletta Brentano-Motta hat im Salon der Wohnung Gewächses, und wäre kaum zu entdecken, rer Geist, dort wurde zwei Jahre zuvor die ihrer Großeltern nichts verändert, ebensowenig im Arbeitszimmer Schmidhausers; würde nicht ein gewaltiger Hund auf Au- expressionistische Künstlergruppe ‚Die Stillleben mit Porträt des Fotografen genhöhe danebenstehen. Brücke’ gegründet“, betont die Enkelin, Natürlich konnte sich Eugen Schmid- und zitiert einen Kollegen: „Un vieillard hauser nicht wie ein Paparazzo mit qui meurt est une bibliothèque qui brûle“,

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ein verstorbener Alter ist wie eine ver- Wo beginnen? Tatsache ist, dass die Und da hängt brannte Bibliothek. „Sprechen Sie mit Mona Lisa 1911 aus dem Louvre ver- sie im Rahmen, Marco Morandi“, empfiehlt Brentano-Mot- schwand und 1913 in Florenz von der Poli- La Gioconda, ta, „er ist pensioniert, er weiß viel“. zei requiriert wurde. Aber zurück zum An- Wir treffen uns im „della Posta“. Mo- fang, zurück zum Sträßchen. Zwischen gezeichnet in randi, 70, ehemaliger Bankdirektor, sitzt Trezzino oberhalb von Dumenza und Asta- Rötlich-Sepia auf zwischen Buffet und Fenster an einem no liegt eine grobe halbe Stunde Fußdis- Papier, 70 mal Tisch, vor sich eine Tasse dunkelroten Ha- tanz. Da kannte man sich hüben und drü- 45 Zentimeter, gebuttentees und ein Stapel Papiere, Do- ben, der kleine Grenzverkehr funktionierte kumente, Bücher. Er hat etwas zu erzählen, bestens, Zaun und Zollhaus hin oder her. signiert mit wartet Fragen gar nicht ab, legt gleich los. Marco de Marchi aus Astano, geboren »Richin« Seine Blicke sprühen Funken, es muss jetzt 1884, studierte Dekorationsmalerei in Du- raus: menza. Dort lernte er Vincenzo Peruggia „Conosce la Gioconda?“ kennen, geboren 1881 in Trezzino. De Mar- Die Mona Lisa? Nun...? chi bildete sich an der Accademia di Belle „Ich besitze eine Kopie. Sie lag jahr- Arti di Brera in Mailand weiter und reiste zehntelang im Haus meines Großvaters. 1902 nach Buenos Aires, wo er unter ande- Die einzige, die gemalt wurde, als das Ori- rem an der Ausstattung des Teatro Colon ginal gestohlen war“, sagt Morandi. mitwirkte. 1905 kehrte er nach Astano zu-

Die Regeln sind geblieben, die Bedingungen verbessert worden: Die Bocciabahn der »Osteria Elvezia« einst ohne und heute mit Dach

⅟2 – Anzeige

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rück, reiste 1913 nach Paris und dann er- neut nach Buenos Aires. 1924 kam er wie- der nach Astano, ausgeraubt und mittellos, schmückte das Haus mit Malereien und verstarb 1957.

incenzo Peruggia dagegen fand Ar- beit im Louvre. Am 21. August 1911 Vwar das Museum geschlossen, am nächsten Tag fehlte die Mona Lisa. Ver- dächtigt wurden anfänglich Künstler, die das Bild kopierten – damals eine verbreite- te Studienform. Doch Peruggia hatte die Mona Lisa abgehängt, unter seinem Kittel versteckt in seine Wohnung unweit des Louvre gebracht und zwei Jahre später in Florenz einem Galeristen zum Kauf ange- boten. Der Galerist informierte die Polizei, Peruggia wurde festgenommen und später zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Das Urteil fiel milde aus, weil Peruggia be- hauptet hatte, das Bild aus patriotischen Das Restaurant mit Fotos von Schmidhauser. Nur wenige Hotels verströmen Gründen heim nach Italien gebracht zu ha- eine so starke Authentizität wie das Albergo della Posta – die Patina der Bausubstanz, ben – obschon es gar keine Raubkunst war: das Bild der Vergangenheit wie die Küche der Gegenwart Leonardo da Vinci hatte seine Mona Lisa dem französischen König François I ver- kauft. „Aus der Zeit, als sich die Gioconda in Nachdem Morandi das Bild gefunden Peruggias Wohnung befand, gibt es nur hatte, ließ er es in Anwesenheit eines No- eine einzige Kopie“, betont Marco Moran- tars untersuchen und die Ergebnisse be- Impressum di. „Die muss Marco de Marchi gemalt ha- glaubigen. Auf der Rückseite des Bildes schauplatz schweiz ben, der Bruder meines Großvaters Quin- entdeckte man, mehrfach zusammengefal- to, und zwar in Peruggias Wohnung. tet, ein rosafarbenes Papier und darin ein Redaktion: Kommen Sie.“ Zügig schreitet Morandi aus weiteres hellbeigefarbenes, auf dem Ad- [email protected], Paul Imhof dem Hotel in die enge Via Trezzini, die den ressat und Botschaft standen: (Text; [email protected]), Verkehr zumeist nur einspurig passieren „caro fratello vi. Andri Pol (Bild; [email protected]) lässt, zum Haus seiner Großeltern im his- Lisina. Verlag und Anzeigen: Marco Valà, torischen Dorfkern. Wir steigen die Treppe non sara rittoccata“ Telefon +41 44 269 70 70, hinauf, vorbei an einer Tür, auf der das „Lieber Bruder Vi(ncenzo). Mona [email protected] Bildnis einer Frau zu sehen ist, die in wal- Lisa. Nichts nachzubessern.“ Abobestellung: GEO Schweiz, lendem Umhang mit verklärtem Blick him- „Richin hat meinen Großvater gebe- Kundenservice DPV, 20355 Ham- melwärts schaut. „Ein Original“, sagt Mo- ten, Vincenzo die gezeichnete Mona Lisa burg, Telefon +49 40 55 55 78 09, randi, von seinem Großonkel gemalt. nach Trezzino zu bringen, als Andenken“, [email protected], Abonnement Dann stehen wir unversehens in einem sagt Morandi. „Aber der wagte es nicht Schweiz Fr. 139.20/Jahr kleinen Raum. Und da hängt sie im Rah- und versteckte das Bild im Haus.“ Nun soll Layout: visuelle editorialdesign men, La Gioconda, gezeichnet in Rötlich- es bald in einem Museum hängen – als Bei- gmbh, Zollikerberg Sepia auf Papier, 70 mal 45 Zentimeter, si- spiel für das künstlerische Talent der Mal- Druck: EVERS Druck GmbH gniert mit „Richin“, Marco de Marchis cantoneser, das einmal nicht im Ausland Künstlernamen. bewundert werden muss. ///

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