DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung
Geschäftsbericht 2014
DIE ERSTE österreichische Spar-Casse Privatstiftung
Geschäftsbericht 2014 Wien, Juni 2015
INHALT
GELEBTE SOLIDARITÄT IST WICHTIGER DENN JE 5
DIE WEICHEN FÜR EINE VIELVERSPRECHENDE ZUKUNFT SIND GESTELLT 8
DIE ERSTE STIFTUNG: HAUPTAKTIONÄRIN DER ERSTE GROUP 10
ALPBACH COMMUNITY MEETING 2014 13
HIGHLIGHTS 19
KALENDER 47
PROJEKTE UND FÖRDERUNGEN IM ÜBERBLICK! 67
ÜBERSICHT ÜBER DIE ZUWENDUNGEN 85
ERSTE STIFTUNG BIBLIOTHEK! 89
GREMIEN UND TEAM 91
LAGEBERICHT! 93
JAHRESABSCHLUSS 2014 103 Anhang!zum!Jahresabschluss!2014 109 Anlagenspiegel!2014 118
MITGLIEDER DES VEREINS „DIE ERSTE ÖSTERREICHISCHE SPAR-CASSE PRIVATSTIFTUNG“ 121
IMPRESSUM 124 Vorstand (v. l. n. r.) Bernhard Spalt, Franz Karl Prüller, Richard Wolf
" Gelebte Solidarität ist wichtiger denn je
Mit großer Freude überreichen wir Ihnen den Geschäftsbericht der ERSTE Stiftung für das Jahr 2014. Ein spannendes Jahr mit vielen Herausforderungen liegt hinter uns und voraussichtlich auch vor uns. Soziale Gerechtigkeit auf regionaler wie globaler Ebene, mili- tärische Konfrontationen im Osten Europas, in denen es ebenso um demokratische Werte und Gesellschaftsmodelle mit mehr oder weniger Partizipation der Zivilgesellschaft geht, Staatshaushalte, die weiter unter starkem ökonomischem Druck stehen und deren Sozi- alsysteme, Bildungsinstitutionen und Kulturscha"ende unter diesen Belastungen immer mehr leiden – all das hat 2014 zu einem Jahr gemacht, in dem es mehr denn je notwendig war, dass Solidarität von uns allen gelebt und gesellschaftlicher Wandel aktiv mitgestaltet wird. Auch das wirtschaftliche Umfeld, in dem die ERSTE Stiftung tätig ist, hat sich weiter verändert, daher hat der Vorstand im Jahr 2014 wichtige Entscheidungen tre"en müssen. Das Stiftungsteam wurde personell verkleinert und einer neuen Strategie angepasst, die diese veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen berücksichtigen muss. Hierarchi- en wurden abgebaut und Abteilungen restrukturiert.
Für den Programmbereich wurde eine Neuorientierung des Prozesses für einen strategi- schen Plan mit klaren Schwerpunkten notwendig. Den beschränkten Wachstumsmöglich- keiten der Stiftung für die nächsten Jahre soll durch eine Schärfung der Strategie Rech- nung getragen werden. Die Arbeitsfelder der Stiftung und ihrer drei Programme Soziale Entwicklung, Kultur und Europa fokussieren künftig auf die Bereiche Bewusstseinsbildung und gesellschaftliches Engagement, Kulturproduktion sowie Bildung und Entwicklung. Die Stiftung wird sich mit der Expertise ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen selbst stärker in die Projektentwicklung einbringen. Die Experten und Expertinnen in den unterschiedlichen Programmen arbeiten eng zusammen und entwickeln gemeinsame Strategien zur Lösung gesellschaftlicher Probleme.
Doraja Eberle hat diesen Prozess der strategischen Schärfung und Fokussierung mit Nach- druck und Stringenz vorangetrieben. Unter ihrer Leitung wurde die Stiftung zukunftsfähig gemacht. Als Profi in der Sozialarbeit und der internationalen Hilfe für Menschen in Not hat sie ihr ganzes Know-how im Sozialbereich einbringen können und beim Netzwerken mit anderen Stiftungen und Förderorganisationen waren ihre Erfahrung und ihre Kenntnis der Realität vor Ort außerordentlich geschätzt. Sie beendete zum 31. Dezember ihre Tätigkeit als Vorsitzende des Vorstandes und wechselte ins Kuratorium der ERSTE Stiftung, wo sie den Vorsitz von Erhard Busek übernommen hat, der weiterhin aktiv in diesem Beratungs- gremium mitwirken wird. Wir sind Doraja Eberle zu größtem Dank verpflichtet und freuen uns sehr, sie weiter als wertvolle Ratgeberin im Team zu haben.
Die jährliche Generalversammlung und Konferenz des European Foundation Centre, des Dachverbandes der europäischen gemeinnützigen Stiftungen, fand in diesem Jahr in Sara- jewo statt. Die ERSTE Stiftung war Mitglied des Organisationskomitees der gut besuchten Tagung. Unter dem Titel „Rethinking Europe“ diskutierten wir mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Stiftungen über Solidarität, Zivilgesellschaft und verantwortliches politisches Handeln, während draußen vor der Türe ein Großteil der Regionen Bosniens, Serbiens und Kroatiens im Hochwasser unterging. Wir wurden Augenzeugen der schlimmsten Flutkata- strophe am Balkan seit über 120 Jahren. Eine der Hilfsmaßnahmen der ERSTE Stiftung: Wir unterstützten eine Spendeninitiative unseres Projekts „Musikschule Superar Srebrenica“ mit PR-Maßnahmen. Der Superar Jugendchor Srebrenica produzierte zusammen mit be- kannten Musikern aus den von der Flut betro"enen Ländern einen Song, der zum Spenden aufrief. Mit dem Erlös wurden Musikschulen wieder aufgebaut, die durch die Flut alles verloren haben.
# Auch in Österreich schienen im Sommer Dämme zu brechen, allerdings im positiven Sin- ne. Es bestand die Ho"nung, dass Österreich im Bereich Philanthropie und Bürgerenga- gement zu internationalen Standards aufschließen könnte. Als eines der letzten Länder Europas gibt es hierzulande keine Gesetzgebung, die gemeinnütziges Stiften steuerlich begünstigt und damit aktiv fördert, also privates Engagement zugunsten der Allgemein- heit zu einer Sache von gesamtgesellschaftlichem, ja staatlichem Interesse macht. So hat etwa die ERSTE Stiftung im Jahr 2014 EUR 22.782.150,90 Steuern an den österreichischen Staat abgeführt, den man somit als den bei weitem Meistbegünstigten bezeichnen könnte. Gemeinsam mit der Julius Raab Stiftung haben wir einen Beitrag zu diesem Prozess ge- leistet und einen Stiftungsatlas herausgegeben sowie eine große Netzwerkveranstaltung in Wien organisiert. Wir sind Mitgründer des Verbands gemeinnütziges Stiften, der sich für eine entsprechende Gesetzesreform nach deutschem und Schweizer Vorbild stark macht und Österreichs Stiftungslandschaft zum Blühen bringen will.
Zwei neue, große Projekte der ERSTE Stiftung sind in diesem Jahr nach Phasen der Ent- wicklung und Vorbereitung mit voller Kraft gestartet. Die ERSTE Foundation NGO Aca- demy ist ein Bildungsprogramm für Menschen, die im dritten Sektor im Bereich soziale Integration arbeiten. Die Akademie wurde gemeinsam mit der Wirtschaftsuniversität Wien entwickelt und ermöglicht Führungskräften und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Hilfs- organisationen, ihr Wissen zu Themen wie strategisches Planen, soziales Unternehmertum und Kommunikation wesentlich und mit praktischen Beispielen für die Anwendung bei der täglichen Arbeit zu vertiefen.
Mit dem ERSTE Foundation Roma Partnership versuchen wir, an eine der komplexesten Aufgaben Europas mit einfachen Mitteln heranzugehen und dabei in erster Linie die Be- tro"enen selbst einzubeziehen. Die soziale Ausgrenzung von Europas größter ethnischer Minderheit, den Sinti und Roma, zu überwinden, gehört sicherlich zu den komplexesten sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen unsers Kontinents. Die Initiative der ERSTE Stiftung überträgt erfolgreiche Projekte in Rumänien, Ungarn und der Slowakei, die Arbeitsplätze für Roma scha"en, in andere Gemeinden und vernetzt Good-Practise- Initiativen miteinander.
Im Sommer hatte eine unabhängige Jury den von der Stiftung initiierten und mit EUR 76.000 dotierten Igor Zabel Award for Culture and Theory 2014 der russischen Kunst- kritikerin und Autorin Ekaterina Degot zuerkannt. Diese Entscheidung war ein deutliches Signal der Unterstützung an die neue russische Dissidentenszene. Im Dezember startete ebenfalls mit einem Blick nach Osten die von der ERSTE Stiftung initiierte neue Diskussi- onsreihe „Das europäische Match – Kontroversen und Begegnungen“. Journalistinnen und Journalisten aus Russland und der Ukraine lieferten sich zum Thema „The Media War: Clash of Realities in the Ukraine Conflict“ eine lebhafte Debatte über den Medienkrieg, der sich um die Konflikte in der Ukraine entwickelt hat.
$ Die ERSTE Stiftung bleibt auch künftig in Bewegung. Wir werden Mitte 2016 auf den neu erbauten Erste Campus umziehen. Am künftigen Firmensitz der Erste Group, in unmittel- barer Nähe des ebenfalls neuen Wiener Hauptbahnhofs, wird die Stiftung größere Räum- lichkeiten erhalten. Im Erdgeschoß gelegen und niederschwellig zugänglich werden wir uns dann einem interessierten Publikum mit eigenen Veranstaltungen ö"nen können. Nicht zuletzt wird unsere stetig wachsende Fachbibliothek zu einem Tre"punkt für Menschen werden, die sich mit den Themen soziale Entwicklung, Stärkung der Demokratie, europäi- sche Integration und zeitgenössische Kultur in Zentral-, Ost- und Südosteuropa beschäfti- gen. Darauf freuen wir uns schon jetzt und danken den Partnern, die uns auch auf diesem Weg begleiten werden.
Franz Karl Prüller Richard Wolf Vorsitzender stv. Vorsitzender
Bernhard Spalt Vorstandsmitglied
% Die Weichen für eine vielversprechende Zukunft sind gestellt
Als Doraja Eberle am 15. Dezember 2012 vom Aufsichtsrat der ERSTE Stiftung zur neuen Vorstandsvorsitzenden bestellt wurde, übernahm sie eine Institution, die im Umbruch war. Die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 haben sich in den nachfolgenden Jahren auch auf die Märkte der Erste Group ausgewirkt, deren Hauptaktionärin die ERSTE Stiftung ist. So musste der Ausfall einer Dividende für das Jahr 2012 ebenso überbrückt werden, wie auf der anderen Seite die Abteilungen der Stiftung mit einer starken Zunah- me an Förderansuchen zurechtkommen mussten, da die ö"entlichen Mittel genauso wie andere private Förderer in den Sozial-, Bildungs- und Kulturbudgets der Länder, in denen die Stiftung tätig ist, immer mehr wegbrachen.
Georg Winckler In der ERSTE Stiftung wurden damals im Zuge der Neubesetzung die beiden Funktionen Vorsitzender des „Vorsitz“ und „operative Verantwortung“ im Vorstand bei Doraja Eberle zusammengelegt. Aufsichtsrates der Dies war bereits Bestandteil einer strategischen Neuorganisation der Stiftung. Es mussten ERSTE Stiftung jedoch noch weitere wichtige Entscheidungen getro"en werden, um die gemeinnützig tä- tige Sparkassen-Privatstiftung an die neuen wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedin- gungen in Zentral-, Ost- und Südosteuropa anzupassen. So hat die Stiftung auf die anhal- tend schwierige wirtschaftliche Situation reagiert und einen Großteil ihrer Schulden durch Aktienverkäufe abgebaut. In einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld hat die ERSTE Stiftung damit die Weichen für die künftige erfolgreiche Arbeit gestellt.
Dem persönlichen Engagement von Doraja Eberle ist es zu verdanken, dass die ERSTE Stiftung in den letzten Jahren ihre Aufgaben weiterhin gut erfüllen konnte. Sie vermittel- te Begeisterung und hatte immer das eigentliche Ziel der Stiftung vor Augen: dass die Stiftung im Leben anderer Menschen etwas zum Besseren wenden sollte. Im Team mit Franz Karl Prüller, dem zweiten operativen Vorstand der Stiftung, hat sie in zwei Jahren viel bewegt.
Doraja Eberle übergab den Vorsitz im Vorstand der ERSTE Stiftung zum 31. Dezember 2014 an ihren Co-Vorstand Franz Karl Prüller. Dieser war in der Stiftung seit 2005 zunächst als Programmdirektor für „soziale Entwicklung“ und seit Ende 2012 als geschäftsführen- des Mitglied des Vorstandes tätig. Der Aufsichtsrat hat mit dieser Entscheidung in seiner Sitzung am 15. Dezember 2014 Frau Eberles Wunsch entsprochen, sich von der aktiven Tä- tigkeit für die ERSTE Stiftung zurückzuziehen. Mit diesem Schritt wird die bisherige Dop- pelgeschäftsführung in der Person des neuen Vorsitzenden vereint und somit erneut zur Stra"ung von Strukturen und Kosten beigetragen.
Somit wird Franz Karl Prüller als alleiniger operativer Vorstand 2015 den Vorsitz überneh- men und gemeinsam mit Richard Wolf (stellvertretender Vorsitzender) und Bernhard Spalt die ERSTE Stiftung führen.
Wir freuen uns, dass Doraja Eberle der ERSTE Stiftung nunmehr beratend als neue Vor- sitzende des Kuratoriums zur Verfügung stehen wird. Um ihre Erfahrung für die Stiftung zu erhalten, hat Erhard Busek, bislang Vorsitzender des Kuratoriums der ERSTE Stiftung, Doraja Eberle als seine Nachfolgerin für den Vorsitz dieses Fachbeirates von Experten und Expertinnen aus Zentral- und Osteuropa vorgeschlagen. Erhard Busek bringt sich in die Stiftung weiterhin in beratender Funktion als Mitglied des Kuratoriums ein.
& Mitglieder des Eine gute Nachricht ist auch, dass die ERSTE Stiftung mit der Scha"ung einer stabilen Ak- Aufsichtsrates tionärsgruppe unter ihrer Führung ihre Rolle als Hauptaktionärin im letzten Jahr wesentlich stärken konnte. Die aus Kapitalerhöhungen der Erste Group Bank AG der vergangenen Georg Winckler Jahre rührenden Schulden der Stiftung konnten signifikant gesenkt werden, die Perso- (Vorsitzender) nalstruktur wurde gestra"t, das Budget für Projektarbeit und Zuwendungen an Partner Johanna Rachinger jedoch auf dem Niveau der letzten Jahre gehalten. Ein Umzug der Stiftung auf den von der (stellv. Vorsitzende) Erste Group im Jahr 2016 zu besiedelnden Erste Campus ist beschlossen und wird neue Maximilian Hardegg Möglichkeiten der Präsentation der Stiftungstätigkeit bieten. Nicht zuletzt die Mitarbeiter Bernhard Kainz und Mitarbeiterinnen der Erste Bank werden die gemeinnützige Arbeit ihrer Hauptaktionä- Peter Mitterbauer rin dann besser verfolgen und sich aus erster Hand informieren können. Peter Pichler Markus Trauttmansdor" Die Mitglieder des Aufsichtsrates bedanken sich bei Doraja Eberle, Franz Karl Prüller, Ri- Barbara Pichler chard Wolf und Bernhard Spalt ausdrücklich für die in den letzten Jahren geleistete, aus- gezeichnete Arbeit. Den künftigen Entwicklungen sehen wir mit großer Erwartung und Neugier entgegen.
Georg Winckler Vorsitzender des Aufsichtsrates
' Wirtschaftliche und stimmrechtliche Beteiligung der ERSTE Stiftung an der Erste Group*
UNIQA Versicherungsverein Privatstiftung Lone Pine Capital 4,1*% ERSTE Stiftung** 4,1*% 11,9*% Harbor Int. Fund 4,0*%
CaixaBank** 9,9*%
Sparkassen und Sparkassen- Privatstiftungen** 5,2**% Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsverein** 3,0*% Mitarbeiter 1,0*%
Private Investoren Institutionelle 9,6*% Investoren 47,2*%
* Stand 31. 12. 2014, Streubesitz: 70,0 %
** Die ERSTE Stiftung kontrolliert ingesamt 30,0 % der Aktien (inklusive 18,1 % aus den Anteilen der CaixaBank, der Sparkassen und Sparkassen-Privatstiftungen, des Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsvereins) und ist mit 11,9 % wirtschaftlich an der Erste Group Bank AG beteiligt.
Kursverlauf der Erste Group-Aktie und wichtiger Indizes (indexiert)
Erste Group-Aktie Austrian Trade Index (ATX) 150 DJ Euro Stoxx Banks
100
50
1. Jänner 2014 31. Dezember 2014
() Die ERSTE Stiftung: Hauptaktionärin der Erste Group
Stärkung der Kontrolle über die Erste Group dank Syndikatsvereinbarungen mit meh- reren Mitaktionären
Die ERSTE Stiftung ist eine Sparkassen-Privatstiftung gemäß dem österreichischen Spar- kassengesetz. Dies bedeutet, dass sie gleichzeitig zwei Funktionen erfüllen muss.
Die ERSTE Stiftung hat dem Gemeinwohl zu dienen und Teile der Dividende aus der Be- teiligung an der Erste Group in gemeinnützige Projekte zu investieren. Die Dividende wird jährlich von der Geschäftsführung der Bank vorgeschlagen und von der Hauptversamm- lung der Aktionäre beschlossen. Zu den Begünstigten, die Zuwendungen der Stiftung er- halten dürfen, gehören ausschließlich gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Organisa- tionen, nicht aber Einzelpersonen oder kommerzielle Unternehmen. Die von der ERSTE Stiftung initiierten und eigenständig entwickelten Projekte werden daher immer mit Part- nern durchgeführt bzw. haben Begünstigte, die diesem Kreis zugehörig sind.
Gemäß Stiftungserklärung soll die ERSTE Stiftung andererseits dauerhaft und qualifiziert an der Erste Group Bank AG beteiligt sein und die Erste Group Bank AG bei ihren regio- nalen und überregionalen Maßnahmen unterstützen. Daher hat die ERSTE Stiftung in der Vergangenheit regelmäßig an Kapitalerhöhungen der Erste Group Bank AG teilgenommen und dafür Verbindlichkeiten aufgenommen. Inzwischen ist die Expansion der Erste Group Bank AG größtenteils abgeschlossen. Die ERSTE Stiftung hat daher in den letzten Jahren ihre Schulden wieder beträchtlich reduziert. Im Jahr 2014 wurden 13.576.817 Mio. Aktien (das entspricht rund 3 % des Grundkapitals) verkauft. Der Bruttoerlös aus diesem Verkauf ergab rund EUR 262 Mio. Daraus wurden im abgelaufenen Geschäftsjahr EUR 225,7 Mio. an Verbindlichkeiten rückgeführt und es ist geplant, mit diesen Erlösen im Jahr 2015 weitere ca. EUR 214 Mio. zu tilgen. Die ERSTE Stiftung senkt damit ihren Schuldenstand deutlich im ersten Halbjahr 2015 auf EUR 400 Mio.
Die ERSTE Stiftung hat 2014 EUR 661.776,42 (2013: 639.371,85) an personalbezogenen Steuern und Abgaben gezahlt. An einkommensabhängigen Steuern sind 19.661.857,47 (2013: 10.797.050,24) angefallen.
Eine besonders positive Entwicklung war 2014 die Erweiterung der Aktionärsgruppe, die sich unter der Führung der Stiftung zusammengeschlossen hat. Am 15. Dezember 2014 genehmigte die österreichische Übernahmekommission Änderungen bei bestehenden Syndikats- und Aktionärsvereinbarungen, die zu einer Stärkung der Position der ERSTE Stiftung als Hauptaktionärin der Erste Group führten.
Die Aktionärsgruppe besteht nun aus der ERSTE Stiftung, der Sparkassengruppe, die sich aus Sparkassen und Sparkassen-Privatstiftungen zusammensetzt, der CaixaBank und dem Eigentümer der Vienna Insurance Group, dem Wiener Städtische Wechselseiti- ge Versicherungsverein.
Die angeführten Aktienverkäufe der ERSTE Stiftung erfolgten innerhalb der Kernaktionärs- gruppe, sodass nunmehr die wirtschaftliche Beteiligung der ERSTE Stiftung bei 11,9 % liegt. CaixaBank und ERSTE Stiftung haben ihre gemeinsame Vereinbarung (Preferred Partner- ship) von 2009 überarbeitet und ergänzt. Die überarbeitete Vereinbarung beinhaltet nun das Recht der CaixaBank, ein zweites Mitglied im Aufsichtsrat der Erste Group zu nominie- ren. Die CaixaBank hat ihre Beteiligung an der Erste Group von 9,1 % auf derzeit 9,9 % er- höht. Die Sparkassengruppe ging eine Aktionärsvereinbarung mit der ERSTE Stiftung ein, erhöhte ihren Anteil auf 5,2 % von zuvor 3,4 % und hat nun das Recht, ein Mitglied des Auf- sichtsrates der Erste Group Bank AG zu nominieren. Der Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsverein hat die 2013 mit der ERSTE Stiftung abgeschlossene Vereinbarung angeglichen und seine Beteiligung an der Erste Group Bank AG in den letzten Monaten auf
(( rund 3,0 % erhöht. Die Erste Group verfügt somit über eine stabile Gruppe von Aktionä- ren, die rund 30 % der Anteile hält. Dank dieser Vereinbarung kann sich eine der größten Retail-Banken in Zentral- und Osteuropa weiterhin auf eine sehr solide Eigentümerstruktur stützen, mit der ERSTE Stiftung an der Spitze einer Gruppe von zuverlässigen Partnern.
Kursrückgang der Erste Group-Aktie aufgrund von Einmale,ekten
Die Entwicklung des europäischen Bankensektors stand unter dem Einfluss der Bilanz- und Stresstests der EZB bzw. EBA. Während die europäischen Bankaktien einen Rück- gang von fast 5 % verzeichneten, musste die Aktie der Erste Group bedingt durch Son- derfaktoren einen überproportionalen Kursrückgang von rund 24 % hinnehmen. Hohe Vorsorgen in Ungarn und Rumänien, Abschreibung von Firmenwerten, Unsicherheiten betre"end die Konvertierung von Fremdwährungskrediten in Ungarn und hohe Steuer- belastung waren ausschlaggebend für einen Rückgang auf das Jahrestief bei EUR 17,02 Mitte Oktober. Nach dem mit gutem Erfolg bestandenen Banken-Stresstest konnte die Erste Group-Aktie deutlich zulegen und beendete das Jahr 2014 mit einem Kurs von EUR 19,235. Die Marktkapitalisierung der Erste Group sank – aufgrund der rückläufigen Ent- wicklung des Aktienkurses – zum Jahresultimo 2014 auf EUR 8,3 Mrd. nach EUR 10,9 Mrd. im Jahr 2013.
Der Wert des Anteils der ERSTE Stiftung an der Erste Group Bank AG belief sich daher zum Jahresende auf rund EUR 1 Mrd.
(+ ERSTE Foundation Community Alpbach Meeting 2014
3 Tage
72 Teilnehmer
40 Organisationen
11 Länder
Zum fünften Mal hat sich 2014 die ERSTE Foundation Community am Rande des Europäischen Fo- rums Alpbach in Tirol zum Aus- tausch getro"en. Die folgenden Seiten geben Impressionen von der Atmosphäre dieses Tre"ens wieder, das zu einem festen Be- standteil und einer gern genutz- ten Möglichkeit des Austausches und der Reflexion für das Team der ERSTE Stiftung und langjähri- ge Projektpartner geworden ist.
(- In diesem Jahr nahmen u. a. aktiv am Pro- gramm teil: der Präsident des Europäischen Forums Alpbach Franz Fischler, Gründer von Krytyka Polityczna Slawomir Sierakowski, Katerina Mishchenko vom Contemporary Visual Arts Center Kiev, die bosnische Fil- memacherin Jasmlila Žbanić, die ukrainische Schriftstellerin Oksana Zabuzhko und die Frankfurter Künstlergruppe finger.
(& HIGHLIGHTS
Y EM D CA A O NG
Die Zivilgesellschaft in CEE auf N O ATI bestehende und künftige Heraus- D forderungen vorbereiten UN ERSTE FO ERSTE
Die ERSTE Foundation NGO Academy unterstützt zivilgesellschaftliche Organisationen in Zentral- und Südosteuropa im Bereich sozialer Integration durch Wissenstransfer, Kom- petenzvermittlung (Management, Führung, Leadership) und Netzwerkbildung bei der Be- wältigung von bestehenden und künftigen Heraus forderungen im sozialen Sektor.
Wir sprachen mit Miroljub Nikolić, dem Direktor der Caritas Šabac in Serbien und Teilneh- mer des ersten Jahrgangs der ERSTE Foundation NGO Academy.
Wofür steht Elio? Elio ist die italienische Übersetzung des griechischen Wortes Helios und bedeutet Sonne.
Warum Sonne? Wir glauben, dass wir den Menschen mit diesem Projekt durch Arbeits- Miroljub Nikolić plätze zu einem neuen Leben verhelfen können, dass wir jenen, die sich unser Service Direktor der Caritas Šabac nicht leisten können, Sonnenlicht bringen und dass wir für die Menschen, die um uns herum leben, weiterhin Licht und Wärme verbreiten. Die Caritas Šabac betreibt das Wäscheservice Elio, ein Sozialunternehmen, das Wer sind die Hauptnutznießer und Hauptnutznießerinnen von Elio? sozial benachteiligten Frauen Dieses Projekt kommt in erster Linie Frauen aus gefährdeten Gruppen zugute. Durch eine Beschäftigung und der diese Arbeit werden sie für einen echten Job ausgebildet und haben so die Chance, zu örtlichen Bevölkerung einen gleichberechtigten und wirtschaftlich unabhängigen Mitgliedern der Gemeinschaft zu erschwinglichen, erstklassigen Wäsche-, Reinigungs-, Trocken- werden. Außerdem unterstützt dieses Projekt Menschen, die am Rande der Gesellschaft und Bügelservice bietet. Das leben: jenen, die sich nicht um sich selbst kümmern können und keine Möglichkeiten ha- Unternehmen war eines der ben, um Hilfe zu bitten. Wir bieten ihnen ein komplettes, kostenfreies Wäsche- und Rei- Finalistenprojekte des Preises nigungsservice. für Soziale Integration der ERSTE Stiftung 2013.
Sie nehmen seit 2014 an den Programmen der ERSTE Foundation NGO Academy teil. Wie würden Sie diese beurteilen? Wir haben bis jetzt an dem Social Innovation and Management Programme und an drei Die ERSTE Foundation Workshops innerhalb des Regional Programme teilgenommen. Mit der ERSTE Foundation NGO Academy ist ein Koopera tionsprojekt der NGO Academy bieten Sie den NGOs dieser Region ein einzigartiges Konzept und Service. Wirtschaftsuniversität Wien Die Workshops sind auf die speziellen und aktuellen Bedürfnisse der NGOs zugeschnit- und ERSTE Stiftung. ten. Um ein Beispiel zu nennen: Manche der angesprochenen Themen hatten wir nie als wichtig erachtet, aber dann erkannten wir, dass sie für die Erreichung einiger unserer Projektziele entscheidend sein könnten. Wir zogen nie die Notwendigkeit in Betracht, eine Kommunikationsstrategie oder Corporate Identity zu entwickeln oder unsere Interessen- und Zielgruppen innerhalb und außerhalb der örtlichen Bevölkerung zu ermitteln. Wir konzentrierten uns nur darauf, unsere Arbeit zu erledigen.
Gab es ein Training, das Sie für besonders nützlich für Ihre Organisation erachteten? Dank eines der Workshops sind wir gerade dabei, eine Kommunikationsstrategie zu ent- wickeln und unsere Zielgruppe zu definieren. Wiedererkennung und Akzeptanz innerhalb einer breiteren Ö"entlichkeit sind die Voraussetzungen für uns, ein gewinnbringendes und nachhaltiges Sozialunternehmen zu werden. Darüber hinaus möchte ich die Bedeutung der regionalen Dimension des Projektes un- terstreichen. Wir haben endlich die Chance, mit unseren Nachbarn zu arbeiten. Das Pro- gramm bietet eine Plattform für gegenseitigen Austausch, Unterstützung und Inspiration. Am allerwichtigsten ist dabei jedoch die Erkenntnis, dass wir mit unseren Problemen nicht alleine sind. Das Programm scha"t die Voraussetzungen für zukünftige Synergien zwischen Ländern, die in den vergangenen Jahren nicht sehr gut miteinander ausgekommen sind.
Teilnehmer/innen des Social and Innovation Management Programme im Kardinal König Haus in Wien.
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4 Y EM D CA A O NG N O ATI D UN ERSTE FO ERSTE ERSTE Foundation NGO Academy Social Innovation and Management Programme 2014 Die ERSTE Foundation NGO Academy baut auf dem Capacity-Building-Ansatz auf und 3 Module ermöglicht dadurch die Weiterentwicklung der einzelnen Organisa tionen und in der Folge 25 Teilnehmer/innen des gesamten Sektors. unterschiedlicher NGOs 12 Länder Die ERSTE Foundation NGO Academy ist in ein internationales Programm, auf Englisch 1 Sprache „Social Innovation and Management Programme“, und das „Regional Programme“ unter- Regional Programme 2014/2015 teilt: International umfasst es Themenblöcke wie NGO Ecosystems, Fundraising, Strategy Periode: Oktober–Dezember 2014 oder Leadership und zielt vorrangig auf Führungskräfte und Projektmanager und -mana- 16 Workshops gerinnen ab. Das regionale Programm setzt sich aus voneinander weitestgehend unab- 13 Länder hängigen Veranstaltungen zusammen. Sie werden in mehreren Sprachgruppen abgehal- 8 Städte ten, wobei ihre Themen verstärkt lokale Gegebenheiten und Bedürfnisse mit einbeziehen. 7 Sprachen Englisch, Deutsch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Der Aufbau der beiden Programme erfolgt in einer Kooperation zwischen der ERSTE Tschechisch, Slowakisch, Stiftung und dem Kompetenzzentrum für Non-Profit-Organisationen und Social Entre- Ungarisch und Rumänisch preneurship der Wirtschaftsuniversität Wien. Im Jahr 2014 wurden die Programme auf internationaler sowie auf regionaler Ebene konzeptioniert, aufgebaut und zum ersten Mal umgesetzt.
Durch die ERSTE Foundation NGO Academy soll die Zivilgesellschaft in Zentral- und Süd- osteuropa lanfristig gestärkt werden.
Jovana Trifunović
Vortragende 2014 Lukáš Hejna Olivia Rauscher (Auswahl) Nikolaus Hutter Matthias Reisinger Iván Kepecs Zsófia Rét Csaba Bakó Ilse Klanner Susanne Roiser Renate Buber Michael Kleinbichler Andreja Rosandić Erhard Busek Ivan Krastev Karin Schetelig Radka Bystřická Michaela Kreuterová Andrea Schmidt Klaus Candussi Christian G. Majer Christian Schober Christoph Chorherr Daniel Matei Georg Schön Vlad Craioveau Michael Meyer Günther Stahl Sava Dalbokov Reinhard Millner Peter Vandor Michael Fembek Jana Pacalová Josef Waltl Gabriela Gandal Sabine Pöhacker Barbara Weber Vera Gjokaj Florian Pomper Chris Worman
1 Kurze Auszeit auf der Dachterrasse der Erste Bank Lounge am Petersplatz. 2 Andreas Treichl, Vorsitzender des Vorstandes der Erste Group Bank AG und Mitglied des Kuratoriums der ERSTE Stiftung, begrüßt die Teilnehmer/innen. 3 Teilnehmer/innen der ersten Generation des Social and Innovation Managment Programme. 4 Im Gruppenbild: Teilnehmer/innen des Social and Innovation Management Programme und Organisator/innen der ERSTE Foundation NGO Academy.
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+" 4 5 Y R O HE D T AN Keine einfachen Zeiten für ULTURE
kritische Kunst und kritisches C R O F
Denken D WAR A Die Gewinnerin des Igor Zabel Award for Culture and ABEL Z
Theory 2014 ist die russische Kunsthistorikerin, Autorin R O G und Kuratorin Ekaterina Degot. I
Anfang November hat der österreichische Künstler Josef Dabernig den Hauptraum der Wiener Secession in einen eleganten, von schlichten, aber schweren Sto"en eingefassten Festsaal verwandelt. Am 6. November fand zum vierten Mal die Verleihung des Igor Zabel Award for Culture and Theory statt, nun erstmals in Wien. Es war eine fröhliche Feier, die aber auch viele nachdenkliche Momente und starke Redebeiträge enthielt. Denn diesmal sandte der Igor Zabel Award for Culture and Theory ein starkes Signal nach Russland. Mit dem Hauptpreis (EUR 40.000) wurde die für ihre kritischen Stellungnahmen gegenüber der o)ziellen Politik ihres Heimatlandes bekannte Kunsthistorikerin Ekaterina Degot aus- gezeichnet. Igor Zabel (1958 – 2005) Mit der Entscheidung für die Empfängerin des Hauptpreises hat die Jury – bestehend war ein vielseitig interessier- aus Keti Chukhrov (Moskau), Apolonija Šušteršič (Ljubljana) sowie Rainer Fuchs (Wien) – ter und aktiver slowenischer Kurator, Autor und Kulturthe- ein deutliches Signal der Unterstützung an die neue russische Dissidentenszene gesandt. oretiker. Als Philosoph, Autor, Diese hat es im nationalistisch aufgeheizten Klima des Ukrainekonflikts und angesichts Essayist, Kurator moderner einer neuen Ära der Ost-West-Konfrontation immer schwerer, innerhalb, aber vor allem und zeitgenössischer Kunst, auch außerhalb Russlands wahrgenommen zu werden. Ekaterina Degot wurde der Preis Literatur- und Kunstkritiker und Übersetzer war er Vorbild für ihre interdisziplinäre Arbeit als Kritikerin und Kuratorin verliehen, die sich vor allem mit für neue Generationen von soziopolitischen und ästhetischen Themen in Russland und Osteuropa auseinandersetzt. Kuratoren und Kuratorinnen Viel beachtet wurde in jüngster Zeit ihr Blogbeitrag zur Debatte über einen Boykott der und Kritiker und Kritikerin- Manifesta in St. Petersburg, der auf subtile Weise deutlich machte, dass es fatal gewesen nen zeitgenössischer Kunst. wäre, die russischen Künstler und Künstlerinnen gerade jetzt vom internationalen Aus- Als Theoretiker und Kurator forderte er unermüdlich eine tausch abzuschneiden, obwohl die Gefahr der Vereinnahmung der renommierten Ausstel- gründliche Untersuchung poli- lung für die Selbstdarstellung eines undemokratischen Systems jederzeit bestünde. „Ich tischer, sozialer und kultureller bin außerordentlich dankbar für diesen Preis, insbesondere deshalb, weil ich ihn als eine Subströmungen ein, die mög- Geste der Solidarität gegenüber den Intellektuellen Russlands in einem der dunkelsten licherweise zu einem besseren Verständnis der modernen und Augenblicke in der Geschichte des Landes sehe“, kommentierte Ekaterina Degot die Ent- zeitgenössischen Kunst führen scheidung der Jury. könnte. Die Preisträger und Preisträgerinnen – ebenso wie Neben dem Award werden drei Stipendien (je EUR 12.000) vergeben, davon zwei von der Igor Zabel – haben spezifische Jury. Diese erhielten zwei Theoretiker, die sich mit der engen Wechselwirkung von politi- Bereiche des Wissens und der Kultur zusammengeführt und scher und kultureller Entwicklung auseinandersetzen: der Prager Kunsttheoretiker Karel auf deren Allgegenwart im Císař und der Kunsthistoriker Miklavž Komelj aus Ljubljana. Karel Císař ist Assistenzprofes- Leben der Menschen hinge- sor für Ästhetik und Kunsttheorie an der Akademie für Künste, Architektur und Design in wiesen. Der Igor Zabel Award Prag. Die Jury erkannte ihm ein Igor-Zabel-Stipendium zu, weil er „die Kluft zwischen west- for Culture and Theory würdigt diesen erweiterten Zugang licher und östlicher Kunst und Kunsttheorie überbrückt, indem er in internationalen und bei Forschung, Analyse und interdisziplinären Zusammenhängen arbeitet und denkt“. Er bewegt sich dabei zwischen Vermittlung. den unterschiedlichen Medien Fotografie, Film, Literatur, Architektur und Design. Miklavž Komelj ist Kunsthistoriker, Dichter und Übersetzer in Ljubljana. Er untersucht Beziehungen zwischen Kunst und Politik auf ähnliche Weise wie der Namensgeber des Preises, den er gut kannte. Ein Igor-Zabel-Stipendium wurde ihm für sein engagiertes Schreiben zuge- sprochen. Seine Leidenschaft gilt wenig beachteter Kunst und übersehenen Künstler und Künstlerinnen. Partisanenkunst hat er einen dauerhaften Platz in der Sammlung der
1 Ekaterina Degot, Gewinnerin des Igor Zabel Award for Culture and Theory 2014 2 Im Publikum: Jurymitglied Keti Chukhrov, Mateja Kos Zabel und Jasna Zabel. 3 Gewinner/innen und Jury mit den Vertreter/innen der Igor Zabel Association for Culture and Theory und ERSTE Stiftung 4, 5 Die aus Buchstaben zusammengesetzte Trophäe des Preises
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Auszug aus der Dankesrede der Preisträgerin – mit Metaphern und Litotes, Paradoxien und Oxymora; Ekatarina Degot, die unter dem Titel „The List doch diese Fertigkeit, dieses Handwerk, wurde nicht of Fiascos“ die Entwicklung ihres Heimatlandes mehr benötigt. Gefragt war eine postfordistische Wis- ebenso wie ihren eigenen Werdegang scho- sensproduktion: starre, kryptische, universell-westliche nungslos und mit einer Prise bitterem Humor als Sammelbegriffe, diese Passwörter der internationalen eine Geschichte des Scheiterns beschrieb. Kulturwissenschaften, die häufig das Wesentliche nicht begreifen, jedoch das Begonnene zensieren. Erst viel (…) In den letzten Tagen der 1980er, noch in den eisigen später wagte ich es in meinen Texten und meiner For- Zeiten des Kalten Krieges, war ich freischaffende Kunst- schungstätigkeit, mein sowjetisches antiformalistisches historikerin. Die Kunstgeschichte war für mich ein Mittel, – letztlich marxistisches, jedoch eher in der literarischen um der Politik, der Wirtschaft, dem öffentlichen Bereich Erzählung und Philosophie als in der Semiotik und poli- und allem, dem ich hilflos gegenüberstand, möglichst tischen Theorie verwurzeltes – Erbe offen anzunehmen. fern zu sein. Nun trachte ich verzweifelt danach, zu eben- Auch wenn die Geschichte dieser Politik, Wirtschaft und vorbei war, so verflog die Öffentlichkeit durchzudringen, Zeit immer schneller, und ohne dabei die Kunsthistorike- in den 1990ern wurde ich rin in mir aufzugeben, die ich Kunstkritikerin und Kultur- nach wie vor bedauern würde, kolumnistin bei einer Tages- zu verlieren. Wir Kunsthistori- zeitung. Jene unter uns, die ker und andere Intellektuelle schon zuvor nicht aufhören waren und sind immer noch konnten zu schreiben, taten Teil des kulturellen Überbaus, es nun in – und für – bür- ergehen uns in Kritik, schwel- gerliche und scheinbürger- gen in der Sprache, navigieren liche Blätter. Der Vertrag durch die Semiosphäre, während uns die wirtschaftlichen basierte auf der Illusion der Freiheit eines Autors. Aber Bedingungen genommen wurden und noch immer ge- diese unsere Freiheit, die Freiheit, spitzfindige, sehr per- nommen werden, früher vom realen Sozialismus, heute sönliche Worte zu wählen, legitimierte in Wahrheit die vom trügerischen Kapitalismus. Wir hatten keinen Boden Entscheidungsfreiheit auf dem freien Markt, und was unter den Füßen. Wir Kunstkritiker und -theoretiker ha- am allerwichtigsten ist, die einmalige Wahl des freien ben gelernt, der Distanz und Unabhängigkeit, der Ironie Marktes selbst. Die Klügsten unter uns hatten bereits und dem Sarkasmus zu huldigen – den letzten Zufluchten erkannt, dass das, was wir taten, ein Schönfärben der derer, denen man alle möglichen Freiheiten genommen gegenwärtigen massiven Umverteilung des Vermögens hat. Wir übersahen die eine Freiheit, die wir hatten – jede war, die Ekstase des Anhäufens und die Ästhetik der Menge Freizeit. Wir verwechselten diese Freizeit mit ei- immateriellen und unmittelbaren Weitergabe. Erst zehn nem Dämmerzustand. 1989 wachten wir eines Morgens Jahre später, im Jahr 2007, konnte ich die Website auf und erkannten, dass wir auf dem Markt waren. erstellen, die ich im Sinne hatte, auf der ich versuchte, schwülstige Kunstkritik zugunsten schonungsloser, so- Man erzählte uns fortwährend, dass wir wieder Teil der zial-orientierter Faction-Prosa zu verbannen. Geschichte wären; andere behaupteten, die Geschichte hätte bereits geendet. Das klang seltsam, weil wir doch Aber warum wandte ich mich in meinen Texten über- noch keinen einzigen Bissen davon gekostet hatten. haupt weiterhin an die Öffentlichkeit und nicht an die Aber wir waren da draußen, in der Welt, auf dem Markt, Wissenschaft, obwohl man mich bereits gewarnt hatte, und das galt auch für unsere Texte, die zum ersten Mal dass es mir nicht viel Respekt einbringen würde? War- übersetzt, verstanden, missverstanden, beurteilt, zitiert, um wollte ich die Menschen stets zum Lachen bringen aufgegriffen und beachtet wurden. Sowjetische Kunst- – und in meinen kühnsten Träumen sogar zum Weinen? historiker verstanden es nur zu gut, wie man ein bestimm- Warum gelang es mir nicht, substanziell, präzise und se- tes Kunstwerk analysierte und in einen Kontext stellte riös zu sein? (…)
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ULTURE C R O F D WAR A Moderna Galerija in Ljubljana verscha"t. Ein Stipendium wird traditionell von der Gewin- ABEL
nerin vergeben. Es ging an den russischen Aktivisten, Schriftsteller und Übersetzer Kirill Z R
Medvedev für seinen Verlag Free Marxist Press. O G I Der Non-Profit-Verlag versteht sich als Bildungsprojekt zur Förderung zeitgenössischer marxistischer und kritischer Theorie, politischer Kunst und Dichtung. Verö"entlichungen und Aktionen haben die Geschichte der Arbeit, sozialistische und antifaschistische Grup- pen sowie Frauen-, Homosexuellen- und Minderheitenbewegungen zum Thema.
Die Preisverleihung in Wien fand in Kooperation mit mumok und SECESSION statt. Die Glasnost. Soviet Non- Gewinner und Gewinnerinnen stellten ihre Arbeit im Rahmen einer Konferenz im mumok Conformist Art from the 1980s vor. Unter dem von Igor Zabel entlehnten Motto „Continuing Dialogues“ gaben die Preis- Texts by Joseph Backstein, träger und Preisträgerinnen Einblick in ihre Arbeit. Karel Císař unterhielt sich mit Rainer Ekaterina Degot, Boris Groys Fuchs über seine Ausstellung „Figures and Prefigurations“, die 2013 in der Städtischen London et al.: Haunch of Venison, 2010 Galerie in Prag zu sehen war. Miklavž Komelj und Apolonija Šušteršič tauschten sich unter dem Secessions-Motto „Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit.“ von Ludwig Hevesi aus. Mit großer Spannung war die Diskussion des russischen Podiums erwartet worden. „Neo-Patriotism and the Options of Dissidentship“ war das Thema von Keti Chukhrov, Ekaterina Degot und Kirill Medvedev, die sich darin einig waren, dass kritisch denkende russische Intellektuelle noch lange einen schweren Stand in ihrer Heimat haben werden.
Der mit insgesamt EUR 76.000 dotierte Igor Zabel Award for Culture and Theory ist eine Initiative der ERSTE Stiftung und wird gemeinsam mit dem Verein Igor Zabel Association for Culture and Theory (Ljubljana) biennal ausgelobt. Der Preis zeichnet außerordentliche kulturelle Leistungen von Kunsthistoriker und Kunsthistorikerinnen als auch Kunsttheore- tikern und Kunsttheoretikerinnen aus, deren Arbeit einen Bezug zu Zentral- und Südost- Jan Mancuska: Against europa hat und zum kulturellen Dialog au"ordert. Der Igor Zabel Award for Culture and Interpretation Theory wurde zum ersten Mal 2008 an das kroatische Kuratorinnen-Kollektiv What, How by Karel Cisar (Author), & for Whom (WHW) vergeben. Piotr Piotrowski, Kunsthistoriker und ehemaliger Direktor Katrin Meder (Author) Hatje Cantz; Bilingual des Nationalmuseums in Warschau, gewann den Preis 2010, die mazedonische Kunsthis- edition, 2011 torikerin Suzana Milevska wurde 2012 ausgezeichnet. Der nächste Igor Zabel Award for Culture and Theory wird 2016 vergeben.
Maribel Königer
It‘s no good. Poems, essays, actions. Kirill Medvedev, translated from the Russian by Keith Gessen et al. New York: n+1 / Ugly Duckling Presse, 2012
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Auszug aus der programmatischen Rede „Insur- Suzana Milevska unserer kleinen Organisation verlieh – gent Art in the Theatre of Politics“ während der nur sechs Monate, nachdem die ungarischen Behör- Preisverleihung von Timea Junghaus, deren Or- den das letzte Kulturzentrum in Budapest geschlossen ganisation European Roma Cultural Foundation hatten, das der Roma-Gemeinde für Kulturproduktion, 2012 ein Igor-Zabel-Arbeitsstipendium erhalten -präsentation und -interpretation zur Verfügung stand –, hatte. mieteten wir 2012 ein Gemüsegeschäft im achten Be- zirk von Budapest, der „Schokoladenseite der Stadt“, ei- (…) Ich bin eine Roma, (…) eine Intellektuelle der ers- ner hauptsächlich von Roma bewohnten Gegend, und ten Generation, eine Kunsthistorikerin, eine Kuratorin starteten Gallery8 – Roma Contemporary Art Space. für zeitgenössische Kunst, was bedeutet, dass meine Dank dieser Unterstützung entgingen wir dem üblichen Familie keine Ahnung hat, womit ich meinen Lebens- Roma-NGO-Schicksal, das häufig einer Falle gleicht, in unterhalt verdiene. Nein, im Ernst, es bedeutet, dass ich der Roma darauf warten, dass die Geberorganisationen von der Kraft des Visuellen ihre sogenannten Projekte und der Bejahung des Be- – zuweilen verrückte Ideen griffs zeitgenössische Roma- oder „Initiativen“ – den Ro- Kunst besessen bin. Wenn ich ma-Organisationen über- vor einem angesehenen Pu- antworten. Wir mussten blikum wie diesem hier heute nicht bei irgendeiner Regie- Abend spreche, so muss ich, rungsbehörde oder einem bevor ich beginne, einen Mo- Geldgeber um Projektför- ment innehalten und mich dar- derung ansuchen, denn wir an erinnern, dass – auch wenn hatten endlich die Mittel, um ich von einem Volk abstamme, das zu tun, was wir wollten. das so verhasst ist, so verach- Gallery8 widmet sich der tet, so traumatisiert und stig- Revision des übertragenen matisiert und terrorisiert – ich keine Angst davor haben Wissens über traditionelle und zeitgenössische Kunst muss, über meine Verletztheit zu sprechen, sondern da- und Kultur der Roma durch die nähere Bestimmung von rauf vertrauen kann, dass es mir nach wie vor gelingt, in der postkolonialen Theorie und Kritik erörterten The- Mittel und Wege zu finden, die Wahrheit zu sprechen men wie der Essentialisierung der Roma-Identität, kul- und Allianzen zu finden, die nicht auf Interessen – was turellen Unterschieden, Hybridisierung und Subjektivität. der konventionellen Form der Zusammenarbeit in mei- Bei unseren Forschungs-, kuratorischen und aktivisti- nem Bereich entspräche – sondern auf Solidarität be- schen Projekten geht es um den unablässigen Kampf ruhen. gegen negative Stereotypen und feindliche Haltun- gen gegenüber Roma-Gemeinschaften, indem wir uns Unter einigen anderen Kollegen und Freunden war es mit den heikelsten und dringlichsten Themen wie dem Suzana Milevska, Kunsthistorikerin und Gewinnerin des Roma-Holocaust, der Roma-feindlichen Stimmung und Igor-Zabel-Preises 2012, die mir und meinen Kollegen dem Rassismus auseinandersetzen. Wir tun dies in dem in der European Roma Cultural Foundation und Gallery8 extrem feindlichen, nationalistischen, politischen Klima zeigte, dass wir sogar in diesem auf Rivalität und Wett- des heutigen Ungarn. bewerb beruhenden Teufelskreissystem an einem Be- kenntnis zu Integrität, Ehrlichkeit und Anstand festhalten Unsere kuratorischen Projekte und künstlerischen Ak- können und dabei dennoch Teil eines Netzwerkes, einer tionen bewiesen und machten sichtbar, dass die weiße Gemeinschaft oder einer Tradition des Kampfes sein Vormachtstellung real ist und dass das Patriarchat real können. Mithilfe des Igor-Zabel-Arbeitsstipendiums, das ist, und unser Heimatland hat uns gezeigt, dass es uns
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ULTURE C R O F D WAR A verletzen, gefährden und zerstören kann. Es ist ziemlich Jury 2014 Die Preisträger und ABEL schwierig, an den essenziellen Kern an Menschlichkeit Z
Preisträgerinnen werden von R der Weißen zu glauben, wenn sie uns mit Waffen an- einer internationalen Jury O G I greifen. Und noch immer arbeiten wir in Ungarn, das ausgewählt. 2014 gehörten der Jury die Philosophin das Labor der europäischen Experimentierkunst zu sein Keti Chukhrov (Moskau), die scheint, mit kritischem Bewusstsein „gegen die Lauf- Künstlerin und Architektin Apolonija Šušteršič (Ljubljana) richtung“. sowie der Kurator und stellvertretende Direktor des Wir sind angewidert von dem endlosen Diskurs des „Zi- mumok, Rainer Fuchs, an. geunerproblems“ der offiziellen Politik und ihren Paro- len – wie etwa dass „Zigeuner“ nicht arbeiten wollen, Sozialschmarotzer, Diebe, handlesende Scharlatane, kriminelle Bestien und sexbesessene Tiere sind – und wir wissen, dass Roma genau das sind, was Europa braucht, um sich zu erholen! Die europäischen Volks- wirtschaften beginnen, die Auswirkungen der rapide alternden Arbeiterschaft zu spüren. Da die Bevölke- rung Europas nicht genug Kinder zeugt, um scheiden- de Generationen im erwerbsfähigen Alter zu ersetzen, wird die Situation nur noch schlimmer werden. Bis 2050 wird die Bevölkerung der ethnischen Bulgaren voraussichtlich auf 800.000 schrumpfen, während die Anzahl der bulgarischen Roma auf 3,5 Millionen an- steigen soll. Bulgarien wird faktisch bis zur Mitte dieses Jahrhunderts ein Roma-Land sein! Einer Prognose aus dem Jahr 2010 zufolge, werden 20 % der ungarischen Bevölkerung, 30 % der rumänischen Bevölkerung und 40 % der Berufstätigen unter ihnen bis zu eben diesem Jahr Roma sein. Europa braucht Roma-Babys. Wenn die europäischen Regierungen effektiv in die Integration der Roma investieren, werden sie damit eine Erwerbs- bevölkerung aufbauen, die helfen kann, die kommende Last steigender Pensionen, Gesundheitsausgaben und anderer staatlicher Aufwendungen zu tragen und unser alterndes und krankes Europa zu retten. (…) Igor Zabel warnte uns davor, dass „die Vorstellung, dass Kunst ernsthaft die Welt verändern kann, fraglich, utopisch oder sogar unmöglich geworden ist.“ Es besteht jedoch kein Zweifel, dass sein Erbe bestätigt, dass Kulturkritik eine entscheidende Position sein kann und ist, um Macht und Dominanz aufzudecken, Wissen auszutauschen und neue Erkenntnistheorien zu entwickeln.
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Der Medienkrieg M PEAN O UR E HE T
Die erste Diskussion einer neuen Gesprächsreihe der Oksana Boyko ist Moderatorin der 14-tägig ausgestrahlten ERSTE Stiftung beleuchtete unterschiedliche Wirklichkeiten geopolitischen Sendung in der Berichterstattung über den Konflikt in der Ukraine „Worlds Apart“ auf RT. Yevhen Fedchenko ist Im großen Saal der Diplomatischen Akademie in Wien meinte man am 1. Dezember 2014 Mitbegründer der im März die in der Luft liegenden Spannungen geradezu knistern zu hören. Auf dem Podium saßen 2014 gegründeten Initiative StopFake.org und Direktor und sich drei Gesprächspartner in einer Diskussion gegenüber, in der es just darum gehen sollte, Journalistik-Professor an der warum die Atmosphäre in dieser Runde eigentlich so gereizt war: weil man einander näm- Journalistenschule der Kiewer lich sowieso nicht trauen könne. Auf der einen Seite von Moderator Christian Ultsch (Res- Mohyla-Akademie. sortleiter Außenpolitik der österreichischen Tageszeitung Die Presse) saß Oksana Boyko, Katya Gorchinskaya ist stell- Moderatorin der im 14-tägigen Rhythmus ausgestrahlten geopolitischen Sendung „Worlds vertretende Chefredakteurin Apart“ auf RT (vormals Russia Today). Auf der anderen saßen Katya Gorchinskaya, stell- der englischsprachigen Zeitung vertretende Chefredakteurin der englischsprachigen Zeitung Kyiv Post und Gastgeberin Kyiv Post und Gastgeberin der der ukrainischen TV-Sendung „Free People“ sowie Yevhen Fedchenko, Direktor und Jour- TV-Sendung „Free People“. nalistik-Professor an der Journalistenschule der Kiewer Mohyla-Akademie.und Mitbegrün- der der im März 2014 gegründeten Initiative „StopFake.org“. Thema der ersten Runde der neuen Diskussionsreihe „Das europäische Match – Kontroversen und Begegnungen“, die die ERSTE Stiftung in Kooperation mit der Tageszeitung Die Presse von nun an regelmäßig veranstaltet, war der Medienkrieg, der den Konflikt in der Ukraine begleitet und mit jeweils völlig unterschiedlichen Darstellungen der Wirklichkeit in den Konfliktgebieten die Ö"ent- lichkeit in Russland, der Ukraine und den beobachtenden Staaten zu beeinflussen versucht.
Dass Medien – wie durchaus auch in der Vergangenheit – über internationale Konflikte nicht neutral berichten, sondern sehr oft einen patriotischen Standpunkt einnehmen und dabei auch vor Propaganda bis hin zu manipulativ eingesetzten Falschmeldungen nicht zurückschrecken, ist nichts Neues und ein globales Phänomen. Dennoch wird allenthalben beklagt, dass im speziellen Fall der aktuellen Beziehungen zwischen Russland und Ukraine gezielte Fehlinformationen besonders skrupellos zur Beeinflussung der ö"entlichen Mei- nung eingesetzt würden. Die Geschehnisse auf der Krim und im Donezbecken waren und sind außerhalb der Region nur durch journalistische Berichterstattung präsent, durch TV- Bilder von Belagerern und Belagerten, durch Kommentare, Interviews und Hintergrundbe- richte. Dabei werden in den Medien der Konfliktparteien zum Teil völlig unterschiedliche Wirklichkeiten beschrieben. Der Kampf auf der Straße ist tatsächlich auch zu einem Krieg der Medien geworden, die ihr Publikum bewusst mit dem Antagonismus „Wir gegen die anderen“ emotionalisieren.
Die Debatte darüber eignete sich daher ausgezeichnet als Auftakt für die Reihe „Das eu- ropäische Match“, die sich in den kommenden Jahren der grundsätzlichen Frage widmen möchte, warum 25 Jahre nach den großen gesellschaftlichen Umbrüchen in Europa die Ära der Großmächte und Ideologien sowie der Trennung von Ost und West noch immer nicht vorüber ist, ja, warum alte und neue Gräben immer wieder aufbrechen. Denn Europa ist nach wie vor kein vereinter Kontinent. Wirtschaftliche Instabilität, soziale Ungleichheit und ein seine neue Rolle suchender Kulturbetrieb werfen Fragen nach dem gesellschaft- lichen Zusammenhalt auf.
1 Christian Ultsch greift in die hitzige Diskussion zwischen Oksana Boyko (links) und Katya Gorchinskaya (rechts) ein. 2 Zwei unterschiedliche Standpunkte, drei Diskutanten. Von links nach rechts: Yevhen Fedchenko, Oksana Boyko, Katya Gorchinskaya. 3 Die stellvertretende Chefredakteurin der Kyiv Post, Katya Gorchins- kaya, schildert ihre Perspektive. 4 Als Mitbegründer der Plattform StopFake.org weiß Journalist Yevhen Fedchenko auf die Gefahren von Falschmeldungen in Medien hinzuweisen und vor deren Missbrauch zu warnen. 5 The European Match – Kontroversen und Begegnungen: die erste Ausgabe der Diskussionsreihe in der gut besuchten Diplomatischen Akademie Wien.
-( Die Gesprächsreihe „Das europäische Match“ will daher Experten und Expertinnen und handelnde Akteure und Akteurinnen aus Ost und West zusammenbringen, um von einem Schlagabtausch der Argumente zu lernen und um Kontrahenten und Kontrahentinnen Gele- genheit für spannende Kontroversen zu geben.
Filip Radunovic, der die Reihe konzipiert hat, wies in der Einleitung zum Abend auf ein Kernproblem der politischen Antagonismen des 21. Jahrhunderts hin: Der Kampf der Ideologien sei ersetzt worden durch den viel heftigeren Widerstreit der (medial vermittel- ten) Wirklichkeiten. Dem nachzugehen habe man sich heute vorgenommen.
Die Diskussion begann jedoch mit einem gewissen Abstand vom eigentlichen Thema – dem Medienkrieg – und nahm zuerst die historischen Ereignisse des vergangenen Jah- res selbst ins Visier. Die Rollen auf dem Podium waren in zu erwartender Weise verteilt: Frau Boyko wies auf ausländische Interessen und inländische Extremisten hin, die bei den Aufständen am Maidan Ende 2013 und zu Beginn des Jahres 2014 in Kiew eine Rolle ge- spielt hätten, während Frau Gorchinskaya immer wieder betonte, dass es das ukrainische Volk war, dass sich in einem legitimen revolutionären Akt seiner korrupten, von Moskau abhängigen Regierung entledigt und im Anschluss auf demokratische Weise eine neue Regierung gewählt habe. In der ersten Hälfte des Abends konnte man also eher dem Me- dienkrieg live zusehen, als ihn von kompetenter Seite analysiert zu bekommen.
Aufschlussreich und die Mechanismen medialer Vermittlung reflektierend war dabei jedoch, wie sehr Argumente gewinnen oder verlieren können durch die Art, wie sie vorgetragen werden. Oksana Boyko ist Anchorwoman eines großen TV-Senders. Sie war jahrelang poli- tische Korrespondentin und berichtete vor Ort über die Konflikte in Tschetschenien, Libyen, Syrien und Afghanistan. Auf ihre persönlichen Erfahrungen aus dieser Zeit wies sie wieder- holt hin, wenn auch nicht immer im passenden Zusammenhang. Ihr perfektes Englisch, das sie einem Masterstudium in Massenkommunikation in den USA verdankt, und ein rhetorisch höchst gewandtes Auftreten verliehen ihren Statements eine Glaubwürdigkeit, die in erster Linie auf professionellem Auftreten und diskursivem Geschick gründete.
Frau Boyko konzedierte mehrfach, dass die russischen Aktivitäten nicht immer völkerrechts- konform abgelaufen seien, dass nicht immer die Wahrheit gesagt wurde, dass Russlands Führung ebenso wie seine Bevölkerung manchmal aus irrationalen Ängsten heraus handelten und reagierten und dass Wladimir Putin eben auch nur ein Mensch sei. Natürlich sei die russi- sche Demokratie noch nicht so weit entwickelt wie die westliche und ebenso natürlich sei es erstrebenswert, dort anzukommen. Aber die westlichen Großmächte verhielten sich schließ- lich ebenso, würden auch internationale Abkommen verletzen und mit zweierlei Maß messen.
1 Foto: Emeric Fohlen / Zuma / picturedesk.com
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2 Foto: Emeric Fohlen / Rex Features / picturedesk.com
Die beiden ukrainischen Journalisten verfügten über weit weniger Bühnenpräsenz, hatten 1 In der Menge am Maidan dafür aber das moralische Gewicht derer auf ihrer Seite, deren Land angegri"en worden demonstrieren Frauen für die ist. Insbesondere Katya Gorchinskaya wirkte auf eine Weise beherrscht, die ihre zierliche Freiheit der Ukraine. 2 Bei den Demonstrationen Statur angespannt wirken ließ. Hier war es jemandem sichtlich besonders wichtig, Haltung gegen die Regierung in Kiew und Würde zu bewahren. Frau Gorchinskaya befasst sich schon seit Langem mit dem poli- werden auch am Maidan tischen und moralischen Zustand ihres Landes. Sie ist seit 2008 regionale Berichterstatterin Gegensätze sichtbar. des „Reports über organisiertes Verbrechen und Korruption“, ein Non-Profit-Netzwerk von Zentren für investigativen Journalismus, und schreibt regelmäßig für das Wall Street Jour- nal. Häufig tritt sie als Kommentatorin in westlichen Medien, als Gastrednerin bei internatio- nalen Konferenzen oder in TV-Sendungen zur aktuellen politischen Lage in der Ukraine auf.
In der Diskussion übte sie durchaus Kritik an der eigenen neuen Regierung, die noch lange nicht das umgesetzt habe, wofür man im Frühjahr auf die Straße gegangen sei. Bei den Kämpfen in der Ostukraine räumte sie ein, dass auch die ukrainische Armee Misshandlungen begangen habe. Was bei Oksana Boyko in erster Linie professionell und weltgewandt wirk- te, das diskursive Abwägen verschiedener Sichtweisen und die argumentative, scheinbar rationale Entscheidung für eine Wahrheit von o"enbar mehreren möglichen (etwa die Beurteilung der Annexion der Krim als geostrategisch gerechtfertigt), das transportierte bei Katya Gorchinskaya die Authentizität einer tatsächlich betro"enen Akteurin. Die Art und Weise, wie sie ihre Realität darstellte, legte nahe, dass hier in einer historisch gewach- senen, akut politischen Situation um die Lösung existenzieller Fragen gerungen wurde, Aussagen also aufgrund eigener Erfahrungen getätigt wurden.
Aber es wurde an diesem Abend auch über Medienmanipulation gesprochen und es gab von beiden Seiten Kostproben einseitiger Darstellungen. Yevhen Fedchenko tat sei- ner Sache keinen Gefallen, als er einen einzelnen polemischen User-Kommentar auf der Community-Website von RT als Quelle für die politische Haltung des Senders selbst und der russischen Ö"entlichkeit im Allgemeinen zitierte. Während Oksana Boyko tatsächlich keine Miene verzog, als sie behauptete, Moskau habe die Absicht der Ukraine, sich der EU anzuschließen, doch von Anfang an akzeptiert und die russische Medienlandschaft sei wahrlich eine vielfältige und RT definitiv ein regierungsunabhängiger Sender.
Katya Gorchinskaya hat Ende 2014 ihren ersten Aufenthalt eines dreimonatigen Stipendi- ums im Rahmen des Milena Jesenská Fellowships am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien angetreten, das in Kooperation mit der ERSTE Stiftung durchgeführt wird. Sie will in dieser Zeit ein Buch über die Revolution in Kiew schreiben. Darin soll es „um den Mut eines Menschen gehen, und um Solidarität, welche Angst und Unsicherheit in ihre Schranken verweist“. Das Buch erzählt eine Geschichte, die zwischen Fiktion und Dokumentation angesiedelt ist. Und den Anspruch erhebt, die Wahrheit zu beschreiben. Jedenfalls eine Wahrheit.
Maribel Königer
-- Association For A Better Life ist an der Entwicklung im ländlichen Raum interessiert und hilft jungen Menschen beim Einstieg in den Beruf. (Košice, Slowakische Republik)
BAGazs Association hilft einer Roma-Gemeinde bei der autonomen Bewirtschaftung von Gärten mit Bio-Gemüse und bei der Zucht von Jungschweinen. (Bag, Ungarn)
Community Aid Network gibt jungen Roma eine zeitgemäße multimediale Ausbildung und ermög- licht ihnen somit den Einstieg in den Arbeitsmarkt. (Săcele, Rumänien)
Education PRO-SPECT bietet Multimedia-Workshops für Ju- gendliche an, um ihnen den Berufsein- stieg in diesem Bereich zu erleichtern. (Brünn, Tschechische Republik)
IKEDOO setzt auf experimentelles Lernen. Die Organisation hat ein mobiles Labor entwickelt, das benachteiligte Roma- und Nicht-Roma-Jugendliche auf das Berufsleben vorbereitet. (Bukarest, Rumänien)
Profilantrop Association entwickelt einfache und anwendbare Technologien, die den Lebensstan- dard insbesondere von einkommens- schwachen Familien verbessern, z.B. die Produktion von Biobriketts. (Budapest, Ungarn)
Pro-Cserehát Association hat es sich zum Ziel gesetzt, benachteiligten Menschen in ländlichen Gemeinden zu helfen, Gemeinschaftsgärten zu errichten. (Budapest, Ungarn)
Romani Design ist ein Modelabel, das traditionelle Roma-Motive neu interpretiert und versucht, Stereotype zu überwinden. Das Designstudio ist auch Lernzent- rum für benachteiligte Jugendliche, für arbeitslose Roma und Nicht-Roma. (Budapest, Ungarn)
Romano ButiQ Association scha#t neue Arbeitsfelder für traditionelle Roma-Handwerker und vermarktet die Kreationen unter der 1 Marke Meșteshukar ButiQ (siehe Spalte rechts auf S. 37). (Bukarest, Rumänien)
Transitions fördert junge und talentierte Roma und Nicht-Roma-Journalisten in quali- tativ hochwertigen Medienworkshops. (Prag, Tschechische Republik)
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„Hier gibt es noch ein starkes MA RO N Bewusstsein für das Arbeiten mit O ATI D der Hand“ UN
Seit 2011 arbeitet die rumänische Organisation Romano ButiQ an der Wiederbelebung FO ERSTE traditionellen Roma-Handwerks und hat dafür die Marke Meșteshukar ButiQ (MBQ) ge- scha"en. Inzwischen ist ein breites Netzwerk für Menschen entstanden, die einen hand- werklichen Beruf erlernt haben, wie zum Beispiel Kupfertreiber, Schmiede oder Schneider. Die international erfolgreiche Designerin Nadja Zerunian und der Designer und Schneider Peter Weisz arbeiten unentgeltlich mit Handwerkern und Kunsthandwerkern zusammen und feilen mit ihnen an zeitgemäßen Entwürfen für MBQ. Wir haben die beiden getro"en und über ihre Eindrücke und Erfahrungen gesprochen. Wenn die in Wien lebende, Im Dezember 2014 fand das Koordinationstre!en aller im ERSTE Foundation Roma mit Preisen ausgezeichnete, Partnership vereinten Organisationen statt. Nadja, Sie waren bereits das zweite Mal, österreichische Designerin Nadja Zerunian nicht als Pro- Peter, Sie das erste Mal dabei und haben Ihre Arbeit vorgestellt. Was ist das Besondere Bono-Beraterin für das ERSTE an dieser Partnerschaft? Foundation Roma Partnership unterwegs ist, arbeitet sie für Es ist eine bemerkenswerte Plattform, um sich auszutauschen. NGOs unterschiedlicher NZ: namhafte Labels wie AA Watch nationaler Herkunft, die in den verschiedensten Bereichen arbeiten, haben die Möglichkeit, Company, Georg Jensen, Calvin von einer Vielzahl von Initiativen zu lernen. Klein, Swatch oder Rado. Von PW: Ich war sehr positiv überrascht, wie viel Kraft in die einzelnen Projekte gesteckt und da- ihr entworfene Produkte waren mit bewerkstelligt wird. Es sind so unterschiedliche Ansätze da und viele laufen mit Erfolg. In in den Shops der Museen für Moderne Kunst in New York der Vernetzung dieser vielfältigen Initiativen liegt sicher auch die Einzigartigkeit des ERSTE und San Francisco und im Foundation Roma Partnership. Museum für Angewandte Kunst in Wien erhältlich. Nadja Zeru- Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen Ihnen und MBQ? Warum geben Sie in Ihrer nian bloggt regelmäßig auf roma-handicraft.tumblr.com Freizeit Ihr Wissen an Handwerker weiter?
NZ: Die ERSTE Stiftung hat mich im Herbst 2013 angesprochen. Ich sollte als Pro-Bono- Expertin das Design und den Anteil des Handwerks für zwei ihrer Roma-Partnership-Pro- jekte evaluieren. Ich staunte über das vorhandene Potenzial und die Fertigkeiten. Ich sah eine echte Chance für MBQ, das Produktportfolio zu erweitern und zu aktualisieren, um ein breiteres Publikum zu erreichen. Das war eine großartige Herausforderung, und die Aus- sicht, mit einer Gruppe von geschickten, traditionellen Handwerkern arbeiten zu können, war faszinierend. Ich lebte in einer eigenen Welt weit weg von der Wirklichkeit und wollte unbedingt meinen Horizont erweitern. Zeuge des Herstellungsprozesses von der Idee bis zum fertigen Produkt zu sein, hatte schon immer eine magische Qualität für mich. Jetzt habe ich die erstaunliche Gelegenheit, an diesem höchst spannenden Prozess der Positio- nierung einer Marke mit Fokus auf traditionellem Roma-Handwerk mitzuarbeiten. Peter Weisz, Jahrgang 1967, PW: Nadja hat mir von der Möglichkeit erzählt, etwas bewegen zu können. Ich habe spon- ist Designer, Creative Direc- tor, Fashion Director und tan gesagt: „Ja, das mache ich.“ Ich habe einen unersättlichen Hang zum Handwerk. Mein Schneidermeister in Wien. Atelier ist eine Art Fundgrube, voll von Dingen, die ich auf Flohmärkten und bei Groß- Gemeinsam mit Nadja Zerunian müttern und Tanten zusammengesammelt habe. Handwerk an sich interessiert mich und arbeitet er als unentgeltlicher es macht mir Spaß, etwas mit den Händen zu machen. Dass ich jemandem helfen kann, Berater und Designer im Rah- ist gewissermaßen ein Zusatzbonus. Aber es gibt noch einen anderen persönlichen Hin- men des ERSTE Foundation Roma Partnership. In Zusam- tergrund. Meine Großeltern kamen aus Ungarn. Ich habe schon als Kind einen Bezug zur menarbeit mit lokalen Roma- Kultur der Roma bekommen – eine romantische Schicksalsfügung sozusagen. Handwerkern entwickeln sie moderne Handwerksprodukte Welche Herausforderungen kamen auf Sie zu und mit welchen Erfahrungen sind Sie in edlem Design. von Ihren Reisen zurückgekommen?
NZ: Es gibt wenige Herausforderungen und viele Überraschungen. Hauptsächlich kämp- fe ich mit den gleichen Hürden wie die Handwerker: dem Mangel an geeigneten Roh- sto"en, wenigen, teilweise unzureichenden Werkzeugen, knappen Ressourcen, großen
1 Silberschmied Nevers (Radu Ion) arbeitet an 3 Hohes Maß an Präzision und gekonnter der ersten Silberschmuck-Kollektion in seiner Umgang mit den Materialien als Grund- Werkstatt in Bukarest. voraussetzung für die edlen Produkte von 2 Ein wichtiger Schritt im Produktionsprozess ist MBQ: ein Schnitzer bei der Anfertigung einer die Trocknung des zu verarbeitenden Holzes. Holzschale.
-# Entfernungen, schlechten Straßen. Aber ich bin erstaunt über den Einfallsreichtum und die Kreativität, die diese schlimmen Umstände hervorbringen. Es gibt immer eine Lösung. Die Erfahrungen sind manchmal überwältigend, die Schicksale unerträglich. Ich weiß jetzt zum ersten Mal in meinem Leben, wie Armut schmeckt, sich anfühlt und aussieht. Wenn ich heimkomme, ist das manchmal, als beträte ich einen surrealen Traum, völlig von der realen anderen Welt abgekoppelt. PW: Auch ich betrat eine für mich völlig neue Welt und wollte zuerst wissen, mit welcher Kultur ich es zu tun habe. Die ist komplex, weil die Roma in verschiedenen Ländern leben und jede Region einen eigenen dichten kulturellen Hintergrund besitzt. Ich versuche Pro- dukte zu designen, da muss ich mich irgendwo anhalten, etwas spüren können. In unserer Arbeitswelt ist alles auf Industrie und Werbung ausgerichtet. Wenn man so will, ist alles schon so verdorben. Das ist es zwar in Rumänien auch, aber auf eine andere Art und Weise. Dort sind die Menschen noch nicht so stark von der Werbung manipuliert. Da gibt es an manchen Ecken noch andere Werte, die es mir erlauben, andere Dinge zu kreieren. Es gibt noch diese gewisse Schlichtheit in der Arbeit mit den Elementen selbst und ein starkes Bewusstsein für die Arbeit mit der Hand.
Was motiviert eine international etablierte Designexpertin, mit Menschen zu arbeiten, die außerhalb ihrer eigenen Volksgruppe fast ausschließlich Ausgrenzung und Ableh- nung erfahren?
Das Geheimnis der Kollektionen NZ: Eine „ethnische Gruppe“ wurde zu Menschen mit Gesichtern und Geschichten, viele von Romani Design ist die von ihnen zu Freunden: Eva und Victor, Zoli und Theresa, Nevers und Simone, Zorin und erfolgreiche Neuinterpretation Maria, Itzok und Bebe. Oh, fast hätte ich Alex vergessen. Ich wusste nicht viel über die traditio neller Sto"e und Muster. Roma. Sie waren bunt, fremd, vielleicht habe ich die Leute sogar romantisiert. Ich habe mich ein bisschen eingelesen und gelernt – und war beschämt. Kaum verständlich, dass wir, das „zivilisierte“ Europa, als das wir gesehen werden wollen, nicht in der Lage sind, mit Die ERSTE Stiftung Roma einer Minderheit von zehn Millionen Menschen angemessen umzugehen. Wie ist es mög- Partnerschaft ist ein infor- lich, dass wir Diskriminierung und Verfolgung seit Jahrhunderten zulassen? Wann passierte meller Verbund engagierter Partnerorganisationen, die das es, dass wir meinten, wegzuschauen wäre okay? Mein ganzes Leben lang habe ich ver- Leben von Roma in Zentral- sucht, nicht in Stereotypen zu arbeiten. Dieses Projekt ermöglicht es mir, die Bemühungen und Südosteuropa nachhaltig zu unterstützen, allen diesen etablierten Labels und Vorurteilen zu widersprechen, mit de- verbessern und Grundlagen nen diese Gruppe von Menschen zu tun hat. für den Erwerb des eigenen Lebensunterhalts scha"en wol- len. Die Plattform entstand aus Nadja, Sie arbeiten für namhafte Marken und Hersteller, Peter, Sie haben eine Ausbil- dem gemeinsamen Anliegen, dung als Schneider. Wie kann ich mir Ihre Arbeit mit unterschiedlichen Handwerkern die Entwicklung von sozialem vorstellen? Unternehmertum zu fördern, einkommensscha"ende NZ: Ich liebe es, in den Scha"ensprozess einzutauchen, und genieße dabei extrem die Aktivitäten und Ausbildungs- Nähe. Es ist anregend und sehr inspirierend, mit dem Handwerker gemeinsam zu arbeiten, programme auf kommunaler Ebene durchzuführen und, im der letztlich Dinge fertigt, die auf Papier erdacht wurden. Es ist eine außergewöhnliche Zuge dessen, die Zusammen- Erfahrung. Ich wünschte, jeder Designer könnte sie erleben. arbeit zwischen Roma und PW: Wir tre"en auf ganz unterschiedliche Charaktere in unterschiedlichen Umgebungen Nicht-Roma zu ermöglichen und die meisten von ihnen können mit dem Wort Designer nichts anfangen. So treten wir und auf Dauer zu stärken. auch nicht auf. Mit MBQ vermitteln wir vielmehr: Es soll einen Schritt weitergehen. Zusam- Die Mitgliedsorganisationen werden finanziell unterstützt men wollen wir weiterkommen. Alle kommen aus einer langen handwerklichen Tradition, und von internationalen Pro wo sie möglicherweise aus praktischen Überlegungen heraus stets die gleichen Produkte Bono-Experten beraten. Außer- produziert haben. Ich motiviere sie, etwas Neues zu probieren. dem profitieren sie von einem Know-how-Transfer und regel- mäßigem Erfahrungsaustausch Ist es Ihnen gelungen? innerhalb des Netzwerks. PW: Ja. Wenn es gelungen ist, eine neue Form zu entwickeln, dann spüren das auch die 2014 waren zehn Organi- sationen Mitglieder dieses Handwerker und merken, dass es einfach rockt. Ich kann ihnen in den meisten Fällen Netzwerks. nichts Technisches zeigen, ich bin Schneider. Wir können lediglich den Zugang zu ande- ren Formen erö"nen, neue Ideen überbringen, und dieser Prozess funktioniert oft spon- (siehe Seite 34) tan. Selbst mit bester Vorbereitung müssen wir vor Ort vielleicht die Richtung komplett ändern. Die Schneiderei ist eine Technik. Wenn du diese, wie in jedem anderen Hand- werk auch, beherrschst, kannst du das gewohnte Terrain verlassen und weitergehen. Aber
-$ ARTNERSHIP P MA RO N O ATI D UN
wenn du die Grundregeln nicht kennst, weißt du nicht, wohin du gehen kannst. Dir steht FO ERSTE kein Weg o"en und du kannst dich nur in deinem Rahmen bewegen. NZ: Von den Besenbindern in Clejani zu den Kupferschmieden in Medias: Ich habe noch nie ein „Das ist unmöglich!“ gehört, ein Spruch, den Designer nur allzu gut kennen. Der Handwerker ist ein Partner. Die Entwicklung des Produkts ist ein Gemeinschaftserlebnis. Da sind immer Neugier und vor allem der Ehrgeiz, die eigenen Fähigkeiten unter Beweis Meșteshukar ButiQ (MBQ) zu stellen, und in der Regel die Entschlossenheit, den Status quo infrage zu stellen. Selten bedeutet so viel wie „Hand- bin ich auf Zögern gestoßen, aber das lässt in der Regel nach, während wir mit Formen werksboutique“ und wurde und Techniken experimentieren. 2011 in Bukarest gegründet. Es versteht sich als Netzwerk von eigenständigen Handwerkern Welche Erfolge haben die einzelnen Handwerker bisher erzielt und was bleibt noch zu tun? und Kleinstunternehmern und PW: Lenuţa, der Schneiderin aus Bukarest, konnte ich einige Techniken beibringen. Sie hat hat sich der Wiederbelebung traditionellen Roma-Handwerks verstanden, dass sie mit den richtigen Bügel- und Dressurtechniken entweder H&M oder verschrieben. Die Initiative Dior machen kann. Jeder Besuch bei ihr vermehrt ihre Erfahrung und so gelingt langsam, unternimmt den Versuch, neue aber stetig der Aufbau einer Schneiderwerkstatt. Sie erkennt den Nutzen unserer Arbeit. Absatzmöglichkeiten für die Noch dazu hat sie eine irrsinnige Freude entwickelt, denn bisher hat sie keine Zeit gehabt, handwerklichen Produkte von Kupfertreibern, Schneidern, sich zu überlegen, wie weit sie mit ihren Entwürfen gehen kann. Da ging es um den nackten Schmieden oder Schnitzern Überlebenskampf. Gemeinsam haben wir sieben Kollektionen gemacht und eine achte be- zu erschließen und moderne wusst in einem reduzierten Design. Als sie das Ergebnis gesehen hat, war sie stolz und Produkte für den nationalen glücklich. So etwas war nur innerhalb dieses Projekts möglich. und internationalen Markt NZ: Nevers, unser wunderbarer Silberschmied, stellte nicht nur zum ersten Mal in zwei re- zu entwickeln. Und das mit Erfolg. Mittlerweile werden die nommierten zeitgenössischen Schmuckausstellungen in Bukarest aus, sondern konnte auch gefertigten Arbeiten über eine seinen Teilzeitjob als Leiter eines Lagerhauses aufgeben. Er ist jetzt ein Vollzeitmitarbei- Online-Plattform verkauft. 2015 ter von MBQ als Silberschmied und in der Lage, seine Familie zu unterhalten. Das ist eine plant die Sozialinitiative die erstaunliche Leistung und eine sehr konkrete Auswirkung auf das Leben einer Familie. Im Erö"nung mehrerer Shops in Rumänien. Idealfall können wir diesen Erfolg in allen Kategorien wiederholen. Es wird nicht ausreichen, MBQ ist ein Label der Romano die Produktpalette zu aktualisieren, alternative Vertriebsmöglichkeiten zu erkunden und für ButiQ Association, eine NGO, Präsentationsflächen für Fertigkeiten und traditionelles Handwerk zu sorgen, um ein an- die durch zahlreiche weitere deres Licht auf diese ausgebeutete Gruppe zu werfen. Es müssen auch Möglichkeiten für Projekte die Entwicklung des sie gescha"en werden, ein Einkommen zu erwirtschaften. Die ö"entliche Wahrnehmung in kulturellen und künstlerischen Erbes der Roma-Community Hinblick auf das Handwerk zu verbessern, ist ein allgemeines Ziel. Derzeit gibt es wenig Inte- fördert und bewahrt und sich resse in der nächsten Generation von Roma, in die Fußstapfen ihrer Vorfahren zu treten, um für die Integration von Roma in dieses generationsübergreifende Können weiterzutragen. Sie haben geringe Erwartungen. Rumänien stark macht. Viele von ihnen glauben, dass Obsternte oder andere saisonale Niedriglohnjobs in Europa die einzigen Optionen sind. Allen zu zeigen, dass Handwerkskunst Einkommen generieren kann und eine Zukunft verspricht, wird ho"entlich dazu beitragen, diesen Trend umzukehren.
MBQ und andere Organisationen im ERSTE Foundation Roma Partnership wollen de- zidiert soziales Unternehmertum fördern. Das heißt also, dass Sie mit Ihrer Arbeit an dieser Stelle auch mitwirken?
NZ: Stimmt, MBQ ist ein starker Befürworter des Unternehmertums. Handwerker wer- den ermutigt und ausgebildet, um kleine Unternehmen zu gründen. MBQ unterstützt den Aufbau von Genossenschaften, um den Zugri" auf Ressourcen, Rechtshilfe und viel mehr Herausforderungen zu erleichtern, vor denen kleine Unternehmen stehen. PW: Nadja und ich arbeiten auf der kreativen Ebene, aber wir sehen, wie viel Organisation da noch dazugehört. Am Ende wollen wir nicht nur Designs entwickeln, sondern diese auch verkaufen. Wenn wir es scha"en, die Produkte zu veredeln, dann müssen sie auf einer professionellen Basis vertrieben werden. Zu Beginn werden das natürlich nicht die großen Stückzahlen sein, aber irgendwann – und das wird die Herausforderung für MBQ – werden wir den nächsten Schritt machen können. Es ist ein großes Glück, dass handwerk- liche Arbeit wieder im Trend liegt. Noch vor dem Sommer 2015 werden wir den ersten Shop erö"nen und bis dahin gibt es jetzt schon vielfältige Möglichkeiten, die Produkte zu präsentieren, 2015 zum Beispiel im Wien Museum.
Gerald Radinger
-% GEMEINNÜTZIGE Stiftungen
Wie wir Österreich zum Blühen bringen Gemeinnützige Stiftungen – Wie wir Österreich zum Blühen bringen – Wie wir Österreich Gemeinnützige Stiftungen
-& TIFTEN S TZIGES Österreich zum Blühen bringen – Ü gemeinsam für eine bessere GEMEINN
R Ü philanthropische Stiftungskultur F D
Ende Oktober wurde unter dem Motto „Österreich Gemeinnützige Stiftungen – VERBAN wie wir Österreich zum Blühen zum Blühen bringen“ der neu gegründete Verband für bringen gemeinnütziges Stiften in Wien vorgestellt. Herausgeber: Bund gemeinnütziger Stiftungen Gemeinsam mit der Julius Raab Stiftung haben wir eine Auftaktveranstaltung in der www.stiftungsbund.at Eventhalle Gironcoli Kristall im STRABAG Kunstforum organisiert. Rund 250 Stifter Julius Raab Stiftung und Vertreter aus Kultur, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik sind der Einladung Mozartgasse 4, A-1041 Wien gefolgt – und man war sich einig: Es werden bessere Rahmenbedingungen für gemein- nütziges Stiften benötigt. Während in Deutschland 95 % der Stiftungen gemeinnützig ERSTE Stiftung sind, sind es in Österreich nur 5 %. Europaweit fördern mehr als 110.000 gemeinnützige Friedrichstraße 10, A-1010 Wien Stiftungen Bildung, Forschung, Kultur, Soziales und Entwicklungszusammenarbeit mit Die Publikation können einem Volumen von geschätzten EUR 83 bis 150 Mrd. In Österreich liegt das Volumen Sie bei uns bestellen: der Stiftungsausschüttungen bisher nur bei rund EUR 20 bis 25 Mio. pro Jahr. Man [email protected] bräuchte also auch hier, so die einhellige Meinung, dringend bessere Voraussetzungen für ein zivilgesellschaftliches Engagement, um die gesellschaftlichen Herausforderun- gen der Zukunft zu bewältigen. Seitens der Regierung waren zu diesem Zeitpunkt be- reits erste positive Signale zu erkennen.
Auch für die ERSTE Stiftung als Sparkassen-Privatstiftung, die dem österreichischen Sparkassengesetz unterliegt, wäre es eine große Unterstützung, wenn gemeinnütziges Stiften in Österreich besser geregelt wäre.
Die neu gegründete Interessenvertretung mit mehr als 40 Mitgliedern, unter dem Vorsitz von Präsident Harald Katzmair, setzt sich für eine neue Stiftungskultur in Österreich ein. Aufgrund mangelnder gesetzlicher Rahmenbedingungen spielen gemeinnützige Stiftun- gen hierzulande nur eine untergeordnete Rolle: So gibt es 701 gemeinnützige Stiftungen, neben 2.609 eigennützigen Privatstiftungen, während beispielsweise in der Schweiz mehr als 12.000 gemeinnützige Stiftungen aktiv sind. Dementsprechend gering fallen die Stif- tungsausschüttungen bzw. die Finanzierung des dritten Sektors in Österreich aus. Harald Katzmair erläuterte im Rahmen der Veranstaltung, warum eine Verbesserung der recht- lichen und steuerlichen Rahmenbedingungen so wichtig ist: „Privates Vermögen für ge- meinnützige Zwecke zu mobilisieren, ist ein Gebot der Stunde. Gemeinnützige Stiftungen sind wichtige zivilgesellschaftliche Institutionen. Unser Ziel ist es, steuerrechtliche und ge- setzliche Rahmenbedingungen nach dem Vorbild von Deutschland und der Schweiz zu scha"en, um das Einbringen von Vermögen in gemeinnützige Stiftungen zu erleichtern.“
Hedda Ho"mann-Steudner, Mitglied der Geschäftsleitung im Bundesverband Deutscher Stiftungen, und Christoph Degen, Geschäftsführer von proFonds, dem Dachverband der gemeinnützigen Stiftungen in der Schweiz, gaben den Teilnehmern der Auftaktveran- staltung Einblick in die Stiftungslandschaften in den Nachbarländern und betonten die Bedeutung von „gemeinnützigkeitsfreundlichen“ rechtlichen und steuerlichen Rahmen- bedingungen. So herrscht also Aufbruchsstimmung in Österreich. Maßnahmen zur För- derung des zivilgesellschaftlichen Engagements kündigte Harald Mahrer, Staatssekretär für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, an: Geplant sei eine deutliche Vereinfa- chung des Bundesstiftungs- und Fondsgesetzes in Bezug auf die Errichtung gemein- nütziger Stiftungen wie auch Änderungen in der Bundesabgabenordnung betre"end die steuerliche Behandlung gemeinnütziger Stiftungstätigkeit. Die Begutachtung der gesetzlichen Neuregelung sollte bald beginnen. Die Publikation „Gemeinnützige Stiftun- gen – wie wir Österreich zum Blühen bringen“, gemeinsam von der Julius Raab Stiftung und der ERSTE Stiftung herausgegeben, wurde ebenfalls präsentiert. Der sogenannte „Stiftungsatlas Österreich“ zeigt auf, wie es um die Situation von gemeinnützigen Stif- tungen in Österreich und im internationalen Vergleich bestellt ist, was diese Stiftungen Infografik (nächste Seite): schon heute vermögen und welche Potenziale für und durch das gemeinnützige Stif- Now Design + Direction, aus tungswesen gehoben werden können. „Verband für Gemeinnütziges Stiften – wie wir Österreich zum Blühen bringen“, S. 40–41 Alexandra Rosetti-Dobslaw
-' Stiftungen in Österreich Stiftungen werden in Österreich aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen hauptsächlich zu eigennützigen Zwecken errichtet. Das Potenzial für gemein- nützige Stiftungen ist groß. Gemeinnützige Stiftungen können in Österreich zu wichtigen Akteuren der Zivilgesellschaft werden.
Da ist mehr drin Anzahl der Stiftungen in Österreich*
Rund 20% aller Stiftungen sind rein gemeinnützig. Das entspricht 701 Stiftungen. Eine Privatstiftung nach dem Österreichischen Privatstiftungsgesetz 1993 ist eine ins Firmenbuch eingetragene Stiftung. Sie kann zu jedem 75,3% Zweck gegründet werden. Dieser kann eigennützig, gemeinnützig 2.609 eigennützige Privatstiftungen oder doppelnützig sein. In Österreich werden die meisten Privatstiftungen mit eigennützigem Zweck errichtet. Sie dienen im Wesentlichen der Verwaltung von Vermögen. Das zur Errichtung notwendige Vermögen beträgt 70.000 €.