„Locker Aus Dem Bauch Raus“
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Gesellschaft muss man sich auch ein bisschen ans Bein pieseln lassen können. SHOWGESCHÄFT SPIEGEL: Punk-Rock bedeutete mal, immer mit Absicht in die Abseitsfalle zu laufen. Rennen die Toten Hosen mit ihrem Anti- „Locker aus dem Bauch raus“ Bayern-Lied jetzt nicht offene Türen ein? Campino: Nein, Bayern München kommt Popstar Campino über die Anti-FC-Bayern-Hymne seiner in der Gunst des Volkes eher noch viel zu gut weg. Ich glaube, wenn wir den Islam an- Band Die Toten Hosen, Gemeinsamkeiten mit Bayern-Manager gegriffen hätten, hätten wir weniger Ärger Uli Hoeneß und die neue Tote-Hosen-CD „Unsterblich“ bekommen. Campino, 37, ist seit 1982 Sänger der Toten Hosen und noch länger Fan der Düssel- dorfer Fortuna. SPIEGEL: Campino, wie hat letztes Wochen- ende Ihr Lieblingsverein Fortuna Düssel- dorf gespielt? Campino: Keine Ahnung, ich war seit drei Wochen nicht mehr zu Hause. Und in der Zeitung taucht Fortuna nicht mehr auf, seit sie in der Regionalliga West/Südwest kickt. SPIEGEL: Ist es dann nicht besonders dreist, wie die Toten Hosen auf ihrer neuen CD über den Deutschen Meister und Tabel- lenführer Bayern München herziehen: „Was für Eltern muss man haben, um so verdorben zu sein, einen Vertrag zu unter- schreiben bei diesem Scheißverein“? Campino: Wir werden fußballmäßig sowie- M. WITT so nicht mehr für voll genommen, seitdem BONGARTS wir Repräsentanten eines Drittliga-Clubs Fußballfan Campino, Bayern-München-Stars*: „Typen, die nicht verlieren können“ sind.Aber bei der Fortuna handelt sich we- nigstens nicht um eine arrogante Truppe, Campino: Was heißt denn hier „die armen SPIEGEL: Die Erregung der Bayern-Chefs die besser spielen könnte, wenn sie nur Bayern“? Denen schließen sich doch nur hat doch sicher mitgeholfen, dass die neue wollte. Typen an, die nicht verlieren können und Tote-Hosen-CD gerade ganz oben in der SPIEGEL: Gegen die Mächtigen in der Poli- für die es an Majestätsbeleidigung grenzt, Hitparade eingestiegen ist. Uli Hoeneß tik loszuzetern haben viele Künstler of- etwas gegen die Bayern zu sagen. Wenn schimpfte sogar: „Das ist der Dreck, an fenbar aufgegeben, weil sie es für sinnlos man, wie der FC Bayern, alles hat, dann dem unsere Gesellschaft irgendwann er- halten. Stattdessen schimpfen alle – von sticken wird.“ Harald Schmidt über Stefan Raab bis zu Campino: Uns war nicht klar, dass das Lied * Carsten Jancker, Uli Hoeneß nach der Niederlage den Toten Hosen – auf die armen Bayern. gegen Manchester United im Champions-League-Fina- bereits zwei Tage nach der Veröffentlichung Warum eigentlich? le in Barcelona am 26. Mai. in der Bayern-Kabine diskutiert werden würde. Hoeneß wollte wohl zuerst sogar ben wir einen Roadie zum Drummer be- rechtliche Schritte einleiten. Aber dann fördert. Wir sind eben erdverbunden. muss ihm irgendjemand, der eine etwas SPIEGEL: Aber die Gehälter der Toten Ho- kürzere Leitung hat als er, gesagt haben: sen ähneln inzwischen denen der Bayern? Du legst dich mit Leuten an, die das regel- Campino: Nein, überhaupt nicht. Selbst mäßig machen. Dabei haben Hoeneß und wenn wir von der Platte zwei Millionen ich viele Dinge gemeinsam. Die Nacht von Exemplare verkaufen würden, könnten wir Belgrad 1976 etwa, in der er den Elfmeter uns keinen Bayern-Spieler leisten. Noch verschossen hat, als es um die Europa- nicht einmal einen halben. meisterschaft ging – das werde ich nie SPIEGEL: Allein 1996 haben die Toten Hosen vergessen. Und er auch nicht. rund zwei Millionen Platten verkauft – und H. RAUCHENSTEINER FC-Bayern-Helden (1998)*: „König zu sein ist auch ein Scheißleben“ SPIEGEL: Immerhin hat Bayern-Trainer Ott- trotzdem sollen nicht mal 2,5 Millionen mar Hitzfeld verkündet: Uns interessiert Mark zusammengekommen sein, wie sie nicht, was die Toten Hosen machen. Sind der FC Bayern für Michael Wiesinger be- manche Bayern doch cool? zahlt hat? Sondern nur so viel, dass Sie Campino: Vermutlich haben sie auch noch den Liedermacher Funny van Dannen be- bei Sat 1 angerufen und gesagt: Wenn ihr zahlen konnten, der mit Ihnen den Text zu ein Wort über die Toten Hosen bringt bei „Bayern“ geschrieben hat? „ran“, bekommt ihr keine Interviews mehr. Campino: Auch die Leute, die uns noch so So jedenfalls stelle ich mir das vor. sehr hassen, müssen sich damit abfinden, SPIEGEL: Ist es nicht vielleicht doch der dass wir einen gewissen Geschmack haben Neid, der Sie treibt? Der Bayern-Spieler und Humor. Ein Lied wie „Bayern“ ist Thorsten Fink glaubt, als Fußballer wären locker aus dem Bauch herausgeschüttelt. Sie in Wahrheit auch froh, wenn Sie beim Ich kann zur Zeit aber besser ernstere Sa- FC Bayern spielen dürften. chen schreiben. Bei den lustigen Stücken Campino: Niemand von uns hat jemals hat mir Funny sehr geholfen. gut Fußball gespielt. Selbst zu unseren bes- SPIEGEL: Also doch wie beim FC Bayern, ten Zeiten nicht, als wir noch jung waren. wo man die besten Leute einfach zusam- Wir haben das Lied eher aus der Perspek- menkauft? tive eines Bauern im Mittelalter geschrie- Campino: Nein, aber wenn ein Ronaldo in ben, der einem anderen Bauern erzählt: der Dritten Liga kickt, und ich hole ihn ins Also, König zu sein ist auch ein Scheiß- Rheinstadion, ist das in Ordnung. leben. SPIEGEL: 1989 haben die Toten Hosen SPIEGEL: Spielen die Toten Hosen nicht rund 150000 Mark gesammelt – Geld, mit längst in der Pop-Liga dieselbe Rolle wie dem Fortuna Düsseldorf den Verteidiger der FC Bayern beim Fußball? Anthony Baffoe verpflichten konnte. Campino: Im Gegensatz zu denen rekru- Warum fehlt auf der neuen CD ein Bene- tieren wir unsere Spieler nur aus dem ei- fiz-Aufkleber wie „Von jeder verkauften genen Nachwuchs. Das kann man jetzt bei Platte gehen drei Mark an Fortuna Düs- unserem Schlagzeuger-Wechsel sehen: Weil seldorf“? unser alter Schlagzeuger es mit der Band- Campino: Weil das nicht reichen würde. scheibe hat, brauchten wir einen neuen. Außerdem wollen wir uns nicht wieder- Statt irgendwo einen Star einzukaufen, ha- holen. Aber ich gehe nach wie vor zu je- dem Kabinenfest, wenn der Zeugwart ’ne * Franz Beckenbauer, Mario Basler, Lothar Matthäus, Runde schmeißt. Ruggiero Rizzitelli auf dem Münchner Oktoberfest. Interview: Wolfgang Höbel, Martin Wolf der spiegel 51/1999 115.