Deutsches Historisches Institut Warschau

Jahresbericht 2020 © Deutsches Historisches Institut Warschau

Redaktionsschluss: April 2021 Redaktion: Josephine Schwark, Dr. Annika Wienert, Kinga Wołoszyn-Kowanda Grafische Gestaltung: Lech Rowiński / Beton

Deutsches Historisches Institut Warschau Pałac Karnickich Aleje Ujazdowskie 39 PL-00-540 Warszawa [email protected]

Der Jahresbericht liegt auch in einer polnischen Version vor. Beide Versionen sind online zugänglich unter: http://www.dhi.waw.pl/jahresbericht.html http://www.dhi.waw.pl/pl/sprawozdanie-roczne.html Foto: Ujazdowska Allee, 1906 | Quelle: Polona Deutsches Historisches Institut Warschau

Jahresbericht 2020 Inhalt

Editorial 3

A. Organisation 4

1. Struktur und Aufgaben des DHI Warschau 5

2. Wissenschaftlicher Beirat 6

3. Kooperationen 7

4. Personal 8

B. Forschung 12

1. Regionalität und Regionsbildung 13

2. Religion, Politik und Wirtschaft im vormodernen Polen 18

3. Imperiale Neukonfigurationen. Dynamik von Staat und Gesellschaft 20 im „langen” 19. Jahrhundert

4. Globale Herausforderung und gesellschaftlicher Wandel 23

5. Funktionalität von Geschichte in der Spätmoderne 29

6. Publikationen und Teilnahme an Konferenzen 34 Forschungsleistungen außerhalb der definierten Teilprojekte

C. Forschungstransfer 40

1. Wissenschaftliche Veranstaltungen 41

2. Publikationen 58

3. Stipendien, Gastaufenthalte und Praktika 62

4. Auszeichnungen und Ehrungen 64

5. Sonstiges 65

6. Bibliothek 70 3

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freunde des Deutschen Historischen Instituts Warschau,

man müsste die sprichwörtlichen Eulen nach Athen tra- unserer Forschungsergebnisse konzentrieren, verstärkt gen, wenn man an dieser Stelle ausführlicher von den über Onlinekanäle mit der interessierten Öffentlichkeit Auswirkungen der Pandemie auf die Tätigkeit des Insti- in Kontakt treten und im Spätsommer auch unser Sti- tuts sprechen würde. Im Allgemeinen sind diese bekannt. pendienprogramm wieder aufnehmen. Zudem konnten Verständlicherweise variieren sie je nach Institution und in diesem Jahr Bau- und Modernisierungsmaßnahmen Standort, unterscheiden sich in ihren Grundzügen jedoch realisiert werden, die beim üblichen Betrieb erhebliche nicht. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestaltet Beeinträchtigungen und Belastungen mit sich gebracht sich die Arbeit am Entsendungsort durch die derzeitige hätten. Schließlich haben wir neue Projekte vorbereitet Situation in mancherlei Hinsicht etwas schwieriger. Gleich- und begonnen – teilweise als Teilprojekte unserer eigenen zeitig gewinnen wir aber einen verschärft vergleichenden Forschungsbereiche, teilweise in Kooperation mit anderen Blick auf die Lage im Gastland, im Entsendungsland und Instituten der Max Weber Stiftung, allen voran dem Deut- in weiteren Ländern, in denen wir tätig sind. Positiv her- schen Historischen Institut in Rom. vorzuheben ist, dass alle Institutsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter ihre Arbeit seit dem Beginn der Pandemie Mit großer Sorge haben wir die politischen Entwicklungen an ihren Tätigkeitsorten – in Warschau, Prag und Vilnius in Belarus verfolgt. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, – fortsetzen konnten. Dadurch wurden unsere Aktivitäten die aufgrund ihrer Unterstützung der demokratischen Be- soweit möglich in Kooperation mit lokalen Kolleginnen wegung „aktenkundig“ geworden sind, waren Repressio­ und Kollegen sowie Partnern weitergeführt. Dies galt für nen und Schikanen ausgesetzt, viele von ihnen wurden Institutionen, die Mitarbeitende ins Ausland entsenden, entlassen. Dennoch haben wir Grund zur Zuversicht. Es zumindest in der Frühlingsphase nicht gerade als selbst- freut mich sehr, dass wir in etlichen Fällen einen Beitrag verständlich. zur „Abfederung“ zumindest der beruflichen Folgen leis- ten konnten. Dies wäre ohne die gelungene Kooperation Durch die herausfordernde Situation veranlasst und moti- mit Partnern in Polen, Litauen und Tschechien in diesem viert, haben wir sowohl in Warschau wie auch in unseren Maße nicht denkbar gewesen. Von besonderer Bedeutung Außenstellen in Vilnius und Prag neue Modelle des Kon- war dabei vor allem das gemeinsame Programm mit dem takts mit Partnern und der Öffentlichkeit getestet. Na- Historischen Institut der Polnischen Akademie der Wissen- türlich bedeutete dies auch eine Suche nach den Grenzen schaften. Unterstützend hinzu kam die gute Zusammen- eines sinnvollen Einsatzes diverser Medien und Kommu- arbeit mit den polnischen Behörden, die den Betroffenen nikationskanäle. Erst die Zukunft wird zeigen, in welcher ihre Einreise selbst in der schwierigen epidemischen Situa- Form sie sich auf Dauer als nützlich erweisen. Bereits heute tion ohne unnötige Hürden ermöglicht haben. Die belarus- ist jedoch klar, dass uns einige von ihnen weiter begleiten sische wissenschaftliche Diaspora zwischen Warschau, Vil- werden. Nicht um „klassische“, bewährte und unersetz- nius und dem tschechischen Olmütz ist für uns eine große bare Formen zu verdrängen, sondern um diese zu ergän- Bereicherung! zen und etwa die Zugänglichkeit unserer Veranstaltungen und den Radius unseres Publikums zu erweitern. Miloš Řezník Während die meisten Veranstaltungen im Haus ausblieben, Institutsdirektor weil sie auf spätere Zeitpunkte verschoben oder ins Online- Warschau, April 2021 format übertragen wurden, konnten wir uns umfangrei- cher auf unser Publikationsprogramm und die Präsentation A. Organisation Foto: Jan Binek, Ujazdowska Allee, 1934 | Quelle: Polona A. Organisation 5

1. Struktur und Aufgaben des DHI Warschau

Das 1993 gegründete Deutsche Historische Institut War- mittel- und osteuropäischen Kontext sowie zu Litauens schau ist eines von sechs Deutschen Historischen Instituten historischen Verflechtungen mit Deutschland, Polen und im Ausland. Gemeinsam mit seinen Schwesterinstituten in anderen Ländern der Region. Außerdem fungiert die Au- Rom (1888), Paris (1958), London (1976), Washington (1986) ßenstelle als Ausstrahlungsort und Koordinationsstelle für und Moskau (2005) sowie dem Orient-Institut in Beirut den Forschungstransfer zwischen litauischen und deut- (1961), dem Institut für Japanstudien in Tokio (1988), dem schen Historikerinnen und Historikern, aber auch zu bzw. Forum für Kunstgeschichte in Paris (1997) und dem Ori- von Forschenden aus anderen Ländern und benachbarten ent-Institut in Istanbul (2009) ist es Teil der bundesunmit- Disziplinen. telbaren Stiftung öffentlichen Rechts „Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland“ Eine weitere Außenstelle des DHI Warschau wurde im Früh- (MWS), über die es aus Mitteln des Bundesministeriums jahr 2018 in Prag eröffnet. Sie entstand in enger Zusammen- für Bildung und Forschung finanziell getragen wird. Im arbeit mit der dortigen Zweigniederlassung des Collegium Berichtsjahr belief sich sein Teilwirtschaftsplan im Rahmen Carolinum München und der Akademie der Wissenschaf- des Gesamtwirtschaftsplans der MWS auf 2.936.000 €. ten der Tschechischen Republik. Analog zur Zweigstelle in Vilnius ist es das Anliegen des Prager Büros, historische Aufgabe des DHI Warschau ist die wissenschaftliche Erfor- Forschungen zu den böhmischen Ländern und Tschechien schung der Geschichte Polens und der deutsch-polnischen zu fördern, die sich in einem inter- oder transnationalen Verflechtungen und Wechselseitigkeiten im europäischen, Kontext verorten lassen. Zu diesen Zwecken organisieren internationalen und transregionalen Kontext. In diesem beide Einrichtungen wissenschaftliche Veranstaltungen, Themenfeld betreibt das Institut innovative Grundlagen- pflegen Kontakte zu litauischen bzw. tschechischen For- forschung, die die polnische Geschichte in ihren europä- schungsinstitutionen und bereiten geschichtswissenschaft- ischen Bezügen und die deutsch-polnische Beziehungsge- liche Publikationen zum Druck vor. Eine Besonderheit der schichte grundsätzlich in ihrer gesamten chronologischen Prager Außenstelle ist das 2020 begonnene Residenz- Tiefe und thematischen Breite in den Blick nimmt. In der programm. Gäste werden für in der Regel sechs Monate konkreten wissenschaftlichen Praxis geschieht dies in Form eingeladen, sich vor Ort einem größeren Forschungsvor­ von exemplarischer Projektforschung. Das Institut unter- haben zu widmen. Für diesen Zeitraum stellt das Institut stützt darüber hinaus den akademischen Diskurs auf natio- eine Wohnung in der Prager Altstadt zur Verfügung. naler und internationaler Ebene. Dazu fördert es Kommu- nikation, Kooperation und Forschungstransfer zwischen der deutschen und polnischen Geschichtswissenschaft so- wie den benachbarten mittel- und ostmitteleuropäischen historiografisch arbeitendenscientific communities. Darü- ber hinaus werden auch die westlichen Geschichtswissen- schaften in die Vermittlungsarbeit einbezogen. Mit einem breiten Spektrum an Veranstaltungen, Publikationen und Stipendien setzt das Institut bewährte Instrumente des Forschungstransfers ein, die nicht zuletzt auch der Förde- rung des wissenschaftlichen Nachwuchses im Bereich der historischen Polen- und Ostmitteleuropaforschung dienen.

Seit Anfang Dezember 2017 hat das DHI Warschau eine Außenstelle in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Damit fördert es gezielt Forschungen zur Geschichte Litauens im 6 A. Organisation

2. Wissenschaftlicher Beirat

In allen wissenschaftlichen Belangen wird das Deutsche Prof. Dr. Arnold Bartetzky Historische Institut Warschau von einem international Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen besetzten wissenschaftlichen Beirat unterstützt und bera- Europa in Leipzig (GWZO) ten. Den Vorsitz führt seit Oktober 2019 Prof. Dr. Philipp Beiratsmitglied seit 27. November 2018 Ther. Die Mitglieder des mindestens einmal jährlich zu ei- ner zweitägigen Sitzung im Institut zusammentretenden Prof. Dr. Roman Czaja Gremiums sind jeweils für eine Amtszeit von vier Jahren Nikolaus-Kopernikus-Universität Thorn, Lehrstuhl für gewählt, wobei eine einmalige Wiederwahl zulässig ist. Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissen- schaften Während der turnusgemäßen Jahressitzung evaluierten Beiratsmitglied seit 1. September 2019 die Mitglieder gemeinsam mit dem Stiftungspräsidenten und der Institutsdirektion die aktuelle Tätigkeit und die Prof. Dr. Małgorzata Omilanowska Entwicklung des Instituts, wobei der Beirat insgesamt zu Universität Danzig, Lehrstuhl für Moderne Kunstgeschichte einer positiven Bewertung gelangte. In der im Berichtsjahr und Direktorin des Instituts für Kunstgeschichte online abgehaltenen Sitzung wurde Prof. Dr. Tatjana Töns- Beiratsmitglied seit 22. November 2017 meyer zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Auß­ erdem wurde Prof. Dr. Joachim von Puttkamer, der bereits Prof. Dr. Joachim von Puttkamer seit Januar 2020 dem wissenschaftlichen Beirat angehört, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Osteuro- offiziell als neues Mitglied begrüßt. päische Geschichte und Co-Direktor des Imre Kertész Kollegs Im Jahr 2020 gehörten dem wissenschaftlichen Beirat fol- Beiratsmitglied seit 10. Januar 2020 gende Mitglieder an: Prof. Dr. Eva Schlotheuber Prof. Dr. Philipp Ther Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Lehrstuhl für Vorsitzender Mittelalterliche Geschichte; Vorsitzende des Verbandes Universität Wien, Lehrstuhl Geschichte Ostmitteleuropas; der Historiker und Historikerinnen Deutschlands Leiter des Research Center for the History of Transforma- Beiratsmitglied seit 5. Dezember 2016 tions (RECET) Beiratsmitglied seit 1. September 2019 Dr. Darius Staliūnas Universität Vilnius, stellvertretender Direktor Prof. Dr. Tatjana Tönsmeyer des Litauischen Historischen Instituts Vilnius Stellvertretende Vorsitzende Beiratsmitglied seit 5. Dezember 2016 Bergische Universität Wuppertal, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte Beiratsmitglied seit 1. September 2019 A. Organisation 7

3. Kooperationen

Im Jahr 2020 kooperierte das Deutsche Historische Institut Karls-Universität, Prag in Projekten und Veranstaltungen mit folgenden Institutio- Litauische Nationalbibliothek, Vilnius nen (die Institute der Max Weber Stiftung werden nicht Litauisches Historisches Institut, Vilnius aufgelistet): Memory Studies Association Museum der Geschichte der polnischen Juden POLIN, Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Warschau Republik, Prag Museum des Jan-Sobieski-Palais in Wilanów, Warschau Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, Berlin Museum Sonnenburg, Słońsk Collegium Carolinum, München Museum Viadrina, Frankfurt/Oder Deutsch-Ukrainische Historikerkommission Nationalmuseum der Tschechischen Republik, Prag Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder Polnische Akademie der Wissenschaften, Warschau European Network Remembrance and Solidarity (ENRS) Universität Vilnius Stiftung Amicus Europae, Warschau Universität Warschau Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Hamburg Institut für Angewandte Geschichte, Frankfurt/Oder Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Nordost-Institut – Institut für Kultur und Geschichte Akademie der Wissenschaften (ZHF) der Deutschen in Nordosteuropa e.V. Zentrum für Studien zur populären Kultur (CSPK), Prag an der Universität Hamburg Institut für Nationales Gedenken (IPN), Posen 8 A. Organisation

4. Personal

Das Deutsche Historische Institut Warschau verfügte zum Ende des Berichtsjahrs über 28 Planstellen. Davon entfie- len zwölf Stellen auf entsandte, nach TVöD oder Bundes- beamtengesetz vergütete Kräfte und 16 Stellen auf lokale Beschäftigte. Insgesamt waren 2020 auf diesen Stellen 31 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Von diesen waren zwölf befristet und zwei unbefristet aus Deutsch- land entsandt. In Ergänzung zu den etatisierten Stellen konnte im Berichtsjahr ein weiterer wissenschaftlicher Mitarbeiter aus Drittmitteln befristet beschäftigt werden. Im Rahmen des Förderprogramms „Wissen entgrenzen“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sind außerdem zwei Teilprojekte einer stiftungsweiten Koope- ration am DHI Warschau angesiedelt. Damit waren 2020 insgesamt 35 Personen am Institut tätig, darunter 14 pro- movierte und fünf habilitierte Wissenschaftler:innen.

Gerade im wissenschaftlichen Bereich gehört der regel- mäßige Personalaustausch an den ausländischen Instituten der Max Weber Stiftung zum System. Er ist sowohl in der zeitlichen Abgeschlossenheit der Projekte als auch in der Logik der „Entsendung“ sachlich begründet. Wissenschaft- liche Mitarbeiter:innen werden in der Regel befristet für drei Jahre eingestellt, eine einmalige Verlängerung ist bei gutem Projektfortschritt möglich. A. Organisation 9

Personen am DHI Warschau im Jahr 2020

Direktor Prof. Dr. Miloš Řezník Stellvertretende Direktorin Prof. Dr. Ruth Leiserowitz

Wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr. Felix Ackermann Wissenschaftlicher Mitarbeiter PD Dr. habil. Dariusz Adamczyk Wissenschaftlicher Mitarbeiter Prof. Dr. Maciej Górny (bis 31. August) Wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr. Christhardt Henschel Wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Sabine Jagodzinski Wissenschaftliche Mitarbeiterin / Leiterin der Außenstelle Vilnius Dr. Gintarė Malinauskaitė Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Leiter der Außenstelle Prag Dr. Zdeněk Nebřenský Wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. habil. Magdalena Saryusz-Wolska (seit 1. September) Wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Sabine Stach (bis 31. August) Wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Zofia Wóycicka Wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr. Michael Zok (seit 1. Februar)

Projekt „Wissen entgrenzen“ Dr. Mustafa Switat Projekt „Wissen entgrenzen“ Dr. Dorota Woroniecka-Krzyżanowska

Langfristgastforscher Dr. Ralph Meindl (seit 1. Februar)

Referentin Dr. Annika Wienert

Wissenschaftliche Projektmitarbeiterin Małgorzata Sparenberg, M.A. Wissenschaftlicher Projektmitarbeiter Dr. Jos Stübner

Mitarbeiterin Öffentlichkeitsarbeit Kinga Wołoszyn-Kowanda, M.A. Mitarbeiterin Öffentlichkeitsarbeit Josephine Schwark, M.A.

Sekretariat Dorota Zielińska, M.A. Sekretariat Grażyna Ślepowrońska, M.A.

Leiter der Verwaltung Helge von Boetticher Sachbearbeiterin Verwaltung Monika Rolshoven Verwaltungsangestellter Paweł Ambroż, M.A. (bis 31. August) Verwaltungsangestellte Hanna Chrobocińska Verwaltungsangestellte Edyta Suwińska, M.A.

Diplombibliothekarin Izabella Janas, M.A. Bibliothekar Maciej Kordelasiński, M.A. Bibliotheksassistent Artur Koczara, M.A.

Haustechnik Krzysztof Zdanowski, M.A. Mitarbeiter IT Krzysztof Machaj, M.A.

Empfang Monika Karamuz

Foto: Ujazdowski Garten, 1906 | Quelle: Privatarchiv B. Forschung

Das Deutsche Historische Institut Warschau widmet sich in erster Linie innovativer Grundlagenforschung. Dabei gilt es, die polnische Geschichte in ihren europäischen Bezügen sowie in ihrer gesamten chronologischen Tiefe und thematischen Breite in den Blick zu nehmen. Dieser Anspruch wird mit ausgewählten Forschungsprojekten eingelöst, deren Fragestellungen es erlauben, die Ressourcen und Standortvorteile des Instituts und seiner Außenstellen in besonderer Weise zur Geltung zu bringen. Im Berichtsjahr standen in fünf Forschungsbereichen folgende Themenfelder im Zentrum des Interesses:

Regionalität und Regionsbildung Religion, Politik und Wirtschaft im vormodernen Polen Imperiale Neukonfigurationen. Dynamik von Staat und Gesellschaft im „langen” 19. Jahrhundert Globale Herausforderung und gesellschaftlicher Wandel Funktionalität von Geschichte in der Spätmoderne

Alle Einzelprojekte der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind in die Struktur der Forschungsbereiche eingebunden. Dies gilt auch für Vorhaben, die im Rahmen von Stipendien und Praktika bearbeitet werden oder von Gastwissenschaftler:innen durchgeführt werden. Damit eröffnen die definierten thematischen Bereiche einen gemeinsamen Diskussions­ horizont, der einen fruchtbaren Austausch befördert und die Arbeit an international anschlussfähigen Leitfragen ermöglicht.

Seit 2019 beteiligt sich das DHI Warschau mit zwei Projekten an der stif- tungsweiten Kooperation „Wissen entgrenzen“, das vom Bundesministe- rium für Bildung und Forschung gefördert wird. Im Rahmen dieses groß angelegten Forschungsvorhabens arbeitet das DHI Warschau mit dem Orient-Institut Beirut und dem DHI Moskau zusammen. Unter dem Titel „Wissen und Wissensbeziehungen im ideologischen Raum: Mobilität und Migration von Studierenden aus Westasien und Nordafrika in die Staaten des ,Ostblocks‘“ untersucht eine insgesamt 15-köpfige Forschungsgruppe Beziehungen zwischen den Gesellschaften des ehemaligen Ostblocks und des Nahen Ostens bzw. Nordafrikas von den 1950er Jahren bis 1991.

Weitere Informationen zu allen Projekten im Rahmen von „Wissen entgren- zen“ finden sich online unter https://wissen.hypotheses.org. Foto: Roman Puchalski, Ujazdowska Allee, 1938 | Quelle: Polona B. Forschung 13

1. Regionalität und Regionsbildung

„Das stolze Erbe. Ontarios Kaschubei.” Foto aus dem Freilichtmuseum in Szymbark

In dieser Forschungsgruppe wird auf die seit einigen Jah- stets ein Umgang mit Vielfalt und Einheit ist, stehen Fragen ren stetig wachsende Bedeutung regionaler Forschungs- struktureller Regionalisierung einerseits und der Aspekt perspektiven reagiert. Diese werden zum einen heuris- unterschiedlicher Regionalismusdiskurse andererseits im tisch genutzt, um historische Prozesse zu analysieren. Vordergrund: Welche Regionalitäten formieren sich in wel- Dabei wird versucht, Fokussierungen auf nationale und chem Kontext, mit welchem Bezug auf welche übergeord- staatliche Kategorien zu vermeiden. Zum anderen wird neten Entitäten? Welche regionalen Strukturen entstehen die regionale Perspektive zur historisierenden Analyse und welche Regionen werden – im diskursiven Sinne – „ge- von regionalen Kategorien und Regionalitäten sowohl im dacht“? Welchem historischen und funktionalen Wandel strukturellen als auch im diskursiven Kontext angewandt. unterliegen diese Figurationen? Welche Legitimations- kraft besaßen bzw. besitzen sie in Vergangenheit und Ge- Da eine Region per definitionem nur als Teil eines Ganzen, genwart? das heißt nur als eine Einheit gedacht werden kann, die einer anderen Größe räumlich und funktional unterge- Angesichts der großen Rolle, die Regionalismus und Re- ordnet ist, ist jede Beschäftigung mit regionalen Katego- gionsbildung in den polnischen Ländern in allen histori- rien zugleich eine Beschäftigung mit Phänomenen der schen Epochen gespielt haben, ist die Beschäftigung damit Assimilierung und Ausdifferenzierung. Die gegensätzli- ein idealer Ausgangspunkt für einen (ost-)mitteleuropäi- chen Prozesse der Integration und Desintegration werden schen, aber teilweise auch überregionalen Vergleich. Wie dabei als dialektische Einheit betrachtet. Das Thema ist aus dem oben beschriebenen allgemeinen Fragenkatalog daher in den kulturellen und politischen Diskursen der hervorgeht, ist die Thematik von ihrem Wesen her offen Gegenwart von höchster Brisanz und infolgedessen auch für inter- und transdisziplinäre Zugänge. Zudem bestehen von enormer gesellschaftlicher Relevanz. zahlreiche Überlappungen mit anderen Forschungsvorha- ben des DHI Warschau. Regionalitäten sind funktional variable Konfigurationen, deren historischer Wandel im Rahmen des Forschungs- bereichs untersucht wird. Da der Umgang mit Regionalität 14 B. Forschung

Nordseite des Herrenhauses in Nowa Wieś Szlachecka mit dem Wappen Leliwa der Familie Czapski im Giebel. Foto: Sabine Jagodzinski

Teilprojekt 1: wurden regional wie konfessionell übergreifend standes- bedingt tradierte Memorialstrategien in beiden Adelskul- Adlige Identitäten und Repräsentations- turen des ehemaligen Preußenlandes beobachtet. kulturen im Königlichen Preußen Anschließend begann die Materialauswertung und Ver- des 17. und 18. Jahrhunderts schriftlichung eines Kapitels zur profanen Bautätigkeit des Adels in beiden Teilen Preußens, ebenfalls mittels Einzel- Bearbeiterin: Dr. Sabine Jagodzinski fallstudien und kunsttopografischer Analysen. So konnte beispielsweise die (Un-)Abhängigkeit von regionaler Orien- tierung und Karriereverläufen aufgezeigt werden. Das kunstwissenschaftliche Projekt ist der Erforschung früh- neuzeitlicher adliger Repräsentationskulturen im König- Parallel zum Manuskript verfasste die Bearbeiterin einen lichen Preußen gewidmet. Architektur, Kunst und Kunst- umfangreichen Vortrag zu Heiligenkulten des Adels im handwerk aus Aufträgen führender Magnaten (Działyński, Königlichen Preußen, anhand derer dessen verschiedene Czapski, Przebendowski) werden auf ihre Bedeutung für Identifikationsschichten visuell aufgezeigt werden. Dieser die Identifikationsebenen des preußischen Adels befragt. sollte auf einem von ihr für den 26. und 27. März 2020 Grundlage dieser Frage ist der Umstand, dass der Adel eine vorbereiteten Workshop gehalten werden. Der kurzfristig im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts unterschiedlich abgesagte Workshop „Adel ohne Grenzen? Identitäten starke Bindung an die in der Rzeczpospolita weitgehend und Repräsentation zwischen Königlichem und Herzog- autonome Provinz besaß. Davon ausgehend wird der Ver- tum Preußen“ wird am 4. März 2021 online nachgeholt. lauf von Abgrenzungen und Grenzüberschreitungen auf der Ebene der künstlerischen Repräsentation dargelegt. Für den von Monika Saczyńska und Aleš Zářický als Koope- Dies wird an Fallbeispielen und mittels einer Kartierung ration des Instituts für Archäologie und Ethnologie der Pol- analysiert und mit den Strategien führender Familien im nischen Akademie der Wissenschaften, des DHI Warschau Herzogtum (ab 1701 Königreich) Preußen (Dohna, Dön- und der Philosophischen Fakultät der Universität Ostrava hoff, Finck) verglichen. So werden Gemeinsamkeiten und herausgegeben Vor-Konferenz-Band Borders, Borderlands, Unterschiede in Maßnahmen der Landesbindung in beiden Language: Culture and Society in the Slavic Area Through Teilen Preußens aufgezeigt. the Centuries wurde der englische Aufsatz überarbeitet. Er thematisiert die Frage der Präsenz und sozial-räumli- Im Jahr 2020 wurde die Objektdatenbank mithilfe des chen Abgrenzung des frühneuzeitlichen Adels in der Stadt Geoinformationssystems ArcGIS und geografischer Unter- am Beispiel Danzig und Wejherowo. Dessen Präsentation stützung nach verschiedenen Parametern visualisiert und auf der Tagung des International Committee of Historical die Karten zu Sakralstiftungen anschließend ausgewertet. Science (ICHS) in Posen wurde auf den 22.–28. August 2021 Auf dieser Grundlage wurde das Kapitel zum Stiftungs- verlegt.­ Von der zweiten internationalen Tagung „Regions- wesen abgeschlossen. macher in Ostmitteleuropa“ des Forschungsbereichs 1 im Mai 2019 wurden Beiträge zur Veröffentlichung ausge- Die Untersuchung der Stiftungen besonders in den Dorf- wählt und redigiert, ein weiterer Tagungsband zur Druck- kirchen im Königlichen Preußen hat u.a. das Verständnis legung gebracht. Die polnische Übersetzung der Disser- von Repräsentation im Sinne der Besetzung lokaler Räume tation der Bearbeiterin erschien im Dezember. Auf einer und Bindung der Bevölkerung veranschaulicht. Solcherart durch das Schlossmuseum König Jan III. in Wilanów orga- geschaffene „Subregionen“ untermauerten konfessionelle nisierten Online-Konferenz referierte die Bearbeiterin zu Grenzziehungen. Die vergleichende Analyse hat zudem die ausgewählten Aspekten und präsentierte die Publikation. Dominanz verschiedener Heiligenkulte aufgezeigt, eben- so wie unterschiedliche Gattungsschwerpunkte im adligen Stiftungsverhalten in beiden Teilen Preußens. Zugleich B. Forschung 15

Die Verteidigung von Puck/Putzig gegen die Schweden. Umschlags­ illustration von Henryk Baranowski zur dritten Auflage des Romans Krwawy sztorm [Blutroter Sturm ] von Augustyn Necel (Gdynia 1960).

Teilprojekt 2: wurden fortgesetzt, die Veranstaltungen aber sämtlich in das Jahr 2021 verschoben. Regionale Differenzierung, Ethnizität Unterschiedliche Aspekte der o.g. Forschungsbereiche wa- und Geschichtskultur. Die Kaschubei ren Gegenstand mehrerer Aufsätze, die sich vertiefend der im 20. Jahrhundert historischen Kategorie der Regionalität widmeten. Abge- schlossen wurden Texte zu folgenden Themen: Transregio- Bearbeiter: Prof. Dr. Miloš Řezník nalität der pommerschen Erinnerungsfiguren am Beispiel von Elisabeth von Pommern; Strategien und Argumenta- tionslinien der Vertretung ethnisch-regionaler Interessen In dem Teilprojekt werden die Perspektiven der beiden For- nach dem Ersten Weltkrieg im interregionalen Vergleich; schungsbereiche 1 und 5 durch die Schwerpunktsetzung historische Verständnisformen der kaschubischen Eigen- auf einer „endogenen“ Differenzierung des regional-eth- sprachlichkeit; territoriale Implikationen des Remus -Ro- nischen Raumdiskurses durch die Geschichtskultur und ge- mans von A. Majkowski von 1938 (einem zentralen Text schichtskulturelle Praktiken verschränkt. Im Vordergrund des regionalen Literaturkanons); Schweden in der kaschu- steht die Frage, wie die Vorstellungen der kaschubischen bischen kulturellen Tradition; Regional- und Raumkate- Heimat (des kaschubischen Vaterlandes) nach innen regio­ gorien in der habsburgischen Geschichtspolitik des 19. nalisiert werden, welche regionalen Einheiten in ihrem Jahrhunderts; retrotopische Geschichtspolitik im heutigen Rahmen definiert werden, welche symbolische Rolle ein- Polen im europäischen Kontext. Zudem wurde ein umfas- zelne (Teil-)Regionen übernehmen und wie sich die Ge- sender Kommentar über die polnische Historiografie nach schichtskultur an diesen Prozessen beteiligt. 1989 für eine Sonderausgabe des Kwartalnik Historyczny verfasst. Die pandemische Lage begünstigte auch Arbei- Im Berichtszeitraum wurde die Auswertung historischer ten an verschiedenen Tagungsbänden, die 2021 erschei- bzw. historisierender und „landschaftlicher“ Literatur und nen werden. Weiter vorbereitet wird eine Monografie zu Publizistik weitgehend abgeschlossen. Stärker herangezo- Adligkeit und systemischer Akkulturation der galizischen gen wurden punktuell Visualisierungen in Form von publi- Aristokratie in der Habsburgermonarchie in den ersten zierten Fotoaufnahmen mit Landschafts- und Territorialre- zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. präsentationen, Malerei (insbesondere landschaftliche und historische Motivik) und Bildhauerei/Plastik (Denkmäler, Der Bearbeiter betreute drei Dissertationen und war als Gedenktafeln, aber auch relativ lebhafte Medaillenkunst). Gutachter für die Deutsche Forschungsgemeinschaft und Angesichts der pandemischen Lage konnte die Aufmerk- für die österreichische Akkreditierungsagentur AQ (im samkeit stärker auf Textvorbereitungen gerichtet werden. Rahmen der Akkreditierung der Studien- und Promo­ Die laufend entstehenden Beiträge werden teilweise für tionsprogramme Nationalism Studies und Comparative selbständige Publikationen vorbereitet, sie bilden aber History der CEU an dem neuen Standort Wien), für meh- größtenteils wichtige Bausteine der zukünftigen Mono- rere Zeitschriften und Verlage in Deutschland, Tschechien grafie, deren Hauptteile Anfang 2022 vorliegen sollten. und Polen tätig. Darüber hinaus war er an Promotions- und Habilitationsverfahren sowie Verleihungen von Pro- Die Arbeiten im Rahmen des am Kaschubischen Institut fessorentiteln an diversen Universitäten beteiligt. Danzig angesiedelten Kooperationsprojekts zu kaschu- bischen Mythen und Symbolen wurden bereits 2019 ab- geschlossen, im Jahr 2020 wurde intensiv an der Text- redaktion und Auswahl des Bildmaterials gearbeitet. Dies konnte im Herbst beendet werden. Organisatorische Arbei- ten zur weiteren Verankerung des Themas in die laufende Regionalitätsforschung und verwandte Themenbereiche 16 B. Forschung

Briefkopf von F. G. Flechtner mit Bild der Fabrik in Langenbielau (Schlesien), 1908. Quelle: Staatsarchiv Breslau, Zweigstelle Kamieniec Ząbkowicki, Sign. 31

Teilprojekt 3: Gemeineinrichtungen auch betriebliche Wohnungen, Schulen, Küchen, ein Krankenhaus und ein Armenhaus Verräumlichung der Gesellschaft: gebaut.

Soziale Einrichtungen in Industriestädten In Bielawa existierten außer der Kirche und einer Schule Zentraleuropas keine Sozial- und Wohlfahrtseinrichtungen. Erst mit dem Druck der Reichsregierung, der Einführung der Sozialge- Bearbeiter: Dr. Zdeněk Nebřenský setzgebung und der Gewerbeinspektion in den späten 1880er Jahren begannen einzelne Textilunternehmer in Bielawa erste Wohlfahrtseinrichtungen zu gründen. Im Das Projekt widmet sich der Geschichte des Wohlfahrts- Gegensatz zu Żyrardów und Broumov handelte es sich kapitalismus in Zentraleuropa in der zweiten Hälfte des 19. um keine groß angelegten Projekte, obwohl die Kapital- Jahrhunderts. Am Beispiel von drei Städten, dem böhmi- und Wirtschaftskraft einiger Betriebe vergleichbar war. Es schen Broumov/Braunau, dem masowischen Żyrardów ging hier vor allem um den Bau von kleineren Häusern für und dem niederschlesischen Bielawa/Langenbielau, wird qualifizierte Arbeiter. Die Betriebe wurden von den staat- der mitteleuropäische Weg in die Moderne untersucht. lichen Behörden auch zur Gründung von Kranken- und Im Mittelpunkt steht die mikrohistorische Transformation Pensionskassen aufgefordert. Ein weiterer Unterschied der ländlichen, überwiegend agrarischen Gemeinschaft bestand in den staatlichen Interventionen in die betrieb- zu einer urbanisierten und industrialisierten Gesellschaft, liche Sozialpolitik, die in Bielawa am stärksten waren. die geprägt wurde durch den Aufbau von Wohlfahrtsein- Żyrardów war eine Art company town (Fabrikstadt), be- richtungen wie Betriebswohnungen, Kranken-, Armen- herrscht von der Leitung eines (hier: des einzigen) Betrie- und Waisenhäusern sowie, Schul- und Kulturanstalten. bes. Die Industriellen in Broumov mussten hingegen mit staatlichen, regionalen und kommunalen Behörden über Im Berichtszeitraum wurden die Recherchen im nieder- Aufbau und Betrieb der Wohlfahrtseinrichtungen auf schlesischen regionalen Archiv in Kamieniec Ząbkowicki mehreren Ebenen verhandeln. In Bielawa beschäftigten fortgesetzt. Ein Hauptaugenmerk lag auf der Entstehung sich die Fabrik­inspektoren in Breslau und die Beamten im von Wohlfahrtseinrichtungen im Industriedorf Bielawa in Reichskanzleiamt in Berlin mit den sozialen Fragen (und Niederschlesien (Preußen, Deutsches Reich) im 19. Jahr- wenigen Wohlfahrtseinrichtungen). hundert. Dabei wurde gefragt, inwieweit Textilunter- nehmer diese Einrichtungen selbst aufbauten oder von Der Bearbeiter widmete die Hälfte seiner Arbeitszeit or- staatlichen Behörden dazu gezwungen wurden. Anders ganisatorischen Aufgaben, die mit der Leitung der Außen- als in Broumov und Żyrardów spielten die staatlichen stelle in Prag einhergehen. Die Außenstelle kooperiert eng Behörden beim Aufbau der Wohlfahrtseinrichtungen in mit der Prager Zweigstelle des Collegium Carolinum Mün- Bielawa die Schlüsselrolle. Żyrardów entstand nach der chen, der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Gründung der Leinespinnerei als Industriestadt auf der Republik und der Karls-Universität in Prag. Außerdem „grünen Wiese“. Der Betrieb musste Wohnhäuser und wurden die Tätigkeit und Räumlichkeiten der Außenstelle Schulen, später ein Krankenhaus und Kirchen für die Be- in einem kurzen Film vorgestellt, der per Social Media und wohner aufbauen, damit diese dort leben konnten. Brou- auf der Webseite des DHI Warschau veröffentlicht wurde. mov wiederum war eine historische Stadt und zugleich das Zentrum der alten Benediktinerabtei. Dort waren so- ziale Institutionen und Einrichtungen während einer län- geren Zeitspanne entstanden. Nach der Gründung meh- rerer Textilfabriken wurden parallel zu den kommunalen B. Forschung 17

Um die Nutzung der Bischofsburg in Heilsberg stritten sich die Katholische Jugend und die HJ. Foto: Dawid Galus (2013), CC BY-SA 3.0 PL, via Wikimedia Commons

Teilprojekt 4: Führer und Ideologie zu ersetzen, zwar zu einer Transfor- mation in Habitus, Aktionsformen und Verhaltensmustern Im Spannungsfeld von Ideologie, der Ermländer, zugleich aber auch zu einer Stärkung der regionalen Bindungen und Identifikationen in deren neuer Religion, Sprache und regionaler Gestalt, die sie durch die Konfrontation mit dem National- Identität. Die NSDAP im Ermland sozialismus erhalten hatten. 1928–1945 Im Berichtszeitraum konnten zur Überprüfung dieser These Bearbeiter: Dr. Ralf Meindl im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin und in der Zweigstelle des polnischen Nationalarchivs in () das Gauarchiv der NSDAP Ostpreußen, Das Projekt beschreibt die Veränderungen der Regionali- lokale und regionale Parteiakten sowie die Akten der ost- sierungsprozesse im Ermland anhand der Geschichte der preußischen und ermländischen Behörden eingesehen und NSDAP. Das landschaftlich, wirtschaftlich, ethnisch und ausgewertet werden. Dabei wurde deutlich, dass die Kon- sprachlich ausgesprochen heterogene Ermland bildete frontation zwischen NSDAP und katholischem Klerus, aber seit 1525 eine katholische Enklave im protestantischen auch Laien, von beiden Seiten als tiefgreifender Konflikt Herzogtum, später Königreich (Ost-)Preußen. In beiden betrachtet wurde, der scharf zu führen sei. Konzessionen Territorien konstituierte die Konfession die regionalen sind dabei vor allem seitens der NSDAP zu beobachten, die Identitätsbildungsprozesse wesentlich. Bis zur Aussiedlung offenbar erkannte, dass sie nur dann ins katholische Milieu der deutschen Bevölkerung ab 1945 bestimmte die Kon- eindringen konnte, wenn sie traditionelle Bindungen ak- fessionszugehörigkeit nicht nur die lokale Kultur, sondern zeptierte, bis hin zu Doppelmitgliedschaften in national- auch die politischen Präferenzen. In den Reichs- und Land- sozialistischen und katholischen Organisationen. Zur Ver- tagswahlen errang die katholische Zentrumspartei in den tiefung dieser Befunde wurde die Alltagsgeschichte des ermländischen Landkreisen zuverlässig den größten Stim- Ermlands intensiv untersucht. Einen Forschungsschwer- menanteil, in der Weimarer Republik mit einer stabilen punkt bildete hierbei das südliche Ermland, insbesondere Wählerzahl. Dem Anspruch der katholischen Kirche, alle der Landkreis Allenstein, da hier die Sprachenproblema- Lebensbereiche der Ermländer zu gestalten, trat ab 1928 tik – bei einem bedeutenden Teil der Süd-Ermländer war die NSDAP mit einer ähnlichen Forderung entgegen. die Muttersprache Polnisch – die Konfrontation mit der Weltanschauung der NSDAP verschärfte. Dabei wurde als Der vergleichsweise langsame und bescheidene Aufbau Ausblick zum Projekt auch untersucht, inwieweit die ka- der Parteiorganisation sowie die Wahlergebnisse zeigen, tholischen Traditionen des Ermlands die Erinnerungskultur dass es der NSDAP bis 1933 nicht gelang, im Ermland Fuß der ermländischen Vertriebenen prägte und prägt und zu fassen. Nach dem Regierungsantritt Hitlers versuchte inwieweit die polnischen Neusiedler an diese Traditionen die ermländische NSDAP durch kultur- und kirchenpoli- anknüpften und sie in neue Regionalisierungsprozesse tische Maßnahmen ihre Rolle als Staatspartei zu erfüllen einbanden. Das Projekt schließt damit eine Lücke in der und den Katholizismus als identitätsbildenden Faktor zu identitätsgeschichtlichen Forschung, die es bisher verhin- verdrängen. These des Projekts ist es, dass es der NSDAP dert hat, die regionale Entwicklung Ostpreußens in ihrer zwar gelang, in viele Lebensbereiche einzudringen und gesamten Ausdifferenzierung zu betrachten und legitima- tradierte Verhaltensmuster und Identifikationsmechanis- torische Diskurse der Nachkriegszeit einzuordnen. men aufzubrechen, dies aber nicht vollumfänglich die be- absichtigten Folgen zeigte. Vielmehr führte der Versuch der NSDAP, die regionale Kultur und Identität durch eine neue, überregionale Loyalität in allen Lebensbereichen zu 18 B. Forschung

2. Religion, Politik und Wirtschaft im vormodernen Polen

Das Heinrichauer Gründungsbuch (1268–1310) enthält das älteste überlieferte Sprachdenkmal der altpolnischen Sprache. Es befindet sich heute im Diözesanmuseum Breslau.

Seit dem frühen Mittelalter erlebte Polen grundlegende Hierzu soll der Forschungsbereich mit Blick auf die Ver- Veränderungen, Innovationen und Modernisierungen, die dichtung von Herrschaft, Verwaltung und Wirtschaft im aus Sicht der Eliten nicht zuletzt auf Reform und Erhalt der mittelalterlichen Polen und der Adelsrepublik neue Ein- Herrschaft zielten. Während die führende Rolle des Adels sichten befördern. Im Mittelpunkt stehen die unmittelba- innerhalb dieser Prozesse in der Forschung seit langem ren Einflüsse von Religion und Wirtschaft auf die Politik eingehend erörtert wird, erscheinen zwei potenziell wich- sowie zeitgenössische Erklärungsversuche dafür. Schwer- tige Faktoren noch relativ wenig thematisiert: zum einen punkte bilden Fragen des interkonfessionellen und inter- Kirche und Religion und zum anderen die Wirtschaft. Über religiösen Kontakts, des Konfliktmanagements und der die Mobilisierungsimpulse und Modernisierungsschübe, die Mediation sowie das Thema Monetarisierungen und Kom- von der Kirchen- und Bekenntnispolitik, den kirchlich-kon- merzialisierungen im europäischen Kontext. So wird der fessionellen Strukturen, den kontinental verflochtenen Blick eröffnet auf ein früheres Europa mit differenzierte- Eliten und Dynastien sowie intellektuellen und künstleri- ren sprachlichen, kulturellen und politischen Grenzen als schen Zusammenhängen ausgingen, weiß man bisher ver- den heutigen. gleichsweise wenig. B. Forschung 19

Denar Władysław Hermans (1079–1102), Exemplar aus einer Auktion des Warschauer Zentrums für Numismatik (WCN).

Teilprojekt 1: als auch der gegenseitigen Verflechtungen und Einflüsse zwischen verschiedenen Akteuren im westlichen Eurasien Monetarisierungsmomente, geleistet werden.

Kommerzialisierungszonen oder Im Berichtszeitraum wurde der zweite Teil der Monografie fiskalische Währungslandschaften? abgeschlossen. Er befasst sich mit den gesellschaftlichen, Silberverteilungsnetzwerke und Gesell- fiskalischen und monetären Aspekten der Nutzung von Edelmetallen zwischen dem 9. und dem frühen 13. Jahr- schaften in Ostmitteleuropa (800–1200) hundert. Die Analyse erfolgt entlang regionaler wie chro- nologischer Achsen. Einer der Kernpunkte betrifft die Frage, Bearbeiter: PD Dr. Dariusz Adamczyk in welchen Konstellationen Münzen im piastischen Reich in den 1070er bis 1090er Jahren zirkulierten. Das Edelmetall Das Forschungsvorhaben untersucht die Frage, ob die diente der Entlohnung der Gefolgsleute und Krieger, der Nutzung von Edelmetallen der Logik eines Homo politicus Zurschaustellung von Macht und Prestige, als Rohstoff zur folgte oder eher derjenigen eines Homo oeconomicus Anfertigung von Schmuck bzw. Ausprägung von Denaren, entsprach. Beschränkte sich also ihre Verwendung ledig- schließlich als Zahlungsmittel bei Transaktionen auf ver- lich auf eine Prestige- und Gabenökonomie, symbolische schiedenen Marktniveaus. Diese hybride Wirtschaftsform, Kommunikation und die Fernhandelsmärkte, oder zirku- die verschiedene fiskalische, politisch-repräsentative und lierten sie auch im regionalen und lokalen Handel? Wie kommerzielle Elemente umfasste, kann mit guten Gründen kann man den Grad der Monetarisierung messen und wann als Burgwallökonomie bezeichnet werden. Mit dem Kol- von einer Kommerzialisierung ausgehen? Und schließlich: laps der Importe im frühen 12. Jahrhundert fand eine En- War die Monetarisierung ein linearer Prozess, oder wies dogenisierung der Silberabschöpfung statt. Doch etliche sie mehr Brüche als Kontinuitäten auf? Indikatoren, vor allem die geringe Anzahl der Streufunde von polnischen Denaren aus Siedlungen, deuten darauf Um der Komplexität der historischen Entwicklung Rech- hin, dass der Monetarisierungsprozess – nicht zuletzt in nung zu tragen und sie nicht monokausal oder eindimen- Ermangelung einheimischer Rohstoffquellen – kaum brei- sional zu erklären, wurde ein Bündel von Indikatoren te Bevölkerungsschichten erfasste und sogar einen Rück- entworfen, anhand dessen die Befragung der jeweiligen schritt erlitt. Dieser Umstand beeinflusste maßgeblich Konfigurationen und Parameter stattfindet. Ausgangs- die Entscheidung der Dynasten, die geltende Münzsorte punkt sind mehrere hundert Schatzfunde von Silber und mehr oder weniger systematisch umzutauschen, um sich die zahlreichen Einzelfunde von Münzen aus Siedlungen, dadurch eine passable Einnahmequelle zu sichern. Burgwällen und Gräberfeldern, die in Ostmitteleuropa freigelegt oder zufällig entdeckt wurden und ins 9. bis Zudem entwickelte der Bearbeiter ein konzeptionelles Inst- 12. Jahrhundert datieren. Dabei werden die Ergebnisse rumentarium, mit dem das Forschungsprojekt fortgesetzt der benachbarten Fachgebiete Archäologie und Kultur­ und die Münze als Attribut einer ungleichen Entwicklung anthropologie miteinbezogen und mithilfe der erstellten im deutsch-polnischen Kontext thematisiert werden kann. Datenbank in geschichtswissenschaftliche Fragestellun- Eine besondere Relevanz kommt dann der Frage zu, wel- gen eingebettet. Ein weiterer Baustein der Studie rekon- che Funktionen die westslawischen Nachprägungen west- struiert und kontextualisiert trans- und interkontinentale licher Pfennige erfüllten und inwieweit die Emission von Handelsnetzwerke in Raum und Zeit. Damit soll ein auf in- Geld zur Modernisierung von Herrschaft, Wirtschaft und terdisziplinären Ansätzen beruhender Beitrag zur Analy- Ge­sellschaft östlich der Elbe im 11.–13. Jahrhundert beitrug. se sowohl der Interaktions- und Kommunikationsformen innerhalb der einzelnen Gesellschaften Ostmitteleuropas 20 B. Forschung

3. Imperiale Neukonfigurationen. Dynamik von Staat und Gesellschaft im „langen“ 19. Jahrhundert

Ansicht von Suwałki, veröffentlicht 1870 in der Wochenzeitschrift Tygodnik Ilustrowany. Quelle: Polona

Die Teilungen der Rzeczpospolita unterbrachen eine Phase Im Zuge dieser langfristigen Territorialisierung verstärk- von Krise und Aufbruch im Königreich Polen und Groß- ten die Teilungsmächte ihre Präsenz in der Fläche, aber fürstentum Litauen. Die Neuordnung der imperialen Macht- auch die Präsenz von Akteuren aus der Peripherie in den verhältnisse in Mitteleuropa auf Kosten der Adelsrepublik Zentren der Imperien nahm zu. Die einzelnen Projekte beendete auch die Versuche einer inneren Reform des de- untersuchen den Zusammenhang zwischen der Moderni- zentralen Unionsstaates. Stattdessen erfolgte eine kon- sierung staatlicher Strukturen und gesellschaftlichen Ver- sequente Eingliederung der polnischen und litauischen änderungen, die in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur Gebiete in die drei Imperien der Teilungsmächte. Vilnius, zum Ausdruck kamen und sich politisch immer wieder ge- Warschau, Posen und Krakau gerieten zur Peripherie im Ver­ gen die imperiale Herrschaft richteten. hältnis zu den Zentren in St. Petersburg, Berlin und Wien. Die daraus resultierenden Konflikte sind anhand der Auf- Schon nach kurzer Zeit wurde dieser Prozess durch die stände im russländischen Teilungsgebiet, der Niederschla- Napoleonischen Kriege unterbrochen, die ein neues gung liberal-nationaler Bewegungen und des sogenann- Staats- und Rechtsverständnis in die Region brachten. Der ten Kulturkampfs in Preußen sowie der Erkämpfung einer französische Code Civil wurde zum rechtlichen Fundament weitreichenden Autonomie durch Galizien innerhalb der der Entwicklung kapitalistischer Produktionsbeziehungen. Habsburgermonarchie eingehend erforscht worden. In Zugleich hemmten die Verheerungen der Feld­züge und diesem Forschungsbereich wird die Anfangsphase im- erneute territoriale Neukonfigurationen wie etwa die perialer Neukonfigurationen im frühen 19. Jahrhundert kurze Phase preußischer Herrschaft in Warschau, Białystok als Epochenschwelle betrachtet. Die einzelnen Projekte und Suwałki den wirtschaftlichen Aufbruch in ein neues fragen nach der langfristigen Wirkung politischer, öko- Zeitalter. In einem langen Prozess, der nach dem Wiener nomischer und sozialer Prozesse, die in dieser Zeit ihren Kongress einsetzte und bis ins frühe 20. Jahrhundert Anfang nahmen, aber oft erst in der zweiten Hälfte des reichte, veränderten sich die drei Imperien zu modernen 19. Jahrhunderts voll zum Tragen kamen. Staatswesen, die das Zusammenspiel von Staat, Raum und Gesellschaft grundlegend neu definierten. B. Forschung 21

Ältester Stadtplan von Vištytis / Wisztyniec (1835). Quelle: Litauisches Historisches Archiv, F. 1073, Ap.1, B. 134, L. 20

Teilprojekt 1: der Zeitraum 1815–1831 eine Phase der relativen wirt- schaftlichen Erholung und Neuorientierung darstellte. Die Jüdische Handelsräume im Wandel Bewohner und Bewohnerinnen waren einerseits um Kon- tinuität bemüht, passten sich neuen Herausforderungen 1772–1850 an und definierten neue Tätigkeitsbereiche, wodurch sich Spannungsfelder ergaben. Gleichfalls versuchten sie, gegen Bearbeiterin: Prof. Dr. Ruth Leiserowitz unzeitgemäße Kontinuitäten (veraltete Markttarife) anzu- gehen. Es war eine Phase, die sich als eine „kleine Stabilisie- Das Projekt zeichnet Aktivitäten jüdischer Kaufleute auf rung“ bezeichnen lässt, wenn auch nach 1831 verschiede- dem Gebiet des ehemaligen Großfürstentums Litauen in ne Maßnahmen des zarischen Imperiums Einfluss zeigten. der polnisch-litauischen Rzeczpospolita zur Zeit der Teilun- gen Polen-Litauens und in der nachfolgenden Periode – Das Beispiel zeigt, dass in den 1820er Jahren die verschie- vor dem Bau der Eisenbahn – nach. Es soll erforscht wer- denen Bevölkerungsgruppen der Kleinstadt durch die Wirt- den, inwieweit sich territoriale Abtrennungen und neue schaft regelrecht miteinander verwoben waren, sodass staatliche Zugehörigkeiten im Geschäftsgebaren der Kauf- behauptet werden kann, dass hier wirklich ein interethni- leute, ihren Aktivitäten und Beziehungen niederschlugen. scher Kosmos im kleinen Maßstab funktionierte. Die Be- funde sollen nun mit Unterlagen zu einer weiteren etwa Ziel des Projekts ist es, die Veränderungen von der pol- gleich großen Stadt in der Region (Vilkaviškis) verglichen nisch-litauischen Rzeczpospolita zum jüdischen Ansied- werden, deren Handel aufgrund der ganz unterschiedli- lungsrayon zu beschreiben und zu überprüfen, ob und wie chen geografischen Lage vermutlich andere Schwerpunkte die im Mittelpunkt der Untersuchung stehenden jüdischen aufwies. Die Analyse der städtischen Situation in Vištytis ist Akteure den historischen Wandel wahrnahmen. Darüber in einem umfangreichen englischsprachigen Aufsatz ver- hinaus sollen Neuverortungen und -orientierungen in ei- schriftlicht worden. nem geteilten Raum aufgezeigt werden. Im weiteren Zusammenhang mit dem Projekt standen die Im Berichtszeitraum wurden die Recherchen im polnischen Betreuung von zwei Doktoranden (an der Humboldt-Uni- Archiv der alten Akten (AGAD Warschau) und dem Staats- versität zu Berlin und an der Universität Klaipėda) sowie archiv Vilnius fortgesetzt. Ein Hauptaugenmerk lag dabei eines Promotionsverfahrens, die Abfassung von Gutach- auf der wirtschaftlichen Situation von Kleinstädten der Su- ten, die Betreuung von Masterarbeiten, die Abnahme von valkija. Dabei handelt es sich um ein Gebiet, das bis 1795 Prüfungen sowie die Durchführung eines Masterseminars zum Großfürstentum Litauen gehörte, anschließend für an der Humboldt-Universität zu Berlin im Wintersemester zwölf Jahre an Preußen fiel, dann acht Jahre lang dem 2020/21 unter dem Titel „ ,Auch wir sind Europa‘. Die Ge- Herzogtum Warschau zugeteilt war und anschließend in schichte der baltischen Staaten“. Darüber hinaus hat die das Königreich Polen integriert wurde. Wie haben die jü- Bearbeiterin weitere Gutachten für den DAAD, die TU Dres- dischen Kaufleute der Region den mehrfachen politischen den sowie Stiftungen abgefasst. Wechsel überstanden? Dazu wurden Akten aufgefunden, die es ermöglichten, den Mikrokosmos eines stark vom Die Bearbeiterin hat für ihre Forschungen zu Litauen und Handel geprägten Grenzstädtchens (Vištytis) zu analysie- Ostpreußen im Januar 2020 den Ludwig-Rhesa-Kultur- und ren. Die Lektüre der vielfältigen Quellen, die über einen Kunstpreis erhalten. Im Februar 2020 wurde ihr das Ritter- Zeitraum von circa zehn Jahren hinweg einen Einblick kreuz des Großfürsten Gediminas Ordens durch den litaui- in das Leben in dieser Kleinstadt geben, der sich sowohl schen Staatspräsidenten verliehen. auf die Allgemeinheit als auch die jüdische Bevölkerung im Besonderen richtet, lässt die Schlussfolgerung zu, dass 22 B. Forschung

Das Lemberger Brygidki Gefängnis, 1863. Foto: Josef Eder, Verlag Centr Europy, Lviv Center for Urban History Digital Archiv ID 943 © Lviv Historical Museum

Teilprojekt 2: Im Berichtsjahr befand sich das Projekt in seiner abschlie- ßenden Phase, daher stand das Synthetisieren der empi- Panoptikum. Die Geschichte des rischen Quellen im Mittelpunkt. Das erfolgte vor allem in Bezug auf die Rolle von Religion in der imperialen Praxis Strafvollzugs im geteilten Polen-Litauen des Strafvollzugs. Eine besondere Herausforderung ist da- bei, sowohl die drei Fallbeispiele in Lemberg, Rawicz und Bearbeiter: Dr. Felix Ackermann Vilnius als auch die jeweiligen Entwicklungen in den Tei- lungsmächten miteinander in Beziehung zu setzen. Im Projekt wird die Modernisierung des Gefängniswesens im geteilten Polen und Litauen als Teil der Territorialisie- Neben der Arbeit am Projekt war der Verfasser als wissen- rung von Herrschaft in Mitteleuropa untersucht. Mittels schaftlicher Gutachter tätig: für die Polnische Akademie eines intra-imperialen Vergleichs wird die Umnutzung auf- der Wissenschaften sowie für Baltic Studies, Slavic Review gelassener Klöster sowie die Errichtung neuer Gefängnisse und weitere Zeitschriften und Verlage, darunter die vom analysiert. Die Transferprozesse zwischen den Imperien Museum der Stadt Warschau herausgegebene Zeitschrift werden anhand des veränderten bürokratischen Umgangs Almanach Warszawy, deren wissenschaftlichem Beirat er mit Religion, Arbeit und Politik untersucht, um zu zeigen, angehört. Außerdem ist er Vorsitzender der Jury zum Georg dass Modernisierung auch vom Wissen über Praktiken des Dehio-Preis und seit Dezember Mitglied im Präsidium der Scheiterns geprägt wurde. Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission.

Im Berichtszeitraum erfolgte die systematische Erschlie- Ein weiteres Tätigkeitsfeld waren publizistische Beiträge ßung von Archiven in Moskau, Posen, Lemberg, Berlin und zur Wissenschaftspolitik und der Geschichte von Polen, Uk- Warschau. Persönliche Aufzeichnungen und Drucksachen raine und Belarus in der deutschsprachigen Tagespresse. zeigen einen regen Ideentransfer zwischen den unter- Im Vorfeld und Nachgang der Präsidentschaftswahlen in schiedlichen Teilungsmächten. In der ersten Hälfte des 19. Belarus im August setzte sich der Verfasser als Mitglied Jahrhunderts schlugen sich Reformdiskurse in erster Linie in der Belarussisch-Deutschen­ Geschichtskommission erfolg- normativen Gefängnisdokumenten nieder, die Regeln für reich für die Verwendung von Belarus als Landesnamen im den Strafvollzug dokumentierten. Anhand dieser lässt sich deutschsprachigen Raum ein. Ein Ergebnis der Bemühun- für alle drei Teilungsgebiete eine besondere Rolle religiö- gen, nach den Wahlen historisches Wissen über Belarus ser Praktiken für die Resozialisierung der Strafgefangenen an eine interessierte Öffentlichkeit zu vermitteln, war das – zumindest in der Theorie – ablesen. Diese Rolle nahm im Projekt „Stimmen aus Belarus“. Laufe des 19. Jahrhunderts ab. Zunehmend von Belang für die Planungen der Gefängnisverwaltungen wurden hinge- gen Konzepte von Arbeit als Resozialisierungspraxis. Ent- wicklungen moderner staatlicher Formen von Leiharbeit sowie die Teilnahme von Gefängnissen als Produktions- stätten am kapitalistischen Markt werden auf Grundlage dieser Archivarbeiten ebenso deutlich wie die Rolle von Gefangenenarbeit bei der Errichtung neuer Gefängnisse wie etwa im Osten Galiziens in Drohobycz und Stanisławów. B. Forschung 23

4. Globale Herausforderung und gesellschaftlicher Wandel

Lenin-Denkmal vor dem Bahnhof Klaipėda. Foto: Bernardas Aleknavičius (1964), CC-BY-NC-ND

Die weltweite Vernetzung bewirkt eine Erweiterung der Die einzelnen Projekte des Forschungsbereichs nehmen Forschungsperspektiven über eigene und bekannte Räu- sehr verschiedene Fragestellungen des 20. Jahrhunderts in me hinaus. Sie führt zu neuen Aufmerksamkeiten für Zu- den Blick. Gemeinsam ist den Projekten, dass die jeweili- sammenhänge, aus denen sich Fragestellungen ergeben, gen Blickrichtungen und die geografische Verortung ihrer die zuvor vom eigenen Standort nicht formuliert werden Fragestellungen neu sind. Für die Analysen werden unter- konnten. Neben diesen globalen Herausforderungen ist schiedliche Methoden genutzt – von Vergleichen bis hin zu die zeithistorische Forschung damit konfrontiert, dass sich exemplarischen Fallstudien. in den letzten Jahrzehnten Veränderungen der Gesell- schaft vollzogen haben, die anderes Verhalten, veränderte Die thematische Breite wird durch die Einbindung dritt- Denkweisen sowie Wertewandel erzeugen. Diesen Wandel mittelfinanzierter Vorhaben und Kooperationsprojekte gilt es zu kontextualisieren. erweitert. Im Besonderen stehen hier Untersuchungen zu Wissenschaftsbeziehungen zwischen Polen und der arabi- Gerade Makroprozessbegriffe, wie Säkularisierung und schen Region im Mittelpunkt. Ergänzt werden diese Pro- Privatisierung, provozieren bisher unbekannte Fragen jekte um Forschungen, die Holocaust, Kriegsgeschehen und und sogar neue Unterbereiche der Geschichtswissenschaft. Kriegsfolgen aus einer längerfristigen Perspektive analy- Diese Ansätze bleiben jedoch nicht ohne Widerspruch: sieren, um mittels einer vertieften Darstellung und kom- Gleichzeitig erleben nationalgeschichtliche Trends eine plexen Erklärung gesellschaftlicher und medialer Kontexte Renaissance und produzieren Spannungsfelder innerhalb Langzeitwirkungen des Zweiten Weltkriegs genauer posi- des Faches. Hier zeigt sich, dass Globalisierungsfragen als tionieren zu können. Objekt der Geschichtswissenschaft ganz unterschiedlich bearbeitet werden können und mit gegenläufigen Ten- denzen zu konkurrieren haben. 24 B. Forschung

Plakate gegen Homosexuelle, Linke und Abtreibungen, Graffiti: „Sichere Abtreibung, 222922567“. Warschau, Dezember 2020. Foto: Michael Zok

Teilprojekt 1: In dem Forschungsvorhaben wird der Wertewandel in „No Sex Please, We are Catholic“. der irischen und polnischen Gesellschaft anhand von Dis- kursen über Reproduktion und Partnerschaft untersucht. Reproduktion und Partnerschaft im Diese sind für die Analyse besonders geeignet, da die sie Spannungsfeld zwischen (De-)Säkulari- betreffenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen sierung und (De-)Privatisierung von keineswegs eine „stille Revolution“ darstellen, wie der amerikanische Soziologe Ronald Inglehart 1977 behaup- Religion in Irland und Polen tete, sondern sowohl in gesellschaftlichen wie auch poli- tischen Debatten durch ein hohes Maß an Emotionalität Bearbeiter: Dr. Michael Zok und Kontroversität gekennzeichnet sind, wodurch sie (seit 1. Februar 2020) deutlich wahrnehm- und somit analysierbar werden.

Das im Modul „Eigene Stelle“ bei der DFG eingeworbene, Im Berichtszeitraum wurde mit der Sichtung archivalischer zum 1. Februar 2020 begonnene Forschungsvorhaben hat Materialien im Archiv der Neuen Akten in Warschau be- zum Ziel, die in aktuellen religionssoziologischen Studien gonnen. Ein erstes Ziel war es hierbei, die bedeutsamen mit den Schlagworten „(De-)Privatisierung von Religion“ Akteure zu identifizieren und ihren Einfluss auf die poli- (Luckmann, Casanova) bzw. „(De-)Säkularisierung“ (Ber- tischen wie gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu ger, Pollack) versehenen Phänomene durch eine verglei- analysieren. Dabei konzentrierte sich die Analyse vor allem chende historische Langzeitanalyse zu hinterfragen. Für auf die Bestände der politischen Parteien sowie einiger den Vergleich wurden zwei Gesellschaften gewählt (Irland gesellschaftlicher Akteure (zum Beispiel der Klubs der Ka- und Polen), die sich aufgrund ihrer kulturellen und histori- tholischen Intelligenz). Im Mittelpunkt der Untersuchung schen Faktoren – darunter u.a. der Dominanz der katholi- standen Argumentationsmuster von Gegnern und Unter- schen Kirche in gesellschaftlichen Debatten oder auch der stützern von Liberalisierungen im genannten Themen- Gleichsetzung von Konfession und Nation im 19. Jahrhun- komplex. Neben diesen Beständen lag ein Augenmerk dert – ähneln, jedoch in den letzten Dekaden gerade im auf der Auswertung der in den Warschauer Bibliotheken Bereich Reproduktionsrechte und Ansichten über gesell- befindlichen relevanten Sekundärliteratur, die neben sozio- schaftlich akzeptierte Formen von Partnerschaft deutlich logischen ebenfalls medizinische Studien und Periodika auseinanderentwickelten. Im Mittelpunkt der Analyse ste- umfasste. Ferner konnten – als Alternative zu einer ur- hen Bedingungen und Faktoren, die die Wirkungsmacht sprünglich für Herbst geplanten Dienstreise nach Irland – von säkularen bzw. kirchlichen Normen steigern bzw. durch Forschungsaufenthalte in der Niedersächsischen abschwächen. Derartige Prozesse sind eng verknüpft mit Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen erste Ana- der Erhaltung bzw. dem Verlust einer hegemonialen Stel- lysen irischer Tageszeitungen zum Forschungsgegenstand lung bestimmter Akteure im öffentlichen Diskurs, wobei durchgeführt werden. Als Ergebnis dieser Arbeiten be- insbesondere politische und gesellschaftliche (Gegen-) finden sich bereits mehrere vergleichende Beiträge zum Eliten und ihre diskursiven Strategien im Fokus der Ana- Forschungsprojekt im Publikationsprozess. lyse stehen. Die Entwicklungen der letzten Jahre führten schlussendlich zu den heute deutlich wahrnehmbaren Unterschieden sowohl hinsichtlich der gesellschaftlichen Akzeptanz diverser Lebensentwürfe als auch in der recht- lichen Kodifikation von Reproduktionsrechten. B. Forschung 25

Verwaltungseinheiten im besetzten Polen, Stand 20.9.1940 (Ausschnitt), abgedruckt in: Reichsministerium des Innern (Hg.): Kartenfolge zur Landes- und Wirtschaftskunde der eingegliederten deutschen Ostgebiete und des General­ gouvernements, Berlin 1940/41

Teilprojekt 2: Im Zusammenhang mit dieser Arbeit steht auch die Mit- arbeit an der polnischen Edition von Niels Gutschows weg- Das nördliche Masowien zwischen weisender Studie Ordnungswahn. Architekten planen im „eingedeutschten Osten“, gemeinsam mit Annika Wienert polnischer Staatlichkeit und deutscher und Aleksandra Paradowska. Die Veröffentlichung dieses Besatzungsherrschaft in der Mitte Grundlagenwerks auf Polnisch, für das ein ausführlicher des 20. Jahrhunderts Kommentar vorbereitet wird, ist für den Fortgang dieses Forschungszweigs in Polen zentral. Bearbeiter: Dr. Christhardt Henschel Ein weiteres bearbeitetes Themenfeld ist die Alltags­ geschichte der Besatzung im Regierungsbezirk Zichenau. Die Arbeiten im Berichtszeitraum schlossen inhaltlich an Hier wurde vor allem die Analyse dreier Tagebücher vorge- die im letzten Jahr bearbeiteten Themen an. So wurde die nommen, die die unterschiedlichen Perspektiven verschie- Frage der Imagination der Region Nordmasowien durch dener ethnischer und sozialer Gruppen auf die deutsche einheimische und nationalsozialistische Akteure vertieft Politik verdeutlichen. Die soziale Stellung und die rassische und in einem längeren Beitrag ausformuliert. Kategorisierung waren nicht nur entscheidend für die Über- lebenschancen der jeweiligen Personen, sondern bestimm- Auf dieser Grundlage konnte ein weiterer inhaltlicher Schritt ten auch maßgeblich ihre Wahrnehmung des Geschehens gegangen werden, indem die Stadt- und Raumplanung­ im mit. Regierungsbezirk untersucht wurde, was ebenfalls in eine Publikation mündete. Wichtige Impulse gab dabei ein in- Aufgrund der Covid-19-Pandemie konnten die Arbeiten ternationaler Workshop zur NS-Architektur im besetzten an diesem so zentralen Bereich nicht wie geplant durch Polen, der gemeinsam vom DHI Warschau und dem Zent- die noch ausstehenden Archivrecherchen weitergetrieben rum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akade- werden. Die Zwischenergebnisse der Beschäftigung mit mie der Wissenschaften veranstaltet wurde. Dabei gelang der Alltagsgeschichte wurden noch in den Sammelband es, die Verflechtung von Besatzungspolitik, Raumplanung Ostpreußens Kriegsbeute. Der Regierungsbezirk Zichenau und Städtebau anhand zweier modellhafter Beispiele, 1939–1945 aufgenommen, dessen Beiträge nun vollstän- der Regierungshauptstadt Zichenau (Ciechanów) und der dig vorliegen und zur Endredaktion gegeben wurden. Der Stadt Schröttersburg (Płock) darzulegen. Sie repräsentieren Band wird vom Bearbeiter herausgegeben und erscheint in zwei unterschiedliche Zugänge zur „Germanisierung“ der der Reihe „Einzelveröffentlichungen“ des DHI Warschau. besetzten Gebiete, die Neuinterpretierung vorhandener kultureller Substanz und ein Neubau auf der Grundlage eines tabula rasa des Bestehenden. 26 B. Forschung

Denkmal auf dem alten jüdischen Friedhof von Skuodas, 1991. Foto: Staatliches Jüdisches Museum Gaon in Vilnius, Inventarnr. VGŽIM VŽMP 6909/2

Teilprojekt 3: Zielsetzung des Projekts ist die Untersuchung der juristi- schen und medialen Prozessvorbereitung sowie der media­ Nachkriegsjustiz: Holocaust und Kriegs- len Inszenierung und Rezeption des Gerichtsverfahrens in Sowjetlitauen und in der litauischen Exilgemeinde in verbrecherprozesse in Sowjetlitauen den USA. Hier wird auch eine kritische Neubewertung der sowjetischen Gerichtsprotokolle als historische Quelle Bearbeiterin: Dr. Gintarė Malinauskaitė thematisiert. Dazu wurden die räumlichen und körperli- chen Praktiken sowie die geschlechtsspezifischen Aspekte Das Projekt widmet sich der Untersuchung eines Kriegs- nachverfolgt, die im Gerichtssaal vom sowjetischen Justiz- verbrecherprozesses zum Zweiten Weltkrieg in Sowjet­ system inszeniert wurden. litauen in den 1960er Jahren, als die Verbrechen des Ho- locausts in der litauischen Provinz verhandelt wurden. Im Berichtszeitraum wurde eine Feldforschungsreise nach Dieses Verfahren gehört zur zweiten Welle der Kriegs- Skuodas durchgeführt, durch welche die Recherche im verbrecherprozesse in der Sowjetunion, die zu Beginn der Stadtmuseum fortgesetzt werden konnte. Damit wurden 1960er Jahre einsetzte und trotz der herrschenden Propa- die Forschungsliteratur sowie die Quellenliste zur Kriegs- ganda und Ideologisierung durch neue Rechts­praktiken und Nachkriegsgeschichte von Skuodas und Umgebung wie umfangreiche juristische Untersuchungen, umfas- erweitert. Darüber hinaus wurde vor Ort ein Gespräch sende Exhumierungen und Anhörungen von zahlreichen mit einer Zeitzeugin geführt, die am Gerichtsprozess von Zeugen gekennzeichnet war. 1964 in Klaipėda teilgenommen hatte. Auf diese Weise konnten Forschungsfragen zum Vorverfahren des Pro- Die Bearbeiterin wird eine Mikrogeschichte des Gerichts- zesses erneut präzisiert werden, wodurch sich eine neue prozesses verfassen, der im März 1964 in Klaipėda statt- Perspektive auf den Exhumierungsprozess der dortigen fand und in dem sieben einheimische Kollaborateure an- Massengräber ergibt sowie auf deren zeitgenössische Re- geklagt waren, der Ermordung von 3.000 Menschen in zeption durch die einheimische Bevölkerung. der Stadt Skuodas schuldig zu sein. In diesem Prozess wur- den durch das Verfahren gegen den Hauptangeklagten Die Hälfte der Arbeitszeit nahmen organisatorische Auf- Pfarrer Lionginas Jankauskas, der zum Kriegsende nach gaben in Anspruch, die mit der Leitung der Außenstelle in Deutschland und später in die USA geflohen war und Vilnius einhergehen. Zusätzlich hat die Bearbeiterin eine dort politisch aktiv wurde, auch die litauische katholische Tagung zum Thema „Understanding Childhood and Con- Kirche sowie die litauische Exilgemeinde öffentlich ange- struction of National Identities“ konzipiert (gemeinsam klagt. Dargestellt wird der Gerichtsprozess nicht nur als mit Ruth Leiserowitz), die für den 17.–18. Juni 2021 in Vil- ein Beleg der sowjetischen Propaganda, sondern auch als nius geplant ist. Die Tagung wurde im Rahmen des Forums ein juristisches Verfahren, welches sich zu einem Ort der für Transregionale Studien „Trafo“ in der Reihe „Emerging Erinnerung an den Krieg entwickelte. Am Prozess nahmen Topics. Insights from ,Behind the Scenes‘“ vorgestellt ebenfalls 70 Zeugen, unter ihnen auch Holocaust-Überle- (https://trafo.hypotheses.org/24643). Im Sommersemester bende, teil. In den Zeugenaussagen entfaltete sich eine hat die Bearbeiterin außerdem eine Online-Lehrveran- Sozialgeschichte der Stadt Skuodas für die Kriegs- und staltung mit dem Titel „Holocaust and Its Aftermath in Nachkriegszeit. Durch diese Schilderungen offenbarte Lithuania: Narratives and Iconographies“ am Historischen sich eine Intimität des Tötens. Darüber hinaus entlarvten Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg abge- die Aussagen die interethnischen Beziehungen der Nach- halten. kriegsjahre. B. Forschung 27

Gruppenbild der ersten Absolventen und Absolventinnen des Instituts für Architektur an der Universität Mossul, gemeinsam mit ihren polnischen Dozenten, 1983. Foto aus dem Privatbesitz von Prof. Zbigniew Bać (auf dem Bild in der ersten Reihe, fünfter von links)

Teilprojekt im Rahmen von Materialien, die sich in polnischen Archiven oder im Besitz „Wissen entgrenzen”: der Befragten befinden. Im Berichtsjahr wurden Recher- chen in den Archiven der Technischen Universität Breslau und des Instituts für Nationales Gedenken durchgeführt. Ideologische Affinität und städtischer Diese ermöglichten es, den formalen und zeitlichen Rah- Raum: Wissenschaftlicher Austausch men des Austauschs zu rekonstruieren und mehr über die daran beteiligten polnischen Dozenten in Erfahrung zu zwischen der Volksrepublik Polen bringen. Darüber hinaus unternahm die Bearbeiterin zwei und dem Irak im Bereich Architektur Forschungsreisen in den Irak und eine in die Niederlande, und Raumplanung bei denen sie 13 qualitative Interviews mit Institutsabsol- venten führte. Außerdem interviewte die Bearbeiterin fünf Bearbeiterin: Dr. Dorota Woroniecka-Krzyżanowska Dozenten der Technischen Universität Breslau zu ihren Er- fahrungen im Rahmen der Arbeit an der Universität Mos- Ziel dieses Teilprojekts ist es, den akademischen Austausch sul. Aufgrund der nur sehr spärlich vorhandenen offiziel- zwischen der Volksrepublik Polen und dem Irak in den Be- len Archivmaterialien zur Geschichte dieses akademischen reichen Architektur und Raumplanung durch das Prisma Austauschs – und ihres vollständigen Fehlens auf irakischer der Erfahrungen der daran beteiligten Studierenden und Seite – war es sehr wichtig, Zugang zu privaten Fotos, Ent- Dozenten zu beleuchten. Als Fallbeispiel dient das Institut würfen und Dokumenten der Befragten zu erhalten. für Architektur der Universität Mossul, an dessen Grün- dung (1978) und weiterer Entwicklung Lehrkräfte des Fach- Um einen größeren Kreis von Alumni zu erreichen, richtete bereichs Architektur der Technischen Universität Breslau die Bearbeiterin auf Facebook eine arabisch-englische Sei- beteiligt waren. te ein, die dem Projekt gewidmet ist. Die Seite ermöglicht ehemaligen Absolventen des Instituts sich zu vernetzen In den 1980er Jahren arbeiteten sechzehn Lehrkräfte der sowie Informationen und Materialien auszutauschen. Die Technischen Universität Breslau am Institut für Architektur. Autorin hat zudem mit Emad Rammo zusammengearbei- Sie gestalteten das Studienprogramm mit, unterrichteten tet, einem Absolventen des Instituts, der eine Internetseite die meisten gestalterisch-planerischen Fächer und bildeten über irakische Geschichte, Kultur und Architektur betreibt. die erste Mossuler Generation dieses Faches aus. Die An- Im Rahmen dieser Zusammenarbeit hat Emad Rammo eine wesenheit einer so großen Gruppe ausländischer Dozen- Reihe von Artikeln über die polnischen Architekturdozen- ten, die nicht nur dem gleichen Land, sondern auch der ten in Mossul veröffentlicht, die zu einer wertvollen Infor- gleichen Ausbildungsstätte entstammte, führte in der An- mationsquelle wurden und den Austausch aus der Pers- fangszeit des Instituts zu der Besonderheit, dass das Stu- pektive der irakischen Studierenden beleuchteten. dienprogramm und die Unterrichtsmethodik für das Fach Architektur vollständig von der Technischen Universität Im Projektjahr lag der Schwerpunkt auf der Erhebung und Breslau übernommen wurde. Das Projekt soll den Ablauf Analyse von Daten sowie dem Verfassen eines Kapitels für dieses Transfers nachzeichnen und dessen Auswirkung auf ein Buch, das im Rahmen des Projekts „Relations in the die Bildungserfahrung und den beruflichen Werdegang der Ideoscape“ veröffentlicht werden soll. Im Zuge dieses Pro- irakischen Studierenden sowie auf die Profilbildung des Ins- jekts hat die Bearbeiterin ebenfalls eine Fotoserie und ei- tituts und seine weitere Entwicklung verständlich machen. nen Begleittext für die geplante Ausstellung „Vom Nahen Osten in den Ostblock – Studentische Lebenswelten im Kal- Methodologisch stützt sich das Projekt auf qualitative In- ten Krieg“ erarbeitet und Filmvorschläge für das geplante terviews mit Absolvent:innen und Mitarbeiter:innen des Filmfestival „Relations in the Cold War“ recherchiert. Instituts für Architektur und den an seiner Gründung be- teiligten polnischen Lehrkräften sowie auf die Analyse von 28 B. Forschung

Der Bearbeiter während seiner Archiv­recherchen in Krakau, 2020. Foto: Mustafa Switat

Teilprojekt im Rahmen von geführt. Dabei stellte sich heraus, dass die Warschauer „Wissen entgrenzen“: Akademie der Bildenden Künste die meisten arabischen Studenten verzeichnete (ca. 30 Personen, ausschließlich Männer) und dass diese – trotz ihrer geringen Zahl – eine Visualized Alliances and the Artworld – bedeutende Rolle im künstlerischen Wissens- und Ideen­ Knowledge Exchange between Polish transfer zwischen der Volksrepublik Polen und ihren Heimatländern spielten. Denn dort übten die Professo- People’s Republic and Arab Countries ren, die ihr Studium im Ausland absolviert hatten, einen in the Field of Plastic Arts größeren Einfluss auf die Entwicklung der Kunst aus. Sie verhalfen ihren ehemaligen Studenten zu Anstellungen Bearbeiter: Dr. Mustafa Switat in kulturellen Einrichtungen und eröffneten ihnen Kar- rieremöglichkeiten. Ihre Kenntnisse der zeitgenössischen Das Projekt konzentriert sich auf die Analyse des Wissens- Kunst wurden in ihren Heimatländern hoch geschätzt. und Ideenflusses im Bereich der bildenden Kunst zwischen der Volksrepublik Polen und den arabischen Ländern. Me- Ihr in Polen angeeignetes Kunstwissen passten die arabi- thodologisch wird die Untersuchung des intellektuellen schen Absolventen individuell an und gaben es im Unter- Transfers durch die Kombination von Oral History mit einer richt an ihre Schüler weiter. Darüber hinaus ließen sie es soziologisch-anthropologischen Interpretation ermöglicht. in ihre Kunstwerke (in denen häufig polnische und ara- bische Motive miteinander kombiniert werden) und ihre Ziel des Projekts ist die Veranschaulichung von Allianzen wissenschaftliche und künstlerische Tätigkeit einfließen, im Bereich der bildenden Künste (Malerei, Bildhauerei, zum Beispiel in Form von innovativen Lehrmethoden ein- Grafik) auf individueller, staatlicher und überregionaler schließlich neuer künstlerischer Ausdrucksformen. Ebene. Die Hauptakteure des Wissensaustauschs waren arabische Studenten, die in Polen an einer Universität oder Als Ergebnis der genannten Tätigkeiten wurde im Rahmen Kunstakademie (oder an einer anderen Fakultät mit künst- des Projekts ein Essay über arabische Studentengruppen lerischer Ausrichtung) Kunstgeschichte oder ein künstle- in Polen zu Zeiten der Volksrepublik veröffentlicht und risches Fach studierten, sowie deren Professoren. Durch die dem Projekt zugrundeliegenden Thesen in einem kur- die Analyse der Biografien der Alumni – basierend auf zen Interview und darüber hinaus in einem Kolloquium Archivmaterialien, Ego-Dokumenten und ausführlichen präsentiert. Außerdem wurden erste Ergebnisse der Stu- Interviews mit den Betroffenen oder mit Vertretern und die bei Projektworkshops und in einem Artikel über den Vertreterinnen der Kunstwelt – soll die Frage beantwor- polnisch-syrischen Austausch im Bereich der Kunstausbil- tet werden, inwieweit sie das künstlerische Leben in ihren dung vorgestellt. Heimatländern und der arabischen Welt aktiv mitgestal- tet und zu dessen Entwicklung beigetragen haben. Die Analyse dieser Ergebnisse belegt, dass die Ausbildung im Bereich der bildenden Künste in Polen und Syrien zahl- Im Berichtszeitraum wurde eine Reihe von Interviews reiche Gemeinsamkeiten aufweist: so die Rolle der Kunst geführt. Zum einen mit arabischen Künstlern, die an ei- als Bestandteil der nationalen Identität – insbesondere ner polnischen Kunstakademie studiert haben und sich während des Unabhängigkeitskampfes –, die Entwicklung derzeit in Polen aufhalten, zum anderen mit Personen von Institutionen in der Nachkriegszeit unter staatlichem aus der Kunstwelt, darunter Fachleute aus der Kunst- Mäzenatentum, die Ausbildung des Personals in Einrich- geschichte sowie aus Museen und Galerien, die sich mit tungen in Ost und West, die Orientierung am selben den polnisch-arabischen Kunstkontakten befassen. Sie künstlerischen Zentrum, westliche Einflüsse. Dies spiegelt ermöglichten die Konzeptualisierung der Studie und die sich nicht nur in der Geschichte, sondern vor allem in den Beschaffung wichtiger Quellenmaterialien. Dazu zählen postmodernen sozialwissenschaftlichen Theorien wider nicht nur die Aufzeichnungen der Gespräche (die ein zen- – vom Modernismus über postkoloniale Theorien bis hin trales Forschungsinstrument darstellen), sondern auch zur Kunstgeografie. Vor dem Hintergrund dieser Befunde Ausstellungskataloge und andere Materialien, die in Polen schreibt sich das Projekt in die aktuelle Suche nach einem ansonsten nicht verfügbar sind. neuen Paradigma in der Erforschung globaler Beziehun- gen in der Kunst ein. Gleichzeitig wurden Bibliotheks- und Archivrecherchen in den Archiven der polnischen Kunstakademien durch- B. Forschung 29

5. Funktionalität von Geschichte in der Spätmoderne

„Digitale Inbesitznahme“. Florenz, Galleria dell´Accademia, 2019. Foto: Miloš Řezník

Die Projekte des Forschungsbereichs beschäftigen sich Ein Anliegen der in diesem Forschungsbereich angesie- mit verschiedenen Konfigurationen des gegenwärtigen delten Projekte ist es, die ausgetretenen Pfade der Erin- Geschichtsgebrauchs. Ausgangspunkt hierfür ist die Beo­ nerungsforschung zu verlassen und semantische Analysen bachtung einer symptomatischen Gleichzeitigkeit in der einzelner Bedeutungsträger explizit um Fragen nach Ge- heutigen Gesellschaft: Einerseits beschleunigt und frag- brauch und Aneignung zu ergänzen: Wie, wozu, von wem mentiert sich unser Leben, andererseits hat die Vergan- und für wen werden historische Bezüge im konkreten Fall genheit, wenngleich – oder weil – sie uns immer schneller genutzt? Welche Phänomene sind neu, welche lassen sich fremd wird, an Bedeutung gewonnen. Mittelaltermärkte, historisieren? Und nicht zuletzt: Was bedeutet all dies für Historienfilme und touristische „Zeitreisen“ haben Hoch- unsere Vorstellungen von Geschichte generell? Die For- konjunktur, Geschichtsmagazine und historische Romane schungsprojekte, die sich der neuen Disziplin der Public füllen die Regale der Buchhandlungen, und selbst die History zuordnen lassen, befassen sich dabei nicht nur mit jüngste Vergangenheit findet sich zunehmend in – gut- Praktiken der Aneignung und Rezeption von Geschichte besuchten – Museen wieder. Anders als bei den übrigen im öffentlichen Raum, sondern auch explizit mit Fragen Schwerpunkten des Instituts stehen also in erster Linie von Ethik, kritischer Selbstreflexion und Verantwortung in gegenwärtige Repräsentationen von Vergangenheit im Zeiten, in denen Begriffe wie Wahrheit, historische Reali- Fokus, die im Kontext der spätmodernen Gesellschaft im tät und Fakten an Bedeutung verlieren bzw. als manipu- Konsumkapitalismus erklärt werden sollen. lierbare Objekte behandelt werden. 30 B. Forschung

Blick aus dem Museum „Das Leben in der PRL” auf den Plac Konstytucji in Warschau, Juli 2020. Foto: Sabine Stach

Teilprojekt 1: Einleitung und Schluss – als ausführliche Konzepte vor. Ein Vorschlag zur Systematisierung des übergreifenden Original Ostblock? Die Geschichte des Themas Geschichtstourismus wurde auf der Open-Access Online-Plattform Docupedia veröffentlicht. Ein englisch- Staatssozialismus in kommerziellen sprachiger Artikel, der zentrale Erkenntnisse zur Frage der Stadtführungen: Prag – Warschau – Performativität von Erinnerung im internationalen Touris- Bratislava mus diskutiert, wurde positiv evaluiert und überarbeitet.­ Er wird im Frühjahr 2021 in der Zeitschrift History and Me- Bearbeiterin: Dr. Sabine Stach mory erscheinen. (bis 31. August 2020) Einzelne Aspekte des Projekts wurden auf dem 5. Kongress Polenforschung in Halle/Saale im gemeinsam mit Annika Das Forschungsprojekt befasst sich mit der ökonomisch Wienert geplanten Panel „Alle Menschen sind gleich aber motivierten, interaktiven und raumbezogenen Aneignung manche gleicher? Paradoxien der Egalität in der Volksrepu- von Zeitgeschichte in Stadtführungen. Am Beispiel der Dar- blik Polen“ sowie in der ebenfalls mitkonzipierten Sektion stellung des Staats- und Postsozialismus in Guided Tours in „Memory Production and the Geopolitics of Tourism En- Warschau, Prag und Bratislava setzt sich die Bearbeiterin counters in Guided City Tours“ auf der Jahrestagung der mit Fragen der Kommodifizierung, Re-Oralisierung und Association of Critical Heritage Studies vorgestellt und Authentisierung von Geschichte auseinander. Das überge- diskutiert. Die Bearbeiterin war darüber hinaus an der ordnete Ziel des im Bereich der Public History verorteten Entwicklung eines Konferenzpanels „HisTourism: Theory Projekts besteht in einer Theoretisierung der Stadtführung and Practice“ für die Jahrestagung der International Fe- als spezifischem Medium historischen Erzählens. Metho- deration of Public History beteiligt, die aufgrund der disch basiert die Arbeit auf ethnografischer Forschung: Covid-19-Pandemie jedoch verschoben wurde. Im Zeitraum 2015–2019 wurden zahlreiche Stadtführungen unterschiedlicher Formate mittels teilnehmender Beobach- Daneben arbeitete sie zusammen mit Fachkolleg:innen an tung erschlossen sowie Interviews mit Unternehmer:innen einer Reihe von Publikationsprojekten, die alle 2021 ab­ und Stadtführer:innen geführt. Die Mitarbeiterin verließ geschlossen werden sollen. In diesen Zusammenhang ge- das DHI Warschau aus familiären Gründen vor Ende der hören die Herausgabe von Themenheften des Jahrbuchs für Projektlaufzeit am 31. August. Die Arbeit am Forschungs- Historische Kommunismusforschung (über Praktiken des projekt setzt sie im Rahmen einer Kooperationsstelle der Spielens im Staatssozialismus), der Zeithistorischen For- Max Weber Stiftung bzw. einer Anstellung am GWZO in schungen (über Nostalgie) sowie der Zeitschrift Narrative Leipzig fort. Culture (über Geschichte in Guided Tours ). Für zwei weitere Sammelbände über Geschichtsaneignungen im historischen Bis zur Beendigung der Tätigkeit in Warschau lag das Reenactment wurden Texte eingeworben, redigiert und ei- Hauptaugenmerk auf der abschließenden Auswertung der gene Beiträge verfasst. Außerdem lektorierte die Bearbei- Tour-Transkripte und Feldnotizen, der Arbeit am Buch­ terin die Übersetzung ihrer Dissertation ins Tschechische, manuskript sowie der Abfassung zweier umfassender die Anfang 2021 im Verlag Academia in Prag erscheint. Fach­artikel. Die Verschriftlichung der Arbeit ist mit etwa Als Fachredakteurin des Portals H-Soz-Kult wurden 11 Rezen­ 140 Seiten weit fortgeschritten. Hierbei handelt es sich um sionen betreut. Darüber hinaus konzipierte die Bearbeite- die ersten beiden Teile der Monografie, in denen das The- rin eine Lehrveranstaltung über touristische Imaginationen ma zunächst aus einer ökonomischen Perspektive („Den Ostmitteleuropas für die Studiengänge Deutsch-Tsche- Kommunismus verkaufen“) und dann aus einem narrativen chische Studien sowie Internationale Territoriale Studien/ Blickwinkel („Den Kommunismus erzählen“) analysiert Deutsche und Österreichische Studien an der Karls-Univer- wird. Teil III und IV, die sich körperlich-performativen As- sität Prag, die aufgrund der Pandemie jedoch nach der ers- pekten („Den Kommunismus erleben“) bzw. Fragen nach ten von drei Sitzungen abgebrochen werden musste. Evidenz und Beglaubigung („Zur Authentisierung von Geschichte im Tourismus“) widmen, liegen – ebenso wie B. Forschung 31

Blick in die Daueraussstellung „Rescued Lithuanian Jewish Child Tells about Shoah“ im Gaon Museum in Vilnius, August 2019. Foto: Zofia Wóycicka

Teilprojekt 2: 8. Tadeusz-Pankiewicz-Apotheke in Krakau (1983, letzter Umbau 2013) Rettung der Juden während des Zweiten 9. Żabiński Villa im Warschauer Zoo (2015) 10. Ulma Museum der Polen, die während des Zweiten Weltkrieges in kontemporären Weltkrieges Juden gerettet haben in Markowa/Polen europäischen Museen (2016) 11. Villa Emma Stiftung in Nonantola/Italien (im Aufbau) Bearbeiterin: Dr. Zofia Wóycicka 12. Memorial of the Shoah and Oskar Schindler in Brněnec/Tschechische Republik (im Aufbau) In den letzten zwei Jahrzehnten wurde in Europa eine Rei- he von Museen errichtet, die Menschen gewidmet sind, Im Mittelpunkt der Forschung steht die Analyse musealer die während des Zweiten Weltkriegs Juden und Jüdinnen Ausstellungen und die partielle Rekonstruktion ihrer Ent- geholfen haben. Sie sind Ausdruck einer internationalen stehungsprozesse und der dahinterstehenden Akteure. Konjunktur für das Thema Judenrettung. Man könnte dies Ausgehend von Sharon Macdonald’s These von der „Glo- als eine Bestätigung der These von der Entwicklung einer kalisierung“ der europäischen Erinnerung wird untersucht, gemeinsamen „kosmopolitischen“ Holocaust-Erinnerung wie sich medial tradierte Geschichtsbilder sowie die Erin- deuten, wie sie Natan Sznaider und Daniel Levy Anfang nerungspolitik der Europäischen Union, des Europarats, der 2000er Jahre aufgestellt haben. Und sicherlich ist das der IHRA und anderer internationaler Akteure auf natio- beinah gleichzeitige Aufkommen dieser Problematik in nale und lokale Institutionen auswirken. Auch der Einfluss verschiedenen Ländern Europas kein Zufall. In der Tat grei- globaler Trends in der Entwicklung von Holocaustmuseen fen viele der genannten Museen auf eine ähnliche Formen- und -Gedenkstätten soll in Betracht gezogen werden. sprache und ähnliche Motive zurück. Dies lässt sich durch Gleichzeitig wird versucht, die Eigenheiten der „Gerech- den internationalen Ideentransfer, aber auch durch die ten“-Narrative in den untersuchten Museen zu erfassen und Suche nach internationaler Legitimität und Lesbarkeit er- sie im breiteren Kontext der jeweiligen nationalen Erinne- klären. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, rungskultur zu platzieren. dass diese Elemente auf sehr unterschiedliche, manchmal sogar subversive Weise verwendet werden und dass sie Da die Bearbeiterin wegen der Covid-19-Pandemie im divergierende Geschichtsentwürfe schaffen und unter- Berichtszeitraum ihre geplanten Forschungsreisen nicht schiedliche Botschaften vermitteln. durchführen konnte, konzentrierte sich die Arbeit am Pro- jekt auf das Verfassen zweier Artikel auf Grundlage voran- In dem Projekt wird eine vergleichende Analyse folgender gegangener Recherchen. Bei dem ersten Artikel handelt es Museen unternommen: sich um eine Analyse von Besucherbucheinträgen in drei polnischen „Gerechten“-Museen. Der zweite Artikel unter 1. Sugihara-Haus in Kaunas/Litauen (2001) dem Titel „A Global Label and its Local Appropriations. Re- 2. Dimitar-Peschew-Museum in Kjustendil/Bulgarien presentations of the Righteous Among the Nations in Con- (2002, Neugestaltung 2013) temporary European Museums” wurde bei Memory Stu- 3. Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt in Berlin (2006) dies zur Publikation angenommen. Zusammen mit Raphael 4. Gedenkstätte Stille Helden in Berlin (2008, Neugestal- Utz und Natalia Aleksiun wurde die Arbeit an einem Sam- tung 2018, 2020) melband unter dem Titel The Rescue Turn. Holocaust Me- 5. Staatliches Jüdisches Museum Gaon in Vilnius mory, Politics, and Debates fortgeführt. Außerdem verfasste (Dauerausstellung: Rescued Lithuanian Jewish Child die Bearbeiterin für die Online-Publikation Bloomsbury Tells about Shoah, 2009) History: Theory & Method einen Beitrag zu Museums­ 6. Žanis Lipke Memorial in Riga, Lettland (2012/13) objekten als Quelle für die historische Forschung. 7. Lieu de Mémoire au Chambon-sur-Ligon/Frankreich (2013) 32 B. Forschung

Wandbild „Die polnische Armee – der europäische Schutzwall gegen den Bolschewismus“, Warschau 2017. Foto: Maciej Górny

Teilprojekt 3: Ferner organisierte der Bearbeiter zusammen mit Jürgen Finger (DHI Paris), Catherine Gousseff, Morgane Labbé und Unabhängigkeiten. Die Neuordnung Jawad Daheur (École des hautes études de sciences socia- les, Paris) die Tagung „Deutsch-polnische Geschichte. Ein Ostmitteleuropas 1918 auf dem Weg junges Forschungsfeld und sein Beitrag für eine Geschichte von der Tatsache zur Ritualisierung Europas“ in Paris. Außerdem konzipierte er zusammen mit Natali Stegmann (Universität Regensburg) ein Panel für Bearbeiter: Prof. Dr. Maciej Górny den 5. Kongress Polenforschung in Halle/Saale zum Thema (bis 31. August 2020) „Demokratie, Etatismus und Gerechtigkeit im Polen der Zwischenkriegszeit“. Im Januar 2020 wurde er zum stell- vertretenden Direktor des Instituts für Geschichte der Pol- Das Projekt befasst sich mit den öffentlichen Debatten, die nischen Akademie der Wissenschaften ernannt. sich um die Geschichte der Erlangung der Unabhängigkei- ten der ostmitteleuropäischen Staaten entwickelten sowie mit Prozessen der Ritualisierung dieser Geschichte, die so- wohl von oben als auch von unten stattfand. Außer der er- innerungspolitischen Perspektive widmet sich das Projekt auch Fragen der Ökonomisierung und Mediatisierung der Geschichte. Ziel des Projekts ist eine vergleichende Analyse der geschichtspolitischen und öffentlichen Kontroversen im postimperialen Raum Ostmitteleuropas nach 1918. Als Quellen dienen Artikel der Tagespresse sowie weiterer Medien, Archivalien, Schulbücher, publizierte Erinnerun- gen, aber auch visuelles Material aus dem oben genannten zeitlichen und räumlichen Bereich.

Im Berichtszeitraum hat der Bearbeiter (gemeinsam mit Włodzimierz Borodziej, Piotr T. Kwiatkowski und Łukasz Galusek) das Buch 11.11.1918. Niepodległość i pamięć w Europie Środkowej [11.11.1918. Unabhängigkeit und Erinnerung in Mitteleuropa] (Krakau, 2018) für eine Über- setzung ins Deutsche bzw. Englische vorbereitet. Die neue Version der Monografie problematisiert in der polnischen Fassung unberücksichtigte Aspekte wie Architektur und zusätzliche Regionen wie Südosteuropa.

Für den Warschauer Verlag Agora verfasste der Bearbei- ter eine neue Monografie mit dem TitelPolska bez cudów [Polen ohne Wunder]. Kurzversionen einzelner Kapitel er- scheinen in Ale Historia, der historischen Beilage der Tages- zeitung Gazeta Wyborcza, sowie in den wissenschaftlichen Zeitschriften Polski Przegląd Dyplomatyczny und Novaya Polsha. B. Forschung 33

Dreharbeiten zu Czarny czwartek [Schwarzer Donnerstag ] auf der Kreuzung Świętojańska-Straße und Józef-Piłsudski-Allee in Gdynia. Der Film handelt von den Ereignissen im Dezember 1970. Foto: Starscream (2010), CC-BY- SA-3.0, via Wikimedia Commons

Teilprojekt 4: Actor-Network-Theory und den Infrastructure Studies. Anschließend ist die Auswahl von Fallstudien geplant. In Die Ökonomie der Geschichtskultur Betracht kommen ausgewählte polnische, deutsche und mitteleuropäische Filmproduktionen, museale Einrichtun- Bearbeiterin: Dr. habil. Magdalena Saryusz-Wolska gen und Denkmäler. Im Fokus stehen dabei in erster Linie (seit 1. September 2020) die mit ihnen verbundenen Unternehmen wie Filmstudios und Planungsbüros. Im Berichtszeitraum nahm die Bearbei- terin Kontakt zu potenziellen Partnern und Partnerinnen Das Projekt befindet sich in der Anfangsphase. Ausgangs- auf und erarbeitete die grundlegende Projektbibliografie. punkt ist die Frage nach den Mechanismen, die der Pro- duktion von Geschichtskultur zugrundeliegen. Bisher Neben der Tätigkeit an ihrem aktuellen Projekt hat die Bear- konzentrierte sich das wissenschaftliche Interesse auf die beiterin das vorhergehende Projekt zur Rezeption von his- Inhalte, die Filme, Museen und Denkmäler vermitteln. Der torischen Filmen abgeschlossen. Die Monografie mit dem Produktionskontext wird in der Regel nur im Zusammen- Titel Mikrogeschichten der Erinnerungskultur beinhaltet hang mit politischen Interventionen betrachtet. Dabei unter anderem eine detaillierte Analyse der Publikums- erfordern die meisten im öffentlichen Raum zugänglichen reaktionen auf die westdeutsche Fernsehserie Am grünen Darstellungen von Geschichte erhebliche finanzielle Mittel Strand der Spree. Das Buch soll 2021 im De Gruyter Verlag und komplexe technische Infrastrukturen. Ziel des Projekts in der Reihe „Medien und kulturelle Erinnerung“ erschei- ist es, hinter die Kulissen dieser Prozesse zu schauen. Die nen. Im letzten Quartal 2020 dauerten die Arbeiten an der Bearbeiterin fragt nach dem Einfluss von Geld, Bürokra- Vorbereitung des Manuskriptes für den Druck an. tie und Technologie auf die Entstehung von Geschichts- kultur. Wie wirken sich die verschiedenen Mechanismen Parallel dazu wurde das Buch Historia wizualna. Obrazy der Finanzierung und der Abrechnung von Fördergeldern w dyskusjach niemieckich historyków [Visual History. Bild­ auf die in Filmen und Museen gezeigten Inhalte aus? Wie debatten deutscher Historiker ], der 25. Band der Reihe werden gesellschaftliche Geschichtsbilder von Technolo- „Klio w Niemczech“ [Klio in Deutschland], weiter bewor- gien geprägt? ben. Da eine traditionelle Buchvorstellung nicht möglich war, realisierte die Bearbeiterin eine Reihe von Online-Vor- Es geht also darum, die Geschichtskultur aus einer neuen trägen zum Thema Visual History. Darüber hinaus hielt sie Perspektive zu betrachten, die nicht von symbolischen im Rahmen des von der Universität Łódź, der Donau-Uni- oder politischen Kategorien bestimmt ist. In den Vorder- versität Krems und der Universität Aalborg gemeinsam grund rückt stattdessen die Handlungsmacht anderer durchgeführten internationalen Masterstudiengang Media Faktoren als die von Einzelpersonen oder Institutionen. Art Cultures Lehrveranstaltungen (online) ab. Im Berichts- Während die Geschichtswissenschaften und die Soziolo- zeitraum schrieb sie zahlreiche Rezensionen für Verlage gie die materiellen Bedingungen, von denen die Prozesse und Zeitschriften, war an den Arbeiten des Sachverständi- der Wissensproduktion mitbestimmt werden, bereits seit genrats des Nationalen Zentrums für Wissenschaft betei- geraumer Zeit berücksichtigen, schenkten die Geschichts- ligt, organisierte die Jahreskonferenz der Memory Studies theorie, die Erinnerungsforschung und die Public History Association, die 2021 (online) in Warschau stattfinden diesen Fragestellungen bislang wenig Aufmerksamkeit. wird und betreute die Arbeiten am polnischsprachigen Verlagsprogramm des DHI Warschau. Derzeit werden die theoretischen und methodischen Grundlagen des Projekts erarbeitet. Das Projekt orientiert sich dabei an den Science and Technology Studies, der 34 B. Forschung

6. Publikationen und Teilnahme an Konferenzen Forschungsleistungen außerhalb der definierten Teilprojekte

1. Regionalität und Regionsbildung der polnisch-litauischen Adelskultur. Kommemoration und Repräsentation bei den Żółkiewski, Sobieski und Radziwiłł, Ostfildern 2013).

PROJEKTRELEVANTE PUBLIKATIONEN Vortrag „Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor – kształtowanie pamięci przez rodzinę Stanisława Żółkiewskiego na przykładzie sztuki sepulkral- Sabine Jagodzinski nej”, Konferenz „Stanisław Żółkiewski w pamięci potomnych”, Museum des Buchvorstellung: Edmund Kizik (Hg.): Prusy Królewskie, Gdańsk 2012, Kurz- Jan-Sobieski-Palais in Wilanów, Warschau, Online-Veranstaltung, 11. De- film zum Welttag des Buches wegen der Covid-19-bedingten Schließung zember. des Instituts zur Stärkung der digitalen Präsenz, 23. April. #MWSLieblingsorte: Das Schloss Wilanów, Beitrag im Blog „Geisteswissen- Ralph Meindl schaft als Beruf“ der Max Weber Stiftung, URL: https://gab.hypotheses.org/ Ostpreußen. Von der Krisenprovinz zum Mustergau, in: Michael C. Bienert / 8853, 16. Dezember. Lars Lüdicke (Hg.): Preußen zwischen Demokratie und Diktatur. Die Durch- setzung der NS-Herrschaft in den Zentren und der Peripherie, 1932–1934, Ralph Meindl Berlin 2019, S. 51–74. Tannenberg, sierpień 1914. Największa bitwa I wojny światowej i jej percep- cja / August 1914. Die größte Feldschlacht des Ersten Weltkriegs und ihre Heilsamer Schock? Die Konfrontation der ‚Heimwehtouristen‘ mit ihren Rezeption, in: Bernd Martin u.a. (Hg.): Niemcy i Polska w trakcie i po za- Sehnsuchtsorten, in: Bianca Hoenig / Hannah Wadle (Hg.): Eden für jeden? kończeniu pierwszej wojny światowej / Deutschland und Polen im und nach Touristische Sehnsuchtsorte in Mittel- und Osteuropa von 1945 bis zur Ge- dem Ersten Weltkrieg, Poznań 2019, S. 271–283, 559–572. genwart, Göttingen 2019, S. 63–84. Kulturarbeit bei der deutschen Minderheit, in: Krzysztof Gładkowski / Ewa Erich Koch – gauleiter Prus Wschodnich, in: Hubert Orłowski / Rafał Żytyniec Gładkowska / Tomasz Gajowniczek (Hg.): Stosunki Polsko-Niemieckie (Hg.): Prusy Wschodnie. Wspólnota wyobrażona (= Poznańska Biblioteka w ćwierćwiecze od podpisania Traktatu o dobrym sąsiedztwie. Kultura – Niemiecka), Poznań 2019, S. 415–426. oświata – gospodarka (= Studia Politologiczne VI), Olsztyn 2018, S. 49–53.

Miloš Řezník Zdeněk Nebřenský The Matica in an Ethnic-Regional Context: Sorbian Lusatia and Czech Silesia Marxismus a česká historiografie: příklad pojmu manufaktura, 1866-1956, in Comparison, in: Krisztina Lajosi / Andreas Stynen (Hg.): The Matica and in: Historická sociologie, 12 (2020), Heft 1, S. 65–86. Beyond. Cultural Associations and Nationalism in Europe, Leiden, Boston 2020, S. 75–96. „Musieliśmy zmagać się z nieufnością“. Kluby studenckie w Czechosłowacji i Polsce w „długich latach sześćdziesiątych“, in: Kamil Dworaczek / Krzysztof Łagojda (Hg.): Środowisko studenckie w krajach bloku sowieckiego, 1945– PROJEKTRELEVANTE VORTRÄGE UND KONFERENZTEILNAHMEN 1989, Wrocław 2020, S. 455–475.

Ralph Meindl „Jak píší historii českého umění“: polemika Josefa Braniše s dílem Josefa Neu- Vortrag „Im Spannungsfeld von Ideologie, Religion, Sprache und regionaler wirtha. Několik poznámek k nacionalizaci vědy ve druhé polovině 19. století, Identität. Die NSDAP im Ermland 1928–1945“, Kolloquium des DHI Warschau, in: Tamara Nováková / Markéta Devátá / Antonín Kostlán (Hg.): Mezi Čechy Online-Veranstaltung, 17. Juni. a Němci, mezi vědou a životem. K poctě historičky Aleny Míškové, Prag, 2020, S. 56–74. Vortrag „Ostpreußen im Nationalsozialismus“, Olsztyn, 31. August. [Rez. zu:] Maren Hachmeister: Selbstorganisation im Sozialismus. Das Rote Zdeněk Nebřenský Kreuz in Polen und der Tschechoslowakei, 1945–1989, in: Bohemia, 60 (2020), Präsentation zu Textilfabriken im 18. und 19. Jahrhundert im Rahmen einer Heft 2, S. 236–239. Dokumentarserie des Tschechischen Fernsehens zur Geschichte der Industrie in den böhmischen Ländern, Krásná Lípa, 13. August. Organisation der Konferenz „Mainstream! Popular Culture in Central and Eastern Europe” sowie Moderation eines Panels, in Kooperation mit dem Zentrum für Studien zur populären Kultur (CSPK), der Philosophischen Fa- FORSCHUNGSLEISTUNGEN AUSSERHALB kultät der Karls-Universität und dem Tschechischen Nationalmuseum, Prag, DER DEFINIERTEN TEILPROJEKTE Online-Veranstaltung, 29.–31. Oktober.

Vortrag „Přes překážky ke hvězdám: Superhrdinové socialistické kosmo- Sabine Jagodzinski nautiky“, CSPK / DHI Warschau, Außenstelle Prag, Online-Veranstaltung, W namiotach wezyrskich – Komemoracja wojen tureckich w kulturze szla- 24. November. checkiej, Warschau 2020 (Übersetzung von: Die Türkenkriege im Spiegel B. Forschung 35

Organisation und Moderation der Vortragsreihe in Kooperation mit dem Wirtschafts- und Sozialgeschichte & Forschungsschwerpunkt Globalge- Collegium Carolinum, der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen schichte an der Universität Wien, Online-Veranstaltung, 6.–7. November. Republik und der Karls-Universität, DHI Warschau, Außenstelle Prag.

Miloš Řezník FORSCHUNGSLEISTUNGEN AUSSERHALB (Hg.): Rok 1989 v nemecko-česko-slovenskom kontexte, Bratislava 2019 (mit DER DEFINIERTEN TEILPROJEKTE Edita Ivaničková und Volker Zimmermann). Dariusz Adamczyk Dějiny, národ a poznání. Falza a mystifikace jako identitotvorné konfigu- How the Polish Nation „is Arising from its Knees”. History as Instrument of race začínající moderny, in: Dalibor Dobiáš (Hg.): Rukopisy královédvorský Revolution, in: Ralf Roth / Asli Vatansever (Hg.): Scientific Freedom under a zelenohorský v kultuře a umění, Bd. 1, Prag 2019, S. 53–72. Attack. Political Oppression, Structural Challenges, and Intellectual Resistance in Modern and Contemporary History, Frankfurt/Main 2020, S. 101–111. Die Habsburgermonarchie – ein Imperium ihrer Völker? Einführende Über- legungen zu ,Österreichs Staatsidee‘, in: Bernhard Bachinger / Wolfram Vortrag „Monopolsozialismus in Polen – Aufstieg und Niedergang einer Dornik / Stephan Lehnstaedt (Hg.): Österreich-Ungarns imperiale Heraus- Volksrepublik“, Leibniz Universität Hannover, 23. Januar. forderungen. Nationalismen und Rivalitäten um 1900, Göttingen 2020, S. 45–66.

Die „Nationalisten“ und die imperiale Integration. Verwaltungsdienst und einheimischer Adel in Galizien (1772–1791), in: Harald Heppner / Sabine 3. Imperiale Neukonfigurationen. Jesner (Hg.): Die Personalfrage in neuen Provinzen. Das Banat im regiona- Dynamik von Staat und Gesellschaft len Vergleich, Stuttgart 2020, S. 229–246. im „langen” 19. Jahrhundert Vortrag „Außenpolitik, Identitätsagenda und ‚historische Gerechtigkeiten‘: Eine tschechoslowakische/tschechische Konfiguration“, 5. Kongress Polen- PROJEKTRELEVANTE PUBLIKATIONEN forschung, Halle/Saale, 5.–8. März. Felix Ackermann Tiurma i misto: 150 rokiv diskusij pro zakrittja Brigidok [Gefängnis und Stadt: 150 Jahre Diskussion über die Schließung des Brygidki-Gefängnis], 2. Religion, Politik und Wirtschaft in: Ukraina Moderna, URL: http://uamoderna.com/md/ackermann-brygidky, im vormodernen Polen 19. Februar.

Isolation als Besserung. Das Zellengefängnis in Berlin-Moabit als preußische PROJEKTRELEVANTE PUBLIKATIONEN Ikone, in: Timm Beichelt u.a. (Hg.): Ambivalenzen der Europäisierung. Bei- träge zur Neukonzeptionalisierung der Geschichte und Gegenwart Euro- Dariusz Adamczyk pas, Stuttgart 2020, S. 197–208. Monetarisierungsmomente, Kommerzialisierungszonen oder fiskalische Währungslandschaften? Edelmetalle, Silberverteilungsnetzwerke und Ge- [Rez. zu:] Anna Müller: If the Walls Could Speak. Inside a Womens Prison in sellschaften in Ostmitteleuropa (800–1200), Wiesbaden 2020. Communist Poland, Oxford 2018, H-Soz-Kult, URL: www.hsozkult.de/publica- tionreview/id/reb-29736, 29. Juli. Did the Viking Age Begin on the Southern Shore of the Baltic Sea? Early Norse Trading Networks Centred on Janów Pomorski/Truso, in: Charlotte Die Zukunft der Gefängnisse, in: Merkur, 74 (2020), Heft 12, S. 75–80. Hedenstierna-Jonson / Laila Kitzler Åhfeldt / Per Widerström (Hg.): Rela- tions and Runes. The Baltic Islands and their Interactions during the Late Ruth Leiserowitz Iron Age and Early Middle Ages, Visby 2020, S. 52–66. Vom kleinen Lokalinstitut zur beherrschenden Bank. George Marx: Ein er- folgreicher Zuwanderer in Königsberg, in: David Feest / Aleksandra Lipińska / Trading Networks, Warlords and Hoarders: Islamic Coin Flows into Poland Agnieszka Pufelska (Hg.): Bankiers und Banken als Akteure im wirtschaftli- in the Viking Age, in: Jonathan Shepard / Marek Jankowiak / Jacek Grusz- chen, politischen und kulturellen Netzwerk im (Nordost-)Europa des 16.–20. czyński (Hg.): Viking Age Trade: Silver, Slaves and Gotland, London, New Jahrhunderts, Kiel 2020, S. 51–66. York 2020, S. 132–154. Jews and Their Informal Space in Klaipėda, 1945–1960, in: Suzanne Bardgett / Christine Schmidt / Dan Stone (Hg.): Beyond Camps and Forced Labour. PROJEKTRELEVANTE VORTRÄGE UND KONFERENZTEILNAHMEN The Holocaust and its Contexts, Cham 2020, S. 185–205.

Dariusz Adamczyk [Rez. zu:] Sara Reguer: My Father’s Journey: A Memoir of Lost Worlds of Vortrag „Czy bez srebra powstałoby państwo Piastów?”, Polnische Akade- Jewish Lithuania, in: Nordostarchiv, 27 (2018 [2020]), S. 218–220. mie der Wissenschaften in Wrocław, 5. März.

Vortrag „Hoarding Silver in High Medieval East Central Europe: Economic PROJEKTRELEVANTE VORTRÄGE UND KONFERENZTEILNAHMEN Wealth, Backwardness or War?“, Konferenz „Bullion Trade in Medieval and Early Modern Europe“, Karls-Universität Prag, Online-Veranstaltung, Felix Ackermann 15.–16. Oktober. Vortrag „Labore der Moderne: Die Teilungen Polen-Litauens im Gefäng- nis”, Colloquium für osteuropäische Geschichte, Universität Heidelberg, Vortrag „Das Weltsystem-Konzept und Zeit-Räume in der hochmittelalterli- 7. Januar. chen Interaktionsökumene aus nordeurasischer Perspektive“, Konferenz „Immanuel Wallerstein und die Rezeption der Weltsystem-Analyse im deut- Vortrag „Zellengefängnisse als Museen. Berlin, Barcelona und Warschau schen Sprachraum“, Verein für die Geschichte des Weltsystems / Institut für im Vergleich”, im Rahmen des Klaus Zernack Colloquiums am Zentrum für 36 B. Forschung

Historische Forschung Berlin der Polnische Akademie der Wissenschaften, Organisation der Lesung „Stimmen aus Belarus: Einblicke in eine Gesellschaft Berlin, 9. Januar. im Aufbruch“, in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung, Online-Veran- staltung, 3. September. Konzeption und Durchführung des Workshops „Evakuation / Rückzug / Liquidierung. Praktiken der Verschiebung und Auflösung von Staaten im Podiumsdiskussion „Protests in Belarus: An Interdisciplinary Forum“, Univer- 20. Jahrhundert“ (mit Janine Fubel und Claudia Weber), Europa-Universität sität Pittsburgh, Online-Veranstaltung, 28. September. Viadrina, Frankfurt (Oder), 30.–31. Januar. Alexander Lukaschenka, in: dekoder – Russland entschlüsseln, URL: https:// Vortrag „Kontext Kielce. Die Erschießung von 87 wegen Landesverrat www.dekoder.org/de/gnose/alexander-lukaschenko, 1. Oktober. verurteilten Insassen des Gefängnisses Święty Krzyż im September 1939“, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder), 30. Januar. Podiumsdiskussion „Cultural Dissent in Soviet Belarus“, Herder-Institut, Marburg, Online-Veranstaltung, 1. Oktober. Vortrag „Layers of Prison History. Lukiškės as Space of Violence“, im Rahmen des Internationalen Forums „Eine Vision für Lukiškės. Möglichkeiten und Podiumsdiskussion „Eure Vergangenheit ist unsere Zukunft?“ Gespräch Wendungen“, Vilnius, 12. Februar. über die Proteste in Belarus im Rahmen des Projektschwerpunkts „Ja vy- chožu! – Berlin trifft Minsk“ des Theaters HAU Berlin, Online-Veranstal- Vortrag „Internal Colonisation. Incarceration and Statehood in Partitioned tung, 4. November, veröffentlich in pARTisanka (2020), Heft 35, URL: https:// Poland-Lithuania”, Manteuffel-Institut für Geschichtswissenschaften an der www.hebbel-am-ufer.de/hau3000/revolution-als-prozess-partisanka-35/. Polnischen Akademie der Wissenschaften, Warschau, 21. Februar. Vortrag „Vertikal, lokal, dynamisch. Das Verhältnis belarusischer Zentralge- Vortrag „Laboratories of Modernity“, DHI Warschau, Außenstelle Prag, walt und städtischer Verwaltung im August 2020“, Kolloquium „Neue For- 5. März. schungen zur Osteuropäischen Geschichte“ an der Universität Tübingen / Vortragsreihe „Belarus in Aufruhr“ der Deutschen Gesellschaft für Ost­ Konzeption und Moderation des Panels „Imprisoned Femininity: Gender europakunde, Zweigstelle Tübingen, Online-Veranstaltung, 16. November. Roles and Incarceration in Modern Polish and Ukrainian History“, 5. Kon- gress Polenforschung, Halle/Saale, 5.–8. März. Machtvertikale und Solidaritätshorizontale. Der Staat und der Protest in Hrodna 2020, in: Osteuropa, 70 (2020), Heft 10/11, S. 261–280. Vortrag „St. Vincent Goes St. Mary Magdalena. Merciful Sisters as Prison Guards in Lviv, 1855–1914”, 5. Kongress Polenforschung, Halle/Saale, 5.–8. März. „Za pierwszych Sowietów”. Grodno pod okupacją sowiecką (wrzesień 1939– czerwiec 1941), in: Tadeusz Gawin (Hg.): Polacy na Białorusi, od Powstania Vortrag „Labore der Moderne. Russische, preußische und habsburgische Ge- Styczniowego do XXI wieku, Bd. IV, Warschau 2020, S. 379–398. fängnisse im geteilten Polen-Litauen“, Kolloquium des Aleksander-Brück- ner-Zentrums für Polenstudien und der Professur für Osteuropäische History as a Means of Hybrid Warfare? The Impact of the Ongoing War in Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Online-Veran- Eastern Ukraine on Historical and Political Discussions in Lithuania, in: Korine staltung, 25. Mai. Amacher / Andrii Portnov / Viktoriia Serhiienko (Hg.): Official History in Eastern Europe, Osnabrück 2020, S. 291–317. Konzeption und Durchführung der Roundtablediskussion „Innere Koloni- sation? Preußische Geschichte als Polnische Geschichte und umgekehrt“ Ritter der Architektur. Sowjetische Architektur und ihre kunsthistorische (mit Markus Krzoska und Agnieszka Pufelska), Online-Veranstaltung, Deutung in der Litauischen Republik, in: Andreas Fülberth (Hg.): Denkmal- 19. November. schutz – Architekturforschung – Baukultur. Entwicklungen und Erschei- nungsformen in den baltischen Ländern vom späten 19. Jahrhundert bis Vortrag „Flüchtlingskirche und Gefängniskapelle. Religiöse Praxis im aufge- heute, Köln 2020, S. 205–228. lassenen Reformaten-Kloster zu Rawitsch als preußischer Strafanstalt“, im Rahmen der Roundtablediskussion „Innere Kolonisation“, Online-Veran- Ruth Leiserowitz staltung, 19. November. The Jewish Contribution to Lithuanian Independence 1918/1919, in: Acta Historica Universitatis Klaipedensis, 38 (2020), S. 153–162. Ruth Leiserowitz Vortrag „Kilka uwag na temat handlu zagranicznego Wielkiego Księstwa [Rez. zu:] Christian Roedig: Theater im fernen Norden. Memels Schauspiel- około 1780 roku”, XXIX. Konferenz der Lituanistischen Kommission am Ko- haus zwischen Preußen, Deutschem Reich und litauischer Republik, in: Zeit- mitee Geschichtswissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaf- schrift für Ostmitteleuropa-Forschung, 69 (2020), Heft 3, S. 420–422. ten, Warschau, 23. September. Vortrag „Victor Klemperer: LTI“, im Rahmen der Ringvorlesung „Mein liebs- Vortrag „Haff und Nehrung als historischer Konstruktions-, Erfahrungs- und tes Sachbuch“, Institut für Geschichte der Humboldt Universität zu Berlin, Handlungsraum“, Konferenz „20 Jahre UNESCO-Welterbe der Kurischen 6. Januar. Nehrung“, Nida, Online-Veranstaltung, 29. Oktober. Vortrag „Biała linia na platformie ma być przekraczana tylko na polecenie. Historia XX w. z perspektywy dworca”, Pilecki Institut, Warschau, 20. Februar. FORSCHUNGSLEISTUNGEN AUSSERHALB DER DEFINIERTEN TEILPROJEKTE Moderation der Buchpräsentation von Nijolė Strakauskaitė: Ostseebad Schwarzort / Juodkrante. Entstehung – Blütezeit – Katastrophe: Das „Gol- Felix Ackermann dene Zeitalter“ von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1945, Internationale Podiumsdiskussion „Belarus 18 Tage nach der Pseudowahl: Ein Land auf dem Buchmesse in Vilnius, 22. Februar. Weg zur Demokratie?“, Lew Kopelew Forum Köln, Online-Veranstaltung, 27. August. Buchvorstellung von Klaipėdos kraštas 1945–1960 m.: naujos visuomenės kūrimasis ir jo atspindžiai šeimų istorijose (Hg., mit Sigita Kraniauskienė, Podiumsdiskussion „Geschichtsbilder und Symbolik in der Republik Belarus“, Silva Pocytė und Irena Šutinienė), Internationale Buchmesse in Vilnius, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Online-Veranstaltung, 1. Sep- 22. Februar. tember. B. Forschung 37

Moderation des Panels „Alle Menschen sind gleich, aber manche sind glei- the Ideoscape: Middle Eastern Students in the Eastern Bloc (1950’s to 1991)”, cher? Paradoxien der Egalität in der Volksrepublik Polen“, 5. Kongress Polen- Online-Veranstaltung, 2.–5. Juni. forschung, Halle/Saale, 5.–8. März. Michael Zok Vortrag „Moterys įvairiose įtampos srityse. Karo kasdienybė Rytprūsiuose“, Kurzpräsentation „‚No Sex Please, We are Catholic‘. Reproduktion und Konferenz „Karas ir moterys“, Universität Klaipėda / Thomas-Mann-Kultur- Partnerschaft im Spannungsfeld zwischen (De-)Säkularisierung und (De-) zentrum, Nida, Online-Veranstaltung, 3.–5. September. Privatisierung von Religion in Irland und Polen“, 5. Kongress Polenforschung, Halle/Saale, 5.–8. März. Podiumsdiskussion „Von den Wolfskindern bis Frontex“, Teilnahme mit ei- nem Beitrag über Nehama Drober, ein jüdisches Wolfskind aus Ostpreußen, Vortrag „‚No Sex Please, We are Catholic‘. Reproduktion und Partnerschaft Deutsche Botschaft Vilnius / Staatliches Jüdisches Museum Gaon, Vilnius, im Spannungsfeld zwischen (De-)Säkularisierung und (De-)Privatisierung 14. Oktober. von Religion in Irland und Polen“, Kolloquium des DHI Warschau, 24. Juni.

Vortrag „Heydekrug ir aplink. Kas nuotraukų albumo puslapiai gali papasa- Vortrag „Male Actors Deciding Female Reproduction. Reproductive Rights koti“, Seminar für die Deutsche Minderheit, Šilutė, 16. Oktober. during Post-Communist Transition in Poland“, Workshop „Agency versus/ with Structure: On the Question of how Transformation is Enacted“, Leib- Vortrag „Kaip žydai gyveno Memelyje tarpukariu?“, Ieva-Simonaitytė-Bib- niz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, Online-Veranstaltung, liothek, Klaipėda, 24. Oktober. 24. September.

Diskussionsteilnehmer des Workshops „Men & Masculinities under Socialism. A Social and Cultural History“, Historisches Institut der Universität Bern, 4. Globale Herausforderung Online-Veranstaltung, 8.–9. Oktober. und gesellschaftlicher Wandel Diskussionsteilnehmer des Workshops „Family and Women in Eastern Eu- rope: Current Research on Family and Women since the Middle Ages until PROJEKTRELEVANTE PUBLIKATIONEN Present Times“, Herder-Institut / Litauisches Historisches Institut / Nor- dost-Institut / Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien / Zentrum Gintarė Malinauskaitė für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaf- [Rez. zu:]: Magnus Brechtken / Władysław Bułhak / Jürgen Zarusky (Hg.): ten, Online-Veranstaltung, 14.–16. Oktober. Political and Transitional Justice in Germany, Poland and the Soviet Union from the 1930s to the 1950s, Göttingen 2019, in: H-Soz-Kult, URL: www.hsoz­ kult.de/publicationreview/id/reb-29098, 16. Dezember. FORSCHUNGSLEISTUNGEN AUSSERHALB DER DEFINIERTEN TEILPROJEKTE Mustafa Switat Bildungsmigranten: Studierende aus arabischen Ländern in den Ostblock- Christhardt Henschel staaten, in: Weltweit vor Ort (2020), Heft 1, S. 13–15. Vortrag „Sieg der Armee, Niederlage der Republik? Der Polnisch-Sowjeti- sche Krieg aus polnisch-jüdischer Perspektive“, Konferenz „Das Jahr 1920 in Michael Zok Polen und Europa“, Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Körperpolitik, (staatstragender) Katholizismus und (De‐)Säkularisierung im Akademie der Wissenschaften, 8. Oktober. 20. Jahrhundert. Auseinandersetzungen um Reproduktionsrechte in Irland und Polen, in: Body Politics, 7 (2019 [2020]), Heft 11, S. 123–158. Podiumsdiskussion anlässlich der Neuerscheinung des Buchs von Grzegorz Gauden „Lwów – kres iluzji. Opowieść o pogromie listopadowym 1918”, Warschau, Online-Veranstaltung, 23. November. PROJEKTRELEVANTE VORTRÄGE UND KONFERENZTEILNAHMEN Gintarė Malinauskaitė Christhardt Henschel Moderation des Panels „Women as Mental and Medical Carers“, Konferenz Podiumsdiskussion anlässlich der Neuerscheinung des Buchs von Marcin „Family and Women in Eastern Europe: Current Research on Family and Przegiętka „Akcja Gestapo przeciwko polskiej inteligencji w rejencji ciecha- Women since the Middle Ages until Present Times“, Herder-Institut / Litaui- nowskiej“, Pilecki-Institut, Warschau, Online-Veranstaltung, 9. November. sches Historisches Institut / Nordost-Institut / Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien / Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polni- Gintarė Malinauskaitė schen Akademie der Wissenschaften, Online-Veranstaltung, 13. Oktober. Vortrag „Soviet Justice: The Case Study of the 1964 War Crime Trials in Soviet Lithuania“, Kolloquium der Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Organisation der Konferenz „Violence and the Crisis of Governance in East Universität Heidelberg, Online-Veranstaltung, 23. Juni. Central Europe, 1905–1925“, DHI Warschau, Außenstelle Vilnius / Litauisches Historischen Institut, Online-Veranstaltung, 13. November. Vortrag „Holokaustas Lietuvos provincijoje ir karo nusikaltėlių žmonos“, Konferenz „Karas ir moterys“, Universität Klaipėda / Thomas-Mann-Kultur- Organisation und Durchführung der Reihe „Montagsvorträge“ in Koopera- zentrum, Nida, 3.–5. September. tion mit der Universität Vilnius und dem Litauischen Historischen Institut, DHI Warschau, Außenstelle Vilnius. Mustafa Switat Vortrag „Polish–Arabic Interactions in Fine Arts Education Exemplified by Mustafa Switat Syrian Students”, Konferenz der Forschungsgruppe „Relations in the Ide- The Evaluation of Muslimophobia in Poland, in: Czech and Slovak Journal oscape: Middle Eastern Students in the Eastern Bloc (1950’s to 1991)”, of Humanities 10, (2020), Heft 1, S. 80–88. Online-Veranstaltung, 2.–5. Juni. Transfer w myśli społecznej. Od transferu kulturowego do transferu między Dorota Woroniecka-Krzyżanowska kulturami, Warschau 2020. Vortrag „From Wroclaw to Mosul and Back: The Experience and Legacy of Architectural Education”, Konferenz der Forschungsgruppe „Relations in 38 B. Forschung

Michael Zok Sabine Stach [Rez. zu:] Maren Hachmeister: Selbstorganisation im Sozialismus. Das Rote Vortrag „Das Grau der Volksrepublik. Populäre Darstellungen sozialisti- Kreuz in Polen und der Tschechoslowakei 1945–1989, Göttingen 2019, in: scher Egalität”, 5. Kongress Polenforschung, Halle/Saale, 5.–8. März. Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung, 69 (2020), Heft 4, S. 580–582. Vortrag „Original Ostblock? Die Geschichte des Staatssozialismus in kommer- ziellen Stadtführungen – Projektvorstellung“, Kolloquium des DHI Warschau, 27. Mai.

5. Funktionalität von Geschichte Vortrag „Beyond History Politics. Tourist Performances in Communism in der Spätmoderne Tours”, 5. Biennial Conference of the Association of Critical Heritage Stu- dies (ACHS), Online-Veranstaltung, 26.–30. August.

PROJEKTRELEVANTE PUBLIKATIONEN Vortrag „Geschichte erfahren, Geschichte erlaufen. Wie der Staatssozialismus in Stadtführungen präsentiert wird“, im Rahmen der Reihe „Mittwochs- Maciej Górny vorträge in Specks Hof“, Leipzig, 9. Dezember. Das Gedenkjahr 1918/1919 in Europa. A Discussion with Włodzimierz Boro- dziej, Maciej Górny, Heather Jones and Jörn Leonhard, in: Journal of Modern Zofia Wóycicka European History, 18 (2020), Heft 1, S. 3–15. Vortrag „The ,Glocalisation’ of Memory or the Rescue of Jews during World War II in Contemporary European Museums”, 5. Kongress Polenforschung, A Century of Selective Ignorance. Poland 1918-2018, in: Slavic Review, 78 Halle/Saale, 5.–8. März. (2019), Heft 3, S. 654–662. Vortrag „Serdecznie dziękujemy za przybliżenie nam historii Polaków ratu- Syndrom Trianon. Sto lat samotności wśród obcych, in: Przegląd Polityczny jących Żydów. Recepcja polskich muzeów ,Sprawiedliwych‘ w świetle (2020), Heft 160. wpisów w księgach gości – Apteka pod Orłem, Willa Żabińskich, Muzeum Ulmów”, Kolloquium am Historischen Institut der Polnischen Akademie der Magdalena Saryusz-Wolska Wissenschaften, Warschau, Online-Veranstaltung, 23. April. Traveling Memories of the Holocaust in the Occupied Soviet Union: Hans Scholz’s ,Through the Night‘ and its Remediation, in: German Studies Review, Vortrag „Rezeption polnischer Gerechten-Museen im Lichte der Einträge 43 (2020), Heft 3, S. 499–515. in Gästebüchern – Pankiewicz-Apotheke, Żabiński Villa, Ulma-Museum“, Kolloquium des DHI Warschau, Online-Veranstaltung, 10. Juni. [Rez. zu:] Judith Keilbach / Béla Rásky / Jana Starek (Hg.): Völkermord zur Primetime. Der Holocaust im Fernsehen, Wien 2019, H-Soz-Kult, URL: https:// Vortrag „The ,Traveling Motifs‘ of the Rescue of Jews during the Holocaust www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29520, 17 November. in Contemporary European Museums“, Konferenz „New Approaches to the Rescue of Jews during the Holocaust”, Selma Stern Zentrum für Jüdische Sabine Stach Studien Berlin-Brandenburg, Online-Veranstaltung, 23.–25. November. Geschichtstourismus, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, URL: http:// docupedia.de/zg/Stach_geschichtstourismus_v1_de_2020, 10. Juli. FORSCHUNGSLEISTUNGEN AUSSERHALB [Rez. zu:] Pavel Mücke: Šťastnou cestu…?! Proměny politik cestování a cesto- DER DEFINIERTEN TEILPROJEKTE vního ruchu v Československu za časů studené války (1945-1989), Pelhřimov 2017, in: Bohemia, 61 (2020), Heft 1. Maciej Górny Organisation der Konferenz „Deutsch-Polnische Geschichte. Ein junges Zofia Wóycicka Forschungsfeld und sein Beitrag für eine Geschichte Europas“ (mit Jawad „Serdecznie dziękujemy za przybliżenie nam historii Polaków ratujących Daheur, Jürgen Finger, Catherine Gousseff, Morgane Labbé und Thomas Żydów”. Recepcja polskich muzeów „Sprawiedliwych” w świetle wpisów Serrier), DHI Paris, 12.–13. Februar. w księgach gości – Apteka pod Orłem, Willa Żabińskich, Muzeum Ulmów, in: Teksty Drugie (2020), Heft 4, S. 188–212. Magdalena Saryusz-Wolska Abusing Public Visual History. The Current Right-wing Press in Poland, in: The Public Historian, 42 (2020), Heft 3, S. 61–85. PROJEKTRELEVANTE VORTRÄGE UND KONFERENZTEILNAHMEN Przeszłość i przyszłość badań pamięci. Czy potrzebujemy nowej dyscypliny? Maciej Górny in: Politeja, 65 (2020), Heft 2, S. 11–24. Konzeption und Moderation des Panels „Democracy, Etatism and Justice in Interwar Poland“ (mit Natali Stegmann), 5. Kongress Polenforschung, Halle/ The Framework of Reception: Public Responses to Historical Fiction Films, Saale, 5.–8. März. in: Res Historica, 50 (2020), S. 551–571.

Vortrag „Fair Share of the Burden: The Impact of Post-1918 Economic Trans- Ramy recepcji. Publiczne reakcje na fabularne filmy historyczne, in: Jacek formation on East Central Europe“, 5. Kongress Polenforschung, Halle/Saale, Szymala / Dorota Skotarczak (Hg.): Okno na przeszłość. Szkice z Historii wizu- 5.–8. März. alnej, Bd. 2., Krakau 2020, S. 129–148. Magdalena Saryusz-Wolska [Rez. zu:] Stephanie Heck / Simon Lang / Stefan Scherer (Hg.): „Am grünen Vortrag „Die Geburtsstunde des Spielfilms über den Holocaust. Aleksander Strand der Spree”. Ein populärkultureller Medienkomplex der bundesdeut- Fords ,Die Grenzsstraße’ und Wanda Jakubowskas ,Die letzte Etappe’ ”, im schen Nachkriegszeit, Bielefeld 2020, in: Rundfunk und Geschichte, 46 (2020), Rahmen der Ringvorlesung „Was Sie schon immer über Polen wissen Heft 3/4, S. 116–118. wollten (oder sollten)”, Alexander-Brückner-Zentrum für Polenstudien an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Online-Veranstaltung, [Rez. zu:] Hubert Leschnik: Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in Polen 17. November. von 1998 bis 2010 (= Studien zur Ostmitteleuropaforschung 2), Marburg 2018, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung, 69 (2020), Heft 2, S. 296–298. B. Forschung 39

Sabine Stach Friedliche Revolution 2.0? Zur performativen Aneignung von 1989 durch „Querdenken am 7. November 2020 in Leipzig“, in: Zeitgeschichte-online, URL: https://zeitgeschichte-online.de/geschichtskultur/friedliche-revolution-20, 23. November (mit Greta Hartmann).

Zofia Wóycicka Vortrag „Auschwitz-Birkenau – vom nationalsozialistischen Vernichtungs- lager zum Symbol des Holocausts“, Gedenkveranstaltung der Stadt Mann- heim zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz-Birkenau, Mannheim, 27. Januar.

Konzeption und Durchführung eines Workshops mit Geschichtslehrer:innen zum Begriff „Geschichtspolitik“, Museum POLIN, Warschau, 8. Februar.

Kommentar zum Panel „Borderland Memories in Europe. Renegotiating Holocaust Remembrance”, Konferenz „Genealogies of Memory: The Holo­ caust between Global and Local Perspectives“, Online-Veranstaltung, 10. November.

Moderation des Panels „Overlooking the Local Dimensions of the Holo­ caust. Language and the Cultural/Spatial Politics of Transmission“, Konferenz „Genealogies of Memory“, Online-Veranstaltung, 12. November.

Moderation des Panels „Reframing Europe“, Konferenz „Decolonizing Mu- seum Cultures and Collections: Mapping Theory and Practice in East-Central Europe“, Soziologisches Institut der Universität Warschau, Online-Veran- staltung, 23. Oktober.

Konzeption und Durchführung des Seminars „Zwrot ku rzeczom. Artefakty jako źródło do badań historycznych“, Promotionsschule „Anthropos“, His- torisches Institut der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Warschau, 10. Dezember.

[Rez. zu:] Monika Heinemann: Krieg und Kriegserinnerung im Museum. Der Zweite Weltkrieg in polnischen historischen Ausstellungen seit den 1980er-Jahren, Göttingen 2017, in: Zagłada Żydów. Studia i Materiały, 15 (2019 [2020]), S. 781–787.

Laboratorium zagłady – nowa ekspozycja historyczna na terenie obozu zagłady Kulmhof w Chełmnie nad Nerem, in: Zagłada Żydów. Studia i Ma- teriały, 16 (2020), S. 747–758.

Too Beautiful to Hurt Anyone: The New Permanent Exhibition at the Africa Museum Tervuren, in: Cultures of History Forum, DOI: 10.25626/0121, 28. Sep- tember. C. Forschungstransfer

Im Jahr 2020 unterstützte das Deutsche Historische Institut Warschau den internationalen geschichtswissenschaftlichen Diskurs, indem es auf vielfäl- tige Weise Kommunikation, Kooperation und Forschungstransfer förderte. Dabei standen naturgemäß die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen im Vordergrund, doch wurden, wie es der Vermittlungsauftrag des Instituts vorsieht, auch die westlichen und die benachbarten ostmitteleuro- päischen Geschichtswissenschaften einbezogen. Der Austausch mit den letztgenannten wurde durch die Aktivitäten der Außenstellen in Vilnius und Prag wesentlich gestärkt. Wie in den vorangegangenen Jahren fun- gierte das Institut als ein Forum des internationalen historiografischen Gesprächs. Zu diesem Zweck führte es wissenschaftliche Veranstaltungen durch, gab wissenschaftliche Publikationen heraus und vergab Stipendien. Foto: Ujazdowska Allee, 1938 | Quelle: Privatarchiv C. Forschungstransfer 41

1. Wissenschaftliche Veranstaltungen

Vortragsreihen des DHI Warschau

Das Deutsche Historische Institut Warschau organisiert re- Die öffentlichen Vorträge der DHIW-Außenstelle in Vilnius gelmäßig wissenschaftliche Vortragsreihen. Die Vorträge finden in Kooperation mit dem Litauischen Historischen finden in Warschau, Prag und Vilnius statt und schaffen Institut und der Universität Vilnius statt, die der DHIW-Au- einen Ort für Begegnungen und Kommunikation zwischen ßenstelle Prag werden in Zusammenarbeit mit dem Colle­ deutschen, polnischen, tschechischen und litauischen Wis- gium Carolinum München und der Karls-Universität orga- senschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Sie richten sich in nisiert. Aufgrund der aktuellen Lage hat das DHI Warschau erster Linie an ein Fachpublikum, sind aber auch einer in- seit dem Frühjahr 2020 sein Angebot vorübergehend auf teressierten Öffentlichkeit zugänglich. Die Vorträge sowie virtuelle Veranstaltungen umgestellt. Damit konnten im die anschließenden Diskussionen werden in der Regel si- Berichtsjahr auch Interessierte außerhalb der drei Stand- multan in die jeweiligen Landessprachen übersetzt. Indem orte des DHI Warschau an den Vorträgen teilnehmen. neue Forschungsansätze und -projekte aus der deutsch- sprachigen Geschichtswissenschaft und benachbarten Diszi- plinen präsentiert werden, bieten sie ein anregendes Forum für Forschende unterschiedlicher historischer Fächer. 42 C. Forschungstransfer

Hanno Balz Birgit Aschmann Hostile Take-Over: A Political History of the Colour Red Das „Zeitalter der Gefühle“? Eine Emotionsgeschichte 14. Januar, DHIW-Außenstelle Prag des 19. Jahrhunderts 28. Januar, DHI Warschau Der symbolische Kampf um die Aneignung der roten Far- be zeigt die Machtverhältnisse und Herrschaftswandlun- Vergangene und aktuelle gesellschaftliche Zusammen- gen in der europäischen Gesellschaft. Diese Behauptung hänge über die Gefühlsregungen der Menschen zu deuten erklärte Hanno Balz im gemeinsam von der DHIW-Außen- ist eine für herkömmliche Historikerinnen und Historiker stelle Prag, dem Collegium Carolinum München und der eher befremdliche Vorgehensweise. Im ersten Dienstags- Humanistischen Fakultät der Karls-Universität Prag orga- vortrag des Jahres zur Emotionsgeschichte des 19. Jahr- nisierten Vortrag. Der DAAD-Lektor an der University of hunderts tat Birgit Aschmann von der HU Berlin genau Cambridge präsentierte sein Projekt zur Geschichte der dieses. Ihre Ausführungen konnten gleichwohl als über- politischen Symbolik. zeugendes Plädoyer dafür verstanden werden, die Erfor- schung bestimmter zeitgenössischer Emotionalitäten zur Im antiken Rom sei Rot die Farbe des römischen Kaisers Grundlage eines besseren Verständnisses von historischen und seiner Legionen gewesen. Zudem habe Rot als Farbe Prozessen zu machen. Obwohl es wohl kaum eine klare des römischen Kriegsgottes Mars gegolten, das vergosse- Definition gebe, was Emotionen sind, sei ihr Einfluss auf ne Blut symbolisiert und so den Beginn eines feindlichen das menschliche Leben unumstritten – im individuellen Angriffs markiert. Im Mittelalter sei die Farbe von der wie im gesamtgesellschaftlichen Rahmen. römisch-katholischen Kirche und ihrem Oberhaupt dem Papst übernommen und zur Farbe der Märtyrer erklärt Anhand des Konzepts des emotional regime, welches die worden. Zugleich habe ein Großteil der europäischen Kö- gesellschaftlich vorgegebene Emotionalität zu einer be- nige und Würdenträger nach römischem Vorbild einen stimmten Zeit bezeichnet, machte Aschmann deutlich, wie roten Umhang getragen. Ihr Monopol auf die rote Farbe sehr bestimmte Zeitalter durch Emotionen gesteuert wer- hätten Herrscher jedoch in der frühen Neuzeit verloren. In den. Die als „Zeitalter der Vernunft“ betitelte Aufklärung ersten Revolten und Volksaufständen seien Rebellen unter sei ohne die maßgebliche Emotion der Empfindsamkeit roten Fahnen marschiert und hätten die soziale Ordnung beispielsweise nicht zu verstehen. In unzähligen wissen- auf diese Weise symbolisch umgewälzt. Am Beispiel der schaftlichen Veröffentlichungen habe man diese jedoch roten Mütze, die auf ihrem Weg von Amerika nach Euro- „wegschreiben wollen“. Dabei habe es den sich vom Emo- pa deutlich an revolutionärer Bedeutung gewonnen habe, tionskorsett der Aristokratie befreienden und sich fortan beschrieb Balz die Rolle des Kulturtransfers. Den Schluss als emotional authentisch fühlenden Bürger in einer Art des Vortrags bildete eine Überlegung zum Problem sym- „Sog des Sentimentalismus“ regelrecht in die Französi- bolischer Praktiken, die die etablierte Gesellschaftsordnung sche Revolution hineingezogen. Heute hingegen sei die untergraben und wieder affirmieren können. Gesellschaft statt durch das Gefühl der Ehre, welches das 19. Jahrhundert prägte, in erster Linie durch die Emotion Angst und deren kanalisierte Ableger Furcht und Hass be- stimmt. Diese verhängnisvolle Kombination tauche immer wieder in Zeiten der Verunsicherung auf, die Aschmann heute wie zu Beginn und zum Ende des 19. Jahrhunderts sieht. In diesem Sinne machen dann auch besonders auf­ geladene emotionale Zeiten gefühlsbestimmte Grenzüber- schreitungen von öffentlichen Figuren erklärbar. C. Forschungstransfer 43

Stefan Berger Felix Ackermann Perspektiven auf die historische Laboratories of Modernity: Russian, Prussian, and Habsburg Nationalismusforschung heute Prisons in partitioned Poland and Lithuania 24. Februar, DHIW-Außenstelle Vilnius 5. März, DHIW-Außenstelle Prag

Nachdem das Thema während der 1960er und 1970er Jahre Um russische, preußische und österreichische Gefängnisse immer stärker in den Hintergrund gerückt war, erlebte die im geteilten Polen und Litauen des 19. Jahrhunderts ging historische Nationalismusforschung in den 1980er Jahren es im Vortrag von Felix Ackermann am 5. März in Prag. einen Boom. Diese Entwicklung beobachtet Stefan Berger, Im gemeinsam von der DHIW-Außenstelle, dem Collegium Professor für Sozialgeschichte und Direktor des Instituts Carolinum München und der Philosophischen Fakultät der für soziale Bewegungen an der Ruhr-Universität Bochum, Karls-Universität organisierten Vortrag stellte der wissen- der das Thema im Februar in Vilnius besprach. schaftliche Mitarbeiter des DHI Warschau einige Erkennt- nisse seines aktuellen Forschungsprojektes vor. Berger nahm zunächst Bezug auf die Entwicklungsphasen der historischen Nationalismusforschung und erklärte, wie Ackermann betonte die ethnische, politische, soziale und sich diese über die letzten Jahrzehnte global ausgebreitet religiöse Heterogenität der polnischen und litauischen hat. Eine erste Renaissance habe das Forschungsfeld nach Länder im 19. Jahrhundert, die auch in der Anordnung der dem Ende des Kalten Krieges erlebt. Zur Verdeutlichung untersuchten Gefängnisse zum Ausdruck komme. Bei der präsentierte er einen Überblick über die einflussreichs- Reform des Strafvollzugs handele es sich um ein ambiva- ten und für die Nationalismusdebatten noch immer rele- lentes Modernisierungsprojekt: Einerseits sollten Gefäng- vanten Ansätze. Um aktuelle Herausforderungen für die nisse Gefangenen zu imperialen Untertanen erziehen, an- Forschung ging es im zweiten Vortragsteil. Sein Hauptau- dererseits seien mit der Kodifizierung des Strafrechts und genmerk richtete der Historiker auf neue transnationale der Einführung von Strafvollzugsordnungen auch Bürger- Ansätze und globalisierende Tendenzen. Er verwies auf ein rechte entstanden, die es Gefangenen ermöglichten, auf breites Spektrum an transnationalen und vergleichenden staatliche Willkür zu reagieren. Forschungen zu multiplen Nationalismen und diskutierte deren Einfluss auf die Entwicklung ebendieser. Mit seinem Vortrag wies der Warschauer Historiker unter anderem auf die Bedeutung des Gefängnisses in der Her- Abschließend setzte sich der Referent mit psychologischen ausbildung moderner Staatlichkeit hin. Im Gefängnis seien Herausforderungen des Nationalismus auseinander und die imperialen Behörden auf regionale, sprachliche und kul- diskutierte, wie potenziell tödliche Antagonismen vermie- turelle Unterschiede der Bevölkerung im geteilten Polen den werden können. Die Beantwortung der Frage danach, und Litauen eingegangen. Der Strafvollzug habe zu den welche politisch-gesellschaftliche Bedeutung der Nationa- Institutionen gehört, mit denen die Machthaber versuch- lismusforschung im Zeitalter globaler Rechtspopulismen ten, Untertanen aus den neuen Peripherien in die Praxis heute zukommt, war einer der Schwerpunkte seiner Ar- imperialer Herrschaft einzubinden. Der genauere Einblick gumentation. Die Diskussion widmete sich theoretischen in die Alltagspraktiken der Gefängnisse zeige, wie diese Fragen, wie zum Beispiel der Bedeutung des Konstruktivis- imperiale Politik an die Grenzen des Möglichen stieß. Be- mus, der Rolle nationaler Indifferenz sowie der Frage nach grenzte materielle Ressourcen und eine stetig wachsende dem Einfluss der Kulturwissenschaften für die gegenwär- Zahl von Insassen hätten zu nicht intendierten Folgen für tige Nationalismusforschung. den Strafvollzug geführt und die imperialen Beamten dazu gezwungen, ihre Vorstellungen grundsätzlich zu revidieren. Foto: Jan Zappner Foto: Mindaugas Mikulėnas 44 C. Forschungstransfer

Bernhard Struck & Marcel Koschek Polnische Esperantisten als lokale Internationalisten? Die Esperantobewegung in Ostmitteleuropa, von den 1880er Jahren bis 1930 27. Oktober, DHI Warschau (online)

Gleich zwei Premieren galt es am 27. Oktober zu meistern: Zum einen fand erstmals ein DHIW-Dienstagsvortrag on- line statt und zum anderen befand sich das Referenten- duo selbst an zwei unterschiedlichen Orten. Liest man beides als Merkmale einer internationalen und globalen Kommunikation, fügten sich diese Premieren passgenau in das Thema des Vortrags. Bernhard Struck und Marcel Eintrittskarte zum 2. Esperanto-Kongress in Genf (1906). Koschek führten die mehr als 40 virtuell Anwesenden aus Quelle: Wikimedia Commons Polen, Deutschland, Litauen, Tschechien und Japan in die Esperantobewegung ein, die im ausgehenden 19. Jahr- hundert von Ludwik Leijzer Zamenhof begründet wurde und von dessen polnischer Heimat aus schnell Anhän- ger:innen in ganz Europa und darüber hinaus fand. Den zeitlichen Schwerpunkt legten die Referenten auf die frühe Phase bis zum ersten Weltkrieg.

Der Doppelvortrag ist aus dem Forschungsprojekt „Espe- ranto and Internationalism, c. 1880s–1920s“ erwachsen. Zunächst stellte Struck die Ziele des Projekts vor, um an- schließend nach komplexen räumlichen Bezügen auf per- sonalen, lokalen, regionalen, nationalen und globalen Ebenen der Bewegung und Netzwerken der Esperantis- ten und Esperantistinnen zu fragen. Als Quellen dienten systematisch angelegte Adressbücher und Kongress­ materialien sowie zahlreiche Fachjournale. Die so erfassten sozialgeografischen Daten wurden mittels Karten visuali- siert, womit zum Beispiel Verbindungslinien aktiver Espe- rantist:innen von Großbritannien bis Böhmen aufgezeigt wurden. Netzwerkgrafiken veranschaulichten Konnexe der lokalen und regionalen Subgruppen. Insbesondere die regionsspezifischen Untersuchungen verdeutlichten die Heterogenität der bislang oft als Einheit behandelten Esperantist:innen.

In der Diskussion interessierten unter anderem Fragen nach der Zugehörigkeit zu und Vernetzung mit anderen Re- formbewegungen um 1900, wie der Freidenker- oder der Frauenrechtsbewegung. Dabei kamen zahlreiche Über- lappungen zum Vorschein, ebenso wie der Wandel der Subgruppen der Bewegung von der Anfangsphase bis zur Zwischenkriegszeit. C. Forschungstransfer 45

Michael Gehler Isabel Schnabel Von der Teilung des Kontinents zur Westintegration Havarie Europa – Die Bedeutung des Vertrauens Europas 1945–1991. Die Marktlogik als Ausdruck für die Geldpolitik der EZB politischer Zweckrationalität 16. Dezember, online 24. November, DHI Warschau (online) Im April kommenden Jahres startet das gemeinsame For- Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der Krise(n). schungsprojekt der Deutschen Historischen Institute in Rom, Seit den späten 2000er und 2010er Jahren erlebt der alte London und Warschau mit dem Hamburger Institut für Kontinent eine ökonomische, politische und gesellschaft- Sozialforschung (HIS) zur Frage nach dem „Zusammenhalt liche Überhitzung, die durch Finanzturbulenzen und in Europa“. Begleitend dazu fand bereits im Dezember Fluchtbewegungen ebenso wie durch den Brexit, zuneh- unter dem Reihentitel „Havarie Europa“ ein Vortrag von mend autokratische bzw. autoritäre Regierungsformen in Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der Europäische Ungarn und Polen, und schließlich die Covid-19-Pandemie Zentralbank (EZB), statt. gekennzeichnet ist. Das Bedürfnis, diese Entwicklungen historisch einzuordnen und zu fragen, was die EU eigent- Die Wirtschaftswissenschaftlerin thematisierte darin das lich „leiste“, erscheint allgegenwärtig. Folglich kam ein Ver­trauen der Öffentlichkeit in Zentralbanken. Auf Basis Vortrag, der sich mit der Geschichte der europäischen In- empirischer Evidenz analysierte sie die Entwicklung des tegration befasst, zur rechten Zeit. Vor internationalem Vertrauens in die EZB und die Europäische Währungs­ virtuellen Publikum spannte Michael Gehler einen breiten union und erklärte, wie sich die Corona-Krise bisher auf Bogen von den Ausgangsbedingungen der Nachkriegszeit das Vertrauen der europäischen Bürgerinnen und Bürger und der Gründung der Montanunion, der Europäischen ausgewirkt hat. Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Atomgemein- schaft (EURATOM) 1951–1957 über die Nord-, Süd- und Im Anschluss diskutierten Waltraud Schelkle (London Osterweiterungen bis zum Maastrichter Vertrag 1992. School of Economics), Aaron Sahr (HIS) und Moritz Schie- ritz (Wochenzeitung Die Zeit), was diese Entwicklungen Seinen Forschungen zufolge spielten die Westalliierten zu für die Währungsunion und die EZB bedeuten und wel- Beginn eine Schlüsselrolle. Sie hätten es ermöglicht, 1949 che Rolle Kommunikation spielen kann, um Vertrauen zu einen westdeutschen Staat ins Leben zu rufen. Mit dem gewinnen. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der Beitritt der Bundesrepublik zur NATO 1955 und den Rö- ZeitStiftung Ebelin und Gerd Bucerius, dem Info-Point Eu- mischen Verträgen von 1957 seien dann die Fundamente ropa Hamburg und Tide TV statt und wurde per Livestream für die Integration Westeuropas gelegt worden. Daran übertragen. anknüpfend diskutierte der Hildesheimer Historiker die Frage, warum die BRD, Frankreich, Italien und die Bene- lux-Länder bereit waren, freiwillig auf Teile ihrer Souve- ränität zu verzichten. Kurzfristig hätten sie es sich zum Ziel gesetzt, eine Zollunion zu schaffen und den freien Waren- verkehr zuzulassen, auf längere Sicht jedoch eine engere institutionelle Fusionierung angestrebt. Die abschließen- de Diskussion betraf historische Dimensionen der Rechts- staatlichkeitsentwicklung und das Vetorecht ebenso wie den Prozess der EU-Konstitutionalisierung und die Refle- xion über zukünftige Süd- und Ostgrenzen der Union.

Symbol der europäischen Integration. Foto: Adrian Petty, CC BY-SA Europäische Zentralbank in Frankfurt. 3.0, via Wikimedia Commons Foto: Dinu Dominic Manns, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons 46 C. Forschungstransfer

Konferenzen und Workshops Am zweiten Workshoptag begaben sich die Forschenden zur Spurensuche auf das Gelände des ehemaligen Arbeits- erziehungslagers „Oderblick“ im heutigen Świecko (ehem. Workshop: Evakuation – Rückzug – Liquidierung. Schwetig), wo noch bis Ende Januar 1945 ein wichtiger Praktiken der Verschiebung und Auflösung von Staaten Punkt des Netzwerks von Zwangsarbeiterlagern in Branden- im 20. Jahrhundert burg lag. Matthias Diefenbach vom Institut für Angewand- 30.–31. Januar, Słubice und Frankfurt/Oder te Geschichte präsentierte vor Ort, welche materiellen Schichten dort noch heute zu finden sind. Adam Kaczma- Im Rahmen des bilateralen Workshops zum Massaker von rek vom Institut für Nationales Gedenken (IPN) in Posen Sonnenburg erschlossen Wissenschaftlerinnen und Wis- erklärte auf dem ehemaligen Dorffriedhof von Schwetig, senschaftler aus Deutschland und Polen die Topographie wie die Suchstelle des IPN mittels archäologischer Ausgra- sogenannter Endphaseverbrechen im NS-Gau Mark Bran- bungen von Gebeinen nach im Lager Ermordeten sucht. denburg. Dabei handelt es sich um Gewalttaten, die von Dabei werden unter anderem Unterlagen aus dem Krema- Angehörigen der deutschen Sicherheitspolizei und der SS torium in Frankfurt/Oder mit gefundenen Urnenmarken in Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Stellen in den sowie DNA-Proben aus noch erhaltenen Skelettteilen mit letzten Monaten und Wochen des Zweiten Weltkrieges in dem genetischen Material von Nachfahren abgeglichen. Europa auf dem 1945 noch verbliebenen Territorium des Deutschen Reichs begangen wurden. Die Veranstaltung In der Gemeinde Słońsk fand am 31. Januar von polnischer wurde gemeinsam vom DHI Warschau, der Kulturwissen- Seite organisiert ein offizieller Gedenkappell für die Opfer schaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina und des Gefängnismassakers vor 75 Jahren statt, an dem von dem Museum Viadrina in Zusammenarbeit mit dem Muse- deutscher Seite neben dem Generalkonsul in Breslau auch um Sonnenburg in Słońsk, dem Institut für Angewandte eine Vertretung des Potsdamer Finanzministeriums sowie Geschichte und dem Institut für Nationales Gedenken (Po- eine Abordnung der Europa-Universität Viadrina teilnah- sen) organisiert. men. Letztere hatte eine besondere Bedeutung, denn die meisten Einrichtungen, die im östlichen Brandenburg für Am ersten Workshoptag in der Gedenkstätte für die Opfer die Umsetzung nationalsozialistischer Verfolgung ver- von Gewaltherrschaft in Frankfurt/Oder kontextualisierten antwortlich waren, befanden sich im damaligen Sitz des die Teilnehmenden diese Verbrechen in einer längeren Regierungsbezirks in der Großen Scharrnstraße 59 – dem „Kulturgeschichte der Rückzüge“, wie der Freiburger His- heutigen Hauptgebäude der Europa-Universität Viadrina. toriker Christian Stein formulierte. Bereits seit Ende 1941 war die Wehrmacht immer wieder mit der Notwendigkeit konfrontiert, kontrolliert und unkontrolliert Rückzüge von Frontstellungen vorzunehmen. Daraus ergaben sich drei weitere Jahre lang Handlungsspielräume, in denen Befehlshaber von Wehrmacht, Zivilverwaltung und Poli- zeistellen entscheiden mussten, ob und wie sie Gebiete zu evakuieren hatten.

Im Fokus des Workshops stand der Umgang mit Zivi- list:innen, aber auch mit landwirtschaftlichen Ressourcen, schriftlichen Unterlagen und anderen als strategisch wich- tig geltenden Materialien. Als staatliche Infrastrukturen der Einsperrung wurden Gefängnisse und Zwangslager in Momenten des Rückzugs zu neuralgischen Punkten. Durch die starke Verknappung von Zeit und Raum im Zuge des Vordringens des Feindes, kam es gerade in Gefängnissen immer wieder zu Massakern. Das bis 1945 im Regierungs- bezirk Frankfurt/Oder gelegene Sonnenburg (heutiges Słońsk) steht dabei für ein solches Verbrechen. In der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 und damit nur zwei Tage vor dem Einrücken der Roten Armee wurden hier 819 Gefangene ermordet. C. Forschungstransfer 47

DHIW-Panels auf dem 5. Kongress Polenforschung aber eine andere Betrachtungsweise im Hinblick auf das 5.–8. März, Halle/Saale Verhältnis von Staat und Insassen in Gefängnissen: Form und Prozess dieser Veränderung könnten demnach als Wie wird Gerechtigkeit definiert? Auf welche Weise wird Seismograph für grundlegende Veränderungen gesehen eine gerechte Ordnung interpretiert, implementiert oder werden. inszeniert? Unter dem Motto „Gerechtigkeit“ stand 2020 der Kongress Polenforschung, der sich in diesem Jahr zum Die ehemalige Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats fünften Mal jährte. Die gemeinsam vom Deutschen Po- des DHI Warschau Bianka Pietrow-Ennker (Konstanz) orga- len-Institut Darmstadt, dem Alexander-Brückner-Zentrum nisierte das Panel „ ‚Gerechtigkeit‘ in der internationalen für Polenstudien, der Martin-Luther-Universität Halle-Wit- Politik – Polen und seine Nachbarstaaten in der Transforma- tenberg und der Friedrich-Schiller-Universität Universität tionszeit seit 1989. Zum Zusammenhang von Staatlichkeit, Jena organisierte Veranstaltung brachte vom 5. bis 8. März Konstruktionen nationaler Identität und außenpolitischer Forschende verschiedener Fachdisziplinen sowie zahlrei- Positionierung”. Damit wurde nicht nur auf ein aktuelles che wissenschaftlich Interessierte in Halle (Saale) zusam- Publikationsprojekt Bezug genommen, sondern gleich- men und bot somit einmal mehr die Gelegenheit, sich über zeitig auch an eine DHIW-Tagung vom März 2018 ange- Forschungsgebiete und Landesgrenzen hinweg auszutau- knüpft. Um „Polens Streben nach einem ‚gerechten‘ Platz schen. Am Beispiel Polens wurden verschiedene Vorstel- im internationalen System“ ging es im Vortrag des ehema- lungen von Gerechtigkeit und Möglichkeiten ihrer Reali- ligen DHIW-Direktors Klaus Ziemer, bevor der gegenwär- sierung vor dem Hintergrund unterschiedlicher Gesetze, tige Institutsleiter Miloš Řezník das Thema „Außenpoli­tik, Praktiken sowie Norm- und Wertvorstellungen diskutiert. Identitätsagenda und ‚historische Gerechtigkeiten‘: eine tschechoslowakische/tschechische Konfiguration“ beleuch- Auch das DHI Warschau war mit mehreren Panels vertreten. tete. Weitere Vorträge lieferten Malte Rolf (Oldenburg) Unter dem von George Orwell inspirierten Titel „Alle Men- über Litauen und Wilfried Jilge (Berlin) über die Ukraine. schen sind gleich, aber manche sind gleicher“ stellte die Eine lebhafte Diskussion rundete diesen sehr gut besuch- von Annika Wienert und Sabine Stach konzipierte Sequenz ten Block ab. das Verhältnis von Gerechtigkeit und Gleichheit in den Fo- kus. Aus ganz unterschiedlichen disziplinären Perspektiven Im Rahmen des von Sebastian Paul und Matthäus Wehowski widmeten sich die einzelnen Beiträge den Paradoxien der (Dresden) organisierten Panels „Plünderungen und physi- Egalität in der Volksrepublik Polen: Als Geschichte politi- sche Gewalt als ‚Volksgerechtigkeit‘? Gewalt als Ressource scher Propaganda analysierte Christina Heiduck (Jena) das zur Legitimation und Repräsentation von Nachkriegsord- Spannungsfeld zwischen Volksnähe und Außergewöhnlich- nungen nach dem Ersten Weltkrieg“ referierte DHIW-Mit- keit anhand des polnischen Kosmonauten Mirosław Her- arbeiter Maciej Górny. Die Vortragenden versuchten, maszewski. Einen Einblick in die Geruchsgeschichte gab unsichere oder manipulierte Informationen über die Ge- Stephanie Weismann aus Wien – wie Heiduck ehemalige waltausbrüche während des Transformationsprozesses Stipendiatin des DHI Warschau – mit ihren Überlegungen Mittel- und Osteuropas nach 1918 zu ordnen. Als das The- zu egalitären Geruchslandschaften in der PRL. Sabine Stach ma, dem dabei am meisten Aufmerksamkeit zuteilwurde, wiederum beschäftigte sich mit dem in der Populärkultur erwies sich die überraschende Abwesenheit von Gewalt omnipräsenten Narrativ einer „grauen Zeit“. Das von Ruth in Fällen, in denen sie ursprünglich erwartet worden war. Leiserowitz moderierte Panel wurde von der Kunsthistori- Auch Propagandafunktionen von Gewaltdarstellung, ins- kerin Małgorzata Popiołek-Roßkamp (Berlin) kommentiert besondere der sexuellen Gewalt, wurden diskutiert. und vom Publikum angeregt diskutiert. Im interdisziplinären Panel „Cultural (Mis)representations Gemeinsam mit einer weiteren ehemaligen DHIW-Stipen- of the Rescue of Jews During the Holocaust in the Polish diatin, Ivanna Cherchovych aus Lemberg, und Anna Muller Public Discourse“ referierte die DHIW-Mitarbeiterin Zofia – derzeit mit einem Fulbright Stipendium in Danzig – dis- Wóycicka über die „wandernden Motive“ in europäischen kutierte Felix Ackermann die Erfahrungen von Frauen in Gerechten-Museen. Literaturwissenschaftliche und religions­ Gefängnissen. Die Diskussion im Panel „Imprisoned Femi- wissenschaftliche Aspekte sowie eine Diskussion darüber, ninity: Gender Roles and Incarceration in Modern Polish wie das Thema der Judenrettung während des Holocausts and Ukrainian History“ begann Claudia Kraft von der Uni- in Polen vor dem Hintergrund historischer Erkenntnisse versität Wien mit einem Kommentar, in dem sie darauf ver- behandelt werden sollte, rundeten die Sektion ab. Die wies, dass diese Erfahrungen auf den ersten Blick am Rande Vielzahl an Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum der Ränder gemacht wurden. Der zweite Blick ermögliche offenbarte ein überaus großes Interesse an der Thematik. 48 C. Forschungstransfer

Darüber hinaus war das DHI Warschau Mitorganisator Workshop: Relations in the Ideoscape des Panels „Democracy, Etatism and Justice in Interwar Po- 2.–5. Juni, Warschau/Moskau/Beirut (online) land” mit Vorträgen von Natali Stegmann (Regensburg), Iwona Dadej (Warschau / Berlin), Claudia Kraft (Wien) und Im Rahmen des Forschungsverbundprojekts „Wissen ent- Maciej Górny. Angeregt wurde der Begriff der politischen grenzen“ führen das DHI Warschau, das DHI Moskau und Transformation als eine Kategorie diskutiert, die nicht nur das Orient-Institut Beirut ein gemeinsames Forschungs- bei der Analyse der Veränderungen in Mittel- und Osteu- projekt mit dem Titel „Relations in the Ideoscape: Middle ropa nach 1989, sondern auch zu der Bewertung der Wen- Eastern Students in the Eastern Bloc (1950’s to 1991)“ durch. de von 1918 von Nutzen gewesen sein könnte. Die Rolle Aus kultur- und sozialhistorischer Perspektive untersuchen von Emotionen in der wirtschaftlichen und politischen die einzelnen Studien Wissensbeziehungen zwischen den Geschichte und die Frage danach, ob geweckte und ent- Gesellschaften des ehemaligen Ostblocks und des Nahen täuschte soziale Hoffnungen als Faktor von wesentliche- Ostens während des Kalten Krieges. Im Juni kamen die rer Bedeutung gelten können als ‚harte‘ Wirtschaftsdaten, Projektmitglieder zu einem internationalen Workshop zu- waren Themen in der abschließenden Diskussion. sammen. Während der viertägigen Online-Veranstaltung präsentierten die beteiligten Forscherinnen und Forscher ihre bisherigen Ergebnisse.

Der Workshop gliederte sich in fünf Blöcke zu den folgen- den Themen: „Studierende der Sozialwissenschaften und des Journalismus“, „Studierende der Bildenden Künste“, Fallstudien in Algerien und der Türkei“, „Fallstudien im Irak und Iran“, „Wissensströme und Soft Power der am akade- mischen Austausch beteiligten Länder“. Das DHI Warschau war durch Mustafa Switat und Dorota Woroniecka-Krzy- żanowska vertreten. Über polnisch-syrische Wissensbezie- hungen und ihre Auswirkungen auf die Ausbildung von Studenten der bildenden Künste aus Syrien in Polen refe- rierte Mustafa Switat. Dorota Woroniecka-Krzyżanowska gab einen Einblick in ihre Forschung zur Rolle von Dozen- ten der Technischen Universität Breslau, die an der Grün- dung und Entwicklung des Instituts für Architektur an der Universität Mosul beteiligt waren. Der Workshop bot die Gelegenheit, die Projekte der Teammitglieder zu disku- tieren und einen gemeinsamen theoretischen Rahmen zu entwickeln. Außerdem wurde die Zusammenkunft dazu genutzt, weitere gemeinsame Aufgaben zu besprechen sowie Pläne für zukünftige Publikationen, Konferenzen und öffentliche Veranstaltungen zu entwickeln.

C. Forschungstransfer 49

Konferenz: Mainstream! Popular Culture kultur während des kommunistischen Regimes in Rumäni- in Central and Eastern Europe en. Auf Grundlage qualitativer ethnografischer Forschung 29.–31. Oktober, DHIW-Außenstelle Prag (online) wurde die Sehnsucht nach dem Westen und die Jugend- mode im Warschau der 1980er Jahre untersucht, als junge Mainstream-Kultur kann als die populärste, am weitesten Menschen von westlicher Kleidung träumten. verbreitete, zugänglichste und verständlichste kulturelle und gesamtgesellschaftliche Ausdrucksform definiert Die folgenden Panels widmeten sich der musikalischen werden. Nichtsdestotrotz führt sie häufig zu lebhaf- Seite der Populärkultur in Polen, Ungarn, Jugoslawien, der ten, ja kontroversen Diskussionen. Elemente der Main- Sowjetunion und der Tschechoslowakei. Es wurde disku- stream-Populärkultur können zu Symbolen einer be- tiert, wie subkulturelle Musikbands während der post- stimmten Epoche werden und dabei unterschiedliche kommunistischen Transformation in den Musik-Main- Bedeutungen erlangen, was beispielsweise die wider- stream integriert wurden. Die Erkenntnis, dass populäre sprüchliche Wahrnehmung popkultureller Idole bestätigt. Musik häufig zum entscheidenden Faktor bei der Konst- ruktion nationaler Identitäten geworden sei und oft zur Zu der englischsprachigen Konferenz kamen knapp 40 Verbreitung populistischer Ideologien beigetragen habe, Forschende aus zwölf europäischen Ländern virtuell zu- bildete dabei einen der thematischen Schwerpunkte. sammen, um den sogenannten Mainstream in der Popu- lärkultur aus verschiedenen nationalen und kulturellen Zum Abschluss der Konferenz wurden verschiedene Beo­ Perspektiven zu diskutieren. Veranstaltet wurde die On- bachtungen über sogenannte Kulturkriege und die Geo- line-Konferenz vom DHI Warschau in Zusammenarbeit politik der Popkultur auf Grundlage persönlicher Erfah- mit der Philosophischen Fakultät der Prager Karls-Univer- rungen präsentiert. Neben der breiten Themenpalette sität, dem Nationalmuseum der Tschechischen Republik zeigten die unterschiedlichen Herangehensweisen, An- und dem Zentrum für Studien zur populären Kultur. sätze und Ergebnisse, dass die Erforschung von Main- stream und populärer Kultur im späten Kommunismus Der Schwerpunkt der Veranstaltung lag auf der Erfas- und Postkommunismus noch ganz am Anfang steht. Die sung des „Zeitgeistes“ und der Untersuchung des Main- Vielzahl an Fragen während der angeregten Diskussionen streams als einer wichtigen Wissensquelle zum Verständ- lässt auch zukünftig auf einen fruchtbaren Austausch und nis kultureller Werte, Traditionen und Veränderungen. zahlreiche weitere Forschungen dieser Art hoffen. Darüber hinaus wurde Mittel- und Osteuropa als ein in dieser Hinsicht spezifisches regionales Phänomen kritisch untersucht. Um sich dem Thema anzunähern, wurde nach Manifestation bestimmter kultureller Werte und Über- zeugungen gefragt, die den mittel- und osteuropäischen Gesellschaften eigen sind. Dabei ging es beispielsweise um die Frage nach langfristigen regionalen Vermächtnis- sen sowie um die Wechselwirkung zwischen lokalen bzw. regionalen Mainstream-Medienproduktionen und kultu- rellen Importen aus der weiteren, sich im Prozess der Glo- balisierung befindlichen Welt.

Der Eröffnungsvortrag von Irena Reifová befasste sich mit der Stigmatisierung der Unterschichten und deren Habitus in tschechischen Reality-TV-Programmen. Die folgenden Verka Serduchka, alias und Bühnenpersona des ukrainischen Präsentationen hatten die Transformation der Fernsehse- Popsängers Andrij Mychajlowytsch Danylko. rien-Kultur in der Türkei und der Ästhetik der digitalen Foto: Alina Vozna (2017), CC-BY-SA-4.0, via Wikimedia Commons Medien im Prozess der Globalisierung zum Gegenstand.

Der zweite Konferenztag begann mit einem Vortrag über Veruntreuungen im Nachkriegskino der Tschechoslowa- kei. Auf die Darstellung von Frauen in der jugoslawischen Männerzeitschrift Start wurde anschließend ebenso ein- gegangen wie auf Erinnerungen an die westliche Populär- 50 C. Forschungstransfer

Konferenz: Violence and the Crisis of Governance Dem Thema Antisemitismus widmeten sich die Referate in East Central Europe im letzten Panel. Auf einen Vortrag zur antisemitischen 13. November, DHIW-Außenstelle Vilnius (online) Gewalt in Litauen und Rumänien folgte ein Beitrag zu den militärischen Pogromen in Litauen 1919 und 1920 mit Am 13. November 2020 fand die Online-Tagung zum The- einer Fallstudie des Pogroms in Panevėžys. Anschließend ma „Gewalt und die Krise der Regierungsführung in Ost- wurden die Radikalisierung der antisemitischen Gewalt in mitteleuropa“ statt. Die Veranstaltung, an deren Organi- Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg sowie die Heraus- sation die DHIW-Außenstelle Vilnius beteiligt war, wurde forderungen vergleichender historischer Forschung zur durch das Litauische Historische Institut initiiert. Wissen- Gewalt in der Nachkriegszeit diskutiert. schaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern diskutierten die komplexe Beziehung zwischen Der Abschlusskommentar von Ronald Suny (Ann Arbor) Staatszerfall und Gewalt in Ostmitteleuropa in den ersten rundete die informative und gelungene Tagung ab, ord- Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. nete verschiedene Anregungen und fasste die Vorträge zusammen. Er resümierte, dass Gewalt gleichzeitig als Die Vorträge konzentrierten sich auf unterschiedliche ge- Produkt und „Geburtshelfer“ der Entstehung von National- walttätige Gruppen und ihre Beziehungen zu staatlichen staaten betrachtet werden könne. Ein zusammenfassen- Akteuren. Unter anderem wurden die Themen Paramilita- der Tagungsband in englischer Sprache unter der Heraus- rismus, Warlordismus, Terror, Pogrome und Bevölkerungs- geberschaft der Organisatoren ist geplant. politik diskutiert. In seiner Keynote mit dem Titel „When Did the Great War End?“ erklärte John Horne (Dublin), dass die Entwicklung eines transnationalen Verständnisses der Ursprünge, Natur und Folgen von Gewalt nötig sei, um die Geschichte des Ersten Weltkriegs zu verstehen.

Die Beiträge des ersten thematischen Panels verdeutlich- ten die Zusammenhänge zwischen Sozialordnung, Ver- waltungsgewalt und Kriminalität während und nach dem Ersten Weltkrieg. Den Auftakt machten ein Vortrag über die Militäradministration, Gewalt und Zivilpersonen in Li- tauen zwischen 1914 und 1918 und eine Beschreibung des Phänomens Banditismus als Nebeneffekt der militärischen

Gewalt gegen die lokale Bevölkerung in Litauen. Foto: Łukasz Mieszkowski

Das zweite Panel thematisierte die Gewalt nach dem Ersten Weltkrieg in Ungarn, Polen und Litauen. Neben Motivatio­ nen der rechten paramilitärischen Gruppen in der Phase des „Weißen Terrors“ in Ungarn kamen die Aktivitäten von paramilitärischen „spin off“-Gruppen während der Kämp- fe um das polnische Westgrenzland ebenso zur Sprache wie die „Logik der Gewalt“ während des Polnisch-Litaui- schen Kriegs.

In der Sektion „Krisen, Umverteilungen und Epidemien“ stand die Rolle der Eisenbahn nach Ende des Ersten Welt- krieges in Ostmitteleuropa im Mittelpunkt. Maciej Górny (Warschau) unterstrich den Einfluss der Eisenbahn auf die Verbreitung von Gewalt. Daran anknüpfend wurde die symbolische und physische Gewalt im Kampf gegen Typhus in den polnischen Eisenbahnen und an den Repatriierungs- punkten in den Jahren 1918 bis 1922 diskutiert. C. Forschungstransfer 51

Konferenz: Genealogies of Memory: The Holocaust Film Shoah und die Auslassungen in den Filmuntertiteln. between Global and Local Perspectives Auch dem Ringelblum-Archiv als früheste Bemühung um 4.–26. November, Warschau (online) eine Historiografie des Holocausts wurde eine eigene Sek- tion gewidmet, in deren Mittelpunkt die Bedeutung des Den aktuellen Stand der Forschung zum Holocaustgeden- Archivs für die internationale Forschung stand. ken einzuordnen und zu bewerten war Ziel der zehnten internationalen Konferenz „Genealogies of Memory“ im Zum Abschluss der Konferenz fand eine Debatte zur aktuel- November. Den Kontext hierfür bildeten zum einen die len Holocausterinnerung statt. Unter dem Titel „Holocaust Globalisierung der Erinnerung und die Universalisierung Memory and Research in the 21st Century: Between the des Holocausts, zum anderen die Erweiterung der zu- Global and the Local“ zog die Diskussion einerseits ein gänglichen Quellenbasis in der Holocaustforschung nach Resümee der gesamten Veranstaltung und warf gleichzei- dem Fall des Eisernen Vorhangs. Ein dritter Aspekt war tig eine Reihe neuer Fragen auf. An der von Małgorzata die kürzlich erfolgte „empirische Wende“ in der Holo­ Pakier moderierten Diskussion nahmen Ewa Domańska, caustforschung, die zur Erschließung neuer, bisher ver- Éva Kovács, Jackie Feldman und Daniel Levy teil. kannter Quellen führte sowie zu Untersuchungen lokaler Räume und Materialitäten, beispielweise mittels forensi- scher Ansätze oder im neuen Feld der Umweltgeschichte des Holocausts.

Im Rahmen der Konferenz wurde das Zwischenspiel zwi- schen einer allumfassenden (globalen, kosmopolitischen, transnationalen, europäischen) Erinnerung an den Holo­ caust und der im örtlich begrenzten Kulturraum spezifi- scher historischer Erfahrungen verankerten Dimension (lokal, ethnisch, national) diskutiert. Die Veranstaltung wurde vom European Network Remembrance and Solida- rity (ENRS) in Kooperation mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin organisiert; das DHI Warschau, vertreten durch Zofia Wóycicka, war eine der Blick in die Dauerausstellung des Jüdischen zahlreichen polnischen und internationalen Partnerinsti- Historischen Instituts in Warschau. tutionen. Foto: Adrian Gryczuk (2017), CC-BY-SA-3.0-PL, via Wikimedia Commons An der Konferenz, die in einem Open Call annonciert wurde, nahmen über 50 anerkannte Expert:innen sowie Nachwuchswissenschaftler:innen aus sechzehn verschie- denen Ländern und unterschiedlicher Fachrichtungen teil. Vertreten waren unter anderem die Geschichts-, Kultur-, Sprach- Literatur- und Politikwissenschaften sowie die So- ziologie. Die Keynotes hielten Omer Bartov, Piotr Cywiński, Ewa Domańska, Jackie Feldman, Éva Kovács, Mindaugas Kvietkauskas und Daniel Levy.

In acht Online-Sitzungen, die über einen Zeitraum von vier Wochen abgehalten wurden, diskutierten die Teil- nehmenden verschiedene Aspekte der Holocaust-Erinne- rungsforschung. Ethische Fragen standen dabei ebenso im Fokus wie die Analyse lokaler, europäischer und glo- baler Wirkungen. Neben forensischen Aspekten bildeten lokale Dimensionen des Holocausts einen weiteren the- matischen Schwerpunkt. Hier standen unter anderem die Sprachen der Überlieferung im Vordergrund. So behan- delte eine sehr interessante Sektion Claude Lanzmanns 52 C. Forschungstransfer

Konferenz: Versöhnungspolitik 10. Dezember, Berlin/Warschau (online)

Anlässlich des 50. Jahrestags von Willy Brandts Kniefall in Warschau und des am 7. Dezember 1970 geschlossenen Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen fand im Dezember eine Fachkon- ferenz statt, die gemeinsam von der Bundeskanzler-Wil- ly-Brandt-Stiftung, dem DHI Warschau und der Stiftung Amicus Europae organisiert wurde. Aufgrund der einge- schränkten Reisemöglichkeiten kamen die Wissenschaftle- rinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Polen, Frank- reich, Japan, Finnland und den USA nicht wie geplant im Warschauer Karnicki-Palais zusammen, sondern tauschten sich online über aktuelle Forschungsergebnisse aus. Über einen Livestream wurde die Veranstaltung zudem einem öffentlichen Publikum zugänglich gemacht.

Die Konferenz widmete sich dem Thema „Versöhnungs- politik“ in einem breiteren historischen Kontext. Im Mit- telpunkt der Diskussionen standen die Fragen danach, wie sich Versöhnung definieren lässt, unter welchen Um- ständen Versöhnung gelingen kann, und welche Bedeu- tung dabei Gesten und Emotionen zukommt. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf politischen und zivilgesellschaftli- chen Akteuren, die Versöhnungsprozesse anstoßen und vorantreiben. Auch die Rolle von Prozessen des Erinnerns und Vergessens für eine gelingende Versöhnung wurde am Beispiel verschiedener binationaler Konflikte und den nachfolgenden Bemühungen um Versöhnung diskutiert. Foto: Ujazdowska Allee, 1934 | Quelle: Polona 54 C. Forschungstransfer

Kolloquien 13. Mai 2020 Dorota Woroniecka-Krzyżanowska und Mustafa Switat (DHI Warschau) Die Kolloquien des DHI Warschau finden jeweils mitt- Geographies of Political Affinity and the Urban Space: wochs um 11 Uhr im Vortragssaal des Instituts statt. Im Knowledge Relations between Polish People’s Republic Jahr 2020 referierten folgende Wissenschaftlerinnen und and Iraq in Architecture and Planning / Visualized Alliances Wissenschaftler (teils online bzw. in einer hybriden Form) and Artworld – Knowledge Exchange between Polish zu einem breiten Spektrum von Themen: People’s Republic and Arab Countries in the Discipline of Plastic Arts

15. Januar 20. Mai Nataliya Borys (Universität Genf) Yahor Surski (Nationale Akademie der Wissenschaften Voyages, Voyages… How Ukrainian Soviet Historians Belarus) Travelled to the PRL in the 1960s–1980s Historical Sources on the Organization of Trade within Belarusian Towns in 16th–18th Centuries 29. Januar Katja S. Baumgärtner (Humboldt-Universität zu Berlin) 27. Mai „Die Jungs schickten unsere so wertvollen heimlichen Sabine Stach (DHI Warschau) Briefe weiter.“ (Wanda Połtawska) – Gender und Imagi- Abschlusspräsentation des Forschungsprojektes „Original nation in Filmen über die Shoah/den Holocaust: Polnische Ostblock“ über historisches Erzählen in Stadtführungen Kontexte 3. Juni 5. Februar Michael G. Müller (Marin-Luther-Universität Adam Przywara (University of Manchester, Großbritannien) Halle-Wittenberg) Postwar Aggregates for a Socialist Future? Transformations Pax inter dissidentes. Glaubensspaltung und Religions- of Rubble in Warsaw 1945–1949 frieden im Europa des 16. Jahrhunderts

19. Februar 10. Juni Patryk Michał Ryczkowski (Göttingen) Zofia Wóycicka (DHI Warschau) Zur Pragmatik der poetischen Heiligkeitskonstruktion Rezeption polnischer Gerechten-Museen im Lichte von Jozafat Kuncewicz im Kontext der Kirchenunion der Einträge in Gästebüchern – Pankiewicz-Apotheke, von Brest (1596) Żabiński Villa, Ulma-Museum

26. Februar 17. Juni Verena Bunkus (Forschungszentrum Gotha der Universität Ralf Meindl (DHI Warschau) Erfurt) Im Spannungsfeld von Ideologie, Religion, Sprache und Grenzland reklamieren. Materialität und Visualität der regionaler Identität. Die NSDAP im Ermland 1928–1945 neuen Weichselgrenze im Plebiszitgebiet Marienwerder der Zwischenkriegszeit 24. Juni Michael Zok (DHI Warschau) 11. März No Sex Please, We are Catholic. Reproduktion und Part- Mikola Volkau (Nationale Akademie der Wissenschaften nerschaft im Spannungsfeld zwischen (De-)Säkularisie- Belarus) rung und (De-)Privatisierung von Religion in Irland und Szlaki rozwoju. Kształtowanie się sieci drogowej w Wiel- Polen kim Księstwie Litewskim w XVI–XVIII w. oraz jej wpływ na ewolucję gospodarki i społeczeństwa [Wege der Ent- 1. Juli wicklung. Die Ausformung des Straßennetzes im Groß- Maciej Górny (DHI Warschau) fürstentum Litauen im 16. bis 18. Jahrhundert und seine Abschlusspräsentation des Forschungsprojektes Auswirkungen auf die Entwicklung von Wirtschaft und Unabhängigkeiten. Die Neuordnung Ostmitteleuropas Gesellschaft] 1918 auf dem Weg von der Tatsache zur Ritualisierung C. Forschungstransfer 55

14. September 16. Dezember Falk Flade (Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder) Andrei Charniakevich (Hrodna, Belarus) Innovation und Planwirtschaft? Wirtschaftliche Erneue- Więzienie i naród: państwowy system karny jako współ- rung in zentral geplanten Ökonomien am Beispiel der czynnik rozwoju białoruskiego ruchu narodowego (koniec DDR und VRP XIX wieku do 1930 r.) [Gefängnis und Nation: Das staatliche Strafrechtssystem als Faktor bei der Entwicklung der bela- 23. September rusischen Nationalbewegung (vom Ende des 19. Jahrhun- Aleksei Lokhmatov (Universität zu Köln) derts bis 1930)] The Clash of Virtues: Polish Scholars and Public Debates under Socialism (1945–1956)

7. Oktober Gregor Christiansmeyer (Georg-August-Universität Göttingen) Erinnerung, Versöhnung und Verständigung trans­ national? Das Deutsch-Polnische Jugendwerk als erinnerungskultureller Akteur

14. Oktober Elżbieta Kwiecińska (European University Institute, Florenz) The Concept of the „Civilizing Mission“ as a Cultural Transfer in East-Central Europe, 1815–1919

4. November Sophie Schwarzmaier (Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder) Wissenschaftliche Expertise für den „Aufbau der polnischen Schule“: Józefa Joteykos Suche nach Handlungsräumen in Warschau, 1919–1928

12. November Natalie Slizh (Hrodna, Belarus) Astrology in the Grand Duchy of Lithuania

18. November Sabine Kubeké (Justus-Liebig-Universität Gießen) History of Sustainability in Poland since 1970s: Trans- block Exchange and Cooperation during the Cold War

25. November Vilius Kubekas (Central European University, Budapest) The Will to Culture: Lithuanian Catholic Intellectuals, Nation-Building, and the „Spiritual Crisis“, 1918–1940

9. Dezember Viktoriia Serhiienko (Nationale Akademie der Wissen- schaften der Ukraine) The Clash of Imagined Boundaries: Ethnographic Know­ ledge and the Issue of the Administrative Border between Slovakia and Podkarpatska Rus in the Interwar Period 56 C. Forschungstransfer

Weitere Veranstaltungen Moderationsworkshop 3. Februar, DHI Warschau

Besuch von Studierenden aus den USA Im Konferenzraum des DHI Warschau fand am 3. Februar 23. Januar, DHI Warschau eine institutsinterne Schulung zur Moderation wissen- schaftlicher Veranstaltungen statt. Workshop-Leiter Aure- Eine Gruppe von 17 Studierenden des Hartwick College in liusz Leżeński stellte verschiedene Strategien vor, wie in Oneonta, New York besuchte am 23. Januar das DHI War- schwierigen Diskussionssituationen angemessen und sou- schau. Ihre dreiwöchige Europareise war den aktuellen verän, unter Umständen auch humorvoll, reagiert werden Prozessen in der europäischen Geschichtspolitik, insbe- kann. Dazu wurden unterschiedliche Moderationstechniken sondere den Musealisierungen und dem internationalen und -methoden besprochen und die individuellen Erfah- Dialog über Geschichte gewidmet, aber auch nationalen rungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einbezogen. geschichtspolitischen Strategien. Neben Brüssel und Berlin Neben dem theoretischen Workshopteil wurde ein weite- stand ein fünftägiger Aufenthalt in Warschau auf dem rer Schwerpunkt auf die Praxis gelegt. In verschiedenen Programm, der insbesondere Besichtigungen verschiede- praktischen Übungen erprobten die wissenschaftlichen ner historischer Museen und Erinnerungsorte beinhaltete. Mitarbeiter:innen, wie sie herausfordernde Situationen Am DHI Warschau fand ein zweistündiges Treffen statt, bei meistern können. dem der Institutsdirektor über das Profil, die Aufgaben und die Tätigkeit des Instituts informierte und mit den Gästen über aktuelle Probleme der Geschichtspolitik in Ostmittel- europa diskutierte. Begleitet wurde die Gruppe von Amy Forster-Rothbart, Leiterin der Fakultät für Politikwissen- schaft am Hartwick College, und Daniel Oross von der Un- garischen Wissenschaftsakademie in Budapest. C. Forschungstransfer 57

Arbeitstreffen der Deutsch-Ukrainischen Sitzung des wissenschaftlichen Beirats Historikerkommission 8. Oktober, DHI Warschau (online) 27.–28. Februar, DHI Warschau Zu einer digitalen Sitzung fanden sich am 8. Oktober die Am 27. und 28. Februar war das DHI Warschau Gast­ Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats mit den wissen- geberin der Arbeitssitzung der Deutsch-Ukrainischen His- schaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des DHI torikerkommission. Während der intensiven Gespräche Warschau zusammen. In einer hybriden Form wurden standen insbesondere die weitere Arbeitsweise des Gremi- vergangene, laufende und geplante Projekte präsentiert, ums, die Planung von kommenden Veranstaltungen und wobei der Beirat die Leistungen der Mitarbeiterinnen und Konferenzen und die Kommunikation mit der akademi- Mitarbeiter sehr positiv bewertete. Institutsdirektor Miloš schen und nichtakademischen Öffentlichkeit im Zentrum. Řezník informierte über Neuigkeiten am DHI Warschau Einen Schwerpunkt bildete die Diskussion um die Rolle und der Präsident der Max Weber Stiftung Hans van Ess und Möglichkeiten des DHI Warschau bei der Bildung berichtete über aktuelle Entwicklungen der Stiftung. Am transregionaler wissenschaftlicher Infrastrukturen, die im Nachmittag schloss sich ein Sitzungsteil an, in dem neue deutsch-ukrainischen Kontext bisher eher bescheiden aus- Forschungsprojekte vorgestellt wurden. Darüber hinaus fallen. Vom DHI Warschau nahm Direktor Miloš Řezník als bot die digitale Zusammenkunft die Gelegenheit, Joachim Mitglied der Kommission teil. von Puttkamer (Universität Jena) offiziell als neues Beirats- mitglied zu begrüßen, welcher bereits seit dem 10. Januar 2020 Mitglied im wissenschaftlichen Beirat ist. Zur stellver- tretenden Vorsitzenden wurde Tatjana Tönsmeyer (Univer- sität Wuppertal) gewählt.

Tanja Penter, Guido Hausmann, Frank Sysyn (v.l.) 58 C. Forschungstransfer

2. Publikationen

Als ein zentrales Instrument des Forschungstransfers hat das guten und schlechten Herrschaft begründet, die teils bis Deutsche Historische Institut Warschau auch 2020 wieder heute reichen. verschiedene Wege der Veröffentlichung genutzt. In den vier Printreihen des DHI Warschau werden neben eigenen Grischa Vercamer untersucht in seiner Studie vergleichend und externen Forschungsergebnissen sowie Quelleneditio­ Vorstellungen hochmittelalterlicher Chronisten bezüglich nen zur Geschichte Polens und der deutsch-polnischen praktischer Herrschaftsausübung in England, Polen und Beziehungsgeschichte auch methodisch wegweisende, dem Heiligen Römischen Reich. Mittelalterliche Chronisten inhaltlich grundlegende Studien der deutschen bzw. polni- bzw. Historiografen beschreiben Herrschaft nicht abstrakt schen Geschichtswissenschaft zur europäischen, deutschen oder theoretisch, sondern anhand konkreter Personen und polnischen Geschichte in deutscher bzw. polnischer und konkreter Handlungen. Dadurch lässt sich ein fun- Übersetzung publiziert. Während die Reihe „Quellen und dierter Eindruck davon gewinnen, wen damalige Auto- Studien“ schwerpunktmäßig Arbeiten zur vormodernen ren als „guten“ oder „schlechten“ Herrscher ansahen und Geschichte präsentiert, sind die „Einzelveröffentlichungen“ auf welchen Handlungen sie ihr teils unbewusstes, teils in erster Linie der Geschichte der Neuzeit und insbeson- verschleiertes Urteil begründeten. Es werden diffuse Ord- dere des 20. Jahrhunderts vorbehalten. In der Reihe „Klio nungs- und Rechtsvorstellungen fassbar, die eine Alterna- in Polen“ werden grundlegende Studien der polnischen tive zu herkömmlichen Rechtsquellen bieten. Geschichtswissenschaften in deutscher Übersetzung pu- bliziert. Die Reihe „Klio w Niemczech“ wiederum bietet Der systematisch-analytische Zugriff auf die Werke mithilfe umgekehrt grundlegende Beiträge der deutschsprachigen von soziologischen und narratologischen Werkzeugen er- Geschichtswissenschaft in polnischer Übersetzung. möglicht es, ein ganzheitliches, belastbares Bild von Herr- schaft aus den Chroniken herauszuarbeiten. Dabei lassen sich überraschenderweise signifikante Differenzen bei der DHIW-Reihen Wahrnehmung von Herrschaft bezüglich der im Hochmit- telalter sehr unterschiedlichen Nationen feststellen. Quellen und Studien

Grischa Vercamer: Hochmittelalterliche Herrschaftspraxis im Spiegel der Geschichtsschreibung. Vorstellungen von „guter“ und „schlechter“ Herrschaft in England, Polen und Dariusz Adamczyk: Monetarisierungsmomente, Kommer- dem Reich im 12./13. Jahrhundert zialisierungszonen oder fiskalische Währungslandschaften? Edelmetalle, Silberverteilungsnetzwerke und Gesellschaf- ten in Ostmitteleuropa (800–1200) Grischa Vercamer: Hochmittelalter­ liche Herrschaftspraxis im Spiegel der Geschichtsschreibung. Vorstel- Dariusz Adamczyk: Monetarisierungs- lungen von „guter“ und „schlechter“ momente, Kommerzialisierungszonen Herrschaft in England, Polen und oder fiskalische Währungslandschaf- dem Reich im 12./13. Jahrhundert ten? Edelmetalle, Silberverteilungs- (= Quellen und Studien des DHI netzwerke und Gesellschaften in Warschau 37), Wiesbaden: Harrasso- Ostmitteleuropa (800–1200) witz 2020, 792 S., ISBN 978-3-447- (= Quellen und Studien des DHI 11354-0. Warschau 38), Wiesbaden: Harrasso- witz 2020, 306 S., ISBN 978-3-447- 11464-6. Die wichtige historische Epoche der „Renaissance des 12. Jahrhunderts“ oder auch der „Anfänge nationaler Ge- schichtsschreibung“ ist nicht nur durch entscheidende Ver- Die Studie von Dariusz Adamczyk befasst sich mit der Frage, änderungen sozialer, politischer und wirtschaftlicher Natur ob die Nutzung von Edelmetallen im vormodernen Ostmit- gekennzeichnet. In dieser Zeit wurden aufgrund der histo- teleuropa einer politischen Logik folgte oder einem öko- rischen Rahmenbedingungen auch Schreibtraditionen zur nomischen Muster entsprach. Es wird also danach gefragt, C. Forschungstransfer 59

ob sich die Verwendung lediglich auf eine Prestige- und Der von Dariusz Makiłła und Miloš Řezník herausgege- Gabenökonomie, symbolische Kommunikation und die Fern- bene Band analysiert, wie diese Widersprüche auftraten handelsmärkte beschränkte oder ob die Münzen auch im und wie sie sowohl in einer internen, mitteleuropäischen, lokalen Handel zirkulierten. Auch werden Fragen danach als auch in einer externen Perspektive behandelt wurden. behandelt, wie man den Grad der Monetarisierung „mes- Der Fokus liegt auf den Strategien und Visionen des zu- sen“ und ab wann von einer Kommerzialisierung ausgehen künftigen Arrangements während und vor allem nach kann, sowie danach ob die Monetarisierung ein linearer den Friedensverhandlungen. Die Autorinnen und Autoren Prozess war, oder mehr Brüche als Kontinuitäten aufwies. aus Albanien, Österreich, Tschechien, Deutschland, Italien, Polen, der Slowakei, Russland und den USA analysieren Der erste Baustein der Studie rekonstruiert die Chrono- Strategien und Diskurse der Akteure der einzelnen natio­ logie und Geografie der Silberverteilungsnetzwerke zwi- nalen Gesellschaften. Gleichzeitig wenden sie aber auch schen Bagdad und Schleswig. Im zweiten Teil wird ein einen vergleichenden und transnationalen Ansatz an. Sie Bündel von Indikatoren entworfen, anhand dessen die beschäftigen sich sowohl mit den „großen“ Akteuren der Befragung der jeweiligen regionalen Konstellationen und Geschichte wie Diplomaten, Politikern oder intellektuellen Parameter stattfindet. Ausgangspunkt sind dabei mehrere Eliten, als auch mit den strukturellen Bedingungen des hundert Schatzfunde von Silber und die zahlreichen Ein- Funktionierens des „Versailler Systems“. zelfunde von Münzen aus Siedlungen, Burgwällen und Grä- berfeldern, die in Ostmitteleuropa freigelegt oder zufällig entdeckt wurden und ins 9. bis 12. Jahrhundert datieren. Damit bietet Adamczyk einen substantiellen, auf interdis­ ziplinären Ansätzen beruhenden Beitrag zur Analyse so- Klio w Niemczech wohl der gegenseitigen Verflechtungen und Einflüsse zwi- schen verschiedenen Akteuren des westlichen Eurasiens als Magdalena Saryusz-Wolska (Hg.): Historia wizualna. auch der Interaktions- und Kommunikationsformen inner- Obrazy w dyskusjach niemieckich historyków halb der einzelnen Gesellschaften Ostmitteleuropas. Magdalena Saryusz-Wolska (Hg.): Historia wizualna. Obrazy w dysku- sjach niemieckich historyków [Visual History. Bilddebatten deutscher Historiker] Dariusz Makiłła, Miloš Řezník (Hg.): After the Peace Treaty (= Klio w Niemczech 25), Warschau: of Versailles (1919): New Order of Central Europe Scholar 2020, 412 S., ISBN 978-83- 65390-56-1.

Dariusz Makiłła, Miloš Řezník (Hg.): After the Peace (1919): New Order of Central Europe (= Quellen und Studien des DHI Warschau 39), Wiesbaden: Harrasso- Das Forschungsfeld der Visual History wird auf vielfältige witz 2020, ISBN: 978-3-447-11565-0. Weise definiert. Im vorliegenden Buch werden neue Mög- lichkeiten für die historische Forschung aufgezeigt, auf die zunehmende Quantität, Verbreitung und Verfügbarkeit von Bildern zu reagieren. Wie beeinflusst die Zugänglich- keit zu Fotografien, Filmen und digitalen Bildarchiven die Arbeit von Historikerinnen und Historikern? Welche Mög- Die Friedensverträge von Versailles, Saint-Germain und lichkeiten eröffnen ihnen visuelle Quellen? Wie beeinflus- Trianon mit ihren Bestimmungen über neue Staatsgrenzen sen Bilder historische Erzählungen? Die in diesem Band ge- betrafen vor allem die Situation in Mitteleuropa. Zugleich sammelten Texte repräsentieren die Positionen von zehn wurden aber gerade in dieser Region die Schwierigkeiten deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die der vertraglich vereinbarten Prinzipien und deren An- nach Antworten auf diese Fragen suchen. wendbarkeit am deutlichsten. Dies zeigte sich vor allem in den Bereichen der Grenzgarantien, der Beilegung von Aus verschiedenen Perspektiven betrachten sie die Verwen- Territorialstreitigkeiten, der Regelung von Minderheiten- dung von Bildern in historiografischen Studien und weisen rechten und des Ideals der nationalen Selbstbestimmung. auf das Potenzial der visuellen Geschichte, aber auch die 60 C. Forschungstransfer

damit verbundenen Risiken hin. Die Autor:innen der ver- wieder als ein kulturelles Konstrukt entworfen bzw. „er- öffentlichten Texte vertreten verschiedene Generationen funden“ worden sind und zeigt, wie diese Bilder schon der deutschen Geschichtsschreibung, beschäftigen sich mit im Mittelalter in verschiedenen Kontexten und zu unter- vergangenen und gegenwärtigen Epochen, stammen so- schiedlichen Zwecken geschichtspolitisch instrumentali- wohl aus der Theorie, als auch aus der Praxis. Sie alle eint siert wurden. die Suche nach neuen Forschungsmethoden und neuen Wegen zur Erklärung der Vergangenheit. Sie sind der An- Finanziell unterstützt wurde das Projekt durch das DHI sicht, dass Geschichte nicht nur erzählt, sondern auch ge- Warschau. Eduard Mühle lehrt Geschichte Ostmittel- und zeigt werden kann. Osteuropas an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Von 2008 bis 2013 war er Direktor des Deutschen Autorinnen und Autoren: Horst Bredekamp, Martina Heßler, Historischen Instituts Warschau. Jens Jäger, Judith Keilbach, Habbo Knoch, Gerhard Paul, Bernd Roeck, Magdalena Saryusz-Wolska, Heike Talken- berger, Annette Vowinckel, Rainer Wohlfeil.

Aleksandra Kmak-Pamirska: Centrum – Peryferia – Naród. Uwarunkowania w Polsce i w Niemczech w XIX i na początku XX wieku Publiziert unter Beteiligung des DHI Warschau Aleksandra Kmak-Pamirska: Centrum Eduard Mühle: Die Slawen im Mittelalter zwischen – Peryferia – Naród. Uwarunkowania Idee und Wirklichkeit w Polsce i w Niemczech w XIX i na początku XX wieku [Zentrum – Peri- pherien – Nation. Determinanten Eduard Mühle: Die Slawen in Polen und Deutschland im 19. im Mittelalter zwischen Idee und beginnenden 20. Jahrhundert], und Wirklichkeit, Warschau: Wydawnictwo UW 2020, Köln: Böhlau 2020, 504 S., 392 S., ISBN 978-83-235-4327-5. ISBN 978-3-412-51898-1.

Mit ihrer Studie zur nationalen Bewusstseinsbildung im Spannungsfeld von Zentrum und Peripherie in Polen und Deutschland hat Aleksandra Kmak-Pamirska eine Mono- grafie vorgelegt, die wesentlich auf Forschungen beruht, Europa ist mit rund 250 Mio. Sprecherinnen und Sprechern die von der Autorin als Mitarbeiterin des DHI Warschau slawischer Sprachen zu über einem Drittel „slawisch“. Was zwischen 2014 und 2018 erarbeitet wurden. Sie hat sich bedeutet das für das Verständnis europäischer Kultur und der Untersuchung von Wechselwirkungen gewidmet, die Geschichte? Verfügt der slawischsprachige Bevölkerungsteil sich aus der Wahrnehmung der Peripherien Niederlausitz Europas über ein besonderes „slawisches“ Bewusstsein, und Podlachien durch externe Gruppen mit der Selbst- eine spezifische „slawische“ Kultur und Geschichte? wahrnehmung vor Ort ergeben. Dabei zeigt sich, dass das Bild der Peripherien, das im soziokulturellen Diskurs in Ausgehend von dieser Frage erzählt Eduard Mühle die Ge- den Zentralregionen entsteht, nationale Züge aufweist. schichte der „Slawen“ im Mittelalter völlig neu. Auf der Dadurch wird ein kohärentes und konsistentes Bild des Grundlage eingehender Quellenstudien entwirft er eine Staates erschaffen – sowohl aus polnischer als auch aus doppelte Perspektive. Zum einen beschreibt er die realen deutscher Perspektive. historischen Strukturen – von den „frühslawischen“ Bevöl- kerungsgruppen und ihren ersten Herrschaftsbildungen Das Buch der Religionswissenschaftlerin und Historike- im 7. bis 9. Jahrhundert, über die slawischsprachigen Rei- rin wurde von verschiedenen Fachleuten hoch gelobt. So che und nationes des 10. bis 12. bis zu den spätmittelalter- schreibt Andrzej Sakson: „Die Autorin hat äußerst umfang- lichen Gesellschaften des 13. bis frühen 15. Jahrhunderts. reiches und vielfältiges Forschungsmaterial zusammen- Zum anderen untersucht er die Fremd- und Selbstbilder, mit getragen, wofür sie in vielen polnischen und deutschen deren Hilfe die „Slawen“ seit dem 6. Jahrhundert immer Archiven akribisch recherchiert hat. Sie hat sich nicht nur C. Forschungstransfer 61

mit der Fachliteratur zu diesem Thema vertraut gemacht, sich um die Übersetzung der Dissertation der Verfasserin sondern auch zahlreiche Quellen der Epoche (Tagebücher, ins Polnische. In deutscher Sprache erschien sie unter dem Memoiren, Presse usw.) analysiert.“ Zygmunt Woźniczka Titel „Die Türkenkriege im Spiegel der polnisch-litauischen betont: „Dieses Buch [...] ist ein innovatives Werk, weil es Adelskultur. Kommemoration und Repräsentation bei den Probleme diskutiert, die in der wissenschaftlichen Literatur Żółkiewski, Sobieski und Radziwiłł“ (Ostfildern 2013). noch nie so gründlich und erschöpfend beschrieben wor- den sind. Es ist das erste Mal, dass die Auswirkungen des Zentrums auf die Peripherie in so komplementärer Weise am Beispiel Berlin–Niederlausitz und Warschau–Podlachien analysiert wurden.“ Florian Urban: Postmodern Architecture in Socialist Poland-Transformation, Symbolic Form and National Identity

Florian Urban: Postmodern Sabine Jagodzinski: W namiotach wezyrskich. Architecture in Socialist Poland – Komemoracja wojen tureckich w kulturze szlacheckiej Transformation, Symbolic Form and National Identity, London: Routledge 2021, 238 S., Sabine Jagodzinski: W namiotach ISBN 978-0-367-86073-8. wezyrskich. Komemoracja wojen tureckich w kulturze szlacheckiej, aus dem Deutschen von Róża Zielnik-Kołodzińska, Warschau: Museum des Schlosses Königs Jan III. in Wilanów 2020, 433 S., ISBN 978-83-66-104-52-5. Von Juli bis Dezember 2018 war Florian Urban Stipendiat am DHI Warschau und forschte während dieser Zeit zu post- moderner Architektur in Polen. Die Ergebnisse seines Pro- jekts sind im renommierten Londoner Wissenschaftsverlag „Unter großen Gefahren entstehen große Dinge.“ Eine Routledge unter dem Titel „Postmodern Architecture in So- solche Gefahr war im 17. Jahrhundert für die Rzeczpospo­ cialist Poland-Transformation, Symbolic Form and National lita das Osmanische Reich. Die Auseinandersetzung mit der Identity“ veröffentlicht worden. Das Buch ist bereits seit osmanischen Expansion und die Erinnerung daran haben Dezember 2020 erhältlich, offizielles Publikations­datum bleibende Spuren materieller und visueller Natur hinterlas- ist 2021. Der Autor behandelt einen sehr unterschiedlichen sen. Sie spiegeln verschiedene Phänomene des Gedenkens Hintergrund für postmoderne Architektur als die gemein- an die Türkenkriege in der Adels- und Hofkultur wider, hin bekannten Debatten um Robert Venturi, Leon Krier die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Osmanen und oder Prinz Charles in Westeuropa und Nordamerika. der Bedrohung durch sie. Die Angst mischte sich mit der Wertschätzung des Gegners, die Rolle des Bollwerks der Im Polen war postmoderne Architektur kein schrilles ironi- Christenheit mit der Faszination für die osmanische Kultur. sches Spiel mit nicht mehr ernst genommenen klassischen Formen in einer wirtschaftlich saturierten Gesellschaft, Die Autorin konzentriert sich auf die Variabilität der sondern ein individualistischer Gegenvorschlag zur sozia- Wahrnehmung der osmanischen Bedrohung sowie der listischen Monotonie, verbunden mit der Sehnsucht nach Kommemoration in den Familien Żółkiewski, Sobieski und Authentizität und spirituellen Werten sowie Debatten um Radziwiłł und analysiert die Werke und Formen des Ge- nationale Identität. Florian Urbans Buch untersucht unter- denkens an den Widerstand gegen die Expansion anhand schiedliche Ausformungen der polnischen Postmoderne, von Żółkiew (Žovkva) – der Stadt von Hetman Stanisław von ungewöhnlichen Kirchenbauten und Altstadtrekons- Żółkiewski und zugleich eine der Lieblingsresidenzen sei- truktionen bis zu Versuchen einer postmodernen Anpas- nes Urenkels, Jan III. Sobieski. sung der ungeliebten Plattenbauten.

Die Publikation erscheint in der Reihe „Silva Rerum“ und ist in Kooperation des DHI Warschau mit dem Museum des Jan-Sobieski-Palais in Wilanów entstanden. Es handelt 62 C. Forschungstransfer

3. Stipendien, Gastaufenthalte und Praktika

Stipendien am DHI Warschau Dr. Mikola Volkau Nationale Akademie der Wissenschaften Belarus / Dr. des. Katja S. Baumgärtner 13. Januar – 12. Februar 2020 Humboldt-Universität zu Berlin / Januar 2020 Szlaki rozwoju. Kształtowanie się sieci drogowej w Wiel- Gender, Imagination und Memorialisierung: Kontexte/ kim Księstwie Litewskim w XVI–XVIII w. oraz jej wpływ Subtexte in internationalen Filmen zur Shoah/zum na ewolucję gospodarki i społeczeństwa [Entwicklungs- Holocaust und zu den nationalsozialistischen Lagern – pfade. Der Ausbau des Straßennetzes im Großherzogtum Polnische Kontexte und Bedeutungen Litauen im 16. bis 18. Jahrhundert sowie dessen Einfluss auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung] Nataliya Borys, M.A. Universität Genf / 1. Januar – 14. Februar 2020 Verena Bunkus, M.A. Soviet Ukrainian–Polish academic collaboration among Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt / historians: academic connections, transnational exchanges Februar – März 2020 and scholar networks (1960s–1990) Deutscher Osten, polnischer Westen. Zur Konstruktion deutsch-polnischer Räume 1890–1940 – eine Wissensge- Yahor Surski, M.A. schichte Nationale Akademie der Wissenschaften Belarus / Januar 2020; 7. September – 6. Dezember 2020 Dr. Ralf Meindl Organization of Trade in Towns of Belarus in the 16–18th Verband der deutschen Gesellschaften in Ermland Centuries und Masuren, Olsztyn / Februar 2020 – Juni 2021 Im Spannungsfeld von Ideologie, Religion, Sprache und Dawid Johann Weber, M.A. regionaler Identität. Die NSDAP im Ermland 1928–1945 Goethe-Universität Frankfurt am Main / Januar – Februar 2020 Zwischen Geopolitik, Publizistik und Nationalismus. Adam Przywara, M.A. Władysław Gizbert-Studnicki (1867–1953) – ein „führender University of Manchester, Großbritannien / Februar – März 2020 polnischer“ Germanophile Rubble Europe: Trans-National History of Rubble Utilisation in the Immediate Postwar Period Mag. Patryk Michał Ryczkowski Göttingen / 6. Januar – 5. März 2020 Dr. Grzegorz Rossoliński-Liebe De Sanctae Romanae Ecclesiae athletis. Pragmatik der Freie Universität Berlin / Februar – März 2020 Konstruktionen von der Heiligkeit polnisch-litauischer Polnische Bürgermeister und die Verwaltung des General- Figuren in der hagiographischen Dichtung der Frühen gouvernements, Besatzung, Judenmord und Kollaboration Neuzeit: der Fall von Jozafat Kuncewicz Dr. Falk Flade Dr. des. Angelika Salzer Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder / September 2020 Johannes-Gutenberg-Universität Mainz / Innovativität und Planwirtschaft? Zur (Un-)Möglichkeit 13. Januar – 12. März 2020 wirtschaftlicher Erneuerung in zentralgeplanten Französische Kriegsgefangene im Lager Lamsdorf Ökonomien am Beispiel der DDR und VRP in den Jahren des Zweiten Weltkrieges Stefan Röpke, M.A. Universität Bielefeld / September – Oktober 2020 Praktiken des Dienens in den Aufzeichnungen Hans von Schweinichens C. Forschungstransfer 63

Dr. Viktoriia Serhiienko Residenzprogramm DHIW-Außenstelle Prag Nationale Akademie der Wissenschaften der Ukraine / September 2020 – Februar 2021 Prof. Dr. Michael G. Müller National Activism and Indifference: Polish Lemkos Aleksander-Brückner-Zentrum für Polenstudien, and Slovakian Ruthenians (1918–1939) Martin-Luther-Universität Halle / Wittenberg 15. Januar – 15. Juni 2020 Aleksei Lokhmatov, M.A Universität zu Köln / 15. September – 14. Dezember 2020 Prof. Dr. Ralph Schattkowsky Reflections on Continuity in Polish Intellectual Culture: Nicolaus-Kopernikus-Universität Thorn / Universität Rostock Transborder Perspective of Post-war Public Discussions, 1. September 2020 – 28. Februar 2021 1945–1956

Sophie Schwarzmaier, M.A. Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder / Praktikantinnen und Praktikanten 20. September – 19. Dezember 2020 Biographische Annäherungen an Transnationalität, Maximilian Peter Geschlechterordnungen und Expertentum in der Wissen- Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig schaft: Józefa Joteyko (1866–1928) zwischen Belgien 7. Januar – 5 April / Bibliothek und Polen Max Krüth Vilius Kubekas, M.A. Universität Potsdam Central European University, Budapest / Oktober – November 2020 17. Februar – 31. März / Forschungsbereich 5 The Emergence of Christian Democracy in Lithuania, 1905–1926: Catholic Intellectuals. The Great War Neele Rother and the Nation-Building Johannes-Gutenberg-Universität Mainz 17. Februar – 10. April / Forschungsbereich 3 Sabina Kubekė, M.A. Justus-Liebig Universität Gießen / Oktober – November 2020 Frederike Hoppmann Acting or Re-acting: Negotiating Local, National Hochschule Fulda and Transnational Dimensions of Sustainability 3. August – 27. September / Forschungsbereiche 3 und 4 in Poland, 1970–1997 Gregor Christiansmeyer Elżbieta Kwiecińska, M.A. Georg-August-Universität Göttingen European University Institute, Florenz / 17. August – 9. Oktober / Forschungsbereich 4 8. Oktober – 7. Dezember 2020 A Civilizing Relay. The Concept of the „Civilizing Mission“ Jannick-Gabriel Piskorski as a Cultural Transfer in East-Central Europe, 1815–1921 Universität Greifswald 17. August – 2. Oktober / Forschungsbereich 4 Andrei Charniakevich Hrodna, Belarus / 19. Oktober – 18. November 2020 Więzienie i naród: państwowy system karny jako współczynnik rozwoju białoruskiego ruchu narodowego (koniec XIX – początek 1930 roku) [Gefängnis und Nation: Das staatliche Strafrechtssystem als Faktor bei der Ent- wicklung der belarusischen Nationalbewegung (vom Ende 19. Jahrhundert bis zum Beginn des Jahres 1930)]

Dr. Natalie Slizh Hrodna, Belarus / 15. Oktober – 14. Dezember 2020 Astrology in the Grand Duchy of Lithuania in the 16th–18th Centuries 64 C. Forschungstransfer

4. Auszeichnungen und Ehrungen

Zweifache Auszeichnung für Ruth Leiserowitz

Für ihre langjährigen Aktivitäten auf dem Gebiet der wis- senschaftlichen Forschung und kulturellen Entwicklung wurde Prof. Dr. Ruth Leiserowitz mit dem Ludwig-Rhe- sa-Kultur- und Kunstpreis 2019 ausgezeichnet. Als eine der ersten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Tho- mas-Mann-Kulturzentrums im Jahr 1995 leistete sie bereits zur Zeit dessen Gründung einen aktiven Beitrag zum inten- siven Kulturaustausch im Ostseeraum. Seit 2009 leitet die stellvertretende Direktorin des DHI Warschau zudem das Internationale Kuratorium des Kulturzentrums in Nida, wo seitdem unter anderem elf Mal das Thomas-Mann-Festival Foto: Aivaras Motuzas stattfand. Zahlreiche Personen aus Kultur und Politik der Prof. Dr. Ruth Leiserowitz Kurischen Nehrung versammelten sich am 11. Januar 2020 in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Juodkrantė (Li- tauen) zur Preisverleihung.

Wenige Wochen später folgte bereits eine zweite be- deutende Ehrung. Für ihr Engagement im Kuratorium des Thomas-Mann-Kulturzentrums wurde Leiserowitz am 16. Februar 2020 mit dem Ritterkreuz des Großfürsten-Ge- diminas-Ordens ausgezeichnet. Diese mit dem Bundesver- dienstkreuz erster Klasse vergleichbare Staatsauszeich- nung wurde ihr vom Litauischen Staatspräsidenten in einer feierlichen Zeremonie im Präsidialamt der Republik Litau- en verliehen. Foto: Aivaras Motuzas Foto: Michael Leiserowitz Quelle: Wikimedia Commons C. Forschungstransfer 65

5. Sonstiges

Ausgezeichnete Übersetzung Online-Gesprächsreihe zum Thema Visual History

In der diesjährigen sechsten Ausgabe des Susanna-Roth-Über- In dem neuen Format einer Online-Gesprächsreihe, die aus setzungswettbewerbs hat Artur Koczara, Mitarbeiter der mehreren ca. achtminütigen Folgen besteht, wird das Thema Institutsbibliothek, den dritten Platz belegt. Ausgezeich- Visual History seit Dezember unter sehr unterschiedlichen net wurde er am 29. Mai, der erste Preis ging an Aleksandra Aspekten mit wechselnden Gästen besprochen. Anlass ist Wójcik. Der Wettbewerb wird von den Tschechischen Zen- die Veröffentlichung des polnischsprachigen Buches Histo- tren und dem Tschechischen Literaturzentrum organisiert ria wizualna. Obrazy w dyskusjach niemieckich historyków und richtet sich an angehende Übersetzerinnen und Über- [Visual History. Bilddebatten deutscher Historiker ], her- setzer unter 40 Jahren, die bisher noch keine eigene Über- ausgegeben von Magdalena Saryusz-Wolska. Im Rahmen setzung aus dem Tschechischen in Buchform veröffentlicht der Serie entstehen kurze Videointerviews sowohl mit Au- haben. torinnen und Autoren des Buches als auch mit weiteren polnischen und europäischen Forschenden, die sich mit Zur Übersetzung erhalten alle Teilnehmenden dasselbe Ro- diesem Thema beschäftigen. Diskutiert wird über das Er- manfragment, in diesem Jahr einen Auszug aus dem Buch zählen durch Bilder, die Verwendung von visuellem Mate- Vytěženej kraj von Veronica Bendová (Prag 2019). In jedem rial als historische Quellen sowie über die Besonderheiten der teilnehmenden Länder (Österreich, Belarus, Bulgarien, vergangener visueller Kulturen. Dank seines breiten Um- Kroatien, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien, Japan, fangs und im Dialog mit anderen geisteswissenschaftlichen Litauen, Mazedonien, Polen, Russland, Rumänien, Ukraine Disziplinen eröffnet das Konzept der Visual History neue und Großbritannien) kürt eine lokale Fachjury anschlie- Möglichkeiten des Nachdenkens über die Vergangenheit. ßend die beste Arbeit. Benannt ist der Wettbewerb nach der renommierten Schweizer Bohemistin und Übersetzerin Die Reihe startete mit einem Gespräch mit der Herausge- Susanna Roth (1950–1997), die einen bedeutenden Beitrag berin. Darin gibt sie einen Überblick über die Themen der zur Förderung der zeitgenössischen tschechischen Litera- Publikation und erklärt, warum methodologische Fragen tur im Ausland geleistet hat. und eine Auseinandersetzung mit dem Thema Visual His- tory so bedeutend sind. In den folgenden Episoden wer- den unter anderem der polnische Historiker Piotr Witek sowie die deutschen Forscher:innen Annette Vowinkel und Judith Keilbach zu Gast sein. Links zu allen Gesprächen sind auf der Internetseite des Instituts in der Rubrik „Aktu- elle Meldungen“ zu finden.

Artur Koczara

Ein amerikanischer Soldat fotografiert seine Verlobte im zerstörten Berlin. Foto N.N., Heute Nr. 34 (1947), S. 20. 66 C. Forschungstransfer

Neues Residenzprogramm in Prag „Klio w Niemczech“ jetzt auch digital

Die Außenstelle des DHI Warschau in Prag verfügt nicht Die Bände 15 bis 20 der Reihe „Klio w Niemczech“ sind nur über Büroräume, sondern auch über eine Wohnung, nun digital im Open Access erhältlich. Über das Portal die seit 2020 im Rahmen des neu initiierten Residenzpro- perspectivia.net, die Online-Publikationsplattform der gramms zur Verfügung gestellt wird. Der erste Gastwissen- Max Weber Stiftung, finden sich neben den vollständigen schaftler vor Ort war von Januar bis Juni Prof. Dr. Michael E-Books auch Zusammenfassungen der Bücher zum kos- G. Müller (Halle / Saale). In Prag führte er Arbeiten für sei- tenlosen Download. In der Reihe „Klio w Niemczech“ [Klio ne geplante Monografie zum Religionsfrieden im Europa in Deutschland] veröffentlicht das DHI Warschau wegwei- des 16. Jahrhunderts fort. Durch Recherchen in der Natio- sende Studien der deutschen Geschichtswissenschaften in nalbibliothek und durch Konsultationen Prager Kollegin- polnischer Übersetzung. Die sechs Bände, die nun online nen und Kollegen gelang es ihm, insbesondere Wissens­ zur Verfügung stehen, widmen sich der Geschichte der Re- lücken in Bezug auf Böhmen zu schließen. Den Ertrag formation im 16. Jahrhundert (Heinz Schillig), der histori- seines Forschungsaufenthalts in Prag stellten Entwürfe zu schen Geschlechterforschung (Karin Hausen), dem „Zeital- zwei Kapiteln seiner Publikation dar. Die in Prag gewon- ter der Intelligenz“ (Denis Sdvižkov), Berichten deutscher nenen Einsichten lieferten neuen Stoff und gaben dem Reisender in Frankreich und Polen in der Zeit zwischen bereits vorformulierten Argument eine schärfere Kontur. 1750 und 1850 (Bernhard Struck), der Rolle des Körpers und der Medizin im 18. Jahrhundert (Barbara Duden), so- Als nächster Gast hat Prof. Dr. Ralph Schattkowsky (Rostock wie der Geschichte des polnischen Adels in der zweiten und Thorn) zum 1. September die Wohnung der DHIW-Au- Hälfte des 16. Jahrhundert (Gottfried Schramm). ßenstelle Prag bezogen. Während des sechsmonatigen Aufenthalts forscht er zur Person Josef Pfitzners, einem Bd. 15: Heinz Schilling: Jedność i różnorodność Europy deutschen Historiker aus Brünn und nationalsozialistischen we wczesnej epoce nowożytnej: religia – społeczeństwo – Kommunalpolitiker, der als Mediävist die erste umfangrei- państwo, Warschau 2010, DOI: 10.25360/01-2020-00000. che Biografie von Witowt / Witold / Vytautas dem Großen Bd. 16: Karin Hausen: Porządek płci. Studia historyczne, verfasste. In der Protektoratszeit bekleidete er das Amt des Warschau 2010, DOI: 10.25360/01-2020-00001. stellvertretenden Bürgermeisters von Prag, nach dem Krieg Bd. 17: Denis Sdvižkov: Epoka inteligencji. Historia porów- wurde er als Vertreter der NS-Herrschaft hingerichtet. nawcza warstwy wykształconej w Europie, Warschau 2011, DOI: 10.25360/01-2020-00002. Bd. 18: Bernhard Struck: Nie Zachód, nie Wschód. Francja i Polska w oczach niemieckich podróżnych w latach 1750– 1850, Warschau 2012, DOI: 10.25360/01-2020-00003. Bd. 19: Barbara Duden: Historia ciała. Lekarz i jego pacjent- ki w osiemnastowiecznym Eisenach, Warschau 2014, DOI: 10.25360/01-2020-00004. Bd. 20: Gottfried Schramm: Szlachta polska wobec reformacji 1548–1607, Warschau 2015, DOI: 10.25360/01-2020-00005. Foto: Privatarchiv Prof. Dr. Michael G. Müller

Prof. Dr. Ralph Schattkowsky C. Forschungstransfer 67

Virtueller institutsrundgang

Das Frühjahr 2020, in dem die DHIW-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überwiegend von zu Hause aus arbeiteten, markierte den Beginn einer mehrteiligen Filmreihe zur Vorstellung der Institutsräume. In insgesamt sechs Film- sequenzen bekommen Interessierte die Möglichkeit, an virtuellen Führungen durch die Räumlichkeiten unseres Warschauer Hauptsitzes, die Bibliothek und unsere Außen- stellen in Vilnius und Prag teilzunehmen. Im ersten Teil führt Institutsdirektor Miloš Řezník durch die Räumlichkei- ten des DHI Warschau. Am Empfang, der ersten Anlauf- stelle für Besucherinnen und Besucher, verrät er Details zum historischen Gebäude und präsentiert die Bibliothek. Miloš Řezník Der zweite Film öffnet die Türen zur ersten Etage des Kar­ nicki-Palais, erlaubt einen Blick in das Büro des Direktors und zeigt den prunkvollen Spiegelsaal. Der dritte Teil nimmt Zuschauer:innen mit in die historischen Kellerräume des DHI Warschau, wo sich das Institutsarchiv befindet. Die Besichtigung der Bibliotheksmagazine wurde damit zum ersten Mal einem breiten Publikum ermöglicht – wenn auch virtuell. Im Fokus des vierten und letzten Teils der digitalen Führung durch die Warschauer Geschäftsstelle stehen die Schreibtische der wissenschaftlichen Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter sowie der Tagungsraum in der dritten Etage. Doch die virtuelle Institutsvorstellung endet nicht mit der Vorstellung des Warschauer Hauptsitzes. Ein weiterer Kurzfilm blickt nach Vilnius, wo sich seit Ende 2017 eine unserer beiden Außenstellen befindet. Leiterin Gintarė Malinauskaitė Gintarė Malinauskaitė gewährt darin einen Blick hinter die Kulissen unserer Außenstelle in der litauischen Hauptstadt, wo insbesondere Forschungen zur Geschichte Litauens im mittel- und osteuropäischen Kontext im Mittelpunkt ste- hen. Den Abschluss der Reihe bildet eine Führung durch den Sitz unserer zweiten Außenstelle: In Prag öffnet unser wissenschaftlicher Mitarbeiter Zdeněk Nebřenský die Tür zu den Räumlichkeiten in der Valentinská-Straße, wo sich seit Frühjahr 2018 alles um Forschungen zur tschechischen, deutschen und polnischen Geschichte im europäischen Kontext dreht. 68 C. Forschungstransfer

Video zum Welttag des Buches: Bibliothek: Kostenloser Scan-Service Vorstellung von vier Publikationen während der Covid-19-Pandemie

Anlässlich des UNESCO-Welttags des Buches am 23. April Aufgrund der Schließzeiten während der Covid-19-Pan- haben unsere wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und demie bietet die Bibliothek des DHI Warschau seit dem Mitarbeiter vier Bücher vorgestellt. Die Auswahl fiel auf 1. Juni 2020 einen kostenlosen Scan-Service an. Damit ist vier Publikationen unterschiedlicher Themenbereiche, es möglich, sich auf digitalem Wege Texte aus dem Be- die unsere aktuelle wissenschaftliche Arbeit am Institut stand der Bibliothek nach Hause zu holen. Das Angebot auf verschiedenen Ebenen bereichert haben. Neben einer ist bei den Benutzerinnen und Benutzern vor Ort sowie deutschen und einer polnischen Publikation waren auch international auf hohes Interesse gestoßen. Insbesondere ein französischer und ein litauischer Band vertreten. vor dem Hintergrund der europaweiten Schließungen vie- ler wissenschaftlicher Bibliotheken und Archive wird der Scan-Service sehr gut angenommen. Bis zum Jahresende sind insgesamt 200 Bestellungen ausgeführt und – unter Berücksichtigung des Urheberrechts – digitale Kopien im Umfang von mehr als 10.000 Seiten angefertigt worden. Um das elektronische Angebot zu erweitern, erwirbt die Bibliothek des DHI Warschau darüber hinaus zusammen mit den anderen Bibliotheken der Max Weber Stiftung eine große Anzahl von E-Books. Dadurch wird der steigende Bedarf während der Heim- und Telearbeit in der wissen- schaftlichen Forschung unterstützt.

Sabine Jagodzinski Foto: Jan Binek, Karnicki-Palais, Ujazdowska Allee, 1934 | Quelle: Polona 70 C. Forschungstransfer

6. Bibliothek

Im Jahr 2020 betrug der Etat der Bibliothek 100.000 €. Ins- Durch den ständigen Zuwachs des Buchbestands geriet gesamt wurden 2.296 Neuzugänge verzeichnet, darunter die Kompaktanlage im Freihandbereich der Bibliothek im 2.113 Bücher und 183 Zeitschriftenbände. Der Gesamtbe- Berichtsjahr allmählich an ihre Kapazitätsgrenze. Um die stand erhöhte sich infolgedessen auf 93.387 Bände (65.539 dortige Gruppenaufstellung weitgehend erhalten zu kön- bibliografische Einheiten), bei 297 laufend gehaltenen nen, wurde die Sachgruppe 4.12 (Nationalgeschichten au- Zeitschriften. Für den Erwerb von Datenbanken sowie ßer deutscher und polnischer Geschichte) in einem neuen von elektronischen Zeitschriften und Zeitungen wurden Raum, neben dem Lesesaal, untergebracht. 19.033 € ausgegeben. 14,89 % des allgemeinen Buchetats entfielen auf die Anschaffung von E-Books, konkret 14.890 €. Im Rahmen der konsortialen Erwerbung der Max Weber Stiftung wurden 1.227 E-Books in den Bestand aufgenom- men. Ferner wurden von der Bibliothek in Płock folgende historische Zeitungsbestände in digitaler Form erworben, die nun auf dem Institutsserver zur Verfügung stehen: 1. Südostpreußische Tageszeitung (Fortsetzung von: Plocker Tageblatt), Jahrgänge 1941–1945; 2. Nowy Czas, Jahrgän- ge 1943–1945; 3. Amtliches Kreisblatt für den Kreis und die Stadt Plock (Südostpreußen), Jahrgang 1940.

Außerdem konnten 228 Bände (überwiegend laufend ge- haltene Zeitschriften sowie beschädigte Monografien oder Sammelwerke) zum Buchbinder gegeben werden. Ausge- sondert wurden 530 Bände. Bis zur pandemiebedingten Schließung im März zählte die Bibliothek im Berichtsjahr 138 auswärtige Leserinnen und Leser. Für die Öffentlich- keit war die Bibliothek seit dem 13. März geschlossen. Das Bibliothekspersonal arbeitete überwiegend im Home­ office. Gleichzeitig konzentrierte sich die Erwerbung zu- nehmend auf E-Books und weitere digitale Ressourcen. Während der Zeit der Schließung bestand für Nutzerinnen und Nutzer anderer polnischer Bibliotheken die Möglich- keit, benötigte Bücher per Ortsleihe zu bestellen. Insge- samt wurden so 76 Bände ausgeliehen. Seit dem 15. Juni bot die Bibliothek einen kostenlosen Scan-Service in Über- einstimmung mit dem polnischen Urheberrechtsgesetz an. Bis zum Jahresende gingen insgesamt 200 Bestellungen von 71 Nutzer:innen ein. Es wurden 748 Scans mit insge- samt 10.790 Seiten ausgeliefert. Für die Mitarbeiter:innen, Stipendiat:innen und Praktikant:innen blieb die Bibliothek in vollem Umfang aktiv und konnte somit gute Assistenz für die laufenden Forschungsarbeiten leisten. C. Forschungstransfer 71

Foto: Henryk Poddębski, Ujazdowska Allee, 1936 | Quelle: Polona Foto: Ujazdowska Allee, 1912 | Quelle: Polona