Rote Liste Der Schnecken Und Muscheln (Mollusca) Thüringens
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Rote Liste der Schnecken und Muscheln (Mollusca) Thüringens Rhön-Quellschnecke, Bythinella compressa, Fischbach, Rhön, 1997. (Aufn. F. JuliCh) 75 Rote Liste der Schnecken und Muscheln (Mollusca) Thüringens 3. Fassung, Stand: 04/2011 ulrich Bössneck und Dietrich von knorre Einleitung Die im Binnenland Deutschlands bislang rezent hohen Zahl stenöker Arten sind Mollusken ins- nachgewiesenen 369 Molluskenarten gehö- besondere durch einen kleinen Aktionsradius ren ausschließlich zu den Schnecken und Mu- und stark eingeschränkte aktive Ausbreitungs- scheln (JungBluth & von knorre 2009). Während möglichkeiten gekennzeichnet. Diese geringe viele Vertreter dieser zwei artenreichsten Klas- Flexibilität bei gleichzeitig hohem Spezialisie- sen der Weichtiere marin leben, besiedeln sie rungsgrad führt unter Umständen bereits bei darüber hinaus auch brackische, limnische und unbedeutend erscheinenden Veränderungen terrestrische Habitate. Da in den letzten Jahr- der Lebensbedingungen zu merklichen Ver- zehnten Ökologie und Verbreitung der einzel- änderungen der Mollusken-Gemeinschaften. nen Arten immer besser bekannt wurden, gel- Dies kann von einer Verringerung der Individu- ten Muscheln und Schnecken mittlerweile als endichten bis zum Aussterben einzelner Arten nahezu ideale Indikatorgruppen. Neben einer reichen. Durch die Erhaltungsfähigkeit der bei Lebensraum wertvoller Großmuschelarten – naturnaher, mit mehreren tiefen Kolken ausgestatteter Abschnitt der Rodach zwischen Thüringen und Bayern. (Aufn. u. BössneCK) 76 den meisten Arten vorhandenen Kalkgehäu- se in chemisch neutraler oder basischer Um- gebung lassen sich zudem ehemals vorhande- ne Mollusken-Gemeinschaften rekonstruieren und damit Beeinträchtigungen und Sukzes- sionsabläufe in der Vergangenheit deutlich machen. Manche Mollusken bilden Ökophä- notypen aus, die gleichfalls Rückschlüsse auf bestimmte Einwirkungen erlauben. Daneben lassen sich direkte Schädigungen durch Um- welteinflüsse ableiten. So reagieren Großmu- Für den Erhalt des Bestandes der Zwergheideschnecke, Xerocrassa schelbestände auf Eutrophierung und Sauer- geyeri, trägt Thüringen eine globale Verantwortung. (Aufn. F. JuliCh) stoffmangel durch verminderte Fertilität bzw. gänzliches Erlöschen der Reproduktion. Auch weisen viele Molluskenarten unter ungünsti- gen Bedingungen eine stark verringerte Wider- standsfähigkeit gegenüber Ekto- und Endopa- rasiten auf. Weiterhin lassen sich beispielsweise die Auswirkungen sauren Niederschlags auf die Gehäuse fels- und baumbewohnender Schnecken durch stärkere Korrosion nachwei- sen. Dieser Empfindlichkeit gegenüber ungün- stigen Umwelteinflüssen stehen oft äußerst geringe (Wieder-)Besiedlungsgeschwindigkei- ten gegenüber. Vermutlich dauert es Jahrhun- derte, bis sich in zwischenzeitlich stark beein- trächtigten Habitaten eine durch natürliche Wiederbesiedlung regenerierte Mollusken-Le- Die Zweizähnige Puppenschnecke, Pupilla bigranata, wurde 2009 bensgemeinschaft zusammenfindet. auf einer sehr kleinen Fläche erstmals in Thüringen nachgewiesen. Den Arten mit enger Biotopbindung steht eine (Aufn. F. JuliCh) geringere Zahl anspruchsloser Arten gegen- über, die teilweise sogar synanthrop leben. De- ren oftmals enormes passives Verbreitungs- potential kann zu individuenreichen, aber oft relativ artenarmen Mollusken-Lebensgemein- schaften führen, die meist in der Kulturland- schaft siedeln. In derartigen Habitaten sowie im Süßwasser finden sich mit stark zunehmen- der Tendenz auch fremdländische Arten ein, von denen sich in Thüringen schon mehrere dauerhaft etablieren konnten. Verlandungszonen, sumpfige Gräben und periodische Waldtümpel Aufgrund der Eignung und zunehmenden Ak- sind der Lebensraum der Sumpf-Kugelmuschel, Sphaerium nuc- zeptanz von Mollusken als Bioindikatoren wer- leus, einer in Thüringen vom Aussterben bedrohten Kleinmuschel- den diese mittlerweile regelmäßig beim Bio- art. (Aufn. F. JuliCh) topmanagement oder bei längerfristigen Monitoring-Programmen genutzt. Auch bei Lebensgemeinschaften und/oder Vorkommen der Beurteilung und Bewertung von Eingrif- bestandsgefährdeter Formen eine immer grö- fen, bei der Aufstellung von Pflegeplänen und ßere Rolle. nicht zuletzt bei Schutzgebietsausweisungen Aus Thüringen sind, am Großen Kalm bei Eh- spielen artenreiche, biotoptypische Mollusken- renstein einschließlich einiger seit länge- 77 rer Zeit ausgestorbener Arten, insgesamt 216 gewässer besiedelnde Arten hat sich die Si- Mollusken-Taxa [entspricht ca. 2/3 der Arten tuation seit 2001 nicht wesentlich verändert. an Binnenmollusken Deutschlands (JungBluth Kenntniszuwachs führte zur Herabstufung ei- & von knorre 2009)] bekannt, darunter 20 Neo- niger Arten (z. B. Bithynia leachii und Segmen- zoen. Hiervon zählen 142 zu den Landschnek- tina nitida, beide in die Kategorie 3 und Pisidi- kenarten, 44 Schnecken- wie auch 30 Muschel- um globulare in die Kategorie 2). Einzig bei der arten leben im Wasser. Bemerkenswerterweise Häubchenmuschel (Musculium lacustre) dürf- erreichen eine Muschel- und 39 Schneckenar- te eine tatsächliche Bestandserholung erfolgt ten in Thüringen ihre Arealgrenzen. sein, in deren Folge die Art nicht weiter in der Gegenüber der 2. Fassung der Roten Liste der Roten Liste geführt wird. Bei einigen vorran- Schnecken und Muscheln Thüringens hat sich gig Fließgewässer bewohnenden Mollusken ist der Kenntnisstand deutlich verbessert (2001: eine merkliche Entspannung der Gefährdungs- 204 Arten für Thüringen bekannt; Bössneck & von situation seit 2001 zu beobachten. Für drei im knorre 2001). Bei den neu hinzu gekommenen Jahr 2001 noch als ausgestorben geltende Ar- Taxa handelt es sich teils um Neunachweise bis- ten, Gemeine Kahnschnecke (Theodoxus flu- her übersehener autochthoner Arten (z. B. Ani- viatilis), Kleinste Erbsenmuschel (Pisidium te- sus spirorbis, Morlina glabra, Omphiscola glabra, nuilineatum) und Dreieckige Erbsenmuschel Oxyloma dunkeri, Pupilla bigranata, Valvata ma- (Pisidium supinum) wurden in der Kleinen Hel- crostoma) oder um in Thüringen im Berichts- me im Kyffhäuserkreis einzelne Lebendfunde zeitraum eingeschleppte Neozoen. In einigen erbracht. Inwieweit es sich dabei um Wiederbe- Fällen ergaben sich zudem Änderungen auf- siedlungen oder um Nachweise übersehener grund neuerer taxonomischer Forschungser- Restvorkommen handelt, muss offen bleiben. gebnisse, die zur Aufspaltung von Artkomple- Die Bestände zweier Großmuschelarten ha- xen führten (z. B. Arion fuscus, Sphaerium ovale). ben in den letzten 10 Jahren in Thüringen auf- So erwiesen sich alle anatomisch untersuch- grund der verbesserten Wasserqualität wieder ten Exemplare aus dem Arion-subfuscus-Kom- deutlich zugenommen. So konnte die Gemei- plex als zu Arion fuscus gehörig. Der vorher für ne Teichmuschel (Anodonta anatina) (vorher Thüringen genannte Arion subfuscus im enge- Kategorie 3) mittlerweile ganz aus der Roten ren Sinne ist dagegen nach gegenwärtigem Liste entlassen werden, für die Malermuschel Kenntnisstand westeuropäisch verbreitet und (Unio pictorum), die sich derzeit in der Unstrut bislang aus dem Freistaat nicht belegt. Gyrau- wieder ausbreitet, wurde eine Abstufung in die lus riparius musste gestrichen werden; der ein- Kategorie 2 vorgenommen. Bei den Arten der zige Beleg aus Thüringen war fehlbestimmt. Feucht-Lebensräume gab es im Vergleich zur Einer besonders hohen Gefährdung unterlie- Gefährdungssituation von 2001 keine wesent- gen nach wie vor Landschnecken trockenwar- lichen Veränderungen. Für nahezu alle Arten mer Lebensräume sowie Süßwassermollusken. dieser ökologischen Gruppe wurden die in der Als wichtigste Gefährdungsursache für Licht 2. Auflage der Roten Liste getroffenen Einstu- und Wärme benötigende Offenlandarten gilt fungen beibehalten. unverändert die Nutzungsauflassung ehema- Neu ist hingegen die merklich angestiegene liger Schaftriften und Mähwiesen an Trocken- Gefährdung der Landschneckenarten, die Wäl- hängen und auf Felsheiden. Hauptursache der und Waldfelsen besiedeln. Die Ursachen da- dieses Artenrückgangs ist das stärkere Auf- für sind noch nicht genau bekannt. Neben der kommen der Vegetation bis hin zur Sukzession nicht ausreichenden Verfügbarkeit von liegen- von Gehölzen. Gegenüber den Einstufungen in dem Totholz sind weitere bislang unbekannte der zweiten Fassung der Roten Liste (Bössneck & Faktoren dafür anzunehmen. Bei einigen die- von knorre 2001) konnten daher in keinem Fall ser Arten dürften auch die veränderten Bewer- Rückstufungen, allerdings mussten auch kei- tungskriterien zur Einstufung in die Rote-Li- ne Höherstufungen vorgenommen werden. ste-Kategorien eine Rolle spielen. So mussten Differenzierter erscheint die Situation der lim- Clausilia pumila, Daudebardia rufa, Deroceras nischen Schnecken und Muscheln. Für Stand- rodnae, Semilimax semilimax, Tandonia rustica 78 und Abida secale erstmals in eine Kategorie der Roten Liste aufgenommen werden, die Letzt- genannte sogar in die Kategorie 2. Vier weitere Arten mit dieser Lebensweise wurden von „Ge- fährdet“ auf „Stark gefährdet“ höher gestuft: Azeca goodalli, Clausilia dubia, Mediterranea de- pressa und Ruthenica filograna. Als Besiedler beschatteter Kalkfelsen ging der thüringische Bestand der Geradmund-Schließmundschnec- ke (Cochlodina orthostoma) soweit zurück, dass nur die Höherstufung in die Kategorie 1 in Fra- ge kam. Als Kriterium für die Aufnahme von Arten in die Kategorie „Ausgestorben, ausgerottet oder verschollen“ wurde das Fehlen aktueller Nach- weise nach dem Jahr 1990 festgelegt. Für die Großmuscheln aus der Rodach: links lebende Gemeine Teichmu- Abgrenzung des Betrachtungszeitraumes