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Die Steppe lebt

Felssteppen und Trockenrasen in Niederösterreich

Heinz Wiesbauer (Hrsg.) Die Steppe lebt

ISBN 3-901542-28-0 Die Steppe lebt

Felssteppen und Trockenrasen

in Niederösterreich

Heinz Wiesbauer (Hrsg.)

Mit Beiträgen von Roland Albert, Horst Aspöck, Ulrike Aspöck, Hans-Martin Berg, Peter Buchner, Erhard Christian, Margret Bunzel-Drüke, Manuel Denner, Joachim Drüke, Michael Duda, Rudolf Eis, Karin Enzinger, Ursula Göhlich, Mathias Harzhauser, Johannes Hill, Werner Holzinger, Franz Humer, Rudolf Klepsch, Brigitte Komposch, Christian Komposch, Ernst Lauermann, Erwin Neumeister, Mathias Pacher, Wolfgang Rabitsch, Birgit C. Schlick-Steiner, Luise Schratt-Ehrendorfer, Florian M. Steiner, Otto H. Urban, Henning Vierhaus, Wolfgang Waitzbauer, Heinz Wiesbauer und Herbert Zettel

St. Pölten 2008 Die Steppe lebt – Felssteppen und Trockenrasen in Niederösterreich Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung in Hainburg an der Donau

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 3-901542-28-0

Die Erstellung des Buches wurde aus Mitteln von LIFE-Natur gefördert. LIFE-Natur-Projekt „Pannonische Steppen und Trockenrasen“ Gestaltung: Manuel Denner und Heinz Wiesbauer Lektorat: caout:chouc Umschlagbilder: Heinz Wiesbauer Druck: Gugler Druck, Melk Medieninhaber: Amt der NÖ Landesregierung, Abteilung Naturschutz Landhausplatz 1 A-3109 St. Pölten Bestellung: Tel.: +43/(0)2742/9005-15238 oder [email protected] © 2008 Autoren der jeweiligen Beiträge, Bilder: Bildautoren Sämtliche Rechte vorbehalten Inhalt

1. Einleitung 5

2. Eiszeitliche Steppen und Großsäuger 9 2.1 Was ist Eiszeit? 11 2.2 Die Tierwelt der Eiszeit 14 2.3 Der Einfluss von Großherbivoren auf die Naturlandschaft Mitteleuropas 17

3. Veränderungen der Kulturlandschaft im Osten Niederösterreichs 27 3.1 Prähistorische Zentralorte im Großraum Carnuntum 29 3.2 Die ur- und frühgeschichtliche Entwicklung am Beispiel von Stillfried 35 3.3 Das römische Carnuntum 47

4. Mikrokosmos Trockenrasen 57 4.1 Die Pflanzenwelt der Steppen Niederösterreichs: Flora und Vegetation Standortsvielfalt und Gefährdung 59 4.2 Anpassungen von Pflanzen an trockene Standorte 87 4.3 Säugetiere der Trockenrasen 101 4.4 Trockenrasen in der mitteleuropäischen Kulturlandschaft – Rückzugsgebiete auch für die Vogelwelt 109 4.5 Reptilien der Trockenrasen 115 4.6 Schnecken der Trockenrasen 121 4.7 Zwerge und Riesen unter dem Rasen 125 4.8 Heu- und Fangschrecken der Steppen- und Trockenrasen 129 4.9 Von großen und kleinen Minnesängern: die Zikadenfauna der pannonischen Trockenrasen 139 4.10 Manche mögen’s heiß: Wanzen in Trockenrasen 143 4.11 Fanghaft, Schmetterlingshaft und Ameisenlöwen auf mitteleuropäischen Trockenrasen 153 4.12 Käfer der Trockenlandschaft 159 4.13 Wildbienen (Apidae) pannonischer Trockenrasen 167 4.14 Wespen pannonischer Trockenrasen (Mutillidae, Chrysididae, Pompilidae, Sphecidae, Crabronidae) 172 4.15 Ökologische Giganten, Spezialisten und Informanten: die Ameisen der Trockenrasen Niederösterreichs 177 4.16 Schmetterlinge pannonischer Trockenrasen 185 4.17 Kleinschmetterlinge – Was sind das? 197 4.18 Pusztazwerge und Steppenwölfe – die Spinnenfauna der pannonischen Magerrasen 209 4.19 Gefährdung und Pflege der Trockenstandorte 219

Inhaltsverzeichnis 3 Die Steppe lebt – Felssteppen und Trockenrasen in Niederösterreich Ausstellung in der Kulturfabrik in Hainburg an der Donau Leitung der Kulturfabrik: Markus Wachter

Kurator: Heinz Wiesbauer Ausstellungsarchitektur: Judith Moser und Johann Moser (BWM Architekten und Partner) Ausstellungsgrafik: Toledo i Dertschei mit Lena Artaker Gestaltung Themenbereich Ur- und Frühgeschichte: Ernst Lauermann Gestaltung Themenbereich Kelten- und Römerzeit: Franz Humer Gestaltung des Felstrockenrasens: Lars Mandler Betreuung der Lebendpflanzen: Botanischer Garten der Universität Wien Modellbau: Gesine Kliesch, Lars Mandler, Klaus Leitl Videos zu Tiere und Pflanzen: Heinz Wiesbauer Videos zur Römerzeit: 7reasons

Beratung: Roland Albert Horst Aspöck Hans-Martin Berg Peter Buchner Manuel Denner Rudolf Eis Karin Enzinger Ursula Göhlich Margit Gross Mathias Harzhauser Johannes Hill Werner Holzinger Franz Humer Christian Komposch Matthias Pacher Wolfgang Rabitsch Luise Schratt-Ehrendorfer Otto H. Urban Wolfgang Waitzbauer Herbert Zettel

Leihgeber: Naturhistorisches Museum Wien Oberösterreichisches Landesmuseum Niederösterreichisches Landesmuseum Firma Somso

4 Heinz Wiesbauer Hundsheimer Berg Einleitung Es heißt: sich tarnen, flüchten, fressen oder gefressen werden. Und dieser tägliche Über- Wenn wir das Wort „Steppe“ hören, so den- lebenskampf wird durch eindrucksvolle ken wir zunächst an die großen Trockenge- Bilder, Filme und Tiermodelle vermittelt. Ge- biete der Erde. Dass es aber auch bei uns zeigt werden auch faszinierende Anpassun- vergleichbare Lebensräume mit einer hoch gen von Pflanzen und Tieren an die extreme spezialisierten Tier- und Pflanzenwelt gibt, Trockenheit dieser Lebensräume. mag ein wenig verwundern. Einen thematischen Schwerpunkt in dieser Das Leben im Trockenrasen, in all seinen Di- Ausstellung nimmt die Siedlungs- und Nut- mensionen, steht im Mittelpunkt der Ausstel- zungsgeschichte des Hainburger Raumes ein, lung „Die Steppe lebt“. Hainburg ist idealer schließlich sind die Trockenrasen im näheren Standort für diese Schau, finden sich doch Umfeld meist auch ein Produkt der menschli- im näheren Umfeld wertvollste Felssteppen chen Nutzung. und Trockenrasen mit einer weit zurückrei- chenden Nutzungsgeschichte. Im vorliegenden Begleitband zur Ausstellung sind weiterführende Informationen zum Die Ausstellung bietet außergewöhnliche Ein- Thema „Trockenrasen“ enthalten. Der Bogen blicke in die Welt der Gräser und Kräuter, in spannt sich von den eiszeitlichen Steppen der Insekten und Spinnen den Ton angeben. über die Einflüsse des Menschen auf die Kul-

Einleitung 5 Spitzerberg in Prellenkirchen turlandschaft bis hin zur faunistischen und grundlage für große Pflanzenfresser wie vegetationsökologischen Bedeutung der Mammut, Wollnashorn, Bison, Ren, Elch und Trockenstandorte. Riesenhirsch. Mit wärmer und feuchter wer- dendem Klima in der Nacheiszeit breiteten Eiszeitliche Steppen sich hier allmählich Gehölze aus und die typi- schen Großsäuger der Kaltzeit zogen sich Steppen im Osten Österreichs – das gab es zurück oder wurden vom Menschen ausge- hier vor geraumer Zeit sogar großflächig: rottet. Während der Kaltzeiten im Glazial war an den Polkappen und im Gebirge viel Wasser Das Werden der Kulturlandschaft gebunden, sodass es nur wenige Nieder- schläge gab. Die nicht vergletscherten Berei- Waldfreie Trockenstandorte würde es im pan- che Mittel- und Osteuropas waren durch eine nonischen Raum ohne menschliche Nutzung Tundrenlandschaft geprägt, die auch als nur kleinflächig geben. Es war der Mensch, Mammut- oder Lösssteppe bezeichnet wird. der diese Gebiete über die Jahrtausende Wegen der Dauerfrostböden gab es keine durch Rodung und Beweidung geprägt hat. Bäume, wohl aber eine üppige Vegetation, die mit alpinen Rasengesellschaften ver- Am Beispiel der Hainburger Berge lassen sich gleichbar ist. Die hier wachsenden Gräser, die nutzungsbedingten Einflüsse, beginnend Kräuter und Sträucher waren Nahrungs- von der Jungsteinzeit bis in unsere Zeit, ein-

6 Einleitung Heinz Wiesbauer (2x) Hundsheimer Berg drucksvoll darstellen. Besonders stark hat Regenfällen extreme Trockenheit vor. sich das Bild der Kulturlandschaft durch die Viele Pflanzen verfügen über Anpassungen Kelten und einige Jahrhunderte später durch an die Trockenheit: Manche Arten reduzieren die Römer verändert, war doch der Bedarf an die Verdunstung durch einen Wachsüberzug, Holz und landwirtschaftlichen Gütern für die andere sind durch eine starke Behaarung damalige Großstadt Carnuntum sehr hoch. oder dicke Zellwände geschützt. Einige Grä- Beweidung und Mahd haben in der Folge ser sind sogar in der Lage, ihre Oberfläche dazu beigetragen, dass sich hier artenreiche zu verkleinern, indem sie die Blätter einrol- Rasen entwickeln konnten. len. Bestens angepasst sind sukkulente Pflanzen, die auch extremste Standorte er- Widerstandsfähige Pflanzenarten und obern können. Eine andere Überlebensstrate- Hungerkünstler gie besteht darin, das Wachstum in feuchtere Zeiträume zu verlagern und den trockenen Trockenrasen und insbesondere Felssteppen Sommer als Samen zu überdauern. weisen extreme Lebensraumbedingungen auf, die sich aus der Trockenheit des Klimas, In den Hainburger Bergen finden sich viele der geringen Bodenentwicklung und den kar- Besonderheiten, darunter endemische Arten gen Standortverhältnissen ergeben. Der wie die Hainburg-Feder-Nelke. Sie kommt Boden vermag nur wenig Wasser zu spei- nur hier und in den Kleinen Karpaten vor. chern. Meist herrscht schon kurze Zeit nach Zahlreiche Charakterarten sind stark gefähr-

Einleitung 7 Heinz Wiesbauer Hundsheimer Berg det, da die Trockenrasenfläche während der dass im Naturschutzgebiet „Hundsheimer letzten Jahrzehnte massiv abgenommen hat. Berg” 1.315 Schmetterlingsarten bzw. mehr als ein Drittel des österreichischen Spek- Tierwelt im Mikrokosmos Steppe trums nachgewiesen wurden.

Trockenstandorte werden vorwiegend von Die Tierwelt der Trockenstandorte im panno- Lebensraumspezialisten besiedelt, darunter nischen Raum birgt noch immer große Über- viele Wärme liebende Tierarten. So trifft man raschungen. Erst jüngst wurde hier eine hier zahlreiche mediterrane oder pannoni- neue Ameisenart entdeckt und es werden bei sche Arten, die im Osten Österreichs ihre anderen Tiergruppen wohl noch einige Erst- Verbreitungsgrenze erreichen und zum Teil beschreibungen folgen. als nationale Raritäten zu werten sind. Das Bemerkenswerte dabei ist, dass es sich Zu den faunistischen Kostbarkeiten zählen um Natur vor unserer Haustür handelt, über u. a. Ziesel, Wiedehopf, Smaragdeidechse, die die meisten Menschen in der Regel weni- Rote Röhrenspinne, Berghexe, Steirischer ger wissen als über die afrikanische Seren- Fanghaft, Sägeschrecke oder Mohnbiene. geti oder andere exotische Landschaften die- Die Liste an hoch spezialisierten und gefähr- ser Welt. deten Tierarten ist sehr lang, umfasst doch das Faunenspektrum der Trockenrasen meh- Heinz Wiesbauer rere tausend Spezies. Die unermessliche Artenvielfalt verdeutlicht etwa die Tatsache,

8 Einleitung 2.1 geologieMDEfertig:Layout 1 05.04.2008 20:17 Seite 11

2.1 Was ist Eiszeit?

Mathias Harzhauser

In den populären Darstellungen wird der Be- griff „Eiszeit“ vorwiegend mit Gletscherland- schaften assoziiert, durch die Mammuther- den ziehen. Tatsächlich ist „die Eiszeit“ aber eine Abfolge aus kälteren und wärmeren Phasen, die bis zu 100.000 Jahre dauern können. Der Steuerungsmechanismus war lange unverstanden. Heute gilt als gesichert, dass astronomische Zyklen wichtige Schritt- macher des eiszeitlichen Erdklimas sind. Einer dieser astronomischen Zyklen ist der Exzentrizitätszyklus, der durch die Änderung der elliptischen Erdumlaufbahn um die Sonne entsteht und 100.000 Jahre dauert. Die Ge- samtenergie der Strahlungsmenge von der Sonne ändert sich dadurch nur wenig, aber die Verteilung auf der Erdoberfläche variiert deutlich. Bei steigender Exzentrizität wächst die Differenz zwischen dem kleinsten und größten Abstand der Erde von der Sonne, was Auswirkung auf Klima und Saisonalität hat.

Sobald das Eis durch die kühleren Sommer- temperaturen nicht mehr schmilzt, bilden sich ausgedehnte Eisflächen. Da diese wei- ßen Flächen wie Reflektoren das wärmende Sonnenlicht wieder in den Weltraum zurück- strahlen, beginnt ein Rückkoppelungsmecha- nismus, der die Eiszeit noch verstärkt. So- bald die eintreffende Sonnenenergie, den astronomischen Zyklen folgend, wieder einen bestimmten Grenzwert überschreitet, be- ginnt das Eis rasch zu schmelzen. Die frei- werdenden dunklen Bodenflächen erwärmen sich nun rasch. Zusätzlich wird das Treib- hausgas Methan aus den Permafrostböden frei.

Doch diese Mechanismen erklären lediglich den Rhythmus der Eiszeit. Der Auslöser Grafik: Krimhild Repp, Naturhistorisches Museum Wien Krimhild Repp, Grafik: Klimakurve der letzten 1.000.000 Jahre

Eiszeitliche Steppen 11 2.1 geologieMDEfertig:Layout 1 05.04.2008 20:17 Seite 12

Ein 2 Milliarden Jahre alter Stromatolith aus Bolivien: Die darin überlieferten Bakterien erzeugten durch Photosynthese Sauerstoff und waren dadurch mit - verantwortlich für die globale Abkühlung in der Frühzeit der Erde.

selbst ist jedoch noch immer nicht völlig ge- sein. Vor 2,8 Millionen Jahren erlosch im klärt. Ein wichtiger Faktor dafür ist die Ände- Sternbild der Plejaden eine Sonne als Super- rung in der Zusammensetzung der Atmo- nova. 10.000 Jahre lang traf deutlich mehr sphäre. Hohe Kohlendioxidkonzentrationen – kosmische Strahlung die Erde als davor. dem Treibhausgas CO2 – bedeuten Heißzei- Wenn ein sterbender Stern in sich zusam- ten, hohe Sauerstoffkonzentrationen führen menfällt, verursacht er oft einen Gammab- zu Eiszeiten. Das Klima wird aber auch durch litz. Diese Strahlung spaltet Stickstoffmole- die Lage der Kontinente und durch polare küle in der Erdatmosphäre. Stickoxid Meeresströme beeinflusst. Vor allem wird die entsteht und zerstört innerhalb weniger Wo- globale Klimaentwicklung vom Kosmos ge- chen fast die Hälfte der Ozonschicht. Klima- steuert. Extreme Kaltzeiten dürften auch schwankungen setzen ein, die schließlich in durch sterbende Sterne ausgelöst worden einer Eiszeit gipfeln.

Die immer noch andauernde jüngste Eiszeit ist kein solitäres Ereignis in der Erdge- schichte. Tatsächlich prägten Eiszeiten seit über 2 Milliarden Jahren die Erde und die Evolution ihrer Organismen. Die erste und äl- teste Vereisung ereignete sich vor 2,5 Milliar- den Jahren. Durch Bakterien-Photosynthese gelangte zunehmend Sauerstoff in die Atmo- sphäre, und es bildete sich Ozon. Gleichzeitig verbrauchten die Lebewesen bei der Photo- synthese Kohlendioxid. Mit der Reduktion der wärmenden Strahlung sanken auch die Tem- peraturen – erste Eiskappen an den Polen Durch Sandschliff ent- entstanden. Die zweite Vereisungsphase standener Windkanter, ca. 15.000 Jahre alt folgte vor 850 bis 653 Millionen Jahren.

12 Eiszeitliche Steppen 2.1 geologieMDEfertig:Layout 1 05.04.2008 20:17 Seite 13

Jahreszeitliche Warven- schichtung aus einem eiszeitlichen See aus Adelaide in Australien; ca. 700 Millionen Jahre alt Alice Schumacher, Naturhistorisches Museum Wien (3x) Alice Schumacher,

Mehrere extreme, bis 10 Millionen Jahre dau- schlecht sortierte Tillite aus den Schuttabla- ernde Kaltphasen wechselten damals mit gerungen der Gletscher, millimeterdünne kurzen Wärmephasen und verwandelten die Warvenschichtungen in Seesedimenten und Erde in einen „Schneeball“. Ein Faktor für lange Kratzer an den Felsen, die durch mit diese Extremeiszeit könnten erhöhte Verwit- den Gletschern fließende Gesteinsbrocken terungsraten gewesen sein, da bei Verwitte- erzeugt wurden. In den Landschaften Nieder- rung von Silikatgestein Kohlendioxid aus der österreichs ist die letzte Eiszeit durch den Atmosphäre verbraucht wird. Diese gewaltige gelblichen Löss bezeugt. Löss ist ein feinkör- Vereisung markiert auch einen Wendepunkt niger Flugsand, der während der Kaltzeiten für das Leben. Unter dem raschen Klima- als Staub aus den großen Flussbetten ausge- wechsel kam es zum Kollabieren der Popula- blasen und in meterdicken Schichten abgela- tionen der frühen Einzeller. Besonders die gert wurde. In den Warmzeiten bildete die Eisphasen erschwerten das Leben, da unter Vegetation Humusböden, die heute als dem Eispanzer nur wenig Licht für Photosyn- braune Verfärbungen im Löss erkennbar sind. these vorhanden war. Ohne Eintrag vom Land Der Flugsand konnte auch Steine formen. Im fehlten auch viele Nährstoffe. Das Leben war konstanten Wind wirkte der Löss wie ein über Millionen von Jahren durch genetische Sandstrahlgebläse – sogenannte Windkanter Isolation geprägt. Erst nach der Schneeball- sind das Ergebnis. Die Weinviertler Weine, die phase tauchen erste mehrzellige Organismen vielfach auf Lössböden wachsen, sind – wie auf. Auch vor 450, 360 und 300 Millionen der Mensch selbst – echte „Produkte der Eis- Jahren – im Ordovizium, Devon und im Kar- zeit“. bon – bildeten sich dicke Eiskappen. Beson- ders warme Perioden waren die Jurazeit im Univ.-Doz. Mag. Dr. Mathias Harzhauser Erdmittelalter und das Eozän in der Erdneu- Naturhistorisches Museum Wien zeit. Burgring 7 1010 Wien Für den Geologen sind Eiszeiten an den cha- rakteristischen Ablagerungen erkennbar:

Eiszeitliche Steppen 13 2.1 geologieMDEfertig:Layout 1 05.04.2008 20:17 Seite 14

Mammutherde

vergleichen (KOENIGSWALD 2004) und bot damit ein reiches Spektrum an Nahrung für die Pflanzenfresser der Kaltzeiten. Zu den berühmtesten Vertretern der an kal- tes und trockenes Klima angepassten Tier- welt zählen das Mammut (Mammuthus primi- genius), das Wollnashorn (Coelodonta antiquitatis), das Steppenbison (Bison pris- cus) und der Riesenhirsch (Megaloceros gi- ganteus). Natürlich beeindrucken manche

Bild: Franz Roubal, Naturhistorisches Museum Wien Roubal, Bild: Franz dieser Tiere allein durch ihre Größe, andere durch ihre Kälteanpassungen wie dichtes Fell 2.2 Die Tierwelt der Eiszeit oder kleine Ohren, aber ihr Grad an Be- rühmtheit geht vor allem mit der Tatsache Ursula Göhlich einher, dass diese Tierarten allesamt ausge- storben sind. Die Klimaschwankungen im Lauf des Pleisto- zäns haben einen erheblichen Einfluss auf die Hingegen haben andere Vertreter der kalt- geographische Verbreitung der Tier- und zeitlichen Fauna wie Moschusochse (Ovibos Pflanzenwelt sowie auf das Auftreten bzw. moschatus), Rentier (Rangifer tarandus), Aussterben von bestimmten Organismen Rothirsch (Cervus elaphus), Schneehase überhaupt. Sowohl die Kalt- als auch die (Lepus timidus), Lemminge (Lemmus lem- Warmzeiten sind durch typische Faunenver- mus und Dicrostonyx torquatus) sowie Viel- gesellschaftungen charakterisiert, also durch fraß (Gulo gulo) und Eisfuchs (Alopex lago- Tiere, die unter ähnlichen ökologischen Ver- pus) zwar bis heute überlebt, sind aber auf hältnissen gelebt haben. gebirgige oder arktische Biotope zurückge- drängt – eine Folge der Klimaerwärmung Während der Kaltzeiten breitete sich über nach der letzten Kaltzeit und der daraus re- Mitteleuropa großteils eine kontinental ge- sultierenden Verschiebung von Klimazonen prägte Steppenlandschaft aus – die soge- und Lebensräumen. nannte Mammutsteppe. Gletschervorstöße bis nach Zentraleuropa waren auch zu den Die Lebensverhältnisse zu den Warmzeiten Kaltzeiten nur auf relativ kurze Phasen von sahen gänzlich anders aus. Mitteleuropa war einigen tausend Jahren begrenzt. Die übrige wohl flächendeckend mit Wäldern bedeckt, Zeit war die Mammutsteppe überwiegend die Lebensraum für ein anderes Tierspek- eisfrei, aber von einem Dauerfrostboden trum darstellten. Zu diesen warmzeitlichen (Permafrost) geprägt, der einen Baumbe- Tieren des Mittel- und Jungpleistozäns ge- wuchs behinderte. Obwohl die Mammut- hörte auch ein Elefant, der sich aber deutlich steppe wohl zu einem gewissen Grad der vom Mammut unterschied, der Waldelefant heutigen arktischen Tundra ähnelte, unter- (Elephas antiquus). Er übertraf das Mammut schied sie sich durch eine deutlich höhere an Größe und besaß wohl auch kein dichtes pflanzliche Produktion – bedingt durch einen Fell. höheren Sonnenstand. Die Vegetation der Mammutsteppe ist wohl am ehesten mit der Weitere große Pflanzenfresser der Warmzeit- Mattenzone der heutigen Hochgebirge zu fauna waren Nashörner (Stephanorhinus

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kirchbergensis und Stephanorhinus hemitoe- Schädel eines Höhlen- chus), eine Pferdeart (Equus taubachensis), bären Ursus spelaeus (aus der Höhle von der Auerochse (Bos primigenius), der Elch Vypustek, Mähren; (Alces latifrons), der Damhirsch (Dama ca. 35.000 Jahre alt) dama) und der Rothirsch (Cervus elaphus). Als besondere Exoten für die mitteleuropäi- sche Tierwelt des letzten Interglazials sind der Wasserbüffel (Bubalus murrensis) und das Flusspferd (Hippopotamus antiquus) zu nennen. Die nächsten Verwandten dieser bei- den Arten kommen nämlich heute nur im subtropischen Bereich vor. Offensichtlich bot aber Mitteleuropa in der letzten Warmzeit für sie günstige Lebensbedingungen an. Skelett eines 7 Monate alten Höhlenbären (aus der Höhle vom Die meisten Pflanzenfresser haben eine enge Hartelsgraben bei Bindung an einen bestimmten Vegetationstyp Hieflau, Steiermark; und reagieren daher stärker auf Klimaände- ca. 35.000 Jahre alt) rungen und daraus resultierende Verände- rungen der Pflanzenwelt. Entsprechend kom- men die meisten Arten von Pflanzenfressern nur in der Faunenvergesellschaftung entwe- der der Kalt- oder der Warmzeiten vor. Nur Pferd, Rothirsch und Riesenhirsch sind in bei- den Faunenvergesellschaftungen zu finden, lebten also sowohl zu den Kalt- als auch zu den Warmzeiten in Mitteleuropa und waren offensichtlich in der Lage, sich gut an die kli- mabedingten Umweltbedingungen anzupas- sen. Schädel einer Höhlen- hyäne aus dem Jung- pleistozän Genauso verhält es sich mit einigen Fleisch- fressern. Sie sind nur davon abhängig, dass Pflanzenfresser als Beute zur Verfügung ste- hen; ob es sich um kalt- oder warmzeitliche Pflanzenfresser handelte, war für den Wolf (Canis lupus), die Höhlenhyäne (Crocuta cro- cuta spelaea) und den Höhlenlöwen (Pan- thera leo spelaea) wohl weniger von Bedeu- tung. Schädel eines Wollnas- Der Höhlenbär (Ursus spelaeus) gehört zwar horns Coelodonta anti- im Sinne der zoologischen Systematik zu den quitatis (Roter Berg bei Raubtieren, war aber vorwiegend ein Pflan- Brünn, Mähren; ca. 30.000–10.000 Jahre zenfresser, was aus seinem Gebiss abzulesen Naturhistorisches Museum Wien (4x) alt)

Eiszeitliche Steppen 15 2.1 geologieMDEfertig:Layout 1 05.04.2008 20:18 Seite 16 Bilder: Franz Roubal, Naturhistorisches Museum Wien Roubal, Bilder: Franz Wollnashorn (links) und Riesen- ist. Dennoch kommt auch der Höhlenbär so- stisch verschlechtert, dass es auch von kalt- hirsch (rechts) wohl in den Kalt- als auch in den Warmzeiten zeitlichen Faunenelementen besiedelt und in Mitteleuropa vor. besetzt werden konnte. Dieser Zusammen- bruch des Kerngebietes hat zum Aussterben Jeder große Klimawechsel führte zu einem der warmzeitlichen Fauna geführt. Auch das Wechsel von kalt- und warmzeitlicher Fauna Kerngebiet der kaltzeitlichen Fauna war wäh- und Flora in Mitteleuropa. Mitteleuropa rend des Holozäns im Vergleich zu früheren stellte hierbei je nach Klimaverhältnissen ein Warmzeiten deutlich feuchter geworden, was temporäres Verbreitungsgebiet der jeweili- zu einer Vermoorung führte und eine gleich- gen Faunenvergesellschaftung dar. Das Kern- förmigere Vegetation zur Folge hatte. Mit der gebiet der kaltzeitlichen Tierwelt reichte vom Vereinheitlichung des Lebensraums ver- kontinentalen Osteuropa bis nach Sibirien, schwanden die unterschiedlichen Vegetati- jenes für die warmzeitliche Fauna begrenzte onsnischen, auf die die großen pleistozänen sich auf das Mittelmeergebiet, westlich der Pflanzenfresser angewiesen waren. Überlebt Pyrenäen und südlich der Alpen und Karpa- haben in beiden Kerngebieten nur diejenigen ten. Von diesen Kerngebieten aus konnte Tierarten, die sich an die veränderten Um- sich die jeweilige Tiervergesellschaftung bei weltbedingungen anpassen konnten oder für Klimaveränderung ausbreiten. Das heißt, zu die noch eine entsprechende Nische zur Ver- den Warmzeiten dehnte sich die warmzeitli- fügung stand. So ist eine kleine Population che Waldelefanten-Fauna aus Süd- und von Mammuts nicht mit ihren Artgenossen Westeuropa mit den sich verbreiternden Wäl- am Ende der Eiszeit vor 10.000 Jahren aus- dern bis nach Mitteleuropa aus, während sich gestorben, sondern sie überlebte auf der die kälteangepassten Tiere in ihr Kerngebiet Wrangel-Insel im Nordosten vor der Küste nach Osteuropa und Sibirien zurückzogen. Sibiriens – verzwergt – bis vor 3.700 Jahren, Sobald aber durch Klimaabkühlung die Mam- als in Ägypten bereits Pyramiden gebaut mutsteppe wieder die Wälder aus Mitteleu- wurden. ropa verdrängte, herrschten dort auch wie- der die Tiere der Kaltzeit. Zitierte Literatur

Die Gründe dafür, warum mit dem Ende der VON KOENIGSWALD, W. (2004): Das Quartär: Klima und Tier- welt im Eiszeitalter Mitteleuropas. Biologie in unserer Zeit letzten Kalt- bzw. Warmzeit auch viele Arten 34(4): 151−158. endgültig ausstarben, müssen also nicht in Mitteleuropa, sondern in den jeweiligen Dr. Ursula Göhlich Kerngebieten gesucht werden. Im letzten Naturhistorisches Museum Wien Glazial hat sich das Klima im Kerngebiet der Burgring 7 warmzeitlichen Fauna zum ersten Mal so dra- 1010 Wien

16 Eiszeitliche Steppen 2.3 GroßsäugerMDEfertig:Layout 1 05.04.2008 20:24 Seite 17

2.3 Der Einfluss von Großherbi- Die Überjagung der Großtiere begann in voren auf die Naturlandschaft Europa mit dem Einwandern des modernen Mitteleuropas Menschen vor rund 40.000 Jahren während der letzten Eiszeit. Im Holozän, also in der vor etwa 10.000 Jahren beginnenden „Nach- Margret Bunzel-Drüke, Joachim Drüke und eiszeit“, hat es insofern keine vom Menschen Henning Vierhaus unbeeinflusste „Urlandschaft“ gegeben, als die größten Tiere wie Elefanten und Nas - Einleitung hörner bereits vor dem Ende des Glazials ausgerottet waren und einige weitere Arten Wenn wir die Biologie der rezenten Tiere und wie Wildesel, Riesenhirsch und Höhlenbär nur Pflanzen verstehen wollen, müssen wir auch noch in verringerten Populationsdichten oder die Bedingungen kennen, unter denen die isolierten Restbeständen vorkamen. Die Arten entstanden sind. Dabei wird die Herbi- nacheiszeitliche Naturlandschaft kann daher vorie – das Fressen von Pflanzen – als Faktor nicht rekonstruiert werden, sondern ist nur der Pflanzen- und Tierevolution vielfach un- zu konstruieren, indem man die rezenten terschätzt. Dies ist erstaunlich, weil große Lebensgemeinschaften untersucht, in denen Pflanzenfresser in den Ökosystemen wohl noch große Herbivoren vorkommen – vor immer eine bedeutende Rolle spielten; dies allem in Afrika oder Südasien – oder indem gilt nicht nur für die vom Menschen wenig man die Ökosysteme der vorangegangenen beeinflusste Naturlandschaft, sondern auch Warmzeiten in Europa studiert. Das Holozän für die Kulturlandschaften der letzten Jahr- weist klimatisch wesentliche Ähnlichkeiten zu tausende. Soweit der Naturschutz den Erhalt älteren Interglazialen auf, z. B. zum Eem, das von Artenvielfalt oder Naturnähe anstrebt, vor etwas mehr als 100.000 Jahren endete. muss er sich mit der Bedeutung der Bewei- dung für Landschaften und Lebensräume Folgt man dagegen im Hinblick auf das Ver- auseinandersetzen und diesen natürlichen schwinden zahlreicher Großtierarten der Prozess in seine Planungen einbinden. Eine Klimahypothese, wäre ein Ökosystem zu- zentrale Frage für die Erarbeitung von Leit - grunde zu legen, das die in „vorgeschichtli- bildern und Zielvorstellungen ist dabei, wie cher Zeit“ ausgestorbenen sechs Herbivoren- die mitteleuropäische Landschaft unter Arten nicht enthält. Wir halten jedoch die natürlichen Bedingungen aussehen würde. Overkill-Hypothese für wahrscheinlicher und betrachten daher nachfolgend ein Ökosystem Die großen Pflanzenfresser in der Natur- mit allen typischen Großtierarten. landschaft Mitteleuropas Um die Folgen für Vegetation und Landschaft Als Naturlandschaft wird gemeinhin die Land- abschätzen zu können, wollen wir Mittel - schaft ohne (wesentliche) Einflüsse des mo- europa wenigstens gedanklich in einen „Qua- dernen Menschen verstanden. ternary Park“ verwandeln, in dem die großen Pflanzenfresser einer typischen Warmzeit Folgt man der Hypothese, dass der Mensch vorkommen. Das Quartär ist das Zeitalter, in verantwortlich für das Verschwinden vieler dem wir leben – aber es umfasst außer dem Großtierarten weltweit ist, muss das Ökosys- Holozän auch das Eiszeitalter, in dem die tem vor dem prähistorischen „Overkill“ als Großtierfauna noch komplett war. Die fol- das natürliche Ökosystem Europas gelten. gende Abbildung zeigt die Arten, die mindes-

Großherbivoren 17 2.3 GroßsäugerMDEfertig:Layout 1 05.04.2008 20:25 Seite 18

Typische warmzeitliche Fauna großer Herbi - voren Mitteleuropas, geordnet nach der Größe ihres derzeitigen Verbreitungsgebietes bzw. dem Zeitpunkt ihres Verschwindens et al. (1999), verändert RÜKE -D UNZEL B

18 Großherbivoren 2.3 GroßsäugerMDEfertig:Layout 1 05.04.2008 20:25 Seite 19

tens zu erwarten wären. Der Bekanntheits- grad der dargestellten Arten nimmt von oben nach unten ab. Die heute noch vorkomm en- den und die in geschichtlicher Zeit ausge - storbenen Arten sind derjenige Teil der mittel europäischen Großherbivoren-Fauna, der zumeist als das „vollständige Arteninven- tar“ angesehen wird. Für eine typische warmzeitliche Fauna fehlen jedoch noch we- nigstens 6 Arten, darunter die 3 größten.

Die warmzeitlichen Verbreitungsgebiete der meisten der 18 abgebildeten Arten dürften unter natürlichen Bedingungen fast ganz Mittel- und Westeuropa umfassen; lediglich bei 3 Arten sind kleinere Areale anzunehmen:

• Gämse (nur Mittel- und Hochgebirge), • Steinbock (nur Hochgebirge und felsige Teile der Mittelgebirge), • Europäischer Wildesel (eventuell be- schränkt auf trockene Ebenen).

5 weitere Arten gehören möglicherweise zu- sätzlich noch zur Fauna, wurden aber wegen ihres nicht eindeutigen Status in der Abbil- dung zur Warmzeitfauna weggelassen:

• Das u. a. während der letzten Eiszeit in

Mitteleuropa nachgewiesene Stachel- et al. (1999)

schwein (Hystrix cristata/vinogradovi) RÜKE könnte auch in Warmzeiten nördlich der -D

Alpen leben; UNZEL B • Flusspferd (Hippopotamus amphibius) und Einteilung typischer Europäischer Wasserbüffel (Bubalus mur- leicht verdaulichen Pflanzenteilen wie Knos- warmzeitlicher Herbi- rensis) könnten in klimatisch begünstig- pen, Laub, Früchten und Speicherorganen. voren-Arten Mitteleu- ropas in Ernährungs- ten Flussauen vorkommen; Ähnliche Pflanzennahrung bevorzugen die typen • Mammut (Mammuthus primigenius) und Allesfresser Braunbär und Wildschwein. Rentier (Rangifer tarandus) könnten zur „Gras- und Raufutterfresser“ (grazer) sind Überwinterung von Norden und Osten auf die relativ schwer verdaulichen Gräser nach Mitteleuropa ziehen. spezialisiert und daher auf Weideland ange- wiesen. „Inter mediärtypen“ verzehren Nach HOFMANN (1989) lassen sich die Arten in sowohl Gräser als auch Laub und Kräuter, Ernährungstypen einteilen. Laubfresser wobei jahreszeitliche Wechsel auftreten (browser) ernähren sich von eiweißreichen, können.

Großherbivoren 19 2.3 GroßsäugerMDEfertig:Layout 1 05.04.2008 20:25 Seite 20

Beispiel für eine halbof- Folgende Artengruppen haben besonders fene, durch große Her- starke Einflüsse auf Vegetation und Land- bivoren beeinflusste Landschaft: Tsavo Ost schaft: Nationalpark in Kenia • Megaherbivoren (Waldelefant, Waldnas- horn, Steppennashorn) durch Körper- größe, mechanische Fähigkeiten und be- nötigte Nahrungsmenge; • Grasfresser (Auerochse, Wisent, Pferd, Esel, Steppennashorn), die Weiderasen schaffen und erhalten und damit – anders als Laubfresser – die pflanzliche Sukzes- sion umkehren oder anhalten können; • Arten, die in Herden oder größeren Grup-

Manfred Hölker pen leben und deren Beweidung dadurch Biberwiese in einer mahdähnliche Effekte verursachen kann Bachaue (Steinbock, Rothirsch, Damhirsch, Auer- ochse, Wisent, Pferd, Esel) – alles „gra- zer“ oder Intermediärtypen mit hohem Grasanteil in der Nahrung; • Biber, die Gewässer umgestalten, Biber- wiesen schaffen und Moorbildung auslösen können.

Die 6 heute noch in Mitteleuropa in Freiheit vorkommenden Huftierarten und der Biber gehören zu den kleineren Pflanzenfressern. Es ist kein typischer „grazer“ unter ihnen. In heutigen Ökosystemen fehlen also nicht nur die Megaherbivoren wie Elefant und Nashorn, Margret Bunzel-Drüke Umgestürzte Bäume sondern darüber hinaus sind die „Planstellen“ können einen „natür - der in offenen oder halboffenen Landschaften lichen Wildschutz- lebenden Grasfresser unbesetzt, sieht man zaun“ bilden und au- ßerdem Verstecke für von dem stellenweise eingebürgerten, in Mit- Prädatoren (hier teleuropa nicht einheimischen Mufflon (Ovis Luchs) bieten. An orientalis f. musimon) ab. solchen Stellen könnte Hochwald entstehen. Wie hoch wäre die Herbivorendichte im „Qua- ternary Park“, und wodurch würde sie be- grenzt? Wesentliche Faktoren für die „Regulie- rung“ der Bestandsdichten sind die Produktivität der Vegetation unter Berücksich- tigung des Engpasses im Winter, außerdem Beutegreifer sowie Krankheiten und Parasiten. Während etwa in afrikanischen Steppen die Margret Bunzel-Drüke

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Versorgung mit offenem Wasser in der Tro - keine großen Ortsbewegungen durch. ckenzeit für viele Pflanzenfresser ein be- Bei den Bestandsdichten weitgehend ortsfes- standsbegrenzender Faktor sein kann, dürf- ter Herbivoren-Arten kommt in Afrika ein ten in gemäßigten Klimaten Mitteleuropas die Einfluss von Prädatoren zum Tragen. Zu den Winter die Zeit darstellen, die zu erheblichen eher ortsfesten Huftierarten dürften in Einbußen unter den Wildtieren führen kann. Europa u. a. Wildschwein, Damhirsch, Reh Allerdings verfügen die heimischen Herbivoren und Gämse, wahrscheinlich auch der Auer- über Anpassungen in Körperbau, Physiologie ochse gehören. und Verhalten, die ihnen das Über stehen der nahrungsarmen Zeit durchschnittlicher Folgende große Raubtierarten sind in einer Winter problemlos ermöglichen. Diese An- typischen mitteleuropäischen Warmzeit min- passungen reichen von der Ausbildung eines destens zu erwarten: Wolf (Canis lupus), Winterfells über die Einlagerung von Fettre- Braunbär (Ursus arctos), Nordluchs (Lynx serven und Umstellungen in der Ernährung, lynx), Löwe (Panthera leo spelaea), Leopard die zum Teil mit erheblichen Umbauprozes- (Panthera pardus) und Höhlenhyäne (Cro- sen am Verdauungstrakt einhergehen, über cuta crocuta spelaea). kleinräumige Ortsbewegungen und weite Migrationen bis zur Winterruhe (Höhlenbär, Raubtiere können zwar in die Populationen Braunbär) und zum Anlegen von Nahrungs- von Pflanzenfressern eingreifen und damit vorräten (Biber). Einfluss auf das Ausmaß der Herbivorie neh- men. Es spricht jedoch nichts dafür, dass die Für einige grundlegende Prinzipien zur Dich- Beutegreifer die Einwirkungen der Herbivo- teregulation der Pflanzenfresser sind die Er- ren auf Struktur und Artenzusammensetzung gebnisse aus der Serengeti-Forschung hilf- der Vegetation in dem Maße begrenzen, dass reich. Nach diesen Untersuchungen wird die der Faktor Herbivorie für das Erscheinungs- Dichte von Megaherbivoren wie Elefanten bild von Landschaften und ihrer Vegetation und Nashörnern allein durch Nahrung und vernachlässigt werden könnte. Krankheiten Wasser reguliert. Ob in einer vergleichbaren und Parasiten zeigen nur selten Einflüsse auf Großtiergemeinschaft Europas ein Einfluss die Populationsdichten von Herbivoren. der auf die Erbeutung von Elefanten und an- deren Großsäugern spezialisierten Säbel- Der Bock als Gärtner – Tiere gestalten zahnkatze (Homotherium latidens) zu be- die Landschaft rücksichtigen ist, muss offen bleiben. Wie sähe der Einfluss der Tiere auf ihre Le- Die Populationsgrößen wandernder Herden- bensräume aus, also welche Landschaft kön- tiere in Afrika werden offenbar ebenfalls nur nen wir im „Quaternary Park“ erwarten? durch das Nahrungs- und Wasserangebot be- stimmt. Im warmzeitlichen Europa könnten Angesichts der gut dokumentierten ehemali- Pferd, Rentier, eventuell Wisent und teilweise gen Vielfalt großer Pflanzenfresser in Mittel- auch Rothirsch Wanderungen in Herden aus- europa muss hier Herbivorie als ein ur- führen. Migrationen können der besseren sprünglich sehr wichtiger Faktor in vielen Nutzung des Nahrungsangebotes dienen, natürlichen Ökosystemen angesehen wer- spielen aber auch bei der Vermeidung von den. Untersuchungen aus Südasien und vor Feinden eine Rolle, denn viele Raubtierarten allem aus Afrika zeigen, dass Megaherbivo- sind territorial und führen mit ihren Jungen ren wie Elefanten, Nashörner und Fluss-

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pferde, aber auch Herdentiere wie Gnus nicht sondern wir können unter dem Einfluss der nur einen großen Einfluss auf Struktur und Großtiere eine reich strukturierte Landschaft Artenzusammensetzung der Vegetation erwarten, die alle Übergänge vom geschlos- haben, sondern darüber hinaus Schlüssel - senen Wald über Savannen bis zu steppenar- arten sind, die Lebensräume für viele andere tig offenen Bereichen zeigt – abhängig von schaffen und erhalten. Klima, Relief, Geologie, Boden, Feuchtigkeit, Geschichte usw. Nach GEISER (1983, 1992), Pflanzenfressende Großtiere sind auch in einem der Ersten, der sich im deutschspra- Europa als Landschaftsgestalter belegt. Die chigen Raum mit dem Einfluss großer wildle- Wirkung von Waldweide durch Haustiere be- bender Herbivoren beschäftigt hat, dürfte die schreibt ELLENBERG (1996): „In ihrer extensivs - Normallandschaft des interglazialen Mitteleu- ten Form schädigt die Waldweide lediglich ropas ein räumlich wie auch zeitlich sehr he- den Jungwuchs der Bäume. Allein dadurch terogenes und dynamisches Mosaik aller bewirkt sie jedoch mit der Zeit eine Auf - denkbaren Zwischenstadien zwischen Wald lichtung des Waldes, weil Lücken der Baum- und Steppe sein. schicht nicht mehr geschlossen werden. ... Beispiele für räumliche Diversität in größeren Die verbleibenden Bäume nehmen breitere Einheiten sind: Kronenformen an und beasten sich oft bis herab zum Erdboden. Alle vom Vieh gern • Bisher als „natürlicherweise baumfrei“ befressenen Bäume freilich erscheinen in eingeordnete Standorte wie Hoch- einer durch die Reichweite der Tiere be- moore, Felsfluren, Salzwiesen, Bereiche stimmten Höhe parallel zur Bodenoberfläche oberhalb der Baumgrenze usw. würden wie abgeschoren. ... Nach und nach breiten unter dem Einfluss der Großtiere nicht sich die Pflanzengemeinschaften des Freilan- wesentlich anders aus sehen als ohne sie. des immer mehr aus, bis sie auf großen Flächen zu Alleinherrschern werden.“ • In den Auen existierten wahrscheinlich neben Auwäldern, Rohbodenflächen und Was domestizierte Rinder, Pferde oder Schafe Röhrichten auch flussnahe Wiesen durch vermögen, kann wilden Elefanten, Nashör- die Tätigkeit von Bibern, eventuell von nern, Hirschen, Auerochsen, Wisenten und Flusspferden und zum Trinken kommender Pferden nicht grundsätzlich abgesprochen anderer Arten. TURNER (1975) registrierte werden. an Fundstellen pleistozäner Säugetiere (u. a. Waldelefant, Mammut, Wald- und Nach FRENZEL (1983) fallen zurückliegende Steppennashorn, Flusspferd) aus dem Ips- Warmzeiten durch einen bemerkenswerten wichian (Eem) im Themsetal Pollen und Unterschied gegenüber dem Postglazial auf, Großreste von Pflanzen dichter Grasland- nämlich durch die Dichte der Waldvegetation. schaften und gestörter Böden (u. a. Tritt- In den erwähnten Interglazialen müsse „mit zeiger wie Plantago major, Ranunculus re- einer erheblichen Bioproduktion in der Kraut- pens und Potentilla anserina). Auch an schicht vieler Wälder gerechnet werden, anderen flussnahen Fundstellen in England sicher aber auch mit einer recht beachtlichen wurden sehr hohe Kräuterpollen anteile – Offenheit“. maximal 98 % – festgestellt.

Die mitteleuropäische Naturlandschaft wäre • Halboffene Lebensräume, die heutigen jedoch nicht einfach gleichmäßig offener, Hudelandschaften gleichen, wären im

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Flach- oder Hügelland zu erwarten. Hude- dung in einem jungen, schnellwachsenden landschaften, die als Modell dienen kön- Zustand gehalten werden. Solche Bereiche nen, kommen in kleinen Resten in Mittel- unterscheiden sich oft deutlich von benach- europa vor und sind großflächig in der barten, unbeweideten Landschaftsteilen, wo- Extremadura Spaniens zu finden. durch eine heterogene Landschaft entsteht. Auf weniger produktiven Böden oder bei sehr • Auch großflächiges Offenland kann starker Beweidung kann der gegenteilige Ef- nicht ausgeschlossen werden, vor allem fekt eintreten: Wenn die Beweidung eines auf trockenen oder flachgründigen, meist bereits in der Vergangenheit von Huftieren nährstoffreichen Böden, z. B. in den genutzten Bereiches durch langsames Pflan- „Steppenheide“-Gebieten von GRADMANN zenwachstum oder durch die Produktion un- (1898); die auf diesen Standorten typi- verdaulicher Pflanzeninhaltsstoffe unprofita- schen Waldgesellschaften haben nur eine bel ist, fressen die Huftiere bevorzugt an geringe Widerstandsfähigkeit gegen Be- „neuen“ Stellen. Durch diese die ganze Flä- weidung. che erfassende Beweidung wird die Land- schaft homogen. • Hochwald könnte an Stellen entstehen, die für viele Huftierarten unattraktiv oder Eine zeitliche Diversität des Wald-Offenland- gefährlich sind, z. B. an steileren Hängen Mosaiks der europäischen Naturlandschaft im Hoch- und Mittelgebirge, auf feuchten könnte durch folgende Faktoren zustande bis nassen, tiefgründigen Böden und kommen: wahrscheinlich auch auf nährstoffarmen • saisonale oder unregelmäßige Tierwan- Standorten. Herbivore Arten meiden of- derungen; fenbar arme Böden, weil die Pflanzen dort • Mastjahre, die für Samen oder Keimlinge einen geringeren Nährwert aufweisen und fressende Tiere unvorhersagbar sind; außerdem häufig durch chemische Sub- • zeitweise Dezimierung der Huftierbe- stanzen geschützt sind. stände durch Seuchen, harte, schneerei- che Winter, Dürren usw.; Die grobe räumliche Verteilung von Wald und • Schädigung von Gehölzen durch Krank - Offenland könnte durchaus Ähnlichkeit mit heiten, Insektenkalamitäten, Trockenheit, der Kulturlandschaft haben: Offenland in den Schnee- oder Eisbruch, Windwurf, Eis- heutigen Börden, relativ viel Wald im Gebirge schur in Auen usw.; das Absterben von und Mittelgebirge und halboffene Weideland- Gehölzen führt aber nicht zwangsläufig schaften auf durchschnittlichen bis nährstoff- zum Entstehen von Offenland, da umge- reichen Standorten im Flach- und Tiefland. stürzte Bäume „natürliche Wildschutz- zäune“ bilden können, in deren Schutz Die Produktivität des Bodens hat wahrschein- Jungwuchs aufkommen kann; lich einen wesentlichen Einfluss darauf, ob • längere Anwesenheit von Prädatoren durch Herbivorie eine „reich strukturierte“ an bestimmten Stellen, in der Folge eine oder eine homogene Landschaft entsteht. Verminderung des Grades der Herbivorie Weiderasen bilden sich, wenn die Beweidung in der Umgebung; umgekehrt können sich an einer bestimmten Stelle die Wahrschein- Beutetiere an den Reviergrenzen territo- lichkeit erhöht, dass Huftiere hier wieder rialer Beutegreifer konzentrieren; nach Nahrung suchen. Weiderasen sind Be- • nasse Sommer oder andere für Gehölze reiche, in denen die Pflanzen durch Bewei- positive Einflüsse;

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Potenzielle Großherbivoren- fauna in Mitteleuropa

Die oben beschriebene hypothetische inter- glaziale Naturlandschaft bietet Lebensraum für die meisten Tiere und Pflanzen auch des Offenlandes.

Das Holozän unterschied sich durch eine stärkere Bewaldung von den vorangegange- nen Interglazialen. Seine relativ artenarmen, schattigen Hochwälder sind eine vegetations- geschichtlich sehr junge Erscheinung. Sie konnten offenbar nur entstehen, weil die na- türlichen Gegenspieler der Bäume, nämlich Megaherbivoren wie Elefanten und Nashör- ner, bereits ausgerottet und andere Großtiere seltener geworden waren. Rückschlüsse auf die Ausdehnung der Wälder, auf die Größe offener Bereiche in ihnen bzw. auf die Wald- dichte sind aus methodischen Gründen durch et al. (1999) Pollenanalysen kaum möglich; außerdem gab

RÜKE es zumindest im frühen Postglazial keine -D strikte Trennung zwischen Wald und Offen- UNZEL

B land. VERA (1997) weist nach, dass im mittel- europäischen Tiefland auch im Holozän große „Überweidung“ von Grasfluren, was Ver - Gebiete keine geschlossenen Wälder trugen; buschung und schließlich Wiederbewaldung die Bestände der überlebenden Herbivoren – auslösen kann, weil Feuer auf kurzrasigen vor allem die Grasfresser Auerochse und Flächen seltener sind und das Ausbleiben von Pferd – reichten aus, um eine Weideland- Bränden Gebüsch begünstigt; schaft aus Grasfluren, Dornsträuchern und Bäumen zu erhalten. Feuer, wobei Brände für Wald oder Weide- land sehr unterschiedliche Auswirkungen Schließlich sei noch Folgendes zur Buche haben: In Weidelandschaften mit nicht zu angemerkt. Diese gegen Verbiss und Brand hoher Herbivorendichte ist die Brandhäufig- recht empfindliche Art ist zwar in früheren keit relativ hoch, die Feuerintensität jedoch Interglazialen in Mitteleuropa lokal nachge- gering, da durch die Tätigkeit der Herbivoren wiesen, blieb aber in der Vegetation bedeu- nur ein geringer Teil der jährlichen Pflanzen- tungslos – trotz zeitweilig ähnlicher Stand- produktion als brennbares Material gespei- ortbedingungen wie im Postglazial. ELLENBERG chert wird; für Wälder dagegen ist eine (1996) hält es für möglich, dass Fagus sylva- geringe Brandhäufigkeit mit hoher Feuerin- tica in den früheren Zwischeneiszeiten durch tensität typisch, wodurch die seltenen Feuer das Zusammenwirken von Elefanten und katastrophenartige Folgen haben können. anderen Großsäugern mit Flächenbränden an Insbesondere auf trockenen Sandstandorten einer Dominanz gehindert wurde. Durch die dürften Brandheiden auch im gemäßigten Ausrottung von Großtierarten zum Ende des Europa typische Elemente der Naturland- letzten Glazials und wahrscheinlich auch schaft gewesen sein. durch Samenverbreitung begünstigte dann

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der Mensch die Ausbreitung der Buche. Die Einbeziehung von großen Herbivoren in Die Buche wäre demnach so etwas wie ein Naturschutzkonzepte ist insbesondere in Na- Archäophyt (ein „alter Neubürger“), der sich tionalparken oder ausgedehnten Naturent- auf Kosten des zuvor 3.000 Jahre vorhan - wicklungsgebieten erforderlich, aber auch in denen Laubmisch„waldes“ aus Eiche, Ulme, kleineren Gebieten möglich. Da die verschie- Linde, Esche, Ahorn und Erle ausbreitete denen Großsäuger in ganz unterschiedlicher und das Waldbild nunmehr seit 3.000 bis Weise die pflanzliche Biomasse nutzen und 4.000 Jahren beherrscht. damit die Vegetation unterschiedlich beein- flussen, sollten nach Möglichkeit mehrere Ausblick Herbivoren-Arten gemeinsam vorkommen.

Beweidung durch große Herbivoren ist unter Üblich ist der Einsatz zumeist einzelner Her- natürlichen Bedingungen ein wesentlicher bivoren-Arten im Naturschutz als „Werk- Prozess, der Lebensräume und ganze Land- zeuge“ zum Erhalt von Kulturlandschaften. schaften im warmzeitlichen Mitteleuropa Darüber hinaus wird die Integration großer gestaltet. Die typische interglaziale Naturland- Pflanzenfresser in Schutzgebiete als Teil na- schaft, die als Referenz für Naturschutzpro- turnaher Ökosysteme und als Motor natürli- jekte konstruiert werden kann, ist wahr- cher Prozesse künftig wesentlich an Bedeu- scheinlich ein räumlich wie auch zeitlich sehr tung gewinnen. heterogenes und dynamisches Mosaik aller denkbaren Zwischenstadien zwischen Wald Zusammenfassung und Steppe. Von den 18 großen Pflanzenfres- serarten, die man in einer Warmzeit min - Für die Erstellung von Leitbildern und Zielen destens erwartet, sind 6 weltweit ausgestor- im Naturschutz ist die Frage wichtig, wie die ben – darunter auch die 3 Megaherbivoren. Naturlandschaft Mitteleuropas aussähe, hätte Durch ihr Fehlen dürfte sich ein heute wieder- der Mensch nicht zahlreiche Großtierarten herstellbares naturnahes Ökosystem in eini- ausgerottet oder ihre Bestände dezimiert. gen Aspekten von denjenigen anderer Inter- glaziale unterscheiden. Dennoch wäre ein Unter dem Einfluss der mindestens 18 typi- solches heutiges System, das die überleben- schen großen Herbivoren-Arten kann die den 12 Herbivoren-Arten einbezieht, naturnä- warmzeitliche Naturlandschaft Mitteleuropas her als ein System ohne den Einfluss dieser als räumlich und zeitlich dynamisches Mosaik Tiere. Unter den überlebenden Großsäugern aller denkbaren Zwischenstadien aus Wald finden sich unter Berücksichtigung von Pferd und Offenland angenommen werden. Die und Rind noch alle Ernährungstypen. Die meis - größere Ausdehnung dunkler Buchenwälder ten „ökologischen Planstellen“ eines Intergla- im Holozän war nur möglich, weil einige zials ließen sich also besetzen, wodurch ein große Pflanzenfresser bereits vor dem Ende wesentlicher Teil der in der Naturlandschaft des Glazials verschwunden waren. von den Großtieren in Gang gehaltenen natür- lichen Prozesse wieder möglich wäre. Die Unter natürlichen Bedingungen gestalten die Wiederherstellung von Ökosystemen, die u. a. großen Pflanzenfresser Lebensräume für an- durch Herbivorie Habitate für die meisten dere Arten und ganze Landschaften. Die Her- einheimischen Tiere und Pflanzen auch des bivorie muss daher im Naturschutz als we- Offenlandes bieten, scheint also Erfolg ver- sentlicher Prozess in mitteleuropäischen sprechend. Ökosystemen berücksichtigt werden.

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26 Großherbivoren Veränderungen der Kulturlandschaft

Wechsel der Besiedelungs- zentren im Raum Hainburg

3.1 Prähistorische Zentralorte im Großraum Carnuntum

Otto H. Urban

Nach dem Ende der letzten Eiszeit, vor rund 10.000 Jahren, breitete sich im gesamten mitteleuropäischen Donauraum eine Wald-

landschaft aus. Zuerst, im Präboreal, also Luftbild: © Land Niederösterreich, BEV etwa im 8. Jahrtausend v. Chr., entstanden Birken-Kiefern-Wälder, je nach Standort mit verbreiteten, sogenannten Želíz-Gruppe der oder ohne Hasel. Das Boreal im etwa 7. Jahr- Linearbandkeramischen Kultur an; eine re- tausend v. Chr. brachte eine Klimaerwärmung, gionale Gruppe des in Mitteleuropa mit dem die um etwa 2 Grad Celsius höher lag als frühen Neolithikum verbundenen donauländi- heute. Dies führte zur Herausbildung von schen Kulturkreises. Die Siedlung datiert in haselreichen Kiefern- und Eichen-Misch - die Jahrhunderte vor und um 4000 v. Chr. wäldern. Es folgt Mitte des 6. Jahrtausends Aus dem Spätneolithikum (Kupferzeit) sind v. Chr. das Atlantikum, welches im Vergleich lediglich einzelne Streufunde bekannt – sie mit dem Boreal bei annähernd gleichen Som- belegen für das etwa 3. Jahrtausend v. Chr. mertemperaturen weniger trocken, vielmehr eine dünne Besiedlung; eigentliche Zentral- mäßig feucht war; die Vegetation wurde wei- orte konnten jedoch bisher noch nicht terhin durch den sogenannten Eichen-Misch- archäologisch nachgewiesen werden. Wäh- wald, allerdings jetzt mit Erle und Hasel, rend der frühen Bronzezeit, also etwa der geprägt. ersten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr., dürfte sich der zentrale Siedlungsplatz – eine In dieser Zeit kommen erstmals aus dem Höhensiedlung – auf dem Schlossberg von Südosten jungsteinzeitliche, landwirtschaft- Hainburg befunden haben. Vereinzelte Streu- lich orientierte Gemeinschaften in unseren funde sind von den steilen Hängen dieser na- Raum. Sie bringen nicht nur die Viehzucht türlich geschützten Höhe bekannt. Das dazu- (Schaf, Ziege, Schwein und Rind), sondern gehörende Gräberfeld der Wieselburger Kultur auch die Kenntnis des Feldbaues (Emmer mit weit über Hundert zum Teil reich an Bron- und Einkorn) mit. Die bäuerlichen Ansiedlun- zen ausgestatteten Hockergräbern erstreckte gen wurden zumeist auf von Hochwasser ge- sich an derselben Fundstelle, wie jene des schützten Flussterrassen errichtet. In Hain- neolithischen Dorfes, in Hainburg-Teichtal, burg-Teichtal ist eines dieser durch große, dem ehemaligen Truppenübungsplatz. langrechteckige Pfostenbauten geprägten Dörfer archäologisch gut belegt. Die sicher- In der späten Bronzezeit, also in den ersten lich im Nahfeld der Siedlung zur Anlage von Jahrhunderten des 1. Jahrtausends v. Chr., Feldern durchgeführten ersten Rodungen im entstand dann ein Zentralort der Urnenfel- Eichen-Mischwald konnten dagegen bisher derkultur in Deutsch Altenburg „Am Stein“. noch nicht lokalisiert werden. Der Siedlungs- Der Name „Altenburg“ weist wahrscheinlich komplex mit seinen kennzeichnenden Ton - noch auf diese alte Wallanlage zurück, die gefäßen und Steinwerkzeugen gehört der be- ähnliche Ausmaße gehabt haben muss wie sonders im westlichen Karpatenbecken jene von Stillfried an der March. Die Anhöhe

Carnuntum 29 Braunsberg bei Hainburg. Auf dem über 20 Hektar großen Plateau entstand ein etwa über zwei Jahrhunderte dauerndes Sied- lungszentrum. Große Grabhügel (Tumuli) in Sichtweite des Plateaus – der Schülerberg direkt am Fuße des Braunsberges, im Berg- bad von Hainburg, sowie der Türkenhügel oder Hüt(t)elberg am Nordrand von Bad Deutsch-Altenburg – dürften Eliten der Hall- Schädelbecher vom Teichtal, jüngere stattsiedlung als Begräbnisstätte gedient

Linienband keramik Alice Schuhmacher haben. Die bisherigen Altgrabungen und modernen geophysikalischen Prospektionen „Am Stein“ stellt einen Ausläufer des Pfaffen- lassen darüber letztendlich jedoch noch berges dar und erhob sich einst deutlich über keine gesicherten Aussagen zu. Vermutlich die Donau. Sie liegt nördlich der romanisch- wurden diese deutlichen Geländemerkmale gotischen Marienkirche, die wegen ihres mehrfach, d. h. auch in späteren Zeiten, ge- reich verzierten Karners weithin bekannt ist. nutzt bzw. boten diese Anregung zu unter- Leider wurde die Befestigung „Am Stein“ schiedlichsten Sagen und Legenden. Die durch den Steinbruch vor rund 100 Jahren archäologischen Kleinfunde, Keramiken wie weitgehend zerstört. Lediglich geringe Reste Bronzen, belegen eine Zugehörigkeit der von Siedlungskeramik haben sich in so man- Höhensiedlung zur Kalenderberggruppe, chen archäologischen Sammlungen erhalten. einer im Osten Österreichs und benachbarten westungarischen und westslowakischen Nach dem Übergang von Bronze- zur Eisen- Raum verbreiteten, durch spezielle Keramiken, zeit, etwa im 8. Jahrhundert v. Chr., verla- insbesondere durch Feuerböcke, gekennzeich- gerte sich der Zentralort vom „Stein“ auf den neten Gruppe des Osthallstattkreises.

Frühbronzezeitliches Höckergrab der

Wieselburger Gruppe Neugebauer Johannes-Wolfgang

30 Carnuntum Nach einer Siedlungsunterbrechung von mehreren Jahrhunderten, wir wissen nicht warum, nehmen aber unter anderem ökolo- gische Gründe an, wurde der Braunsberg neuerliches Siedlungszentrum. Das Plateau wurde befestigt, im Inneren entstanden zahl- reiche in den Hang eingetiefte Pfostenbau- ten. In den Kulturschichten findet sich kenn- zeichnender Abfall, wie er etwa durch Handwerkstätigkeit anfällt. Eigentliche Werk- stätten konnten allerdings noch nicht lokali- siert werden. Die mit Holz-Erde befestigte Schulerberg im Siedlung wurde im Laufe des 2. Jahrhunderts Bergbad mit v. Chr. errichtet und wohl um die Mitte des hallstattzeitlichem

Otto H. Urban Grab hügel 1. Jahrhunderts v. Chr. aufgegeben. Von außen erschien die Befestigung als massive Palisadenwand; sie war im Inneren durch eine etwa 2 m hoch aufgeschüttete Erd- rampe, die eine Art Wehrgang trug, ver- stärkt. An speziellen Plätzen wurden auch Türme in die massive Befestigung integriert; sie dienten zur besseren Kontrolle der direkt unter den Felsabstürzen liegenden Zone. Die eigentliche Toranlage, wohl ein Zangentor, ist durch den Bau der modernen Bergstraße zer- stört. So belegen die archäologischen Zeug- nisse, dass sowohl für den Bau der Häuser und Hütten als auch der Befestigung der Feuerbock-Fragment Holzbedarf enorm hoch war. In dieser Zeit mit Widderkopf der lag im Raum der Porta Hungarica das Zen- hallstattzeitlichen trum auf der Pressburg – also in Bratislava. Gabriele Gattinger Kalenderberggruppe Zahllose Münzfunde belegen hier ein Oppi- dum der Boier, die spätestens um 70 v. Chr. grad siedelten Skordiskern verbündet und verstärkt aus dem ursprünglich böhmischen standen unter der Führung des bekannten Siedlungsgebiet zuzogen. Außerdem ent- dakischen Königs Burebistan; die Boier waren stand direkt oberhalb der Marchmündung auf hingegen mit den Tauriskern verbündet und dem Devíner Burgberg eine weitere keltische wurden von Kritasiros angeführt) wurden die Höhensiedlung. Mitte des 1. Jahrhunderts Höhensiedlungen aufgelassen. Mit Ausnahme v. Chr. kam es also im Raum der Hainburger von Devín; auf diesem Felsen dürfte sich das bzw. Bratislaver Pforte zu einer Bevölke- 6 n. Chr. von Velleius Paterculus erwähnte rungskonzentration. Sie hielt jedoch nicht Carnuntum, „ein Ort im Regnum Noricum“, lange. Vielleicht infolge der um 40 v. Chr. für befunden haben. Diese Erwähnung gab An- die Boier katastrophal endenden Auseinan- lass zu der vor kurzem stattgefundenen dersetzung mit den östlich benachbarten 2.000-Jahr-Feier Carnuntums. „Karn“, eine Dakern (diese waren mit den im Raum Bel- bekannte Wortwurzel, bedeutet Felsen und

Carnuntum 31 Rekonstruktion der späteisenzeitlichen Befestigung ist im Namen Kärnten bzw. Karnburg ebenso enthalten wie im Wortstamm der bekannten Megalithfundstelle Carnac (Bretagne).

Der Braunsberg wurde seit der Eisenzeit nicht mehr wieder besiedelt. Die intensive Nutzung als Siedlungsberg führte zuerst zu einer Entwaldung (wahrscheinlich bereits in der Hallstattzeit) und später auch zu einer Verkarstung des Plateaus (spätestens nach der Latènezeit). So konnte sich auf der durch die intensiven menschlichen Eingriffe weit - gehend zerstörten Naturlandschaft in den späteren Jahrhunderten der für den Brauns- berg typische Trockenrasen bilden. Damit sich in diesen Bereichen keine Gehölze ausbreiten, ist regelmäßige Beweidung notwendig. Diese ist durch alte Pläne, auf welchen der Braunsberg als Weideland bzw. Heide ausgewiesen ist, zumindest seit dem 16. Jahrhundert, belegt; aus dem Beginn des letzten Jahrhunderts gibt es sogar noch Heinz Wiesbauer Fotos vom Abtrieb der Horntiere.

Während der Römerzeit erstreckte sich dann der Zentralort Carnuntum, wie allgemein bekannt, über Petronell bis Bad Deutsch- Altenburg. Der zur römischen Provinzhaupt- stadt gehörende Tempelberg auf dem Pfaf- fenberg wurde ebenfalls intensiv verbaut. Der Hütelberg, am Fuße des Pfaffenberges, enthält auch römische Funde – es ist aller- dings nicht bekannt, wofür er letztendlich gedient hat. Im Frühmittelalter wurde auf jedem Fall in unmittelbarer Nähe dieses großen heidnischen Denkmals eine soge- nannte „Urpfarre“ eingerichtet; die dazu ge- hörende Befestigung, das Castell, erstreckte sich im Bereich der alten Wallburg „Am Stein“. Einige Gräber des 11. Jahrhunderts konnten noch neben Spuren des ehemaligen Klosters vor den Mauern der heutigen Marienkirche von den Archäologen des Bundesdenkmalamtes am Kirchberg gesi- chert werden. Volker Lindinger Volker Grabung Braunsberg 1998 mit Spuren der Palisadenwand und des Turmes, junglatène zeitlich

32 Carnuntum Grabung 1986: Wallschnitt mit Grabung 1990: Flächen- Resten einer Stein schüttung grabung mit Schnittreihe am Braunsberg am Braunsberg Otto Urban Otto Urban

Die Befestigung verlor dann mit dem Bau der Hainburg ihre Bedeutung – der Name „Alten- burg“ weist allerdings noch darauf hin. Neues Zentrum wurde danach die Hainburg, die mit der mächtigen Stadtmauer auch ein ein- drucksvolles, repräsentatives „Tor“ in Rich- tung Ungarn bildete.

Zusammenfassung

Die archäologischen Forschungen in der Re- gion Hainburg belegen einen regen Wechsel der jeweiligen Siedlungszentren. Einerseits waren diese durch ökologische Kriterien (Holzarmut nach Entwaldung zur Anlage von Feldern und zur Gewinnung von Bauholz, Trockenheit durch Verkarstung etc.), ande- rerseits durch strategische Zielsetzungen Funde vom Brauns- berg: Steingewicht, (Höhensiedlungen versus Befestigungen in Schleifstein, Reibestein der Ebene, wie sie für römische Militärs und Klopfstein aus der typisch waren) und wohl auch wirtschaftliche jüngeren Eisenzeit Gabriele Gattinger

Carnuntum 33 Das Wandgemälde von Robert Russ aus dem Jahre 1889 zeigt ein- drucksvoll den entwalde- ten Hügel.

entwaldeten Hügel eindrucksvoll. Um ihn herum entstanden der römische Tempelberg und die ottonische Pfarrkirche. So zeigt sich, dass der Carnuntiner Raum schon während der urgeschichtlichen Epo- chen wohl wegen seiner verkehrsgeographi- schen Lage sowie strategischen Bedeutung immer wieder durch Zentralorte geprägt worden ist. Dieser Raum ist also nicht nur

Naturhistorisches Museum Wien, Foto: Heinz Wiesbauer Naturhistorisches Museum Wien, Foto: durch die Donau (West-Ost) und die soge- nannte Bernsteinstraße (Nord-Süd), sondern auch durch die Grenzen (Limes, Österreich- Ungarn, Eiserner Vorhang) und die ihn beherrschenden jeweiligen Machtzentren gekennzeichnet.

Weiterführende Literatur

FARKA, C. (Hrsg.) (2000): Der Kirchberg. Archäologie und Geschichte im Bereich der Marienkirche von Bad Deutsch- Altenburg. Wien.

HUMER, F. (Hrsg.) (2006): Legionslager und Druidenstab. St. Pölten.

JOBST, W. (1983): Provinzhauptstadt Carnuntum. Wien.

NEUGEBAUER, J.-W. & URBAN, O. H. (1990): Archaeologie in Hainburg. Ausstellung im Wienertor-Museum. Ausstellungs- katalog. Wien.

PIETA, K. & PLACHÁ, V. (1999): Die ersten Römer im nördli- chen Mitteleuropa im Lichte neuer Grabungen in Devín. In: FISCHER, T., PRECHT, G.& TEJRAL, J. (Hrsg.): Germanen beider- seits des spätantiken Limes. Brno.

URBAN, O. H. (1995): Keltische Höhensiedlungen an der mittleren Donau vom Linzer Becken bis zur Porta Hungarica. 2. Der Braunsberg (mit mehreren Beiträgen). LAF 23. Luftbild 1931 des Braunsberges URBAN, O. H. (2000): Der lange Weg zur Geschichte. Wien.

mit Wall © Bundesministerium für Landesverteidigung Univ.-Prof. Dr. Otto H. Urban Bedürfnisse bedingt. Die Errichtung einer Institut für Ur- und Frühgeschichte der sog. Urpfarre, die Marienkirche in Bad Universität Wien Deutsch-Altenburg, direkt neben dem Franz-Klein-Gasse 1 größten prähistorischen Erdwerk in dieser 1190 Wien Region, dem Türkenhügel, dürfte auch mit einem Machtzeugnis in Zusammenhang stehen. Ein Wandgemälde im Saal 13 des Naturhistorischen Museums in Wien von Robert Russ aus dem Jahre 1889 zeigt den

34 Carnuntum Mammutdarstellung aus der Höhle von Pech- Merle, Frankreich

3.2 Die ur- und frühgeschicht - liche Entwicklung am Beispiel von Stillfried

Ernst Lauermann

Die frühen menschlichen Eingriffe im pan- nonischen Raum lassen sich am Beispiel

von Stillfried eindrucksvoll darstellen, da es Museum für Urgeschichte Asparn/Zaya hier reichhaltiges Fundmaterial gibt. Deshalb werden im Folgenden die prähisto- heute an windigen Stellen der Wallanlage rischen Fundorte in und um die Gemeinde von Stillfried – die Kammquecke (Agropyron Stillfried an der March näher vorgestellt. So pectinatum), eines der seltenen Vorkommen wie im Stillfrieder Raum kann das gesamte in Österreich. Holzkohlen vom Lagerplatz eis- Marchtal gesehen werden, Fundstelle reiht zeitlicher Jäger am Kranawetberg in Grub sich an Fundstelle und dadurch kann sehr zeigen uns, dass es hier während dieses Ab- schön die Entwicklung der Besiedlung ge- schnittes der Eiszeit auch einige Föhren und zeigt werden. Birken gegeben hat. Die Menschen der Alt- steinzeit lebten hauptsächlich von der Jagd Altsteinzeit auf die großen Pflanzenfresser und zum Teil vom Sammeln von wilden Früchten, Wurzeln Die ältesten Spuren des Menschen im Be- und Beeren. Sie wohnten in zeltartigen Be- reich von Stillfried und Grub stammen vom hausungen an windgeschützten Orten. Jagd- Ende der letzten Eiszeit und sind etwa lager schlugen sie an Stellen auf, die von 30.000 Jahre alt. An mehreren Stellen des Tierherden passiert wurden. Dort zerlegten Ortes wurden Steinwerkzeuge und Tierreste sie auch die Jagdbeute und trugen die Teile der Altsteinzeit gefunden. Obwohl die Tem- dann zum Hauptlager zurück. Die Lebens- peraturen im Jahresmittel nur wenige Grade weise der altsteinzeitlichen Jäger und Samm- unter den jetzigen lagen, sah die Umwelt ler war dem jahreszeitlichen Wechsel der ganz anders aus als heute. Unsere Gegend Wildherden angepasst. Die Jagd am Ende der war durch eine Löss-Steppe geprägt, in der Eiszeit war hoch spezialisiert und oft nur auf Mammut, Wollhaarnashorn, Wildpferde, Ren, ein bestimmtes Tier ausgerichtet. Mit der Elch, Eisfuchs, Schneehase und Wolf lebten. Speerschleuder verfügte man bereits über Da in den Alpengletschern und an den eine hochwirksame Jagdwaffe, mit der man Polkappen viel Wasser gebunden war, gab es ein Rentier mit einem Wurf erlegen konnte. nur wenige Niederschläge und die Landschaft Die ersten Funde aus der Altsteinzeit wurden war auch im Winter nur geringfügig mit in Stillfried schon 1879 entdeckt. Schnee bedeckt. So konnten die großen Pflanzenfresser, die an den tiefen Schnee Der altsteinzeitliche Werkplatz unter- nicht angepasst waren, ausreichend Nahrung halb des Walles finden. Die Pflanzenwelt bestand aus einer kräuterreichen Grassteppe mit einigen Von 1974 bis 1979 wurde ein Werkplatz Büschen, Sträuchern und Bäumen. Ein Relikt eines eiszeitlichen Steinschlägers ausge - aus dieser Lösslandschaft existiert noch graben. In der Geweihstange eines Rentiers

Ur- und Frühgeschichte Stillfried 35 steckte noch ein halbfertiges Steinstück. freigelegten Feuerstellen abgespielt haben. Rundherum lagen Rohstücke, halbfertige und Hier lagen neben tausenden Steinwerkzeu- fertige Steingeräte im Löss – Kratzer, Stichel, gen und Splittern zerschlagene Knochen von Schaber und kleine, schlanke Spitzen, die Mammut, Wildpferd und Rentier, Reste von man nach dem französischen Fundort, La Eisfuchs, Schneehase, Vogelknochen und Gravette, Gravettespitzen nennt. Das be - Schalen von Eiern des Schneehuhns und des deutendste Ergebnis dieses Fundes war, dass Flussuferläufers, Farbreste, Holzkohle und man Steinwerkzeuge in allen Stadien der Schmuck, der den Menschen bei der Arbeit Herstellung gefunden hat. Damit konnte der vom Gewand abgerissen ist. Beliebte gesamte Herstellungsablauf der Gravette - Schmuckstücke waren Schnecken, die an spitzen – ausgehend vom Rohmaterial bis Stellen aufgesammelt wurden, wo Schichten zur fertigen Spitze – dargestellt werden. mit alten Meeresablagerungen ans Tageslicht Dieser Werkplatz ist aber nur ein Teil einer kommen. Einzigartig ist aber der aus Elfen- ganzen Reihe von altsteinzeitlichen Funden bein geschnitzte Schmuck. Über 150 Exem- aus Stillfried. plare – verschiedene Anhänger, gelochte Per- len und Perlen mit zwei aneinanderliegenden Der Lagerplatz am Kranawetberg Köpfchen – sind bisher gefunden worden. In Österreich ist aus der gesamten Altstein- Seit 1993 wird am Kranawetberg in Grub an zeit nichts Vergleichbares bekannt. einer schon seit längerer Zeit bekannten Stelle ein Lagerplatz altsteinzeitlicher Jäger Jungsteinzeit ausgegraben. Stoßzähne und Knochen von Mammut sowie Schädel von Mammut und Die Wildformen unserer ersten Kulturpflan- Wollhaarnashorn wurden dabei freigelegt. zen wie Emmer, Einkorn, Erbse, Linse und Außerdem befanden sich noch Reste von der Haustiere wie Schaf und Ziege stammen Wildpferd, Riesenhirsch und Wolf unter den aus dem Vorderen Orient. Heute meinen Tierresten. Neben Werkzeugen und Spitzen viele Forscher, dass die in unserem Gebiet aus Stein wurden auch ein Rötelbrocken, ein lebenden Jägergruppen durch Kontakte mit in der jüngeren Altsteinzeit beliebter roter den Bauern in Südosten auch Anteil an der Farbstoff, und eine wohl als Schmuck getra- Entstehung der jungsteinzeitlichen Bauern- gene durchlochte Schnecke gefunden. Etwa kultur unserer Gegend hatten. 20 m östlich von diesem großen Knochen- haufen hat man Reste einer altsteinzeitlichen Ackerbau und Viehzucht verdrängten von Behausung ausgegraben. Vom Holzgerüst nun an immer mehr die Jagd. Entlang den der Behausung sind noch kleine Gruben er- Flussnetzen an Stellen mit fruchtbaren halten, in die man die Zeltstangen steckte. Böden breitete sich die Kultur der ersten Die Stangen bedeckten die Jäger mit Tier- Bauern aus. Charakteristisch für das Leben häuten und beschwerten diese mit Steinen sind nun Sesshaftigkeit, feste Häuser und und Schnüren oder Gras, damit der Wind sie Hütten, Vorratwirtschaft und Gefäße aus Ton. nicht davontragen konnte. In der Behausung Die fruchtbaren Böden unserer Gegend, das befand sich auch eine Feuerstelle. Weiters günstige Klima und die ausreichende Wasser- fand man zahlreiche Steinwerkzeuge, win- versorgung waren gute Voraussetzungen für zige Knochensplitter und Schmuckreste. Die den Ackerbau. Jungsteinzeitliche Bauern sind meisten Tätigkeiten dürften sich außerhalb schon sehr früh bei uns nachweisbar. Funde der Behausung zwischen den beiden bisher der Linearbadkeramik sind aus dem Gebiet

36 Ur- und Frühgeschichte Stillfried Neolithisches Langhaus mit angeschlossenem Feld, im Freigelände des Museums für Urge-

Museum für Urgeschichte Asparn/Zaya (2x) Museum für Urgeschichte Asparn/Zaya schichte in Asparn/Zaya von Grub nahe der March bekannt. Erst spä- ter, zur Zeit der Bemaltkeramik, ist unsere Gegend dichter besiedelt. Es gibt auch in den Marchniederungen einige Fundstellen dieser Zeit. Vor allem überschwemmungsge- schützte flache Erhebungen entlang dem Fluss scheinen immer wieder beliebte Sied- lungsplätze gewesen zu sein, wie zum Bei- spiel Grub Hufeisenteich und Grub Unter- haspel. Einer der Gründe für dieses Näherrücken zu den Flüssen war sicher das Feld mit diversen Pflan- zen im Freigelände des Klima, das damals wärmer und trockener Museums für Urge- war als heute. schichte in Asparn/Zaya

Im Jungneolithikum wurden bereits Schmuck Bronzezeit und Geräte aus reinem Kupfer hergestellt. Der Handel mit Kupfer nahm in dieser Zeit Frühe und mittlere Bronzezeit immer mehr zu. Um ca. 2000 v. Chr. war in Böhmen, Mähren Um die Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. und im nördlichen Niederösterreich die Aun- breitete sich vom Karpatenraum her die jetitzkultur verbreitet. Auch in Stillfried sind Badener Kultur aus. Siedlungsreste des älte- zahlreiche Funde aus dieser Zeit bekannt. ren Abschnittes findet man auch entlang der Zur Herstellung von Werkzeug, Waffen und March. Innerhalb der Wehranlage von Still- Schmuck wurde nun eine Legierung aus Kup- fried wurde an der Südostkante eine Grube fer und Zinn, die Bronze, verwendet. Die im der älteren Badener Kultur freigelegt. Die Er- Vergleich zu reinem Kupfer größere Härte der findung des Rades, die in diese Zeit fällt, be- Bronze stellte vor allem bei den Geräten eine wirkte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine In- deutliche Verbesserung dar. Aus der bäuerli- tensivierung der Landwirtschaft und damit chen Gesellschaft wurde allmählich eine ar- den Beginn einer ersten gesellschaftlichen beitsteilige Gesellschaft von Bauern, Bergleu- Umstrukturierung. ten, Hüttenleuten, Schmieden und Händlern,

Ur- und Frühgeschichte Stillfried 37 Feuersteinsichel dern auch eine tief greifende soziale Umwäl- zung. Fernkontakte werden durch den ver- stärkten Handel mit Gütern intensiver. Die reichen Bernsteinfunde aus dem frühbronze- zeitlichen Gräberfeld von Hainburg/Teichtal sind ein Beleg für die steigende Bedeutung dieses Nord/Süd-Kontaktes entlang der March schon zu Beginn des 2. Jahrtausends v Chr.

Siedlungsfunde

Stillfried–Auhagen Funde aus der Stillfrieder Ziegelei und der Flur Auhagen lassen weiter reichende Kon- takte während der frühen Bronzezeit anneh- denn Erzgewinnung, Aufbereitung und Me- men. Hier wurden neben Funden der Aunje- tallverarbeitung erforderten hohes techni- titzkultur auch Krüge der sogenannten sches Können, das nur durch Spezialisierung Wieselburger Kultur gefunden, einer früh- zu erreichen war. Voraussetzung für die Er- bronzezeitlichen Kultur, die vor allem im süd- nährung der neuen Berufsstände war eine östlichen Niederösterreich und im Burgen- Landwirtschaft, die über den eigenen Bedarf land verbreitet war. In der Flur Auhagen hinaus produzieren konnte. Wer in der Lage wurde in einer Grube zusammen mit anderen war, mehr Nahrung zu produzieren, konnte vollständig erhaltenen Gefäßen, einem Fin- sich mehr Geräte aus Metall leisten und noch gerring aus Bein und Webgewichten auch mehr Nahrung produzieren und sich damit eine Wieselburger Tasse ausgegraben. 1987 immer mehr Prestigegüter und Waffen aneig- wurde bei Skeletten von Stillfried–Auhagen nen. So bewirkte die Verwendung der Bronze neben Gefäßresten und Bronzeringen auch nicht nur einen technischen Fortschritt, son- das Griffstück eines nordischen Feuerdolches

Pflugversuche in Leyre, Dänemark

38 Ur- und Frühgeschichte Stillfried Wallanlage Stillfried Museum für Urgeschichte Asparn/Zaya (3x) Museum für Urgeschichte Asparn/Zaya geborgen. Derartige Dolche waren damals Urnen, oder Behältern aus organischem Ma- beliebte Importstücke. terial wie Holzkisten oder Lederbeuteln bei- gesetzt. Der Buhuberg Etwas nördlich von Grub liegt der Buhuberg - Charakteristisch für die Urnenfelderzeit sind eine Höhensiedlung vom Ende der frühen neben den Brandgräberfeldern auch befe- Bronzezeit, bei der mehrere Siedlungsschich- stigte Höhensiedlungen, die aus einem ver- ten der Věteřovkultur festgestellt werden mehrten Schutzbedürfnis der Bevölkerung konnten. Neben Gefäßresten wurden auch entstanden. Am Ende der späten Bronzezeit zahlreiche Bronzefunde und Gussformen waren Schmuck und Gegenstände aus Eisen sowie ein Riemenverteiler aus Knochen eine Seltenheit. Zaumzeuge aus Knochen freigelegt. und Metall zeigen die steigende Bedeutung des Pferdes. Schon aus der frühen Phase die- Urnenfelderkultur ser etwa 600 Jahre andauernden Kulturer- scheinung vermutet man Siedlungsreste Im 13. Jh. v. Chr. entstand in Niederöster- innerhalb der Wehranlage von Stillfried. reich, im Burgenland, in Teilen der Steier- mark, Südmähren, in der Südwestslowakei Ein wichtiger Handelsplatz an der Bern- und Westungarn aus den regionalen Hügel- steinstraße gräberkulturen die mitteldonauländische Urnenfelderkultur. Die Urnenfelderkultur ist Die etwa 23 ha große urnenfelderzeitliche nach der Art, die Toten zu bestatten, be- Siedlung von Stillfried liegt am Verknüp- nannt. Die Verstorbenen wurden auf Schei- fungspunkt zweier wichtiger Verkehrswege: terhaufen gelegt und verbrannt. Die verkohl- am Einflussbereich des Donautals in Ost- ten Knochenreste wurden in Gefäßen, den West-Richtung und an der March als Ab-

Ur- und Frühgeschichte Stillfried 39 schnitt einer Verkehrsader, die von der Ost- Wildtieren – Hirschen, Hirschkühen, Wölfen, see bis zur Adria reichte, der sogenannten Füchsen, Wildschweinen – zeigen die beson- Bernsteinstraße. Gegen Ende der Urnenfel- dere Bedeutung, die diese Tiere im Bewusst- derkultur wurden hier besonders thrako- sein der damaligen Bewohner dieser Wehran- kimmerische Einflüsse spürbar. lage gehabt haben dürften. Viele der Tierskelette zeigen verheilte Verletzungen, Die unbefestigte Siedlung die die Tiere in freier Wildbahn nicht überlebt Vier urnenfelderzeitliche Siedlungsphasen hätten. Gut verheilte Brüche, die auf eine konnten auf dem Stillfrieder Kirchenberg bis- Behandlung durch den Menschen schließen her herausgearbeitet werden. Die Siedlung lassen, Verletzungen der Rückenwirbel, die wurde im Laufe dieser Zeit immer stärker durch Stockschläge entstanden sein dürften, befestigt. Am Übergang von der mittleren und Gebissverletzungen als Folge von Beißen zur jüngeren Urnenfelderkultur, ca. 1050 bis auf harte Gegenstände sind nach der zoolo- 1020 v. Chr., dürfte die Siedlung noch nicht gischen Untersuchung Indizien für diese Ge- befestigt gewesen sein. Vielleicht stand an fangenschaft. Den genauen Stellenwert die- der Stelle des späteren Westwalles zu dieser ser Wildtiere im Denken der Menschen und Zeit ein Palisadenwall. Mehrere große Pfos- den Grund für ihre Bestattung kennen wir tengruben unter der Wallaufschüttung könn- aber nicht. Die Tradition der Tierdepositionen ten ein Beweis dafür sein. hörte mit dem Ende der Urnenfelderzeit auf.

Der erste Wall Der zweite Wall Ein Grund für die Befestigung der Siedlung in Zwischen 950/920 und 800 v. Chr. war die Stillfried könnte die Sicherung des wichtigen Siedlung durch den zweiten Wall nun noch Handelsplatzes an der Bernsteinstraße gewe- stärker befestigt. Der zweite Wall wurde mit sen sein. Obwohl das Schutzbedürfnis offen- Erdmaterial von der Seite der Siedlung her bar gestiegen war, schlossen sich die Bewoh- erhöht. Wie beim ersten Wall wurde an der ner von Stillfried aber nicht gegen Einflüsse Innenseite ein Rahmenwerk aus Holzbalken von außen ab. Das kann man an den vielfäl- geschaffen, das mit Erde verfüllt wurde. Die tigen Fremdeinflüssen erkennen. Während Aufschüttung des Erdmaterials erfolgte parallel des 10. bis zu Beginn des 9. Jh. v. Chr. zu den einzelnen Balkenlagen, die wiederum wurde ein erster Wall aufgeschüttet. An der durch Erdaufschüttungen befestigt wurden. Innenseite des Walles wurde ein Rahmen- Der zweite Wall wurde unmittelbar an den werk aus Holzbalken geschaffen, das mit ersten angebaut. Es wird angenommen, dass Erde verfüllt wurde. Der hohe Wall, der mit sich an der Wallkrone eine Art Wehrgang be- seinem 7 m tiefen Graben für Angreifer ein funden hat, da man bei der Ausgrabung in mächtiges Hindernis darstellte, wahrschein- diesem Bereich mehrere parallel und auch lich auch noch mit Befestigungsbauten ge- rechtwinkelig zueinander angeordnete Balken krönt, war ein gewaltiges Bauwerk, das eine feststellen konnte. außerordentliche Arbeitsleistung erforderte. Gegen Ende dieses Siedlungsabschnittes Zu dieser Siedlungsphase gehört auch eine wurde der erste Wall zerstört oder auch nur Speichergrube unter dem westlichen Befesti- durch den zweiten überbaut. gungswall. Hier fand man 1969 den Schädel eines Mädchens ohne Unterkiefer und mit Die Bewohner hielten zahlreiche Wildtiere in vier Hiebverletzungen am Kopf, eingebettet Gefangenschaft. Diese Niederlegungen von in eine große Menge verbrannter Getreide-

40 Ur- und Frühgeschichte Stillfried spelzen. Hatte der Tod des Mädchens reli- giöse Hintergründe? Für den Menschen der Urzeit wird es keine Grenzen zwischen alltäg- lichem und kultischem Handel gegeben haben. Magische Vorstellungen als Teil ihrer Realität beeinflussten so das Leben und waren untrennbar mit dem Alltag der Men- schen verbunden. Stillfried, 7 Ske- lette in einer Speichergrube Die Blütezeit des Handelsplatzes Die Blütezeit der urnenfelderzeitlichen Be - festigung mit der dichtesten Besiedlung und dem stärksten Ausbau des Walles fällt zwi- schen 800 und 730/20 v. Chr. Die Größe der Anlage und die Art der Funde lassen hier ein regionales Zentrum annehmen. Bernstein wurde aus dem Norden gebracht. Kamen entlang der Bernsteinstraße auch die ersten kultivierten Weinreben aus dem Süden hier- her? Zwei verkohlte Weintraubenkerne aus einer spätbronzezeitlichen Abfallgrube sind die ältesten Kerne von Kulturwein in Öster- reich. Das Metallhandwerk erfährt ebenfalls Bronzetechnik – eine Blütezeit. In Gussformen aus Sandstein (2x) Museum für Urgeschichte Asparn/Zaya Treibarbeiten stellten erfahrene Bronzeschmiede Messer, Beile, Schmuckstücke und Lanzenspitzen her. gräbnis (Brandbestattung), noch hat man sie Selbst komplizierte Treibarbeiten, wie sie für am gebräuchlichen Begräbnisplatz bestattet. die Herstellung der Stillfrieder Tasse notwen- Da die Anthropologen von den Toten als von dig waren, könnten Arbeiten lokaler Bronze- einer Familie sprechen, kann man aufgrund schmiede gewesen sein. Auch zahlreiche der gleichzeitigen Bestattung der 7 Men- Knochen- und Geweihgeräte sind Nachweis schen nur einen gewaltsamen Tod anneh- für ein blühendes Handwerk. men. Aufgrund der Körperhaltung nehmen die Anthropologen heute an, dass sie durch Die Besiedlungsdichte ist nun etwa 6-mal so Gift ums Leben gekommen sind. Hat die Fa- hoch wie im ersten Abschnitt und hat sich milie Selbstmord begangen oder wurde sie selbst zur vorangehenden Phase noch ver- durch andere vergiftet? Die Toten wurden doppelt. In diese Zeit gehören auch die mit Sorgfalt zur Ruhe gebettet. Was musste Grube mit einem Metalldepot und eine Grube geschehen, dass man einer ganzen Familie mit 15 Skeletten. ein „ordentliches“ Begräbnis verweigerte? Interessant ist der Fund aber nicht nur für Außergewöhnlich ist auch die Bestattung von die Archäologen, sondern vor allem für die 7 Menschen (1 Mann, 2 Frauen und 4 Kin- Anthropologen, da diese 7 Skelette die ers- der), die in einer großen Speichergrube im ten vollständig erhaltenen aus einer Zeit Wallbereich gefunden wurden. Sie erhielten waren, in der Brandbestattung vorherrschte. weder ein der Tradition entsprechendes Be- Sie sind für Untersuchungen zu Körperbau

Ur- und Frühgeschichte Stillfried 41 uns, dass man die Äcker regelmäßig gepflegt hat und das Getreide nahe dem Boden ge- schnitten wurde. Das Getreide wurde unter anderem mit Sicheln aus Bronze geschnitten. Durch die regelmäßige Pflege konnten mehr- jährige Pflanzen nicht überleben und durch die bodennahe Ernte wurden auch niedrig wachsende Unkrautpflanzen mitgeschnitten. Die Zusammensetzung der verkohlten Ge- treidereste aus Stillfried lässt auch Frucht- Sicheln aus Bronze für wechsel vermuten.

die Getreideernte Museum für Urgeschichte Asparn/Zaya Unter den Getreidesorten hatten die Rispen- und Ernährung der urnenfelderzeitlichen hirse, der Dinkel und das Einkorn die größte Bevölkerung in unserem Gebiet von großer Bedeutung. Außerdem wurden Kolbenhirse, Bedeutung. Emmer und ein emmerähnlicher Spelzweizen angebaut. An Hülsenfrüchten wurden Linse, Mächtige Schuttschichten am Wall, Brand- Erbse, Saubohne und Linsenwicke gefunden. schutt in zahlreichen Siedlungsgruben, ein Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde im spät- Bronzedepot in einer mit Brandschutt gefüll- bronzezeitlichen Stillfried auch Mohn ange- ten Grube sowie Skelette und Skelettreste im baut, wenn auch unter den Samenresten nur Siedlungsbereich sprechen eine eigenartige wenig Mohn zu finden ist. Grünlandpflanzen Sprache. Was war in der Siedlung gesche- waren ebenfalls in den Abfallgruben zu fin- hen? Sind alle Bilder der Zerstörung Zeugen den, was auf eine Grünlandnutzung zur Be- der einen großen Katastrophe, von der der schaffung von Viehfutter für den Winter Ausgräber spricht, oder haben wir es mit schließen lässt. In einer der Abfallgruben einer Serie von Überfällen und auch Schad- wurden sogar Reste einer verkohlten Speise feuern zu tun? Derzeit können wir darauf gefunden, die aus Gerste, Hirse und Roggen- noch keine Antwort geben. trespe bestand. Die Roggentrespe ist für uns heute ein Unkraut. Für die Menschen der Die Landwirtschaft in der späten späten Bronzezeit dürfte sie eine Nutzpflanze Bronzezeit gewesen sein.

Speichergruben und verkohlte Getreidereste Tiere geben einen Eindruck von der Vorratshaltung Die Menschen der urnenfelderzeitlichen Sied- und der Landwirtschaft. Die verkohlten Ge- lung in Stillfried hielten Pferde, Rinder, treidereste enthalten hochwertiges und ge- Schafe, Ziegen, Hunde und möglicherweise reinigtes Saatgut. Die Vermischung verschie- auch schon Hühner als Haustiere. Rinder dener Getreidesorten oder die Mischung von wurden als Jungtiere geschlachtet, aber auch Getreide und Erbsen in den Speichern lässt bis ins höhere Alter – wahrscheinlich für die auf eine bewusste Kombination von Eigen- Milchproduktion – gehalten. Auch Ochsen schaften unterschiedlicher Getreidesorten sind nachgewiesen. Schweine wurden bis schließen. Die wenigen Unkrautsamen im zum 3. Lebensjahr geschlachtet. Schaf und Saatgetreide sind Samen hoch und niedrig Ziege hatten weniger Bedeutung. wachsender einjähriger Pflanzen. Das zeigt Aber auch Wildtiere wurden genutzt: Auer-

42 Ur- und Frühgeschichte Stillfried ochse, Rothirsch, Reh, Wildschwein, Wolf, in Stillfried unterschieden werden: einen älte- Rotfuchs, Bär, Hase, Biber, Schleiereule, ren Horizont, der noch einen Übergang dar- Enten, Gänse, Krähen, Sumpfschildkröten, stellt, und einen jüngeren, der bereits der Hecht und Weißfisch, aber auch Muscheln voll ausgeprägten Hallstattkultur angehört. und Schnecken. Wirtschaftliche Bedeutung hatten besonders Rothirsche wegen ihrer Ge- Älterer hallstattzeitlicher Siedlungshorizont weihe. Der Rothirsch ist das am häufigsten Nach der Zerstörung des zweiten Walles gejagte Wildtier. Es hat auch den Anschein, wurde die Befestigung nicht mehr erneuert. als hätte man versucht, Hirsche zu zähmen. Unmittelbar nach dem Abbrennen der Holz- Biber, Wolf, Fuchs und Braunbär waren kastenkonstruktion wurde reichlich Schutt wegen ihres Felles begehrt. aus der Siedlung an den Wall angeschüttet, darunter hauptsächlich Gefäßreste, aber Eisenzeit auch Bruchstücke von Gussformen. Es schei- nen dabei auch größere Siedlungsbereiche Hallstattkultur (Ältere Eisenzeit) abgetragen worden zu sein. Die Stillfrieder Siedlung ist jetzt unbefestigt. Die Zahl der Gefäße und Metallgegenstände der Hallstatt- Siedlungsobjekte aus dieser Zeit ist um zwei kultur (750–500 v. Chr.) sind Zeugnis eines Drittel geringer als im vorangegangenen Ab- weit verbreiteten Wohlstandes, obwohl der schnitt. Die Kulturkontakte der Urnenfelder- Reichtum des Westens, vor allem begründet zeit werden nach wie vor gepflegt. Es sind durch Salzbergbau und Salzhandel, hier nicht aber auch Kontakte über Sopron in den süd- erreicht wurde. Eisen wird häufiger, doch ostalpinen Raum erkennbar. Werkzeuge und Schmuck aus Bronze domi- nieren noch immer. Die Gefäße sind zum Teil Jüngerer hallstattzeitlicher Siedlungshorizont sehr reich verziert; die Vielfalt der Gefäßfor- Im Bereich des zerstörten urnenfelderzeitli- men ist typisch für diese Zeit. Besonders zahl- chen Walles wird an der Ostflanke ein mäch- reich sind in Stillfried Gefäße mit vollflächiger tiges Lösspaket angeschüttet. Auch die Wall- Graphitierung und Graphitbemalung. Es krone wird überschüttet. Weitere Merkmale kommt auch eine reich mit plastischen Leisten einer neuerlichen Befestigung des Walles verzierte Keramik vor. Nach einer Fundstelle sind aber nicht vorhanden. In dieses Löss - am Kalenderberg bei Mödling wird diese Kera- paket wurden bereits hallstattzeitliche Web- mik als Kalenderbergware bezeichnet. häuser eingetieft. Bemerkenswert ist außerdem eine Änderung im Hausbau in unserer Gegend, die schon Die Beeinflussung aus dem westlichen Hall- gegen Ende der Urnenfelderkultur eingesetzt stattkreis ist jetzt deutlich zu spüren. Hall- hat. Die Häuser werden über rechteckigen, stattformen gehören jetzt schon zum boden- bis zu 90 cm tiefen Gruben gebaut. ständigen Inventar. Der Einfluss aus dem Südosten wird allerdings stärker. Nachah- Die Siedlung der Hallstattkultur mungen von Metallgefäßen werden häufiger. Der Übergang zur Hallstattkultur erfolgte in Entlang der Innenseite des bronzezeitlichen Stillfried allmählich. Es wurden im Lauf der Walles stand eine Reihe von Webhäusern, in Zeit immer mehr Kulturelemente der Hall- denen man bei der Ausgrabung neben stattkultur übernommen und urnenfelderzeit- Standspuren von Webstühlen auch zahlreiche liche Traditionen aufgegeben. Es können Webgewichte und Keramik gefunden hat. In daher zwei hallstattzeitliche Siedlungsphasen einem hallstattzeitlichen Webhaus, das wei-

Ur- und Frühgeschichte Stillfried 43 Keltische Eisengeräte für die Feldarbeit Siedlungsfunde. Träger der La-Tène-Kultur sind Stämme, die von den antiken Autoren als Kelten bezeichnet werden. Man ist heute überzeugt, dass schon ab der Mitte des 5. Jh. v. Chr. auch unsere Gegend mit der für die Kelten typischen Kunst, Kultur und auch Reli- gion konfrontiert war.

Mit der späten Eisenzeit kam jedoch nicht nur ein neuer Kunststil zu uns, auch wirt- schaftlich und technisch hat sich manches verändert. Ab der frühen La-Tène-Kultur wurde die Töpferscheibe zur Herstellung von Gefäßen verwendet. Ab der mittleren La- Tène-Kultur dominieren die scheibengedreh- ten Gefäße bereits eindeutig. Eisen, das während der Hallstattkultur eine noch eher untergeordnete Rolle spielte, hat sich nun durchgesetzt. Auch im Handwerk kam es zu

Museum für Urgeschichte Asparn/Zaya zusätzlichen Spezialisierungen. Es gab nun nicht nur die Berufe, die mit der Metallverar- ter im Inneren der Siedlung lag, wurde beitung zu tun hatten, sondern auch Töpfe- neben der Tonwanne, auf der der Webstuhl rei, Textilhandwerk, Tischler, Beinschnitzer, stand, und den Webgewichten auch eine Glasbläser etc. Reihe interessanter Gefäße ausgegraben. Ein besonderes Stück ist die sogenannte Buckel- Im Bereich der Stillfrieder Wallburg wurden schale, eine tönerne Nachbildung einer Zun- ebenfalls Siedlungsreste der späten La-Tène- genphiale, eines orientalischen Metallgefäßes, Kultur ausgegraben. Der bedeutendste davon das seit dem 9. Jh. v. Chr. bei den Assyrern ist eine Webgrube, die nahe der Krone des bekannt war. Im selben Webhaus befand sich Westwalles freigelegt wurde. Webgewichte auch eine Schale mit schwarzem Mäander- lagen in einer Reihe neben verkohlten Holz- muster auf rotem Grund. Tassen mit Stier- resten, die möglicherweise zum Webstuhl hörnern am Henkel, Nachahmungen von gehört haben. Nördlich der Webgewichte Metallgefäßen wie Zisten aus Ton mit Gra- stand ein großer Topf, bei dem sich weitere phitüberzug, tierkopfähnliche Aufsätze von Webgewichte befanden. Die Anlage dieser Gefäßen und Bruchstücke von tönernen Poka- Webgrube knapp unterhalb der Wallkrone len zeigen den Einfallsreichtum der hallstatt- lässt vermuten, dass der Wall zu dieser Zeit zeitlichen Töpfer der Stillfrieder Siedlung. keine Verteidigungsfunktion gehabt haben dürfte. Die spätkeltischen Siedlungsreste La-Tène-Kultur (Jüngere Eisenzeit) unserer Gegend reichen bis ins 1. Jh. n. Chr., wo schon erste Germanen in unsere Gegend Aus der Jüngeren Eisenzeit, der La-Tène-Kul- vordrangen. Eine Münze aus der Zeit der tur, die nach Funden aus La Tène am Neuen- römischen Republik könnte bereits auf Han- burger See in der Schweiz benannt ist, ken- delsbeziehungen der Kelten mit den Römern nen wir in unserer Gegend nur wenige hinweisen.

44 Ur- und Frühgeschichte Stillfried Frühgeschichte aufgrund des überaus reichlichen römerzeit - lichen Ziegelschutts in der Nähe der Mauer Im 1. Jh. n. Chr. wandern unter dem Druck als römisch bezeichnet werden kann. Ein anderer germanischer Stämme von Norden weiterer bemerkenswerter Fund aus römi- her die Markomannen ein und leben friedlich scher Zeit ist ein Ofen, in dem sich über neben der ansässigen keltischen Bevölke- 200 gebrannte Schleuderkugeln befanden. rung. Der markomannische König Marbod, Dem Gewicht nach entsprechen die Stillfrie- der sich aus eigenen Macht interessen einem der Schleuderkugeln in etwa dem Gewicht germanischen Bündnis widersetzte, wurde im der Steinkugeln, die in römischer Zeit mit Jahr 17 n. Chr. besiegt. Die Markomannen Wurfgeschützen geschleudert wurden. Bei wurden zwischen March und Waag angesie- Ausgrabungen Ende der 1990er Jahre wur- delt und dem quadischen König Vannius un- den Teile dreier eiserner Spangenpanzer mit terstellt, der um 50 n. Chr. inneren Macht- Bronzeschließen zusammen mit einem Öl- kämpfen zum Opfer fiel. Die keltischen lämpchen und mehreren Schneckengehäusen Siedlungsreste in Stillfried und Grub reichen freigelegt. fast durchwegs in das 1. Jh. n. Chr. Germani- sche Siedlungsreste aus dieser frühen Zeit Eine germanische Siedlung Ende des 2. und sind bisher nicht bekannt. Anfang des 3. Jh. n. Chr. wurde 1954 beim Bau des Marchschutzdammes auf der Flur Im 2. und 3. Jh. war die germanische Be- „Alter Mühlgraben“ zwischen Stillfried und siedlung bereits dichter. Am Ende des 2. Jh. Grub angeschnitten. Wie die meisten zeit- n. Chr. drangen germanische Stämme immer gleichen Siedlungen befand sie sich in der wieder in römisches Reichsgebiet ein. Erst in Nähe der March. Siedlungsfunde aus der den 70er Jahren des 3. Jh. gingen die Römer 2. Hälfte des 3. und 4. Jh. sind wesentlich zum Gegenangriff über und gewannen wie- weniger zahlreich. der die Oberherrschaft über die Germanen. Zeichen dafür ist u. a. die römische Station In der zweiten Hälfte des 4. Jh. versuchten auf dem Stillfrieder Kirchenberg. In Öfen und die Römer unter Kaiser Valentinian ein letz- kleinen Gräben vermutet man Spuren eines tes Mal, ihre Lager nördlich der Donau zu kurzfristigen Lagers. Neben militärischen befestigen. Die Funde am Kirchenberg von Resten gibt es auch Funde hochwertiger Stillfried reichen bis ins 5. Jh. n. Chr. Mauer- Handelsware aus dieser Zeit, wie zum Bei- reste, Wandverputz, Mörtelbrocken und spiel eine fast vollständig erhaltene Terra- Dachziegel lassen auch auf Mauerbauten sigillata-Schüssel, die in Südfrankreich her- schließen. In Gruben am Wallfuß wurde gestellt wurde, römische Fibeln und Münzen. neben Resten eines Schuppenpanzers auch Reste von Schuppenpanzern, Waffen und ein Schreibgriffel gefunden. Roter Wandver- Schleuderkugeln sind Nachweis für die Anwe- putz eines wohl aufwändiger ausgestatteten senheit des Militärs. Ziegelstempel verweisen Gebäudes war als Unterlage einer Backofen- auf die X. Legion. Der Fuß eines Bronzegefä- platte verwendet worden. Aus der spätanti- ßes in Form einer Löwenpranke, die Münzen ken Zeit nach Valentinian gibt es in Stillfried und Bruchstücke römischer Fresken sowie zahlreiche germanische Funde. Neben glätt- der Fund einer römischen Silberfibel zeigen verzierter Föderatenkeramik ist auch einhei- die Bedeutung des Platzes während der rö- mische Tonware vorhanden, außerdem Fibeln mischen Kaiserzeit. 1987 konnte auch erst- mit umgeschlagenem Fuß und dreilagige mals ein Mauerrest freigelegt werden, der Beinkämme. Bei der Flächengrabung im

Ur- und Frühgeschichte Stillfried 45 Bereich des sogenannten „Hügelfeldes“ wur- Überganges von awarischer zu slawischer den spätantike Siedlungsreste freigelegt. In Tradition steht das Gräberfeld von Schön - einer Grube wurde neben reichlich Keramik kirchen. Die slawischen Funde nehmen im und Metallstücken vor allem ein großer Rest 9. und 10. Jh. stark zu. eines Schuppenpanzers mit eisernen und bronzenen Lamellen gefunden. Vielfach wird Von Osten kamen zunehmend Slawen in das auch ein germanischer Adelssitz innerhalb Gebiet nördlich der Donau. Auch der Einfluss der Wehranlage von Stillfried vermutet, der des Großmährischen Reiches wurde spürbar. noch im 5. Jh. bestanden haben soll. Doch aus Bayern wurden Missionare zur Christianisierung der hier lebenden Slawen Goten und andere nach Westen drängende geschickt, wie ein Bleikreuz aus Bernhardstal germanische Stämme gefährdeten die Mar- zeigt. Dieser bayerische Einfluss in der Chri- komannen, die nun zum Teil als römische stianisierung blieb in unserer Gegend auch Föderaten im Wiener Becken angesiedelt aufrecht, als von Osten Cyrill und Method ins wurden. Ein Teil der Quaden wanderte mit Mährerreich kamen. den Wandalen nach Spanien, ein anderer Teil siedelte in der ungarischen Tiefebene und Slawische Siedlungsreste gibt es sowohl im gelangte so mit den Langobarden nach Ita- heutigen Ortsgebiet von Stillfried als auch lien. Zu Beginn des 6. Jh. (508) wurden die innerhalb der urzeitlichen Wehranlage. Im im östlichen Weinviertel siedelnden Heruler Osten der Wehranlage wurde eine slawische von den Langobarden besiegt, die daraufhin Töpferei angeschnitten. Dort wurde in gro- ihr Siedlungsgebiet über das Weinviertel bis ßen Holzbottichen römischer Mörtel mit Stei- Südmähren ausdehnten. nen zerkleinert und dem Ton als Magerungs- mittel beigegeben. Im 10. Jh. fielen die 546 n. Chr. erhielten die Langobarden Magyaren, ein Reitervolk, in unser Gebiet ein Gebiete weiter im Osten und verließen die und drangen bis über die Enns nach Westen Gegend nördlich der Donau. Die Gräber der vor. Nachweis für diese Auseinandersetzun- Langobarden wurden unmittelbar danach gen in unserer Gegend sind vereinzelte ausgeraubt. Funde im Bereich der urzeitlichen Wehran- lage wie zum Beispiel dreiflügelige Pfeilspit- Die Langobarden aber schlossen nach einer zen. Auf Kontakte mit den Ungarn lassen Niederlage gegen die Gepiden einen Vertrag auch ein bronzener Pressblechbeschlag und mit den Awaren, der diesen das Gebiet der der Beschlag eines Kästchens, der aufgrund Gepiden im Falle eines Sieges zusicherte. der Metallanalyse eindeutig ungarischer Nach der Einnahme des gepidischen Gebietes Herkunft ist, schließen. durch die Awaren zeigte sich erst deren Ge- fährlichkeit für die Langobarden, die darauf- Dank hin nach Italien abzogen. Für die Awaren war Diese Arbeit stellt eine Kurzfassung des umfassenden Kata- damit der Weg bis in unser Gebiet frei. Die loges „Stillfried – Zentrum der Urzeit“ von Walpurga Antl awarischen Gräberfelder des 8. Jh. in Mistel- dar. Frau Kollegin Antl möchte ich für zahlreiche Hilfestel- lungen herzlich danken. bach und des 9. Jh. in Schönkirchen lassen die Anwesenheit von Awaren in unserer nächsten Umgebung erkennen. Zu Beginn Dr. Ernst Lauermann des 9. Jh. wurde die awarische Macht unter Dr. Franz Hampl-Platz 1 Karl dem Großen zerschlagen. In die Zeit des 2151 Asparn an der Zaya

46 Ur- und Frühgeschichte Stillfried 3.3 Das Römische Carnuntum

Franz Humer

Archäologische Denkmäler sind ein we- sentlicher Bestandteil des gemeinsamen kulturellen Erbes in Niederösterreich. Die überwiegend im Boden verborgenen Ge- schichtsquellen geben Auskunft über Leben und Wirken der Menschen aus längst vergangenen Zeiten und sind daher unverzichtbar für die eigene kulturelle Identität. Es bedarf eines besonders ver- Ausdehnung der ein- antwortungsvollen Umganges mit diesen stigen römischen Geschichtsquellen im Boden, da sie weder 7reasons Stadt Carnuntum unbegrenzt vorhanden, noch wieder her- stellbar oder erneuerbar sind. Daher steht die dauerhafte Erhaltung der archäologi- schen Denkmale als einmalige historische Quellen und Träger unserer eigenen Ge- schichte an erster Stelle.

Das Gebiet der einstigen römischen Stadt Carnuntum in den heutigen Ortschaften Bad Deutsch-Altenburg und Petronell-Carnun- tum (VB Bruck a. d. Leitha, NÖ) erstreckte Münzbild des römi- sich einstmals auf einer Fläche von über schen Feldherrn 2 10 km . Die besiedelte Fläche reichte im Carnuntum Land NÖ - Archäologischer Park Tiberius Osten bis zum Pfaffenberg in Bad Deutsch- Altenburg und im Westen bis etwa einen Die Anfänge Carnuntums führen zurück in Kilometer außerhalb der heutigen Ortstafel die Zeit des ersten vorchristlichen Jahrhun- Petronell in Richtung Wildungsmauer. Den derts. Damals, als noch keine Rede von der nördlichen Abschluss bildeten der Steilhang späteren römischen Provinzhauptstadt war, zur Donau bzw. der Strom mit seinen vielen siedelten keltische Stämme (Boier) im Groß- Nebenarmen und dem Augebiet. Der Verlauf raum Wien-Bratislava. Dies ist durch antike der Donau mit ihren Seitenarmen ist in der schriftliche Quellen für das 2. Jh. v. Chr. gesi- Antike allerdings weiter im Norden anzu- chert. Der Zentralort im March-Donau-Raum nehmen. Im Süden reichte die Bebauung war zu dieser Zeit der Burgberg der Press- bis zu einer Grenze, die in etwa dem Ver- burg in Bratislava. Im Jahr 6 n. Chr. mar- lauf der heutigen Bundesstraße 9 ent- schierten römische Truppen unter der Füh- spricht. Da es nach dem Ende der Antike rung des Feldherrn Tiberius im Rahmen der keine kontinuierliche Weiterbesiedlung gab, geplanten Unterwerfung der in Böhmen sie- ist der Großteil der römischen Stadt nicht delnden Markomannen unter König Marbod überbaut. an die Donau und errichteten bei der „kelti-

Das römische Carnuntum 47 7reasons Virtuelle Rekonstruktion des frühkaiserzeitlichen schen Stadt Carnuntum“ ein Winterlager. Dies aufgrund der ihm aus Pannonien zugebrachten Legionslagers berichtet ein Teilnehmer dieses Feldzuges, der Meldungen unverzüglich umkehren und den später ein Geschichtswerk schrieb. Die ge- Aufstand südlich der Donau bekämpfen, wollte plante Eingliederung Böhmens und in weiterer er nicht riskieren, vom Nachschub völlig abge- Folge der Gebiete bis zur Elbe in das Imperium schnitten zu werden. Es dauerte dann drei Romanum sollte den Schlussstrich im Kampf Jahre, bis die Aufständischen ihre Waffen um die Nordgrenze des Reiches darstellen. strecken mussten. Im selben Jahr 9 n. Chr. Dazu kam es aber nicht, da im Rücken des kam es an der Nordgrenze zur verheerenden unter Tiberius nach Norden über die Donau Niederlage der Römer im Teutoburger Wald vorrückenden Heeres eben der große panno- (wahrscheinlich in der Nähe von Kalkriese, Nie- nisch-dalmatische Aufstand ausgebrochen war. dersachsen) gegen die Cherusker unter ihrem Tiberius, der zum Zeitpunkt des Aufstandes Anführer Arminius. Rom begrub ab diesem mittlerweile weit nach Norden ins Weinviertel Zeitpunkt die Idee, die Reichsgrenze dauerhaft und nach Mähren vorgedrungen war, musste nach Norden zu verlegen. Während der Niederschlagung des pannoni- schen Aufstandes und der Ereignisse am Rheinlimes wurde im Jahre 8 n. Chr. das Ge- biet von Pannonien endgültig römische Pro- vinz. Donau und Rhein wurden in der Folge zur nördlichen Reichsgrenze, die für die näch- sten Jahrhunderte Bestand haben sollte. Im Laufe des 1. Jahrhunderts erfolgte daher auch an der mittleren Donau die Sicherung der Nordgrenze durch eine regelmäßige Abfolge von Wachtürmen und kleineren Lagern. Im Land NÖ - APC Frührömische Anlagen am Donaulimes

48 Das römische Carnuntum Die natürliche Geländekante des Donauabbruchs beim Legionslager Carnuntum Gegensatz etwa zum obergermanisch-räti- schen Limes konnte im Raum Carnuntum durch die natürliche Geländekante des Do- nauabbruchs im Süden (bis zu 40 m Höhe) und den Fluss auf eine geschlossene Absiche- rung mit Mauern und Gräben verzichtet wer- den. Die legio XV Apollinaris errichtete um 40 n. Chr. ein erstes befestigtes Standlager am Südufer der Donau. Dieses bildete den Grundstein für die Entwicklung der späteren Metropole Carnuntum.

Die Gründe für die Errichtung und sehr schnel- len Entwicklung von Lager und ziviler Siedlung in Carnuntum waren vor allem militärischer

Natur: Von dem am Südufer der Donau hoch Carnuntum (4x) Land NÖ - Archäologischer Park auf dem Altenburger Plateau angelegten Legi- onslager konnte das nördlich des Stromes Die erste große Blü- liegende Marchfeld hervorragend überwacht tezeit der jungen Pro- werden. Damit spielte Carnuntum eine her- vinzkapitale unter ausragende Rolle in der Sicherung der befes- Hadrianus und Anto- tigten römischen Grenze am mittleren Do- ninus Pius wurde nauabschnitt. Daneben war die Stadt auch während der Regent- Kreuzungspunkt zweier alter europäischer schaft von Kaiser Haupthandelswege: der Donau als Wasser- Marc Aurel durch den weg samt begleitendem Ufersaumpfad von Ausbruch der soge- West nach Ost und der Bernsteinstraße von nannten Markoman- Portrait Marc Aurels der Ostsee nach Italien. Nach der Schaffung nenkriege jäh unter- der Provinz Oberpannonien (Pannonia supe- brochen. Carnuntum rior) wurde Carnuntum 106 n. Chr. deren wurde dabei ab Hauptstadt und damit Sitz des Statthalters. 170 n. Chr. strategi- Kaiser Hadrian, der ehemalige Provinzstatt- sches Zentrum der halter von Unterpannonien erhob Carnuntum Gegenoperationen 124 n. Chr. in den Rang einer römischen unter Marcus Aure- Stadt. Der vollständige Name der Stadt lau- lius, der fast drei Münzbild des tete nun municipium Aelium Carnuntum. Ver- Jahre hier verbrachte Septimius Severus stärkte Zuwanderung, erhöhte Bautätigkeit, (171–173 n. Chr.). In militärische Sicherheit und expandierende dieser Zeit verfasste Märkte am Schnittpunkt der beiden wichtig- er einige philosophi- sten zentraleuropäischen Handelsstraßen sche Schriften, dar- führten zu einem wachsenden städtischen unter Teile seiner Bewusstsein der Carnuntiner Bevölkerung. In berühmten Selbstbe- weiterer Folge wurden große öffentliche Ge- trachtungen in grie- bäude und befestigte, von gemauerten Kanä- chischer Sprache. Die Münzbild des len durchzogene Straßen errichtet. Reliefs auf der Marc- Regalianus

Das römische Carnuntum 49 durch waren ständige „innere“ Kämpfe an der Tagesordnung. So musste Kaiser Gallie- nus im späteren 3. Jh. innerhalb kürzester Zeit gegen zwei Gegenkaiser ankämpfen, die von den Truppen am Donaulimes kurz hinter- einander zum Herrscher ausgerufen wurden: Ingenuus und Regalianus. Letzterer resi- dierte 260 mit seiner Gemahlin Dryantilla für wenige Monate in Carnuntum und wurde nach kurzer Herrschaft von den eigenen Sol- daten getötet. Seine kurze Usurpationszeit zeigt sich in den wenigen, lokal äußerst be- grenzten Exemplaren der Münzprägung mit seinem Porträt.

Im Jahr 308 n. Chr. rückte Carnuntum erneut ins Zentrum der Weltpolitik. Nach der Abdan- kung von Kaiser Diokletian im Jahr 305 n. Chr. bedurfte es einer grundlegenden Neu- strukturierung der Reichsverwaltung, um den Zusammenhalt des Reichs zu sichern. Auslö- ser für die reichspolitischen Probleme waren die Nachfolgeregelungen der Tetrarchie (= Kaiserkonferenzaltar Vierkaisertum). Dieses von Diokletian 293 n. Chr. geschaffene System stellte jedem der Aurel-Säule in Rom zeigen beiden Regenten (augusti) des geteilten Rei- erstaunlich genaue Details ches einen untergeordneten caesar zur Seite. des antiken Carnuntum Die durch Diokletians Abdankung entstande- aus jener Zeit. nen Nachfolgeprobleme sollten in der Carnuntiner Konferenz geregelt werden. Münzbild des Unter Septimius Severus, Diokletian dem am 9. April 193 n. Carnuntum bot sich sowohl durch seine geo- Chr. von seinen Truppen politische Lage nahe der Trennlinie zwischen zum Kaiser ausgerufenen pannonischen westlicher und östlicher Reichshälfte, als Statthalter (legatus Augusti pro praetore) auch aufgrund des Vorhandenseins ausrei- Oberpannoniens, wurde Carnuntum dann zur chender Gebäude für eine standesgemäße colonia Septimia Aurelia Antoniniana Carnun- Unterbringung der hohen Amtsträger als Ta- tum erhoben. Seine bis 211 n. Chr. dauernde gungsort an. Die historische Konferenz zwi- Regierung brachte eine Blütezeit für Carnun- schen Diokletian, Galerius und Maximianus tum und die gesamte Provinz. Das „unru- fand im November des Jahres 308 n. Chr. hige“ 3. Jh. n. Chr. war von einer oftmals ra- statt. Das Ergebnis der Konferenz führte aber schen Abfolge von Herrschern geprägt. direkt in weitere blutige Auseinandersetzun- Sogenannte „Soldatenkaiser“ lösten sich in- gen, die erst mit der alleinigen Machtüber- nerhalb von wenigen Jahren, manches Mal nahme von Kaiser Konstantin im Jahr 326 n. auch innerhalb von wenigen Monaten ab. Da- Chr. beendet wurden. Heute noch zeugt ein

50 Das römische Carnuntum Haus des Lucius, villa urbana Haus des Lucius, Wiedererrichtung einer villa urbana

Weihealtar im Museum Carnuntinum in Bad Deutsch- Altenburg, der von den Teilneh- mern der Konferenz anlässlich der Wieder- herstellung eines Mithras-Heiligtums gestiftet wurde, von diesem weltpolitischen Ereignis.

Ungeachtet der historischen Ereignisse wurde in der ersten Hälfte des 4. Jh. in Car- nuntum sehr intensiv gebaut: Das zeigen ge- rade die vielen neu errichteten privaten und öffentlichen Gebäude in der Zivilstadt, wel- che im Rahmen der Untersuchung eines anti- ken Wohnstadtviertels südlich von Schloss Petronell in den letzten Jahren zu Tage kamen (Haus des Lucius, villa urbana).

Doch die römische Präsenz an der Donau zeigte sich nicht nur in der eigentlichen Pro- vinzhauptstadt, sondern auch im dazugehöri-

gen „Stadtterritorium“. Mit der Errichtung Carnuntum (5x) Land NÖ - Archäologischer Park von Lager und der sich parallel dazu ent - Limitation und Orien- wickelnden Stadt war natürlich ein großer ebenfalls zur politischen und wirtschaftlichen tierung der Flurgren- zen im Bezirk Bruck Bedarf an landwirtschaftlichen und gewerbli- Stabilisierung des östlichen Niederösterreichs an der Leitha chen Produkten gegeben. Im Rahmen der beitrugen. Diese römischen Gutshöfe, die militärischen und zivilen Erschließung ent- sich inmitten ihrer landwirtschaftlichen Nutz- standen im ländlichen Umfeld bis hin zum flächen befanden, entstanden nach dem Vor- Neusiedlersee Dörfer und Einzelgehöfte, die bild italischer Landgüter als villae rusticae.

Das römische Carnuntum 51 Villa rustica in Bruckneudorf Villa rustica in Höflein Land NÖ - Archäologischer Park Carnuntum (6x) Land NÖ - Archäologischer Park

Die Besiedlung erfolgte dabei auf der Grund- nische Vielfalt ländlicher Siedlungsräume lage naturräumlicher Voraussetzungen: reicht von großen und sehr repräsentativen Klima, Bodenbeschaffenheit, Verfügbarkeit Anlagen (Bruckneudorf), bei denen das von Weide- und Ackerland sowie Ausdehnung Hauptgebäude nach mediterraner Bautradi- vorhandener Bach- und Flusssysteme. Ver- tion im Wohnbereich lag und vom Wirt- mutlich wurde diese Besiedlung staatlich ge- schaftsteil räumlich getrennt war, bis zu mitt- steuert und durch gezielte Maßnahmen wie leren und kleinen Gehöften (Höflein). Diese Landvermessung und -zuweisungen unter- Betriebe erwirtschafteten über den eigenen stützt. Denn zumeist wurde der Grundbesitz Bedarf hinausgehende Beträge und unter- der einheimischen Bevölkerung enteignet stützten die Romanisierung der eroberten und die Fläche an Besitzer des römischen Gebiete. Daher waren all diese villae, Dörfer Bürgerrechts vergeben. Privaten Grundbesitz und die Stadt durch Wege und Straßen mit- konnte es in den neu eroberten Gebieten einander verbunden. Die über den Eigenbe- erst wieder geben, wenn eine amtliche Land- darf hinaus produzierende Landwirtschaft vermessung (limitatio) stattgefunden hatte und Tierhaltung führten aber zu einer nach- und Katasterkarten mit einem Grundbuch haltigen Veränderung des Landschaftsbildes. angelegt wurden. Wichtigster Wirtschaftszweig in den fruchtba- ren Gebieten nördlich des Neusiedlersees Neben der neu angelegten Siedlung am Süd- war der Getreideanbau, der die Versorgung ufer der Donau wurde auch das gesamte der Stadt und der Militärlager sicherte. Wel- Umland von Carnuntum durch diese Maßnah- chen Anteil einzelne Feldfrüchte an der Ge- men erfasst und seit der Mitte des 1. Jhs. n. samtproduktion hatten und welche Erträge Chr. zunehmend wirtschaftlich genutzt. Wie erzielt wurden, lässt sich wegen der schlech- in allen Grenzprovinzen am Limes war daher ten Quellenlage nur schwer sagen. wohl auch die Region östlich von Wien im Hinterland der eigentlichen urbanen Zentren, Holz war im römischen Carnuntum ein ge- der Lager und Kastelle an vorderster Front, suchter Rohstoff, nicht nur als Bau- und durch eine Vielzahl solcher villae rusticae ge- Werkstoff, sondern auch als einziger Energie- prägt (Arbesthal, Göttlesbrunn, Winden, Wei- träger. Ehe beispielsweise ein Gewerbetrei- den, Bruckneudorf, Jois etc.). Die architekto- bender eine Ziegelei, einen Töpferöfen, eine

52 Das römische Carnuntum Grabstein des C. Attius Exoratus mit Wagendarstellung (links) Grabstein eines Frumentarius mit Rodungsszene auf der Schiffsdarstellung (rechts) Trajanssäule

Glashütte oder eine Schmiede betreiben konnte, musste er dafür sorgen, dass genü- gend gutes Brennholz verfügbar war. Holz war auch nötig, wenn Zivilisten und Soldaten ihre Wohnräume und Bäder beheizen woll- ten. Zimmerleute benötigten Balken, Bretter und Schindeln für Dachstühle und beim Hausbau. Auch die in Carnuntum stationierte Donauflottille benötigte viel Holz für den Schiffsbau. Um Platz für Straßen, Militäranla- gen und Siedlungen zu schaffen, wurden in- nerhalb von wenigen Jahrzehnten großflä- chige Gebiete an der Donau gerodet. Auch die Gewinnung von zusätzlichem Ackerland dezimierte die pannonischen Wälder, ohne dass eine planmäßige Wiederaufforstung die Bestände sicherte. Vorübergehend kam so billiges Bau- und Brennholz in großen Men- gen auf den Markt.

Langfristig brachten diese Rodungen aber mehr Schaden als Nutzen. Holz wurde plan- los geschlagen, ohne auf die Bestandswah- rung zu achten: Erst fielen die mächtigen Ei- chen und Buchen, dann das weniger wertvolle Laub- und Nadelholz. Sofern die Rodungsflächen nicht zu Ackerland umge- wandelt wurden, nutzte man sie als Wald- weide. Dadurch änderte der Wald aber all- Relief mit Darstellung von Zimmermanns - mählich seine Zusammensetzung: Statt arbeiten

Das römische Carnuntum 53 Skelett einer Pferdebestat- tung aus dem Auxiliarkastell

Carnuntum Carnuntum Land NÖ - Archäologischer Park

langsam nachwachsender Eichen und Buchen Wie in fast allen entwickelten Gesellschaften nahmen schnellwüchsige Birken überhand, spielten auch in der römischen Kultur die die weder als Brenn- noch als Bauholz höhe- Nutztiere, also die produzierten Nahrungs- ren Ansprüchen genügten. mittel, die Hauptrolle in der Fleischversor- gung. Zum „Grundstock“, den seit der Jung- Die römischen Holzfäller mussten daher steinzeit etablierten Wirtschaftstierarten immer weitere Wege in Kauf nehmen, um Hausrind, Hausschwein, Schaf und Ziege, noch hochwertiges Holz zu finden. Je größer trat seit der Eisenzeit auch das Hausgeflügel die Entfernung zwischen den entsprechenden (Huhn, Hausgans und Haustaube), das aber Baumstandorten und der Stadt wurde, desto erst in der römischen Kaiserzeit bedeutende teurer wurde der Transport. Gleichgültig ob Anteile erlangte. Der Hund und die Pferdear- sich die Holzspediteure für langsame Och- tigen (Equiden: Pferd, Esel, Maultier) wurden sengespanne oder den Wasserweg entschie- in der römischen Zeit im Gegensatz zur Ur- den, sie stießen bald an Kapazitäts- und geschichte normalerweise nicht mehr zu Rentabilitätsgrenzen. Rasch steigender Holz- Nahrungszwecken herangezogen. bedarf, begrenzte Transportkapazitäten und mangelnde Kenntnis forstwirtschaftlicher Zu- Ein weiterer Hinweis auf die massive Umge- sammenhänge führten nach einigen Jahr- staltung der Landschaft durch eine intensive zehnten zu einer „kleinen Energiekrise“ in Pferdehaltung konnte durch die Untersu- Pannonien. Als Folge dieser Verknappung chungen im Auxiliarkastell Carnuntum in Pe- wurden in öffentlichen und privaten Bädern tronell-Carnuntum festgestellt werden. Die etwa im 3. Jh. Teile der vormals heizbaren dort stationierte Kavallerieeinheit einer ala Räume zugemauert, um den Aufwand der quinquenaria, also einer Truppe von 480 Rei- Beheizung zu reduzieren. tern, wies mit Sicherheit einen Bestand von

54 Das römische Carnuntum annähernd 1.000 Pferden auf. Diese enorme kerung – das Ende des römischen Carnun- Zahl an Tieren musste mit Futtermitteln ver- tums klar. sorgt werden und benötigte Koppeln. In der Das Gelände des Legionslagers war nach Aus- Provinzhauptstadt Carnuntum kam es noch weis der archäologischen Zeugnisse bis in die in der Mitte des 4. Jhs. zu einer größeren 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts durchgehend Bautätigkeit: So wurde das Heidentor als Tri- besiedelt. Auch in der Notitia Dignitatum, dem umphalmonument unter Kaiser Constantius amtlichen Reichsschematismus, wird Carnun- II. wahrscheinlich zwischen 354 und 361 n. tum noch um 430 n. Chr. als Sitz des Kom- Chr. errichtet. Kaiser Valentinian erneuerte mandos römischer Truppen erwähnt. Im Jahr noch in den 70er Jahren des 4. Jhs. noch- mals die Befestigungsanlagen am Donauli- mes. Dann jedoch ging durch die Unruhen der Völkerwanderung die Herrschaft Roms an der Donau endgültig zu Ende. Im Jahr 395 n. Chr. durchbrachen die Markomannen und Quaden den pannonischen Limes. Carnuntum war zu dieser Zeit ein Garnisonsort an der Donau, der durchaus noch seine Bedeutung hatte. Allerdings war durch die allgemeine militärpolitische Situation – der Abzug des Militärs zum Schutz von Italien nach Süden und in Folge auch die Abwanderung einer

(nunmehr schutzlos gewordenen) Zivilbevöl- Matthias Pacher Brunnenkasten

Eine frühe Brunnenstube in der Zivilstadttherme von Direkt an die Umfassungsmauern der Heizstelle im Be- Carnuntum dienertrakt der Badeanlage schloss eine rechteckige Brunnenkammer an, die an den Seiten von großen Bruchsteinen in Trockenlegung geschichteten Sickergale- Matthias Pacher rien eingefasst war. Durch diese Umfassungsmauer und eine zusätzliche, unterirdisch gefügte Drainagenleitung Dass die Römer Meister auf dem Gebiet der Wasserwirt- aus Bruchsteinen, konnte oberflächennahes Grundwasser schaft waren und ein ausgezeichnetes Wissen zur Was- in die Brunnenkammer einsickern. Darin setzten sich sertechnik hatten, ist durch die Forschung hinlänglich be- Schwebstoffe über einem groben Steinwurf ab, bevor das kannt. Bei der Versorgung mit Frischwasser besaßen beruhigte Wasser durch einen Überlauf in den eigentli- Badeanstalten hohe Priorität, egal ob es sich um eine chen Brunnenkasten gelangte. Aus diesem wurde das kleine Provinztherme oder eine große Kaisertherme han- Wasser vermutlich mittels Eimerkette geschöpft und in delte. Die Baderäume verfügten über eine Fußbodenhei- einen Drucktank gebracht, von welchem es weiter in die zung (Hypocaustheizung), welche von einer zentralen Baderäume der Therme geleitet wurde. Feuerstelle (Präfurnium) aus beheizt wurden. Der Brunnenkasten reichte über drei Meter tief in den Zur Befeuerung waren enorme Holzmengen nötig. Da die anstehenden Boden und war in Blockbauweise aus Thermen auch über Warmwasserbecken verfügten, saß Eichenbohlen gefügt. Die hölzerne Brunnenauskleidung über der zentralen Heizstelle meist ein Kessel, von wel- hat sich vorzüglich erhalten und konnte geborgen wer- chem aus das erhitzte Wasser in die Becken eingeleitet den. Ihr Alter beträgt rund 1900 Jahre. wurde. Wie bei anderen Badehäusern im Römischen Reich erfolgte die Frischwasserversorgung der Therme Voraussetzung für den ausgezeichneten Erhaltungszu- der Zivilstadt von Carnuntum (Spaziergarten) nicht von stand des Holzes war die ständige Bodenfeuchtigkeit Beginn an über eine zugeführte Frischwasserleitung, und die die Hölzer umgebende Erdpa ckung. Nach ihrer sondern mittels einer direkt vor Ort gelegenen Entnah- Reinigung wurde die hölzerne Brunnenfassung konser- mestelle. viert und für museale Zwecke restauriert.

Das römische Carnuntum 55 Heidentor Land NÖ - Archäologischer Park Carnuntum Land NÖ - Archäologischer Park

433 n. Chr. schließlich wurden die Provinzen an der Donau aufgegeben und offiziell an die Hunnen abgetreten. Die Stadt wurde also nicht – wie viele andere – gewaltsam zerstört, sondern von ihren Bewohnern am Ende der Antike verlassen. Seit einigen Jahren aber er- wacht Carnuntum wieder zum Leben.

Mag. Franz Humer Archäologischer Park Carnuntum Hauptstraße 296 2404 Petronell-Carnuntum

56 Das römische Carnuntum Zierliches Federgras (Stipa eriocaulis): Es zählt zu den charakteristischen Arten der Felssteppen und verleiht den Hainburger Bergen zur Fruchtzeit einen imposanten Aspekt.

4.1 Die Pflanzenwelt der Steppen Niederösterreichs: Flora und Vegetation, Standortsvielfalt und Gefährdung

Luise Schratt-Ehrendorfer

Natürliche Grasländer der Erde

Natürliches Grasland entwickelt sich dort, wo die ökologischen Bedingungen für hochwüch- Heinz Wiesbauer sige Gehölze ungünstig sind: wo es für Eurasiatische Grasländer: Steppen Bäume und größere Sträucher zu kalt ist, wie in der alpinen Rasenstufe der Alpen, wo die Die eurasiatischen Steppen liegen im Inneren Böden zu salzig sind, wo die Böden zu reich des Kontinents, wo die Jahresniederschlags- an Schwermetallen sind, wo die Standorte zu mengen wegen der großen Entfernung zu nass sind – oder auch zu trocken. Weltweit den Meeren niedrig sind und durchschnittlich bilden die Savannen und Steppen die ausge- unter 250 mm im Jahr betragen. Die Winter dehntesten trockenen Graslandschaften der sind sehr kalt, die Sommer heiß und trocken, Erde. Während sich die Savannen in den sodass vor allem der Frühling und der Herbst ganzjährig warmen Tropen und Subtropen günstige Wachstumsbedingungen für die entwickeln, sind die Grasländer der gemäßig- Pflanzen bieten. Weil die waldarmen Gebiete ten und subpolaren Gebiete sommerwarmen, nicht großflächig gerodet werden mussten, aber winterkalten Bedingungen ausgesetzt. boten sie sich als Siedlungsgebiete für den Menschen an, der vor allem im Vorderen Ori- Vor allem Wassermangel bei winterlicher ent mit der Kultur von Steppengräsern wie Kälte begrenzt also den Pflanzenbewuchs Gerste, Einkorn, Emmer und Weizen den der eurasiatischen Steppen, der nordameri- Grundstein für sehr frühe Hochkulturen kanischen Prärien, der südamerikanischen legte. Pampas, der australischen, neuseeländi- schen und südafrikanischen Grasländer Die Westgrenze der klimatisch bedingten eu- sowie der subarktischen Tundren. Es sind rasiatischen Steppen liegt etwa 50 km östlich nicht nur Gräser, die in diesen Pflanzenbe- von Bukarest in Rumänien, die Ostgrenze in ständen den Ton angeben. In den meist der Mongolei. lückigen Rasen kann eine große Zahl weite- rer krautiger Arten vorkommen, aber auch Steppen: Begriffsklärung Kleinsträucher, die nicht selten hohe Deckungswerte (Flächenanteile) erreichen. Wenn nicht einmal die ungarische Puszta Sogar Bäume fehlen meist nicht völlig. nach pflanzengeographischen Kriterien der Je nach den ökologischen Bedingungen eurasiatischen Steppenzone zugerechnet kann sich in den Savannen und Steppenge- wird: Um welche Lebensräume handelt es bieten eine lockere Baumschicht oder ein sich dann, wenn in Österreich und in Ungarn Mosaik aus Grasland und Gehölzen ent - bei grasdominierten Vegetationstypen der wickeln. trockenwarmen Tieflagen von „Steppe“ die

Vegetation 59 Zu den größten Trockenrasenflächen Mitteleuropas zählt die Federgrasflur des Steinfeldes nördlich von Wiener Neustadt. „Substratsteppe“

Auch in den trockensten Gebieten Österreichs sind die Niederschläge mit kaum weniger als 500 mm im Jahr zu hoch und die durch- schnittlichen Jahrestemperaturen mit kaum mehr als 10 °Celsius viel zu niedrig, um die Entwicklung klimatogener Steppen zu ermögli- chen. Nur auf flachgründigen Böden anstehen- der Karbonat- und Silikatgesteine (Felsstep- pen), auf Schotter-, Löss- und Sandböden mit geringer Wasserhaltekapazität (Schotter-, Löss- und Sandsteppen) sowie auf stark wasserbindenden Salzböden (Salzsteppen) treten unter den Bedingungen des östlichen Österreichs baumarme, von Gräsern und Grasartigen dominierte trockenheitsange- Rede ist? Warum treten in Ostösterreich so passte Vegetationstypen auf. Sie werden viele Pflanzen und Tiere auf, die die „Steppe“ wegen der ungünstigen Böden als edaphische im Namen führen, wie zum Beispiel Steppen oder Substratsteppen bezeichnet Steppenhafer, Steppenmelde oder Steppen - und treten nur äußerst kleinflächig auf. Beson- iltis? Und warum assoziiert man den Begriff ders niedrigwüchsige Substratsteppen-Rasen „Steppe“ fast automatisch auch gleich mit vor allem trockener und nährstoffarmer „pannonisch“? Standorte werden Trockenrasen genannt, hö- herwüchsige Rasen an etwas günstigeren Primärsteppe Standorten Halbtrockenrasen, die dann zu den noch produktiveren Trockenwiesen überleiten. Die echten, primären Steppen entwickeln sich vielfach über tiefgründigen, nährstoffrei- Waldsteppe chen Böden und verdanken ihre Existenz dem trockenen Großklima, sie sind also kli- Die substratbedingten Steppenrasen bilden matisch bedingt. Bei künstlicher Bewässe- überall im Nordosten Österreichs Durchmi- rung ergeben sie hervorragendes Ackerland, schungen mit niedrigem Flaumeichen-Busch- weshalb die primären Steppen der wald. Nach einem russischen Begriff aus der über den fruchtbaren Schwarzerden (Tscher- Geographie, der die mosaikartige Verzah- nosemen) heute großteils als Landwirt- nung der echten Steppen mit kleineren oder schaftsflächen genutzt werden. größeren Baumgruppen und Waldinseln be- zeichnet, werden entsprechende Vegetati- Es sind nicht die Niederschlagsmengen allein onsmuster auch in Ungarn und Österreich ausschlaggebend, sondern auch die Tempe- „Waldsteppe“ genannt. raturen, die die Höhe der Verdunstungsrate bestimmen, und es ist wesentlich, ob die Sekundärsteppe Niederschläge während der kältebedingten Vegetationsruhe oder während der Vegetati- Der weitaus größte Teil der Steppen im mit- onsperiode fallen. teleuropäischen Sinn sind Sekundärstep-

60 Vegetation Der Sandberg bei Oberwei- den ist die eindrucksvollste Binnendünenlandschaft in Österreich. pen, die über waldfähigen Standorten liegen. Ihre Entstehung ist nicht auf ein trockenes Großklima und nur teilweise auf die ungün- stigen Substrate zurückzuführen, sondern auf die Rodung des Waldes durch den Men- schen. Nach der Entfernung der Gehölze wurden diese Gebiete wegen ihres nicht idealen Wasserangebotes vor allem als Wei- deland genutzt, und an Stelle der Trocken- wälder entwickelten sich als anthropogene Ersatzgesellschaften Trockenrasen und Tro - ckenwiesen, eben die (Sekundär-)Steppen.

Diese Weiderasen sind wie auch die Mähwie- sen sogenannte Halbkulturformationen, denn

sie haben ihre naturnahe Vegetation nicht Heinz Wiesbauer (2x) komplett verloren. Für ihren Erhalt sind die Steppenrasen aber auf erhaltende Tätigkei- über die besonders reichen Blühaspekte der ten des Menschen angewiesen. Ob und in lückigen Trockenstandorte, die auch vielen welchem Umfang Großsäuger (wie Wildrinder konkurrenzschwachen Arten Lebensraum oder Wildpferde) in der Nacheiszeit die boten. Doch schon in den 1970er-Jahren war Wiederbewaldung in Mitteleuropa durch Be- fast überall klar geworden, dass auf den ehe- weidung hintanhielten, wird kontroversiell maligen Weidegebieten nach Auflassen der diskutiert. Lange vor einer planmäßigen Beweidung allmählich wieder Wald aufkam. Landwirtschaft könnten solche Tiere zumin- Dieser Wiederbewaldungsprozess erfolgte dest lokal an Grenzstandorten des geschlos- zuerst langsam, beschleunigte sich aber mit senen Waldes gehölzfreie Bereiche erhalten zunehmender Humusbildung. und damit Licht liebende Steppen- und Tro - ckenrasenarten gefördert haben, bis schließ- Ein typischer Ablauf ging und geht an vielen lich die Weidetiere des Menschen die Rolle Trockenstandorten etwa so vor sich: Zuerst der Wildtiere übernahmen. wachsen die Bestandslücken zu, weil sie nicht mehr durch Fraß oder Betritt offen ge- Wiederbewaldung der Steppenrasenge- halten werden, und vor allem konkurrenz- biete im Osten Österreichs schwache einjährige Arten, Zwergsträucher sowie Zwiebel- und Knollenpflanzen verlieren Der Angelpunkt für die starke Gefährdung ihre Kleinstandorte. In einem nächsten Suk- der Trockenrasengebiete liegt in der Aufgabe zessionsschritt verdrängen konkurrenzstär- ihrer Nutzung: Bald nach dem 2. Weltkrieg kere Trockengräser, vor allem die Aufrechte ging wegen des Strukturwandels in der Land- Trespe (Bromus erectus), die niedrigerwüch- wirtschaft sukzessive zuerst die Beweidung sigen Trockenrasengräser wie den Furchen- durch Ziegen und später auch die Beweidung und den Walliser Schwingel (Festuca rupicola durch Schafe, Pferde und Rinder zurück, bis und F. valesiaca) oder das Steppen-Schiller- sie schließlich in den 1970er-Jahren ganz gras (Koeleria macrantha). Die bunten, nied- aufhörte. In den ersten Jahren oder sogar rigwüchsigen Trockenrasen verwandeln sich Jahrzehnten freute man sich vielerorts noch in bunte, höherwüchsige Wiesen, in denen

Vegetation 61 trag aus den angrenzenden Ackerflächen trägt zum Tempo dieser Entwicklung wesent- lich bei.

Professor Gustav Wendelberger hatte noch in den späten 1940er- und frühen 1950er-Jah- ren auf der Perchtoldsdorfer Heide südwest- Lössböschungen bei lich von Wien ein bereits 1940 abgezäuntes Goggendorf und Ober- schoderlee zählen zu kleines Naturschutzgebiet dazu benutzt, um den wenigen Standor- zu prüfen, ob sich diese Fläche ohne jeden ten der Europäischen menschlichen Einfluss wiederbewalden würde, Hornmelde oder ob sich der Trockenrasen wegen des (Krascheninnikovia = Eurotia ceratoides) flachgründigen Substrats auch ohne Bewei- in Mitteleuropa. dung und Betritt behaupten würde. Zunächst war Professor Wendelberger begeistert, wie farbenfroh sich die eingezäunte, nicht mehr beweidete und betrampelte Fläche 8 Jahre nach ihrer Abzäunung präsentierte: „Inmitten des fahlen Rasens jedoch liegt, weithin leuchtend, ein abgegrenz- tes, eingefriedetes Gebiet, das den Be- sucher durch die Farbenbuntheit und die Üppigkeit seiner Vegetation fesselt: Der Lösstrockenrasen das Naturschutzgebiet [gemeint ist die in Ottenthal ist der abgezäunte Fläche, Anm. d. Verf.] auf einzige Standort des der Perchtoldsdorfer Heide. Dieses hat Tatarischen Meer- kohls (Crambe tata- sich aus der Trostlosigkeit des abge-

ria) in Österreich. Heinz Wiesbauer (2x) trampelten Trockenrasens zu einem pannonischen Schmuckgärtchen ent- die Aufrechte Trespe dominiert und die sich wickelt, seit es im Jahre 1939 auf In- schließlich durch das Zurückdrängen vieler itiative von Prof. Friedrich Rosenkranz Kräuter in ein recht eintönig grünes und we- zum Naturschutzgebiet erklärt und sentlich artenärmeres Grasland entwickeln. 1940 eingezäunt wurde.“ In diesem Stadium haben sich meist auch (WENDELBERGER 1953) schon vereinzelte Gehölze, vor allem Sträu- Doch bald stellte sich heraus, dass sich bei cher wie Liguster (Ligustrum vulgare), Ein- ausbleibender Beweidung die Fläche sehr griffliger Weißdorn (Crataegus monogyna), schnell wiederbewaldete. Ein frühes Beispiel, Roter Hartriegel (Cornus sanguinea), oder das zeigt, dass für die Erhaltung von Halb- verschiedene Rosen-Arten angesiedelt, die kulturformationen bloß konservierender Na- ersten Jungbäume folgen bald. In deren turschutz nicht geeignet ist! Halbschatten und Tropfbereich finden sehr bald auch anspruchsvollere Arten geeignete Steppenhafer und Steppenmelde Wuchsbedingungen, Fettwiesen entstehen und werden ihrerseits durch die Wiederbe- Obwohl sich die mitteleuropäischen Steppen- waldungsphasen abgelöst. Der Nährstoffein- rasen unter subkontinentalen Bedingungen

62 Vegetation Schwerpunkte der pannonischen Flora in Österreich

nicht klima-, sondern substratbedingt ent- wickeln oder im Fall der Sekundärsteppen ihre Existenz überhaupt menschlichen Tätig- keiten verdanken, lebt auf ihnen eine große Zahl von Tier- und Pflanzenarten, die ihre Hauptverbreitung in den echten Steppenge- bieten haben. Nicht wenige davon erreichen im Gebiet um Wien die Westgrenze ihrer Ver- breitung. Das hat einerseits historische und andererseits in der Gegenwart wirkende, re- zentökologische Ursachen.

Den historischen Faktor bezeugen die Step- penmelde oder Halbstrauch-Radmelde (Bassia = Kochia prostrata) und die dicht weiß behaarte Europäische Hornmelde (Kra- scheninnikovia = Eurotia ceratoides), die beide als eiszeitliche bis späteiszeitliche Steppenrelikte gelten. Während und unmit- telbar nach den Eiszeiten fanden sie in den ausgedehnten damaligen Kältesteppen ge- eignete Wanderbedingungen, die es ihnen erlaubten, im mitteleuropäischen Raum bis nahe an den Eisschild der Alpen vorzudrin- gen.

Im Laufe der nacheiszeitlichen Klimaerwär- mung wurden sie in weiten Bereichen durch anspruchsvollere Arten wieder verdrängt und konnten sich nur an wenigen, extremen (Bearbeitung: Heinz Wiesbauer) (1964), verändert Trockenstandorten auch unter den heutigen, IKLFELD

rezenten Klimabedingungen als Kältestep- N penrelikte behaupten. Steppenmelde und Hornmelde, aber auch der Steppenhafer (He- in wärmeren Phasen der Nacheiszeit, jedoch lictotrichon desertorum) und eine Reihe wei- noch vor der maximalen Ausbreitung des terer Arten sind heute durch große Verbrei- Waldes von Osten, Südosten oder Süden er- tungslücken vom Hauptverbreitungsgebiet reichten. Viele dieser Arten sind ausgespro- getrennt, das bei den genannten Sippen bis chene Raritäten der österreichischen Flora nach Zentralasien reicht, bei anderen Arten, und hier auf das pannonische Florengebiet zum Beispiel dem Tatarischen Meerkohl beschränkt. (Crambe tataria), nur bis in das südukraini- sche und Südrussisch-Pontische Steppenge- Die Pannonische Florenprovinz biet nördlich des Schwarzen Meeres. Vom Großteil unserer Steppenpflanzen nimmt Das Verbreitungsgebiet einer Art ist Aus- man aber an, dass sie den Wiener Raum erst druck ihrer physiologischen und ökologischen

Vegetation 63 licht nur mehr die Ausbildung von Waldstep- penexklaven. An die Pannonische Florenprovinz grenzt im Osten die Pontische Provinz an. Sie reicht bis zum Südfuß des Ural und wird schließlich von der östlichsten, der Südsibirischen Provinz abgelöst, die am Westfuß des Altai-Gebirges in Kasachstan endet. Arten, die wie das Frühlings-Adonisröschen (Adonis vernalis)bis nach Südsibirien vorkommen, werden als südsibirisch-pontisch-pannonische Florenele- mente bezeichnet, Arten, die wie der Öster- reichische Drachenkopf (Dracocephalum au- striacum) ihre östliche Verbreitungsgrenze in den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres erreichen, als pontisch-pannonische Floren- Der europaweit geschützte Wald- elemente. steppen-Beifuß (Artemisia pancicii) Der Großteil der eurasiatisch verbreiteten ist eine extrem sel- Arten erreicht zwar am nördlichen Alpen- tene Art. Sie kommt in Österreich nur auf we- ostrand die Westgrenze der Verbreitung. Ei- nigen Standorten vor. nige von ihnen, zum Beispiel der Walliser Schwingel (Festuca valesiaca), der tiefpur- Eigenschaften sowie ihrer historischen Ent- purn blühende Esparsetten-Tragant (Astraga- wicklung. Gemeinsamkeiten und Unter- lus ), die Glanz-Segge (Carex lipa- schiede der Flora eines Gebietes können rocarpos) und das Grauscheidige Federgras somit dazu herangezogen werden, um Flo- (Stipa pennata = S. joannis), treten aber rengebiete zu charakterisieren. Weil am nach einer großen Verbreitungslücke wieder nördlichen Alpenostrand die Areale zahlrei- in den inneralpinen Trockengebieten Öster- cher Arten aus den echten Steppengebieten reichs, Südtirols, der Schweiz und Frank- endgültig ausklingen, wird hier die Grenze reichs auf. Diese Gebiete liegen im Regen- zwischen der Mitteleuropäischen Florenregion schatten der hohen Zentralalpenketten und im Westen und der Pontisch-Südsibirischen zeigen klimatische Anklänge an die eurasiati- Florenregion im Osten gezogen. Die Floren- schen Steppengebiete. In Österreich sind es regionen werden weiter in Florenprovinzen vor allem das Oberinntal, das obere Isel-, gegliedert, wobei die westlichste Provinz der Möll- und Murtal sowie das Klagenfurter Pontisch-Südsibirischen Florenregion nach Becken, wo vereinzelt und meist sehr lokal der römischen Provinz Pannonien als Panno- Außenposten der Steppenarten in der Mittel- nische Provinz bezeichnet wird. Die Pannoni- europäischen Florenregion geeignete Wuchs- sche Florenprovinz umfasst die Ungarische bedingungen vorfinden. Tiefebene und angrenzende Gebiete Un- garns, Serbiens, Rumäniens, der Slowakei, Pannonische Endemiten Mährens und Österreichs. Das Klima ähnelt zwar jenem der Ukraine im Osten der Karpa- Arten, die nur in einem bestimmten Gebiet ten, ist aber weniger kontinental und ermög- vorkommen, werden als Endemiten dieser

64 Vegetation Region bezeichnet. Verglichen mit den Alpen weist das Pannonische Gebiet weniger Ende- miten auf. Das ist auf die relativ geringe geo- graphische Gliederung der Pontisch-Südsibi- rischen Florenregion sowie auf die einförmigere historische Entwicklung im eis- zeitlich unvergletscherten pannonischen Ge- biet zurückzuführen. Da die einzelnen Pflan- zen-Populationen zumindest bis zur zunehmenden Intensivierung der Landwirt- Der Österreichische schaft durch Genfluss verbunden blieben, bil- Drachenkopf (Draco- cephalum austriacum) deten sich hier viel seltener eigenständige gedeiht auf flachgrün- Sippen als in den Alpen, wo eine stärkere ge- digen, felsigen Step- netische Isolation die Artbildung förderte. penrasen über Karbo- natgestein. Pannonische Endemiten fehlen aber nicht ganz. Aus der Familie der Nelkengewächse ist zum Beispiel die weit verbreitete Kleinblü- tige Kartäuser-Nelke (Dianthus pontederae) zu nennen. Ihr stehen als engerräumig ver- breitete Substratspezialisten folgende Arten gegenüber: in Sandtrockenrasen des March- feldes die Späte Feder-Nelke oder Sand- Nelke (Dianthus serotinus), in sauren Sand- rasen des Marchtals die Hügel-Nelke (Dianthus collinus) oder in den Fels- und Ra- Die Späte Feder- sensteppen über Kalk in den Hainburger Ber- Nelke (Dianthus gen die prachtvollen Polster der Hainburger serotinus) zählt zu den charakteristi- Feder-Nelke (Dianthus lumnitzeri). schen Arten der Sanddünen. Der Waldsteppen-Beifuß (Artemisia pancicii) ist zwar im pannonischen Gebiet endemisch, fehlt aber in Ungarn, dem Kerngebiet der Pannonischen Florenprovinz. Er kommt nur an den Rändern des pannonischen Gebiets vor und wird daher als peripannonischer En- demit bezeichnet. Die Art kommt weltweit nur in Nordserbien, in Südmähren, im Bur- genland an Böschungsoberkanten der Parn- dorfer Platte und in Niederösterreich auf dem Die Hainburger Feder- Nelke (Dianthus lum- Bisamberg und in den Hainburger Bergen mit nitzeri) ist ein panno- sehr zerstreut liegenden (disjunkten) und nischer Endemit, deren sehr kleinen Populationen vor. Der Waldstep- Vorkommen sich auf pen-Beifuß ist vermutlich erst in der Nacheis- die Hainburger Berge und die Kleinen Karpa- zeit durch Kreuzung und Verdopplung der

Heinz Wiesbauer (4x) ten beschränkt.

Vegetation 65 folgte die Benennung der meisten Arten zu einer Zeit, als die Florenregionen und -pro- vinzen noch gar nicht umschrieben und be- nannt waren. Übrigens: auch die „Sibirische“ Glockenblume (Campanula sibirica) ist ein pontisch-pannonisches Florenelement, kommt aber gerade in Sibirien, wie ihr Name sugge- riert, nicht vor (weshalb man sie jetzt auf Deutsch lieber „Steppen-Glockenblume“ nennt).

Das Pannonische Gebiet Österreichs (Pannonikum)

Der österreichische Anteil an der pannoni- schen Florenprovinz wird als „pannonisches Gebiet“ oder kurz als „Pannonikum“ bezeich- net. Es ist durch das bereits charakterisierte pannonische Klima gekennzeichnet. Das pan- nonische Gebiet umfasst im östlichen Nieder- österreich das Weinviertel, das Marchfeld, die Steppen-Glockenblume Hainburger Berge, die Abhänge und Vorhügel (Campanula sibirica) des Leithagebirges, das südliche Wiener Becken, den Alpenostrand, in der Böhmi- Chromosomensätze aus zwei Elternsippen schen Masse die sonnseitigen Steilhänge der hervorgegangen, die damals aus dem ponti- tief eingeschnittenen Täler von Donau schen Gebiet nach Westen vordrangen und (Wachau), Krems, Kamp und Thaya sowie die die unter den heutigen Klimabedingungen Augebiete, in denen vor allem entlang von hier nicht mehr vorkommen. Donau und March auch ausgesprochene Trockenstandorte auftreten. Im Burgenland Zuletzt sei noch auf eine „Fußangel“ hinge- sind das Nordburgenland, unter anderem mit wiesen: Viele Arten mit dem Beinamen „pan- der Parndorfer Platte, dem Seewinkel und nonica“ sind gar nicht ausschließlich panno- den Abhängen des Leithagebirges, sowie tief- nisch verbreitet. Pannonische Kratzdistel gelegene Teile des Mittelburgenlands und der (Cirsium pannonicum), Pannonische Schaf- östliche Rand des Südburgenlandes dem garbe ( pannonica), Pannonischer pannonischen Gebiet zuzurechnen. Pippau (Crepis pannonica), Pannonische Platterbse (Lathyrus pannonicus) sind nicht Die Verteilung der Substrate im Panno- auf die Pannonische Florenprovinz be- nikum schränkt, sondern zeigen ein pontisch-pan- nonisches Verbreitungsbild. Zur Zeit als sie Der Artenreichtum des Pannonikums ist den benannt wurden, wollte man damit ausdrü - vielfältigen Substraten zuzuschreiben, über cken, dass die Art in Ungarn einen Verbrei- denen sich Trockenvegetation ausbilden tungsschwerpunkt hat, und wusste meist kann. Die Karte auf Seite 62 zeigt in einer noch gar nicht, wie weit die Areale der Arten generalisierten Übersicht, dass Löss-Stand- nach Osten reichen. Abgesehen davon er- orte vor allem im Weinviertel bei weitem

66 Vegetation überwiegen. Allerdings sind die Löss-Stand- orte mit ihren fruchtbaren Schwarzerden großteils in landwirtschaftliche Flächen um- Löss-Löwenzahn (Taraxacum gewandelt worden. Die flachgründigen Hart- serotinum) substrate der randlichen Böhmischen Masse, der Weinviertler Klippenzone, des Bisam- bergs, der Thermenlinie am Alpenostrand, die Abhänge des Leithagebirges und die Hainburger Berge weisen hingegen in der Regel steile Hänge auf. Sie sind daher nach wie vor bewaldet oder weisen Mosaike von Felssteppen und Flaumeichen-Buschwäl- dern auf. Nicht selten sind kleinflächige Lössauflagen über Fels- und Schotterstand- orten weit und breit die letzten Standorte mit intakten Lösstrockenrasen. Sand-Gipskraut (Gypsophila fastigiata) Während sich im Steinfeld bei Wiener Neu- stadt noch eine ansehnliche Trockenvegeta- tion über unfruchtbaren Schottersubstra- ten erhalten hat, weisen die Schotterflächen der Parndorfer Platte nördlich des Neusiedler Sees Bodenauflagen auf, die Ackernutzung zulassen, weshalb sich hier kaum natürliche Vegetation erhalten hat. Von den Flugsand- gebieten des Marchfeldes konnten inmitten der „Getreidesteppe“ einige repräsentative Gebiete erhalten werden, die heute die letz- Silbergras ten Trockenstandorte des Marchfeldes dar- (Corynephorus stellen. Die sauren Sande und Magerwiesen canescens) des Marchtales sowie die salzbeeinflussten Trockenstandorte im niederösterreichischen March- und Pulkautal treten nur kleinflächig auf. Von den Salzsteppen des Seewinkels sind einige Restflächen noch gut erhalten.

Hart- und Weichsubstrate

Die Differenzierung in Hart- (Kalk-, Dolomit-, Silikatfelsen) und Weichsubstrate (mehr oder weniger kalkhaltiger Löss, kalkhaltige Sande Sand-Grasnelke des Marchfeldes, kalkarme Sande des March- (Armeria elongata) tals) ist einer der maßgeblichsten Faktoren für die jeweilige Ausbildung der Trockenvegeta- tion. Über den Weichsubstraten entwickeln

Die bodensauren Sand - dünen mit Sand-Quendel (Thymus serpyllum) und Silbergras finden sich nur kleinräumig im Marchtal. Heinz Wiesbauer (6x) Über den anstehenden flachgründigen Kalk- und Dolomitsubstraten der pannonischen Hü- gelländer und des Alpenostrandes kommen pannonische Florenelemente noch immer zahlreich vor. Daneben spielen aber auch nördliche Areal-Außenposten von Arten, die in submediterranen Felsfluren ihre Hauptver- breitung haben, eine wichtigere Rolle als über Weichsubstraten. Über Karbonatböden sind das zum Beispiel das Liegende Nadelrös- chen (Fumana procumbens), die Hochstänge- lige Kugelblume (Globularia bisnagarica = G. punctata), das Graue Sonnenröschen (He- lianthemum canum), die Büschel-Miere (Mi- nuartia rubra = M. fastigiata), die Felsen- nelke (Petrorhagia saxifraga) oder das Wollstängel-Federgras (Stipa eriocaulis). Über den Silikatgesteinen der randlichen Böhmischen Masse treten die submediterran Hochstängelige Kugel- verbreiteten Arten weniger auffällig hervor, blume (Globularia bisnagarica = und vielfach sind es weit verbreitete säure- G. punctata) zeigende Arten, die dort die grusigen, flach- gründigen Tro-ckenrasen charakterisieren, sich tiefgründige Böden, die den Bedürfnissen zum Beispiel der im Sommer oft rot-orange der tiefwurzelnden Arten der pontisch-südsi- überlaufene Zwergsauerampfer (Rumex ace- birischen Steppengebiete zusagen. Sie durch- tosella) oder der kleine einjährige Dillenius- wurzeln mit ihren oft meterlangen Wurzeln Ehrenpreis (Veronica dillenii). die mächtigen Bodenauflagen, um an Grund- wasser oder wasserführende Bodenschichten Die pannonische Flora und Vegetation zu gelangen. Beispiele dafür sind über Löss Niederösterreichs der Löss-Löwenzahn (Taraxacum serotinum) oder über den Flugsanden des Marchfeldes Wegen der herausragenden Bedeutung der das Rispen-Gipskraut (Gypsophila Substrate für die Ausbildung der pannoni- paniculata). Charakteristische Arten tiefgrün- schen Vegetation sollen sie den Leitfaden bei diger Löss-Standorte sind unter vielen ande- dem kurzen, exemplarischen Überblick über ren das besonders früh blühende und stark die niederösterreichische Steppenrasenvege- duftende Löss-Veilchen ( ambigua) oder tation bilden, deren Pflanzengemeinschaften das leuchtend gelb blühende Frühlings-Ado- innerhalb der Vegetationsklasse Festuco-Bro- nisröschen (Adonis vernalis). Über den sau- metea (Trockenrasen, Halbtrockenrasen ren Sanden des Marchtales kommen ausge- und basiphile Magerrasen) in 5 große prägte Säurezeiger wie das Silbergras Einheiten gegliedert werden können: (Corynephorus canescens), die Sand-Gras- Offene Felsfluren (Fels-Trockenrasen, Fels- nelke (Armeria elongata) und der knapp vor steppen) (Stipo pulcherrimae-Festucetalia dem Aussterben stehende Sand-Quendel pallentis) über Kalk, Silikat und ultrabasi- (Thymus serpyllum) vor. schen (Serpentin-)Substraten.

68 Vegetation Geschlossene Trockenrasen (Rasenstep- pen, vorwiegend über Weichsubstraten) (Fe- stucetalia valesiacae) mit kontinental-sub- mediterranen Florenelementen an xerothermen Standorten; sie sind das Ver- bindungsglied zu den ukrainischen und russi- schen Steppen; vor allem über tiefgründigen Böden. Mitteleuropäische Silikattrockenrasen (Koelerio-Phleetalia). Kontinentale Sandtrockenrasen (Sand- steppen) (Festucetalia vaginatae) auf kalk- Die Kammquecke haltigen und auf sauer reagierenden Sanden. (Agropyron pectini- [Halbtrockenrasen (Brometalia erecti) mit forme) gedeiht auf subatlantisch-submediterranen Elementen an Lössböden. subxerothermen Standorten: Da kontinentale Florenelemente weitgehend fehlen, im vorlie- genden Überblick nicht eingehender behan- delt. Charakteristisch für die randpannoni- schen Lagen].

Löss-Steppen des Weinviertels

Seit langem ist das Weinviertel Pilgerstätte für Botaniker, die die berühmten Steppen- Kaltzeitrelikte aufsuchen: die Hornmelde bei Ein Lösstrockenrasen Goggendorf und Oberschoderlee, die Step- in Goggendorf im Weinviertel beher- penmelde bei Haugsdorf und – fraglich, ob bergt den Stängello- ein Reliktelement – den Tatarischen Meerkohl sen Tragant (Astraga- am Zeiserlberg bei Ottenthal. Bei den Relikt- lus exscapus). standorten handelt es sich um steile Löss- wände oder um die Steilflanken von Tälern, die eiszeitlich durch Solifluktion (Bodenflie- ßen) asymmetrisch geformt wurden. Die in Österreich extrem seltenen und hochgefähr- deten Reliktarten besiedeln windabgeblasene Kanten oder Erosionsstellen, wo der Löss ohne Bodendecke offen zutage tritt und wo an den vegetationsarmen Standorten kaum Konkurrenz durch andere Arten gegeben ist. Wertvolle Trockenra- Eine weitere prominente Art von Löss-Steil- sen und Saumgesell- hängen ist die Kammquecke (Agropyron pec- schaften mit Knollen- tiniforme), die heute bei Stillfried an der Brandkraut (Phlomis March ihren einzigen natürlichen Standort im tuberosa) finden sich am Eichkogel bei österreichischen Pannonikum hat, dann und

Heinz Wiesbauer (4x) Mödling.

Vegetation 69 Sand-Steinkraut Sand-Radmelde (Alyssum montanum subsp. gmelinii) (Bassia laniflora)

wann aber auch an gestörten Stellen Sekun- des östlichen Niederösterreichs. Sie entstan- därvorkommen bildet. den erst während der letzten Eiszeit und Lösshänge oder anthropogen geschaffene Nacheiszeit, als aus den Flüssen, insbeson- Hohlwegböschungen mit Bodenauflagen sind dere der Donau, Feinsedimentablagerungen weniger extrem und werden von mehr oder ausgeweht wurden. Die Sedimente lagerten weniger geschlossenen, relativ hochwüchsigen sich schließlich im Bereich der heutigen Rasen („Hainsalbei-Furchenschwingel-Löss- Sandgebiete im Raum von Oberweiden, trockenrasen“) eingenommen, in denen meist Weikendorf, Obersiebenbrunn, Lassee und der Furchen-Schwingel (Festuca rupicola)do- Marchegg (Gerichtsberg) ab und bildeten minant auftritt. Am Zeiserlberg bei Ottenthal, Binnendünen, die im Laufe der nacheiszeitli- bei Oberschoderlee, im Naturschutzgebiet chen Vegetationsentwicklung durch Bewuchs „Mühlberg“ bei Goggendorf a. d. Schmida und stabilisiert wurden. Im Mittelalter wurden die an einigen wenigen weiteren Stellen kann man Sandflächen durch Rodungen geöffnet und noch kleine Reste dieses Rasentyps finden, schlossen sich erst wieder nach Aufgabe der vielerorts treten aber nur mehr gestörte Aus- Beweidung im Laufe des 20. Jahrhunderts. bildungen auf. Häufigere Arten gut erhaltener Flächen sind zum Beispiel Steppen-Salbei (Sal- Der Pannonische Scheidenschwingel-Rasen via nemorosa), Österreichischer Zwerggeißklee entwickelt sich auf den schwach basisch bis (Chamaecytisus austriacus) und Liegender schwach sauer reagierenden offenen Sanden Ehrenpreis (Veronica prostrata), von den selte- des Marchfeldes. Neben dem namengeben- nen Lösspflanzen seien noch der Stängellose den, blau bereiften Scheiden-Schwingel (Fes- Tragant ( exscapus), der Tatarische tuca vaginata) sind als floristische Raritäten, Meerkohl (Crambe tataria) und das Knollen- die Löss-Standorte meiden, noch Sand-Fe- Brandkraut (Phlomis tuberosa) genannt. dergras (Stipa borysthenica), Sand-Stein- kraut (Alyssum montanum subsp. gmelinii), Sandsteppen des Marchfeldes Späte Feder-Nelke (Dianthus serotinus), Sand-Schillergras (Koeleria glauca), Sand- Die Dünen- und Flugsandgebiete des March- Radmelde (Bassia laniflora), Sand-Gipskraut feldes sind eine naturräumliche Besonderheit (Gypsophila fastigiata), Rispen-Gipskraut

70 Vegetation Dünen-Stiefmütterchen Frühlings-Spörgel ( subsp. curtisii) (Spergula morisonii) Heinz Wiesbauer (4x)

(Gypsophila paniculata) oder Sand-Stroh- Diese Arten kommen österreichweit nur hier blume (Helichrysum arenarium) anzuführen: vor und bilden mangels genügend offener eine eindrucksvoll lange Liste, und sie ist Pionierstandorte nur sehr kleine und hochge- nicht einmal vollständig. Wenn sich die be- fährdete Populationen. haarten Grannen der bestandsbildenden Fe- dergräser im Frühsommeraspekt im Wind Über marchbegleitenden, sandigen Uferwäl- wiegen oder in der Abendsonne glänzen, len bei Markthof und über pleistozänen, bleibt das ein unvergessliches Naturerlebnis. lehmüberdeckten Niederterrassenresten Wo das Gelbscheidige Federgras (Stipa pul- („Parzen“) der March zwischen Marchegg und cherrima) und das Grauscheidige Federgras Zwerndorf sind zwar meist artenarme, aber (Stipa pennata = St. joannis) eindrucksvoll mit botanischen Raritäten gespickte Trocken- dichte Bestände bilden, verdrängen sie aller- wiesen ausgebildet. Von den Raritäten seien dings wegen ihrer Dichtheit viele der oben hier Hügel-Nelke (Dianthus collinus), Flach- genannten Spezialisten offener Standorte. blättriger Mannstreu (Eryngium planum) und Sand-Grasnelke (Armeria elongata)ange- Dünen- und Sandrasenvegetation über führt. Die einzelnen Flächen unterscheiden sauer reagierenden Substraten des sich bodenbedingt erstaunlich stark vonein- March- und Thayatals ander, meist überwiegen säurezeigende Arten. Die „Marchtaler Silbergrasflur“ charakterisiert die postglazialen Dünen des Marchtals bei Schottersteppen im Wiener Becken und Drösing und einen Sandrasen im Thayatal bei Heißländen in den Donauauen Bernhardsthal. Auf den stark sauer reagie- renden Sandböden finden sich atlantische Nur wenige wissen, dass im Steinfeld bei Florenelemente: außer dem Silbergras (Co- Wiener Neustadt der größte zusammenhän- rynephorus canescens) noch der Sand-Quen- gende Trockenrasen Österreichs liegt. Das del (Thymus serpyllum), das Dünen-Stief- Steinfeld verdankt seinen Namen den groben mütterchen (Viola tricolor subsp. curtisii) und Kalk- und Dolomitschottern, die die Flüsse der Frühlings-Spörgel (Spergula morisonii). Piesting und Schwarza aus den Alpen kom-

Vegetation 71 mend dort absetzten. Über den Standorten auch – über etwas sandbedeckten Schottern – mit geringer Wasserhaltekapazität breitet der Schweizer Moosfarn (Selaginella helve- sich großflächig und in ebener Lage die tica). Einige charakteristische Arten der Nadelröschen-Federgras-Flur („Niederöster- sandüberdeckten Heißländen seien hier an- reichische Federgrasflur“) aus, sonst die geschlossen: Kleine Spatzenzunge (Thyme- charakteristische Gesellschaft steiler, flach- laea passerina), Kegel-Leimkraut (Silene co- gründiger Hänge des Alpenostrandes. Die nica) und Sand-Schachtelhalm (Equisetum Ausbildung dieser Pflanzengesellschaft im ramosissimum). Steinfeld hat aber unter anderem durch das häufige Auftreten der Glanz-Segge (Carex li- Silikattrockenrasen der Flusstäler am parocarpos) einen heißländenartigen (s. wei- Ostrand der Böhmischen Masse ter unten) Charakter und grenzt sich damit von den Ausbildungen der Felsfluren am Al- An den Hängen der Flusstäler von Donau, penostrand ab. Krems, Kamp und Thaya nimmt die pannoni- sche Vegetation noch den Ostrand der Böh- Als dominante Arten treten unter anderem mischen Masse ein. Das Donaudurchbruchs- Erd-Segge (Carex humilis), Wollstängel-Fe- tal der Wachau ist das größte der Täler und dergras (Stipa eriocaulis), Steppen-Schiller- verfügt, wie auch das Krems- und Thayatal, gras (Koeleria macrantha), Steif-Schwingel außer Silikatgesteinen kleinflächig auch über (Festuca stricta), Herzblättrige Kugelblume kristalline Kalke, die zum floristischen Reich- (Globularia cordifolia) und Graues Sonnen- tum des Gebietes beitragen. Über den groß- röschen (Helianthemum canum) auf. Vor flächig ausgebildeten, sauer reagierenden allem die Rote-Liste-Arten Liegender Böden mit schlechtem Pufferungsvermögen Schneckenklee (Medicago prostrata), Berg- bewachsen die Pflanzen Felsritzen und Fels- Gliedkraut (Sideritis montana) sowie der absätze, in denen der Bleich-Schwingel (Fes- endemische Steif-Schwingel haben hier tuca pallens) und das zur Blütezeit leuchtend österreichweit ihre bedeutendsten Bestände. gelb blühende Felsensteinkraut (Aurinia sa- xatilis) als bezeichnende Arten auftreten, Einen Spezialfall der Schottersteppen stellen häufig in Begleitung des Milden Mauerpfef- die sogenannten Heißländen in den Donau- fers (Sedum sexangulare). Schattige Stand- auen dar. Sie entstanden nach der Donaure- orte werden durch die Felsen-Schaumkresse gulierung als Folge der Grundwasserabsen- (Cardaminopsis petraea) charakterisiert. kung, da die mineralischen Flussbetten des verästelten Donaulaufes großflächig trocken- Dazu kommt eine äußerst seltene floristische fielen. Als charakteristische Arten offener, Besonderheit, die Schweizer Lotwurz noch nicht verbuschter oder vergraster Be- (Onosma helvetica), die in Österreich nur bei reiche seien genannt: Trauben-Gamander Krems a. d. Donau vorkommt. Über kristalli- (Teucrium botrys), Bartgras (Bothriochloa nen Kalken zwischen Spitz und Schwallen- ischaemum), Steppen-Wolfsmilch (Euphorbia bach tritt die Niederösterreichische Feder- seguieriana), Geflügelter Kleiner Wiesen- grasflur in verarmter Ausbildung auf, wobei knopf (Sanguisorba minor subsp. balearica = das Grauscheidige Federgras (Stipa pennata) subsp. polygama), Glanz-Segge (Carex lipa- den Ton angibt. rocarpos) sowie, im Pannonikum ganz unge- wöhnlich, als demontane Arten das Rosma- Sehr reich und vielfältig ausgebildet sind rin-Weidenröschen (Epilobium dodonaei) und auch die Silikatfelsrasen an südexponierten

72 Vegetation Am Umlaufberg bei Merkersdorf gedeiht die Bunte Schwertlilie (Iris variegata) in reichen Beständen an Steilhängen oberhalb der Thaya.

Felsen des Thayatals bei Hardegg und des Umlaufbergs bei Merkersdorf, in denen das seltene Flaum-Federgras (Stipa dasyphylla), die attraktive Bunte Schwertlilie (Iris varie- gata) und als Zwiebelpflanze der Böhmische Gelbstern (Gagea bohemica) zu den floristi- schen Höhepunkten zählen.

Bodensaure Trockenrasen am Westrand des Weinviertels

Im Gebiet von Retz, Pulkau und Eggenburg treten am Westrand des Weinviertels über ackerbaulich ungünstigen Standorten zer- streut kleine Trockenrasen über sauer rea- gierenden Böden auf. In offenen Silikatfels- und Grusfluren sind zum Beispiel Ausdau- erndes Knäuelkraut (Scleranthus perennis), Berg-Sandknöpfchen (Jasione montana) Silikattrockenrasen und Ausläuferbildende Kugel-Hauswurz bei Eggendorf sind (Jovibarba globifera subsp. globifera = J. Standort der Sand- sobolifera) als charakteristische Arten zu Schwertlilie (Iris arenaria). nennen. Über etwas tiefergründigen Böden bilden verschiedene Sippen der Schaf- schwingel-(Festuca ovina-)Gruppe und das Pfriemengras (Stipa capillata) geschlosse- nere Rasen; auf der Fehhaube bei Eggen- burg findet sich darin eines der ganz weni- gen Vorkommen der Sand-Schwertlilie (Iris humilis subsp. arenaria). Größerflächig ausgebildet sind auf den Hügeln bei Retz Silikattrockenrasen in Retz weisen großflä- Vegetationsmosaike aus pannonischen chige Bestände der Trockenrasen mit vom Waldviertel hierher Gemeinen Besenheide reichenden Beständen der Besenheide (Calluna vulgaris) auf. (Calluna vulgaris).

Trockenrasen über Süßwasserkalken des Eichkogels bei Mödling Kleinräumige Trocken- Der Eichkogel wird aus Süßwasserkalken und rasen und ausgedehnte Säume beherbergen Sanden aufgebaut, die von mehr oder weni- am Bisamberg viele ger dicken Löss-Schichten überdeckt sind. seltene Orchideen, wie Entsprechend vielfältig ist das Spektrum der zum Beispiel die Adria- verschiedenen Trockenvegetation, die von tische Riemenzunge (Himantoglossum fragmentarisch ausgebildeten Felstrockenra-

Heinz Wiesbauer (4x) adriaticum).

Vegetation 73 Zwerg-Schwertlilie Kantabrische Winde (Iris pumila) (Convolvulus cantabricus)

sen über verschiedene Schafschwingel-Rasen Felssteppen und Trockenrasen auf bis zu Halbtrockenrasen reicht. Eine Beson- Kalk- und Dolomitstandorten des derheit ist der Blaugraue Blauwürger Pheli- Alpenostrands panche caesia (= Orobanche lanuginosa), ein Vollschmarotzer, der stark schwankende Die Abfälle der Alpen zum Wiener Becken Populationsgrößen aufweist und in manchen sind so steil, dass sich die Felssteppen und Jahren nur sehr wenige Individuen entwi - Trockenrasen besonders gut erhalten haben. ckelt; seine Wirtspflanze ist hier der Ponti- Die Nadelröschen-Federgrasflur („Nieder- sche Beifuß (Artemisia pontica). österreichische Federgrasflur“) besiedelt als offene Felssteppe die flachgründigsten Trockenrasen über kalkhaltigen Sand- Standorte und weist gegenüber ihren Vor- steinen (Mergeln) des Bisambergs kommen im Steinfeld zum Beispiel das Kalk- Blaugras (Sesleria caerulea = S. albicans = Wie der Mödlinger Eichkogel wird auch der S. varia) als differenzierendes Element auf. Bisamberg nördlich von Wien von einem Mo- Lokal kommt diese Pflanzengesellschaft auch saik kleinräumig wechselnder Trockenrasen im Leithagebirge und mit verarmten Ausbil- und Halbtrockenrasen im Komplex mit Ge- dungen noch in der Wachau und im Traisen- hölzen eingenommen, und wie der Eichkogel tal vor. Über tiefergründigen Standorten, die verfügt er über eine besonders hohe Arten- meist weniger stark geneigt sind, vermittelt vielfalt. Der Bisamberg ist als besonders or- der stärker geschlossene Schneckenklee- chideenreich bekannt, pflanzengeographisch Walliserschwingel-Rasen bereits zu den ge- bedeutender ist aber das Auftreten des schlossenen Trockenrasen und lässt oft kaum Waldsteppen-Beifußes (Artemisia pancicii), mehr freien Raum für einjährige Arten. des vom Aussterben bedrohten Pannonischen Außer dem Walliser Schwingel (Festuca vale- Pippaus (Crepis pannonica) und des subme- siaca) mit seinen feinen, blaugrünen Blättern diterran-mediterran verbreiteten Sommer- ist es dennoch der einjährige Zwerg-Schnek- grünen Immergrüns (Vinca herbacea), das kenklee (Medicago minima), nach dem dieser hier eines seiner wenigen österreichischen Rasentyp mitbenannt wurde. Auch die Vor- Vorkommen hat. kommen der Zwerg-Schwertlilie (Iris pumila)

74 Vegetation Flugaufnahme vom Spitzerberg bei

Heinz Wiesbauer (3x) Prellenkirchen zeigen an, dass es sich nicht um komplett tisiert sein können, einen silikatischen Kern. geschlossene Rasen handelt. Gegenüber dem Dieser Silikatkern tritt nur in den östlichen übrigen pannonischen Gebiet sind die Nie- Hainburger Bergen (Königswarte und Hind- derschläge um etwa 100 mm und mehr er- lerberg) zutage und besteht vor allem aus höht, was sich in einem größeren Anteil sub- Granodiorit, kleinstflächig auch aus Quarzit. mediterran verbreiteter Arten, wie zum Beispiel der Kantabrischen Winde (Convolvu- Da die Hainburger Berge klimatisch wesent- lus cantabrica), niederschlägt. Andererseits lich kontinentaler geprägt sind, treten hier manifestiert sich die Lage am Alpenrand gegenüber dem Alpenostrand vermehrt pon- durch das Auftreten montan bis alpin ver- tisch-pannonisch verbreitete Arten auf, wofür breiteter Arten wie der Rundköpfigen Teu- aber auch die stellenweise recht dicken Löss- felskralle (Phyteuma orbiculare). auflagen mitverantwortlich sind. Das reiche Auf der Perchtoldsdorfer Heide, wo Lössauf- Relief der Hainburger Berge und ihre vielfälti- lagen existieren, nimmt der Anteil von gen Substratangebote schaffen unterschied- Steppenarten zu, nicht nur vom Ziesel, lichste Kleinhabitate, die ausschlaggebend sondern unter den Pflanzen zum Beispiel die für den außergewöhnlichen Artenreichtum seltene Pannonische Wolfsmilch (Euphorbia des Gebietes sind. Viele der floristischen Be- glareosa). sonderheiten kommen nur sehr lokal und in kleinen Populationen vor, zum Beispiel der Mesozoische Kalke, Silikat und Lössde- Steppenhafer (Helictotrichon desertorum), cken: Hainburger Berge der hier einen weit nach Westen vorgescho- benen Außenposten seines Areals hat, das Die Hainburger Berge bilden die österreichi- bis Zentralasien reicht. Die Pflanzentabelle sche Fortsetzung der Kleinen Karpaten, von im Anhang enthält eine umfangreiche Aus- denen sie nur durch den schmalen Donau- wahl von Arten der Hainburger Berge, die durchbruch getrennt sind. Im westlichen Teil charakteristisch für Rasenstandorte des Pan- (Pfaffenberg, Hundsheimer Berg, Hexenberg, nonikums sind, oder die eine wichtige Rolle Schlossberg, Braunsberg, Spitzerberg) über- in den verschiedenen Vergesellschaftungen decken mesozoische Kalke, die auch dolomi- der Pflanzen spielen.

Vegetation 75 Blaue Kugeldistel (Echinops ritro subbsp. ruthenicus) An den steilen Hängen der westlichen Hain- burger Berge überziehen unter besonders trockenen Bedingungen Bleichschwingel- Felsfluren die Bergflanken, die nach einem niederschlagsarmen Frühjahr schon Ende Mai Austrocknungserscheinungen zeigen und im Hochsommer mitten in der Vegetationsperi- ode weitgehend verdorrt und braun sind. Die Grasnarbe besteht aus niedrigwüchsigen, trockenheitsangepassten Horstgräsern wie Bleich-Schwingel (Festuca pallens) und Ba- dener Rispengras (Poa badensis), von den zahlreichen dem Boden anliegenden Zwerg- und Halbsträuchern seien der Heide-Ginster ( pilosa) und der Berg-Gamander (Teucrium montanum) stellvertretend ge- nannt. Der Weiße Mauerpfeffer (Sedum album) und weitere Dickblattgewächse spei- chern in ihren Blättern Wasser, um Trocken- zeiten besser zu überdauern. Die Verhält- nisse sind so extrem, dass die Rasen sehr lückig sind. Nur im feuchten Frühjahr gibt es eine große Zahl kurzlebiger Arten, die als Lückenbüßer die Freiräume nutzen, zum Bei- spiel Finger-Steinbrech (Saxifraga tridactyli- tes), Öhrchen-Gänsekresse (Arabis auricu- lata), Spurre (Holosteum umbellatum) und verschiedene Hornkraut-(Cerastium-)Arten. Weißer Mauerpfeffer Ganzjährig können in diesen Rasenlücken (Sedum album) nur austrocknungsresistente Moose und ei- nige noch anspruchslosere Flechten-Arten überdauern.

An weniger extremen Stellen, und vorwie- gend in Süd- bis Südwestexposition,ent - wickeln sich die artenreichen Rasenbänder der Blaugras-Erdseggen-Flur, die aus verschiedenen Horstgräsern und der Erd- Segge (Carex humilis) gebildet werden. Dazu kommt eine reiche Palette von weiteren Krautigen, Zwergsträuchern und Zwiebel- pflanzen: Weiche Silberscharte (Jurinea mol- Pannonischer lis), Ruthenische Blaue Kugeldistel (Echinops Milchstern ritro subsp. ruthenicus), Kriech-Quendel (Ornithogalum pannonicum) (Thymus praecox), Seidenhaariger Backen-

76 Vegetation klee (Dorycnium germanicum), Schopf-Milch- stern (Ornithogalum pannonicum = O. como- sum), Weinberg-Traubenhyazinthe (Muscari Berg-Steinkraut neglectum = M. racemosum) und Hainburger (Alyssum montanum) Feder-Nelke (Dianthus lumnitzeri), die zur Blütezeit prachtvolle weiße Polster bildet.

An den schattigen Nordhängen entwickelt sich das Pannonische Blaugras (Sesleria sad- leriana) so vital, dass es die „dichten Blau- grashalden“ bildet, in denen die meisten anderen Gräser ausfallen. Dafür treten meh- rere Moosarten auf, die die etwas feuchteren, schattigen Bedingungen der Nordseiten an- zeigen. Das Pannonische Blaugras ist ein En- demit randpannonischer Berge Nordungarns und der Südslowakei. In Österreich kommt Feinblättriger Lein die Art nur auf den Hainburger Bergen vor. (Linum tenuifolium)

Die östlichen Hainburger Berge weisen nur sehr beschränkt flachgründige Standorte mit Silikat-Trockenrasen auf, in denen neben an- deren säurezeigenden Arten Kleine Segge (Carex supina), Heide-Straußgras (Agrostis vineale), Sand-Strohblume (Helichrysum arenarium) und Berg-Sandknöpfchen (Ja- sione montana)wachsen.

Jurakalke: Felsfluren und Trockenrasen Österreichische der Falkensteiner und Leiser Berge im Schwarzwurz Weinviertel (Scorzonera austriaca)

Die Jurakalke der Falkensteiner und Leiser Berge gehören der Waschbergzone an, deren Schichten stark zerrüttet sind, weswegen echte Felswände mit Ausnahme des Staatzer Bergs fehlen. Als Folgen der feineren, grusi- gen Verwitterung sind die Bedingungen nicht so extrem trocken wie in den Hainburger Bergen, und die Bleichschwingel-Felsfluren der Falkensteiner Berge (einschließlich des isolierten Staatzer Bergs) sind wesentlich ar- tenärmer ausgebildet als dort. Gleiches gilt für die in Nordlagen desselben Gebiets lokal Sand-Frühlings-Fin- gerkraut (Potentilla auftretenden Blaugras-Rasen, die im Gegen-

Heinz Wiesbauer (7x) incana = P. arenaria)

Vegetation 77 Robinien (Robi- nia pseudacacia) beeinträchtigen

Trockenrasen. Manuel Denner

satz zu den Hainburger Bergen nicht vom Aufgabe der Beweidung und Wiederbe- Pannonischen Blaugras, sondern von dem in waldung den mitteleuropäischen Gebirgen weit ver- Über Jahrhunderte waren Flächen, die für breiteten Kalk-Blaugras (Sesleria coerulea) Acker- oder Weinbau wegen ihrer Unfrucht- geformt werden. Über weicherem, feinerde- barkeit oder Steilheit ungeeignet erschie- reichem Untergrund bildet auch der Walliser nen, als Weideland genutzt worden. Damit Schwingel (Festuca valesiaca) besonders auf wurde die Ausbildung steppenartiger Pflan- den Leiser Bergen stellenweise kleine Rasen- zengemeinschaften gegenüber der Natur- flächen, die aber ebenfalls nur fragmenta- landschaft gefördert. Die Aufgabe der Be- risch ausgebildet sind. Die Bleichschwingel- weidung hatte die Wiederbewaldung oder Felsfluren fehlen unter den gemäßigteren das Verwachsen mit hochwüchsigen Stau- Bedingungen der Leiser Berge; der verbrei- denfluren zur Folge, Vorgänge, die vielerorts tetste Rasentyp sind dort Halbtrockenrasen heute noch ungehindert ablaufen. Die mit der Breitblättrigen Fieder-Zwenke (Bra- Perchtoldsdorfer Heide bei Wien wurde zum chypodium pinnatum) als vorherrschendem Beispiel wie die berühmte Lüneburger Heide Gras und der Sand-Esparsette (Onobrychis in Norddeutschland als Hutweide genutzt, arenaria) als Charakterart („Weinviertler Fie- auf der die Weidetiere nicht in Koppeln ge- derzwenkenrasen“). halten, sondern von Hirten gehütet wurden. Der Eichkogel bei Mödling, der Bisamberg Gefährdung der Trockenrasen im Norden Wiens oder die Hainburger Berge sind weitere ehemals ausgedehnte Weidege- Ein großer Teil der pannonischen Trockenra- biete, die heute zumindest teilweise durch sen ist vor allem nach dem Zweiten Welt- Gehölzentfernung und Beweidung offen ge- krieg durch Umwandlung in landwirtschaftli- halten werden. che Flächen oder durch Flurbereinigung (Kommassierung) vernichtet worden. Die Nährstoffeintrag weiteren Gefährdungsursachen sind mannig- Jahrhundertelang wurde Stallmist nur auf faltig. Äcker ausgebracht, und Düngemittel waren

78 Vegetation Wissenschaftlicher Name Deutscher Name Achillea collina Hügel-Schafgarbe Achillea pannonica Pannonische Schafgarbe Achillea setacea Feinblättrige Schafgarbe Adonis vernalis Frühlings-Adonisröschen Agrostis vinealis Heide-Straußgras Allium carinatum Kiel-Lauch Allium flavum Gelb-Lauch Allium lusitanicum (= A. senescens = A. montanum) Berg-Lauch Allium sphaerocephalon Kugel-Lauch Alyssum alyssoides Kelch-Steinkraut Alyssum montanum subsp. montanum Gewöhnliches Berg-Steinkraut Anacamptis pyramidalis Pyramiden-Hundswurz Anemone sylvestris Steppen-Windröschen Anthemis tinctoria Färber-Hundskamille Anthericum ramosum Ästige Zaunlilie Anthoxanthum odoratum Gewöhnliches Ruchgras vulneraria Echter Wundklee Arabis auriculata Öhrchen-Gänsekresse Arabis sagittata Pfeil-Gänsekresse Artemisia campestris Feld-Beifuß Artemisia pancicii Waldsteppen-Beifuß Asperula cynanchica Hügel-Meier Aster amellus Berg-Aster Astragalus austriacus Österreichischer Tragant Astragalus cicer Kicher-Tragant Astragalus onobrychis Esparsetten-Tragant Astragalus vesicarius Blasen-Tragant Avenula pratensis Kahler Wiesenhafer Berberis vulgaris Berberitze Betonica officinalis Echte Betonie Bothriochloa ischaemum Bartgras Brachypodium pinnatum Fieder-Zwenke Briza media Gewöhnliches Zittergras Bromus erectus Aufrechte Trespe Bromus squarrosus Sparrige Trespe Bupleurum falcatum Sichel-Hasenohr Campanula bononiensis Filz-Glockenblume Campanula glomerata Knäuel-Glockenblume Campanula sibirica Steppen-Glockenblume Carduus acanthoides Weg-Ringdistel Carduus nutans Nickende Ringdistel Carex caryophyllea Frühlings-Segge Carex flacca Blaugrüne Segge Carex humilis Erd-Segge Carex liparocarpos Glanz-Segge Carex praecox Weg-Segge Carex stenophylla Schmalblättrige Segge Carex supina Kleine Segge Centaurea jacea Wiesen-Flockenblume Centaurea scabiosa Skabiosen-Flockenblume Centaurea stoebe Rheinländische Flockenblume Cerastium glutinosum Klebriges Hornkraut Cerastium pumilum Niedriges Hornkraut Cerastium semidecandrum Sand-Hornkraut Cerastium tenoreanum Tenore-Hornkraut Cervaria rivini (= Peucedanum cervaria) Hirschwurz Chamaecytisus austriacus Österreichischer Zwerggeißklee Chamaecytisus ratisbonensis Regensburger Zwerggeißklee Ausgewählte Arten der Trockenrasen- Chamaecytisus supinus Kopfiger Zwerggeißklee und Halbtrockenrasen Chondrilla juncea Ruten-Knorpellattich der Hainburger Berge, Chrysopogon gryllus Goldbart inkl. einiger Sträucher Clematis recta Aufrechte Waldrebe und Arten aus den Clinopodium acinos (= Acinos arvensis) Gewöhnlicher Steinquendel Gehölzsäumen

Vegetation 79 Wissenschaftlicher Name Deutscher Name Colchicum autumnale Herbstzeitlose Cornus mas Gelber Hartriegel, Dirndlstrauch Cotoneaster integerrimus Gewöhnliche Steinmispel Cotoneaster tomentosus Filz-Steinmispel Crataegus monogyna Eingriffliger Weißdorn Cruciata pedemontana Piemonteser Kreuzlabkraut Cuscuta epithymum Quendel-Teufelszwirn Cyanus triumfettii (= Centaurea triumfettii) Bunte Flockenblume nigricans (= Lembotropis nigricans) Trauben-Geißklee Dianthus armeria Büschel-Nelke Dianthus lumnitzeri Hainburger Feder-Nelke Dianthus pontederae Kleinblütige Kartäuser-Nelke Dictamnus albus Diptam Dorycnium germanicum Seidenhaariger Backenklee Draba verna agg. Artengruppe Hungerblümchen Dracocephalum austriacum Österreichischer Drachenkopf Echinops ritro subsp. ruthenicus Ruthenische Blaue Kugeldistel Echinops sphaerocephalus Bienen-Kugeldistel Erodium cicutarium Gewöhnlicher Reiherschnabel Eryngium campestre Feld-Mannstreu Erysimum diffusum agg. Artengruppe Grauer Schöterich Erysimum odoratum Duft-Schöterich, Pannonischer Schöterich Euphorbia cyparissias Zypressen-Wolfsmilch Euphorbia esula Esels-Wolfsmilch Euphorbia seguieriana subsp. minor Kleine Steppen-Wolfsmilch Euphorbia virgata Ruten-Wolfsmilch Euphrasia stricta Steifer Augentrost Falcaria vulgaris Sicheldolde Festuca pallens Bleich-Schwingel Festuca rupicola subsp. rupicola Eigentlicher Furchen-Schwingel Festuca rupicola subsp. carnuntina Carnuntum-Furchen-Schwingel Festuca valesiaca Walliser Schwingel Ficaria calthifolia (= Ranunculus ficaria Nacktstängliges Scharbockskraut subsp. nudicaulis) Filipendula vulgaris Knollen-Mädesüß Fragaria moschata Zimt-Erdbeere Fragaria viridis Knack-Erdbeere Fraxinus excelsior Gewöhnliche Esche Fumana procumbens Liegendes Nadelröschen Gagea pratensis Wiesen-Gelbstern Gagea pusilla Zwerg-Gelbstern Galatella linosyris (= Aster linosyris) Goldschopf Galium boreale Nordisches Labkraut Galium glaucum Gewöhnliches Blaugrünes Labkraut Galium pycnotrichum Behaartes Labkraut, Dickes Wiesen-Labkraut Galium verum Gelbes Labkraut, Echtes Labkraut Genista pilosa Heide-Ginster Genista tinctoria Färber-Ginster Geranium sanguineum Blut-Storchschnabel Globularia bisnagarica (= G. punctata) Hochstängelige Kugelblume Helianthemum canum Graues Sonnenröschen Helianthemum nummularium subsp. obscurum Trübgrünes Sonnenröschen (= H. ovatum) Helichrysum arenarium Sand-Strohblume Helictotrichon desertorum Steppenhafer, Steppen-Staudenhafer Hieracium bauhinii Bauhin-Habichtskraut Hieracium cymosum Trugdolden-Habichtskraut Hieracium echioides Natternkopf-Habichtskraut Hieracium pilosella Kleines Habichtskraut Hieracium umbellatum Dolden-Habichtskraut Holosteum umbellatum Dolden-Spurre Homalotrichon pubescens (= Avenula pubescens) Flaumhafer Hornungia petraea Felskresse

80 Vegetation Wissenschaftlicher Name Deutscher Name Hylotelephium maximum (= Sedum maximum) Quirlblättrige Waldfetthenne Inula conyzae (= I. conyza) Dürrwurz Inula ensifolia Schwert-Alant Inula hirta Rauhaariger Alant Inula oculus-christi Christusaugen-Alant Iris pumila Zwerg-Schwertlilie Jasione montana Berg-Sandknöpfchen Jovibarba globifera subsp. hirta (= J. hirta) Kurzhaarige Kugel-(Fransen-)Hauswurz Juniperus communis Echter Wacholder Jurinea mollis Weiche Silberscharte Klasea lycopifolia (= Serratula lycopifolia) Wolfsfuß-Zwitterscharte Koeleria macrantha Steppen-Schillergras Lactuca viminea Ruten-Lattich Lappula squarrosa Gewöhnlicher Igelsame Laserpitium latifolium subsp. asperum Raues Breitblättriges Laserkraut Leontodon hispidus Gewöhnlicher Leuenzahn Leucanthemum vulgare Magerwiesen-Margerite Limodorum abortivum Violetter Dingel Ligustrum vulgare Gewöhnlicher Liguster Linaria genistifolia Ginster-Leinkraut Linum hirsutum Zotten-Lein Linum austriacum Österreichischer Lein Linum catharticum Purgier-Lein Linum tenuifolium Feinblättriger Lein agg. Artengruppe Gewöhnlicher Hornklee Luzula campestris Hügel-Hainsimse Marrubium peregrinum Grauer Andorn Medicago falcata Sichel-Luzerne Medicago minima Zwerg-Schneckenklee Medicago monspeliaca (= Trigonella monspeliaca) Französischer Bockshornklee Melampyrum arvense Acker-Wachtelweizen Melampyrum barbatum Bart-Wachtelweizen Melampyrum cristatum Kamm-Wachtelweizen Melampyrum nemorosum Hain-Wachtelweizen Melica ciliata Wimper-Perlgras Melica transsilvanica Siebenbürger Perlgras Microthlaspi perfoliatum (= Thlaspi perfoliatum) Durchwachsenes Täschelkraut Minuartia glaucina Hügel-Frühlings-Miere Minuartia rubra (= M. fastigiata) Büschel-Miere Minuartia viscosa Klebrige Miere Muscari comosum Schopfige Traubenhyazinthe Muscari neglectum (= M. racemosum) Weinberg-Traubenhyazinthe Muscari tenuifolium Schmalblütige Traubenhyazinthe Myosotis arvensis Acker-Vergissmeinnicht Myosotis ramosissima Hügel-Vergissmeinnicht Myosotis stricta Steifes Vergissmeinnicht Neotinea ustulata (= Orchis ustulata) Brand-Knabenkraut Nonea pulla Dunkles Runzelnüsschen Odontites lutea Gelber Zahntrost Onobrychis arenaria Sand-Esparsette Ononis pusilla Zwerg-Hauhechel Ononis spinosa Dornige Hauhechel Onosma arenaria Sand-Lotwurz Onosma visianii Visiani-Lotwurz Orchis militaris Helm-Knabenkraut Orchis morio Kleines Knabenkraut Orlaya grandiflora Großblütige Strahldolde Ornithogalum kochii Schmalblättriger Milchstern Ornithogalum pannonicum (= O. „comosum“) Schopf-Milchstern Orobanche alsatica Haarstrang-Sommerwurz Orobanche caryophyllacea Labkraut-Sommerwurz Orobanche elatior Große Sommerwurz Orobanche gracilis Blutrote Sommerwurz vor der

Vegetation 81 Wissenschaftlicher Name Deutscher Name Orobanche lutea Gelbe Sommerwurz Orobanche reticulata subsp. pallidiflora Bleiche Distel-Sommerwurz Orobanche teucrii Gamander-Sommerwurz pilosa Zottiger Spitzkiel Petrorhagia prolifera Kopfnelke, Sprossende Felsennelke Petrorhagia saxifraga Felsennelke, Steinbrech-Felsennelke Peucedanum alsaticum Elsässer Haarstrang Peucedanum oreoselinum Berg-Haarstrang Phleum phleoides Steppen-Lieschgras Phyteuma orbiculare Rundköpfige Teufelskralle Pimpinella saxifraga Kleine Bibernelle Plantago media Mittlerer Wegerich Poa angustifolia Schmalblättriges Rispengras Poa badensis Badener Rispengras Poa bulbosa Zwiebel-Rispengras Polygala comosa Schopf-Kreuzblume Polygala major Große Kreuzblume Polygonatum odoratum Echtes Salomonssiegel Potentilla argentea Silber-Fingerkraut Potentilla incana (= P. arenaria) Sand-Frühlings-Fingerkraut Potentilla recta Aufrechtes Fingerkraut Primula veris Arznei-Primel Prunella laciniata Weiße Prunelle Prunus fruticosa Zwerg-Weichsel Prunus mahaleb Steinweichsel Pulsatilla grandis Große Küchenschelle Pulsatilla pratensis subsp. nigricans Schwarze Küchenschelle Pyrus pyraster Europäische Wild-Birne Quercus pubescens Flaum-Eiche Ranunculus bulbosus Knollen-Hahnenfuß Ranunculus illyricus Illyrischer Hahnenfuß Ranunculus polyanthemos Vielblütiger Hahnenfuß Rapistrum perenne Ausdauernder Rapsdotter Reseda lutea Wilde Resede Rhamnus saxatilis Felsen-Kreuzdorn Rhinanthus minor Kleiner Klappertopf Rosa canina Hunds-Rose Rosa rubiginosa Wein-Rose Rosa spinosissima (= R. pimpinellifolia) Bibernell-Rose Zwergsauerampfer nemorosa Steppen-Salbei, Hain-Salbei Salvia pratensis Wiesen-Salbei Salvia verticillata Quirl-Salbei Sanguisorba minor Kleiner Wiesenknopf Saxifraga bulbifera Zwiebel-Steinbrech Saxifraga tridactylites Finger-Steinbrech Scabiosa canescens Duft-Skabiose Scabiosa ochroleuca Gelbe Skabiose Scleranthus annuus Einjähriges Knäuelkraut Scleranthus polycarpos Wildes Knäuelkraut Scorzonera austriaca Österreichische Schwarzwurz Scorzonera cana (= Podospermum canum) Gewöhnlicher Stielsame Scorzonera hispanica Echte Schwarzwurz Scorzonera purpurea Blassrote Schwarzwurz Sedum acre Scharfer Mauerpfeffer Sedum album Weißer Mauerpfeffer Sedum sexangulare Milder Mauerpfeffer Senecio jacobaea Jakobs-Greiskraut Seseli annuum Steppen-Bergfenchel Seseli hippomarathrum Pferde-Bergfenchel Seseli libanotis Heilwurz Seseli osseum Blaugrüner Bergfenchel Sesleria sadleriana Pannonisches Blaugras, Sadler-Blaugras

82 Vegetation Wissenschaftlicher Name Deutscher Name Sideritis montana Berg-Gliedkraut Silene nutans Nickendes Leimkraut Silene otites Ohrlöffel-Leimkraut Stachys recta Aufrechter Ziest Stipa capillata Pfriemengras Stipa eriocaulis Wollstängel-Federgras, Zierliches Federgras Stipa pennata (= St. joannis) Grauscheidiges Federgras Stipa pulcherrima Gelbscheidiges Federgras, Großes Federgras corymbosum Strauß-Wucherblume Taraxacum sect. Erythrosperma Artengruppe Schwielen-Löwenzahn (= T. laevigatum agg.) Taraxacum serotinum Löss-Löwenzahn, Später Löwenzahn Tephroseris integrifolia (= Senecio integrifolius) Steppen-Aschenkraut Teucrium chamaedrys Echter Gamander Teucrium montanum Berg-Gamander Thalictrum minus Berg-Wiesenraute Thesium ramosum (= Thesium arvense) Ästiger Bergflachs Thesium linophyllum Mittlerer Bergflachs Thymelaea passerina Kleine Spatzenzunge Thymus pannonicus agg. Artengruppe Ungarischer Quendel Thymus praecox subsp. praecox Eigentlicher Kriech-Quendel Trifolium alpestre Heide-Klee Trifolium arvense Hasen-Klee Trifolium campestre Feld-Klee Trifolium montanum Berg-Klee Trinia glauca Kleiner Faserschirm Valeriana officinalis subsp. tenuifolia Schmalblättriger Arznei-Baldrian (= subsp. collina) Verbascum chaixii subsp. austriacum Österreichische Königskerze Verbascum lychnitis Mehl-Königskerze, Heidefackel Verbascum phlomoides Gewöhnliche Königskerze Verbascum phoeniceum Purpur-Königskerze Verbascum speciosum Pracht-Königskerze Veronica austriaca Österreichischer Ehrenpreis Veronica praecox Frühblühender Ehrenpreis Veronica prostrata Niederliegender Ehrenpreis Veronica spicata (= Pseudolysimachion spicatum) Ähriger Ehrenpreis Veronica teucrium Großer Ehrenpreis Veronica verna Frühlings-Ehrenpreis Veronica vindobonensis Wiener Gamander-Ehrenpreis Viburnum lantana Wolliger Schneeball tenuifolia Feinblättrige Wicke Vicia lathyroides Platterbsen-Wicke Vincetoxicum hirundinaria (= Cynanchum Schwalbenwurz vincetoxicum) Viola ambigua Löss-Veilchen, Steppen-Veilchen Wiesen-Veilchen Viola rupestris Sand-Veilchen Viola kitaibeliana Steppen-Stiefmütterchen Viscaria vulgaris (= Lychnis viscaria) Gewöhnliche Pechnelke Xeranthemum annuum Einjährige Spreublume

Anmerkungen

Ausgewählte Arten der Trockenrasen- und Halbtrockenrasen der Hainburger Berge, inkl. einiger Sträucher und Arten aus den Gehölzsäumen

Die wissenschaftlichen Namen richten sich nach FISCHER et al. (2008).

Unterstrichene Arten sind besonders charakteristisch für das Pannonische Gebiet oder vegetationsbestimmend.

Vegetation 83 Verfügbarkeit von synthetisch hergestellten ser Schutzgebiete liegen, in aller Regel nicht Düngern („Kunstdünger“) Mangelware. Ein naturschutzfachlich betreut werden. relativ junger, aber sehr bedrohlicher Gefähr- dungsfaktor für Trockenrasen ist seit etwa Weiterführende Literatur den 1960er-Jahren der verstärkte Eintrag Die folgende Literaturliste enthält ausgewählte Arbeiten zur von Nährstoffen über die Luft. Bei starken Trockenvegetation Niederösterreichs. Winden, wie sie im Pannonischen Gebiet Es fehlen unveröffentlichte Diplomarbeiten und Dissertatio- nen sowie unveröffentlichte Gutachten und Auftragsarbei- häufig auftreten, werden vor allem die ten, die größtenteils auch zur Abfassung der vorliegenden Hauptnährstoffe Stickstoff, Phosphat und Ka- Arbeit nicht zur Verfügung standen. lium in großen Mengen eingeweht und be- ADLER, W. & FISCHER, M. A. (1996): Ein höchst bemerkens- schleunigen als Hauptnährelemente die Wie- werter Sandtrockenrasen im äußersten Nordosten Nieder- österreichs. Fl. Austr. Novit. 4: 11–13. derbewaldung und Verstaudung der Trockenrasen. ADLER, W., MRKVICKA A. & ZUNA-KRATKY, T. (1998) („1997“): Natur-Wanderführer Wien. Wien: Bohmann Druck & Verlag.

Die trockenheitsverträgliche Robinie (Robinia BAUMGARTNER, B. & OSWALD, K. (2000): Naturerlebnis Nieder- österreich. Landschaft – Botanik – Geologie. Wanderführer. pseudacacia) hat viele Vorzüge, ihre attrakti- St. Pölten & Wien: NP [Niederösterr. Pressehaus] Buchver- ven Schmetterlingsblüten sind zum Beispiel lag. eine ertragreiche Bienenweide („Akazienho- BERGER R. & FALLY J. (1995): Panorama Pannonica. Der Na- nig“). Aus naturschutzfachlicher Sicht ist der tionalpark Neusiedler See – Seewinkel und sein Umland. Pannoniens schönste Seiten. Deutschkreutz: J. Fally. aus Nordamerika stammende Neubürger in der heimischen Vegetation aber eine Haupt- BERGER R., FALLY J. & LUNZER H. (1992): Frischer Wind am Steppensee. Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel. ursache der Trockenrasenzerstörung, da er Friedenspark im Herzen des neuen Europa. Deutschkreutz: über Wurzelsymbiose mit Mikroorganismen J. Fally. die Böden mit Stickstoff anreichert. Im BIERINGER G., BERG H.-M. & SAUBERER N. (Wiss. Red.) (2001): schattigen Unterwuchs werden die lichtlie- Die vergessene Landschaft. Beiträge zur Naturkunde des Steinfeldes. Stapfia (Linz) 77. benden Arten der nährstoffarmen Trockenra- sen durch Stickstoffzeiger wie Schwarzer Ho- CHYTRÝ M., MUCINA L., VICHEREK J., POKORNY-STRUDL M., STRUDL M., KOÓ A. J. & MAGLOCKÝ, Š. (1997): Die Pflanzengesell- lunder (Sambucus nigra) oder Klett-Labkraut schaften der westpannnonischen Zwergstrauchheiden und (Galium aparine) verdrängt. azidophilen Trockenrasen. Diss. Bot. 277.

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86 Vegetation 4.2 Anpassungen von Pflanzen an trockene Standorte

Roland Albert

Einleitung

Die Hainburger Berge zählen aufgrund des kontinental-pannonischen Klimas mit relativ geringen jährlichen Niederschlägen und hohen sommerlichen Temperaturen zu den xerothermsten Lebensräumen im Osten (2000) Schematischer Aufbau ULL

Österreichs. Die kalkhaltigen, wasserzügigen K eines Laubblatts Böden sowie die Steilheit des Geländes, die Regen rasch abfließen lässt, verschärfen zu- sätzlich die Trockenheit. Besonders extreme mikroklimatische Verhältnisse gibt es an den sonnenexponierten Südwest- und Südhängen des Pfaffenberges und an den steilen Felsab- stürzen des Braunsberges zur Donau. Diese Bereiche der Hainburger Berge tragen eine rein xerotherme Vegetation, deren Florenele- mente mit vielfachen Anpassungen an Was- sermangel, hohe Einstrahlung und hohe Temperaturen ausgestattet sind. Auflichtbilder der un- teren Epidermis mit et al.(2002) Spaltöffnungen der ITTE

Bevor wir die verschiedenen Strategien, mit S Sumpfdotterblume denen die Pflanzen der Trockenrasen ihren steppenhaften Lebensraum bewältigen, es Hohlräume, die sogenannten Interzellula- näher behandeln, muss kurz noch auf einige ren. Diese sorgen für eine rasche Verteilung grundsätzliche Zusammenhänge eingegan- des aufgenommenen Kohlendioxids im Blatt- gen werden. inneren. In diesen Hohlräumen herrscht nun auch eine relative Luftfeuchtigkeit von an- Die Abbildung rechts oben zeigt das dreidi- nähernd 100 %. mensionale Schema eines Laubblattes mit den wichtigsten Gewebetypen. Es wird dabei Nach außen schließen jeweils chlorophyllfreie sofort klar, dass im Blattinneren nahezu volle Grenzschichten das Blatt ab: die obere und Wassersättigung herrschen muss: Alle Le- die untere Epidermis, deren Zellen oft inein- bensprozesse in den Zellen laufen nur in ander verzahnt sind. Beide Zellschichten sind wässrigen Systemen ab, und auch die zellu- lückenlos von einem dünnen Häutchen aus losehaltigen Zellwände sind vollständig mit wasserabstoßenden, fettartigen Substanzen Wasser getränkt. Zwischen den Zellen des lückenlos überzogen, der sogenannten Cuti- chlorophyllhaltigen Blattgewebes (auch cula. Diese dichtet die Blätter hermetisch ab „Parenchym“ oder „Mesophyll“ genannt) gibt und sorgt dafür, dass das Wasser in Form

Anpassungen an Trockenheit 87 Spaltöffnung der Saubohne in geschlossenem und offenem Zustand et al. (2002) ITTE S von Wasserdampf nicht über die ganze Ober- die Atmosphäre in Form von Wasserdampf fläche des Blattes verloren geht. verbunden, die als Transpiration bezeichnet wird. Der gegenläufige Fluss von Kohlendi- Die Verbindung zur Außenwelt stellen die oxid und Wasser durch die Spaltöffnungen ist Spaltöffnungen dar, die zumeist an der unte- gleichsam das zentrale „Urdilemma“ der Hö- ren Epidermis, in manchen Fällen auch an heren Pflanzen, das anschaulich und plakativ beiden Blattoberflächen, selten auch nur an immer wieder als die Alternative zwischen der Blattoberfläche sitzen. Der Spaltöff- „Verhungern“ oder „Verdursten“ dargestellt nungsapparat besteht aus jeweils zwei boh- wird: Bleiben die Spaltöffnungen geschlos- nenförmigen Schließzellen, die sich je nach sen, kann die Pflanze zwar ihren Wasservor- Wassergehalt und aufgrund asymmetrischer rat bewahren, das Nährelement Kohlenstoff Verdickungen ihrer Zellwände unterschiedlich kann jedoch nicht aufgenommen werden. stark krümmen. Bei Wassermangel ist die Sind andererseits die Spalten immer nur weit Krümmung gering, sodass sich die beiden offen, strömt zwar reichlich Kohlendioxid in Zellen gegenseitig berühren und die Spalte die Blätter, das zu neuer Biomasse verarbei- geschlossen bleibt. Bei starker Krümmung tet werden könnte, doch verliert die Pflanze öffnet sich dagegen die zentrale Spalte. Die gleichzeitig so viel Wasser, dass sie rasch Spaltöffnungen sorgen für den pflanzlichen welken würde! Insgesamt reguliert das Blatt Gasaustausch und sind von der Pflanze aktiv die Spaltöffnungsbewegungen so, dass beide regulierbar. Sie öffnen sich bei Licht, damit Belange – CO2-Aufnahme und H2O-Abgabe –

CO2 aufgenommen und im Zuge der Photo- in einem ausgewogenen Verhältnis ablaufen. synthese verarbeitet werden kann, anderer- seits schließen sich die Spalten – wie oben Angetrieben werden die Gasflüsse quer durch schon angedeutet – bei einsetzender Tro - die Spaltöffnungen durch entsprechende ckenbelastung, um eine weitere Austrock- Diffusionsgradienten. CO2 wird nach seiner nung des Blattes zu verhindern. Aufnahme in das Blatt in organische Verbin- dungen umgebaut, also verbraucht, sodass

Mit der Aufnahme von CO2 ist also untrenn- es trotz des niedrigen Gehaltes in der Atmo- bar eine Abgabe von Wasser aus dem Blatt in sphäre bei offenen Spalten permanent nach-

88 Anpassungen an Trockenheit Walliser Schwingel: Das Bild zeigt: untere Epidermis mit dicker Cuticula, subepider- males Sklerenchym, strömen kann. Ein gegenläufiger Konzentra - Mesophyll mit Chloro- plasten, 2 angeschnit- tionsgradient liegt für Wasser bzw. Wasser- tene Gefäßbündel mit dampf vor: Innen herrscht stets hohe Was- sklerenchymatischer sersättigung, während in der Außenluft je Scheide. nach Witterung sehr unterschiedliche Was- sersättigungsdefizite herrschen. Bereits bei 95 % relativer Luftfeuchte und offenen Spalten beginnt die Atmosphäre, einen sehr starken Sog auf die internen Wasservorräte des Blattes auszuüben. Man kann physika- lisch-chemisch diesen Sog als „negativen Druck“ berechnen: Er beträgt in diesem Fall Österreichische Schwarzwurz – untere (also bei 95 % rel. Luftfeuchte, was uns Men- Epidermis mit Spalt- schen eigentlich als extrem feucht er- öffnung: Man beachte scheint!) schon ca. –70 bar. Bei 50 % Luft- die dicken äußeren feuchtigkeit, also bei Werten, die an heißen Zellwände mit der Cuticula. Sommertagen am Trockenrasen sicher noch unterboten werden, erreicht dieser Sog rund –1.000 bar! Als „take home message“ dieses kurzen allgemeinen Exkurses ist also festzu- halten, dass die trockene Luft „bestrebt“ ist, den Pflanzen mit ungeheurer Kraft ihr wert- volles Wasser zu entziehen.

Wir kehren nun wieder zu unseren Pflanzen in Ginsterblättriges Lein- den heißen und trockenen Steppengesellschaf- kraut: Das Bild zeigt ten der Hainburger Berge zurück und wollen die untere Epidermis mit dicken Zellwänden uns an ausgewählten Beispielen mit den wich- sowie die Cuticula tigsten Strategien ihrer Anpassung an diese und die Wachspapillen. trockenen Verhältnisse vertraut machen.

Anpassungen und Strategien auf anato- misch-morphologischer Ebene

Cuticula und Wachsschichten

Im Normalfall ist die Cuticula ein sehr dünnes Wachspapillen des Häutchen aus wasserabstoßenden Substan- Ginsterblättrigen Lein- krauts im Raster-Elek- zen, das die äußere Zellwand der Epidermis tronenmikroskop: überzieht. Die Beispiele einer Schwingel-Art Die Papillen sind im (Festuca sp.), der Österreichischen Schwarz- Bereich der Spaltöff- wurz (Scorzonera austriaca) und des Ginster- nungen dichter. blättrigen Leinkrauts (Linaria genistifolia) auf den Abbildungen rechts machen deutlich, dass bei Pflanzen trockener Standorte der

Hainburger Feder- Nelke, Blattquer- schnitt: Man beachte, dass die Schließzellen eingesenkt und in der etwas geschützten Rinne an der Blatt- oberseite konzentriert sind. Roland Albert (5x) Roland nach außen abschließende Komplex aus (Euphorbia seguieriana), die Zwerg-Schwertlilie Außenwand und Cuticula (die am mikroskopi- (Iris pumila) u. a. An Blättern des Leinkrauts schen Lebendpräparat nur schwer von der sind die Wachszäpfchen lichtmikroskopisch als Zellwand unterscheidbar ist) sehr viel dicker körniger Überzug erkennbar, doch werden erst ausgebildet ist als bei „Wald- und Wiesen- am elektronenmikroskopischen Präparat diese pflanzen“. Die cuticuläre Transpiration bleibt bizarren Strukturen deutlich sichtbar. dadurch sehr niedrig. Wachsauflagen optimieren den Wasserhaus- Wie an den Beispielen der vorigen Abbildun- halt der Pflanzen auch noch auf einem zwei- gen erkennbar, sind die Spaltöffnungen in ten Weg: Sonnenlicht wird z. T. reflektiert, diese dickwandige Epidermis eingesenkt. sodass sich die Blätter weniger stark aufhei- Auch wenn der austrocknende Wind über die zen und dadurch auch weniger transpirieren. Blattoberfläche streicht, so bleibt die aus den Darüber hinaus absorbieren sie die gefährli- Spaltöffnungen austretende Feuchtigkeit in che UV-Strahlung, bevor diese noch das diesen Gruben etwas länger bestehen, so- empfindliche, chlorophyllhaltige Mesophyll dass die Transpiration gebremst wird. Auch erreichen kann. am Blattquerschnitt der Hainburger Feder- Nelke (Dianthus lumnitzeri) sind diese in die Sklerenchyme und skleromorphe dickwandige Epidermis und Cuticula einge- Strukturen senkten Schließzellen erkennbar. Eine weit verbreitete Anpassung an trockene Einige Pflanzenarten sondern wachsartige, Umgebungsbedingungen ist die Ausbildung ebenfalls stark wasserabweisende Stoffe an von mechanischen Geweben, Zellgruppen ihrer Oberfläche aus, die als epicuticulare oder Zellen, die das Blattinnere mehr oder Wachse die Cuticula teilweise bedecken bzw. weniger intensiv auskleiden. Oft sind solche völlig überziehen können und v. a. auch den Festigungsgewebe (die als „Sklerenchyme“ Schließzellenbereich zusätzlich schützen. Die bezeichnet werden) in Form von dickwandi- Wachse schließen die Außenhaut noch stär- gen Fasersträngen um die Gefäßbündel (Leit- ker ab, sodass die cuticuläre Transpiration bündel), insbesondere um den besonders fast völlig unterbunden wird. Die Wachsab- empfindlichen Bastteil angeordnet, in dem sonderungen bilden meist kleine Platten, sich dünnwandige Zellelemente befinden, die Warzen, Höcker, gelegentlich auch längere, der Ableitung von Assimilaten aus den Blät- zäpfchenartige Gebilde. Auch sie sorgen als tern in Stängel und Wurzeln dienen. kleine „Windbrecher“ dafür, dass die aus den Spalten austretende Feuchtigkeit etwas län- Die mechanische Festigung des Laubblattes ger verweilt und so die Transpiration bremst. kann zusätzlich durch die Anlage besonders Pflanzen mit derartigen äußeren Wachsaus- dicker Zellwände im Bereich der Oberhaut scheidungen sind an dem „blau bereiften“ auf beiden Blattseiten erfolgen. Gelegentlich Aussehen ihrer Blätter zu erkennen. Beispiele sind auch darunterliegende Schichten als sind das Ginsterblättrige Leinkraut (Linaria „hypodermales Sklerenchym“ davon betrof- genistifolia), die Hainburger Feder-Nelke fen. Die Blätter greifen sich dann starr und (Dianthus lumnitzeri), der Bleich-Schaf- fest an. Der Preis für die Bildung derartiger Schwingel (Festuca pallens), der Meergrün- Festigungsgewebe ist relativ hoch, und die Sesel – auch Meergrün-Bergfenchel genannt Pflanzen müssen einen guten Teil ihres assi- – (Seseli osseum), die Steppen-Wolfsmilch milierten Kohlenstoffs investieren, den sie

90 Anpassungen an Trockenheit ansonsten für Wachstumsprozesse verwen- den könnten. Der entscheidende Vorteil einer Ausstattung mit derartigen „skleromorphen“ Strukturen liegt darin, dass ein Welken, also ein Erschlaffen mit gleichzeitigem Struktur- und Funktionsverlust verhindert wird. Be- kannte Beispiele dafür sind etwa die starren Blätter des Feld-Mannstreus (Eryngium cam- pestre), der Hainburger Feder-Nelke (Dian- thus lumnitzeri), und v. a. vieler Gräser.

Im Blatt der Feder-Nelke (siehe Abb. S. 89) liegen über dem Bastteil der beiden randli- chen und des zentralen Gefäßbündels (Blatt- Haar-Federgras, Mittelnerv!) mächtige Pakete langgestreckter, Blattquerschnitt extrem dickwandiger und verholzter Zellen, die das Blatt wie Armierungen durchziehen und sein Erschlaffen bei Wasserverlust ver- hindern. Besonders eindrucksvoll treten uns skleromorphe Strukturen bei den Gräsern entgegen, wofür der Walliser Schwingel (Festuca valesiaca), besonders aber das Pfriemengras, auf Deutsch auch Haar-Feder- gras genannt (Stipa capillata), als Beispiele genügen müssen. Erstgenanntes Gras besitzt an der Blattunterseite (= Blattaußenseite) neben der schon erwähnten sehr dicken Außenepidermis und Cuticula eine subepider- male, sklerenchymatische Schicht aus sehr Walliser Schwingel, englumigen, mit extrem dicken Wänden aus- Blattquerschnitt gestatteten faserförmigen Zellen, die im Querschnitt rund erscheinen. Beide Zelllagen – Epidermis und Subepidermis – stützen das weiche, photosynthetisch aktive Gewebe wie ein Außenskelett. Zudem sind die Gefäßbün- del von einer Scheide aus langgestreckten, faserförmigen Zellen umgeben, deren innere Wände sehr stark verdickt sind und die die empfindlicheren Gefäßbündelzellen mecha- nisch schützen. Noch stärker ist das Feder- Haar-Federgras, Blatt- querschnitt. Detail im gras mit sklerenchymatischen Strukturen Bereich der unteren ausgestattet, die das gesamte Blatt durch- Epidermis. Man be- ziehen und in welche das dünnwandige achte die Zellwand- Chlorophyllgewebe völlig eingeschlossen ist verdickung, die in einer der Epidermis- (Abbildung rechts unten). Auch hier gibt es

Roland Albert (3x) Roland zellen sichtbar ist.

Anpassungen an Trockenheit 91 Blattroll-Mechanismus Berg-Steinkraut: Aufsicht auf die bei Federgräsern obere Epidermis mit Sternhaaren Roland Albert (2x) Roland sehr dickwandige, teilweise verholzte Epider- trocknung schrumpfen gewisse Zellpartien miszellen und eine subepidermale Skleren- stärker, sodass sich die Blätter bei fortschrei- chymschicht an der Blattunterseite. tendem Wasserverlust völlig einfalten bzw. einrollen. Innerhalb der Falte bzw. Röhre bil- Die beiden Gräser zeigen aber noch eine wei- det sich dann ein Raum mit feuchterem, v. a. tere, höchst bemerkenswerte Anpassung an windberuhigtem Mikroklima, das die Blätter trockene Verhältnisse, nämlich den Typus vor weiterer Austrocknung schützt. Die Zelle- eines Faltblattes (Schwingel) und Rollblattes lemente an dieser Blattseite (Oberseite) sind (Federgras): Die Spaltöffnungen liegen in viel weniger wandverstärkt, und auch die Cu- beiden Fällen nicht an der Unterseite, son- ticula ist dünner. dern ausschließlich an der Oberseite. Bei guter Wasserversorgung sind alle Mesophyll- Hinzuweisen ist auch auf die Behaarung auf zellen prall mit Wasser gefüllt und turges- der Blattoberseite bei beiden Grasarten, zent, dadurch sind die Blattspreiten weiter deren Bedeutung als Transpirationsschutz im aufgefaltet (Schwingel) bzw. nur wenig ein- nächsten Kapitel zu besprechen sein wird. gerollt (Federgras). Bei beginnender Aus- Die Blattunterseiten schirmen mit ihren dick- Grafik: Anne-Mette Hanak (2x) Grafik: Sand-Frühlings-Fingerkraut: Königskerze: einzelnes Haarbüschel Stockwerksbehaarung schematisch schematisch

92 Anpassungen an Trockenheit Berg-Steinkraut, Blattquerschnitt mit Sternhaaren (oben) Sand-Frühlings-Fingerkraut, Blattquerschnitt mit Büschelhaaren (Mitte) Weiche Silberscharte, Blattquerschnitt (unten) wandigen Epidermis- und Subepidermiszellen und mit ihrer dicken Cuticula das gesamte Rollblatt hermetisch ab. Die Gattung Stipa mit ihren zahlreichen Arten in den Steppen- und Wüstengürteln der nördlichen Hemi- sphäre verdankt wohl in erster Linie dieser genialen „Erfindung“ eines automatisch regu- lierten Austrocknungsschutzes ihren großen ökologischen Erfolg.

Blattbehaarung

Ein besonders auffälliges Merkmal vieler Pflanzen trockener Lebensräume ist ihre Behaarung. Manchmal ist nur die Blattunter- seite behaart, in vielen Fällen sind aber beide Blattseiten von ein- bis mehrzelligen Haarbil- dungen bedeckt, die als Ausstülpungen der Epidermis zu deuten sind.

Welche Vorteile bringen nun diese an sich un- produktiven – weil chlorophyllfreien – Struktu- ren am Trockenstandort? Eine behaarte Blatt- oberseite lässt zunächst an die reflektierenden Eigenschaften dieser meist mit Luft gefüllten toten Zellen denken, wodurch sich Vorteile in Richtung Strahlungs- und Wärmeschutz erge- ben, die weiter oben im Zusammenhang mit den reflektierenden Wachsschichten schon diskutiert wurden. Ein Haarkleid an der Blatt- unterseite hat dagegen einen viel direkteren Einfluss auf den Wasserhaushalt: Noch viel effi- zienter als die oben erwähnten, um ein Vielfa- ches kleineren Wachspapillen setzen die Haare den vorbeistreichenden trockenen Winden einen Widerstand entgegen. Dadurch breitet sich zwischen den Haaren eine windberuhigte, relativ feuchte „Grenzschicht“ über der Epider- mis bzw. den Spalten aus, die dafür sorgt, dass der Diffusionsgradient zwischen dem Blattinne- ren und der umgebenden Luft weniger steil verläuft, dass also die nach außen gerichtete Diffusion des Wasserdampfs gebremst wird. Je nach Dichte und Länge der Haare ist der „Grenzschichtwiderstand“ gegenüber der Was- Roland Albert (3x) Roland

Anpassungen an Trockenheit 93 Weiß-Mauerpfeffer, Weiß-Mauerpfeffer: Die Mesophyllzellen sind extrem Blattquerschnitt dünnwandig und effiziente Wasserspeicher. Roland Albert (2x) Roland serdampf-Diffusion aus dem Blattinneren mehr Wassergewebe im Zusammenhang mit oder weniger stark erhöht. CAM „Crassulacean Acid Metabolism“

Aus der breiten Palette unterschiedlichster Einen ganz anderen Anpassungsweg haben Behaarungstypen und Haarbildungen können unsere heimischen Hauswurz- und Mauer- hier nur wenige Beispiele herausgegriffen pfeffer-Arten aus der Familie der Dickblattge- werden. Besonders schöne, dem Blatt dicht wächse (Crassulaceae) eingeschlagen. Die anliegende und verzweigte Sternhaare trägt Strategie dieser „Sukkulenten“ (von lat. das Berg-Steinkraut (Alyssum montanum), „succus“ = Saft), längeren Trockenperioden die auf kleinen Stielzellen sitzen und das ge- zu widerstehen, besteht darin, in großvolu- samte Blättchen dicht überziehen (Abbildun- migen Zellen ihres fast einheitlichen Meso- gen rechts). Ähnliche Haare tragen auch die phylls Wasser zu speichern. In Zeiten anhal- Blätter anderer Steinkraut-Arten. Auch das tender Trockenheit zehren sie von diesen Sand-Frühlings-Fingerkraut (Potentilla in- Reserven. Die im Blattgewebe außen liegen- cana) ist rundum mit Haaren besetzt, die in den Zellen enthalten Chloroplasten und be- diesem Fall als „Büschelhaare“ zu bezeichnen treiben neben der Wasserspeicherung v. a. sind. Manche Pflanzenarten verdanken dem die Photosynthese, während die chlorophyll- silbrig-glänzenden Aussehen ihrer dicht be- freien Zellen im Zentrum ausschließlich der haarten Blattunterseiten sogar ihren Namen: Wasserspeicherung dienen. Die pralle Gestalt die Weiche Silberscharte (Jurinea mollis, der Blätter kommt fast ausschließlich durch siehe Foto Seite 93 rechts unten) und das die hohe Turgeszenz ihrer großen, wasserrei- Silber-Fingerkraut (Potentilla argentea). Die- chen Zellen zustande, die sich gegenseitig ser Glanz kommt durch intensive Lichtrefle- abstützen. Auch die etwas dickwandigere xion an den mit Luft erfüllten toten Haaren Epidermis trägt zur Stabilisierung der sukku- zustande. Die auffälligsten „Haartrachten“ lenten, „fleischigen“ Blattstruktur bei. Die besitzen jedoch eine Reihe heimischer Kö- rote Färbung der Epidermis (und in einer nigskerzen (Verbascum sp.), deren pelzige einzelnen Mesophyllzelle!) kommt durch den Struktur sie einem dichten Filz aus mehrzelli- wasserlöslichen Farbstoff „Anthocyan“ zu- gen, sogenannten „Stockwerkshaaren“ ver- stande, der auch für viele Blütenfarben ver- danken. antwortlich ist. Er dient hier offenbar dem

94 Anpassungen an Trockenheit Hainburger Feder-Nelke Schutz gegen übermäßige Einstrahlung. Die Wasser speichernden Zellen sind auch Voraus- setzung für den fakultativen CAM-Metabolis- mus der Dickblattgewächse (siehe unten).

Wurzelsysteme

Nicht ganz dürfen wir bei unserer Be - trachtung auf die „unsichtbare Hälfte“ der Pflanzen vergessen, auf das Wurzelsystem. Insbesondere von ausdauernden Steppen- und Wüstenpflanzen ist bekannt, dass sie mitunter außerordentlich tief reichende und räumlich weit ausgedehnte Wurzelsysteme ausbilden können. Die unterirdische Bio- masse kann mitunter ein Vielfaches der oberirdischen Sprossmasse betragen. Die Pflanzen trockener Klimate bilden also mäch- tige unterirdische „Wassersuchsysteme“ aus! Das Beispiel der Österreichischen Schwarz- wurz soll genügen, um auf diesen wichtigen Punkt hinzuweisen. Albert Roland

Anpassungen auf physiologischer Ebene

Osmotische Anpassung

Zur Aufrechterhaltung ihres Wassergehaltes müssen alle pflanzlichen Zellen eine gewisse, relativ hohe Konzentration an wasserlösli- chen Stoffen – anorganischen Ionen, organi- schen Säuren, Zuckern u. a. – in ihren Zellen aufbauen. Nur dadurch kann „osmotisch“ Wasser von den Zellen aufgenommen und dort zurückbehalten werden. Auf „Durch- schnittsböden“ spielt v. a. das Kalium-Ion eine sehr wichtige osmotische Rolle, insbe- sondere auch für die turgor-abhängigen Schließbewegungen der Spaltöffnungszellen. (1992), verändert

Auf den flachgründigen Kalk-/Dolomit-Hän- gen und Felsensteppen der Hundsheimer ICHTENEGGER Berge müssen jedoch der Bedeutung von & L Calcium einige Worte gewidmet werden. Wurzelsystem der Österreich-Schwarz-

Ganz allgemein liegen in kalkführenden UTSCHERA K wurz

Anpassungen an Trockenheit 95 Böden neben dem Calcium-Ion selbst stets ausgezeichnet, so auch die Gattung auch Carbonat- und Hydrogancarbonat-Ionen Dianthus. Oxalsäure bildet aber mit Calcium vor. Je nach CO2-Gehalt der Bodenluft (der ein sehr schwer lösliches Salz, das Calcium - aufgrund der Bodenatmung sehr viel höher oxalat, das in zahlreichen Pflanzenarten aus sein kann als in der Atmosphäre und durch- unterschiedlichen Familien (Aronstabgewäch- aus einige Prozente erreicht!) kann dagegen sen – Araceae, Lauchgewächsen – Alliaceae, für Calcium- und Hydrogencarbonat-Ionen Gänsefußgewächsen – Chenopodiaceae, die Konzentration so hoch liegen, dass Cal- Knöterichgewächsen – Polygonaceae, Nacht- cium die Wurzeln überschwemmt und mit schattengewächsen – Solanaceae u. v. a.) dem Wasserstrom, der die Pflanzen durch- auffällige Kristallformen in den Zellen bildet zieht, in die Blätter geleitet wird. Dort bleibt (meist morgensternartige Kristalldrusen, es nach Abdunstung des Wassers wie in aber auch diverse Nadeln, Kristallsand etc.). Verdunstungspfannen liegen. Einer Reihe von Für unsere Feder-Nelken ergibt sich nun das Pflanzenarten kommt dies durchaus zugute, Problem, dass sie aufgrund der Calciumoxa- weil sie das gratis mitgeschleppte Calcium- lat-Ausfällung Calcium nicht mehr als Osmo- Ion zusammen mit organischen Säuren (z. B. tikum verwenden können, was an den Äpfelsäure, Zitronensäure) als wirksames trockenen Felsstandorten hinsichtlich des Osmotikum in ihren Vakuolen verwenden Wasserhaushaltes sicher günstig wäre. Die können. Analysen von Kalk-Trockenrasen- Pflanze muss also auf andere Stoffe zurück- pflanzen haben tatsächlich die wichtige Rolle greifen und synthetisiert als Besonderheit von Calcium für die Osmoregulation der eine breite Palette von sogenannten Galakto- Pflanzen gezeigt. sid-Zuckern, das sind niedermolekulare Ver- bindungen, die aus einer Kette aneinander- Interessant ist noch, dass der Beitrag des gereihter Galaktose(= Milchzucker)-Einheiten Calciums zur Osmoregulation in Vertretern unterschiedlicher Zahl bestehen. verschiedener Pflanzenfamilien sehr unter- schiedlich sein kann. „Calciotrophe Arten“, Es gibt aber noch einen zweiten höchst inter- die oft weit mehr Calcium als Kalium enthal- essanten Aspekt zu den Punkten „Osmoregu- ten, finden sich in den Familien der Dickblatt- lation“ und „Trockenstress“. Chemische Ana- gewächse (Crassulaceae), der Kreuzblütler lysen von Wüstenpflanzen verschiedener (Brassicaceae), der Schmetterlingsblütler Familienzugehörigkeit haben ergeben, dass (Fabaceae) und bei den Raublattgewächsen in allen untersuchten Arten bestimmte (Boraginaceae). Die Angehörigen der mei- niedermolekulare, osmotisch wirksame sten anderen Pflanzenfamilien verwenden Substanzen enthalten sind. Es besteht in neben Calcium jedoch auch auf Kalkstandor- Fachkreisen Konsens darüber, dass diese ten reichlich Kalium als Osmotikum, Gräser Verbindungen überwiegend im Cytoplasma enthalten zudem noch viel Saccharose als lokalisiert sind und die zellulären Strukturen selbst hergestellten, osmotisch wirksamen (also Biomembranen, Eiweiße, Nukleinsäuren Inhaltsstoff. und andere Bio-Makromoleküle) bei stark negativen Wasserpotenzialen – also bei dro- Einen höchst interessanten Sonderfall stellen hender Austrocknung – schützen. die Nelkengewächse dar. Hier ist die Hainbur- ger Feder-Nelke besonders gut untersucht Bemerkenswert ist, dass diese Stoffe auch in worden. Der Großteil der Nelkengewächse ist Pflanzen an Salzstandorten (etwa im Seewin- durch reichliche Synthese von Oxalsäure kel im Burgenland) anzutreffen sind. Sie

96 Anpassungen an Trockenheit schützen hier die Zellen von „Halophyten“ im Laufe ihrer Evolution eine Reihe von (Salzpflanzen) vor einer „osmotischen Aus- Pflanzengruppen im Zuge ihrer Anpassung trocknung“ aufgrund starker Salzanreiche- an trockene Standorte effizientere und rung in den Zellen. Man nennt diese Verbin- Wasser sparendere Wege der CO2-Fixierung dungen auf Englisch „compatible solutes“, entwickelt, auf die abschließend kurz einge- was so viel bedeutet wie „stoffwechselver- gangen werden soll. trägliche, osmotisch wirksame Verbindun- gen“; auch der Name „cytoplasmatische Fakultative CAM-Pflanzen Osmotika“ ist gebräuchlich, der sich auf ihre Anwesenheit im Cytoplasma bezieht. Die mo- „CAM“ steht für „Crassulacean Acid Metabo- lekulare Wirkungsweise dieser Schutzstoffe lism“. Die Dickblattgewächse (Crassulaceae) ist noch nicht in allen Details geklärt. Auch sind eine besonders trockenresistente hier gibt es auffällige Familienspezifitäten: Pflanzenfamilie, deren Entstehungszentrum So ist die Aminosäure Prolin reichlich in wahrscheinlich in den Wüsten Südafrikas Kreuzblütlern (Brassicaceae) und Wolfsmilch- liegt. An Mitgliedern dieser Pflanzengruppe gewächsen (Euphorbiaceae) enthalten; wurde bereits im 19. Jahrhundert ein merk- cyclische, oft methylierte Zuckeralkohole würdiges Gasstoffwechsel-Muster entdeckt. sind besonders weit verbreitet, wie etwa Pi- Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass nitol in allen Papilionaceen und verwandten Pflanzen in der Nacht ihre Spalten öffnen,

„Leguminosen“; Nelkengewächse (Caryo- um CO2 aufzunehmen. Der naheliegende phyllaceae), Raublattgewächse (Boragina- Vorteil liegt darin, dass in den kühleren und ceae), Doldenblütler (Apiaceae) und Korb- feuchteren Nächten weniger Wasser verloren blütler (), bes. die zahlreichen geht. Der Nachteil dieser Strategie ist aller- Beifuß-(Artemisia)-Arten enthalten ebenfalls dings, dass den Pflanzen in der Nacht die reichlich verschiedene, eng verwandte soge- Energie des Sonnenlichtes fehlt, um aus CO2 nannte „Stereoisomere“ des Pinitols. Gräser wertvolle organische Assimilate (Zucker, wiederum enthalten Verbindungen, die dem Stärke, etc.) zu synthetisieren. Der Kompro-

Glycinbetain nahe stehen. Es scheint gesi- miss war, das CO2 zwar in der Nacht aufzu- chert, dass neben Anpassungen auf anderen nehmen, es aber in einer noch relativ ener- Ebenen die Existenz derartiger „Stress- giearmen Verbindung in den wasserreichen Schutzstoffe“, die die empfindlichen Struktu- Vakuolen abzuspeichern. Tatsächlich bilden ren und Biomoleküle vor den negativen diese CAM-Pflanzen in der Nacht Äpfelsäure Wirkungen von Trockenstress schützen, und speichern diese. Vorteilhaft ist auch, einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der dass dasjenige Enzym, das die CO2-Fixierung Trockentoleranz von Pflanzen leisten. steuert, nämlich die PEP-Carboxylase (Phosphoenol-Pyruvat-Carboxylase), sehr

Anpassungen auf der Ebene der viel effizienter CO2 bindet als die RuBISCO Photosynthese (Ribulose-Bisphosphat-Carboxylase), also dasjenige Enzym, das im „Normalfall“ für die

Wir haben ja schon eingangs darauf hinge- CO2-Aufnahme sorgt. In der Bilanz bedeutet wiesen, dass mit der CO2-Aufnahme untrenn- dies, dass pro aufgenommenem CO2-Molekül bar auch ein Wasserverlust durch Transpira- weniger Wasser verloren geht! tion verbunden ist. Pflanzen in trockenen Klimaten haben nun „gelernt“, effizienter und Tagsüber wird die Äpfelsäure wieder gespal- sparsamer mit Wasser umzugehen. So hat ten, und das freigesetzte CO2 wird nach dem

Anpassungen an Trockenheit 97 „normalen“ Schema der Photosynthese weiter „C3-Pflanzen“ – mittels Lichtenergie zu wert- verarbeitet. Strukturelle Voraussetzung ist vollen Photosyntheseprodukten umgebaut. eine hohe Kapazität für Äpfelsäure-Speiche- Die Abbildung auf der rechten Seite zeigt am rung in den Zellen, was bei „sukkulenten“ Beispiel einer tropischen Andropogon-Art Pflanzen mit ihren riesigen, wasserreichen diese Gewebsdifferenzierung, die aufgrund Zellen sehr gut möglich ist. So verwundert es der regelmäßigen Anordnung der Zellen um nicht, dass diese wassersparende Photo - das Gefäßbündel als „Kranz-Typus“ in die Li- synthese-Variante auch von den stamm - teratur eingegangen ist. sukkulenten Kakteen (Cactaceae), Wolfs- milch-Gewächsen (Euphorbiaceae) und Der C4-Mechanismus der Photosynthese ist Seidenpflanzen-Gewächsen (Asclepiadaceae) in warmen und trockenen Lebensräumen der betrieben wird. Über unsere heimischen Haus- Subtropen „erfunden“ worden, was auch der wurz- und Mauerpfeffer-Arten gibt es nun Un- Grund ist, dass die geschilderten Stoffwech- tersuchungen, die gezeigt haben, dass dieser selprozesse nur bei hohen Temperaturen (ca. Mechanismus nur bei extremer Trockenheit 25–30 oC) optimal ablaufen. In unseren Brei- eingeschlagen wird. Man nennt diese Arten ten verhält sich der C4-Metabolismus nur demnach „fakultative CAM-Pflanzen“. suboptimal, und in der geschlossenen Vege- tation sind C3-Pflanzen konkurrenzstärker. C4-Pflanzen Umso bemerkenswerter ist es, dass sich in den trockenwarmen ostösterreichischen Die Natur ist erfinderisch und hat noch eine Lebensräumen auch in geschlossenen Be- zweite Möglichkeit entdeckt, Photosynthese ständen C4-Pflanzen dauerhaft etablieren auf Wasser sparende Art zu betreiben: In den an allen Trockenstandorten weltweit sehr erfolgreichen sogenannten „C4-Pflanzen“ aus den unterschiedlichsten Pflanzenfamilien hat sich das photosynthetisch aktive Gewebe biochemisch-physiologisch, aber auch mor- phologisch-anatomisch so weit differenziert, dass die äußeren Schichten des Mesophylls eine „Primärfixierung“ des CO2 über das effi- zientere CO2-fixierende Enzym (PEP-Carb- oxylase) vollziehen. Der Wasserverlust durch die geöffneten Spalten ist dadurch viel gerin- ger. Wie bei den CAM-Pflanzen ist das erste Photosynthese-Produkt die Äpfelsäure, also eine organische Säure mit 4 Kohlenstoffato- men (daher der Name „C4-Pflanzen“). Dieser , Florae austriaceae (1773-78) , Florae Vorgang vollzieht sich aber bei Tag, und ACQUIN

Äpfelsäure wird sofort in die inneren, die Ge- J fäßbündel umgebenden Zellen des Blattge- webes weitergeleitet, die als „Gefäßbündel- OSEPH VON scheidenzellen“ bezeichnet werden. Hier wird J

CO2 aus Äpfelsäure wiederum freigesetzt, und das CO2 wird – wie bei den normalen IKOLAUS N Europa-Bartgras

98 Anpassungen an Trockenheit Blattbau eines et al. (2002) C4-Grases am Beispiel einer tropischen

CHULZE Andropogon-Art S konnten und sich gegenüber der Konkurrenz und Stipa-Arten in der extrem trockenen durch C3-Arten behaupten. Das stattliche zentralen Sahara bezeugen! Europa-Bartgras (Bothriochloa ischaemum) und – viel seltener – der Grillen-Goldbart Die zweite Botschaft ist, dass ganz beson- (Chrysopogon gryllus), die v. a. die Trocken- ders erfolgreiche Pflanzenarten oder -fami- rasen der west- bis südwestexponierten lien jeweils Anpassungsstrategien auf unter- unteren Hanglagen der Hainburger Berge schiedlichen Ebenen – auf morphologischer, besiedeln, sind – ökophysiologisch gesehen – anatomischer und physiologischer – ent - zwei schöne Beispiele gleichsam subtropi- wickelt haben, um den Überlebenskampf scher Exklaven in besonders trockenen und unter Stressbedingungen zu gewinnen: das warmen Lebensräumen Mitteleuropas! Beispiel des Steinkrauts (Alyssum), das eine spezielle Behaarung, eine dicke Cuticula, die Nachwort Anreicherung von Calcium als osmotisch wirksames Ion und – als Kreuzblütler – die Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Akkumulation von Prolin als cytoplasmati- die Natur stets unterschiedliche Wege schen Schutzstoff als Rüstzeug gegen beschreitet, um den Erfolg von Arten zu Trockenstress mitbekommen hat, mag hiefür sichern: Blattbehaarung einerseits, kahle, genügen und gleichzeitig auch den Schluss- dafür mit Wachs imprägnierte Oberflächen punkt unter unseren „ökophysiologischen andererseits sind konträre, aber letztlich Rundgang“ in den Trockenrasen Niederöster- gleich erfolgreiche Strategien. Ebenso hat reichs setzen! sich der Wasser sparende C4-Metabolismus einerseits und die ausgeklügelte „Einroll“- Weiterführende Literatur Technik des C3-Grases Stipa andererseits als ökologisch „gleichwertig“ erwiesen, wie das ALBERT, R., PFUNDNER, G., HERTENBERGER, G., KÄSTENBAUER, T. & WATZKA, M. (2000): The Physiotype Approach to Understan- gemeinsame Vorkommen von C4-Gräsern ding Halophytes and Xerophytes. In: „Ergebnisse weltwei-

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Univ.-Prof. Dr. Roland Albert Institut für Ökologie und Naturschutz Universität Wien Althanstraße 14 1090 Wien

100 Anpassungen an Trockenheit Schema eines 4.3 Säugetiere der Trockenrasen Zieselbaues

Karin Enzinger (1972)

Auf den Trockenrasen Ostösterreichs leben TRASCHIL nur wenige Säugetiere, die man als typische Steppenbewohner bezeichnen kann. Zu den prominentesten Arten zählen Ziesel, Hamster S Grafik: und Steppeniltis. Eingang zu einem Zieselbau

Das Ziesel – ein Steppennager in Bedrängnis

Das Europäische Ziesel (Spermophilus citel- lus) gehört wie das Eichhörnchen im Wald und das Murmeltier am Berg zur Familie der Hörnchen. Es lebt am Boden, hält „Männchen machend“ Ausschau, um Feinde auszuma- chen und beschäftigt sich den Teil des Tages, den es an der Oberfläche verbringt, fast aus- schließlich mit der Nahrungssuche. Es er- nährt sich überwiegend vegetarisch von Karin Enzinger/NÖNB Karin Gräsern und Kräutern, aber auch von Sa- Jungziesel men, Blüten und Zwiebeln. Nur vereinzelt (Spermophilus werden Insekten, vor allem Käfer, Feldgrillen citellus) und diverse „Raupen“, gefressen. Die übrige Zeit verbringt es in selbst gegrabenen, mit mehreren Eingängen versehenen Erdbauen. Charakteristisch sind die schrillen Warnpfiffe, die man des Öfteren auch hört, ohne die dazugehörigen Tiere zu erblicken.

Ziesel halten einen tiefen Winterschlaf. Die erwachsenen Tiere ziehen sich schon im August/September zurück, die Jungtiere blei- ben je nach Witterungslage bis in den Oktober hinein aktiv. Aufgewacht wird zwischen Ende Februar und Ende März, wobei die Adulttiere zuerst zum Vorschein kommen. Im Gegensatz zu vielen anderen Nagetieren werden Ziesel mit bis zu 6 Jahren ziemlich alt. Dafür bekommen sie nur einmal im Jahr meist 3 bis 7 Junge: Nesthocker, die erst mit etwa 4 Wochen das erste Mal an der Josef Stefan

Säugetiere 101 Zur Situation des Ziesels in Niederösterreich und Weingärten den Tieren Ausweichmöglichkeiten gebo- ten und zum Überleben der Kolonie beigetragen, wie 376 mögliche Zieselstandorte wurden in Niederösterreich etwa in der Flur „Hanlasbergen“ bei Kronberg. In ande- ausfindig gemacht, von denen 2005/2006 249 von Zieseln ren Fällen fehlte der nötige Ersatzlebensraum in der un- besiedelt waren. Diese 249 Vorkommen sind nicht gleich- mittelbaren Umgebung. Dort sind die Tiere gänzlich aus mäßig über das gesamte früher besiedelte Areal verteilt, der Region verschwunden, wie etwa aus Saubersdorf im sondern in 4 Verbreitungsschwerpunkten lokalisiert. Es Steinfeld. handelt sich um: Ansichten eines Ziesels 1. das südliche Steinfeld im Raum Wiener Neustadt: Flug - felder, Truppenübungsplätze, Naturschutzgebiete und ein Gut für das Ziesel, dass es mancherorts in Weingärten, auf Golfplatz, Brachen und vereinzelt sogar in Grünanlagen einen Er- satzlebensraum finden konnte. Denn durch die massiven 2. die Weingartenlandschaft im Großraum von Krems, Landschaftsumgestaltungen in den letzten Jahrzehnten sind seine angestammten Lebensräume, die Trocken- und 3. die Weingartenlandschaft im Arbesthaler Hügelland Halbtrockenrasen und die steppenartigen Wiesen- und südlich der Donau und Weidelandschaften, dramatisch zurückgegangen (SPITZEN- BERGER 2002). Die verbliebenen Trockenrasenreste liegen 4. die brachenreiche Landschaft im Großraum Korneuburg meist auf Hügeln oder Kuppen oder bilden Raine zwischen und im nördlichen Marchfeld, die im Osten bis Angern an landwirtschaftlichen Nutzflächen. Wegen der fehlenden der March reicht. Pflege stellen sie oft keinen zieselgerechten Lebensraum mehr dar. Zwischen diesen Verbreitungsschwerpunkten gibt es in einigen Landesteilen meist kleinere, verstreut liegende Tatsächlich haben die vergleichenden Analysen der Lebens- Kolonien. Einige von ihnen liegen weitab von sonstigen raumstrukturen gezeigt, dass die von Zieseln aktuell besie- Ansiedlungen (wie etwa die kleinen Zieselkolonien in Wei- delten Gebiete sich von den nicht mehr besiedelten Gebie- tersfeld oder am Buschberg in den Leiser Bergen) und sind ten vor allem durch ihre Vegetationshöhe unterscheiden. bereits auf kritische Bestandsgrößen geschrumpft. Ihre Der Anteil an kurzrasigen Flächen ist auf besiedelten Zukunft ist aus heutiger Sicht fraglich. Standorten deutlich höher, der Gehölzanteil hingegen deut- lich geringer. Schließlich sind zwischen den besiedelten Gebieten in den letzten Jahrzehnten auch zahlreiche Verbreitungslücken Das weist darauf hin, dass Ziesel besonderen Wert auf entstanden, wie etwa im Raum St. Pölten, in großen Teilen „gute Sicht in Bodennähe“ legen, damit Boden- und auch des Tullner Feldes und des südlichen Wiener Beckens, im Luftfeinde besser ausgemacht werden können. Anderer- südlichen Marchfeld und in einigen Regionen des Weinvier- seits wurde auch beobachtet, dass Ziesel in dichter, verfilz- tels. ter Krautschicht schlechter flüchten können. Zudem ver- bessert regelmäßig nachwachsendes frisches „Grün“ auch Das Ziesel – ursprünglich ein Bewohner natürlicher Gras- die Nahrungssituation der Tiere. steppen – ist in Niederösterreich in 5 Hauptlebensräu- men zu finden: 1. auf Brachen und nur mehr vereinzelt Ziesel reagieren sehr empfindlich auf das Höher- und auf Weiden, 2. in Weingärten, 3. in sehr kleinen Kolonien Dichterwerden der Krautschicht sowie auf Verbu- auf Acker- und Wegrainen, 4. in Kolonien mit sehr großer schung und verlassen solche Standorte sehr bald (HERZIG- Siedlungsdichte auf Rasenflächen von Golfplätzen, Bädern, STRASCHIL 2001). Andererseits gibt es Hinweise auf Situa- bei Industrieanlagen, Kasernen und Umspannwerken sowie tionen, in denen Ziesel Trockenrasenstandorte (wieder) 5. in naturnahen Lebensräumen auf gehölzarmen oder neu besiedeln, wenn eine pflegliche Bewirtschaftung er- -freien Trocken-, Halbtrocken- und Magerrasen. neut aufgenommen wird und die ökologischen Bedingun- gen passen. Geeignete Trockenrasenhabitate findet das Ziesel heute vor allem: Vorschläge für ein Trockenrasen-Management aus Zieselsicht • auf großflächigen, unbefestigten Flugfeldern, wie etwa dem Flugfeld Spitzerberg (Prellenkirchen) oder dem über Damit Trockenrasen wieder vermehrt für einen seiner pro- 400 ha umfassenden Flugfeld West (Wiener Neustadt) mit minentesten Bewohner nutzbar sind, müssen sie durch ge- der größten geschlossenen Zieselpopulation auf Trockenra- zielte Beweidung und Mahd ausreichend gepflegt sen in Österreich. werden. Im Detail sind folgende Maßnahmen auf Trocken- rasen vonnöten: • in wenigen Steppen-Naturschutzgebieten Niederöster- reichs, wie etwa dem Naturschutzgebiet „Kalkschotter- • Auf Trockenrasen mit Zieselvorkommen sollte dem Zie- steppe Obereggendorf“, in das die Tiere erst nach der selschutz hohe Priorität eingeräumt werden: Dauerhaft Wiederaufnahme einer (Schaf-)Beweidung vor etwa 4 bis kurzrasige Wiesenabschnitte und 1- bis 2-mal jährlich ge- 5 Jahren eingewandert sind, oder dem Naturschutzgebiet mähte oder beweidete Bereiche sollen innerhalb einer „Sandberge Oberweiden“ im Marchfeld, wo die Tiere die an Gesamtfläche nebeneinander bestehen. das Schutzgebiet angrenzenden Brachen besiedeln. • Eine große Anzahl der verbliebenen Trockenrasen(reste) • auf dem militärischen Truppenübungsplatz Großmittel im Nahbereich bekannter Zieselvorkommen sollte in die und dem angrenzenden militärischen Schießplatz bei Solle- Schutzmaßnahmen miteinbezogen werden. nau. Hier werden durch die Schießübungen mit schwerem Geschütz immer wieder Flächenbrände ausgelöst. Dadurch • Zur Lebensraumsicherung und -vernetzung (= Verbin- kommt es regelmäßig zu frisch nachwachsendem, kurzem dung von Lebensräumen) sollten Brachen angelegt und „Grün“ und die Bildung einer dichten, verfilzten und für das zieselgerecht gepflegt werden. Ziesel nachteiligen Grasschicht wird verhindert. • Schließlich muss die Entwicklung der Ziesellebensräume Viele Trockenrasen – oft nur kleine Flächen, die heute auf Truppenübungsplätzen und Flugfeldern besonders im nicht mehr gepflegt werden und die hoch- und dichtrasig Auge behalten werden. Bei gegebenenfalls beabsichtigten geworden sind und zunehmend verbuschen – werden Änderungen der Nutzung oder bei Grundverkäufen ist zur heute von Zieseln nur mehr randlich oder gar nicht mehr Sicherung der Zieselkolonien ein rasches Reagieren seitens besiedelt. In manchen Fällen haben benachbarte Brachen des Naturschutzes unabdingbar.

102 Säugetiere Verbreitung und Kolo- niegrößen niederöster- reichischer Zieselvor- kommen (2005/06) Karte: Naturschutz- bund NÖ (2006)

Oberfläche erscheinen (RUZIC 1978, HOFFMANN et al. 2002).

Früher war das Ziesel in seinem österreichi- schen Verbreitungsgebiet, im Flach- und Hügelland im Nordosten Österreichs, etwa im Tullner Feld, im Weinviertel und im Wiener Becken in derart großer Zahl vertreten, dass Bauern um ihre Ernte fürchteten und dem „Ackerschädling“ mit „Schwoaferlprämien“ zu Leibe rückten: Das Abliefern des Ziesel- schwanzes eines getöteten Tieres wurde v. a. in den 1950er Jahren von den Gemeinden

mit bis zu 1 Schilling belohnt. Vinca Grafik

„Lang, lang ist’s her“: Der Rückgang der Gemeinsam mit der Naturschutzabteilung des Schaf- und Rinderweiden und die Umwand- Amtes der NÖ Landesregierung und dem NÖ lung von zahlreichen Wiesen in Ackerland im Landesjagdverband wurde im ersten Teil des Zuge der landwirtschaftlichen Intensivierung Zieselschutz-Projektes – in der Erhebungs- haben dazu geführt, dass die Zieselbestände phase 2005 bis 2006 – nach Antworten auf in den letzten Jahrzehnten dramatisch einge- folgende Fragen gesucht: Wo in Niederöster- brochen und die Tiere vielerorts vom Erd - reich gibt es heute noch Ziesel? Wie groß boden verschwunden sind. Deswegen wird sind die Vorkommen? Wodurch sind die Tiere die Art heute in der Roten Liste Österreichs gefährdet und wie kann man sie schützen? als „Stark gefährdet“ (SPITZENBERGER 2005) Ausgehend von Daten der Säugetiersamm- und in der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie lung des Naturhistorischen Museums Wien, (FFH) der Europäischen Union im Anhang II den Angaben mehrerer Feldbiologen, um- als besonders schützenswerte Art angeführt. fangreicher Pressearbeit und einer Fragebo- genaktion wurden Standorte von möglichen In Niederösterreich ist das Ziesel durch das Zieselvorkommen in Niederösterreich zusam- NÖ Naturschutzgesetz im Rahmen der Arten- mengetragen. Diese wurden in der Folge auf schutzverordnung streng geschützt. das tatsächliche Vorkommen von Zieseln untersucht, die Größe der Kolonien wurde Das Schutzprojekt für das Ziesel in erhoben, die Lebensräume wurden analy- Niederösterreich siert, Vergleiche zwischen besiedelten und nicht mehr besiedelten Habitaten angestellt, Aufgrund der prekären Situation des Ziesels in mögliche Gefährdungen ermittelt und Niederösterreich rief der Naturschutzbund NÖ Schutzmaßnahmen ausgearbeitet. Anfang 2005 ein Projekt zu dessen Schutz in Niederösterreich ins Leben. Ziel dieses Pro- Der Feldhamster – seltener Vorrat- jektes ist es, (über)lebensfähige sammler der Trockenrasen Zieselpopulationen in entsprechenden Lebensräumen in einem günstigen Erhal- Der Feldhamster (Cricetus cricetus) ist von tungszustand zu halten bzw. diesen wieder- Zentralasien bis nach Deutschland, Öster- herzustellen. reich und Kroatien verbreitet und kommt in

Säugetiere 103 oben: Flugfeld Spitzerberg mit Ziesel- vorkommen unten: Kronberg - von Zieseln besie- delte Weingärten unterhalb vom Ried „Hanlasbergen“ (Trockenrasen)

isolierten Beständen auch in Belgien, Holland und Frankreich vor. Ursprünglich war er eine Art der Waldsteppe. Durch seine Anpas- sungs- und Vermehrungsfähigkeit hat er es geschafft, auch die Steppe, die Halbwüste und die Kultursteppe zu besiedeln. Anders als das Ziesel kann er mehrmals im Jahr Junge bekommen und auch die Weibchen pflanzen sich schon im ersten Jahr fort. In Österreich bewohnt die Art vorwiegend den Randbereich von Feldern, nicht befestigte Feldwege, Böschungen und Raine, sie kommt aber auch auf Trockenrasen, in Weingärten, am Rand von Auwäldern und – wie etwa im Süden von Wien – im Siedlungsgebiet auf Rasenflächen von Friedhöfen, Gärten und Parkanlagen vor (SPITZENBERGER 2002, HOFF- MANN 2002).

Der Feldhamster benötigt tiefgründige Löß- und Lehmböden, in denen er seine Baue an- legt. Hier hält er auch seinen Winterschlaf, den er häufig unterbricht, um von den Vor - räten zu fressen, die er im Herbst eingetra- gen hat und die einige Kilogramm an Ge- treide, Kartoffeln und Gemüse ausmachen können (NIETHAMMER 1982). Aufgrund seiner üppigen „Lagerhaltung“ wurde der Feldhams- ter früher als Plage betrachtet und ebenso wie das Ziesel verfolgt. Karin Enzinger/NÖNB (2x) Karin

Ein Schutzprojekt geht in die 2. Runde Daher unsere Bitte an Sie:

Das Zieselschutz-Projekt des Naturschutzbundes NÖ befin- Bitte geben auch Sie uns Ihre Zieselbeobachtungen be- det sich derzeit in seiner 2. Phase. Nach der Erhebung der kannt! Situation des Ziesels in Niederösterreich wurde 2007 mit dem Management begonnen: Zieselflächen werden sicher- Auch Meldungen zu Steppeniltis- und Feldhamstervorkom- gestellt und gepflegt. Außerdem wird ein Lebensraum-Ver- men sind sehr erwünscht. netzungskonzept erstellt, um auch die Habitate entlegene- rer Kolonien wieder enger an die Kernverbreitungsgebiete Teilen Sie uns Ihre Zieselsichtungen bitte auf www.ziesel- anschließen zu können. schutz.at mit. Hier finden Sie auch nähere Informationen zum Ziesel. Für Fragen rund ums Ziesel stehen wir gerne Schließlich wird 2008 auch mit dem Ziesel-Monitoring, also zur Verfügung: NATURSCHUTZBUND NÖ – karin.enzin- mit der Überwachung der Zieselbestände in Niederöster- [email protected] oder unter 01/402 93 94. reich, begonnen. Dabei wird wieder eng mit der interessier- ten Bevölkerung zusammengearbeitet. Jede Meldung zählt!

104 Säugetiere Feldhamster (Cricetus cricetus) Christoph Roland

Aber auch der Feldhamster ist selten gewor- die keinen Schutz vor Feinden mehr bieten. den. Während die Art anfangs von der land- Um den Feldhamster in seinen Beständen wirtschaftlichen Intensivierung noch profi- wieder zu stabilisieren, wäre es daher wich- tierte – Trockenlegungen schützten die tig, Ausbreitungskorridore – Ackerraine, un- Bauten vor Überschwemmung, größere Fel- befestigte Feldwege und Brachen – zu erhal- der erhöhten das Nahrungsangebot –, haben ten bzw. neu zu schaffen. Tiefpflügen sollte die Modernisierungen in den letzten Jahr- in Hamstergebieten zum Schutz der Baue zehnten negative Auswirkungen auf diese eingeschränkt werden. Ackerrandstreifen Tierart gehabt. Durch die moderne, hocheffi- oder Brachstreifen sollten mit Getreide ein- ziente Art der Ernte, bei der kein Körnchen gesät werden, das stehen bleiben kann. Auf mehr verloren geht, kommt es zu Nahrungs- manchen Äckern könnte beispielsweise ein knappheit in Sommer und Herbst. Der ge- Streifen nicht abgeerntet werden, damit für steigerte Einsatz von Unkrautbekämpfungs- ausreichend Nahrung gesorgt ist. Bereits be- mitteln und Dünger reduziert das stehende mehrjährige Brachen sollten erhal- Nahrungsangebot. Bewässerungen setzen ten bleiben (SPITZENBERGER 2002). vielerorts die Hamsterbaue unter Wasser. Schließlich führte die große Anzahl der Mais- Der Steppeniltis – wenig bekannt und anbauflächen, die große Teile des Jahres ve- doch heimisch getationsfrei bleiben, genauso wie das früh- zeitige Umbrechen der Stoppelfelder Der Steppeniltis (Mustela eversmannii) ist gemeinsam mit der Zerstörung der letzten mehr oder weniger geschlossen über den Feldraine zu deckungsarmen Ackerflächen, Steppen- und Waldsteppengürtel Eurasiens

Säugetiere 105 Tom Conzemius Tom Steppeniltis (Mustela eversmannii) von der Mandschurei bis zu den Karpaten genaufzucht verweilt er selten lange im verbreitet. Westlich der Karpaten liegt im gleichen Gebiet. Sein Aktionsradius kann im östlichen Mitteleuropa ein weiterer – wenn Winter 2 bis 3 km² mit einer Fährtenlänge auch isolierter – Verbreitungsschwerpunkt, von über 7 km betragen. Das heimlich le- zu dem auch das Vorkommen in Österreich bende Tier ist überwiegend dämmerungs- zählt. Hier ist es auf die pannonischen, trock- und nachtaktiv (WOLSAN 1993). enwarmen Tief- und Hügellandschaften im östlichen Niederösterreich und im Nordbur- Zur Situation des Steppeniltisses in genland beschränkt, womit sich das Verbrei- Österreich tungsgebiet des Steppeniltisses in Österreich weitgehend mit demjenigen des Ziesels So wie für das Ziesel haben sich auch für den deckt. Steppeniltis die Zeiten geändert: Wegen ihrer nächtlichen Lebensweise und der nicht Der oft deutlich hellere Verwandte des Wald- immer einfachen Feldbestimmung fehlen ge- iltisses (Mustela putorius) lebt in der offenen naue Daten zur Bestandsgröße dieser Tierart Agrarlandschaft und war früher ein Charak- weitgehend. Eine rückläufige Bestandsent- tertier der ausgedehnten Hutweiden und wicklung – nicht zuletzt aufgrund deutlich Trockenrasen. Oft war er in der Nähe von sinkender Abschusszahlen von „Iltissen“ in großen Zieselkolonien zu finden, wobei er der Jagdstatistik (SPITZENBERGER 2005) – wird sich zum Teil auch von diesen ernährte (SPIT- angenommen. Und die Zahlen sprechen für ZENBERGER 2002). Der Steppeniltis gräbt nur sich: Während Ende der 1960er Jahre noch selten eigene Baue, vielmehr werden Ziesel- etwa 13.400 Iltisse jährlich erlegt wurden, oder Hamsterbaue vergrößert und für seine war es Ende der 1990er Jahre mit ca. 6.300 Zwecke „umgebaut“. Außer zur Zeit der Jun- Tieren nur mehr knapp die Hälfte. In diesen

106 Säugetiere Statistiken wird nicht zwischen Steppen- und FFH-Richtlinie der EU (Anhang II, IV) ge- Waldiltis unterschieden. Zweifelsohne bein- schützt. Dessen ungeachtet ist die Art in Nie- halten die Zahlen auch zahlreiche getötete derösterreich ganzjährig und im Burgenland Steppeniltisse, da die intensive „Raubwildbe- außerhalb einer Schonzeit (16. März–31. kämpfung“ der letzten Jahrzehnte in den Mai) bejagbar. Niederwildrevieren Ostösterreichs oft in typi- schen Lebensräumen dieser Art durchgeführt Eine Tierart wird gesucht wurde und immer noch wird. Darüber hinaus wurde beobachtet, dass – im gleichen Zeit- Über die aktuelle Verbreitung des Steppenil- raum – in Gebieten mit gemeinsamem Vor- tisses gibt es derzeit kaum gesicherte Unter- kommen von Steppen- und Waldiltis der An- lagen. Wissenschaftlich erhobene Daten zu teil der Steppeniltisbeobachtungen deutlich Verbreitung und Bestandsgröße sowie ein abgenommen hat (SPITZENBERGER 2002). Eine umfassendes Verständnis des Gefährdungs- möglicherweise nahrungsökologisch bedingte potenzials sind jedoch unbedingt notwendig, Verdrängung des Steppeniltisses durch sei- um diese attraktive, aber fast unbekannte nen Verwandten, der aber ebenfalls in sei- Art in unserer Kulturlandschaft erhalten zu nem Bestand rückläufig ist, wird angenom- können (SPITZENBERGER 2005). Außerdem ist men (SPITZENBERGER 2005). eine ganzjährige Schonzeit für den Steppen- iltis dringendst einzufordern! Ein direkter Zusammenhang mit dem Rück- Lebensgewohnheiten und Schwierigkeiten bei gang des Zieselbestandes besteht nicht der Feldbestimmung gestalten Freilanderhe- zwangsläufig. Denn einerseits waren bungen zur Situation des Steppeniltisses Steppeniltisse – außer auf ausgedehnten zie- nicht einfach und bleiben in erster Linie eine selreichen Steppenweiden – auch immer Arbeit für sachkundige Spezialisten. Dennoch schon auf Getreidefeldern, Klee- und Hack- ist die Mithilfe der naturkundlich interessier- fruchtäckern zu finden, die nicht oder nur ten Bevölkerung wertvoll, damit wir dem in- schütter von Zieseln besiedelt waren. Ande- teressanten Steppenbewohner und wichtigen rerseits war zu Zeiten des größten Rück - Mäusejäger auf die Spur kommen. ganges des Ziesels zwischen 1960 und 1980 Sollten Sie Iltisse – speziell im Offenland – kein dementsprechender Rückgang für den beobachten, finden oder gar fotografisch be- Steppeniltis nachweisbar. Er setzte erst spä- legen können, bitte melden Sie uns Ihren ter ein (SPITZENBERGER 2002). Schließlich zei- Fund (siehe Kasten Seite 104)! gen aktuelle Untersuchungen aus Ungarn, dass das Ziesel nur knappe 3 % der Gesamt- weiterführende Literatur nahrung des Steppeniltisses ausmacht, im HERZIG-STRASCHIL, B. (2001): Managementvorschläge und Gegensatz zu deutlich höheren Anteilen von Artenschutzkonzept Ziesel, Spermophilus citellus, für Nie- derösterreich. Bericht im Auftrag des Umweltdachverban- Feldmaus (18 %), Feldhamster (15 %) und des ÖGNU, Wien. diversen Vögeln (21 %) (LANSZKI & HELTAI 2007). HOFFMANN, I., MILLESI, E., HUBER, S., EVERTS, L. G. & DITTAMI, J. P. (2002): Seasonal variation in daily activity patterns of free-ranging European ground squirrels (Spermophilus citel- Der Steppeniltis wird heute in der Roten Liste lus). In: HOFFMANN, I.: The case of the european Ground Squirrel, Population Dynamics and Plasticity of Life-History Österreichs als „Stark gefährdet“ (EN) ge- Traits in a Suburban Environment. Diss., Wien. führt (SPITZENBERGER 2005) und sowohl durch die Berner Konvention (Anhang II) als auch – HOFFMANN, I. (2002): Grundlagenerhebung zum Arten- schutzprojekt Ziesel. Im Auftrag des Magistrats der Stadt seit der Osterweiterung 2003 – durch die Wien, MA 22 – Naturschutzreferat.

Säugetiere 107 LANSZKI, J. & HELTAI, M. (2007): Diet of the European pole- cat and the steppe polecat in . Mamm.biol. 72 (1): 49–53.

NATURSCHUTZBUND NÖ (2006): Vorkommen und Schutz des Ziesels (Spermophilus citellus) in Niederösterreich. Ein Pro- jekt des NÖNB mit dem NÖ Landesjagdverband, gefördert durch den Landschaftsfonds, Wien. 125 S.

NIETHAMMER, J. (1982): Der Feldhamster (Cricetus cricetus). In: NIETHAMMER J. & KRAPP, F. (Hrsg.). Handbuch der Säuge- tiere Europas. Bd. 2/I, Rodentia II. Akademische Verlags- gesellschaft Wiesbaden: 7–28.

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SPITZENBERGER, F. (2002): Die Säugetierfauna Österreichs. - Grüne Reihe des BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Bd. 13. Wien.

SPITZENBERGER, F. (2005): Rote Liste der Säugetiere Öster- reichs. In: ZULKA, K. P. (Red.): Rote Listen gefährdeter Tiere Österreichs. Grüne Reihe 14/1. Böhlau, Wien, Köln, Wei- mar: 45–62.

STRASCHIL, B. (1972): Citellus citellus L. (Europäisches Zie- sel) in Österreich. Zur Biologie und Ökologie eines terrestri- schen Säugetieres an der Grenze seines Verbreitungsgebie- tes. Diss., Wien.

WOLSAN, M. (1993): Mustela eversmanni LESSON 1827 – Steppeniltis. In: NIETHAMMER, J. & KRAPP, F. (Hg.): Handbuch der Säugetiere Europas. Bd. 5, Raubsäuger Carnivora (Fis- sipedia), Teil II: Mustilidae 2, Viverridae, Herpestidae, Feli- dae. Akad. Verlagsgesellschaft Wiesbaden: 770–816.

Dr. Karin Enzinger Naturschutzbund Niederösterreich Alserstraße 21/1/5 1080 Wien

108 Säugetiere 4.4 Trockenrasen in der mittel- europäischen Kulturlandschaft – Rückzugsgebiete auch für die Vogelwelt

Hans-Martin Berg und Manuel Denner

Obwohl in Mitteleuropa keine Vogelart aus- schließlich auf Trockenrasen beschränkt ist, so findet dennoch eine Reihe von anderen- orts gefährdeten Arten vor allem auf ver- buschten Standorten wichtige Rückzugs - gebiete. Entscheidend dabei ist oftmals der Wechsel von Gehölzen, Grasland und offenen Bodenstellen, um eine Brutansiedelung zu ermöglichen. Aufgrund der Kleinflächigkeit

vieler Trockenstandorte stellen diese jedoch Jiři Bohdal oft nur für wenige Brutpaare einer Art, ja oft Feldlerche: selbst nur für Teile eines Vogelreviers ge - offenen Bodenstellen Mulden aus, in denen Als Kurzstreckenzieher eignete Brutgebiete dar. So dienen zum Bei- sie ihre napfartigen Nester anlegt und mit ist sie einer der ersten Frühlingsboten im Jahr. spiel für den Steinkauz oder Bienenfresser trockenen Pflanzenteilen auskleidet. Den Gesang trägt sie diese Flächen meist nur als Nahrungsrevier, oft stundenlang im während sich die Brutplätze auf benach - Trockenrasen wurden vielerorts durch direkte Singflug vor. barten Flächen befinden. Dessen ungeachtet anthropogene Eingriffe, v. a. Aufforstung, handelt es sich bei vielen Trockenrasen in Bebauung, Materialabbau, Freizeitnutzung, Ostösterreich um letzte Refugien in einer aber auch indirekte Wirkungen, wie Eutro- rundum ausgeräumten Agrarlandschaft, die phierung und einhergehende fortschreitende einen hohen naturschutzfachlichen Wert oder Sukzession, nachhaltig verändert, sodass die ein entsprechendes Potenzial aufweisen. früher hier auftretende Vogelfauna gleichfalls von markanten Änderungen (Verlusten wie Mäßig verbuschte Trockenrasen beherbergen Neuzugängen) betroffen war. eine Reihe interessanter und zum Teil selte- ner Vogelarten. Das Gebüsch dient dabei als Für die Lebensräume der charakteristischen Schutz vor Feinden, als Nistplatz oder Sing- Vogelarten auf Trockenrasen lassen sich ähnli- warte, die insekten- und samenreichen Gras- che Eigenschaften anführen: bestände bieten ausreichend Nahrung, v. a. - offener bis halboffener Landschaftscharakter während der Brutsaison. Auf derartigen - trockene, rasch erwärmbare Böden Rasen finden sich typischerweise Neuntöter, - geringer Eutrophierungsgrad Schwarzkehlchen, Sperber- und Dorngras- - geringe Höhe der Bodenvegetation mücke oder Grauammer. Gehölzlose Rasen- - vegetationsarme bzw. -freie Stellen flächen stellen Brutplätze für einige Boden- - geringe bis lückige Gehölzausstattung brüter, wie etwa die Feldlerche oder den (angrenzende Waldränder) Brachpieper, dar. Die Feldlerche scharrt an - (Groß-)Insektenreichtum

Vögel 109 Ziegenmelker: Der Aberglaube, er Zu einigen typischen Vogelarten der Step- Requisiten in ihren Revieren sind geeignete sauge an den Eutern von Weidetieren, gab pen- und Trockenrasen Ostösterreichs zählen Warten wie niedrige Bäume oder Sträucher ihm seinen Namen. folgende Arten: als auch eine zumindest stellenweise niedrige Vegetation mit offenen Bodenstellen zum Feldlerche Brüten und für die Nahrungssuche.

Als eine der wenigen Arten hat es die Feld- Wiedehopf lerche geschafft, auch in intensiver ge - nutzten Agrarsteppen überleben zu können, Der Wiedehopf ist ein Einzelgänger, der sich doch sind auch hier ihre Brutgebiete mit fort- nur während der Brutzeit zu Paaren zusam- schreitender Technisierung der Landwirt- menschließt. Als Niststandort kommen alle schaft zunehmend gefährdet. Die Nester der erdenklichen Höhlen in Frage. Natürliche ersten Brut werden oft in lückigen Bereichen Standorte wie Baumhöhlen oder verlassene von Wintergetreide angelegt, die der zweiten Brutröhren von Bienenfressern werden Brut jedoch vermehrt in Hackfruchtkulturen ebenso angenommen wie angeschüttete Le- wie Rüben oder Kartoffeln. In Trockenrasen sesteinhaufen mit Hohlräumen, Betonröhren kann die Feldlerche ungestört von Bewirt- oder Nistkästen. Der Nahrungserwerb erfolgt schaftungseingriffen mancherorts sehr hohe ausschließlich am Boden, wo er – mit seinem Siedlungsdichten erreichen. langen Schnabel im Boden stochernd – Spin- nen, Insekten, Hundertfüßern und anderen Heidelerche Gliederfüßern nachstellt. Wichtig ist für ihn eine nicht zu hohe Vegetationsdecke. Die Heidelerche ist bereits wesentlich selte- ner als die Feldlerche, da sie nicht in die Ziegenmelker Ackerlandschaft vordringt. Zudem ist sie nur regional, wie etwa an der Thermenlinie mit Aufgrund seiner Gestalt und nächtlichen Le- dem österreichweit bedeutendsten Vorkom- bensweise wird der Ziegenmelker oft auch men, verbreitet. Sie besiedelt meist den „Nachtschwalbe“ genannt. Sein deutscher Übergangsbereich von lichten Waldrändern zu Name rührt der Überlieferung nach von Hir- leicht verbuschten Trockenhängen. Wichtige ten her, die ihn in der Dämmerung oft in der

110 Vögel Wiedehopf: Ein wahrlich bunter Vogel, dessen langer Schnabel ideal zum Stochern nach Insekten und anderen Bodentieren geeignet ist.

Nähe von Viehherden beobachteten und meinten, er trinke an den Eutern der Weide- tiere. In Wahrheit wird er bei seiner Nahrungssuche jedoch von den Insekten- schwärmen angelockt, die als ständige Be- gleiter der Kühe, Schafe und Ziegen auf- treten. Als Wärme liebende Art besiedelt er in Österreich Tieflagen und klimatisch be - günstigte Hanglagen. Bewohnt werden meist Heidegebiete und aufgelockerte Wälder mit offenem Boden und Lichtungen, wo er auch im Randbereich sein Nest anlegt.

Neuntöter

Der Name lässt schon vermuten, dass es sich um eine räuberisch lebende Art handelt. Und tatsächlich gehört der Neuntöter zu den

„Greifvögeln“ unter den Singvögeln, was Jiři Bohdal (2x) auch der hakenförmige Schnabel andeutet. Von einer Ansitzwarte aus wird sowohl vor- erfolgt die Überwinterung meist im Mittel- beifliegenden als auch am Boden lebenden meerraum, von wo sie ab spätestens März Insekten nachgestellt. wieder ins Brutgebiet zurückkehren und als- Sein Gesang wird bei kaum geöffnetem bald mit ihrem wenig auffälligen Gesang be- Schnabel leise schwätzend vorgetragen und ginnen. beinhaltet oft Imitationen anderer Vogelge- sänge. Dieser Gesang hat jedoch keine Dorngrasmücke territoriale Funktion, sondern dient eher der Partnerwerbung. Der lateinische Name Sylvia communis deu- tet an, dass die Dorngrasmücke ursprünglich Schwarzkehlchen eine sehr häufige, also kommune Art gewe- sen sein muss. Zwar ist sie auch heute noch Leicht verbuschte Trockenrasen stellen für vielerorts zu finden, jedoch in weitaus gerin- das Schwarzkehlchen ein ideales Bruthabitat gerer Dichte, da sie Ende der 1960er Jahre dar. Voraussetzung für eine Besiedelung ist einen verheerenden Bestandseinbruch erlit- ein offenes, gut besonntes Gelände mit nicht ten hat. Eine der Ursachen dafür dürfte im zu dichter, aber doch flächendeckender Vege- Überwinterungsgebiet, der Sahelzone, tation. Als Jagd- und Singwarten werden liegen, die 1968/69 von einer starken Dürre - vereinzelt stehende Stauden und Sträucher, periode heimgesucht wurde. aber auch Zäune und Pfähle benötigt. In den europäischen Brutgebieten macht ihr Während die südeuropäischen Populationen der Rückgang an Feldgehölzen zu schaffen, Standvögel sind, wird das mitteleuropäische sie profitiert jedoch von der Nutzungsauf- Brutgebiet im Winter verlassen. Da Schwarz- gabe und der darauffolgenden Verbuschung kehlchen zu den Kurzstreckenziehern zählen, der Trockenrasen.

Vögel 111 Dorngrasmücke: Sperbergrasmücke Ihr Winterquartier liegt in Afrika südlich der Sahara. Im Gegensatz zur Dorngrasmücke besiedelt die Sperbergrasmücke stärker verbuschtes Gelände mit unterschiedlich hohen Gehölzen, weswegen sie zu den Nutznießern einer fort- schreitenden Verbuschung gehört. Hier siedelt sie sich gezielt in der Nähe von Neun- töter-Revieren an, da dieser als recht „ag- gressive“ Vogelart einen zusätzlichen Feind- schutz bietet und so die Wahrscheinlichkeit auf eine erfolgreiche Brut erhöht wird. Als eine der spätesten aus dem Winter - quartier heimkehrenden Vogelarten im Jahr erscheint sie erst ab Mai im Brutgebiet. Zu Schwarzkehlchen: dieser Zeit ernährt sie sich hauptsächlich Mit zwei, selten drei animalisch, etwa von Schmetterlingsraupen, Jahresbruten liegt die Spinnen oder Heuschrecken, während sie ab Fortpflanzungsrate sehr hoch. dem Sommer vermehrt auch Beeren zu sich nimmt.

Grauammer

Die Männchen dieser im Mittelmeerraum überwinternden Art besetzen ihre Reviere bei günstiger Witterung oft schon ab Februar, wobei ältere Männchen früher zurückkehren als jüngere. Die Paarbindung ist jedoch nicht sehr streng. Ausschließlich das Weibchen entscheidet über den Nistplatz, es hat jedoch Neuntöter: auch die Hauptlast der Jungenfütterung zu Er gehört zu den tragen, an der sich die Männchen kaum oder räuberischsten unter gar nicht beteiligen. unseren Singvögeln. Vor allem in Ostösterreich sind halboffene Trockenrasen gern angenommene Bruthabi- tate. Die Grauammer benötigt offene Be - reiche für den Nahrungserwerb, jedoch eine etwas dichtere Vegetation für die Anlage des Nestes sowie Büsche, Einzelbäume oder niedrige Leitungen als Singwarten. Ihr cha- rakteristisch scheppernd klingender Gesang, der bereits ab Februar gehört werden kann, erinnert an „Schlüsselbundklimpern“ und hat ihr früher mancherorts den Namen „Wiesen- prassler“ eingebracht.

112 Vögel Robert Kreinz (4x) Robert Bienenfresser: Goldammer anrisse in Hohlwegen, Weingartenterrassen Die Vorkommen der oder Sandgruben. In der Nähe liegende meisten Bienenfresser - Arten beschränken sich Die im Männchenkleid prächtig gelb gefärbte Trockenrasen werden vor allem aufgrund des auf die Subtropen und Goldammer gehört zu den klassischen Kul- guten Angebots an Großinsekten aufgesucht Tropen. turlandvögeln, die trotz Bestandsrückgang und stellen hauptsächlich während der Brut- nach wie vor zu den häufigsten Arten offener zeit eine wichtige Nahrungsfläche für diesen Landschaften zählt. Sie kann bei uns ganz- eleganten Fluginsektenjäger dar. jährig angetroffen werden und schließt sich Die Farbenpracht des Bienenfressers lässt zu im Winter zu größeren Trupps zusammen, Recht vermuten, dass es sich hierbei um die gelegentlich über 100 Vögel umfassen einen Vertreter einer tropischen Vogelfamilie können. handelt. Von den weltweit insgesamt Ab Februar beginnt die Gesangsaktivität und 24 Bienen fresser-Arten besiedelt er jedoch damit die Revierbesetzung, wobei der Lege- als Einziger den mitteleuropäischen Raum. beginn meist erst im April liegt. Zwei Jahres- bruten sind bei uns keine Seltenheit, bei Brachpieper zeitigem Brutbeginn ist gelegentlich auch eine dritte Brut möglich. Die Nester werden Der Brachpieper zählt in Österreich zu den meist am Boden oder an niedrigen Sträu- seltensten Brutvögeln, der nur mehr zwei chern angelegt. regelmäßig besetzte Brutgebiete im süd - lichen Wiener Becken und im Nordburgen- Bienenfresser land aufweist. Er ist ein ausgesprochener Steppen- und Halbwüstenvogel, dessen Der ursprüngliche Brutlebensraum lag an den letzte Vorkommen in vornehmlich offenen, Steilufern größerer Tieflandflüsse, in denen trockenwarmen Landschaften liegen. Am der Bienenfresser seine Brutröhren selbst- Brutplatz benötigt er offene, schottrig-san- grabend anlegte. Aufgrund von Flussregu - dige Bereiche für den Nahrungserwerb sowie lierungen und Uferverbauungen und einem lichte Bestände höherer Vegetation für die damit einhergehenden Lebensraumverlust Anlage des Nestes. Diese Bedingungen findet besiedelt der Bienenfresser in Ostösterreich er bei uns oft nur noch in vom Menschen be- als sogenannte „Sekundärhabitate“ Erd - einflussten Lebensräumen wie ausgedehnten

Vögel 113 Grauammer (links): Eine optisch unauf fäl- lige Vogelart, die sich jedoch durch ihren scheppernden Gesang bemerkbar macht.

Turmfalke (rechts): Steht im Rüttelflug oft minutenlang in der Luft, um nach Beute Ausschau zu halten. Jiři Bohdal Robert Kreinz Robert

Sand- und Schottergruben oder auf verblie- Hans-Martin Berg benen Trockenrasen in Truppenübungsplät- Naturhistorisches Museum Wien zen und auf unbefestigten Flugfeldern vor. Vogelsammlung Burgring 7 1010 Wien Diese kleine Auswahl an Vogelarten mit mehr oder minder spezifischen Ansprüchen an Dipl.-Ing. Manuel Denner ihren Lebensraum verdeutlicht, wie reichhal- Untere Ortsstraße 17 tig Steppen- und Trockenrasen in der mittel- 2170 Kleinhadersdorf europäischen Kulturlandschaft sein können, vorausgesetzt, sie werden entsprechend pfleglich behandelt und vor störenden Ein- griffen bewahrt. Um mit den im Rahmen des LIFE-Projekts anberaumten Pflegemaß - nahmen gezielt auch Vogelarten zu fördern, wurden sogenannte „Zielarten“ benannt, um notwendige Maßnahmen eindeutig zu formu- lieren und Auswirkungen auch überprüfbar zu machen. Zu diesen ausgewählten Ziel - arten zählen u. a. Wiedehopf, Ziegenmelker, Heidelerche und Brachpieper. Die Rückgangs- ursachen dieser Arten sind großteils bekannt, sodass mit genau geplanten Pflegeeingriffen nun versucht werden kann, die negative Bestandsentwicklung zu verlangsamen oder gar zu stoppen.

114 Vögel Smaragdeidechse (Weibchen): Diese Art bevorzugt gut strukturierte Lebensräume wie von Büschen durch- setzte Trockenrasen mit einem hohen Angebot an Versteck- und Sonnplätzen. 4.5 Reptilien der Trockenrasen

Johannes Hill und Rudolf Klepsch

An sonnigen Tagen kann man auf vegetati- onsarmen Standorten gelegentlich das Fluchtgeräusch verschiedener Eidechsen vernehmen. Die beim Sonnenbad gestörten Tiere laufen meist zielstrebig zum nächsten Versteck, das sie in Lesestein- oder Holz - haufen bzw. im dichten Buschwerk finden. Auch Schlangen suchen häufig Plätze zum Aufheizen auf.

Im Folgenden werden typische Reptilien der

Trockenrasen kurz vorgestellt. Heinz Wiesbauer

Smaragdeidechse (Lacerta viridis) terung ein dunkelbraun geflecktes, recht kontrastreiches Jugendkleid. Tiere dieser Die Wärme liebende Smaragdeidechse Altersklasse werden von ungeübten Beob- (Lacerta viridis) stellt mit einer Gesamtlänge achtern oft mit Zauneidechsen verwechselt. von 35 bis 40 cm (wovon ca. zwei Drittel auf Im Laufe des Sommers bis zu ihrer zweiten den Schwanz entfallen) die größte einhei - Überwinterung kommt es bei Tieren dieser mische Lacertiden-Art dar. Ausgewachsene Altersklasse zu einer allmählichen Grünfär- Exemplare sind im Normalfall durchgehend bung. Diese Umfärbung beginnt im Nacken grün gefärbt mit einer leichten schwarzen und setzt sich dann über den Rücken und die Sprenkelung. Zur Paarungszeit im Mai und Körperseiten fort. Dieser Prozess ist bei den Juni sind Kopfseiten, Kehle und Halsregion Männchen meist nach der zweiten Überwin- des Männchens leuchtend türkisblau gefärbt. terung abgeschlossen, die Weibchen können Vor allem bei jüngeren Weibchen sind oft darüber hinaus noch längere Zeit größere dunkelbraune bis schwarze Flecken und Braunanteile (v. a. hinterer Körperbereich, weiße bis hellgelbe unterbrochene Rücken - Hinterextremitäten, Schwanz) aufweisen. Die linien erkennbar. Die robust gebaute Ei- Geschlechtsreife wird nach der 2. Überwin - dechse weist einen relativ großen Kopf und terung erreicht. kräftige Gliedmaßen auf, die Extremitäten Die Tiere beenden ihre Winterruhe je nach sind länger als die der Zauneidechse. Der Witterung im März oder April. Bei sehr güns- Kopf des Männchens ist größer und massiger tigen Witterungsverhältnissen können bereits als der des Weibchens, dessen Rumpflänge Ende Februar Smaragdeidechsen gesichtet dafür die des Männchens übertrifft. werden. Zuerst erscheinen die Männchen Frisch geschlüpfte Jungtiere weisen auf der und Subadulti, mit ungefähr einem Monat braun gefärbten Oberseite ein Muster aus Abstand folgen dann die Weibchen. Gegen kleinen schwärzlichen oder bräunlichen Tüp- Ende April setzt bei den Männchen die Häu- feln auf. Subadulte, noch nicht geschlechts- tung zum Hochzeitskleid ein (blaue Kehlfär- reife Tiere zeigen nach der ersten Überwin - bung). Die Paarungszeit dauert von Ende

Reptilien 115 Heinz Wiesbauer Smaragdeidechse ( Männchen): Zur April bis Mitte Juni, hierbei kann es zu länger Kategorie 2 („Stark gefährdet“) gelistet. Paarungs zeit kann man die Männchen dauernden Paarbildungen kommen. In dieser An sonnigen Tagen kann man bei Spazier- leicht an ihrer türkis - Phase kommt es auch zu Kommentkämpfen gängen des Öfteren an Wegrändern oder blau gefärbten Kehle der Männchen (Revierverteidigung), wobei Büschen in Trockenrasenbereichen das auf- erkennen. sich diese gegenseitig in den Hinterkopf bei- fällige und laute Fluchtgeräusch der Eidech- ßen. Zwischen Anfang Juni und Mitte Juli sen registrieren. Aufgescheuchte Tiere laufen werden die Eier in selbstgegrabenen Höhlen zumeist zielstrebig in einen Lesestein- oder abgelegt. Erste Jungtiere treten meist Ende Holzhaufen bzw. in dichtes Buschwerk. August/Anfang September auf und messen Smaragdeidechsen bevorzugen gut struk - zwischen 80 und 100 mm (Gesamtlänge). turierte Lebensräume wie von Büschen Die jährliche Aktivitätsphase endet meist durchsetzte Trockenrasen bzw. Halbtrocken- Ende September bis Mitte Oktober, dabei rasen mit einem hohen Angebot an Versteck- verschwinden zuerst die Weibchen, dann die und Sonnplätzen. Sie besiedeln Habitate wie Männchen und zum Schluss die Jungtiere. Weinbergränder, aufgelassene Steinbrüche, mit Trockenrasenbereichen durchsetzte lichte Die Art hat in Niederösterreich zwei große Laubwälder und buschreiche Säume an Verbreitungszentren, zum einen den Kom- Wald- und Wegrändern vor allem in südost- plex Wachau, Krems- und Kamptal und zum bis südwestexponierten Hanglagen. Struktur- anderen die Thermenlinie südlich von Wien. reiche Trockenmauern stellen wichtige Mehr oder weniger gute Bestände existieren Habitatelemente dar. Biotopkriterien sind ei- an der Thaya, in der Umgebung von Kloster- nerseits offene Geländestrukturen (Thermo- neuburg, im Bereich der Hainburger Berge regulation) und andererseits ausreichende sowie an der Grenze zum Burgenland. Im Deckung (Gebüsch, Bäume, Gras und krau- Weinviertel ist die Smaragdeidechse selten tige Vegetation). Wichtige Kleinstrukturen im und nur lokal im südöstlichen bzw. südwestli- Lebensraum der Smaragdeidechse sind Bret- chen Weinviertel verbreitet. ter-, Pfosten-, Reisig- und Steinhaufen. Auch Diese Eidechsenart ist in der Fauna-Flora- Dickichte von Waldrebe, Hundsrose und Habitatrichtlinie, Anhang IV, in der Roten Brombeere stellen bedeutende Strukturen im Liste Österreich bzw. Niederösterreich in der Habitat der Eidechsen dar. Die enge Bindung

116 Reptilien an Strukturen wie beispielsweise Strauch- oder Clematisbereiche (Deckung), freie oder nur gering bewachsene Stellen (Eiablage- plätze) bzw. Kleinstrukturen wie Lesestein-, Reisighaufen und Legsteinmauern (Deckung, Unterschlupf, Thermoregulation) zeigt sich in zweierlei Hinsicht: Zum einen sind derartige Habitatelemente an den meisten Smaragd - eidechsenfundstellen zumindest in der Nähe Zauneidechse vorhanden, zum anderen beinhalten gerade (Weibchen): Lebensräume mit vielen Sichtungen ein ab- Den Lebensraum der wechslungsreiches Mosaik aus unterschied - Zauneidechse bilden Trockenrasen, Geröll- lichen Vegetationshöhen- und -dichten, felder, Steinbrüche Sträuchern bzw. Clematisbereichen und und aufgelichtete freien, sandigen Stellen. Waldränder.

Diese hohe Ansprüche an ihren Lebensraum stellende Reptilienart ist als Leitart für groß- flächige, gut strukturierte, wärmebegünstigte Trockenlebensräume mit einem Mosaik ver- schiedener Vegetationshöhen anzusehen. In diesen Habitaten finden sich oftmals Schling- natter und Äskulapnatter, aber auch Zaun - eidechse, Mauereidechse, Blindschleiche und Ringelnatter. Die gute Erfassbarkeit der Zauneidechse Smaragdeidechse trägt weiters dazu bei, sie (Männchen): als Zielart im Arten- und Lebensraumschutz Sie tritt meist nur in einzusetzen. Gebieten auf, wo die wesentlich größere Smaragdeidechse Sie ernährt sich in erster Linie von verschie- fehlt. denen Insektenarten, manchmal werden auch reife Beeren oder kleine Wirbeltiere gefressen.

Diese Art ist vor allem durch Biozideinsatz in der Landwirtschaft, Strukturverarmung in Weinbaulandschaften und zu starke Verbu- schung von Trockenrasen gefährdet. Auch das Verfugen von spaltenreichen Trocken- mauern kann wichtige Unterschlupfmöglich- keiten zerstören. Frei laufende Katzen im Grenzbereich zum besiedelten Gebiet und Mauereidechse ungelenkte Besucherströme können weiters (Weibchen): Diese eine Bedrohung bzw. Störung der Bestände Art kommt vor allem entlang der Ther- darstellen. Johannes Hill (3x) menlinie vor.

Reptilien 117 Die Äskulapnatter klettert als einzige heimische Schlange Zauneidechse (Lacerta agilis) Kopf. Ihr Rücken ist hell- bis graubraun ge- auch auf Bäume. Ihr färbt mit unregelmäßigen schwarzen Flecken Beutespektrum Die Zauneidechse ist hinsichtlich ihrer (Gesamtlänge: bis 25 cm). Die Unterseite ist umfasst u. a. Mäuse, Habitatwahl weniger anspruchsvoll als die sehr variabel von weißlich über gelblich bis Vogeleier, nestjunge Vögel und Eidechsen. Smaragdeidechse. Trotzdem muss auch ihr rotbraun mit stark ausgeprägter Fleckung Lebensraum reichhaltig strukturiert sein. (Männchen) oder einer weniger stark ausge- Die Art ist in ganz Österreich verbreitet, prägten (Weibchen). Felsige Bereiche wie Ab- wobei vielerorts ein Rückgang der Bestände bruchkanten, Schutt- und Geröllfelder, Lege- zu verzeichnen ist. Verantwortlich hierfür steinmauern und lichte Föhrenwälder bzw. sind beispielsweise fehlende Strukturen und Kahlschläge sind die bevorzugten Biozideinsatz in der intensiven Landwirt- Lebensräume dieser Art. schaft, strukturlose Waldränder ohne Busch- schicht und frei laufende Katzen im Sied- Schling- oder Glattnatter (Coronella lungsgebiet. austriaca)

Syntope Vorkommen sind selten, in von Die Schling- oder Glattnatter ist eine schlank Smaragdeidechsen besiedelten Trocken - wirkende Schlange, deren Kopf wenig vom rasenbereichen weicht die kleinere Zaunei- Körper abgesetzt ist. An den Kopfseiten ver- dechse meist in für Lacerta viridis subopti- läuft von den Nasenlöchern beginnend eine male Habitate (weniger wärmebegünstigt, dunkle Binde, die sich bis zum Hals fortsetzt. weniger Kleinstrukturen) aus. Die Männchen Am Kopf befindet sich eine charakteristische dieser ca. 20 cm Gesamtlänge erreichenden Zeichnung in Form einer Krone, eines Huf - Lacertiden-Art weisen in der Paarungszeit eisens oder Herzens. Die Augen sind relativ eine grüne Flanken- und Bauchfärbung auf, klein, mit runder Pupille. Ihre Schuppen sind während die Weibchen auf grauer bis ungekielt, die Grundfarbe variiert von Grau brauner Oberseite ein auffälliges Flecken - (meistens Weibchen) bis Braun (meistens muster zeigen. Auch Tiere mit rötlicher Männchen). Die Rückenzeichnung setzt sich Rückenfärbung kommen vor. Jungtiere aus paarigen oder gegeneinander versetzten haben eine auffällige Jugendfärbung. Flecken zusammen, welche den Eindruck un- deutlicher Längsstreifen vermitteln können. Mauereidechse (Podarcis muralis) Sehr selten treten auch Individuen auf, deren Flecken zu zwei Längsstreifen verschmolzen An der Thermenlinie kommt gebietsweise die sind. Am Bauch ist diese Schlangenart dun- Wärme liebende Mauereidechse vor. Diese kelgrau bis rötlich (Jungtiere) gefärbt. Art ist charakterisiert durch einen schlanken Nach der Winterruhe beginnt die Aktivität Körper mit langem Schwanz und flachem normalerweise Ende März/Anfang April. Kurz

118 Reptilien Schlingnatter: Im Gegensatz zur giftigen Kreuzotter weist die harmlose Schlingnatter nicht ein Zick-Zack-Band auf, sondern eine dunkle Fleckung.

danach häuten sich die Tiere, anschließend beginnt die Paarung. Von August bis Septem- ber werden 4 bis 15 Jungtiere in einer durch- sichtigen Schleimhülle geboren. Im Verlauf des Oktobers ziehen sich die Schlangen in frostfreie Winterquartiere, wie Erdlöcher (v. a. Kleinsäugerbauten) oder Felsspalten, zurück. Die Geschlechtsreife wird meistens nach der dritten oder vierten Überwinterung erreicht.

Die Schlingnatter ist ein spezialisierter Rep - tilienjäger. Während sich Jungtiere aus- schließlich von Reptilien ernähren, fressen adulte Exemplare des Weiteren auch Klein-

säuger, selten aber Jungvögel. Die Beute Johannes Hill (2x) wird blitzschnell umschlungen, erdrosselt und mit dem Kopf voran verschlungen. Nah- halten sich dann in der dichten Vegetation rungstiere werden sowohl optisch als auch oder unter Steinen auf. Diese Art führt ein olfaktorisch geortet. verstecktes und verborgenes Leben. Sie ver- traut auf ihre Tarnfarbe bzw. -zeichnung, Die Habitate dieser Natternart sind sehr viel- flüchtet erst spät und zieht sich bei Beun - gestaltig, zeichnen sich allerdings stets durch ruhigung langsam in ihr Versteck zurück. Ge- ein Mosaik aus unterschiedlichen Lebens - fangene Exemplare wehren sich durch Bisse. räumen mit einem kleinflächigen Wechsel Da die Kreuzotter (Vipera berus) im pannoni- von Offenland, Gebüsch und Wald sowie Fel- schen Raum fehlt, sind Fundmeldungen von sen oder anderen Rohbodensituationen aus. dieser Art stets auf Verwechslungen mit Sie lässt sich in unseren Breiten im Wesent - Schlingnattern zurückzuführen. lichen als xerothermophile Art charakteri - sieren. Kalkmagerrasen bzw. Trockenrasen Als Prädatoren kommen u. a. verschiedene im pannonischen Raum bieten ihr günstige Vogelarten (Greifvögel, Störche, Krähen, Lebensbedingungen. Vorzugsweise findet Würger) und Marderartige in Frage. Jungtiere man sie im Bereich von Buschgruppen, werden außerdem gelegentlich von Sma- Steinansammlungen (z. B. Lesesteinhaufen, ragdeidechsen gefressen. Auch Kannibalis- Steinmauern) sowie angrenzenden Waldrän- mus kann vorkommen. In Siedlungsnähe dern. Die Habitate der Smaragdeidechse werden Populationen leider oftmals durch frei decken sich stets mit denen der Schlingnat- laufende Katzen und Hunde dezimiert. ter in Ostösterreich, wobei letztgenannte Art Wichtige Schutzmaßnahmen stellen der eine weitere Verbreitung aufweist, da sie Erhalt spaltenreicher Trockenmauern und die ökologisch flexibler ist. Errichtung von Kleinstrukturen wie Totholz- und Reisighaufen dar. Schaffung bzw. Erhalt Schlingnattern sind häufig an schwülen einer abgestuften Vegetationsdecke mit Tagen mit hoher Wolkenbedeckung bzw. Buschgruppen und verschieden dichten Be- nach längeren Regenperioden aktiv. Starke ständen krautiger Vegetation kommen auch Sonneneinstrahlung wird gemieden; die Tiere den anderen syntop vorkommenden Rep -

Reptilien 119 tilienarten zugute. Strukturreiche Waldränder und Pflege ein vorrangiges Ziel im Reptilien- erfüllen eine wichtige Funktion als Aus - schutz sein muss. breitungskorridor. Weiterführende Literatur

Äskulapnatter (Zamenis longissimus) CABELA, A., GRILLITSCH, H. & TIEDEMANN, F. (2001): Atlas zur Verbreitung und Ökologie der Amphibien und Reptilien in Diese größte einheimische Schlangenart ist Österreich: Auswertung der Herpetofaunistischen Daten- bank der Herpetologischen Sammlung des Naturhis - oft im Grenzbereich zwischen Trockenrasen torischen Museums in Wien. Umweltbundesamt Wien. und Wäldern zu finden. Sie hat einen schma- len, nur wenig vom Hals abgesetzten Kopf ELBING, K. (2001): Die Smaragdeidechsen: zwei (un)gleiche Schwestern. Zeitschrift für Feldherpetologie: Beiheft 3. und glatte, meist hell- oder dunkelbraune Laurenti, Bochum. Rückenschuppen. Häufig sind an Rücken- und Flankenschuppen weiße Strichel erkenn- ELBING, K. & NETTMANN, H.-K. (Hrsg.) (2001): Beiträge zur Naturgeschichte und zum Schutz der Smaragdeidechsen bar. Die Körperunterseite ist weißlich bis gelb (Lacerta s. str.). Mertensiella 13. gefärbt. Juvenile Exemplare weisen eine auf- fällige Zeichnung auf, die derer der Ringel- ENGELMANN, W.-E., FRITZSCHE, J., GÜNTHER, R. & OBST, F. J. (1985): Lurche und Kriechtiere Europas. Radebeul Neu- natter ähnelt. mann, Leipzig.

Während Jungtiere hauptsächlich nestjunge GOLLMANN, G. (2007): Rote Liste der in Österreich gefährde- ten Lurche (Amphibia) und Kriechtiere (Reptilia). In: ZULKA, Nagetiere und auch Eidechsen fressen, er- K. P. (Red.): Rote Listen gefährdeter Tiere Österreichs, Teil nähren sich die adulten Exemplare in erster 2: Kriechtiere, Lurche, Fische, Nachtfalter, Weichtiere. Böh- Linie von Kleinsäugern und Vögeln geeigne- lau Verlag, Wien-Köln-Weimar. ter Größe. Die Beute wird vor dem Verzehr KAMMEL, W. (1999): Zur Biologie der heimischen Elaphe lon- umschlungen. Bei der Nahrungssuche klet- gissima longissima. Graz (Dissertation Karl-Franzens-Uni- tert diese Schlange regelmäßig auf Sträucher versität Graz). und Bäume. Die Art ist wie die Schlingnatter KLEPSCH, R. (1999): Struktur, Phänologie und Habitat einer tagaktiv, vor allem im Hochsommer wird die Smaragdeidechsenpopulation (Lacerta viridis LAURENTI, Hauptaktivität in die Morgen- und Abend- 1768) (Kahlenberg, Wien). Wien (Diplomarbeit Universität Wien). stunden verlagert. SCHEDL, H. & KLEPSCH, R. (1999): Bericht über die Artenkar- Äskulapnattern finden sich vor allem im tierung und Grundlagenerhebung zum Wiener Arten- und Lebensraumschutzprogramm (ALSP) – Smaragdeidechse Osten Österreichs regelmäßig in Siedlungs- (Lacerta viridis). Unveröffentlichter Bericht im Auftrag der nähe. Zur Eiablage werden oft Ansammlun- MA 22 – Gemeinde Wien. gen von totem Pflanzenmaterial aufgesucht. VÖLKL, W. & KÄSEWIETER, D. (2003): Die Schlingnatter: Ein In Komposthaufen findet man manchmal heimlicher Jäger. Beiheft der Zeitschrift für Feldherpetologie Massenansammlungen von Eiern, oft ge- 6. Laurenti, Bielefeld. meinsam mit denen der Ringelnatter (Natrix natrix) und gebietsweise mit denen der Würfelnatter (Natrix tessellata). Johannes Hill Withalmstraße 1 Reptilienschutz ist Lebensraumschutz 2120 Wolkersdorf im Weinviertel

Pannonische Trockenrasen stellen für eine Rudolf Klepsch Reihe heimischer Reptilienarten wertvolle Le- Erdbergstraße 59/33 bensräume da, deren langfristige Erhaltung 1030 Wien

120 Reptilien 4.6 Schnecken der Trockenrasen nung des letzten Umgangs normal zur Spin- del betrachtet. Gehäuse, welche um einiges breiter als hoch sind, werden als „flach“ be- Michael Duda zeichnet, solche die höher als breit sind als „turmförmig“ oder „konisch“. Ist die Schale Schnecken () gehören zu den in etwa so breit wie hoch, wird sie als „kuge- Weichtieren (), einer Tiergruppe, lig“ bezeichnet. Zudem können Schnecken- deren Vertreter zumeist im Meer zu finden gehäuse eine mehr oder weniger starke Rip- sind. Schnecken sind – im Gegensatz zu pung aufweisen oder völlig glatt sein. ihren Verwandten wie z. B. den Muscheln oder den Tintenfischen – die einzigen Weich- Die Kombination verschiedener Merkmale, tiere, die sich auch das Land als Lebensraum wie z. B. Höhe und Färbung des Gehäuses, erobern konnten. seine Rippung oder die Ausprägung des Nabels, können zur Unterscheidung der ein- Allgemeines zelnen Arten herangezogen werden. Aller- dings ist dies nicht immer so einfach, wie es Die klassische Form der Schnecke stellen die im ersten Moment scheint, da die einzelnen Gehäuseschnecken dar. Sie sind mit einer Merkmale auch innerhalb einer Art stark va- Schale ausgestattet, in die sie ihren Körper riieren können. Bei vielen nahe verwandten bei Bedrohung oder ungünstiger Witterung Arten ist die Unterscheidung aufgrund der zurückziehen können. Die Schale wird vom Ge häusemerkmale oft so gut wie unmöglich, sogenannten Mantel, von einer Hautfalte, sie müssen seziert werden, um anhand der ausgeschieden und setzt sich bei den heimi- Lage und Form ihrer inneren Organe ein - schen Land- und Süßwasserschnecken aus deutig bestimmt werden zu können. zwei Schichten zusammen: aus einer inneren Schicht, dem Ostrakum, welches in erster Im Laufe der Evolution entwickelten sich so- Linie aus Kalk besteht, und einer äußeren wohl an Land als auch an Wasser – unabhän- Schicht, dem Periostrakum, welches aus gig voneinander aus verschiedenen Familien – einer hornartigen Substanz aufgebaut ist und Nacktschnecken, Formen ohne Gehäuse. die Farbe der Schale bestimmt. Von oben be- Nacktschnecken sind im Gegensatz zu Ge- trachtet lassen sich die einzelnen Windungen häuseschnecken zweiseitig symmetrisch; bei unterscheiden, welche durch die sogenannte den Gehäuseschnecken spricht man von Naht getrennt sind. Im Inneren der Schale einer Torsion des Weichkörpers, weil jener zu befindet sich die Spindel, welche die innere einem guten Teil spiralig aufgerollt ist und Achse des Gehäuses darstellt. Von der Unter- die inneren Organe nicht symmetrisch ange- seite betrachtet fällt zuerst die Mündung auf, ordnet sind. Der Weichkörper der Schnecken jene Öffnung, in die sich die Schnecke zu- ist von einem glitschigen Schleim überzogen. rückziehen kann. Um die Mündung herum Die Fortbewegung erfolgt über den Fuß, wel- befindet sich oft ein verbreiteter Wulst, die cher Kontraktionswellen schlägt und so das sogenannte Lippe, welche nur bei ausge- Tier voranbringt. Besonders gut ist dies zu wachsenen Tieren zu finden ist. Als Höhe beobachten, wenn man eine Schnecke über wird bei einer Schneckenschale die Differenz eine Glasfläche kriechen lässt und ihren Fuß zwischen der Spitze und dem untersten Teil – von unten betrachtet. Wasserbewohnende zumeist dem untersten Ende der Lippe – ver- Arten atmen zumeist über Kiemen; etliche standen, als Breite wird die größte Ausdeh- Süßwasserschnecken sowie die meisten hei-

Schnecken 121 mischen Landschnecken nehmen Sauerstoff Manche Schnecken mögen’s heiß aber über ein spezielles Gewebe auf, welches ähnlich unseren Lungen funktioniert. Sie Nichtsdestotrotz gibt es auch einige Arten werden demzufolge als „Lungenschnecken“ von Gehäuseschnecken, die ebenso auf Tro- bezeichnet. ckenrasen vorkommen und sogar auf diesen Lebensraumtyp spezialisiert sind. Sie sind Am Kopf einer Schnecke befindet sich bei ur- nur bei ausgesprochen feuchtem und regne- tümlicheren Formen ein, bei den heimischen rischem Wetter aktiv. Da es sich bei diesen Landlungenschnecken zwei Paar Fühler. Zur Arten um solche mit einem hohen Wärmebe- Nahrungsaufnahme dient bei den meisten dürfnis handelt, zählt der Umstand der wär- Arten die Raspelzunge (Radula), welche mit mebegünstigten Lage auf Trockenrasen kleinen Zähnchen bestückt ist, welche die höher als jener des Wassermangels. Sie Nahrung abraspeln. Die meisten Arten ernäh- haben eigene Strategien entwickelt, um auch ren sich von Pilzen, Pflanzen oder abgestor- bei trockenheißem Wetter zu überleben. benen Pflanzenteilen, etliche nehmen aber Manche Arten, wie etwa die Östliche Heide- auch Aas oder Kot auf; einige sind sogar räu- schnecke (Xerolenta obvia) und die Gerippte berisch. Alle heimischen Landschnecken sind Bänderschnecke (Cepaea vindobonensis) Zwitter, unter den heimischen Süßwasser- heften sich an Pflanzenstängel, um sich schnecken gibt es aber auch getrenntge- durch den Wind Kühlung zu verschaffen. An- schlechtliche Arten. Die Lebensdauer ist je dere wie die Große Turmschnecke ( nach Art verschieden: So kann z. B. die detrita) verkriechen sich in tiefere Erdschich- Weinbergschnecke (Helix pomatia) ein Alter ten und erscheinen erst nach längeren Re- von mehreren Jahrzehnten erreichen; andere genfällen an der Oberfläche. Zudem gibt es wie die Östliche Heideschnecke (Xerolenta einige, oft nur wenige Millimeter große Arten obvia) werden nur ein Jahr alt. wie das Moospüppchen (Pupilla muscorum), welche sich ihr ganzes Leben in und nahe der Da der Körper der Schnecken nur schlecht Streuauflage des Bodens aufhalten, oder wie gegen Austrocknung isoliert ist, sind auch z. B. die Blindschnecke ( acicula) Landlungenschnecken zumeist an feuchte direkt im Boden verbringen. Lebensräume gebunden oder nur bei feuch- tem Wetter aktiv. Im Folgenden werden einige charakteris - tische Schneckenarten von Trockenrasen- standorten vorgestellt.

Zu den häufigeren Arten zählen:

Östliche Heideschnecke (Xerolenta obvia MENKE, 1828) Eine südosteuropäisch verbreitete Art mit 14 bis 20 mm breitem, flachgedrücktem Gehäuse von weißer Grundfarbe mit einigen Östliche Heideschnecke schwarzen Längsstreifen. Sie bewohnt vor (Xerolenta obvia): allem offene Standorte mit lockerer Vegeta- Eine recht häufige Art tion und gehört zu jenen Arten, welche sich auf unseren Trockenrasen. bei Trockenheit an Pflanzenstängel anheften.

122 Michael Duda (3x) Gerippte Bänder- schnecke (Cepaea vindobonensis) (links)

Große Turmschnecke (Zebrina detrita) (rechts)

Sie ist eine der häufigsten trockenheitslieben- men. Sie besiedelt gut besonnte Trockenrasen den Schneckenarten und ist auch auf anderen und Felshänge mit schütterer Vegetation. Standorten wie z. B. Bahndämmen und Rude- ralflächen zu finden. Die Östliche Heide- Zu den selteneren Arten zählen: schnecke ist einjährig; nach der Paarung im Herbst sterben die ausgewachsenen Tiere ab. Große Turmschnecke (Zebrina detrita [O. F. Die Jungtiere überwintern in den Legehöhlen MÜLLER, 1774]) und wachsen im nächsten Jahr heran. Eine südosteuropäische Art mit glattem, 12 bis 25 mm hohem und 8 bis 12 mm brei- Gerippte Bänderschnecke (Cepaea vindobo- tem, oval zugespitztem Gehäuse, welches nensis [C. PFEIFFER, 1828]) reincremeweiß oder mit feinen braunen Eine südosteuropäisch verbreitete Art mit Querstreifen versehen sein kann. Die Große fein gerippten, 20 bis 25 mm breitem, kuge- Turmschnecke ist vor allem auf trockenen, ligem Gehäuse, welches auf cremefarbener südexponierten Hängen mit lockerem Boden Grundlage mehrere braune Längsstreifen und vereinzelten vegetationsfreien Stellen zu zeigt. Sie kann mit gestreiften Formen der finden. Sie weist zwei Fortpflanzungsperi- Garten-Bänderschnecke (Cepaea hortensis) oden auf: eine im Frühsommer und eine im verwechselt werden, weist aber im Gegen- Herbst. Diese Art gräbt sich bei Trockenheit satz zu dieser einen hellbraunen Streifen zumeist ein, einzelne Exemplare heften sich entlang der Mündung auf. Sie bewohnt eher aber auch an Pflanzenstängel. mit einzelnen Gehölzen und Hochstauden be- wachsene Randbereiche von Trockenrasen, Österreichische Heideschnecke ( man kann sie aber auch an Ruderalflächen, striata austriaca GITTENBERGER, 1969) Feld- und Wiesenrändern sowie in naturbe- Eine eher kleine Art mit 4,5 bis 6,5 mm lassenen Gärten finden. Auch diese Art heftet hohem und 6 bis 9 mm breitem, stark sich bei Trockenheit an höhere Vegetation, geripptem Gehäuse. Sie ist eine in Öster- wobei sie mehrere Meter über dem Erdboden reich endemische Form des südlichen im Geäst hängen kann. Wiener Beckens, wo sie einst in warmen Steppenlandschaften mit lockerer Vegeta- Moospuppenschnecke (Pupilla muscorum tion weiter verbreitet war. Aufgrund von [LINNAEUS, 1758]) Lebensraumzerstörung existiert heute nur Eine kleine, holarktisch, d. h. über die ganze mehr ein individuenstarkes Vorkommen auf Nordhalbkugel der Erde verbreitete Art mit den Trockenrasen des südlichen Steinfeldes. 3 bis 4 mm hohem und 1,7 mm breitem, wal- Aufgrund ihrer Seltenheit und Gefährdung zenförmigem, braunem Gehäuse. Sie gehört ist sie im Anhang II der Fauna-Flora-Habi- zu jenen kleinen, bodenbewohnenden Arten, tatrichtlinie der Europäischen Union ange- die aufgrund ihrer geringen Körpergröße leicht führt; d. h., sie gehört zu jenen Arten, für übersehen werden, aber dennoch auf geeigne- die eigene Schutzgebiete ausgewiesen wer- ten Standorten in großer Stückzahl vorkom- den müssen.

Schnecken 123 Gefährdung ihren Lebensraum nicht verlassen können, sterben sie in der Folge ab. Ihre Schalen Im Gegensatz zur landläufigen Meinung ist bleiben allerdings jahrzehntelang im Boden nur ein Bruchteil aller Schneckenarten erhalten; sie sind oft wichtige Zeiger für frü- schädlich für landwirtschaftliche Kulturen. In here kleinklimatische Verhältnisse. Findet Österreich handelt es sich bei den für die man z. B. in einem Wald Schalen von Wärme Landwirtschaft gefährlichen Schnecken liebenden, offenlandbewohnenden Schnecken- zudem größtenteils um eingeschleppte Arten. arten, kann daraus geschlossen werden, dass Jene Arten, welche auf Trockenrasen leben, sich an dieser Stelle vor einigen Jahrzehnten ernähren sich fast ausschließlich von abge- noch eine trockene Wiesenlandschaft befand. storbenen Pflanzenteilen. Aber auch der Schadstoffeintrag aus der Luft wirkt sich negativ auf trockenrasenbewoh- Die meisten heimischen Schnecken, sowohl nende Schnecken aus. Stickstoffverbindun- Land- als auch Wasserschnecken, sind im gen aus der Luft bewirken ein verstärktes Gegensatz zu ihrem Ruf als Schädlinge wich- Wachstum von Moosen, wodurch eine Abküh- tige Zeigerorganismen für die Qualität von lung der obersten Bodenschichten bewirkt Lebensräumen, Wasser und Luft. Von den wird. Besonders bodenbewohnende Arten heimischen Arten und Unterarten sind 2 % wie die Wulstige Kornschnecke (Granaria fru- schon ausgestorben, weitere 35 % stehen mentum) werden dadurch beeinträchtigt. auf der Roten Liste. Besonders auch bei Desgleichen wirken sich Umweltgifte sowohl jenen Arten, welche Trockenrasen bewohnen, aus der Industrie als auch aus der Landwirt- zeigt sich in den letzten Jahrzehnten ein schaft negativ auf heimische Schneckenarten deutlicher Rückgang. Als Beispiel seien hier aus. Besonders erschwerend kommt hierbei die Gefährdungsgrade der hier vorgestellten noch hinzu, dass die direkten Zusammen- Arten angeführt: Ungefährdet ist die Östliche hänge zwischen dem Verschwinden einzelner Heideschnecke (Xerolenta obvia); die Moos- Arten sowie der Art und Menge des Giftes oft puppenschnecke (Pupilla muscorum) und die nicht oder nur kaum bekannt sind. Gerippte Bänderschnecke (Cepaea vindobo- nensis) sind mit „Gefährdung droht“ einge- Ist eine Schneckenpopulation einmal erlo- stuft. Die Große Turmschnecke (Zebrina de- schen, kann keine Wiederbesiedelung statt- trita) ist gefährdet; die Österreichische finden, da die Tiere im Vergleich zu anderen Heideschnecke (Helicopsis striata austriaca) Organismen extrem immobil sind. Daher ist ist vom Aussterben bedroht. Zumindest eine besonders auch für diese Tiergruppe der Er- Art der ostösterreichischen Trockenrasen, die halt unserer letzten noch verbleibenden Kleine Quendelschnecke (Candidula unifas- Trockenrasen wichtig. ciata soosiana), ist in Österreich als ausge- storben zu betrachten. Weiterführende Literatur

REISCHÜTZ, A. & REISCHÜTZ, P. L. (2007): Rote Liste der Die wesentlichen Gründe des Rückgangs Weichtiere (Mollusca) Österreichs. In: ZULKA, K. P. (Red.): Rote Listen gefährdeter Tiere Österreichs. Checklisten, Ge- trockenrasenbewohnender Arten sind Verbu- fährdungsanalysen, Handlungsbedarf. Teil 2. Grüne Reihe schung, Aufforstung, Umackern sowie Ver- des BLFUW, Wien. Böhlau Verlag: 363–433. bauung ehemaliger Weideflächen. Das Auf- kommen von Gehölzen bewirkt ein kühleres Dipl.-Ing. Michael Duda Mikroklima, welches sich nachteilig auf wär- Malatagasse 3 meliebende Schneckenarten auswirkt. Da sie 2380 Perchtoldsdorf

124 Schnecken 4.7 Zwerge und Riesen unter dem Rasen

Erhard Christian

Trockenrasen entwickeln sich auf sehr unter- schiedlichen Böden. Felssteppenböden sind gegen die Gesteinsunterlage scharf abge- grenzt, stellenweise extrem seicht und von nackten Flächen durchsetzt. Über Löss ist der Boden hingegen geschlossen und oft tiefgrün- dig. Die Bandbreite der Bodenformen wird durch lokale Besonderheiten und durch den Einfluss des Menschen noch vergrößert. Ent- sprechend unterschiedlich ist das Tierleben im Untergrund der Trockenrasen. Dort zeich- nen sich lebensraumtypische Arten – also sol- che, die regelmäßig in diversen Trockenrasen und (fast) nur dort auftreten – nicht so deut- lich ab wie unter freiem Himmel, doch einige Würmer, Milben, Insekten und Tausendfüßer kommen unserer Vorstellung von einem „Trockenrasentier“ recht nahe. Diese Arten sind aber weniger an den Vegetationstyp als vielmehr an bestimmte Boden- und Klimaver- hältnisse gebunden, die gleichzeitig die Aus- bildung von Trockenrasen begünstigen. Gele- gentlich treten sie auch in anderen offenen Lebensräumen auf. Manche von ihnen hat man in Äckern gefunden, andere an Straßen- rändern. Dass für die meisten unterirdischen Kleintiere die Beschaffenheit des Bodens einen entscheidenden Faktor darstellt, tritt in Sandgebieten besonders klar zutage. Steppenregenwurm Allolobophora hrabei, der Längenrekord - Flugssande zeigen unter dem Trockenrasen halter unter den schon in Spatentiefe steril wirkenden Sand. heimischen Regen- würmern. Das Substrat ist aber nur scheinbar unbesie- Erhard Christian delt. Winzige Tiere haben sich auf das Leben in den Sandporen spezialisiert, wo sie zwi- Pflanzen und Tieren und die daran haftenden schen den blanken Mineralpartikeln schlän- Bakterien und Pilze. In ihrem kargen, noch geln, ohne die Architektur der hautengen dazu von extremen Schwankungen des Was- Hohlräume zu verändern. Als Nahrung die- sergehaltes geprägten Lebensraum sind die nen spärliche, fein zerriebene Reste von wurmförmigen, meist farb- und augenlosen

Kleintiere 125 Springschwanz Scaphaphorura arenaria

Sandlückenbewohner vor Konkurrenz sicher. als Scaphaphorura arenaria im Sand unter Korpulentere Bodenschlängler finden keinen einem ungarischen Trockenrasen gefunden Platz, anspruchsvollere bleiben in der obe- wurde, hunderte Kilometer von den marinen ren, reich durchwurzelten Schicht. Populationen entfernt. Wie haben die Tiere diese Strecke überbrückt? Als blinde Passa- Scaphaphorura arenaria trägt den Sand (lat. giere zwischen den Zehen von Zugvögeln? arena) bereits im Namen. Es handelt sich um Als Luftschiffer im Sandsturm? Diese Frage einen Gliederfüßer aus der Gruppe der bleibt offen. Auf die Frage nach dem Lebens- Springschwänze. Die meisten der rund raum gibt es aber eine Antwort: Dem Sand- 450 in Österreich heimischen Springschwanz- lücken-Springschwanz ist es gleichgültig, ob Arten leben am oder im Boden, wo man oft sein Wohnsubstrat am Meeresufer oder tief mehr als 50.000 Individuen pro Quadratme- im Binnenland liegt, und ebenso, ob einzelne ter zählt. Viele Springschwänze machen Strandhafer-Horste oder ein dichter Trocken- ihrem deutschen Namen Ehre (wie jene rasen darauf wachsen. Wesentlich ist, dass weißen Tierchen, die man ungewollt im die Sandkörner eine bestimmte Größe haben Blumentopf züchtet und beim Gießen auf- und kleinere Mineralteilchen das Hohlraum- schreckt). Manche jedoch haben in ihrer system nicht verstopfen. stammesgeschichtlichen Entwicklung das Sprungorgan verloren, so auch die faden- Springschwänze im Erdboden haben keinen dünne, nur 0,5 mm lange Scaphaphorura eigenen Verdunstungsschutz, sie sind auf arenaria. Lange Zeit galt diese Art als hohe Luftfeuchtigkeit angewiesen. Dass Musterbeispiel eines an die Verhältnisse der manche unter Trockenrasen durchhalten, Meeresküste angepassten Sandlücken- liegt am Wasserdampfgehalt in den Boden- schlänglers. Man kannte sie nur von Strän- poren, der auch nach niederschlagsfreien den und Dünen der Nordsee und des Mittel- Tagen den kritischen Wert kaum unterschrei- meeres. Groß war daher die Überraschung, tet. Dennoch ist es ein Leben an der Grenze,

126 Kleintiere Springschwanz

Erhard Christian (2x) Protaphorura subfimata heißt es doch, die letzten Hohlräume mit er- Austrocknung, sie haben gut entwickelte träglichem Mikroklima zu finden, wenn der Augen und ein funktionstüchtiges Sprungor- Regen zu lange ausbleibt. Springschwänze, gan. In diesem Stockwerk des Lebensraumes die wie Protaphorura subfimata das Leben Trockenrasen trifft man häufiger auf Arten, unter dem Trockenrasen meistern, müssen die ausschließlich aus steppenähnlichen Bio- gute Meteorologen sein. Diese Art wurde topen bekannt sind. Nicht wenige davon ge- nach Exemplaren aus dem Sanddünengebiet hören zu den sogenannten Kugelspringern, bei Oberweiden beschrieben und später in deren Hinterleib an einen prall gefüllten einigen anderen Trockenrasen Ostösterreichs Rucksack erinnert. Einer dieser Lebensraum- nachgewiesen – nirgendwo sonst. Die bis spezialisten ist der markant gezeichnete, 2,4 mm großen Tiere leben in der obersten, höchstens 0,8 mm große Kugelspringer mit organischem Material angereicherten Fasciosminthurus strigatus. Er stößt auf den Bodenschicht, wo die Poren geräumiger sind Trockenrasen der Hundsheimer Berge an die als zwischen den reinen Sandkörnern. Ihr Grenze seines westlichen Verbreitungsgebie- vergleichsweise plumpes Erscheinungsbild tes, das weit nach Osten bis in die Steppen drückt die großzügigeren Wohnverhältnisse Zentralasiens reicht. aus. In anderen Merkmalen stimmen sie mit Scaphaphorura arenaria überein: Sie sind Um mit dem größten wirbellosen „Trocken- farblos, blind und sprungunfähig. rasentier“ Mitteleuropas einen Kontrapunkt zu setzen, müssen wir uns den Regenwür- Auf der Bodenoberfläche ist Raummangel mern zuwenden. Im Alltag spricht man kein Thema. Die hier lebenden Spring- salopp von „dem“ Regenwurm im Singular. schwänze können sich lange Beine und Füh- Angler unterscheiden immerhin zwischen ler leisten. Ihre pigmentierte, manchmal Tauwurm und Mistwurm, aber in Österreich sogar hübsch gemusterte oder zottig be- leben um die 50 Regenwurm-Arten mit je- haarte Körperdecke schützt sie vor rascher weils eigenen Ansprüchen an die Umwelt und

Kleintiere 127 Steppenregenwürmer erzeugen wertvollen Humus, jedes Jahr bis zu 930 g pro Quadrat- meter. Eine Hälfte davon dient zur Ausklei- dung der Gänge im Boden, die andere wird in Form charakteristischer Häufchen auf der Bodenoberfläche abgesetzt. Die Humuspro- duktion verteilt sich nicht gleichmäßig über die Monate, sondern beschränkt sich auf kurze Aktivitätsphasen im Frühling und im Herbst. Winterkälte und Sommerdürre zwin- gen nicht nur der Steppenvegetation Ruhe- pausen auf – auch der Steppenregenwurm verschläft einen Gutteil des Jahres.

Weiterführende Literatur

BRETFELD, G. (1999): Symphypleona. Synopses on Palae- arctic Collembola 2. Staatliches Museum für Naturkunde Görlitz.

CSUZDI, C. & ZICSI, A. (2003): Earthworms of Hungary (An- nelida: Oligochaeta, Lumbricidae). Hungarian Natural His- Kugelspringer tory Museum, Budapest. Fasciosminthurus THIBAUD, J.-M. & CHRISTIAN, E. (1986): Collemboles intersti-

strigatus Erhard Christian tiels aériens des sables d’Autriche. Annales de la Société Entomologique de (N. S.) 22: 403-407.

spezifischen Leistungen für das Ökosystem. THIBAUD, J.-M. & CHRISTIAN, E. (1991): Interstitielle Collem- Die Diversität geht weit über jenen Aspekt bolen aus ungarischen Flugsand-Akkumulationen. Opuscula Zoologica (Budapest) 24: 159-165. hinaus, den Wilhelm Busch in den bekannten Vers fasste: „... des Wurmes Länge ist ver- schieden“. Doch eindrucksvoll und ökologisch Univ.-Prof. Dr. Erhard Christian bedeutsam sind die Größenunterschiede Institut für Zoologie allemal. In der österreichischen Rangliste Department für Integrative Biologie bringt es der kleinste Regenwurm auf kaum und Biodiversitätsforschung mehr als 1 cm, während der Tauwurm mit Universität für Bodenkultur Wien 25, manchmal 30 cm Körpergröße im Gregor-Mendel-Straße 33 Spitzenfeld liegt. Den Rekord hält allerdings 1180 Wien ein Wurm, der merkwürdigerweise in sehr seichten Böden lebt: der Steppenregenwurm Allolobophora hrabei. Es wurden Exemplare beobachtet, die sich auf einen halben Meter Länge strecken konnten! Fast alle Fund- punkte dieses seltenen Tieres liegen in Trok- kenrasen. Sein Verbreitungsgebiet ist außer- ordentlich klein, es umfasst gerade den äußersten Osten Österreichs, Südmähren, den Südwestwinkel der Slowakei und die Nordwestecke Ungarns.

128 Kleintiere 4.8 Heu- und Fangschrecken der Teilt man die Heuschrecken-Arten unter- Steppen- und Trockenrasen schiedlichen Lebensraumtypen zu, so stellen mit ca. 30 % der heimischen Arten die Be- wohner von Steppen- und Trockenrasen die Hans-Martin Berg und Manuel Denner größte Gruppe. Der großräumige Verlust dieser Lebensräume hat jedoch auch be- Wenn der Frühjahrsgesang der heimischen dingt, dass eben diese Arten zu den ge - Vogelwelt langsam verstummt, setzt auf den fährdetsten zählen und auf der Roten Liste Trockenrasen tagsüber und bis spät in die oftmals in den Kategorien „Vom Aussterben Nacht das sommerliche Konzert der Heu- bedroht“ oder „Stark gefährdet“ zu finden schrecken ein. Und wer genau hinhört, wird sind. Zwar konnte in den vergangenen nicht nur das gemeinhin bekannte „Grillenge- Jahren eine Reihe verschollener Arten dank zirp“ vernehmen, sondern vielstimmige Ge- des erwachten Interesses von Amateur- wie sänge und Rufe hören. Denn Trockenrasen Berufsentomologen wieder entdeckt wer- zählen zu den „klassischen“ Lebensräumen den, ihre Vorkommen sind jedoch in vielen der Wärme liebenden Heuschrecken und Fällen winzig und erreichen mitunter kaum werden von vielen Arten besiedelt. die Größe eines Tennis platzes! Langfristig zu retten, sind diese Arten nur dann, wenn Bedeutung der Trockenrasen für die hei- es gelingt, dass der Lebensraum an den mische Heu- und Fangschreckenfauna letzten Vorkommen geschützt und erhalten bleibt bzw. wieder hergestellt wird. So Mit in Niederösterreich knapp über 100 Arten sollte die Möglichkeit geschaffen werden, sind die Heuschrecken eine vergleichsweise dass neue Gebiete (wieder)besiedelt wer- artenarme Insektengruppe, gehören jedoch den können, um damit das Risiko eines aufgrund ihrer Lautäußerungen, manchmal endgültigen Verschwindens dieser Arten zu auch wegen ihrer Größe, zu den auffälligeren minimieren. Bewohnern unserer Landschaft. Von Gewäs- serufern – einzelne Arten können sogar Überleben unter extremen Bedingungen schwimmen und tauchen – über Wälder bis hin zu verschiedenartigen offenen Lebens räumen, Um an mitunter extrem trockenen und hei- wie Ackerfluren oder alpinen Rasen, werden ßen Standorten, wie etwa den Felsrasen der nahezu sämtliche heimische Lebensräume be- Hainburger Berge, nicht nur überleben, siedelt, sogar in Höhlen findet sich eine Art. sondern auch eine Population etablieren zu Für den Naturinteressierten werden die Heu- können, ist eine Reihe von physiologischen schrecken am auffälligsten, wenn sie im Hoch- Anpassungen der betroffenen Heuschrecken- sommer auf den Wiesen wahre Gesangs- Arten notwendig. So sind die Eier dieser konzerte veranstalten, die manche Arten bis in Arten sehr trockenheitsresistent und können die späten Nachtstunden fort setzen. Gesangs- sehr rasch Wasser aufnehmen, von dem sie darbietungen anderer Arten sind für das während der Trockenperioden relativ wenig menschliche Ohr kaum hörbar bzw. bleiben wieder verlieren. Je trockener das Habitat, manche Arten gänzlich stumm und somit viel- umso tiefer werden auch die Eier in den fach im Verborgenen. In Höhlen, unterirdi- Boden abgelegt. Die erwachsenen Tiere wei- schen Gängen oder Baumkronen versteckt sen ebenfalls entsprechende Anpassungen braucht es viel Geduld und Erfahrung, um auf. Arten trockener Lebensräume besitzen auch diese unauffälligen Arten aufzuspüren. wesentlich dünnere Atmungsorgane, sog.

Heu- und Fangschrecken 129 Die Sägeschrecke (Saga pedo) bei der Eiablage. Das weltweit erste Männchen dieser Art wurde 2005 in der Schweiz entdeckt.

strahlung eher schattige Plätze aufgesucht, während in kühleren Tagesstunden sonnen- exponierte Stellen bevorzugt werden.

Who is who – typische Heuschrecken- Arten der pannonischen Steppen- und Trockenrasen

Sägeschrecke (Saga pedo)

Die Sägeschrecke gehört zu den größten Heuschrecken Europas und ernährt sich vor- wiegend räuberisch. Einschließlich der für Heuschrecken-Weibchen typischen Legeröhre am Körperende können die Tiere eine Länge von über 10 cm erreichen. So vermögen sie Tracheen, und verringern so den Wasserver- auch wehrhafte, größere Beutetiere, wie den lust bei der Atmung. Das während des Stoff- Warzenbeißer oder die Gottesanbeterin, zu wechsels entstehende Wasser wird von vie- überwältigen. Meist sitzt die Sägeschrecke len Arten ebenfalls genutzt. regungslos in niedrigem Gebüsch oder hohem Gras, zum Beutefang geht sie jedoch Auch geschicktes Anpassen des Verhaltens aktiv auf Jagd. Wird eine Beute erspäht, so hilft, den Wasserhaushalt zu regulieren. So springt die Sägeschrecke auf sie zu, packt werden in Zeiten sehr hoher Sonnenein - diese mit ihren Dornen besetzten Beinen und presst sie gegen die stachelige Brust, sodass ein Entkommen unmöglich ist.

Die Fortpflanzung der Sägeschrecke erfolgt ausschließlich parthenogenetisch, das heißt, in den Populationen existieren nur Weibchen, die Eier entwickeln sich unbefruchtet. Doch konnte weltweit das bisher einzige Männchen dieser Art im Jahr 2005 in der Schweiz ent- deckt werden.

Warzenbeißer (Decticus verrucivorus)

Diese sehr einprägsam benannte Art wurde in früheren Zeiten – wie der Name vermuten lässt – tatsächlich zum Entfernen von War- Der Warzenbeißer (Decticus verruci - zen verwendet. Dazu setzte man sie auf die vorus) erbeutet befallenen Stellen und ließ sich in diese mühelos so große beißen, in der Hoffnung, dass die Warzen Heuschrecken wie die nach der vermutlich schmerzvollen Therapie Blauflügelige Ödlandschrecke. verschwinden. Bereits der berühmte Natur-

130 Heu- und Fangschrecken Heideschrecke (Gamp- socleis glabra): Ein echtes Steppenrelikt im Osten Österreichs – beim Werbegesang, der mit den Vorder - flügeln erzeugt wird, sitzen die Männchen kopfüber an Pflanzen- stängeln. Heinz Wiesbauer (3x) forscher August Johann Roesel von Rosenhof Heideschrecke (Gampsocleis glabra) beschrieb in seinen Büchern der „Insecten- Belustigung“ aus 1749: „... denn sie pflegen Die Heideschrecke war wahrscheinlich immer wo sie blose Haut finden, so scharf zu beis- schon eine selten und nur lokal vorkom- sen, dass sogleich das Blut darnach gehet.“ mende Art in Niederösterreich. Lebensraum- veränderungen und mögliche Isolationsef- Um dazu einen (nicht empfohlenen) Selbst- fekte haben frühzeitig zum Erlöschen versuch zu starten, bedarf es jedoch vieler - mehrerer Vorkommen dieser „echten“ Step- orts einer langen Suche, da der Warzen - penart geführt. Heute bestehen nur mehr beißer mittlerweile sehr selten oder gar kleine Vorkommen im Neusiedlersee-Gebiet verschwunden ist. In den Tieflagen bereits und im Naturschutzgebiet „Fischawiesen“. fast nur noch punktuell zu finden, liegt sein Überraschend war 1994 die Wiederentdek- aktueller Verbreitungsschwerpunkt in der kung einer verschollen geglaubten Population montanen Zone der Alpen und der Böhmi- im Steinfeld bei Wiener Neustadt. Das Vor- schen Masse. Hier besiedelt er Standorte mit kommen wird auf 800 bis 1.000 singende mageren Wiesen und Weiden, die aber auch Männchen geschätzt und ist damit von euro- noch seinen hohen Wärmeansprüchen päischer Bedeutung. Kaum wiederentdeckt, genügen müssen. Als recht anspruchsvolle war dieses Vorkommen jedoch schon wieder Art reagiert er empfindlich, sobald die bedroht, da Planungen zu Großbauprojekten Wiesenbewirtschaftung intensiviert oder auf- genau Teile dieser Population betrafen. Als gegeben wird. Trockenheit liebende Art besiedelt die Hei-

Heu- und Fangschrecken 131 Graue Beißschrecke (Platycleis albopunctata): Sie ist eine unserer flugtüchtigsten Heuschrecken. Unauffällig verbirgt sie sich in der Vegetation und fliegt bei Annäherung erst im letzten Moment auf.

ist sie im pannonischen Osten Österreichs nach wie vor eine nicht seltene Art. Dies ist einerseits auf ihre gute Flug- und daher Aus- breitungsfähigkeit zurückzuführen, anderer- seits auch darauf, dass sie sich auch mit stark von Menschen beeinflussten Lebens- räumen wie lückig bewachsenen Ruderal - fluren begnügt.

Wie die meisten der heimischen Heuschre - cken hat auch die Graue Beißschrecke einen einjährigen Entwicklungszyklus. Die in den Boden oder die Laubstreu abgelegten Eier überwintern, während die erwachsenen Tiere im Herbst mit Beginn der ersten Nachtfröste absterben. Ab April bis in den Mai des folgen- den Jahres schlüpfen die noch flügellosen Larven, die sich schließlich wieder zu erwach- senen Heuschrecken entwickeln, woraufhin der Lebenskreislauf von Neuem beginnt.

Kleine Beißschrecke (Platycleis veyseli)

Die Kleine Beißschrecke ist eine unserer seltensten Heuschrecken der Steppenland- schaften, wenngleich sie lokal in hoher Zahl auftreten kann. Im Osten Niederösterreichs erreicht sie ihre nordwestliche Arealgrenze in deschrecke ausschließlich steppenartige Europa. Viele der in den vergangenen Jahren Lebensräume. Die Männchen benötigen ver- neu entdeckten Vorkommen befinden sich tikale Strukturen wie langhalmige Gräser auf stark von Menschen geprägten Flächen, oder höhere Kräuter, auf denen sie – mit sodass eine kurzfristige Änderung der Nut- dem Kopf nach unten sitzend – ihren Wer- zung dieser Flächen rasch zum Erlöschen des begesang vortragen. Von ebenfalls hoher einen oder anderen Vorkommens führen Bedeutung ist eine lückige Vege tations - kann. struktur mit offenen Bodenstellen. An die- sen herrscht ein spezielles Mikroklima vor, Die Fortbewegung in der langgrasigen Vege- welches für die Entwicklung der Eier, die tation erfolgt meist kletternd, da sie durch von den Weibchen in den Boden abgelegt ihre verkürzten Flügel nicht mehr zum Flie- werden, entscheidend ist. gen in der Lage ist. In Jahren mit günstiger Witterung und in der Folge hoher Populati- Graue Beißschrecke (Playcleis albopunctata) onsdichte kommt es durch Ausschütten von Stresshormonen zur Ausbildung langflügeli- Obwohl die Graue Beißschrecke durchaus hö- ger Exemplare, die flugfähig und daher in der here Ansprüche an ihren Lebensraum stellt, Lage sind, neue Lebensräume zu besiedeln.

132 Heu- und Fangschrecken Grünes Heupferd (Tettigonia viridissima)

Viele werden mit dieser imposanten Heu- schrecke vielleicht schon Bekanntschaft gemacht haben. Als großes „grünes Monster“ dringt sie bis ins Innere von Dörfern und Städten vor und hat schon des Öfteren in Wohn- und Schlafzimmern für kleine oder große Überraschungen gesorgt. Eine allfällige Furcht ist jedoch unbegründet. Zwar kann das Grüne Heupferd unangenehm zwicken, es ist aber ansonsten vollkommen harmlos. Das Grüne Heupferd Da es sich als vorwiegend räuberisch lebende (Tettigonia viridissima) Art von anderen Insekten wie Fliegen, zählt zu den größten Wanzen, Blattläusen, Raupen und sogar den heimischen Heu - schrecken arten (oben). Larven des Kartoffelkäfers ernährt, ist sie aus menschlicher Sicht äußerst nützlich und sollte eine willkommene Bewohnerin unserer Gärten sein. Und schließlich trägt der Gesang des Grünen Heupferds angenehm zum Stimmungsbild eines schönen Sommer- abends bei. Kleine Beißschrecke (Platycleis veyseli): Weinhähnchen (Oecanthus pellucens) Sie profitiert stark von langgrasigen Bra- Anders als es der Name vermuten lässt, gibt chen und konnte sich es keinen direkten Zusammenhang zwischen in den vergangenen Jahren wahrschein- dem – zu den Blütengrillen gehörenden – lich ausbreiten. Weinhähnchen und den Weinreben. Gemein- sam ist ihnen jedoch ihre Bindung an tro - cken-warmes Klima und stark besonnte Standorte, sodass diese Grille in vielen Wein- bauregionen anzutreffen ist.

Wird nicht gezielt nach ihnen gesucht, so be- kommt man Weinhähnchen kaum zu Gesicht. Tagsüber sitzen sie meist unauffällig an Stän- geln höherer Kräuter, auf der Unterseite von Blüten und Blättern oder dicht verborgen im Gebüsch. Ihre Anwesenheit verraten sie erst Weinhähnchen (Oecan- durch ihren melodischen und weithin hörba- thus pellucens): Wie der ren Gesang, der oft die ganze Nacht lang vor- Name vermuten lässt, getragen wird. Die Männchen reiben dazu die liebt diese Blütengrille, membranartigen Vorderflügel aneinander, ebenso wie Weinstöcke, trockenes und warmes während die Weibchen hingegen stumm sind.

Heinz Wiesbauer (4x) Klima.

Heu- und Fangschrecken 133 Heinz Wiesbauer (3x) Feldgrille (Gryllus campestris): Das Foto Feldgrille (Gryllus campestris) Kopf, sondern auf den Vorderbeinen befindet. zeigt ein frisch gehäu- tetes Exemplar und Anders als bei vielen Heuschrecken-Arten die Larvenhaut. Beim Wandern entlang von trockenen Weg- überdauern den Winter nicht die Eier, son- rändern oder über magere Wiesen kann man dern die Larven der Feldgrille. Dazu legen sie bei genauem Hinsehen die Wohnröhren der eine ca. 40 cm lange Röhre an, in der sie die Feldgrillen entdecken. Sie dienen sowohl den kalte Jahreszeit überstehen können. Nach ein Larven als auch den erwachsenen Tieren als bis zwei Häutungen im Frühjahr sind die Unterschlupf und Versteck. Der unmittelbare Tiere schließlich erwachsen. Somit gehört die Bereich am Höhleneingang, die sog. „Arena“, Feldgrille zu den ersten Heuschrecken im wird durch Abbeißen der Gräser vegetations- Jahr und kann in warmen Nächten ab Mai frei gehalten und dient als Singwarte, Platz gehört werden. Ihr Vorkommen ist ein guter zum Sonnen sowie dem Kontakt mit den Indikator für naturnahe Lebensräume. Weibchen, die auf der Suche nach geeigneten Partnern herumstreifen. Gegenüber anderen Italienische Schönschrecke (Calliptamus Männchen sind die Röhrenbesitzer jedoch italicus) sehr aggressiv und zeigen ein aus gesprochen territoriales Verhalten, das nicht selten in hef- Ähnlich wie die berühmte Europäische Wan- tigen Auseinandersetzungen endet. derheuschrecke (Locusta migratoria) neigt auch die Italienische Schönschrecke zu Mas- Während des sehr lauten, aber wohltönen- senvermehrungen, was zuletzt 1947 dazu den Gesangs verschließen die Männchen die führte, dass im südlichen Wiener Becken Öffnungen des Hörorgans, das sich nicht am sogar ein Zug zum Stillstand gebracht

134 Heu- und Fangschrecken Italienische Schönschrecke Brunners-Schönschrecke (Calliptamus italicus): Sie neigt in (Paracaloptenus caloptenoides): besonders trockenwarmen Jahren Diese Art galt in Österreich als verschollen zur Massenvermehrung. und wurde erst 2007 wiederentdeckt.

wurde! Lokal sehr begrenzt, kam es im im Zuge des LIFE-Projekts „Steppen- und Osten Österreichs auch im Hitzesommer Trockenrasen“ im Jahr 2007 an der Thermen- 2003 kleinräumig zu hohen Dichten dieser linie wiederentdeckt. Ein schöner Erfolg! Art, von Massenvermehrung oder Schadauf- Auch in der Slowakei wurde die Art vor weni- treten kann in diesem Zusammenhang je- gen Jahren neu entdeckt, doch ist insgesamt doch nicht gesprochen werden. das Vorkommen in Mitteleuropa auf wenige Fundgebiete beschränkt, die möglicherweise Ursprünglich war diese Heuschrecken-Art, Relikte einer früher zumindest geringfügig die ihrem Namen „Schönschrecke“ mehr als weiteren Verbreitung darstellen. Da die Art gerecht wird, in fast allen Bundesländern an- auf lückige, kurzrasige Flächen angewiesen zutreffen. Der Lebensraumverlust führte ist, litt auch sie unter der Aufgabe von tradi- jedoch dazu, dass sich die heutigen Fundorte tionellen Weidenutzungen. auf den trocken-warmen pannonischen Osten konzentrieren und die Schönschrecke auch Blauflügelige Ödlandschrecke (Oedipoda cae- hier meist nur verstreut auftritt. Sie ist je- rulescens) doch sehr flugtüchtig und in besonders war- men Jahren mit gutem Fortpflanzungserfolg Diese heute noch relativ weit verbreitete in der Lage, weite Strecken zu überwinden Heuschrecke ist weitaus anpassungsfähiger und so eventuell neu entstandene, geeignete als andere Arten der Trockenrasen. Durch Lebensräume zu besiedeln. 2003 konnten diesen Umstand sowie ihre gute Flugfähigkeit vereinzelte Exemplare bis in die Wiener kann sie auch auf Industriebrachen, in Wein- Innenstadt nachgewiesen werden. gärten oder Schottergruben angetroffen werden. Grundvoraussetzungen sind jedoch Brunners-Schönschrecke (Paracaloptenus immer offene Bodenstellen und eine niedrige caloptenoides) Vegetation.

Lange Zeit galt die Brunners-Schönschrecke Die einzelnen Tiere sind sehr unterschiedlich als in Österreich verschollen, doch wurde sie gefärbt, was mit der jeweiligen Farbe des

Heu- und Fangschrecken 135 Blauflügelige Ödland- Untergrundes zusammenhängt, auf dem sie schrecke (Oedipoda aufgewachsen sind. Im Zuge ihrer 5 Häutun- cae rulescens): Die Tiere passen sich nach gen während des Larvenstadiums passen sie jeder Häutung farblich sich mehr und mehr der Bodenfarbe an, ihrem Untergrund an. sodass sie letztendlich oft erst dann bemerkt werden, wenn sie bei Störung auffliegen. Dabei werden ihre hellblauen Hinterflügel sichtbar, die der Art auch den Namen ver - liehen haben. Dieses Merkmal weist auch die weitaus anspruchsvollere und in Österreich sehr seltene Blauflügelige Sandschrecke auf, die in sehr ähnlichen, jedoch sandigeren Lebensräumen wie die hier genannte Art vorkommt.

Schwarzfleckiger Gras- Schwarzfleckiger Grashüpfer (Stenobothrus hüpfer (Stenobothrus nigromaculatus) nigromaculatus): Er zählt zu den Charakterarten der Einer Reihe von würfelförmigen Flecken auf Felssteppen. den Vorderflügeln verdankt der Schwarz - fleckige Grashüpfer seinen Namen, wobei nur die Männchen voll ausgebildete Flügel auf- weisen, die zum Fliegen geeignet sind. Weibchen besitzen verkürzte Flügel, sodass die Fortbewegung ausschließlich am Boden erfolgt. Viele der Vorkommen be finden sich auf beweideten Flächen und es wurde bereits mehrfach beobachtet, dass einzelne Tiere auf z. B. Schafe hüpfen und so von einem Ort zum nächsten „huckepack“ verfrachtet wer- Zubowskis Grashüpfer den. Vor allem für die Weibchen besteht so (Stenobothrus eura- die Möglichkeit, zufällig neue Lebensräume sius): Das gesamte zu besiedeln. Tatsächlich hat die vielerorts Vorkommen in Öster- erfolgte Aufgabe der Weidewirtschaft auch reich ist kleiner als ein Fußballfeld. zum Rückgang der Art geführt, vor allem weil dadurch die zuvor geeigneten Lebens- räume verbuschten und daher nicht mehr den ökologischen An sprüchen der Art ent- sprachen.

Zubowskis Grashüpfer (Stenobothrus eurasius)

Diese Heuschrecken-Art mit dem nach ihrem Erstbeschreiber vergebenen deutschen

136 Heu- und Fangschrecken Junglarve der Gottesanbeterin (Mantis religiosa): Durch ihre ausschließlich räuberische Lebensweise bereits ab dem Larvenstadium gilt sie als die Tigerin unter den Insekten. Namen gehört zu den seltensten Arten in Mit- teleuropa. In Österreich kann sie ausschließ- lich an zwei Standorten im Raum Hainburg angetroffen werden und besiedelt auch hier nur vergleichsweise winzige Flächen. Als Le- bensraum dienen meist steile und stark be- sonnte Abhänge mit hohem Anteil an Felsen und offenen Bodenstellen. Verbuschte oder stark vergraste Bereiche werden gemieden. Ihre Vorkommen liegen daher meist an Ex- tremstandorten, die aufgrund von Trockenheit und Hitze im Sommer für Gehölze nicht mehr besiedelbar und so natürlicherweise waldfrei sind. Aufgrund der Seltenheit dieser Art genießt sie besonderen Schutz durch die EU- Naturschutzgesetze (Fauna-Flora-Habitat- Richtlinie), d. h., dass Schutzgebiete für diese Art ausgewiesen werden müssen und die Populationen in einem „guten Erhaltungszu- stand“ zu bewahren sind.

Gottesanbeterin (Mantis religiosa)

Als einzige Fangschrecken-Art, die in Mittel- europa zu finden ist, besiedelt die Gottesan- beterin trockenwarme halboffene Lebens- räume, wobei ein gewisser Grad an Verbuschung toleriert wird. Bis vor 15 bis 20 Jahren galt die Art noch als ausgespro- chen selten. Sie hat jedoch von den warmen Sommern der letzten Jahre profitiert und sich zunehmend ausbreiten können. Die Got- tesanbeterin hat dabei „verlorenen Boden“ wiedergutgemacht. Lokal dringt sie sogar bis in nicht allzu „sterile“ Gärten vor und sorgt dort immer wieder für freudige Überraschung unter den Naturliebhabern. Bei der Neube- siedlung kommt ihr ihre (eingeschränkte) Flugfähigkeit, aber auch Windverdriftung zugute. Allerdings landet sie mitunter auch weit abseits geeigneter Lebensräume, etwa in Stadtzentren oder auf Berggipfeln.

Die Weibchen legen während der Sommer- monate mehrere schaumige Kokons an Pflan- Heinz Wiesbauer (5x) Paarung der Gottesanbeterin (Mantis religiosa): Gelegentlich kommt es bei der Paarung vor, dass das Männchen zum Opfer wird und das Futteran - gebot der Weibchen aufbessert. Heu- und Fangschrecken 137 Rotleibiger Gras - zenstängeln oder anderen Strukturen ab, wo hüpfer (Omocestus diese dann auch den Winter über liegen. Die haemorrhoidalis): Er besiedelt fast alle im darauffolgenden Frühjahr schlüpfenden Bundesländer. Larven sind bereits genauso „gefräßige Räu- ber“ wie die Alttiere. Als mögliches Opfer kommt alles in Frage, was kleiner als die Larven selbst ist und sich bewegt. In selte- nen Fällen werden von erwachsenen Indi - viduen sogar kleinste Wirbeltiere erbeutet.

Den hier angeführten Arten, die nur eine kleine Auswahl der reichen Heuschrecken- Fauna auf Trockenrasen darstellen, ist eines gemeinsam: Sie sind in besonderer Weise auf die Erhaltung und Pflege ihrer Lebens- Zweipunkt-Dorn- räume – den Schutz des Menschen – ange- schrecke (Tetrix wiesen. Die im LIFE-Projekt eingeleiteten bipunctata): Pflegemaßnahmen sind ein wesentlicher Sie zählt aufgrund ihrer geringen Schritt, den Fortbestand dieser bemerkens- Größe zu den wenig werten Arten „vor unserer Haustür“ zu auffälligen Heu- sichern. schrecken-Arten. Hans-Martin Berg Naturhistorisches Museum Wien Burgring 7 1010 Wien

Dipl.-Ing. Manuel Denner Untere Ortsstraße 17

Heinz Wiesbauer2170 Kleinhadersdorf Karner-Ranner Eva Heidegrashüpfer (Stenobothrus lineatus): Sein zischender Gesang ist auch für Laien sehr leicht zu erkennen. Manuel Denner

138 Heu- und Fangschrecken 4.9 Von großen und kleinen Min- an der Erdsegge (Carex humilis), und die nesängern: die Zikadenfauna der Heidespornzikade (Kosswigianella exigua) pannonischen Trockenrasen ausschließlich am Schafschwingel (Festuca ovina). Der Schafschwingel – eine der domi- nanten Grasarten von Trockenrasen – dient Werner Holzinger und Brigitte Komposch sogar einer ganzen Schar von Zikaden-Arten als Nahrungsquelle. Neben der Heidesporn - Die spiegelglatte, azurblaue Oberfläche des zikade leben nicht weniger als 8 weitere Meeres flimmert in der Sonne. Die mittägli- Spornzikaden-Arten, 10 Zwergzikaden-Arten che Hitze zwingt selbst die Wärme liebend- und die Steppenschaumzikade stets an ihm. sten zwei- und vierbeinigen Mittelmeerbe- wohner in die Schatten der Pinienwälder. Nur Aber auch Arten, die nicht so eng an das laute, allgegenwärtige Zirpen der Manna- bestimmte Nährpflanzen gebunden sind, zikaden (Cicada orni) durchdringt die Stille. können auf Trocken- und Halbtrockenrasen spezialisiert sein. Dies ist – neben den Das ist die häufigste Assoziation, die die (klein)klimatischen Verhältnissen – oft auf meisten von uns mit dem Begriff „Zikaden“ die Struktur dieser Lebensräume zurückzu- verbinden. Nur den wenigsten ist hingegen führen. Die Schaufelspornzikade (Asiraca bekannt, dass Zikaden eine der artenreich- clavicornis) und auch der Europäische Later- sten Insektengruppen sind. Weltweit kennt nenträger (Dictyophara europaea) leben man etwa 50.000 Arten, in Europa kommen zwar relativ anspruchslos an verschiedensten über 2.000 davon vor, für Österreich sind Kräutern, Stauden und sogar Sträuchern, bislang 625 Arten nachgewiesen. Man findet benötigen aber zur Eiablage sonnige, offene, sie in allen von Pflanzen besiedelten Lebens- sandig-erdige Bereiche. Daher sind sie in räumen, von den lückigen Grasmatten des lückigen, niedrig wüchsigen Trockenrasen, Großglockners bis zu den Ufern der Salz - aber auch an sonnenexponierten Waldrän- lacken im Seewinkel. dern und manchmal sogar in Brachen und Ruderalflächen zu finden. Besonders viele faunistisch bemerkenswerte und naturschutzfachlich wertvolle Zikaden- Trockenrasen bieten nicht nur sehr vielen Arten leben in den Trocken- und Halbtrocken- verschiedenen Zikaden-Arten Lebensraum, rasen des pannonischen Raumes: Etwa 100 sie können hier auch enorme Dichten errei- Arten, vor allem aus den Familien der Sing-, chen. Mit bis zu 1.000 Tieren pro Quadrat- Glasflügel-, Sporn-, Zwerg-, Mücken-, meter zählen Zikaden auch zu den absolut Schaum-, Blut- und Käferzikaden, haben sich häufigsten Tieren in Wiesen. Dennoch blei- auf diese Biotope spezialisiert. Die wesent- ben sie dem menschlichen Betrachter meist lichste Ursache dafür ist ihre Ernährung: Alle verborgen. Der Grund dafür ist nicht nur ihre Zikaden leben ausschließlich von Pflanzen- Kleinheit – die Mehrheit der heimischen säften, die sie mit Hilfe ihres Rüssels aus Arten ist nur zwischen 3 und 8 mm „groß“ –, Zweigen, Blättern oder auch Wurzeln ihrer sondern auch ihre verborgene Lebensweise Nährpflanzen saugen. Weit mehr als die und ihre perfekte Tarnung. Mit wenigen Aus- Hälfte der heimischen Arten lebt nur an einer nahmen sind Zikaden relativ unauffällig grau, einzigen Pflanzenfamilie, -gattung oder braun oder grünlich gefärbt, sodass sie im gar -art. So findet man beispielsweise die dichten Gras fast nicht auszumachen sind. Erdseggen-Spornzikade Kelisia halpina nur „Auflösende“, oft fenster- oder streifenför-

Zikaden 139 Gefleckte Feuerzikade (Zygina rorida): Eine mige Zeichnungsmuster und eine ihren Nähr- seltene, nur an pflanzen angepasste Körperform komplettie- trockenwarmen Wald- rändern vorkommende ren ihre Tarnung. Selbst ihre Tätigkeit als Zwergzikaden-Art. „Minnesänger“ der Insektenwelt trägt nicht dazu bei, dass sie die menschliche Aufmerk- samkeit erregen. Warum wir außer den Sing- zikaden nur Heuschrecken und Grillen zirpen hören, ist leicht erklärt: Zikadengesänge sind für uns nur in Ausnahmefällen hörbar. Die Übertragung der vom „Trommelorgan“ er- zeugten Signale erfolgt nämlich nur bei Sing- Rosen-Glasflügel - zikaden mittels Luftschall, bei den übrigen zikade (Reptalus pan- Arten werden die Pflanzen, auf denen die zeri): Die Larven leben unterirdisch und tragen Tiere sitzen, zur Übermittlung ihrer Botschaf- oft ein Büschel aus ten herangezogen. Und diese Signale sind so Wachsfäden am Ende leise, dass sie für das menschliche Ohr nur des Hinterleibs. mit Hilfe aufwändiger Apparaturen hörbar ge- macht werden können.

Die von einzelnen Gebüschen durchsetzten Trockensteppen der Hundsheimer Berge, des Eichkogels bei Mödling und des Kahlenbergs in Wien bieten fast mediterrane Lebensbe- Schöne Elfenzikade dingungen. Hier findet man auch Singzika- (Eurhadina pulchella): Wie viele ihrer den. Die häufigste von ihnen ist die Hühner- Verwandten stechen zikade (Cicadetta tibialis), eine besonders die Weibchen ihre Eier Wärme liebende Art. Die „gackernden“ in die Nährpflanzen, Männchen kann man am besten auf niedri- wo sie den Winter gem Buschwerk entdecken, wo an heißen überdauern. Frühsommertagen zahlreiche Sänger einen eindrucksvollen Choral anstimmen. Die Weib- chen hingegen sind stumm, wie bei allen Singzikaden. Die Larven leben im Boden und ernähren sich von Pflanzensäften, die sie aus den Wurzeln saugen. Zur Fortbewegung haben sie daher ihre Vorderbeine zu mächti- Wiesenschaumzikade gen Grabschaufeln umgebildet. Erst am Ende (Philaenus spumarius): ihrer Larvalphase kommen sie ans Tageslicht Die Larven produzieren und erklettern Kräuter oder Sträucher, um eiweißreiche Schaum- sich auf ihnen zum erwachsenen Insekt zu hüllen, um sich darin vor Feinden verstecken häuten. Im Frühsommer kann man mit etwas zu können. Glück auch leere Larvenhäute, Exuvien ge- nannt, finden. Diese Larvenhäute und ihr ausdauernder Gesang führten dazu, dass Singzikaden in der griechischen Mythologie

Große Augenblatt - zikade (Alebra albo- striella): Auf Eichen spezialisiert – sie kommt manchmal in so großer Zahl vor, 140 dass die Knospen ge- schädigt werden. Schaufelspornzikade (Asiraca clavicornis): Eine typische Bewohne- rin lückiger Trocken - rasen (links)

Wiesenspornzikade (Javesella pellucida): Der Gesang erinnert an die Verständigung über Morsezeichen (rechts).

Gefleckte Ameisenzi- kade (Tettigometra griseola): Zu den ge- fährdetsten Zikaden zählen die Ameisenzi- kaden-Arten (links).

Rispenspornzikade (Ribautodelphax albostriata): Lebt ausschließlich am Wiesenrispengras

Gernot Kunz (9x) Gernot Kunz (rechts) zu Symbolen der Wiederauferstehung und Volksmund „Kuckucksspeichel“ genannt des ewigen Lebens wurden. werden. Diese Nester bestehen aus einem klebrigen Eiweiß-Luft-Gemisch und schützen Neben den Singzikaden sind in pannonischen die darin lebende Larve wirkungsvoll vor Trockensteppen auch die nur ca. 4 bis 10 mm hungrigen Feinden wie Spinnen, Ameisen, großen Glasflügelzikaden zu finden. Ihre Wanzen und sogar Vögeln. Die Trockenrasen Larven entwickeln sich ebenfalls unterirdisch. und -steppen im Wiener Becken werden von Unter ihnen finden sich zwei der seltensten mehreren Schaumzikaden-Arten besiedelt. Zikaden-Arten Österreichs, die Griechische Neben weit verbreiteten Arten wie der Glasflügelzikade (Hyalesthes philesakis ), deren Wanst-Schaumzikade (Lepyronia coleoptrata) Hauptverbreitungsgebiet sich im östlichen und der Grasschaumzikade (Neophilaenus Mittelmeerraum befindet, und die Zwerg-Glas- line atus) beherbergen sie auch eine absolute flügelzikade (Setapius apiculatus), die vorwie- Rarität: die Spitzkopf-Schaumzikade (Neo- gend in der ungarischen Tiefebene und am philaenus modestus). Diese etwa 5 mm Balkan beheimatet ist. Wesentlich auffälliger große, unauffällig bräunliche Art wurde hier als die gut getarnten Glasflügelzikaden sind die erstmals entdeckt und 1922 von einem der rot-schwarz gefärbten Blutzikaden. Alle drei seinerzeit bedeutendsten Zikadenforscher heimischen Arten weisen diese Warnfärbung Mitteleuropas, Hermann Haupt aus Halle an auf, die potenziellen Feinden schon von Wei- der Saale, als neu für die Wissenschaft be- tem signalisiert, dass hier keine wohlschme - schrieben. Sie kommt nur im pannonischen ckende Beute, sondern ein völlig ungenießba- Osten Österreichs sowie in Teilen von Ungarn res Insekt in der Wiese sitzt. Auch ihre Larven und Rumänien vor. Aufgrund der Lebensraum- leben, als Schutz vor Feinden, im Boden. verluste der letzten Jahrzehnte ist sie in Öster- reich „vom Aussterben bedroht“. Eine ganz andere Strategie verfolgen ihre nächsten Verwandten, die Schaumzikaden: Sie Für einige Zikaden-Arten sind die Hainburger verstecken sich in Schaumnestern, die im Berge – und in manchen Fällen auch die wär-

Zikaden 141 Großer Laternen - träger (Dictyophara multireticulata): Sehr seltener Bewohner megetönten Hänge der Thermenlinie südlich lückiger Trockenrasen von Wien, die Ausläufer der Kleinen Karpaten des Pannonikums. Das Bild zeigt eine bei Preßburg und die Pöllauer Berge – die

Larve. Gernot Kunz absolute Nord- und Westgrenze ihres Verbrei- tungsgebietes. Sie kommen vorwiegend im östlichen Mittelmeerraum, in der ungarischen Tiefebene oder sogar in südosteuropäischen und kasachischen Steppen vor und finden bei uns nur kleinräumig gerade noch jene klimati- schen Verhältnisse vor, die sie zum Überleben Große Schönzirpe benötigen. Beispiel dafür sind die Wiesen- (Platymetopius knopf-Feuerzikade (Zygina frauenfeldi), die major): Ihre Larven Kurzflügelzirpe (Henschia acuta) und die leben im Trockenra- Sechspunkt-Mückenzikade (Trypetimorpha sen, während die er- wachsenen Tiere vor- occidentalis). Aber auch zwei relativ große wiegend im Gebüsch und auffällige Arten, der im Mittelmeerraum

zu finden sind. Holzinger Werner verbreitete Große Laternenträger (Dictyo- phara multireticulata) und die Gelbe Käfer - zikade (Agalmatium flavescens), erreichen hier ihre nordwestliche Verbreitungsgrenze.

Die meisten dieser Arten sind in der moder- nen Kulturlandschaft höchstgradig gefährdet, da jahrhundertealte Bewirtschaftungsformen Gelbe Käferzikade in der industrialisierten Landwirtschaft nicht (Agalmatium flaves- mehr fortgeführt werden und ihre Lebens- cens): Diese flugun - räume zu verschwinden drohen. Die Hunds- fähige Zikade kommt heimer Berge, der Eichkogel bei Mödling und im Wiener Raum und einige weitere Naturschutzgebiete sind letzte

bei Hainburg vor. Holzinger Werner Zufluchtsmöglichkeiten für diese Arten. Den fortwährenden Bemühungen des Naturschut- zes und der Mithilfe der Landwirte ist es zu verdanken, dass hier naturschutzkonforme Bewirtschaftungsweisen erfolgreich umge- setzt werden. Nur so erscheint das Überle- ben dieser zoologischen Kostbarkeiten auch Zangenspornzikade für die nächsten Generationen möglich. (Javesella forcipata): Zeichnet sich durch Dr. Werner Holzinger & einen eigentümlich Mag. Brigitte Komposch anmutenden Gesang, der an ein Ballspiel Ökoteam - Institut für Faunistik

erinnert, aus. Gernot Kunz und Tierökologie Bergmanngasse 22 8010 Graz

Gewöhnliche Buckel- zikade (Centrotus cornutus): Auch die Larven haben bereits diesen charakteris - 142 tischen „Buckel“. Werner Holzinger Werner 4.10 Manche mögen’s heiß: saugende Wanzen sind unterschiedlich eng Wanzen in Trockenrasen an ihre Nahrungspflanzen gebunden, wo- durch sich eine spezifische Habitatbindung ergeben kann. Monophage Arten, die an Wolfgang Rabitsch einer einzigen Pflanzenart saugen, kommen nur an den Standorten der Nahrungspflanze Wanzen (Heteroptera) sind Insekten mit un- vor. So lebt z. B. die Kleine Weichwanze vollkommener Verwandlung, das heißt, sie Solenoxyphus fuscovenosus bei uns aus- haben kein Puppenstadium (wie z. B. Käfer schließlich am Kampferkraut Camphorosma oder Schmetterling), sondern entwickeln sich annua und ist daher auf wenige Vorkommen vom Ei über meist 5 Larvenstadien zum er- an den Lackenrändern im Seewinkel be- wachsenen Insekt. Charakteristisch für Wan- schränkt. Die Radmelde-Meldenwanze Para- zen sind ihre Stinkdrüsen, die sie zur Ver - piesma kochiae kommt in Österreich nur an teidigung, aber auch zur Kommunikation wenigen Stellen im Weinviertel an ihrer einsetzen. Mit Hilfe der stechend-saugenden Wirtspflanze, der asiatischen Steppenart Mundwerkzeuge saugen die Tiere – je nach Bassia (= Kochia) prostrata, vor. Schließlich Art – an Pflanzensäften, Pilzen, anderen In- sind mehrere Wanzen-Arten Wacholder-Spe- sekten oder dem Blut von Säugetieren und zialisten, an dessen Früchten sie bevorzugt Vögeln. In Österreich sind zurzeit rund saugen und in dessen Umgebung sie einen 900 Arten, weltweit sind über 45.000 Arten Großteil ihres Lebens verbringen. Daher (und bekannt. Wanzen sind in allen terrestrischen auch noch aus anderen Gründen) sind Wan- und aquatischen Lebensräumen zu finden zen sehr gute Deskriptoren von Lebensräu- und auch im Grenzbereich auf der Wasser- men und auch sehr gut als Indikatoren für oberfläche: Die weithin bekannten Wasser- Veränderungen von Lebensräumen geeignet. läufer zählen ebenso zu den Wanzen wie der im Wasser lebende Wasserskorpion oder die Eine der bekanntesten Wanzenarten, die Rückenschwimmer. man gelegentlich auch in Trockenrasen an- treffen kann, ist die Feuerwanze Pyrrhocoris Die an Land lebenden Wanzen besiedeln apterus, in manchen Regionen auch „Schus- unterschiedliche Bereiche in den Lebensräu- terkäfer“ genannt. Die leuchtend rot- men. Manche leben eingegraben im Boden, schwarze Färbung signalisiert „Vorsicht! Gif- viele auf der Bodenoberfläche und in allen tig“, ist aber nur ein Trick, da Feuerwanzen Schichten der Vegetation von der Kraut- und weder Giftstoffe produzieren, noch welche Strauchschicht bis in die Kronenregion. aus ihrer Nahrung herstellen können. Poten- Einige Arten leben sehr speziell unter der zielle Räuber sollen so getäuscht werden. Rinde oder in den Gängen von Borkenkäfern. Besonders effektiv ist dieser Schutzmecha- Wanzen sind wichtig für den Nährstoffkreis- nismus, wenn sich die Tiere zu großen Ge- lauf in terrestrischen Ökosystemen und sie meinschaften versammeln, die man am stellen eine wichtige Nahrungsgrundlage für Stamm größerer Linden beobachten kann. Prädatoren, vor allem für Vögel, dar. Räuberische Arten können unter bestimmten Aber noch andere Schutzmechanismen sind Umständen regulierenden Einfluss auf andere bei Wanzen zu finden. So zeichnen sich ver- Arten ausüben und sie werden deshalb auch gleichsweise viele Arten als Larven, manche bei der biologischen Kontrolle schädlicher auch als Imagines durch eine auffallende Arten im Unterglasbau eingesetzt. Pflanzen - Ameisenähnlichkeit aus. Es zahlt sich „in der

Wanzen 143 Teufel (Phymata cras- sipes): Diese Raub- wanze lauert in Blüten und ergreift anflie- gende Blütenbesucher mit ihren Vorderbei- nen. Die beiden kurzen Verlängerungen am Kopf erscheinen wie Teufelshörner.

freien Wildbahn“ offenbar aus, wie eine indem sie sie mit Sekreten aus eigenen Drü- Ameise auszusehen, um mögliche Räuber zu sen füttern; der umgekehrte Fall, Brautge- täuschen. Die Larven einer Raubwanzen-Art, schenke der Männchen an die Weibchen, des „Maskierten Strolchs“ (Reduvius perso- kommt bei Insekten hingegen häufiger vor. natus, Reduviidae), tarnen sich, indem sie Viele Arten sind – mittels unterschiedlicher ihren Körper mit Substratteilchen, z. B. Staub Strukturen und Techniken – in der Lage, oder Sand, „maskieren“ und so versuchen, Laute zu produzieren, deren Bioakustik aber sich dem Blick zu entziehen. bisher kaum untersucht wurde.

Eine Reihe von biologischen Besonderheiten Obwohl die heimischen Wanzen in unter- in der Naturgeschichte der Wanzen macht schiedlichen Lebensräumen vorkommen, sind diese zu ausgesprochen interessanten Studien- doch besonders viele Arten an nährstoffar- objekten für verschiedene Wissenschafts - men, trockenen und warmen Standorten zu disziplinen. So wurde z. B. das für die Ge- finden: „Some like it hot.“ Je höher die Pflan- schlechtsdetermination mitverantwortliche zenvielfalt am jeweiligen Standort, desto X-Chromosom erstmals bei Feuerwanzen höher ist in der Regel auch die Wanzenviel- entdeckt und beschrieben. Auch der Einsatz falt. So wurden in mehreren Untersuchungen von hormonanalogen Stoffen zur Fraßabwehr zur Wanzenfauna ausgewählter Trocken- bei Pflanzen wurde in den 1960er-Jahren bei standorte in Niederösterreich bemerkenswert Feuerwanzen entdeckt. Schließlich betreiben hohe Artenzahlen festgestellt (z. B. jeweils einige Wanzen-Arten unterschiedlich intensiv rund 300 Wanzen-Arten in den Sandbergen ausgeprägtes Brutvorsorge- oder Brutfürsor- Oberweiden, am Eichkogel bei Mödling oder geverhalten und auch die Fortpflanzungs - in den Hundsheimer Bergen). strategien mancher Arten sind Gegenstand aktueller Forschungen. So wurde kürzlich bei Durch den Rückgang und die qualitative Ver- einer australischen Bachläufer-Art – einzig - schlechterung von geeigneten Habitaten sind artig innerhalb der Insekten – festgestellt, jedoch viele Wanzen-Arten als gefährdet an- dass die Weibchen den Männchen während zusehen. In der aktuellen Roten Liste der der Kopula ein „Bräutigamgeschenk“ machen, Wanzen Niederösterreichs ist rund ein Drittel

144 Wanzen Schwarze Feldmannstreu-Netzwanze Bodenwanze Geocoris erythrocepha- (Catoplatus nigriceps): Die 3 bis lus: Die Nachweise der südlichen Art 5 mm große Netzwanze lebt an der in Österreich haben in den letzten Blattoberseite und in den Blütenstän- Jahren zugenommen, vermutlich den des Feld-Mannstreu. profitiert sie vom Klimawandel. Wolfgang Rabitsch (3x) Rabitsch Wolfgang der Arten in einer Gefährdungskategorie ein- Phymata crassipes (FABRICIUS, 1775) Teufel gestuft, sehr viele dieser Arten leben an Diese 7 bis 9 mm große Raubwanze lauert in Trockenstandorten. Als wichtigste Gefähr- Blütenköpfen auf anfliegende Blütenbesucher dungsursachen sind die direkte Zerstörung (z. B. Schmetterlinge, Fliegen) und ergreift der Lebensräume, die Nutzungsintensivie- diese mit den zu Fangbeinen umgestalteten rung oder -aufgabe, die Monotonisierung der Vorderbeinen, mit denen die Beute auch Landschaft, Nährstoff- und Schadstoffein- während des Aussaugens festgehalten wird. träge und die zunehmende Isolation der In Österreich ist sie aus allen Bundesländern Standorte in der Kulturlandschaft zu nennen. bekannt.

Im Folgenden werden einige charakteristi- Ortholomus punctipennis (HERRICH-SCHÄFFER, sche Wanzen-Arten von Trockenrasenstand- 1838) orten vorgestellt: Eine eurosibirisch verbreitete Bodenwanze, die epigäisch (auf der Bodenoberfläche) lebt Zu den häufigeren Arten zählen: und auch an lückigen Pionierstandorten ge- funden wird. Sie saugt an den Samen ver- Catoplatus carthusianus (GOEZE, 1778) schiedener Pflanzen, bevorzugt an Finger- Feldmannstreu-Netzwanze kraut-Arten (Potentilla spp.). Die 4 bis 6 mm Die 3 bis 5 mm große Netzwanze lebt bevor- große Art ist in Österreich aus fast allen Bun- zugt am Feld-Mannstreu (Eryngium campe- desländern gemeldet. stre), wo sie sich vor allem an der Blattober- seite und in den Blütenständen aufhält. Die Metopoplax origani (KOLENATI, 1845) Überwinterung erfolgt als Imago in der Streu Östliche Kamillenwanze unweit von Wirtspflanzen, im pannonischen Die 3 bis 4 mm große Bodenwanze ist von Raum werden vermutlich zwei Generationen Südosteuropa bis in die kaspische Region im Jahr ausgebildet. In Österreich ist die Art verbreitet. In Österreich ist sie vor allem in nur aus dem Osten (Niederösterreich, Wien, den östlichen Bundesländern weiter verbrei- Burgenland) bekannt, wo sie lokal aber häu- tet und besiedelt auch trockene Brachen und fig in Erscheinung tritt. Ruderalstandorte. Sie lebt an verschiedenen

Wanzen 145 Korbblütlern (Asteraceae), bevorzugt an Ka- millenförmigen (z. B. Anthemis spp., Matrica- ria spp., Achillea spp.). Die Imagines über- wintern und es werden zwei Generationen im Jahr ausgebildet.

Oxycarenus pallens (HERRICH-SCHÄFFER, 1850) Eine vom Mittelmeerraum bis nach China verbreitete Bodenwanze, die ihr Areal aktuell nach Norden erweitert und mittlerweile bis Sachsen vorkommt. In Österreich ist sie auf die pannonische Region beschränkt, wo sie Grasgespenst (Chorosoma schillingii): meist sehr häufig in Erscheinung tritt. Die Diese Glasflügelwanze 3 bis 4 mm große Art lebt bevorzugt an Flo- lebt an Süßgräsern. ckenblumen (Centaurea spp.), gelegentlich auch an anderen Korbblütlern. Die Imagines überwintern und es werden – je nach Witte- rung – eine oder zwei Generationen im Jahr ausgebildet.

Emblethis verbasci (FABRICIUS, 1803) Königskerzen-Bodenwanze Die vermutlich häufigste Trockenrasen-Wan- zen-Art in Österreich. In einer Untersuchung von 50 Trockenrasen-Standorten im Wiener Becken wurde sie als einzige Wanzen-Art an Wolfsmilch-Erdwanze allen untersuchten Standorten festgestellt. (Cydnus aterrimus): Die 5,5 bis 7,5 mm große Art lebt auf der Erdwanzen halten sich meist auf der Boden- Bodenoberfläche, ernährt sich polyphag von oberfläche auf. den Samen verschiedener Pflanzen und wird auch in Brachen und an Ruderalstandorten gefunden. In Österreich ist sie vor allem in den östlichen Bundesländern häufig. Nach der Überwinterung als Imago werden zwei Generationen ausgebildet.

Chorosoma schillingii (SCHILLING, 1829) Grasgespenst Die 13 bis 16 mm große, sehr schlanke Glas- flügelwanze lebt an verschiedenen Süßgräsern (Poaceae) und wurde in Österreich bisher nur Große Wolfsmilch- im pannonischen Raum festgestellt. Sie ist wanze (Dicranoce- vom Mittelmeerraum bis Zentralasien verbrei- phalus agilis): Lebt tet. Die Tiere überwintern im Eistadium und an verschiedenen Wolfsmilch-Arten. bilden eine oder zwei Generationen im Jahr.

146 Wanzen Kurzflügelige Raubwanze (Coranus subapterus): Sie lebt auf der Bodenober - fläche an trockenen Standorten an lückig bewachsenen Stellen.

Coptosoma scutellatum (GEOFFROY, 1785) Kugelwanze Die 3,5 bis 4,5 mm große, schwarz gefärbte Kugelwanze ist an Schmetterlingsblütler (Fa- baceae) gebunden und wird bevorzugt an der Buntkronwicke (Coronilla varia) und am Hauhechel (Ononis spp.) festgestellt. Sie ist eurosibirisch verbreitet und in Österreich aus allen Bundesländern gemeldet. Nach der Überwinterung als Larve wird eine Genera- tion im Jahr ausgebildet. Bei Beunruhigung lassen sich die Tiere von den Pflanzen fallen, stellen sich tot und sind auf der Bodenober- fläche kaum aufzufinden. Wolfgang Rabitsch (4x) Rabitsch Wolfgang Eurygaster maura (LINNAEUS, 1758) Gras-Schildwanze und Graphosoma lineatum (LINNAEUS, 1758) Aelia acuminata (LINNAEUS, 1758) Streifenwanze Spitzling Die Streifenwanze ist an ihren schwarz-roten Beide Arten leben an verschiedenen Süß- Längsstreifen eindeutig identifizierbar. Sie gräsern und können bei Massenvermehrun- lebt an verschiedenen Doldenblütlern (Apia- gen Schäden in Getreidekulturen verursa- ceae), ist aus allen Bundesländern bekannt chen. Sie sind in Österreich aus allen und besiedelt auch schattigere und feuchtere Bundesländern bekannt und besiedeln auch Standorte. Nach der Überwinterung als schattigere Standorte. Nach der Überwinte- Imago wird eine Generation im Jahr ausge- rung als Imago wird eine Generation im bildet. Jahr ausgebildet. Besonderheiten auf Wacholder Neottiglossa leporina (HERRICH-SCHÄFFER, 1830) Das immergrüne Nadelgehölz wird der Fami- Die 5 bis 6,5 mm große Baumwanze lebt an lie der Zypressengewächse zugeordnet. Da verschiedenen Süßgräsern und kommt in Öster- der Wacholder äußerst lichtbedürftig ist, reich vor allem im pannonischen Osten vor, am kommt er nicht im Inneren mitteleuropäi- Alpenrand und inneralpin ist sie seltener. scher Laubwälder vor. In der Naturlandschaft war er deshalb auf Standorte angewiesen, Sciocoris cursitans (FABRICIUS, 1794) auf denen die Waldbedeckung längere Zeit Gemeine Brachwanze unterbrochen, aufgelichtet oder aufgrund an- Eine der häufigsten Trockenrasen-Wanzen- derer Faktoren nicht möglich war. Wegen sei- Arten, die auf der Bodenoberfläche lebt und ner Konkurrenzschwäche ist er vor allem auf sich polyphag von verschiedenen Nahrungs- Extremstandorten wie Hochmooren, Fels- pflanzen ernährt. Die 4,5 bis 6 mm große und Sandfluren oder Trockenrasen vorzufin- Baumwanze kommt in ganz Österreich vor den. und besiedelt auch mittlere Höhenstufen. Die Imagines überwintern im Boden und bilden Die Nadeln des Wacholders sind stechend eine Generation im Jahr. spitz, ein ausgezeichneter Schutz vor Weide-

Wanzen 147 tieren. Die offene Kulturlandschaft und die seit dem Mittelalter überall übliche Bewei- dung der Allmenden und Heiden bot dem Wacholder vorteilhafte Standortbedingungen. Er blieb, wie auch andere bewehrte Sträu- cher, von den Weidetieren verschont und ge- hört zum charakteristischen Arteninventar der Heiden.

Hinter dem Begriff „Wacholder” steckt mehr als nur ein Gehölz. Er ist Symbol für histori- sche Kulturlandschaften, eine Leitart für ar- Wacholderling (Chlo- rochroa juniperina): Im tenreiche Lebensräume, ein ästhetisches Herbst zeigen die Tiere Landschaftselement, eine wichtige Heil- und eine braune Färbung. Gewürzpflanze und Lebensraum für zahlrei- che hoch spezialisierte Insekten.

Der Echte Wacholder Juniperus communis (Cupressaceae) wird von mehreren Wanzen- Arten aus unterschiedlichen Familien als Nahrungspflanze genutzt. Neben den in hö- heren Lagen vorkommenden Weichwanzen (z. B. Phytocoris juniperi, Dichrooscytus vale- sianus, Globiceps juniperi) finden sich an den Buntrock (Cyphostethus xerothermen Trockenrasenstandorten der tristriatus): pannonischen Zone 5 typische „Wacholder- Trotz der bunten Wanzen”, die z. T. in bemerkenswert großer Färbung zwischen Zahl (viele hundert Exemplare) an den Wa- den Wacholderna- deln oft nur schwer choldersträuchern zu finden sind. Alle Arten zu erkennen. durchlaufen ihren gesamten Entwicklungszy- klus (5 Larvenstadien) an Wacholder und saugen an den Beerenzapfen, daher werden die meisten Exemplare auch an weiblichen Wacholdersträuchern gefunden.

Zu den Charakterarten zählen:

Gonocerus juniperi () Wacholder-Randwanze Die bis zu 14 mm großen Tiere überwin- Wacholder-Rand- tern als Imagines und sind, je nach Witte- wanze (Gonocerus rung, schon ab Mitte März anzutreffen. Die juniperi): Wird neu- neue Generation entwickelt sich bis etwa erdings vermehrt in Juli/August, obwohl vereinzelte Larven Städten an Thujen noch im September auftreten. Die Art ist in festgestellt. (3x) Rabitsch Wolfgang

148 Naturräumliche Veränderungen Österreich weiter verbreitet und kommt stadium, die Larven treten von Mai bis Juli, auch in der montanen Höhenstufe an die Imagines von Juli bis September auf. Die Wacholder vor. wahrscheinlich zoo- und phytophag lebende Art ist in Österreich nur aus dem Osten be- Chlorochroa juniperina (Pentatomidae) kannt und weniger häufig. Wacholderling Die etwa 12 mm große, grün gefärbte Baum- Alle genannten Wanzen-Arten profitieren von wanze kommt ebenfalls in ganz Österreich den in Hausgärten angepflanzten Zypressen- mit der Futterpflanze vor. Im Herbst kann gewächsen (Thuja, Chamaecyparis u. a.) und eine bräunliche Verfärbung der Tiere auftre- treten zunehmend auch im städtischen Be- ten. Die überwinternden Imagines sind ab reich auf. Ende April anzutreffen, die erwachsenen Tiere der neuen Generation etwa ab Ende Juli. Selbstverständlich werden auch andere Wan- zen an Wacholder gefunden. Dabei handelt Cyphostethus tristriatus (Acanthosomatidae) es sich teilweise um Zufallsfunde, aber auch Buntrock um Arten, die an Wacholder saugen, nach Auch diese bis 10 mm große, braun-grün ge- anderen Insekten jagen oder die Sträucher färbte Bauchkielwanze überwintert im Imagi- als Überwinterungsquartier aufsuchen (z. B. nalstadium und durchläuft eine Generation Eremo coris fenestratus, Empicoris vagabun- pro Jahr. Die überwinternden Tiere können dus, Stenodema virens). ab März auftreten, die Kopula erfolgt im Mai und die neue Generation ist ab etwa Juli ver- Zu den selteneren Arten zählen: treten. Die Art kommt in ganz Österreich und auch im Gebirge vor. Derephysia cristata (PANZER, 1806) Einkielige Netzwanze Orsillus depressus (Lygaeidae) Die 2,5 bis 3,5 mm große Netzwanze lebt an Wacholder-Bodenwanze sandigen Standorten im Wurzelhalsbereich Diese bis 8 mm große, braun gefärbte Wanze am Feld-Beifuß (Artemisia campestris) und ist erst in den letzten Jahrzehnten aus dem erreicht in der pannonischen Zone den West- Mittelmeergebiet nach Mitteleuropa vorge- rand ihrer Gesamtverbreitung. Es liegen nur drungen und bereits bis England verbreitet. wenige Nachweise aus Ostösterreich vor. In Möglicherweise sind die Vorkommen in Ost - der Roten Liste für Niederösterreich ist sie österreich autochthon, wenngleich die Nach- wegen der zerstreuten Vorkommen und der weise in den letzten Jahren, vor allem an Bedrohung durch Verbuschung und Eutro- Ziergehölzen (Thuja, Chamaecyparis), zuge- phierung als „Vom Aussterben bedroht“ ein- nommen haben. Die Imagines überwintern, gestuft. Imagines und Larven überwintern in die neue Generation entwickelt sich bis etwa Nähe der Nahrungspflanzen, die neue Gene- Juli, die Art ist in den Tieflagen Österreichs ration tritt etwa ab Ende Mai in Erscheinung. wahrscheinlich überall verbreitet, wo Wachol- Hallodapus suturalis (HERRICH-SCHÄFFER, 1837) der vorkommt. Bei dieser 2,5 bis 3 mm großen Weichwanze weisen die Männchen immer voll ausgebil- Phytocoris parvulus (Miridae) dete, die Weibchen hingegen meist verkürzte Wacholder-Weichwanze Flügel auf. Die Art lebt vermutlich zoophag Diese bis 4,5 mm kleine Wanze ist fleckig auf der Bodenoberfläche und klettert nur sel- hellbraun gefärbt. Die Art überwintert im Ei- ten an Pflanzen hoch. Sie ist an Sand-Tro-

Wanzen 149 Große Natternkopf- ckenrasen gebunden und in Österreich nur Schildwanze von wenigen Standorten in Niederösterreich (Psacasta exanthe- matica): Hat große und im Burgenland bekannt. Ähnlichkeit mit verdorrten Blättern. Amblytylus albidus (HAHN, 1834) Weißliche Breitnase Charakteristische Weichwanze von Sand- Trockenrasen über Silikat und in Österreich nur von einem Standort an der March bei Drösing bekannt, wo sie am Silbergras (Corynephorus canescens) lebt. Als Folge von Aufforstungen und Nährstoffeinträgen Raubwanze gilt dieser Biotoptyp als vom Aussterben Peirates hybridus: bedroht und dies gilt auch für diese Über die Biologie der vermutlich Wanze. nachtaktiven Art ist wenig Lygaeosoma sardeum (SPINOLA, 1837) bekannt. Vom Mittelmeerraum bis Zentralasien verbreitet, kommt diese Bodenwanze in Österreich nur im pannonischen Raum in Niederösterreich (Hundsheimer Berge, Leithagebirge) und im Burgenland (Winden, Seedamm) vor. Die Art bevorzugt felsige Standorte, wo sie sich gerne in Nähe des anstehenden Gesteins aufhält und an den Schwefelwanze (Eurycolpus Samen verschiedener Pflanzen saugt. Nach flaveolus): Überwinterung der Imagines wird eine Gene- Durch ihre Färbung ration im Jahr ausgebildet. In der Roten Liste hervorragend an ihre Niederösterreichs wegen der Habitatbindung, Nahrungspflanze angepasst. der isolierten Vorkommen und der verringer- ten Ausbreitungsfähigkeit (die Weibchen sind häufig kurzflügelig) als „Stark gefährdet“ eingestuft.

Tropidophlebia costalis (HERRICH-SCHÄFFER, 1850) Häufig gemeinsam mit zuvor genannter Art Zornige Raubwanze anzutreffen und wie diese als „Stark gefähr- (Rhynocoris det“ eingestuft, wegen der geringen Körper- iracundus): größe (2–2,5 mm) aber vermutlich öfter Kann auch den Menschen sehr übersehen. Eine östliche Bodenwanze, die in schmerzhaft Österreich nur im pannonischen Raum anzu- stechen. treffen ist. Sie lebt polyphag von den Samen verschiedener Pflanzen und es überwiegen kurzflügelige Individuen.

Harlekinwanze (Odontotarsus 150 purpureolineatus): Durch das charak - teristische Muster unverwechselbar. Großer Spitzling (Aelia rostrata): Lebt an verschiedenen Süßgräsern.

Pionosomus opacellus HORVÁTH, 1895 Dunkle Sand-Bodenwanze Die 2,5 bis 3 mm große Bodenwanze ist in Österreich nur aus dem Burgenland (See- damm) und aus Niederösterreich (Drösing, Oberweiden) bekannt. Sie lebt polyphag an den Samen verschiedener Pflanzen an Sand- Trockenrasen und gilt als Charakterart von Sandstandorten. Nach der Überwinterung als Imago wird eine Generation im Jahr ausge- bildet. Wegen Habitatverlust und geringer Ausbreitungsfähigkeit in der Roten Liste als „Vom Aussterben bedroht“ eingestuft.

Emblethis brachynotus HORVÁTH, 1897 (6x) Rabitsch Wolfgang Kurzrückige Bodenwanze Diese Art hat an den Sand-Trockenrasen- len und saugt an den Wurzeln verschiedener standorten bei Drösing ihr einziges Vorkom- Süßgräser. Sie ist in ganz Europa durch den men in Österreich, wo sie am Boden zwi- Verlust ursprünglicher Sandlebensräume schen Sand-Frühlings-Fingerkraut (Potentilla rückläufig. Wie auch für andere streng psam- arenaria) gefunden wurde. Es werden zwei mophile Arten ist weniger das Nahrungsan- Generationen im Jahr ausgebildet. gebot, sondern die Korngrößenverteilung des Bodens als entscheidender Faktor zu sehen. lobata (HERRICH-SCHÄFFER, 1842) Wird das Substrat durch die Pflanzen gefes- Eine mediterrane Randwanze, die in Öster- tigt, verschwindet die Art. reich nur von wenigen Standorten in Nieder- österreich und im Burgenland bekannt ist. Phimodera humeralis (DALMAN, 1823) Sie lebt am Zwerg-Sauerampfer (Rumex Breite Dünenwanze acetosella) und an anderen Knöterichge- Auch diese psammobionte Art, die bis 1949 wächsen (Polygonaceae). Nach Überwinte- zahlreich in den Sandbergen bei Oberweiden rung der Imagines wird eine Generation im und vereinzelt in den Hundsheimer Bergen Jahr ausgebildet. und im Leithagebirge gefunden wurde, ist als „Ausgestorben oder verschollen“ zu werten, Menaccarus arenicola (SCHOLTZ, 1847) da sie seither trotz Suche in Österreich nicht Sand-Baumwanze wieder nachgewiesen wurde. Diese Schild- Eine mediterran verbreitete Baumwanze, die wanze besiedelt offene, beinahe vegetations- als psammobiont gilt, das heißt, die aus- freie Sandstandorte und saugt an den Wur- schließlich an Sandstandorten vorkommt. zeln verschiedener Pflanzen (Poaceae u. a.). Noch bis 1959 in den Sandbergen bei Ober- weiden nachgewiesen, seither jedoch nicht Antheminia lunulata (GOEZE, 1778) wiedergefunden und daher für ganz Öster- Korbblütlerwanze reich als „Ausgestorben oder verschollen“ zu Eine westpaläarktisch verbreitete Baum- bewerten. Die durch den abgeflachten Körper wanze, deren Vorkommen in Österreich als morphologisch an das Graben im Sand ange- stark rückläufig einzustufen ist. Sie zählt zu passte Art besiedelt lückig bewachsene Stel- den charakteristischen Steppenelementen

Wanzen 151 Habichtskraut-Weichwanze (Hoplomachus thunbergii): Saugt am Habichtskraut und an anderen Korbblütlern.

Zusammenfassung

Die große Vielfalt an unterschiedlichen Lebensgewohnheiten macht Wanzen zu spannenden, attraktiven und lohnenden Un- tersuchungsobjekten für verschiedene Frage- stellungen, besonders für den Naturschutz. Wanzen sind nicht nur charakteristische Faunenelemente von Trockenstandorten, wo sie artenreich in Erscheinung treten, sie kön- nen lokal die Zönose dominieren und so einen wesentlichen Beitrag zur Stabilität des Ökosystems beitragen. Somit sind der Schutz von Wanzen und der Erhalt der Pan-

Wolfgang Rabitsch Wolfgang nonischen Steppen- und Trockenrasen eine gute Investition in die Zukunft. unserer Fauna und ihr Vorkommen in Österreich ist auf die pannonische Zone be- Weiterführende Literatur schränkt. Antheminia lunulata lebt phyto- ACHTZIGER, R., FRIESS, T. & RABITSCH, W. (2007): Die Eignung phag, bevorzugt an Korbblütlern (Artemisia von Wanzen (Insecta: Heteroptera) als Indikatoren im Na- turschutz. Insecta (Berlin) 10, 5–39. spp., Centaurea spp.) und Doldenblütlern (Eryngium spp.), wo sie an verschiedenen RABITSCH, W. (2007): Rote Listen ausgewählter Tiergruppen Niederösterreichs – Wanzen (Heteroptera). Niederösterrei- Pflanzenteilen saugt. Die Art überwintert als chische Landesregierung, St. Pölten, 280 S. Imago in der Streu oder im Boden, die Tiere RABITSCH, W. (2008): Im Jahr der Wanzen: Versteckte bunte sind nach der Kopula noch bis in den Juni an- Vielfalt. Carinthia II, in Druck. zutreffen. Die neue Generation tritt ab etwa WACHMANN, E., MELBER, A. & DECKERT, J. (2004–2007): Wanzen. Mitte Juni in Erscheinung und ist – je nach Die Tierwelt Deutschlands. Goecke & Evers, Keltern. Bd. 1 Witterung – bis in den Oktober anzutreffen. (2006) 263 S., Bd. 2 (2004) 288 S., Bd. 3 (2007) 272 S.

Aelia rostrata BOHEMAN, 1852 Dr. Wolfgang Rabitsch Großer Spitzling Umweltbundesamt Eine westpaläarktische Baumwanze mit negati- Abt. Biologische Vielfalt und Naturschutz ver Bestandsentwicklung in Österreich. Sie lebt Spittelauer Lände 5 an verschiedenen Süßgräsern, überwintert als 1090 Wien Imago und bildet eine Generation im Jahr.

Vilpianus galii (WOLFF, 1802) Gelblabkraut-Baumwanze Eine 3 bis 4 mm große Baumwanze mit kryp- tischer Gestalt, die bevorzugt am Gelb-Lab- kraut (Galium verum) lebt. Sie ist von der Iberischen Halbinsel bis Kasachstan verbrei- tet und kommt in Österreich nur im Osten vor. Nach der Überwinterung als Imago wird eine Generation im Jahr ausgebildet.

152 Wanzen 4.11 Fanghaft, Schmetterlings- langer Zeit, vermutlich gegen Ende des Kar- haft und Ameisenlöwen auf mit- bons, an der Grenze zum Perm, also vor teleuropäischen Trockenrasen knapp 300 Millionen Jahren, gelebt.

Die Larven der Neuropterida sind fast durch- Horst Aspöck und Ulrike Aspöck wegs räuberisch (selten parasitisch) und leben – von wenigen Familien mit aquati- Wer an einem warmen, windstillen Sommer- schen Larven abgesehen – auf dem Land – tag mit offenen, aufmerksamen Augen im auf der Vegetation, unter Rinde, in der östlichen Mitteleuropa durch Trockenrasen Bodenstreu, im Sand ... (H. ASPÖCK et al. oder über sonnige Hänge streift, wird nicht 1980, 2001, U. ASPÖCK & H. ASPÖCK 2007). nur vertrauten Insekten – wie Heuschrecken, Wanzen, Käfern, Schmetterlingen, Bienen, In Mitteleuropa hat man bisher insgesamt Hummeln und Ameisen und vielen Fliegen – etwa 150 Neuropterida-Arten (17 Raphidio- begegnen, sondern dann und wann auch pteren, 5 Megalopteren und ca. 130 Neuro- Insekten entdecken, die er – wenn er kein pteren) nachgewiesen; diese Zahl wird sich Entomologe oder wenigstens Zoologe mit nur noch geringfügig erhöhen. So gut wie basalen Kenntnissen der heimischen Tierwelt alle Neuropterida Mitteleuropas gehören dem ist – keiner der allgemein bekannten Insek- Biom des Arboreals an, d. h., dass ihre ökolo- tenordnungen zuzuordnen vermag. Dazu gischen Ansprüche – bei aller Variabiliät – zählen Fanghafte, Florfliegen, Schmetter- letztlich nur dort erfüllt werden können, wo lingshafte, Ameisenlöwen und vielleicht noch sich aufgrund der klimatischen Verhältnisse ein paar andere Netzflügler. (im Besonderen durch entsprechende Tem- peraturen und genügend Niederschläge) Diesen Netzflüglern auf Trockenrasen in Mit- Wälder oder waldähnliche Biozönosen ent- teleuropa sind die folgenden Seiten gewid- wickeln können. Aber einige Spezies – durch- met. „Netzflügler“ im weiteren Sinn (Neu - wegs solche, die ihre Hauptverbreitungsge- ropterida) ist ein Überbegriff (Überordnung) biete im Mittelmeerraum haben, woher sie für die drei Insektenordnungen Raphidioptera auch nach der letzten Eiszeit nach Mitteleu- (Kamelhalsfliegen), Megaloptera (Schlamm- ropa eingewandert sind – haben so hohe An- fliegen) und (Netzflügler i. e. S.). sprüche an Wärme und Trockenheit, dass sie innerhalb der großen Waldgebiete wärme - Die Neuropterida haben – erdgeschichtlich begünstigte, offene Flächen bevorzugen, die gesehen – den Höhepunkt ihrer evolutiven nur vereinzelt Bäume oder verstreute Busch- Entfaltung längst überschritten, ihre Blütezeit gruppen aufweisen, also Biozönosen, wie sie war im mittleren bis späten Mesozoikum, uns durch die mitteleuropäischen Formen der also vor ca. 200 bis 65 Millionen Jahren; in Trockenrasen vertraut sind. gewisser Weise sind sie Boten aus einer blühenden Vergangenheit, und manche Neu- Unter den insgesamt 11 in Mitteleuropa ver- ropterida werden mit Recht als lebende Fos- tretenen Familien der Neuropterida finden silien apostrophiert. Sie stehen an der Basis wir solche auf Trockenrasen in Mitteleuropa der Holometabola, also der Insekten mit voll- vorkommende Spezies im Wesentlichen nur kommener Entwicklung, und repräsentieren unter den Neuroptera und im Besonderen die Schwestergruppe der Käfer; aber der unter den (Fanghafte), Myrmele- letzte gemeinsame Vorfahre hat vor sehr ontidae (Ameisenjungfern bzw. deren Larven

Netzflügler 153 Kamelhalsfliege = Ameisenlöwen), Ascalaphidae (Schmetter - Dichrostigma flavipes, lings hafte); darüber hinaus gibt es einige die häufigste Kamel- halsfliege im Bereich wenige Chrysopidae (Florfliegen), Hemero - von Strauchinseln an biidae (Blattlauslöwen) und (vielleicht verein- wärmebegünstigten zelt) Coniopterygidae (Staubhafte, mit 2 bis Standorten in 5 mm Flügellänge die Winzlinge unter den Ostösterreich. Neuropteren), die vorwiegend im offenen Gelände, auf Trockenrasen und auf wärme- begünstigten Hängen auftreten. Manchmal findet man auf Sträuchern – zumal, wenn es sich um größere Gruppen handelt – im Bereich von Trockenrasen auch Kamelhals - fliegen, von denen einige Arten ausgeprägt Wärme liebend sind. Die Larven der meisten

Hubert Rausch in Mitteleuropa vorkommenden Raphidiopte- Steirischer Fanghaft ren-Spezies leben unter Borke, wenige Arten ( styriaca): in der Bodenstreu, im Wurzelbereich von Die Vorkommen dieser Bäumen und Sträuchern, nie aber im Wärme liebenden Art beschränken sich in strauch- und baumlosen offenen Gelände. Österreich auf die Trockenstandorte im Drei typische Neuropteren-Arten der Osten und im Süden Trockenrasen und offenen Hänge um Hain- des Landes. burg sollen beispielhaft vorgestellt werden – durchwegs Kostbarkeiten der Fauna Mittel - europas.

Eines der auffälligsten (wenngleich auch seltensten) Insekten und ein berühmtes Beispiel für das Phänomen der Konvergenz

Heinz Wiesbauer einerseits und für das der Hypermetamor- Erste Abbildung einer phose andererseits ist Mantispa styriaca (PODA, Mantispidenlarve in der 1761), der Steirische Fanghaft. Dieses – mit entomologischen Lite- einer sehr variablen Flügellänge von etwa 7 bis ratur. Es handelt sich um einen kolorierten 19 mm – mittelgroße Insekt fällt durch einen Kupferstich der Erst- langen Prothorax (Vorderbrust) auf, an des- larve (ca. 0,5 mm), wie sen vorderem Ende die überaus auffälligen sie von BRAUER (1852) Fangbeine inserieren, die nach dem Klapp- gesehen wurde. messer-Prinzip in idealer Weise für den Beu- tefang (Mantispa ernährt sich von verschie- denen anderen Insekten) funktionieren. Damit ähneln die Fanghafte kleinen Gottes - anbeterinnen, die nach demselben Prinzip Beute fangen, mit denen die Mantispen aber (1852), verändert überhaupt nicht verwandt sind. Dieses Phä-

RAUER nomen der Herausbildung ähnlicher Merk- B

154 Netzflügler male in nicht verwandten Organismengrup- Titelseite der berühmten pen durch ähnliche ökologische Ansprüche Publikation von F. M. BRAUER (1869), in der und funktionell bedingte Selektionsmechanis- erstmals der vollständige men nennt man Konvergenz. Entwicklungszyklus von Mantispa geschildert Die Aufdeckung der komplexen Entwicklung wird. und Biologie von Mantispa ist ein schönes Beispiel für die außerordentlichen Beiträge österreichischer Wissenschaftler zur Neuro- pterologie im Besonderen und zur Ento - mologie insgesamt:

Im Jahre 1761, drei Jahre nach dem Er - scheinen der „Editio decima“ des Monumen- (1869) talwerks „Systema naturae ...“ von

C. LINNAEUS (1707–1778), mit dem er die bi- RAUER B näre Nomenklatur für die eindeutige Benen- Tafel zu der histori- nung aller Organismen einführte, beschrieb schen Publikation von der österreichische Jesuit und Entomologe F. M. BRAUER (1869) mit den unterschiedlichen Nikolaus PODA VON NEUHAUS (1723–1798) nach Larvenstadien und der einem in der Steiermark gefangenen Indivi- Entwicklung von duum Mantispa styriaca. Aber es sollten Mantispa styriaca. mehr als 100 Jahre vergehen, bis die merk- würdige Entwicklung von Mantispa styriaca geklärt werden konnte – und dies steht mit Hainburg in enger Beziehung. Die klassische Arbeit stammt von dem weltberühmten österreichischen Entomologen Friedrich Moritz BRAUER (1832–1904), der nicht weni- ger als fast 30 Jahre brauchte, um den Ent- wicklungszyklus aufzuklären. Ein Schlüssel- ereignis in der Kette von verschiedenen Befunden war der Fund einer Wolfsspinne (), „welche in einem mehr als zoll - tiefen Loch ihren kugeligen weißen Eiersack hütete“, am 29. Mai 1862 auf dem Hunds - heimer Berg bei Hainburg durch den Wiener Entomologen Alois ROGENHOFER (1832–1897); aus diesem Eiersack schlüpfte überraschen- derweise eine Mantispa. Und nun fügten sich, nach weiteren experimentellen Studien, alle früheren Befunde sinnvoll zusammen. Die Imagines (also die geflügelten Insekten) (1869) leben im Sommer an der Vegetation, wo sie andere Insekten fangen, die Weibchen legen RAUER B

Netzflügler 155 Schmetterlingshaft Libelloides macaronius, eines der auffälligsten, wenngleich nur sehr lokal auftretenden und zumeist seltenen Insek- ten Mitteleuropas. Auf den Trockenrasen um Hainburg kann man die Art im Frühsommer ge- legentlich beobachten.

Eier, aus denen Larven schlüpfen, die – ohne schnellen Flug im Sonnenschein an Schmet- irgendeine Nahrung aufzunehmen – über - terlinge, aber noch im 18. Jahrhundert wintern und sich im Frühjahr in Eikokons erkannte man, dass es sich dabei um außer - bestimmter Spinnen einbohren, wo sie als gewöhnliche, speziell angepasste Neuro - Parasiten (sie saugen die Spinneneier aus) pteren handelt, die ihre Beutetiere – nicht leben, sich häuten und verpuppen. Die Puppe zuletzt vor allem Schmetterlinge – im Flug durchbricht im Sommer die Wand des Spin- jagen. In Mitteleuropa gibt es noch zwei nenkokons und häutet sich zum geflügelten weitere Ascalaphiden-Spezies, weltweit Insekt. Diese Entwicklung nennt man, da die insgesamt etwa 430 Arten. Larvenstadien ganz unterschiedlich aussehen und leben, Hypermetamorphose. In Mittel - Die Myrmeleontiden (Ameisenjungfern) europa gibt es nur diese eine Art der ähneln durch ihre schmalen, stark genetzten, Fanghafte, weltweit kennt man etwa transparenten und meistens wenig gefleck- 410 Mantispiden -Spezies. ten Flügel bei flüchtigem Hinsehen Libellen, mit denen sie indes ganz und gar nicht ver- Ein anderer auffallender Netzflügler, den man wandt sind. Die Larven fast aller Arten leben auf den Trockenrasen und Hängen um Hain- im Boden und lauern auf Beutetiere – z. B. burg finden kann, ist der Schmetterlingshaft Ameisen –, die sie mit ihren mächtigen Libelloides macaronius. Dieses Insekt wurde Fresswerkzeugen erfassen und aussaugen. von dem bedeutenden, aus dem Fleimstal in Dies hat ihnen den Namen „Ameisenlöwen“ Südtirol stammenden italienisch-österreichi- eingebracht. Manche von ihnen bauen im schen Arzt, Chemiker und Entomologen Gio- Sand Trichter, an deren Grund sie mit ge- vanni Antonio (Johann Anton) SCOPOLI (1723– spreizten Mundwerkzeugen auf hinein - 1788) für einen Schmetterling gehalten und fallende Beutetiere warten. Weltweit kennt 1763 als Papilio macaronius beschrieben. man ca. 1.600 Arten, in Österreich kommen 8 Spezies vor, mindestens 5 davon in der Tatsächlich erinnert dieses Insekt durch seine Umgebung von Hainburg, aber es ist nicht gelb-schwarz gescheckten Flügel, seine lan- ausgeschlossen, dass man in dem Gebiet gen gekeulten Fühler und durch seinen noch eine oder gar zwei Arten finden wird,

156 Netzflügler Vierfleckige Ameisen- jungfer (Distoleon tetragrammicus): Mit einer Vorderflügellän - ge von 26 bis 40 mm eine der größten Ameisenjungfern Mitteleuropas und ein typischer Bewohner wärmebegünstiger

Heinz Wiesbauer (2x) Hänge.

die in Österreich bisher nicht nachgewiesen Dank

sind. Die Lebensräume von Myrmeleontiden Die Abbildungen des Steirischer Fanghafts, des Schmetter- schlechthin sind die Wüsten, Halbwüsten und lingshafts und der Vierfleckigen Ameisenjungfer stammen von DI Heinz Wiesbauer (Wien); er hat überdies die Abbil- Steppen aller Kontinente, und so versteht dung der Mantispiden-Larve fototechnisch bearbeitet. Die man auch, dass diese artenreichste Neuro- Abbildung der Kamelhalsfliege wurde uns von Hubert Rausch (Scheibbs) zur Verfügung gestellt, Abbildungen der pterenfamilie in den gemäßigten Zonen nur Larve und der Fangtrichter des Ameisenlöwen wurden uns schwach vertreten ist. von Dr. Heiko Bellmann (Ulm) überlassen. Allen Genannten danken wir auch an dieser Stelle herzlich. Überdies meiden die meisten mitteleuropäi- schen Arten große, freie und dauernd der Weiterführende Literatur direkten Sonnenbestrahlung ausgesetzte ANDERLE, F. & ASPÖCK, U. (2007): Neuropterida (Insecta En- dopterygota) of the Nature Reserve Eichkogel (Lower Aus- Flächen. Da die meisten Arten ausgeprägt tria): arguments for protecting an insular biocoenosis in wärmeliebend sind, bieten gerade die Ränder the South of Vienna. Annali del Museo Civico di Storia und Strauchinseln der Trockenrasen ideale Naturale di Ferrara 8: 139–144. Entwicklungsmöglichkeiten für Ameisenlöwen. ASPÖCK, H. (1999): Beschreibungen und Abbildungen von Mantispiden in der frühen entomologischen Literatur und Österreichs Beitrag zur Erforschung der Fanghafte (Neuro- Mantispa styriaca, Libelloides macaronius und pterida: Neuroptera: Mantispidae). – In: ASPÖCK, H. (wiss. Red.): Neuropterida: Raphidioptera, Megaloptera, Neuro- einige der um Hainburg vorkommenden Myr- ptera. Kamelhälse, Schlammfliegen, Ameisenlöwen ... meleontiden sind zwar insulär noch um 100, Stapfia 60/Kataloge des OÖ. Landesmuseums, Neue Folge 200 oder gar mehr Kilometer weiter nördlich 138: 209–244. in Mitteleuropa nachgewiesen worden – und ASPÖCK, H., ASPÖCK, U. & HÖLZEL, H. (unter Mitarbeit von H. RAUSCH) (1980): Die Neuropteren Europas. Eine zusam- trotzdem markieren diese Einwanderer aus menfassende Darstellung der Systematik, Ökologie und dem Mittelmeerraum die in viele verstreute Chorologie der Neuropteroidea (Megaloptera, Raphidio- ptera, Planipennia) Europas. Mit 96 Bestimmungsschlüs- Punkte aufgelöste nördliche Verbreitungs- seln, 12 Tabellen, 913 Strichzeichnungen, 259 Fotografien, grenze. Sie sind Juwelen der heimischen In- 26 Aquarellen und 222 Verbreitungskarten. 2 Bde: 495 pp.; sektenwelt, und sie verdienen allen Schutz, 355 pp. Goecke und Evers, Krefeld. indem wir die Biozönosen, in denen sie leben, ASPÖCK, U. & ASPÖCK, H. (2007): Verbliebene Vielfalt vergan- gener Blüte. Zur Evolution, Phylogenie und Biodiversität als Refugien für sie und viele andere dort und der Neuropterida (Insecta: Endopterygota). Denisia 20: nur dort lebende Organismen erhalten. 451–516.

Netzflügler 157 ASPÖCK, H., HÖLZEL, H. & ASPÖCK, U. (2001): Kommentierter Katalog der Neuropterida (Insecta: Raphidioptera, Megalo- ptera, Neuroptera) der Westpaläarktis. Denisia 02, 606 pp. + 6 Abb.

BRAUER, F. (1852): Verwandlungsgeschichte der Mantispa pagana. Archiv für Naturgeschichte 18 (1): 1–2 + 1 Tab.

BRAUER, F. (1869): Beschreibung der Verwandlungsge- schichte der Mantispa styriaca Poda und Betrachtungen über die sogenannte Hypermetamorphose Fabre’s. Ver- handlungen der Kaiserlich-Königlichen Zoologisch-Botani- schen Gesellschaft in Wien 19: 831–840, 1 Tab.

ROGENHOFER, A. (1862): Beitrag zur Kenntniss der Entwick- lungsgeschichte von Mantispa styriaca Poda (pagana Fab.). Verhandlungen der Kaiserlich-Königlichen Zoologisch-Bota- nischen Gesellschaft in Wien 12: 613–616.

WEISSMAIR, W. (2004): Der Schmetterlingshaft Libelloides macaronius (SCOPOLI, 1763) (Insecta: Neuroptera: Ascala- phidae) in den Ennstaler Voralpen (Oberösterreich): Ver- breitung – Schutz – Management. In: ASPÖCK, U. (Wiss. Red.): Entomologie und Parasitologie. Festschrift zum 65. Geburtstag von Horst Aspöck. Denisia 13: 269–275.

Univ.-Prof. Dr. Horst Aspöck Abteilung für Medizinische Parasitologie, Klinisches Institut für Hygiene und Medizinische Fangtrichter des Ameisenlöwen Euroleon nostras: Mikrobiologie, In Bereichen mit lockerem Substrat finden sich oft Medizinische Universität Wien (MUW), viele auf engem Raum. Kinderspitalgasse 15, 1095 Wien

Univ.-Prof. Dr. Ulrike Aspöck Naturhistorisches Museum Wien Burgring 7 1010 Wien Heiko Bellmann (2x) Heiko Ameisenlöwe Euroleon nostras: Lauert im Fangtrich- ter auf Insekten, die er mit Sand bewirft und schließlich mit seinen kräftigen Zangen ergreift und aussaugt. 158 Netzflügler Gemeiner Langbein - käfer (Tituboea macropus): Die Männ- chen haben stark ver-

Heinz Wiesbauer längerte Vorderbeine.

4.12 Käfer der Trockenlandschaft auf ein sehr niedriges Niveau, dadurch wird der Energieverbrauch gedrosselt. In den Wolfgang Waitzbauer Trockengebieten Afrikas etwa reagieren Bo- denkäfer auf verschlechterte Lebensbedin- Anpassungen an den Lebensraum gungen übrigens in gleicher Weise.

Käfer sind in der Trockenlandschaft sehr Der feste Körperpanzer aus Chitin schützt artenreich vertreten. Viele führen allerdings Käfer solcher Lebensräume sehr wirkungsvoll eine nächtliche oder verborgene Lebensweise gegen Überhitzung, Verdunstung und damit unter Steinen und in Erdhöhlen und sind vor gefährlichem Feuchtigkeitsverlust. Bei damit wenig auffällig. Gemeinsam ist allen etlichen Arten – sogar bei Vertretern verschie - Arten die Toleranz gegenüber hohen Tempe- dener Familien – ist das Flugvermögen ent - raturen, die im Hochsommer auf offener weder eingeschränkt oder die häutigen Hin- Bodenfläche durchaus 50 Grad erreichen terflügel sind überhaupt verkümmert und die können, sowie gegenüber Trockenheit. schützenden Flügeldecken sind kompliziert nach dem Klettverschluss-Prinzip oder durch Üblicherweise herrscht im pannonischen Kli- Nut und Falz miteinander verbunden; auch maraum zwischen Mitte Juni und Ende Au- das ist eine Anpassung an Hitze und Trocken- gust ausgeprägte Sommertrockenheit und heit. Solche Arten zeichnen sich oft durch verschiedene Käferarten passen sich den einen hohen Fettanteil des Körpers als Reser- Klimabedingungen an, indem sie sich in die vespeicher für schlechte Zeiten aus. Viele oberen Bodenschichten zurückziehen und Arten der Trockengebiete sind schwarz oder dort einen unter Umständen mehrere Wo- dunkelbraun gefärbt, ebenfalls eine Anpas- chen lang andauernden Trockenschlaf halten. sung an den Lebensraum. Sie erwärmen sich In dieser Zeit sinkt der gesamte Stoffwechsel dadurch morgens schon bei noch geringer

Käfer 159 Sonneneinstrahlung auf Betriebstemperatur und verbringen die heißen Mittagsstunden in der Bodenstreu oder unter Steinen verborgen.

Da nun viele Käfer der Bodenoberfläche nicht fliegen können, kompensieren sie das durch kräftige Laufbeine. Dennoch benötigen sie für ihre Existenz stabile Lebensbedingungen. Ändern sich diese zu sehr, etwa durch den Spanische Fliege Verlust des Lebensraumes, können solche (Lytta vesicatoria): Der Käfer enthält Arten wegen ihrer Flugunfähigkeit nur lang- den Giftstoff Cantha- sam oder gar nicht abwandern und sterben ridin, der im Mittel - aus. Aus diesem Grund ist die Bewirtschaf- alter als Aphrodi - tung von Trockenrasen durch Mahd oder siakum und Gift verwendet wurde. Beweidung wichtig, um den Verlust einer wertvollen und oft seltenen Käferfauna zu verhindern.

Die heimischen Trockenrasen – insbesondere im Einflussbereich des pannonischen Klimas – sind biologisch bedeutende Rückzugsgebiete seltener Arten, die z. T. aus dem nörd lichen Violetter Mai- Mittelmeergebiet oder den östlichen Tief - wurm (Meloe ebenen bis zum Schwarzen Meer und z. T. violaceus): Die sogar aus den zentralasiatischen Steppen Männchen dieses Maiwurms unter- stammen. Bei uns erreichen sie vielfach ihre scheiden sich nördliche oder westliche Verbreitungsgrenze. durch Fühlerform Noch um 1950 waren Trockenrasen im öst - und Größe lichen Niederösterreich und im nördlichen deutlich von den Weibchen. Burgenland als Hutweiden häufige und groß- flächige Landschaftselemente, heute zählen ihre noch erhaltenen Reste zu den bedrohten Lebensräumen, die aufgrund ihrer besonde- ren Fauna und Flora einen hohen Schutzwert besitzen. Vielerorts verschwindet das „Öd- land“ durch Verbauung, wodurch viele Arten verdrängt werden oder aussterben. Nachfolgend sei ein kleiner Einblick in die Vielfalt der Käferfauna auf Österreichs Der flugunfähige Trockenrasen gegeben: Violette Maiwurm (Meloe violaceus) ist durch seine Käferleben auf dem Boden blau-violette Färbung eine Auf offenen Bodenstellen – besonders bei auffällige Frühlingsart. Sonnenschein – begegnet uns nicht selten

160 Käfer Heinz Wiesbauer (4x) Feld-Sandlaufkäfer ein großer, intensiv kupferglänzender Laufkä- junger Getreidepflanzen spezialisiert. Gele- (Cicindela campestris) fer. Es ist Carabus ulrichii, der Höckerstrei- gentlich tritt diese Art als bedeutender Wirt- fen-Laufkäfer, der hier als Steppenform auf- schaftsschädling auch bei uns in Ostöster- tritt und auch die Tiefebene Ungarns reich auf. Nahe verwandt sind die meist besiedelt. bronzefarbigen oder grünlich glänzenden, zahlreichen Arten der Gattung Amara (Ka- Unter Steinen wiederum leben mit mehreren melläufer), welche sich ebenfalls von Pflan- Arten die flachen, schwarzen Vertreter der zenstoffen ernähren und dazu auch bis in die Stumpfzangenläufer, Licinus, die sich in ihrer höhere Vegetation klettern. Ernährungsweise völlig auf den Verzehr von Gehäuseschnecken – etwa die häufigen Auf vegetationsfreien Stellen, wie etwa auf weiß-dunkel gebänderten Heideschnecken – sandigen Wegen, ist ein grüner Käfer mit spezialisiert haben. In weiten Teilen Deutsch- zwei weißen Tupfen und langen, schlanken lands etwa sind die zugehörigen Arten be- Beinen sehr auffällig. Auf seiner Unterseite reits stark gefährdet. ist er metallisch glänzend. Es ist der Feld- Sandlaufkäfer, Cicindela campestris, ein flin- Ebenfalls schwarz gefärbt ist der Ungarische ker Räuber, der sich von anderen Insekten Getreidelaufkäfer, spinipes, dessen ernährt, die er in schnellem Lauf erbeutet Heimat der südöstliche Balkan bis Kleinasien und mit seinen mächtigen, nadelspitzen ist. Er ist übrigens eine Leitform ökologisch Kiefern zerteilt. Bei hohen Temperaturen und intakter Trockenrasen, wo er vorkommt, ist im Sonnenschein ist der Käfer besonders die „Welt noch in Ordnung“. Der Käfer und aktiv, bei Störung fliegt er fort. Die Larve seine Larven ernähren sich – eigentlich un - lebt in einer selbst gegrabenen Bodenröhre, typisch für die sonst räuberischen Laufkäfer – von wo aus sie vorbeieilende Insekten fängt. von Gräserwurzeln, was bei Steppenarten als Nahrungsbasis generell nicht selten ist. Besonders bunt ist der Mondfleckläufer, Callis - Eine nah verwandte Art, der Getreidelauf - tus lunatus, ein wärmeliebender Laufkäfer of- käfer Zabrus tenebrioides, kann hingegen fener Bodenstellen. Seine Grundfärbung ist fliegen und neue Lebensräume besiedeln. Er orange, der Kopf und 5 Flecken auf den Flü- hat sich als Kulturfolger auf die Konsumation geldecken schimmern metallisch blaugrün.

Käfer 161 Pillenwälzer (Sisyphus schaefferi): Als Brutfürsorge für die Larven verwenden die Pillenwälzer Futterkugeln aus Kot.

Totenkäfer Blaps lethifera: Diese Steppenart besiedelt meist Nagerbauten und ernährt sich dort von pflanzlichen Abfällen.

Die Art wird durch zunehmenden Lebens- raumverlust als gefährdet eingestuft. Insge- samt benötigen die meisten Laufkäfer aber höhere Bodenfeuchtigkeit und sind daher mit Ausnahmen nicht als typische Bewohner von Trockenrasen aufzufassen.

Im Frühjahr krabbelt ein plumper, bis zu 3 cm großer, blau glänzender Käfer mit stark verkürzten Flügeldecken und aufgequollenem Grasbock Dorcadion Hinterleib im niederwüchsigen Trockenrasen aethiops: Die Larven und auf Wegböschungen. Es ist der Violette und der flugunfähige Maiwurm, Meloe violaceus, ein Vertreter der Käfer ernähren sich Ölkäfer. Er ist ungeflügelt und ernährt sich von Graswurzeln. von Gras. Die Larven entwickeln sich als Pa- rasiten in den Nestern von Wildbienen. Ent- sprechend den Ernährungsbedingungen wäh- rend der Larvalzeit kann die Größe der Käfer stark variieren. Man vermutet, dass nur 1 % die Entwicklung bis zum Käfer schafft, wes- halb jedes Weibchen bis zu 1.000 Eier produ- Ungarischer ziert, um den Ausfall auszugleichen. Getreidelaufkäfer Zabrus spinipes: Diese Den gleichen Lebensraum besiedeln auch seltene, südöstlich ver- einige Bockkäfer, die daher den Namen „Erd- breitete Art erreicht in Ostösterreich ihre bock“, Dorcadion, tragen. Gegensätzlich zu Verbrei tungsgrenze anderen Bockkäfer-Arten besitzen sie stark und besiedelt hier verkürzte Fühler und kräftige, kurze Schreit- ausschließlich intakte beine. Käfer und Larven ernähren sich von Trockenrasen.

162 Käfer Schafgarben-Prachtkäfer (Anthaxia Schlehen-Prachtkäfer (Ptosima millefolii): Die Larven entwickeln flavoguttata): Ein Wärme liebender sich in den Ästen von Eichen (oben). Waldsteppenbewohner (Mitte) Graswurzeln. Das Zentrum ihrer Verbreitung erstreckt sich von den mittelasiatischen Step- pen bis in den Mittelmeerraum. Drei Arten er- reichen im pannonischen Teil Österreichs ihre westliche Verbreitungsgrenze.

Warme Steppenheiden werden auch von Ver- tretern der Schwarzkäfer besiedelt. In den Trockengebieten der Erde, speziell in den sub- tropischen Wüsten, sind sie mit vielen tau- send Arten die vorherrschende Käferfamilie. Tagsüber kann man auf sandigem Boden den nur 1 cm großen Staubkäfer, Opatrum sabu- losum, entdecken, während die großen Arten der Gattung Blaps, der Totenkäfer, die in den Bauten von Zieseln und Wildkaninchen leben, nur nachts an der Oberfläche erscheinen, wo sie sich von trockenen pflanzlichen Abfällen ernähren.

Als typischer Bodenbewohner warmer Trockenrasen sei hier auch der gedrungene, nur wenige Millimeter große Gekielte Wulst- rüssler, Minyops carinatus, erwähnt. Die gelbbraune Färbung des eigentlich schwarzen Käfers stammt von der lehmigen Erde, die in Rillen und sonstigen Vertiefungen der Kör- peroberfläche hängen bleibt. Bei Störung stellt er sich tot und wird daher vielfach übersehen.

Weidefolger

Trockenrasen wurden jahrhundertelang bis in die 1960er Jahre als traditionelle Hutweiden genützt. Wo noch – oder aufgrund von Pfle- gemaßnahmen erneut – Weidebetrieb herrscht, sind meist auch zahlreiche dung- fressende Käfer zu finden. Schafkot und Rin- derdung weisen verschiedene Formen, Feuchtigkeit und Inhaltsstoffe auf und wer- den daher von unterschiedlichen Artenge- meinschaften besiedelt. Die Artenvielfalt der Dungkäferfauna kann sehr umfangreich sein und umfasst Mitglieder etlicher Käferfamilien, Heinz Wiesbauer (7x) Beifuß-Prachtkäfer (Agrilus albogularis): Die Larvenentwicklung dieser Wärme liebenden, südlich verbreiteten Art erfolgt in den Stängeln des Feld-Bei fußes. Käfer 163 vorwiegend Blatthornkäfer, aber auch glänzende Stutzkäfer mit großen, vorge- Schwimmkäfer, unter denen mehrere Arten streckten Oberkiefern. ausschließlich im frischen Rinderkot leben. Blütenbesucher und Blattfresser Ein typischer, bei uns aber bereits sehr selten gewordener Weidefolger von Schafen und So vielfältig und bunt wie die Blütenfülle der (auch Wildkaninchen) ist der Pillenwälzer, Trockenrasen ist auch jene der Blütenbesu- Sisyphus schaefferi, dessen Körper selbst cher, die sich hier als Nektartrinker, Pollen- einem Ziegen„pemmerl“ ähnelt. Seine langen sammler, Blattfresser oder Räuber einfinden. und gekrümmten Hinterbeine sind genau an Besonders artenreich ist die Familie der die Größe und Form dieser runden Kotkugeln Blattkäfer vertreten. Zu ihnen gehört etwa angepasst, die zu einer „Brutpille“ geformt die Gattung Cryptocephalus, die Fallkäfer, die und im Rückwärtsgang zu einer zuvor gegra- mit rund 65 bunt gefärbten Arten bei uns benen Erdhöhle gerollt werden. Nach Bele- vorkommen. Bei Störung lassen sie sich auf gung mit einem Ei dienen sie als Futterdepot den Boden fallen und stellen sich tot. Die Lar- für die Larve. Ganz ähnlich vollzieht sich auch ven leben in einer aus Eischalen, Kot und die Brutfürsorge durch die im Mittelmeerge- Erde gefertigten und laufend vergrößerten biet und in südlicheren Regionen beheimate- festen Schutzhülle auf dem Boden und ernäh- ten Pillendreher der Gattung Scarabaeus. ren sich von Pflanzenabfällen. Bei an deren Auch der Pillenwälzer ist Wärme liebend und Arten, wie dem Gemeinen Langbein käfer, wei- besonders im östlichen Mittelmeergebiet weit sen die Männchen sehr stark verlängerte Vor- verbreitet. Bei uns findet man ihn – entspre- derbeine auf, um bei der Paarung auf dem chende Weidetiere vorausgesetzt – nur im Weibchen besser Halt zu finden. pannonischen Klimaraum und auf lokalen Wärmeinseln (Eichkogel bei Mödling, Manche Arten verbringen ihren gesamten Wachau). Lebenszyklus auf einer einzigen Pflanzenart, wie etwa der strahlend blaue Blattkäfer Selten geworden sind manche der großen, asclepiadeus, der keinen deut- grünschwarz metallisch gefärbten Mistkäfer, schen Namen hat. Die Art stammt aus dem Geotrupes, welche ebenfalls eine intensive Mittelmeergebiet und findet sich bei uns nur Brutpflege für ihre Nachkommenschaft aus- auf Wärmeinseln des pannonischen Klima- üben, wie auch der früher häufige Mondhorn- raumes, wo sie die giftige Schwalbenwurz oft käfer, Copris lunaris, bei dem die Männchen in größerer Zahl besiedelt. auf der Stirn ein großes, gekrümmtes Horn tragen. Im Seewinkel des Burgenlandes Einige Pflanzen, wie etwa Disteln, bieten Le- kommt er zwar lokal noch häufiger vor, den- bensraum für viele unterschiedliche Bewoh- noch zählt er zu den existenzbedrohten ner: An den Stängeln und Blättern leben Arten. einige Arten des Schildkäfers, Cassida, schei- benförmig flache Vertreter der Blattkäfer. Die Räuberische Käfer fehlen in keiner Lebensge- Larven entwickeln sich ebenfalls auf den meinschaft. Vor allem am Kuhdung findet Pflanzen und tarnen ihre Oberseite mit Kot man längliche, schmale und rasch bewegli- und ihren alten Larvenhäuten. Auf Disteln che Raubkäfer, oft mit golden oder silbern findet man regelmäßig auch verschiedene schimmernden Haarflecken entlang dem Arten des schlanken Distelbockes, Agapan - Hinter leib, sowie rundliche, lackschwarz thia, mit typisch hell-dunkel geringelten

164 Käfer Ungarischer Rosen - käfer (Protaecia unga- rica): In Ostösterreich nur lokal anzutreffen

Wespenbock Plagiono- tus floralis: Er ist auf den Blüten unterschied- licher Kräuter der Tro-

Heinz Wiesbauer (2x) ckenrasen anzutreffen.

Käfer 165 Der Blattkäfer Lach- naia sexpunctata ist der einzige mitteleuro- päische Vertreter der im Mittelmeerraum verbrei teten Gattung.

wirksamen Giftstoff Cantharidin, welcher frü- her tatsächlich als Gift angewendet wurde sowie als Aphrodisiakum und Bestandteil von Zug pflastern diente.

Dieser kurze Abriss zur Käferfauna kann natürlich nicht annähernd ihre Artenvielfalt auf Trockenrasen vorstellen. Er zeigt aber doch, wie wichtig Xerothermstandorte für

Heinz Wiesbauer die Erhaltung der Biodiversität einer reichen Insektenwelt sind und welche Bedeutung sie langen Fühlern, sowie von gelbgrün be- als Rückzugsflächen vieler, in ihrer Existenz schuppten Rüsselkäfern, wie die Distelrüssler gefährdeter Arten haben. Larinus und Lixus. Die Larven aller Letztge- nannten leben in den Stängeln und Wurzeln. Es sei hier noch angemerkt, dass sich in Dis- Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Waitzbauer teln auch verschiedene Arten von Fruchtflie- Universität Wien gen entwickeln, jede in einem anderen Be- Institut für Ökologie und Naturschutz reich des Blütenbodens. Abteilung für terrestrische Ökologie und Bodenzoologie Nicht zuletzt sollten auch die unterschied - Althanstraße 14 lichen Arten von Rosenkäfern genannt 1090 Wien werden, welche typische und häufige Blüten- besucher auf den Dornsträuchern verbu- schender Trockenrasen, wie Heckenrose und Weißdorn, darstellen. Im Osten Österreichs sind neben dem Gemeinen Rosenkäfer, Ceto- nia aurata, auch der Ungarische Rosenkäfer, Protaecia ungarica, eine östlich verbreitete Steppenart, sowie die beiden kleinen Rosen- käfer-Arten der Gattungen Tropinota und Oxy- thyrea vor allem auf Weißdorn anzutreffen.

Goldgrün glänzt auch die Spanische Fliege, Lytta vesicatoria, ein flugfähiger Ölkäfer und eigentlich eine Art des Mittelmeergebietes, welche aber immer wieder bis nach Mittel - europa vordringt und in Ostösterreich in manchen Jahren auf Eschen und Hartriegel durchaus individuenreich zu finden ist. Die Käfer fressen Blätter, die Larven verbringen ihre mehrjährige, komplizierte Entwicklung als Parasiten in den Nestern von Wildbienen. Wie der Maiwurm, Meloe violaceus, enthält auch das Blut der Spanischen Fliege den

166 Käfer Die Leinbiene (Hoplitis linophila) bei der Paa- rung: Nur 3 Standorte sind von dieser Art in

Heinz Wiesbauer Österreich bekannt.

4.13 Wildbienen (Apidae) die größte Artenvielfalt in den Trockenrasen- pannonischer Trockenrasen gebieten der östlichen Landesteile, im Pan- nonikum, anzutreffen ist. Außerdem findet sich in diesen Landschaften die größte Blü- Herbert Zettel und Heinz Wiesbauer tenvielfalt.

Nur wenigen Menschen ist bekannt, dass es Bienen haben die ungewöhnliche Eigen- in Österreich neben der Honigbiene (Apis schaft, dass sie ihre Larven mit Pollen und mellifera), die heute fast ausschließlich Nutz- Blütennektar versorgen, und so ist die Evolu- tier ist, mit fast 700 Arten eine schier un- tion der Bienen eng mit jener der bedecktsa- glaubliche Diversität an Wildbienen gibt: migen Pflanzen (Angiospermae) verbunden. Masken- und Seidenbienen, Sand- und Fur- Die Biene nutzt die Blütenprodukte und die chenbienen, Blattschneider- und Mauerbie- Pflanze bedient sich der Biene als Bestäuber nen, Pelz- und Wespenbienen und schließlich – sie leben in Symbiose. Seit über 100 Millio- die Hummeln, um nur wenige größere Gat- nen Jahren, also schon ab der Kreidezeit, tungen zu nennen. Weil die meisten Bienen- haben Bienen und manche angiosperme arten Wärme und Trockenheit lieben, ist es Pflanzengruppen eine teils eng verknüpfte nicht verwunderlich, dass in unserer Heimat Koevolution durchlaufen: Die Nahrungsan-

Wildbienen 167 Hosenbiene Dasypoda argentata: Zum Pollen- sammeln hat das Weib- chen stark entwickelte Haarbürsten am hinte- ren Beinpaar. Diese sprüche der Bienenlarven sind immer spezia- hoch spezialisierte Art nutzt ausschließlich lisierter und die Sammel- und Mundwerk- Kardengewächse wie zeuge der Biene sowie die Blütenteile der die Gelbe Skabiose. Pflanze immer angepasster geworden, so- dass heute in manchen Fällen eine Bienenart nur mehr eine einzige Pflanzenart nutzen kann oder das Fortbestehen einer Pflanzenart von der Bestäubung durch eine einzige Bie- nenspezies abhängt.

So wie viele Bienenarten auf ein bestimmtes Nahrungsangebot angewiesen sind, sind es Harzbiene Anthidium andere auf ausgewählte Nistplätze. Die aller- septemdentatum: meisten Wildbienen – Ausnahmen bilden vor Diese seltene Art kommt in reich struk - allem die Hummeln – sind Solitärbienen. Das turierten Trockenrasen heißt, es gibt keinen Bienenstaat, sondern vor und brütet in leeren jedes Weibchen baut und versorgt sein Nest Schnecken schalen. allein. Als Nistplatz kommt vieles in Frage: Die meisten Arten graben Nester in den Boden, wobei offene oder dünn bewachsene und daher sonnenbeschienene Stellen bevor- zugt werden. Andere nutzen alte Bohrgänge von Käferlarven im Totholz oder beißen Gänge in dicke, markhaltige Stängel. Man- chen dient eine leere Schneckenschale als Nest oder ein Loch in altem Gemäuer, und Mörtelbiene Chalico- wieder andere mauern das Ihre aus Erde, doma parietina: Die Weibchen transportie- Baumharz oder Pflanzenmörtel. Auch gibt es ren den Blütenpollen zahlreiche „Kuckucksbienen“, die ihre Eier mit einer dichten Haar- parasitisch in Nester anderer Bienenarten bürste auf der Unter- legen, ohne je selbst ein Nest bauen oder seite des Hinterleibes. Futter herbeischaffen zu müssen.

Durchwandert man die Trockenrasen Nieder- österreichs mit offenen Augen, kann man zahlreiche Wildbienen beim Blütenbesuch oder Nestbau beobachten, die es anderswo in unserem Land nicht oder sehr selten gibt. Die besten Jahreszeiten dafür sind das Früh- jahr und der Hochsommer, aber selbst im Steinbiene Lithurgus chrysurus: Anders als Herbst gibt es noch Besonderheiten zu ent- dies der Name vermu- decken. Die ersten Bienen, hauptsächlich ten lässt, werden die Sandbienen (Gattung Andrena), fliegen Nester in morschem schon ab Mitte März. Die neue Generation Holz angelegt. Das Bild zeigt ein Männchen. kommt an den ersten wärmeren Sonnenta-

168 Wildbienen Mauerbiene Osmia cor- gen aus den Erdnestern. Zuerst erscheinen nuta: Diese Art fliegt auch bei niedrigeren die Männchen, die an den Nistplätzen begie- Temperaturen und rig auf das Schlüpfen der Weibchen warten, trägt zur Bestäubung um sich zu verpaaren. Die meisten dieser der Obstgehölze bei. Frühlingsbienen haben nur ein kurzes Er- wachsenenleben. Die Männchen sterben bald nach der Verpaarung, die Weibchen, nach- dem sie mehrere Nester für die Nachkom- men angelegt und versorgt haben. Nur bei wenigen Sandbienen-Arten entwickelt sich eine zweite Generation, die im Sommer fliegt; die Mehrzahl der Arten tritt nur einmal im Jahr und kurzfristig auf. Sandbiene Andrena tscheki: Das Weib- Ein weiterer Frühflieger ist die Gehörnte chen sammelt bei Mauerbiene, Osmia cornuta. Sie nistet in uns fast ausschließ- allen möglichen vorhandenen Hohlräumen – lich den Pollen des zum Beispiel in Holzlöchern, in altem Ge- Bergsteinkrauts. mäuer oder in Lösswänden –, die sie mit Erdmaterial in die richtige Form bringt. In- folge ihrer Nistweise hat sie sich an ein Leben in Dörfern und Städten angepasst, ist aber in natürlichen Lebensräumen eher sel- ten. Beim Blütenbesuch ist Osmia cornuta nicht wählerisch, auf Trockenrasen besucht sie aber gerne die Schmalblüten-Traubenhya- Sandbiene Andrena zinthe (Muscari tenuiflorum) oder auch rand- mocsaryi: Im April und Mai kann man in den ständige Sträucher und Bäume wie Kreuz- Hainburger Bergen dorn (Rhamnus), Weißdorn (Crataegus) oder diese seltene Bienen - Wildobstgehölze. Art auf den Blüten des Schopf-Milchsterns beobachten. Ab April kann man in den Hainburger Bergen Andrena saxonica und die sehr seltene An- drena mocsaryi auf den Blüten des Schopf- Milchsterns (Ornithogalum pannonicum) be- obachten, oder gar Andrena tscheki am Berg-Steinkraut (Alyssum montanum) oder die kleine Andrena potentillae, die auf dem Sand-Fingerkraut (Potentilla arenaria) und nahe verwandten Arten sammelt. Fingerkraut-Sandbiene Das späte Frühjahr ist unter anderem die (Andrena potentillae): Hauptflugzeit mancher Mauerbienen: Hoplitis Das Weibchen sammelt mitis sammelt auf Glockenblumen (Campa- nur auf dem Sand- Fingerkraut und nahe nula spp.), Osmia cerinthidis ausschließlich

Heinz Wiesbauer (8x) verwandten Arten.

Wildbienen 169 Leinbiene (Hoplitis linophila): Das Weib- chen kleidet das Nest mit den Blütenblättern des Gelben Lein aus (links).

Mohnbiene (Hoplitis papaveris): Die Mohn- biene verwendet Mohn, Kornblumen und verschiedene Leinarten als Tapete (rechts).

auf Wachsblumen (Cerinthe spp.), Osmia an- drenoides legt ihre Nester in den Schalen der Großen Vielfraßschnecke (Zebrina dedrita) an, und Osmia mustelina mauert das Ihre in Felsritzen. Auffällig sind jene Bodennester, die mit bunten Blütenblättern tapeziert wer- den. Das Leinbienchen (Hoplitis linophila) be- zieht die gelbe Tapete vom Gelb-Lein (Linum Glockenblumen- flavum), beim Mohnbienchen (Hoplitis papa- Mauerbiene (Hoplitis mitis): Diese seltene veris) kann sie von unterschiedlicher Farbe Art sucht den Pollen sein: Rot vom Klatschmohn (Papaver aus schließlich auf rhoeas), Gelb vom Sonnenröschen (Helian- Glocken blumen. themum spp.) oder Blau von der Kornblume (Centaurea cyanus) oder vom Österreichi- schen Lein (Linum austriacum). Die Mörtel- biene (Megachile parietina) mauert ihr Nest frei an Felsstrukturen, kleine Blattstücke als Baumaterial verwendet die Blattschneider- biene Megachile flabellipes, und – nur an einem einzigen sonnenexponierten Hang am Felsen-Mauerbiene Schlossberg bei Hainburg und sonst an (Osmia mustelina): keiner anderen Stelle in ganz Österreich – Das Nest mit mehre- ren Brutzellen besteht fliegt auch deren „Kuckuck“, die Kegelbiene aus grünem Pflanzen- Coelioxys haemorrhoa. mörtel, der mit dem Hinterleib in Form Wenn auf den Trockenrasen im Frühsommer gebracht wird. der Alant (Inula spp.) blüht, findet man in den großen Körbchenblüten zuweilen die Langhornbiene Tetralonia fulvescens. Lang- hornbienen (Gattungen Eucera und Tetralo- nia) haben ihren Namen von den stark ver- längerten Fühlern der Männchen; die Weibchen hingegen haben Fühler normaler Länge. Die Arten der Gattung Tetralonia sind stark auf bestimmte Futterpflanzen spezialisiert: Tetralonia fulvescens und T. inulae auf Alant, T. dentata auf Flockenblu- Mauerbiene Hoplitis men (Centaurea spp.) und Disteln (Carduus andrenoides: Diese spp., Onopordium spp.), T. macroglossa auf Art nistet in leeren verschiedene Malvengewächse (Malvaceae) Schneckenschalen. Heinz Wiesbauer

170 Wildbienen Die Blattschneider- biene Megachile flabellipes verwendet kleine Blattstücke als Baumaterial für das Nest. Das Bild zeigt ein Männchen dieser Art (links). Die Kegelbiene Coe- lioxys haemorrhoa ist Ku ckucksbiene dieser Blattschneiderbiene. (rechts). und T. salicarae auf Weiderich (Lythrum spp.).

Im Hochsommer, wenn der Gelb-Lauch (Al- lium flavum) an den Trockenhängen in Blüte steht, kann man an manchen Stellen in Nie- derösterreich eine weitere besondere Rarität beim Sammeln von Nektar und Pollen beob- achten: die Lauch-Seidenbiene (Colletes Langhornbiene Eucera chrysopyga: Der deut- graeffei). Diese südosteuropäisch verbreitete sche Name leitet sich Art, ursprünglich aus Slowenien beschrieben, von den verlängerten hat in Niederösterreich bedeutende Bestände Fühlern der Männchen und erreicht am Gollitsch bei Retz eines ihrer ab. nördlichsten Vorkommen. Gemeinsam mit ihr fliegt ein anderer Nahrungsspezialist, die Lauch-Maskenbiene (Hylaeus punctulatissi- mus), die allerdings vergleichsweise weit verbreitet und häufig ist.

Wenn sich der Sommer dem Ende zu neigt, werden Blüten und Bienen weniger. Und doch sind einige Arten nur zu dieser Jahreszeit zu Lauch-Seidenbiene finden, etwa die Sägehornbiene Melitta tri- (Colletes graeffei): cincta auf den Blüten des Gelb-Zahntrostes Diese Art ist hoch - (Odontites luteus) und die Seidenbiene Col- spezialisiert. Sie nutzt letes succinctus sowie die Sandbiene An- bei uns ausschließlich den Gelb-Lauch. drena fuscipes auf der Besenheide (Calluna vulgaris). Die spätesten Seidenbienen – wie Colletes collaris und Colletes brevigena – fliegen noch im Oktober. Dann ist das „Wildbienenjahr“ endgültig zu Ende. In den Nestern im Boden, im Holz, in Stängeln oder Schneckenschalen verborgen warten jedoch die neuen Generationen auf das Frühjahr. Filzbiene Epeolus cru- ciger: Diese Kuckucks- biene nutzt den Gelb- Dr. Herbert Zettel, Lauch manchmal als Thaliastraße 61/14-16, 1160 Wien Schlafplatz. Sie sam- Dipl.-Ing. Heinz Wiesbauer melt keinen Pollen, denn sie ist Parasit der Kaunitzgasse 33/14, 1060 Wien

Heinz Wiesbauer (10x) Lauch-Seidenbiene.

Wildbienen 171 Kreiselwespe Bembix tarsata: Diese Grabwes- 4.14 Wespen pannonischer Trocken- penart betreibt Brut- rasen (Mutillidae, Chrysididae, Pom- pflege und trägt Fliegen als Larvenproviant ein. pilidae, Sphecidae, Crabronidae)

Herbert Zettel und Heinz Wiesbauer

Als Wespen werden all jene Hautflügler (Hymenoptera) bezeichnet, welche nicht zu den Bienen oder Ameisen gehören. Land - läufig meint man mit Wespen die Staaten bildenden Faltenwespen aus der Familie Vespidae. Hier werden aber einige andere Grabwespe Pryonix Gruppen behandelt, welche ebenfalls zu den kirbii: Diese Wärme liebende Wespe trägt Stechimmen (Aculeata) gehören, bei denen Heuschrecken als also die Weibchen mit einem Stachel be- Nahrungsproviant für wehrt sind. ihre Nachkommen ein. Besonders soll auf die Grabwespen (Spheci- dae und Crabronidae) eingegangen werden, nahe Verwandte der Bienen (Apidae), die aber ihre Brut nicht mit einem Nektar-Pollen- Gemisch versorgen, sondern mit Insekten (ganz selten mit Spinnen). Das Weibchen be- Heuschreckensand- reitet ein Nest vor. Dann jagt und fängt es wespe (Sphex funera- die Beute, lähmt sie durch einen Stich mit rius): Noch vor einigen dem Giftstachel und schafft sie ins Nest, wo Jahren war diese Art sehr selten. Durch die es das Opfer mit einem Ei belegt. Dabei sind warmen Sommer der die Nahrungsansprüche der Larven oft recht vergangenen Jahre hat spezifisch: Heuschrecken, Wanzen, Zikaden, ihr Bestand aber Schmetterlingsraupen, Bienen, Ameisen, zugenommen. Fliegen oder Käfer können die Opfer sein, die von der Brut bei lebendigem Leibe verzehrt werden. Das Weibchen gräbt das Nest ent- weder in den Boden, legt es in hohlen Stän- geln oder in Fraßgängen im Totholz an oder mörtelt es aus feuchter Erde.

Unter dem Begriff „Grabwespen“ fasst man Mauerspinnentöter eine große Gruppe sehr unterschiedlich aus- (Sceliphron destilla - torium): Die Gattung sehender Hautflügler zusammen. Viele der stellt unter den Grab- ca. 300 in Österreich vorkommenden Arten wespen eine Aus- lieben Trockenheit und Wärme, und auf Nie- nahme dar, weil sie derösterreichs Trockenrasen sind sogar ei- nicht Insekten, sondern Spinnen jagt. nige ganz besondere, sehr seltene Arten zu

172 Wespen finden. Zum Beispiel die große Kreiselwespe Grabwespe Tachytes Bembix tarsata: Sie war früher in den östli- panzeri: Ein Weibchen chen Landesteilen weiter verbreitet, durch trinkt Nektar auf den Verlust geeigneter Lebensräume kommt Thymian. sie aber heute nur mehr an ganz wenigen Stellen und dort nur in kleiner Zahl vor, etwa am Gollitsch bei Retz. Beutetiere der Kreisel- wespen sind große Fliegen, das Nest wird in den sandigen Boden gegraben. Zum Graben benutzt das Weibchen die Kiefer und die mit langen Dornenkämmen versehenen Vorder- füße.

Tachytes panzeri ist eine weitere Grabwespe Gemeine Sandwespe sandiger Trockenrasen, die in ihrem Bestand (Ammophila sabulosa): stark rückläufig ist. Diese Wespe kann man Diese Grabwespe ist im Sommer am ehesten beim Nektarsaugen weit verbreitet und an Blüten beobachten, zum Beispiel auf Thy- wenig anspruchsvoll. mian-Arten (Thymus spp.) oder am Feld- mannstreu (Eryngium campestre). Ihre Beu- tetiere sind Heuschrecken der Gattungen Stenobothrus und Oedipoda (Familie Acridi- dae). Nestbau und Beutejagd des Tachytes- Weibchens können nur selten beobachtet „Königs-Bienenwolf“ werden, da diese Grabwespe dafür höher- (Philanthus coronatus): wüchsige Rasenflächen bevorzugt. Diese Art ist eine Be- sonderheit des Hunds- heimer Berges. Man Gelegentlich sieht man Sandwespen (Gat- kann sie vom Gemeinen tung Ammophila) beim Jagen und Transpor- Bienenwolf an der tieren von Schmetterlingsraupen. Eine häu- Kopfzeichnung und den fige Art auf offenen Bodenstellen, nicht nur weißen Flecken unter- scheiden. in den wärmebegünstigten Landesteilen, ist Ammophila sabulosa. An den Rändern man- cher Trockenrasen, etwa am Bisamberg bei Wien oder am Eichkogel bei Mödling, findet man sogar noch die seltene Ungarische Sandwespe (Ammophila hungarica). Die erstgenannte Art erbeutet Eulenraupen, Letztere Tagfalterraupen.

Gemeiner Bienenwolf Der „Königs-Bienenwolf“ (Philanthus corona- (Philanthus triangu- tus) galt als bereits in Österreich ausgestor- lum): Das Weibchen ben. 2007 ist die Art jedoch auf einem ist ein gefürchteter Trockenhang des Hundsheimer Berges bei Honigbienen jäger. Das Nest legt es im Hainburg wiederentdeckt worden. Im Gegen-

Heinz Wiesbauer (8x) lockeren Boden an.

Wespen 173 Grabwespe Gorytes planifrons: Diese Art satz zum Gemeinen Bienenwolf (Philanthus wurde in Nieder- österreich bislang triangulum), der Honigbienen (Apis mellifera) nur in Pfaffstätten nachstellt, erbeutet Philanthus coronatus nachgewiesen. große Wildbienen der Gattungen Halictus und Andrena.

Ein weiteres Beispiel für die Vielfalt der Grab- wespen sind die verschiedenen Gattungen der Nyssoninae, kleine, bunt gefärbte Wes- pen, deren Larven sich in der Mehrzahl von Kleinzikaden ernähren. Seltene, jedoch recht typische Vertreter auf Trockenrasen sind etwa Gorytes planifrons, Gorytes sulcifrons, Grabwespe Nysson Gorytes nigrifacies oder Harpactus laevis. maculosus: Die kleine Art parasitiert in den Das einzige bekannte Vorkommen von Gory- Nestern von tes planifrons in Niederösterreich liegt am Harpactus- und Glaslauterriegel bei Pfaffstätten; das Weib- Gorytes-Arten. chen dieser Art jagt die Käferzikade Issus coleoptratus. Gorytes sulcifrons, der sandi- gen Boden braucht, trägt die Schaumzikade Philaenus spumarius in sein Nest ein. Gorytes nigrifacies hat ein bedeutendes Vor- kommen am Bisamberg bei Wien. Unter den Nyssoninae gibt es aber auch Brutparasiten: Die Arten der Gattung Nysson legen ihre Eier in Nester von Harpactus-, Gorytes-, Argo - gorytes- oder Hoplisoides-Arten. Wegwespe Eoferreola rhombica: Das Weib- chen dieser seltenen Die Wegwespen (Pompilidae) leben ähnlich Art versorgt ihre den Grabwespen, tragen aber immer ge- Nachkommen mit der lähmte Spinnen als Nahrung für die Brut ein. Roten Röhrenspinne. Nur wenige Arten sind Trockenrasenspeziali- sten. Hier sind manche Arten der Gattungen Priocnemis und Cryptocheilus zu erwähnen, besonders aber die auffällig gefärbte Art Eo- ferreola rhombica, welche die Röhrenspinne Eresus cinnaberinus jagt und daher nur dort zu finden ist, wo auch diese Spinne noch vor- Wegwespe Bato- kommt. Auf wärmebegünstigte Lebensräume zonellus lacerticida: angewiesen ist auch der große „Eidechsentö- Diese auch als „Eidechsentöter“ ter“, Batozonellus lacerticida. Trotz seines ir- bezeichnete große reführenden Namens jagt auch er Spinnen, Wespe trägt vor vor allem Kreuzspinnen (Araneus spp.) und allem Kreuz- und Zebraspinnen (Argiope bruennichi), welche Wespenspinnen als Larvenproviant ein. zu den Radnetzspinnen (Araneidae) zählen.

174 Wespen Goldwespe Parnopes Daher ist er sowohl auf ungemähte Rasen grandior: Diese seltene, große Art oder auf Saumgesellschaften angewiesen, wo schmuggelt ihre Eier diese Spinnentiere ihre Netze errichten, als in die Nester von auch auf offene Bodenstellen für den Nest- Kreiselwespen. bau.

Auffällig für jeden naturkundlich Interessier- ten ist auch die Vielfalt metallisch bunter Goldwespen, die auf Trockenrasen den Nek- tar der Doldenblüten schlürfen oder aufge- regt über offenen Bodenstellen herumflitzen. Alle Goldwespen sind Nestparasiten und legen ihre Eier in die Nester von Bienen, Grabwespen oder solitären Faltenwespen, Goldwespe Hedychrum wobei die Wirtsspezifität unterschiedlich aus- rutilans: Diese Spezies geprägt ist. Die gedrungenen Formen gehö- ist ein Nestparasit ren meistens zu den Gattungen Hedychrum des Gemeinen oder Hedychridium, die schlanken Arten Bienenwolfs. meist zu Chrysis oder Chrysura. Hedychrum rutilans ist ein bekannter Nestparasit des Gemeinen Bienenwolfes (Philanthus triangu- lum), die Larve ernährt sich daher von Honigbienen. Geradezu Charakterarten der pannonischen Trockenrasen Niederöster- reichs sind Chrysura dichroa und Chrysura cuprea. Beide parasitieren bei Mauerbienen (Osmia spp.), welche in leeren Schnecken- schalen nisten. Sehr selten ist hingegen die Goldwespe Chrysura relativ große Art Parnopes grandior, ein cuprea: Diese Wespe obligater Parasit der Kreiselwespen. ist sehr typisch für die Trockenstandorte in Niederösterreich. Mutillidae werden auf Deutsch Spinnenamei- sen, Bienenameisen oder Ameisenwespen genannt. Alle diese Namen beziehen sich auf den Umstand, dass die Weibchen flügellos sind und daher Ameisen ähnlich sehen. Spin- nenameisen entwickeln sich ebenso wie Goldwespen parasitisch in Nestern von Bie- nen, Grabwespen oder Faltenwespen. Man sieht die Weibchen manchmal auf Wegen und anderen offenen Bodenstellen laufen. Ihre Goldwespe Chrysis viri- charakteristische rot-schwarz-weiße Zeich- dula: Aufgrund ihrer nung soll abschrecken und vor ihrer Wehr- Farbenpracht wurden haftigkeit durch schmerzhaften Stich warnen. Goldwespen auch schon als „fliegende Der große Kopf mit den kräftigen Kiefern

Heinz Wiesbauer (8x) Edelsteine“ bezeichnet.

Wespen 175 wird zum Aufgraben der Erdnester der Wirte verwendet. Mutilliden-Männchen sieht man seltener; sie sind fast immer geflügelt, haben einen kleinen Kopf und sehen wie „richtige Wespen“ aus.

In den Trocken- und Halbtrockenrasen des pannonischen Raums finden viele Wespenar- ten noch günstige Lebensraumbedingungen vor, die sie in der intensiv genutzten Kultur- landschaft längst verloren haben. Die klein- Spinnenameise Dasylabris maura: klimatisch begünstigen Magerstandorte bie- Die Männchen der ten insbesondere Wärme liebenden Spezies Spinnenameisen wertvollen Lebensraum. Viele mediterrane sind meist geflügelt. und pannonische Arten erreichen in Nieder- österreich ihre nördliche Ausbreitungsgrenze. Um das Fortbestehen dieser oft bereits ge- fährdeten Insekten in unserem Land zu si- chern, tragen wir eine große Verantwortung. Ziel muss es sein, die Trockenrasen entspre- chend zu pflegen und neue Trittsteinbiotope zu schaffen.

Dr. Herbert Zettel Spinnenameise Dasylabris maura: Thaliastraße 61/14-16 Mutilliden entwickeln 1160 Wien sich parasitisch in den Nestern von Bienen Dipl.-Ing. Heinz Wiesbauer und Wespen. Die Weibchen sind immer Kaunitzgasse 33/14 ungeflügelt. 1060 Wien

Feldwespe (Polistes dominulus): Im Gegensatz zu den hier vorgestellten Wespen sind Feldwespen staatenbildend. Das Bild zeigt eine Jung - königin bei der

Nestgründung. Heinz Wiesbauer (3x)

176 Wespen Eine Lasius (Dendrolasius) fuliginosus-Arbeiterin betreut Blattläuse – die Ameisen schützen die Pflanzensaftsauger vor Fressfeinden und Ver - pilzung und erhalten im Gegenzug Honigtau. 4.15 Ökologische Giganten, Spezia listen und Informanten: die Ameisen der Trockenrasen Niederösterreichs

Florian M. Steiner und Birgit C. Schlick-Steiner

Wer sich in Österreich mit Ameisen beschäf- tigt, kommt an den Trockenrasen, etwa der Hainburger Berge, der Wachau und der Ther- menregion nicht vorbei. Die Gebiete sind weit über unsere Grenzen hinaus bekannt, bei Hobbyforschern und Profis gleicher - maßen. Verwunderlich ist das nicht, bedenkt man, wie viele und welche Arten die Trocken- rasen bewohnen. Ameisenkundliche Beson-

derheiten wie die paradoxe Friedfertigkeit & Florian M. Steiner Birgit C. Schlick-Steiner von Lasius austriacus, die Raubzüge von Polyergus rufescens und die Pilzzucht von zur Bodenbildung bei. Sie durchlüften und Chthonolasius werden hier geboten. mischen den Boden – mancherorts effektiver als Regenwürmer –, sie steigern seine Was- Ameisen sind hochsoziale Insekten mit serspeicherkapazität und gestalten das Mi- mehrjährigen Kolonien. Diese bestehen aus krorelief. Ameisen haben wesentlichen Anteil einer oder mehreren eierlegenden Königin- an der Gesamtbiomasse und am Energie- nen und vielen sterilen Arbeiterinnen. Im haushalt. Sie besetzen zentrale Knoten- Normalfall werden einmal jährlich geflügelte punkte in den Nahrungsnetzen, regulieren Männchen und Königinnen erzeugt. Kopuliert die Populationen ihrer Beutetiere und beein- wird bei einem Hochzeitsflug, der auch der flussen Nährstoffkreisläufe. Die Samen zahl- Ausbreitung dient, und danach gründen die reicher Pflanzenarten werden von ihnen ver- Jungköniginnen neue Kolonien. Doch die breitet. In Anpassung daran haben die Liste der Ausnahmen ist lang. Herausragend meisten von Ameisen verbreiteten Pflanzen sind die Sozialparasiten, die zumindest zeit- nahrhafte Samenanhängsel entwickelt und weise (z. B. Dendrolasius), manchmal aber so die Bindung an die Ameisen verstärkt. dauerhaft (z. B. Polyergus) Ameisen einer Auch unter den Arten der Steppen und anderen Art für Gründung und Erhalt ihrer Trockensäume gibt es etliche Beispiele. Am Kolonie brauchen. bekanntesten ist wohl das Frühlings-Adonis- röschen (Adonis vernalis), ein seltener Ver- Ameisen sind wandelnde Chemiefabriken, sie treter ist das stark gefährdete Steppen-Stief- produzieren in einer Vielzahl von Drüsen mütterchen (Viola kitaibeliana). Schließlich spezielle Boten-, Abwehr- und Kampfstoffe. unterhalten Ameisen auch Beziehungen zu Vor allem aber sind sie trotz ihrer kleinen vielen anderen Tieren, beispielsweise zu Statur Giganten im Ökosystem. Sie bereiten Pflanzensaftsaugern, davon wird im Folgen- biologische Abbauprozesse vor und tragen den noch öfter die Rede sein.

Ameisen 177 Eine Arbeiterin von Lasius austriacus – in Nieder- österreich vom Aussterben bedroht – trägt eine Puppe (oben).

Die Wolllaus Eurypersia europaea lebt in Nestern von Lasius austriacus (Mitte). Weltweit sind über 12.000 Arten der Familie der Ameisen (Formicidae) beschrieben. Aus Mitteleuropa kennt man rund 170 frei le- bende Arten und einige vom Menschen ver- schleppte, die sich bei uns nur in beheizten Gebäuden halten. In Österreich sind 127 frei lebende Arten aus 29 Gattungen und 4 Un- terfamilien nachgewiesen, in Niederöster- reich 110 Arten. Drei davon wurden erst vor kurzem entdeckt, eine bisher gelistete verlor ihren Artstatus.

Fokussieren wir auf die Hainburger Berge. Eine Zusammenschau fehlt, denn neben den aktuellen Daten gibt es in Museen, Universi- tätsinstituten und Privatsammlungen unbe- stimmte Belegstücke aus über 100 Jahren. Schon jetzt können wir sagen, dass in den Hainburger Bergen mindestens die Hälfte aller niederösterreichischen Arten lebt. 50 % der Ameisendiversität auf 1 ‰ der Landesfläche! Dabei ist das eine zurückhaltende Schätzung, bei der Aufarbeitung der Sammlungsbestände und bei gezielter Nachsuche im Gelände könnte sich die Artenliste noch verlängern. Diese Vielfalt ist nicht gleichmäßig verteilt. Es gibt besonders heiße Stellen innerhalb des Hotspots Hainburger Berge, und das auch im wörtlichen Sinn. Es sind nämlich die heiß- trockenen, baumfreien und felsdurchsetzten Lebensräume, die die höchsten Artenzahlen aufweisen. Mit dem Wohl der Steppe steht und fällt das Wohl des einzigartigen Ameisen- Ensembles der Hainburger Berge.

Um zu den ameisenkundlichen Kostbarkeiten zu kommen, vergegenwärtigen wir uns zu- nächst, dass die Ameisenkolonie als „ge- schlossene Gesellschaft“ Schutz bietet und Vorräte hortet. Diese sind der eigenen Ver- wandtschaft zugedacht, nicht dem Clan von nebenan. Es gilt, möglichst viele Kopien der eigenen Gene ins evolutive Wettrennen zu schicken, der Nachbar ist dabei Konkurrent. Um jeden Preis muss verhindert werden, Birgit C. Schlick-Steiner & Florian M. Steiner (3x) Birgit C. Schlick-Steiner Eine Arbeiterin der „Amazonenameise“ Polyergus rufescens mit zwei „versklavten“ Formica fusca- Arbeiterinnen.

178 Ameisen dass die Kolonie von Nicht-Verwandten infil- Die Amazonenameise Polyergus rufescens triert und ausgenützt wird. Tatsächlich rea- führt uns eine gänzlich andere „soziale Inter- gieren Ameisen aggressiv auf Angehörige an- aktion“ vor Augen. Wir können es auf dem derer Kolonien ihrer Art. Der Preis von Gipfel des Hundsheimer Berges erleben, wenn aggressivem Verhalten ist jedoch hoch. Es ein sonniger Frühsommertag zu Ende geht. kommt zu Verlusten von Zeit und Energie, im Im Süden erkennen wir den Neusiedler See schlimmsten Fall zu Scharmützeln mit toten am Horizont, dann senkt sich der Blick auf Arbeiterinnen – so weit die Lehrmeinung. den Steppenrasen, und vor uns eilt eine oran- Lasius austriacus aber, erst 2003 wissen- gerote, zentimetergroße Ameise durchs Gras. schaftlich beschrieben und benannt, küm- Nein – es sind viele (und wir bücken uns): Sie mert die Lehrmeinung nicht. Die unterirdisch bilden eine Marschkolonne! Was geht hier lebende Ameise ist gegenüber Artgenossen vor? Wir sehen Amazonen, formiert zu einem friedlich, ob diese nun aus der eigenen oder Raubzug. Viel Menschliches wurde den „Skla- aus einer fremden Kolonie stammen. Fall- ventreiberameisen“ in die Schuhe geschoben. weise werden sogar Arbeiterinnen einer Die nüchternen Fakten zu diesen permanen- Nachbarkolonie harmonisch integriert – ein ten Sozialparasiten sind fesselnd genug. Rätsel, das vor kurzem eine überraschende Lösung fand. Die Tiere haben keineswegs Polyergus rufescens unternimmt die Raub- „verlernt“, zwischen eigen und fremd zu un- züge nur bei entsprechender Witterung, terscheiden (das können sie sehr wohl). Viel- wobei dann oft über 1.000 Arbeiterinnen in mehr basiert die Aufgabe der Aggression raschem Tempo bis zu 85 m zurücklegen. In quasi auf einer Kosten-Nutzen-Rechnung, den Stunden davor haben Scouts das Nest der hohe Verwandtschaftsgrad innerhalb der einer versklavbaren Formica-Art ausgekund- Kolonie bleibt erhalten. Es geht also doch schaftet. Ist das Ziel erreicht, wird sofort an- auch friedlich. gegriffen. Chemisch, mit einem sogenannten Propagandapheromon, wird Panik im Vermutlich sind es die ökologischen Rahmen- Formica-Nest ausgelöst, Kampfhandlungen bedingungen, die es L. austriacus ermögli- gibt es nur wenige. Setzen sich einzelne For- chen, auf Aggression zu verzichten. Die mica-Ameisen dennoch zur Wehr, werden sie Ameise züchtet in ihrem Nest Pflanzensaft mit einem Biss in die Kopfkapsel getötet. saugende Wurzelläuse und ernährt sich vom Jede Amazone schnappt sich eine Larve oder Honigtau, den die Läuse abgeben. Da die Puppe von Formica und tritt den Heimweg Nachbarkolonie, oft 10 m entfernt, ihre eige- an. Erstaunlich ist dabei die Orientierung: nen „Nutztiere“ hat, dürfte die Futterkonkur- Polyergus nutzt den Azimut der Sonne (also renz zwischen den Nachbarn gering sein. In den Winkel zwischen ihrer Route und dem dieser Situation zahlt sich feindseliges Ver- auf die Ebene projizierten momentanen halten offenbar nicht aus, die Kosten würden Stand der Sonne), polarisiertes Sonnenlicht den Nutzen der Aggression übersteigen. Und im UV-Bereich und selbstgelegte Duftspuren. da L. austriacus nur selten das Nest verlässt, Diese Mehrfachstrategie ermöglicht die si- bleibt der Austausch von Arbeiterinnen ge- chere Rückkehr, wenn eine der Orientie- ring und der Verwandtschaftsgrad innerhalb rungshilfen ausfällt. Im Nest wird das Raub- der Kolonien hoch. Lasius austriacus ist gut den aus älteren Raubzügen erwachsenen übrigens kein zahnloser Feigling – die oft viel Formica-Arbeiterinnen übergeben, die die größeren Ameisen anderer Arten werden ver- Aufzucht übernehmen. Ebenso müssen die bissen bekämpft. Amazonen selbst von den Sklaven gefüttert

Ameisen 179 Zwei Lasius (Chthonolasius) distin- Detailansicht (300-fache Vergröße- guendus-Arbeiterinnen beim sozialen rung) einer Nestwandoberfläche von Kontakt Chthonolasius mit Pilzhyphen

werden, denn ihre dolchartigen Kiefer sind lediglich für Kampf und Puppenraub geeig- net. Um ausreichend Formica-Arbeiterinnen im Nest zu haben, muss Polyergus immer wieder ausmarschieren, eine große Kolonie raubt bis zu 40.000 Sklaven pro Saison.

Das dritte Beispiel spannt den Bogen über ein Jahrhundert Myrmekologie bis zur Mole- kulargenetik. So lange weiß man nämlich schon, dass Pilze eine Rolle spielen, wenn Lasius-Ameisen der steppenbewohnenden Untergattung Chthonolasius ihre kuppelarti- gen Erdnester bauen. Chthonolasius-Arten verwenden den vielleicht ältesten Verbund- baustoff der Welt. Erst tränken sie loses Nestbaumaterial mit Honigtau von Pflanzen- saftsaugern. Pilzfäden, die dann die süßen Nestwände durchwachsen, verstärken die Standfestigkeit des Bauwerks nach dem Prin- zip des Stahlbetons.

Pilz und Ameise haben eine mutualistische Beziehung, eine Zusammenarbeit zweier Arten zu beiderseitigem Vorteil. Nun liegt es in unserer stark von Konkurrenz geprägten Welt keineswegs auf der Hand, dass zwei (oder mehr) Arten ihren „Egoismus“ auf - Nestwände eines geben und die Wechselbeziehungen in ein

Chthonolasius-Nests & Florian M. Steiner (3x) Birgit C. Schlick-Steiner

180 Ameisen Übergangsphase im Leben von Sozialparasiten: Die (gelben) Chthonola- Pilzhyphen einer Dendrolasius-Nest- sius-Arbeiterinnen waren die ursprünglichen Bewohnerinnen des Nests, wand (Quetschpräparat, Länge des haben jetzt aber keine Königin mehr und helfen den (schwarzen) Den- Balkens 100 µm) drolasius bei der Aufzucht der Dendrolasius-Brut. Erhard Christian & Florian M. Steiner Birgit C. Schlick-Steiner

Gleichgewicht bringen, das allen Beteiligten doch, Konkurrenz zwischen den Pilzarten dient. Folgt Mutualismus immer derselben würde das verhindern. Und zweitens teilen Regel? Was Insekten-Pilz-Mutualismus an- sich verschiedene Chthonolasius-Arten ein langt, konzentrierte sich die Wissenschaft auf und dieselbe Pilzart, die noch dazu mit keiner die tropischen Blattschneiderameisen, die der Pilzarten von Dendrolasius ident, jedoch Pilze als Nahrungsmittel züchten. Man verall- nah verwandt ist. gemeinerte, es liege eine hohe Spezifität vor, also jede Ameisenart habe einen einzigen, Zusätzliche Verwirrung? Nein, es zeichnen nur ihr eigenen Pilz, der seit Millionen Jahren sich einige Gemeinsamkeiten ab. Vertikale vertikal weitergegeben werde, also von Mut- Transmission ist wahrscheinlich der Mecha- terkönigin zu Tochterkönigin. Jüngst aber hat nismus der Weitergabe über die Generatio- sich herausgestellt, dass die Pilze der Blatt- nen hinweg – junge Königinnen beider schneider sehr wohl auch horizontal, also Untergattungen tragen kurz vor ihrem Hoch- zwischen bestehenden Kolonien, ausge- zeitsflug mutualistische Pilzsporen aus dem tauscht werden. Mit einem Schlag waren mütterlichen Nest in ihren Mundtaschen. Ver- manche Vorstellungen über die Evolution mutlich gründen sie mit diesen Sporen ihre dieses Mutualismus hinfällig. eigene Pilzzucht im neuen Nest. Bei Chtho- nolasius wird aber offenbar die vertikale ge- Da drängte es sich fast auf, die mitteleuro- legentlich von horizontaler Transmission päischen Pilzzüchter der Gattung Lasius überlagert, und zwar so häufig, dass sich die genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Pilze bei den verschiedenen Chthonolasius- morphologische und genetische Charakteri- Ameisen nicht zu unterschiedlichen Arten sierung von Pilzen bei Chthonolasius und differenzieren konnten. An Möglichkeiten für Dendrolasius, einer baumbewohnenden La- horizontale Transmission fehlt es bei Chtho- sius-Untergattung mit ähnlicher Nestwand- nolasius nicht. Gelegentlich gründen Königin- konstruktion, brachte mehrere Überraschun- nen unterschiedlicher Arten gemeinsam ein gen. Erstens leben in Dendrolasius-Nestern Nest und viele Fälle von Hybridisierung sind zwei mutualistische Pilzarten friedlich neben- bekannt. Der Clou ist jedoch: Dendrolasius- einander – etwas Unerhörtes, meinte man Ameisen gründen ihre Kolonien als tempo-

Ameisen 181 räre Sozialparasiten bei Chthonolasius, es net werden soll. Und tatsächlich sind ja beide gibt also Generation für Generation Kontakt in den Hainburger Bergen im Einsatz. Will zwischen den zwei Untergattungen – und man aber genau wissen, wie viele Weidetiere trotzdem haben die beiden ihre jeweils eige- pro Flächeneinheit Verfilzung und Verbu- nen Pilze. Die beiden Untergattungen unter- schung vermeiden – ohne negative Effekte scheiden sich stark im chemischen Milieu einer Überbeweidung zu verursachen –, so ihrer Nester, was die getrennte Entwicklung erfährt man, dass es keinen universellen spezifischer Pilze trotz des ständig wieder- Standard gibt. Jeder Lebensraum hat eigene kehrenden Kontakts erklären könnte. Insge- Bedingungen und spezifische Bewohner. Wel- samt kristallisiert sich die Pilzzucht von che Bewohner sollen geschützt und gefördert Lasius als ein neues, facettenreiches Modell- werden? Gibt es eine Beweidungsintensität, system heraus. Auch auf den Trockenrasen die allen zugutekommt oder soll die Intensi- Niederösterreichs kann man es studieren. tät gestaffelt werden? Die Aussagekraft von Einzeljahrdaten ist gering. Für ein zielführen- Noch manches Ameisenwunder ließe sich an- des Schutzkonzept ist längerfristiges Monito- führen, doch mindestens ebenso wichtig ist ring erforderlich, das Gefäßpflanzen und der Naturschutzaspekt. Ameisen sind hier repräsentative Tiergruppen mit unterschiedli- Spieler auf beiden Seiten: Einerseits brau- chen Ansprüchen und unterschiedlicher Mo- chen sie Schutz, andererseits können sie bilität berücksichtigt. Und genau das läuft zum Schutz der Landschaft beitragen. gerade in den Hainburger Bergen im Auftrag Um beim Beispiel Hainburger Berge zu blei- der niederösterreichischen Landesregierung ben: Rund die Hälfte der Ameisenarten die- und der Europäischen Union. ses Gebiets ist niederösterreichweit gefähr- det, teils vom Aussterben bedroht. Mit gutem Grund sind Ameisen in das Moni- Besonders gefährdet sind sozialparasitische toringprojekt einbezogen. Ameisen bieten Arten, die auf stabile Wirtspopulationen an- sich wegen ihrer ökologischen Bedeutung gewiesen sind, und Lebensraumspezialisten, und der hohen Individuendichte geradezu an. die nur in der Steppe überleben. Verliert Man kann sie während der gesamten Vegeta- dieser Lebensraum seinen Charakter, etwa tionsperiode leicht erfassen und wegen ihrer durch Verbuschung, so gehen auch die stationären Nester exakt lokalisieren. Amei- Trockenrasen-Ameisen verloren. Der Auftrag sen stehen daher weltweit und erfolgreich im an Naturschutzbehörden, Landnutzer und Dienst der Bioindikation. Mit diesem Verfah- Biologen lautet somit: Erhaltet die Steppe! ren, das Organismen oder Organismenge- Aber wie? Die meisten Ameisenkundler wer- meinschaften als Umweltdetektoren einsetzt, den auf die Frage nach der für Ameisen gewinnt die Naturschutzbiologie entschei- „richtigen“ Pflege von Steppenrasen die tra- dende Daten für die Bewertung von Lebens- ditionelle Bewirtschaftung, also Beweidung, räumen, die Beweissicherung nach Eingriffen empfehlen. Anders als bei der Mahd wird oder die Planung und Erfolgskontrolle von durch Beweidung stellenweise der Boden Maßnahmen. Verglichen mit Gefäßpflanzen freigelegt, was für viele der spezialisierten liefern Ameisen deutlich unterschiedliche In- Arten wichtig ist. Eine Weideviehherde bringt formation über ihren Lebensraum, das wurde außerdem Ertrag und kann sich im Idealfall vor kurzem im Rahmen des Hainburger Pro- selbst finanzieren. Als ideale Weidetiere wer- jekts gezeigt. Da der Einfluss von Bewei- den häufig Schafe oder leichte Rinder emp- dungsintensität auf einzelne Ameisenarten fohlen, weil der Boden nur kleinräumig eröff- und ganze Ameisengemeinschaften in ande-

182 Ameisen Eine Arbeiterin der in Niederöster- reich gefährdeten Art Tetramorium moravicum betreut die Brut (oben) Eine Arbeiterin der in Niederöster- reich gefährdeten Art Camponotus aethiops (unten). ren Gebieten bereits mehrfach untersucht wurde, gibt es Vergleichswerte.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass keine Be- weidungsvariante die Nestdichte aller Amei- sen in gleicher Weise beeinflusst. Im Bewei- dungsplan wird man daher Prioritäten setzen müssen. Wichtige Gesichtspunkte sind die Schutzwürdigkeit einzelner Arten und die In- formation, die eine Ameisenart über die An- sprüche anderer Tiere liefert. Außerdem er- scheinen einige Ameisenarten geeignet, den Effekt des zukünftigen Beweidungskonzepts in weiterführenden, begleitenden Untersu- chungen anzuzeigen. Kandidaten sind Tetra- morium moravicum, Camponotus aethiops sowie die bereits vorgestellte Art Lasius au- striacus. Alle drei stehen in Niederösterreich auf der Roten Liste, sie sind auf naturnahe Trockenrasen und Felsfluren angewiesen und durch Verbuschung bedroht. In lebensge- schichtlichen Details – und somit in ihren ökologischen Ansprüchen – unterscheiden sie sich aber deutlich. Beispielsweise lebt L. aus- triacus unterirdisch, während die beiden anderen oberirdisch aktiv sind. T. moravicum ist hart gepanzert und verträgt Viehtritt viel besser als C. aethiops. Tetramorium moravi- cum ist Mischköstler, C. aethiops ernährt sich vorwiegend von Honigtau, wie ja auch L. aus triacus. Vieles ließe sich hinzufügen.

Schließlich stellt sich eine ökonomische und somit auch nicht ganz unwesentliche Frage. Birgit C. Schlick-Steiner & Florian M. Steiner (2x) Birgit C. Schlick-Steiner Es gilt, die Zahl der Zeigerarten gering zu halten – je mehr Arten, desto aufwändiger tun hat. Auf dem Spiel steht die Zukunft der die Kontrolle. Ideal wäre eine einzige Amei- Hainburger Steppe mit all ihren Bewohnern. senart. Diese Art sollte sensibel auf den Faktor Beweidung reagieren. Ist sie aber zu spezialisiert, besteht die Gefahr, dass sie für andere nicht repräsentativ ist. Fragen wie Weiterführende Literatur diese machen das Monitoringprojekt zu ENGLISCH, T., STEINER, F. M. & SCHLICK-STEINER, B. C. (2005): einem spannenden, verantwortungsvollen Fine-scale grassland assemblage analysis in Central Unterfangen, das mit dem Elfenbeinturm : ants tell another story than plants. Myrmecologi- sehr wenig und mit der Praxis sehr viel zu sche Nachrichten 7: 61–67.

Ameisen 183 HÖLLDOBLER, B. & WILSON, E. O. (1990): The ants. The Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts, 732 pp.

MAJER, J. D., ORABI, G. & BISEVAC, L. (2007): Ants (Hy- menoptera: Formicidae) pass the bioindicator scorecard. Myrmecological News 10: 69–76.

SCHLICK-STEINER, B. C., STEINER, F. M., KONRAD, H., SEIFERT, B., CHRISTIAN, E., MODER, K., STAUFFER, C. & CROZIER, R. H. (2008): Specificity and transmission mosaic of ant nest wall fungi. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 105: 941–944.

SCHLICK-STEINER, B. C., STEINER, F. M. & SCHÖDL, S. (2003): Rote Listen ausgewählter Tiergruppen Niederösterreichs – Ameisen (Hymenoptera: Formicidae). Amt der Niederöster- reichischen Landesregierung, Abteilung Naturschutz, St. Pölten, 75 pp.

SEIFERT, B. (2007): Die Ameisen Mittel- und Nordeuropas. Lutra, Tauer, 368 pp.

STEINER, F. M. & SCHLICK-STEINER, B. C. (2002): Einsatz von Ameisen in der naturschutzfachlichen Praxis. Begründun- gen ihrer vielfältigen Eignung im Vergleich zu anderen Tier- gruppen. Naturschutz und Landschaftsplanung 34: 5–13.

STEINER, F. M., SCHLICK-STEINER, B. C., MODER, K., STAUFFER, C., ARTHOFER, W., BUSCHINGER, A., ESPADALER, X., CHRISTIAN, E., EINFINGER, K., LORBEER, E., SCHAFELLNER, C., AYASSE, M. & CROZIER, R. H. (2007): Abandoning aggression but main- taining self-nonself discrimination as a first stage in ant su- percolony formation. Current Biology 17: 1903–1907.

Dr. Florian M. Steiner & Dr. Birgit C. Schlick-Steiner School of Marine and Tropical Biology James Cook University, Townsville, Australien

Institut für Zoologie und Institut für Forstentomologie, Forstpathologie und Forstschutz, Universität für Bodenkultur Gregor Mendel-Straße 33 1180 Wien

184 Ameisen Felsenflechtenbär (Setina roscida): Der Fel- senflechtebär kann in den Hainburger Bergen in erfreulicher Häufigkeit beobachtet werden. Die Raupen ernähren sich von Felsenflechten. 4.16 Schmetterlinge pannoni- scher Trockenrasen

Rudolf Eis

Unter der Vielzahl verschiedener Schmetter- linge finden sich Geschöpfe von so vollen - deter Anmut und Schönheit, wie sonst nur selten im Reich der Insekten. Auf den Schmetterlingsflügeln der einzelnen Arten finden sich Farben des gesamten Spektrums, bei einigen in reinster Erscheinung, dann wieder in jeder nur möglichen Mischung. Ver- antwortlich dafür sind unzählige winzige Farbschuppen, denen diese Insektenordnung auch ihren Namen „“, also Schuppenflügler, verdankt.

Speziell die Tagfalter sind Juwelen in der Landschaft. Die buntesten, farbigsten und spektakulärsten von ihnen kann man in den Tropen beobachten, aber auch in unserem Raum gibt es zahlreiche besonders bunt ge- zeichnete Arten, die der tropischen Ver- wandtschaft nur wenig nachstehen.

Wie aus Forschungsergebnissen abgeleitet werden kann, entstanden die den Lebenspro-

zess einleitenden Strukturen bereits vor etwa Heinz Wiesbauer 4.000 Millionen Jahren, die ersten Lichtener- gie erwerbenden Pflanzen vor ca. 3.400 Mil- war, vor etwa 300 Millionen Jahren, sind lionen Jahren. Erste einen Zellkern besitzende hoch spezialisierte Riesenlibellen mit einer Organismen entwickelten sich vor 2.400 Mil- Flügelspannweite von fast 1 m nachgewie- lionen Jahren und erste vielzellige Tiere vor sen, und in der Jura- und Kreidezeit, 180 bis ca. 1.800 Millionen Jahren. Vor mehr als 400 65 Millionen Jahre vor unserer Zeitrechnung, Millionen Jahren, also im Paläozoikum, gab entstand dann parallel zur Entfaltung der es Lebewesen, deren Fossilien auf eine for- Blütenpflanzen auch das große Heer der In- menreiche Lebensvielfalt hinweisen, und in sekten und damit auch der Schmetterlinge. diesem Zeitraum dürften sich, ausgehend von Trilobiten – längst ausgestorbenen Ur- Heute sind über eine Million verschiedener krebsen – in einer Seitenlinie, allmählich In- Insektenarten beschrieben und katalogisiert, sekten entwickelt haben. Aus der Karbonzeit, viele aber auch noch unentdeckt oder uner- die durch das Vorhandensein riesenhafter kannt, viele von ihnen werden aussterben, Schachtelhalme und Farne gekennzeichnet bevor wir von ihnen Kenntnis erlangt haben.

Großschmetterlinge 185 Kreuzenzian-Ameisenbläuling (Macu- linea rebeli): Diese Art fasziniert durch ihre komplexe Entwicklungs- biologie. Die Raupen ernähren sich zuerst vom Kreuzenzian und werden dann von Ameisen in ihren Bau ge- tragen, wo sie Ameisenbrut fressen.

breiteres Nahrungsspektrum. Sie sind weni- ger wählerisch und nähren sich von verschie- denen ähnlich schmeckenden Pflanzenarten. Manche zernagen die Blätter von Sträuchern oder Bäumen, andere leben an Blättern, Blü- ten oder Samenkapseln niedriger Pflanzen, wieder andere leben unterirdisch an Wurzeln oder minieren in Blättern, Stängeln oder im Holz. Einige wenige Nahrungsspezialisten ge- langen in Ameisennestern zur Entwicklung und ernähren sich von Ameisenbrut, und eine einheimische, leider sehr seltene Art hat sich auf den Verzehr von Blattläusen spezialisiert.

Erwachsene Raupen verpuppen sich, das heißt, sie streifen ihre Raupenhaut ab, die sich darunter befindende Haut härtet aus Etwa 200.000 verschiedene Schmetterlings- und formt den Raupenkörper zur Puppe. Die arten wurden von der Wissenschaft bereits Verpuppung erfolgt bei manchen Arten in beschrieben, etwa 4.000 davon können auch einer selbst gefertigten Erdhöhle, bei ande- in Österreich beobachtet werden. Etwa zwei ren in einem mehr oder weniger kunstvollen, Drittel davon werden als Kleinschmetterlinge schützenden Gespinst, wieder bei anderen bezeichnet, also Zünsler, Wickler, Motten etc. frei an Blättern, Stängeln oder Steinen hän- Für das verbleibende Drittel hat sich die Be- gend, dann aber farblich so getarnt, dass sie zeichnung „Großschmetterlinge“ eingebür- nicht ohne weiteres entdeckt werden kön- gert, darunter Spanner, Eulenfalter, Vertreter nen. In der Puppe vollzieht sich die Verwand- verschiedener Spinnerfamilien, Schwärmer lung zum Schmetterling. Nur lebenswichtige und Tagfalter. Nur etwa 140 dieser Groß- Organe bleiben erhalten, der Großteil des schmetterlinge sind echte Tagfalter, also Körpers wird zu einer Nährflüssigkeit abge- jene, die man tagsüber vor allem auf blüten- baut, die schließlich für den Umbau zum reichen Wiesen beobachten kann. Schmetterling herangezogen wird. Ist in der Puppe die Umwandlung zum Schmetterling Schmetterlinge haben eine vollständige Me- vollzogen, schlüpft dieser alsbald aus der tamorphose. Das bedeutet, der befruchtete Puppenhülle aus, indem er diese sprengt und Weibchenfalter legt Eier, in welchen oft inner- verlässt. Seine Flügel entfaltet er dadurch, halb weniger Tage die Eiraupen heranreifen. indem er Körperflüssigkeit in die Flügeladern Die Eier werden vom Weibchen mehrheitlich pumpt. Nach Aushärtung der Flügel, manch- an Pflanzen angeheftet, die den Raupen spä- mal schon nach weniger als einer Stunde, ist ter zur Ernährung dienen sollen. Sind die der Falter zum Abflug bereit. Räupchen aus dem Ei geschlüpft, beginnen sie unverzüglich mit der Nahrungsaufnahme. Im adulten Stadium, das bedeutet, dass die Manche Arten sind monophag, das bedeutet, Metamorphose zum fertigen, geschlechtsrei- sie sind Nahrungsspezialisten und ernähren fen Insekt vollzogen ist, findet dann die Paa- sich von einer ganz bestimmen Pflanzenart. rung statt, auf die in den meisten Fällen bald Polyphage Schmetterlingsraupen haben ein darauf die Eiablage folgt. Tagfalter sind über-

186 Großschmetterlinge Magerrasen-Perlmutterfalter (Boloria dia): Fetthennenbläuling (Scolitantides orion): Diese Art gehört zu den kleinsten Perlmut- Diese Art gibt es nur an ausgesprochen terfaltern in Mitteleuropa. Die Raupen trockenen Standorten, an denen die Fett- ernähren sich von Veilchenarten, Brom- henne - die Futterpflanze der Raupen – beeren, Himbeere und Kleiner Brunelle. wächst. Heinz Wiesbauer (3x) wiegend Augentiere und erkennen ihre Part- chenfalter wiederum müssen den Geruch der ner vorerst nur optisch. Um sich aber mit Futterpflanzen erkennen, die den Raupen- dem richtigen Partner zu vereinen, sind dann bruten als Nahrung dienen sollen. aber noch Balzverhalten und Gerüche von wesentlicher Bedeutung. Bei Nachtfaltern Schmetterlinge besiedeln fast alle Natur- spielt das Sehen eine geringere Rolle. Die räume. Sie gaukeln auf Wiesen von Blüte zu Partner werden in erster Linie durch artspezi- Blüte, sie besiedeln Strauchstrukturen, Wald- fische Gerüche erkannt. Zum Beispiel finden ränder und auch das Innere von Wäldern, männliche Falter der Nachtpfauenaugen ihre manche finden sich auf Feuchtwiesen oder Weibchen aus mehreren Kilometern Entfer- an Mooren, andere bevorzugen Aulandschaf- nung, auch wenn nur wenige Moleküle der ten und wieder andere findet man nur im weiblichen Geruchsstoffe an ihre sensiblen, Hochgebirge, wo sie bis zur Vegetations- federförmigen Fühler herangetragen werden. grenze vordringen. Die Hochgebirgsarten un- Und sie riechen ihre Weibchen förmlich ste- serer Alpen sind überwiegend Eiszeitrelikte, reo, das heißt, sie können aus der Differenz das heißt, sie sind dem rauen Klima bestens der Empfindungen an den beiden Fühlern die angepasst und haben zur Zeit der ehemals Richtung feststellen, aus der der Weibchen- großräumigen Vergletscherung einen viel geruch kommt. Versuche, die dies belegen, größeren, zusammenhängenden Lebensraum wurden von interessierten Entomologen besiedelt. immer wieder durchgeführt und es geht dar- aus hervor, dass Schmetterlinge vielleicht Im östlichen Niederösterreich gab es ehe- 1000-mal besser riechen als Menschen und mals ausgedehnte Trockenrasen, Halbtrok- damit ähnliche Leistungen erbringen wie kenrasen und Waldsteppen, die vor allem Hundenasen. Allerdings dürfte sich das Emp- durch Beweidung in ihrem Bestand erhalten findungsspektrum der Schmetterlinge auf wurden. Darauf lebte eine spezialisierte Tier- wenige spezielle Gerüche beschränken. Die welt, darunter auch viele Schmetterlingsar- Männchenfalter müssen in der Lage sein, ihr ten, die in anderen Lebensräumen nur selten Weibchen am Geruch zu erkennen, die Weib- oder gar nicht anzutreffen waren. Heute sind

Großschmetterlinge 187 sonders wertvoll angesehen werden. Einige von ihnen sind seit Jahren verschollen oder in unserem Raum bereits ausgestorben.

Schmetterlinge, die unter dem Aspekt des Naturschutzes besonders bemerkenswert sind, sollen im Folgenden kurz skizziert sowie ihre Lebensansprüche beleuchtet werden. Schwarzer Apollo Dabei soll auch auf die Schutzmaßnahmen, (Parnassius mnemo- syne): Es gibt nur we- die im LIFE-Projekt inzwischen zur Anwen- nige Plätze, an denen dung kamen, hingewiesen werden. Es er- der ansonsten selten folgte in erster Linie ein Beweidungspro- gewordene Schwarze gramm mit Schafen, stellenweise auch mit Apollo so häufig ist, wie in den Hainburger Ziegen oder Rindern, um die Steppenrasen Bergen. offen zu halten. Zudem wurden Strauchflä- chen reduziert, um das Zuwachsen der Step- viele von ihnen durch Intensivierung der penrasen zu vermeiden. Bei der Umsetzung Landwirtschaft und durch Verbauung der Na- der Pflegemaßnahmen wurde auch versucht, turlandschaften zur Seltenheit geworden. auf spezielle Lebensansprüche gefährdeter Man ist deshalb heutzutage bemüht, letzte Arten einzugehen, indem man Stellen mit Reste dieser Kleinodien zu erhalten und wichtigen Raupenfutterpflanzen von der Be- damit auch der pannonischen Tierwelt letzte weidung ausnahm. Refugien zu sichern. Osteuropäische Steppenlandschaften beher- Widderchen (Zygaenidae) bergen zahlreiche lepidopterologische Beson- derheiten. Die wenigen noch verbliebenen Die Raupen der in den Hainburger Bergen Trocken- und Halbtrockenrasen des östlichen nachgewiesenen Widderchen leben auf nied- Niederösterreichs sind letzte Lebensräume von rigen Pflanzen, überwiegend auf Schmetter- Schmetterlingen, die ursprünglich weite, zu- lingsblütlern. Widderchen-Imagines waren sammenhängende Gebiete besiedelten, durch während der Beobachtungsphase überra- die Kleinräumigkeit der verbliebenen Flächen schenderweise nur in Einzelexemplaren an- aber in ihrem Bestand akut gefährdet sind. zutreffen. Bei Beweidung der Trockenrasen gehen vor allem Puppenkokons zu Grunde, Lebensraumansprüche einiger ausge- die an höheren Halmen und Stängeln ange- wählter Schmetterlingsarten sponnen sind. Andererseits würden Widder- chen ohne geeignete Maßnahmen durch Einige dieser Schmetterlingsarten haben in Verbuschung der Steppenrasen einen emp- den pannonischen Lebensräumen des östli- findlichen Lebensraumverlust hinnehmen chen Niederösterreichs ihre nordwestliche müssen. Verbreitungsgrenze. Gleichzeitig bevorzugen sie als Lebensraum steppenartige Trockenra- Zygaena laeta Hb. 1790 und Zygaena pun- sen oder Waldsteppen und sind wegen ihres ctum O. 1808 – Mannstreu-Widderchen inzwischen nur inselartigen Vorkommens in ihrem Bestand gefährdet. Sie müssen daher Beide Arten sind Trockenrasenspezialisten vom Standpunkt des Naturschutzes als be- und für den pannonischen Raum charakteri-

188 Großschmetterlinge Grünwidderchen Adscita chloros (oben) Veränderliches Widderchen (Zygaena ephialtes): (2.v.o.)

stisch. Sie sind offensichtlich sehr selten ge- worden. Die Raupen nähren sich von Feld- Mannstreu (Eryngium), welcher von den Wei- detieren wegen der stacheligen Blätter meistens verschmäht wird.

Fam. Lasiocampidae – Glucken

Einige Arten der Familie, darunter Macrothy- lacia rubi L. 1758 – Brombeerspinner, Lasio- campa trifolii D. & S. 1775 – Kleespinner, die in vielen Habitaten von starkem Rückgang betroffen sind, werden in den Hainburger Bergen nach wie vor nicht selten angetrof- fen. Diese und auch der Wolfsmilchspinner – Malacosoma castrensis L. 1758 könnten aber durch Beweidung insofern Verluste erleiden, als dadurch sowohl Eigelege, Raupennester als auch Puppenkokons gefährdet wären.

Lemonia dumi L. 1761 – Herbstspinner

Verwandt mit den Glucken ist der seltene Herbstspinner. Die Art, die weiten Gebieten Österreichs fehlt, wurde am Hundsheimer Kogel Mitte Oktober auch in den letzten Jah- ren gefunden (Plenk, mündl. Mitt.) und wird wohl auch auf der Königswarte und am Spit- zerberg anzutreffen sein.Bis zum Ausschlüp- fen der Jungraupen sind bei Beweidung in erster Linie die Eigelege gefährdet. Die Esparsetten-Widder- chen (Zygaena carnio- Räupchen schlüpfen etwa Ende April aus dem lica): Die Art wurde Ei. Eine Beweidung, die zwischen Ende Okto- zum „Insekt des Jah- ber und Ende April stattfände, könnte daher res 2008“ gewählt. den Bestand dieser seltenen Art durch Ver- lust der Eigelege dezimieren. Im Schutzgebiet wird daher darauf geachtet, dass immer nur abschnittsweise und in zeit- lich versetzten Abständen beweidet wird.

Iphiclides podalirius L. 1758 – Segelfalter Herbstspinner (Le- Segelfalter sind in Mitteleuropa fast überall monia dumi): Die selten geworden oder verschwunden. Umso Raupen ernähren sich unter anderem von erfreulicher ist es, dass sie in den Hainburger

Heinz Wiesbauer (5x) Habichtskräutern.

Großschmetterlinge 189 Bergen teilweise sogar häufig sind. Am Hundsheimer Berg und am Spitzerberg kann man manchmal ganze Ketten von Faltern beobachten, die sich gegenseitig verfolgen. Die Raupen gelangen vor allem an bodenna- hen Schlehenzweigen, manchmal auch an Weißdorn und Felsenbirne zur Entwicklung, worauf eine Eiablage beobachtet werden konnte. Segelfalter (Iphiclides podalirius): Die Weib- Zerynthia polyxena D. & S. 1775 – chen legen ihre Eier mit Vorliebe auf niedrigen Osterluzeifalter Schlehen, in den Hain- burger Bergen auch auf Ein besonderes Kleinod der heimischen Weißdorn ab. Schmetterlingsfauna ist der Osterluzeifalter. Dieser wärmebedürftige Südländer ist als Besonderheit in einigen Weinbaugebieten Niederösterreichs und in den niederösterrei- chischen Donauauen zu beobachten, dort wo auch seine Raupenfutterpflanze, die Osterlu- zei wächst, von der seine Raupen aus- schließlich leben. In den pannonischen Trockenrasen gibt es einige Stellen, wo Osterluzei häufig wächst. Diese Standorte Schwalbenschwanz müssen in Anbetracht der Seltenheit dieses (Papilio machaon): Die Falters mit besonderer Sorgfalt vor Eingrif- wunderschönen Falter fen geschützt werden. kann man auf den An- höhen der Hainburger Berge beim Paarungs- Colias chrysotheme Esp. 1781 – flug beobachten. Orangegrüner Steppengelbling

Dieser charakteristische Steppengelbling pannonischer Lebensräume ist in den letzten Jahren sehr selten geworden oder an den Orten früheren Vorkommens sogar ver- schwunden. Wiener Entomologen berichten, dass der derzeit verschollene Falter in frühe- ren Jahren in geeigneten Lebensräumen regelmäßig beobachtet werden konnte.

Osterluzeifalter Dem Falter wird in den nächsten Jahren be- (Zerynthia polyxena): sondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Raupen dieser Art Als Futterpflanzen der Raupen werden Vicia ernähren sich aus- hirsuta, Astragalus austriacus und A. glycy- schließlich von Oster- luzeipflanzen. phyllos genannt.

190 Großschmetterlinge Berghexe (Chazara briseis): Die Hainbur- ger Berge sind eines der wichtigsten Rück- zugsgebiete dieser europaweit vom Aus-

Heinz Wiesbauer (4x) sterben bedrohten Art.

Colias erate Esp. 1805 – lichten Weiterbestand der offenen Steppen- Steppengelbling rasenflächen.

Erst in den letzten Jahren kann dieser aus Chazara briseis L. 1764 – dem Osten einwandernde Steppengelbling Berghexe, Felsenfalter auch in Niederösterreich beobachtet werden. Nachdem offensichtlich derzeit keine Nach- Die Hainburger Berge sind eines der wichtig- weise von Faltern der Frühjahrsgeneration sten Rückzugsgebiete dieser europaweit vom bekannt geworden sind, kann daraus ge- Aussterben bedrohten Art. Hier können die schlossen werden, dass die Art, trotz Aus- flinken Falter noch in erfreulicher Häufigkeit breitungstendenzen nach Westen, vorerst beobachtet werden. Die Art ist sehr an- nicht bodenständig ist. Die im Spätsommer spruchsvoll und kann nur in intakten xero- beobachteten Falter dürften Nachkommen thermen Naturräumen bestehen. Sind die Le- einzelner im Sommer zugewanderter Indivi- bensräume durch Ausweitung der duen sein. Landwirtschaft oder Überbauung zu klein ge- worden, verschwindet die Art. In den mei- Satyridae, Augenfalter sten allzu klein gewordenen ehemaligen pan- nonischen Habitaten ihres Vorkommens ist Alle genannten Satyriden (Augenfalter) er- die Berghexe daher bereits ausgestorben. nähren sich im Raupenstadium von ver- schiedenen Gräsern. Die Raupen sind Minois dryas Scop. 1763 – Blaukernauge nachtaktiv, verkriechen sich tagsüber und sind deswegen durch Beweidungsmaßnah- Die Art ist in Niederösterreich regional nicht men kaum gefährdet. Vielmehr profitieren selten, in vielen Gebieten Europas jedoch die meisten Arten vom nachhaltig ermög- vom Aussterben bedroht. Sie bewohnt so-

Großschmetterlinge 191 Wundklee-Bläuling (Polyommatus Alexis-Bläuling (Glaucopsyche alexis): dorylas): Zum Lebensraum des bei Die Eiablage dieses seltenen Bläulings uns sehr seltenen Wundklee-Bläu- findet wie bei den meisten Bläulings- lings zählen blütenreiche Trocken- arten auf Schmetterlingsblütenge- rasen. wächsen statt.

wohl feuchte Streuobstwiesen als auch hoch- vor. Auch an mehreren Stellen in den Hain- wüchsige Trockenrasen. An trockenen Stand- burger Bergen konnte sie beobachtet wer- orten erfolgt die Larvalentwicklung gemäß den. In den niederösterreichischen Trocken- Beobachtungen an Aufrechter Trespe (Bro- gebieten werden nicht saure Ampferarten, mus erectus). wie zum Beispiel Stumpfblättriger Ampfer (Rumex obtusifolius), als Raupenfutter- Die Falter kommen an Trockenstandorten of- pflanze genützt. Die Sommerbruten können fensichtlich nur im ungemähten und unbe- sowohl durch Mahd als auch durch Bewei- weideten Grasdschungel zur Entwicklung. dung geschädigt werden. Überwinternde Jungraupen verstecken sich vor allem an Arethusana arethusa D. & S. 1775 – den Blattachseln und Blattunterseiten von Rostbindiger Samtfalter im Winter verdorrenden Pflanzen. Eine Spät- sommermahd von Ampferbeständen wäre Ein Charakterfalter östlicher Steppenland- für die Art daher von Nachteil. Ruderale schaften. Die Art, die an den meisten Stellen mit häufigem Vorkommen nicht sau- Orten ihres früheren Vorkommens ver- rer Ampferarten sollten im Interesse der schwunden ist, konnte an mehreren Stel- seltenen Schmetterlingsart möglichst unge- len in den Hainburger Bergen in erfreuli- stört bleiben. cher Häufigkeit nachgewiesen werden. Die Art ist an ihren klassischen Vorkommens- Meleageria daphnis D. & S. 1775 – orten nur auf trockenen, sandigen, felsi- Zahnflügel-Bläuling gen und kurzgrasigen Wiesenflächen zu finden. Diese seltene Bläulingsart wurde auf den blü- tenreichen südexponierten Flächen der lok- Lycaena dispar rutilus WERNEBURG 1864 – keren Waldsteppenbestände beobachtet. Die Großer Feuerfalter Art erscheint an den Orten ihres Vorkom- mens nicht gefährdet, solange die Flächen Die europaweit sehr gefährdete Art kommt nicht verbuschen. Das Weibchen legt seine in Niederösterreich zerstreut sowohl in Tro - Eier an die Fruchtstände des Esparsettentra- ckenbiotopen als auch auf Nassstandorten gants (Astragalus onobrychis).

192 Großschmetterlinge Großer Feuerfalter (Lycaena dispar): Aufgrund des starken Rückganges wurde diese früher weit verbreitete Art europaweit unter Schutz gestellt.

Chlorissa etruscaria ZELLER 1849

Ein kleiner, aber bemerkenswerter grüner Falter aus der Familie der Spanner (Geome- tridae), der für südöstliche Steppengebiete charakteristisch ist. Trophisch ist die Art an verschiedene Doldenblütengewächse gebun- den. Es werden Peucedanum und Bupleurum genannt.

Tephrina arenacearia D. & S. 1775

Eine Art warmtrockener Stellen. Sie ist hauptsächlich südeuropäisch verbreitet und kommt vereinzelt auch in den pannonischen Trockenrasen vor. Als Futterpflanze wird Co- ronilla varia angegeben (FORSTER & WOHL- FAHRT 1981), die Raupen dürften aber auch an anderen Leguminosen zur Entwicklung kommen. Diese Art profitiert von der Offenhaltung der Steppenrasen sowie von einer extensiven Beweidung von Teilflächen. Steppenheiden-Würfel- Dyscia conspersaria D. & S. 1775 Dickkopffalter (Pyrgus carthami): Die Raupen Die Hundsheimer Berge und die Thermenlinie leben in dichten Pols - tern von Fingerkraut - zählen zu den wenigen Vorkommensorten die- Arten, hauptsächlich an ser seltenen Art. Die Raupen gelangen an Sal- Heinz Wiesbauer (4x) Potentilla pusilla. via- und Artemisia-Arten zur Entwicklung. Vor allem größere Wiesensalbei- und Hainsalbei- Bärenspinner benötigen überwiegend vege- Bestände sollten von Beweidungsmaßnahmen tationsarme, lückig bewachsene Stellen im wenigstens jahrweise ausgenommen werden. offenen, fast buschfreien Trockenrasen. Die Dadurch wird auch das Blütenangebot für an- Raupen jener Bärenspinner, die für den pan- dere Schmetterlingsarten bereichert. nonischen Raum charakteristisch sind, ver- tragen keine Staunässe, daher gelangen sie Arctiinae – Bärenspinner nur auf schotterigen, sandigen oder felsigen Böden zur Entwicklung, wo die zum Gedei- Die meisten in Niederösterreich vorkommen- hen erforderliche Wärmespeicherung ge- den Bärenspinner-Arten leben meist sehr währleistet ist. Extensive Mahd, aber auch lokal auf xerothermen Magerrasen. Einige Beweidung erscheinen wegen der Offenhal- davon zählen zu den Kostbarkeiten der pan- tung der Flächen vorteilhaft. nonischen Fauna und wurden auch in den Hainburger Bergen und in der Thermenre- Die meisten Bärenspinnerraupen leben gion nachgewiesen. recht polyphag an niedrigen Pflanzen. Es ist

Großschmetterlinge 193 nicht das Problem, ihnen richtige Futter- Metachrostis dardouini Boisd. 1840 pflanzen zu bieten, sondern vielmehr das lebensnotwendige xerotherme Kleinklima zu Eine südliche und südöstliche Art, die nur an ermöglichen. Dichter Grasfilz ist daher eher wenigen Plätzen selten gefunden wird, so unzuträglich. Bestände von Labkraut und auch in den Hundsheimer Bergen und an der Wolfsmilch im Magerrasen sollten geschont Thermenlinie. Die Raupen gelangen in den werden, da dies nicht nur den seltenen Bä- Samenkapseln der Ästigen Graslilie (Antheri- renspinner-Arten, sondern auch Vertretern cum ramosum) zur Entwicklung. Diese dient anderer Schmetterlingsfamilien entgegen- auch anderen schützenswerten Eulenfalter- kommen würde. Arten als Nahrung.

Arctia villica L. 1758 – Schwarzer Bär Episema glaucina Esp. 1789 – Graslilieneule

Die submediterrane Art besiedelt in Nieder- Diese bemerkenswerte, in Farbe und Zeich- österreich trockene Brachen sowie xero- nung äußerst veränderliche Art xerothermer therme Magerrasen in der Nähe von niedri- Steppenlandschaften kann in den Trockenra- gen Büschen wie z. B. Schlehen, Weißdorn sen der Hainburger Berge und an der Ther- oder Cotoneaster. Die Bestände der Schwar- menlinie des Alpenostrandes beobachtet zen Bären sind fast überall rückläufig, in werden. Die Raupen gelangen an verschiede- manchen Gebieten ist die Art sogar ausge- nen Liliengewächsen (Anthericum, Ornitho- storben. galum und Muscari) zur Entwicklung.

Der Schwarze Bär kommt sowohl in der Cleoceris scoriacea Esp. 1789 Thermenregion als auch in den Hundsheimer Bergen vor. Eine Beweidung erscheint für die Eine nur sehr lokal vorkommende und sel- Art vorteilhaft zu sein, da sich die Raupen tene Art, deren Raupen an Graslilien-Arten auf Bärenspinnerart an vegetationsarmen (Anthericum) heranwachsen. Die Raupen Stellen sonnen bzw. ihre Futterpflanzen be- leben bei Tage versteckt, es besteht also fressen. kaum Gefahr, dass sie vom Weidevieh ge- fressen werden. Tyria jacobeae L. 1758 – Jakobskraut-Bär, Blutbär Calamia tridens Hufn. 1766 (= virens L. 1767) – Grüneule Diese tagaktive Bärenspinner-Art ist an den meisten Stellen ihres früheren Vorkommens Diese durch ihre blassgrüne Vorderflügel- selten geworden. Sie kommt in der Ther- farbe unverkennbare Eulenfalter-Art besie- menregion und in den Hainburger Bergen delt im pannonischen Raum Niederöster- vor. Um diese Art zu fördern, sollten Stellen reichs vor allem xerotherme mit stärkerem Bewuchs von Greiskräutern Kalkmagerrasen, aber auch halboffene, lük- (Senecio), welche den Raupen als Futter die- kig bewachsene Sandheiden. Die Raupen nen, von der Beweidung zumindest jahrweise wachsen an Wurzeln verschiedener Gräser ausgenommen werden. Eigelege sind durch heran. Weidetiere gefährdet (Juni), Raupen, die an der Wirtspflanze sitzen, lassen sich aber bei Der starke Rückgang der Art hängt vor allem Störung fallen. mit Lebensraumverlusten zusammen. Die

194 Großschmetterlinge Schwarzer Bär (Arctia villica): Die grellen Farben dieser nachtaktiven Art warnen: Ich schmecke abscheulich!

pannonischen Trockenrasen gehören zu den wertvollen Calamia tridens-Biotopen. Um die Art zu erhalten, ist es notwendig, Steppen- flächen offen zu halten und eine starke Ver- buschung zu unterbinden. Zu dicht werden- der Grasfilz lässt Calamia tridens vermutlich allmählich verschwinden. Beweidung dürfte die Lebensbedingungen der Art verbessern.

Perigrapha i-cinctum D. & S. 1775

Charakterart pannonischer Steppen- und Ge- büschlandschaften. Die seltene Art erscheint an den ersten warmen Frühlingstagen und wurde auch in den Hainburger Bergen gefun- den. Die Raupen entwickeln sich recht poly- phag an verschiedenen niedrigen Kräutern. Die Raupen leben tagsüber bodennah ver- steckt. Eine extensive Beweidung der Mager- rasen dürfte die Art begünstigen.

Yigoga signifera D. & S. 1775

Seltene Eulenfalter-Art, die sich gemäß An- gaben nur an den wärmsten und trockensten Stellen entwickelt. Ihr Vorkommen konnte in den Trockenrasen des Hundsheimer Bergs und der Thermenregion nachgewiesen wer- den.

Yigoga forcipula D. & S. 1775

Ähnliche Lebensweise wie Yigoga signifera, aber offensichtlich häufiger als diese. In den Hainburger Bergen wurde sie ebenfalls fest- gestellt. Auch diese Art profitiert vom Offen- halten der Steppenlandschaft und von der Lockerung der Grasnarbe durch Schafbewei- dung. Erdbeereule (Orbona fragariae): Die Erdbeer - Maßnahmen zum Schutz xerothermophi- eule ist eine südliche ler Schmetterlinge auf Trockenrasen Art, die man gelegent- lich auch in strukturrei- Schmetterlingsschutz ist in erster Linie Bio- chen Trockenrasenge- bieten Niederösterreichs top- und Landschaftsschutz. Vom Standpunkt Heinz Wiesbauer (2x) finden kann.

Großschmetterlinge 195 des Naturschutzes betrachtet sind in den vergessene Landschaft. Beiträge zur Naturkunde des Stein- feldes. Stapfia 77. Oberösterreichisches Landesmuseum. Schutzgebieten der Hainburger Berge und der Thermenregion nicht so sehr die Gehölz HASS, H. (1979): Wie der Fisch zum Menschen wurde. Piper, München. bewohnenden Schmetterlinge von Bedeutung, sondern eher die charakteristischen Arten of- Rudolf Eis fener Steppen- und Graslandschaften. 2754 Waldegg 9a Um den Bestand der xerothermophilen Schmetterlingsarten zu sichern, ist es not- wendig, die noch vorhandenen Steppenrasen durch Beweidung oder Mahd offen zu halten. Zudem sollten Bereiche mit einer stark ver- filzten Grasnarbe abschnittsweise gelockert werden. Im Rahmen des LIFE-Projektes „Pannonische Steppen- und Trockenrasen“ wurden für ausgewählte Schutzgebiete der Hainburger Berge und der Thermenregion Pflegemaßnahmen ausgearbeitet, die auf die Lebenserfordernisse der Schmetterlinge Rücksicht nehmen. Sie sind in einer umfas- senden Arbeit dokumentiert.

Weiterführende Literatur

WEIDEMANN, H.J. (1988): Tagfalter, Band 2. Biologie-Ökolo- gie-Biotopschutz. Melsungen: Neumann-Neudamm.

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FORSTER, W. & WOHLFAHRT, Th. A. (1971): Die Schmetterlinge Europas – Eulen, Band 4, Franckh´sche Verlagsbuchhand- lung, Stuttgart.

KOCH, M. (1984): Wir bestimmen Schmetterlinge. - Verlag Neumann-Neudamm. Leipzig/Radebeul.

HUEMER, P. & TARMANN, G. (1993): Die Schmetterlinge Öster- reichs (Lepidoptera). Systematisches Verzeichnis mit Ver- breitungsangaben für die einzelnen Bundesländer. Beila- genband 5 zu den Veröffentlichungen des Museums Ferdinandeum. Selbstverlag des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum. Innsbruck.

WIESBAUER, H. (Hrsg.)(2002): Naturkundliche Bedeutung und Schutz ausgewählter Sandlebensräume in Niederöster- reich. Bericht zum LIFE-Projekt „Pannonische Sanddünen“. Amt der NÖ Landesregierung/ Abt. Naturschutz, St. Pölten.

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EIS, R. (2001): Tagralter und tagfliegende Nachtfalter am Südrand des militärischen Sperrgebietes Großmittel. In: BIERINGER, G., BERG, H.-M. & SAUBERER, N. (Hrsg.)(2001): Die

196 Großschmetterlinge 4.17 Kleinschmetterlinge – So willkürlich diese Unterteilung sein mag, so was sind das? verständlich ist sie auch, v. a. in Hinblick auf die Bestimmbarkeit. Während bei den Ma- kros nur rund 3 % der Arten nach äußeren Peter Buchner Merkmalen unbestimmbar sind, sind es bei den Mikros etwa 30 %. Die Technik der Geni- Zwei Drittel der in Österreich vorkommenden talpräparation – unerlässlich zur Bestim- Schmetterlingsarten, also rund 2.600, wer- mung dieser Arten – wurde erst im Laufe den zu den Kleinschmetterlingen gerechnet. des 20. Jahrhunderts entwickelt. Und die Und das, obwohl es diese Gruppe eigentlich erforderliche handwerkliche Geschicklichkeit gar nicht gibt ... steigt mit abnehmender Größe überpropor- Genauer gesagt: Die Arten gibt es natürlich tional schnell an, sodass selbst heute nur schon. Aber der Zuordnung zur Gruppe der wenige Entomologen imstande und auch be- „Großschmetterlinge“ (meist kurz „Makros“ reit sind, die kleinen bis sehr kleinen „Mi- genannt) bzw. „Kleinschmetterlinge“ („Mi- kros“ sicher zu bestimmen. kros“) fehlt ein wichtiges Kriterium: die natürliche Verwandtschaft. Sicher nicht begründen lässt sich die jahrhun- dertelange Missachtung dieser Schmetter- Würden nur Spinner, Schwärmer, Tagfalter, lingsgruppe aber damit, dass ihre Biologie Spanner und Eulen als „Makros“ gelten, nicht interessant wäre oder dass sie nicht könnte man dieser Gruppe eine natürliche schön wären. Ganz im Gegenteil! Was ihre Verwandtschaft durchaus noch zugestehen. Schönheit betrifft, können viele Mikros leicht Da aber auch Wurzelbohrer (Hepialidae), mit den Tagfalten mithalten, vorausgesetzt, Sackträger (Psychidae), Glasflügler (Sesii- man betrachtet sie mit der Lupe. Und die Bio- dae) und Widderchen (Zygaenidae) bei den logie ist bei vielen Arten eindeutig interessan- Makros mitlaufen, ist diese nicht einmal ter als beim Durchschnitt der Makros. Auch mehr ansatzweise gegeben. als Indikatorarten für den Zustand eines Lebensraumes sind sie vielfach besser geeig- Auch beim naheliegendsten Merkmal, bei der net als Makros. Zum einen, weil sie weniger Größe, gibt es keine klare Grenze. Zwar tra- beweglich sind, zum anderen, weil sie oft gen die kleinsten Falter der heimischen wesentlich engere ökologische Nischen beset- Fauna, die Nepticulidae (Zwergminierfalter) zen. Derartige Einblicke sind freilich an eine mit ca. 3 bis 5 mm Spannweite, die Etikettie- sorgfältige Artbestimmung geknüpft (dies - rung „Micros“ zu Recht, aber die größten bezügliche Probleme siehe oben). „Mikros“ sind deutlich größer als die kleinen „Makros“. Es gibt also einen weiten Über- Im Folgenden werden ausgewählte Arten schneidungsbereich. bzw. Artengruppen unter verschiedenen Aspekten vorgestellt. Alle Arten kommen im Der wahre Ursprung dieser Zweiteilung liegt weiteren Umkreis der Hainburger Berge vor. in der Tradition der Sammler des 18. und Eine Beschränkung auf reine Trockenrasen- 19. Jahrhunderts, sich auf Familien zu be- bewohner unter den Mikros ist aber wenig schränken, deren Vertreter einerseits größer sinnvoll, da sich dann viele Aspekte nicht und damit leichter zu präparieren und ander- zeigen lassen würden. Es geht hier vielmehr seits nach äußeren Merkmalen (meist) ein- darum, die Existenz dieser Gruppe ins Be- deutig zu bestimmen sind. wusstsein zu rufen und Interesse dafür zu

Kleinschmetterlinge 197 wecken. Zukünftige detaillierte Studien über vorzugt. Die Falter (Flügellänge: ca. 5 mm) die Mikros der Trockenrasen können dann fliegen von Ende April bis Juni, sie sind nur darauf aufbauen. bei Sonnenschein aktiv.

Klein, aber schön Eriocrania sparmannella (Trugmotten, Quer durch alle Familien der Mikros gibt es Eriocraniidae): ausgesprochen attraktive Arten. Eine Aus- Die Vertreter dieser ar- wahl soll hier näher vorgestellt werden. tenarmen Familie zeich- nen sich durch einige Bisigna procerella (Faul- Besonderheiten aus: Die Falter erscheinen im holzmotten, diffusen Licht stumpf und farblos, im Son- Oecophoridae): nenschein zeigt sich aber ein wahres Feuer- Die Falter (Flügellänge: werk an Farben. Diese entstehen durch Licht- ca. 5–6 mm) fliegen brechung und Beugungserscheinungen in Lichtquellen an und sind den Schuppen. auf diese Weise am leichtesten nachzuwei- Die Raupen leben minierend in den Blättern sen. Die Raupen leben ziemlich unspektaku- von Eichen, Birken und einigen anderen lär: Sie ernähren sich von Moosen und Laubhölzern – an sich keine ungewöhnliche Flechten. Diese Art ist demnach auch weit Lebensweise (siehe weiter unten). verbreitet und kommt in den verschiedens- Ungewöhnlich hingegen ist, dass die Raupen ten Lebensräumen vor. sehr schnell heranwachsen und schon nach etwa 3 Wochen die Mine verlassen. Sie fallen Heinemannia festivella zu Boden und leben dort, ohne zu fressen (Laubholz-Fransenfalter, und ohne sich zu verpuppen, etwa 10 Mo - Agonoxenidae): nate. Erst im darauffolgenden Frühling ver- Über die Biologie der puppen sie sich, der Falter schlüpft dann Raupe weiß man so gut nach wenigen Tagen. wie gar nichts. Da die Falter (Flügellänge: ca. 5–6 mm) kaum Licht- Diese Besonderheit macht es außerordentlich quellen anfliegen, werden sie nur sehr selten schwierig, diese Tiere zu züchten. beobachtet. Innerhalb Österreichs wurde Die gezeigte Art lebt an Birken, die Falter diese Art bisher nur aus Niederösterreich (Flügellänge: ca. 4 mm) fliegen v. a. Mitte bis nachgewiesen. Die wenigen Funde stammen Ende April im Sonnenschein. von trockenwarmen Lebensräumen. Olethreutes arcuellus leuwenhoekella (Wickler, Tortricidae): (Prachtfalter, Die Raupen leben von ): abgefallenen Blättern. Die Larven leben an Die Art ist verbreitet Veilchen-Arten, anfangs und häufig und kann am in Minen in den Blattstie- ehesten in halboffenen Lebensräumen ange- len, dann in einer unterirdischen, seidenen troffen werden. Die Falter (Flügellänge: ca. Röhre, von wo aus sie die Wurzeln befressen. 7 mm) fliegen auch bei Tag, meist im Mai Offene, trockene Lebensräume werden be- und Juni.

198 Kleinschmetterlinge Ein Leben in der Mine

Sucht man nach markanten Unterschieden Bisigna procerella zwischen Mikros und Makros, tut man gut daran, dies bei der Biologie der Raupen zu tun. Und da stößt man schnell auf eine Lebens- form, die es bei den echten Makros praktisch gar nicht gibt, die bei Mikros aber sehr ver- breitet ist: Sie leben in Minen.

Was sind also solche „Minen“? Nun, in Kohle- bergwerken leben diese Tiere natürlich nicht. Die Minen der Schmetterlingsraupen (bzw. anderer Larven) sind selbst geschaffene Hohlräume in Teilen der Nahrungspflanze, in Heinemannia festivella denen die Raupen alles vorfinden, was sie zum Leben brauchen: Nahrung, Sauerstoff, das passende Mikroklima und Schutz.

Biologen vermuten, dass das Minieren eine sehr ursprüngliche Lebensform der Raupen ist. Beweisen lässt sich diese Annahme zwar kaum, doch ist es eine Tatsache, dass die Raupen der „primitiven“, d. h. evolutionär ur- sprünglichen Familien überwiegend bis aus- schließlich minierend leben, während bei den „höher entwickelten“ (evolutionär weiter fort- Pancalia leuwenhoekella geschrittenen) Familien die Zahl der minie- renden Arten immer mehr abnimmt. Dieser Trend setzt sich bis zu den „echten Makros“ fort: Sie umfassen die höchstentwickelten Schmetterlingsfamilien, hier gibt es fast keine Minierer mehr.

Wer sich mit Mikros beschäftigt, wird schnell bemerken, dass einer der besten Zugänge zu dieser Gruppe über die Minen führt: • Sie sind um ein Vielfaches leichter zu fin- den als die Falter (und auch viel leichter als die kleinen Raupen zu finden wären, säßen Eriocrania sparmannella sie frei auf der Nahrungspflanze). • Sie verraten naturgemäß die Nahrungs- pflanze der Raupe: Damit kann man sofort die Zahl der in Frage kommenden Schmet- terlingsarten drastisch eingrenzen.

Kleinschmetterlinge 199 Peter Buchner (10x) Peter Olethreutes arcuellus Typische Gangminen von Stigmella rhamnella (oberen beiden Bilder)

• Und die Form der Minierer: Verlauf (angelehnt an Blattadern Mine gibt eine weitere oder nicht, gewunden, geschlängelt oder spi- wichtige Auskunft über ralig, ...); die Schnelligkeit der Verbreiterung die Artzugehörigkeit des Ganges; Form bzw. Breite und Farbe der der Raupe, oft erhält Kotlinie, die die Raupe zwangsläufig beim man anhand dieser Weiterfressen zurücklässt; Eireste am Gang- Informationen sogar anfang u. v. a. schon eine eindeutige Artbestimmung – viel An Kreuzdorn (Rhamnus catharica) kommen leichter und viel bei uns 2 Schmetterlingsarten vor, die Gang- sicherer, als wenn man minen erzeugen. Beide gehören zur Familie irgendwo den erwach- der Nepticulidae, es sind Stigmella catharti- senen Schmetterling cella und Stigmella rhamnella. erwischt. Die Minen von Stigmella rhamnella sind eng Die wichtigsten Minen- gewunden oder spiralig, besonders am Mi- typen sollen im Fol- nenanfang. Der Kot ist dunkelbraun und füllt genden anhand von die Mine in ganzer Breite aus. Am Ende er- Beispielen vorgestellt weitert sie sich stark. Die Mine wird von der werden: erwachsenen Raupe verlassen, sie verpuppt sich unmittelbar darauf, z. B. an Rinde ange- Gangminen in sponnen. Blättern Ein häufiger Minen- Bei Stigmella catharticella sind die Minen Typ. Dabei werden die über weite Strecken gerade oder an Blatt- grünen Zellen zwi- adern bzw. den Blattrand angelehnt und am schen Ober- und Un- Ende nicht auffällig erweitert. Der Kot ist terseite eines Blattes hellgrün, wodurch diese Minen verhältnis - herausgefressen, die mäßig schwer sichtbar sind. Die Falter (Flü- Außenhaut bleibt in- gelänge: 2 mm) selbst sind sehr ähnlich, hier takt. Da die Raupe der aus der abgebildeten Mine gezüchtete beim Sichdurchfressen Falter von Stigmella catharticella. wächst, wird die Mine immer breiter. Daher Platzminen an Blättern kann man bei Gangmi- Auch ein häufiger Minentyp. Eine Gemein- nen relativ gut das samkeit mit den Gangminen ist, dass eben- Alter und die Reife der falls die grüne Substanz der Blätter gefres- Raupe abschätzen. sen wird und die obere und untere Epidermis Kommen an einer erhalten bleiben. Anders ist die Form: Meist Pflanzenart mehrere rundlich oder oval, die Raupe kann sich darin Schmetterlingsarten frei bewegen. Der Kot wird entweder an vor, die Gangminen er- einer bestimmten Stelle abgelegt und dort zeugen, gibt es z. B. versponnen, sodass die Wohnung der Raupe folgende Kriterien zur wenigstens großteils sauber ist oder er wird Artunterscheidung der durch ein kleines Loch ausgeworfen.

Typische Gangmine sowie adulter Falter von Stigmella catharticella (unteren200 Naturräumliche beiden Bilder) Ver- Als Beispiel die Mine von Coptotriche angusti- colella (Schopfstirnmotten, Tischeriidae). Hier Typische Platzmine wird der Kot ausgeworfen, das Auswurfloch von Coptotriche ist gut zu erkennen. Diese Art lebt an Rosen- angusticolella Arten (Rosa sp.). Die Verpuppung erfolgt in der Mine, wo die Puppe auch überwintert. Vor dem Schlüpfen schiebt sie sich halb aus der Mine, die leere Puppenhülle (Exuvie) bleibt zurück und verrät, dass der Falter (Flügel- länge: 4 mm) bereits geschlüpft ist.

Der Falter von Coptotriche angusticolella (Flügellänge: 4 mm) ist nur schwer von C. gaunacella zu unterscheiden. Auch der Minentyp ist ganz gleich. C. gaunacella lebt Puppenhülle von Coptotriche aber an Schlehdorn (Prunus spinosa), die angusticolella Nahrungspflanze verrät also sofort, welche Schmetterlingsart hier wohnt.

Eigentlich ist es eine Sonderform der Platz- mine. Der Unterschied besteht darin, dass auf einer Seite die Epidermis mit Spinnfäden zusammengezogen wird, wodurch sie sich in Falten legt. Dabei wölbt sich die gegenüber- liegende Epidermis auf, es entsteht eine sehr geräumige Wohnung für die Raupe. Kleine Blätter können dadurch u. U. ganz verformt Falter von Coptotriche werden. Solche Minen findet man oft bei Ver- angusticolella tretern der Familie Gracillariidae. Sie sind meist undurchsichtig, was die Abschätzung der Reife der Raupe sehr erschwert. Als Beispiel sei Eucalybites auroguttella (Flü- gellänge: 4 mm) gezeigt. Diese Art lebt an Johanniskraut (Hypericum sp.).

Ein seltener und recht extremer Minentyp. Die Raupen bleiben zeitlebens in der Epider- mis, sie heben die obere Schicht ab und trin- ken die dadurch austretende Flüssigkeit. Faltenmine von Eucalybites auroguttella Blattgewebe wird nicht aufgenommen. Da- durch entsteht auch kein sichtbarer Kot, denn dieser besteht vorwiegend aus der un- verdaulichen Zellulose.

Falter von Eucalybites auroguttella Peter Buchner (9x) Peter Epidermale Mine von Falter von Phyllocnistis xenia Phyllocnistis xenia spiraeella

Erstaunlich, dass in diesem Saft alles enthal- ten ist, was eine Schmetterlingsraupe zum Leben und Wachsen braucht! Diese Lebensweise findet man gar nicht so Solche Minen erzeugen z. B. die 4 heimischen selten. Unsere artenreichste Schmetterlings- Phyllocnistis-Arten. Sie sind als Falter (Flü- gattung (Coleophora: 200 Arten in Öster- gellänge: knapp 3 mm) kaum unterscheid- reich, 415 in Europa) lebt als Raupe fast aus- bar, jede lebt aber in einer anderen Pflanzen- schließlich auf diese Weise. art. Die Raupe beißt ein kreisrundes Loch in die obere oder untere Epidermis, durch das sie Beispiel: Phyllocnistis xenia (Gracillariidae) das grüne Blattgewebe ausminiert. Der Sack an Silberpappel (Populus alba). wird über der Einstiegsöffnung angesponnen. Meist behält die Raupe mit ihrem Hinterende Die besondere Gestalt – eine doppelte Silber- Kontakt mit dem Sack, sie kann ihn aber linie an der Blattoberseite – entsteht da- auch ganz verlassen und sich in der Mine frei durch, dass zuerst die durchsichtige Ober- bewegen. Bevor eine neue Mine angelegt haut des Blattes abgehoben wird und ein wird, bezieht sie ihn wieder, löst ihn von der Luftspalt entsteht, durch den flüssigen Kot Unterlage und geht mit ihm auf Wander- wird dieses Häutchen hinter der Raupe in der schaft. Dabei streckt sie nur den Kopf und Mitte wieder angeklebt, nur an den Rändern die 3 Brustbeine aus dem Sack. bleibt ein Luftspalt erhalten, der aufgrund von Lichtbrechung die silberweiße Farbe Falter-Wildfänge sind in dieser Gattung nach erzeugt. Da diese Raupen keine Blattsub- äußeren Merkmalen fast ausschließlich unbe- stanz fressen, sind die Minen im Durchlicht stimmbar: Etwa 95 % der Arten geben ihre natürlich unsichtbar. Artzugehörigkeit erst nach Genitalpräpara- tion preis. Dagegen sind die Raupen in der Erwähnt sei, dass manche Arten ihre Minen Mehrzahl der Fälle ohne Aufwand zu bestim- in der Rinde von Zweigen, im Blattstiel, im men, zum einen anhand der Nahrungs- Holz oder in Früchten anlegen. Diese stellen pflanze und zum anderen anhand des Sack- aber im Vergleich zu den Blattminierern nur baues. Die Minen selbst liefern hier keine eine kleine Minderheit. Anhaltspunkte für die Artbestimmung.

202 Kleinschmetterlinge Im Folgenden werden 3 Sacktypen vor- gestellt: Quer mit Blatt - a. Quer mit Blattstücken besetzte Säcke stücken besetzt: Coleophora colutella

Coleophora colutella Miniert an Tragant, hier an Süßholz-Tragant, .

Coleophora lineola Miniert an Ziest, hier an rotem Heilziest, Be- tonica officinalis. Die Struktur der Blätter bleibt erkennbar, hier v. a. die filzige Behaa- rung der Unterseite Quer mit Blattstücken b. Aus einem Blattstück bestehender Sack besetzt: Coleophora li- neola Coleophora limosipennella Die beiden Sackhälften bestehen aus der oberen und der unteren Blattepidermis. Meist wird das Material am Rand eines Blattes aus- geschnitten, dann bleiben die Zähne des Blattrandes erkennbar. Die hier gezeigte Art miniert an Ulmen. c. Ausschließlich aus Gespinst hergestellter Sack, enthält keine Blattsubstanz. Aus einem Blattstück Coleophora anatipennella bestehender Sack: Cole- ophora limosipennella Lebt an verschiedenen Rosengewächsen, z. B. Apfel (Malus sp.)

Die langen, in Ruhe streng nach vorn gerich- teten Fühler und die insgesamt schmale Ge- stalt (siehe unterstes Foto) sind die typi- schen Kennzeichen der Falter aus dieser Gattung, z. B. Coleophora trochilella (Flügel- länge: 5 mm).

Die Beschäftigung mit der Gattung Cole- Ausschließlich aus Ge- spinst hergestellter ophora ist eine derartige Herausforderung, Sack: Coleophora anati- dass es Entomologen gibt, die sich Jahr- pennella zehnte fast ausschließlich mit dieser einen Gattung beschäftigen, ohne dass ihnen dabei langweilig werden würde.

Coleophora trochilella Peter Buchner (8x) Peter Falter von Pammene Eichenschwammgalle gallicolana (Flügellänge: mit Exuvie des ge- ca. 6 mm) schlüpften Falters Peter Buchner Peter Bryner Rudolf

Das Leben in engen ökologischen Nachdem diese Gallen von den Mücken ver- Nischen lassen wurden, kann sich die Raupe von Pammene gallicolana darin entwickeln. Die Die „ökologische Nische“ einer Art ist, kurz Schmetterlingsraupen sind selbst nicht in der definiert, „der Teil des Gesamtlebensraumes, Lage, Gallenbildung hervorzurufen. der von einer Art genützt wird bzw. genützt werden kann“. Das lässt sich nach verschie- Die Logik solch einer Einnischung besteht denen Aspekten weiter unterteilen, etwa in darin, dass diese Art dort keine Nahrungs- klimatische Nischen, Nahrungsnischen der konkurrenz hat. Die polyphagen Arten fres- Raupen, Nahrungsnischen der Falter usw. sen nämlich auch keineswegs „alles“. Sie Im Folgenden wird nur auf die Nahrungsni- können zwar viele Pflanzenarten nützen, aber schen der Raupen eingegangen werden – nicht jeden Teil der Pflanzen. Und wenn ein sicher einer der wesentlichsten Aspekte im bestimmter Pflanzenteil, wie eben diese ver- Leben eines Schmetterlings. lassene Schwammgalle, von niemandem ge- fressen wird, so ist das wie eine Einladung an Können viele Pflanzenarten gefressen werden einen potenziellen Interessenten. Und wenn (= polyphag), besetzt diese Art eine breite irgendein Insekt es schafft, den Zugang zu Nahrungsnische. Anders gesagt: Sie ist be- dieser Nische zu knacken – z. B. durch eine züglich der Nahrung anspruchslos. Mutation, die die chemische Zusammenset- Viele Schmetterlingsraupen sind aber oligo- zung der Verdauungssäfte verändert –, dann phag (fressen nur wenige Pflanzenarten) hat es einen enormen Vorteil. Es wird dann oder gar monophag (fressen ausschließlich sicher noch eine geraume Zeit dauern, bis die eine Pflanzenart). Aber es geht noch enger: Evolution die Fähigkeit zur Ausnützung dieser Nahrungsquelle perfektioniert hat. Aber so- Als Beispiel sei der Wickler Pammene gallico- bald das geschehen ist, gelingt es einer wei- lana genannt. Er ist nicht nur auf Eichen an- teren Art kaum noch, diese Nische ebenfalls gewiesen, sondern lebt ausschließlich in den zu besetzen, denn diese weitere Art müsste Schwammgallen der Gallmücke Biorrhiza pal- ja – da anfangs noch mit schlechterem Werk- lida. Diese Gallen sind Gewebewucherungen zeug – gegen die perfekt angepasste Art an- der Eichenrinde, die von Ausscheidungen der treten. In dieser Situation fehlt aber der Vor- Gallmückenlarven hervorgerufen werden. teil, der nötig ist, damit die Evolution eine

204 Kleinschmetterlinge aufkeimende Fähigkeit perfektioniert. Aus diesem Grund sind solch extreme Nischen meist nur von einer Art besetzt. Freilich gibt es da auch Ausnahmen, so könnten sich z. B. 2 Arten unabhängig voneinander in weit ge- trennten Gebieten entwickeln.

Einer der Gründe, dass die Artenzahl bei den heimischen Mikros doppelt so hoch ist wie bei den Makros, ist, dass viele Arten sehr Phyllonorycter enge ökologische Nischen besetzen. cerasicolella

Mikros als Spiegelbild der Evolution

Wenn wir schon bei Einnischung und Evolu- tion sind: Viele Raupen bei den Mikros sind monophag. Wie haben eigentlich die Pflan- zenart und die Schmetterlingsart zusammen- gefunden? Oder haben sie überhaupt zuam- mengefunden, haben sie nicht vielmehr „auseinandergefunden“? Phyllonorycter Dieses kleine Wortspiel wird sicher erst nach acerifoliella dem Lesen der folgenden Ausführungen ver- ständlich.

Betrachten wir einmal zwei bezüglich Farbe stark unterschiedliche Phyllonorycter-Arten:

Phyllonorycter cerasicolella (siehe Bild) stellt gewissermaßen den „Grundtyp“ dar. Die über- wiegende Mehrheit der etwa 70 heimischen Arten hat diese goldbraune Grundfarbe. Phyllonorycter platanoidella Phyllonorycter acerifoliella (siehe Bild) ist ein Sonderfall. Nur 3 Arten entsprechen diesem Schema. Diese überschaubare Gruppe wird im Folgenden näher betrachtet:

Phyllonorycter acerifoliella (siehe Bild) lebt als Raupe in einer Faltenmine an Feldahorn. Die ähnlichste Art ist Ph. platanoidella, sie unter- scheidet sich nur in Details bezüglich der Ver- teilung der schwarzen Striche im basalen Teil Phyllonorycter der Vorderflügel. Und – das ist hier wichtig – Peter Buchner (4x) Peter geniculella

Kleinschmetterlinge 205 Ectoedemia louisella: Das Tier ist schon etwas älter und daher ausgeblasst, ansonsten unter- Ectoedemia decentella scheidet es sich von (Flügellänge: knapp 2 mm): E. decentella nur durch die Der wichtigste Unterschied zu gelben Kopfhaare. Frucht von Bergahorn mit den beiden anderen Arten: E. sericopeza (nicht abgebildet) Gangmine von E. louisella schwarze Kopfhaare. sieht genauso aus. (Pfeil)

in der Nahrungspflanze der Raupe: Sie lebt Gründet man diese Überlegung nur auf die nämlich auf Spitzahorn. Und die Dritte im 3 Phyllonorycter-Arten, ist es wirklich nicht Bunde ist Ph. geniculella (vorige Seite, Bild viel mehr als Spekulation. Aber die Mikros unten), sie ist schon deutlicher verschieden. haben in dieser Frage durchaus noch etwas Ihre Raupe lebt an Bergahorn. zu bieten. Denn es gibt aus der Familie der Nepticulidae eine verblüffende Parallele: Die auffallende Ähnlichkeit der 3 Arten, ihre ab- weichende Färbung gegenüber allen anderen Ectoedemia louisella lebt in 2 Generationen Arten und die Tatsache, dass alle 3 an Ahorn an Feldahorn, die Raupen der 1. Generation leben, lassen sich nur so interpretieren, dass es in Gangminen in den Trieben, die der 2. Ge - bei Phyllonorycter ursprünglich nur eine weiße neration in Gangminen in den Früchten. Art gegeben hat und diese lebte auf dem „Ur- Ectoedemia sericopeza lebt in gleicher Weise Ahorn“. Indem sich daraus die heutigen Ahorn- an Spitzahorn und Ectoedemia decentella an Arten entwickelten, hat sich auch die weiße Bergahorn. „Ur-Phyllonorycter“ in 3 Arten aufgespalten. Und auch hier sind einander die Arten von Der ursprüngliche Ahorn hat also gewisserma- Feld- und Spitzahorn extrem ähnlich, so sehr, ßen „seinen“ Schmetterling auf die evolutionäre dass sie als Falter kaum zu unterscheiden Reise in die Aufspaltung in die heutigen Ahorn- sind. Die Art auf Bergahorn weicht dagegen Arten mitgenommen. schon deutlicher ab. Durch diese Parallele bekommt die oben an- Jetzt verlockt das Aussehen der 3 weißen gestellte „Spekulation“, dass Feld- und Spitz- Phyllonorycter-Arten noch zu einer weiteren ahorn einander nahestehen, der Bergahorn Spekulation: aber verwandtschaftlich weiter abseits steht, ein ganz anderes Gewicht. Phyllonorycter acerifoliella und Ph. platanoi- della sind einander extrem ähnlich. Das Die Ähnlichen – wenn auch nur könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich äußerlich Feld- und Spitzahorn selbst sehr nahestehen, also sich erst in jüngerer Zeit artlich getrennt Mehrfach wurde schon erwähnt, dass viele haben. Hingegen hat der Bergahorn mit „sei- als Falter gefangene Mikros nur mit Hilfe der ner“ deutlicher abweichenden Phyllonorycter Genitalpräparation bestimmbar sind. Eine geniculella schon viel früher artliche Eigen- Artengruppe, die hier besonders extrem ist, ständigkeit entwickelt. sei hier vorgestellt.

206 Kleinschmetterlinge albifrontella

Syncopacma cinctella

Syncopacma ochrofasciella

Syncopacma

Peter Buchner (11x) Peter taeniolella

Kleinschmetterlinge 207 Sie gehört zur Gattung Syncopacma (Gele- chiidae). Zwar gibt es auch einige Synco- pacma-Arten, die äußerlich bestimmt werden können, die Mehrzahl entspricht aber einem einheitlichen Schema, nämlich „schwarz- braun mit einer weißen Querbinde“. Umso erstaunlicher ist es, wie verschieden die Ge- nitalarmaturen dieser Arten sind! Es werden 4 Arten vorgestellt (von oben nach unten): Syncopacma albifrontella, S. cinctella, S. ochrofasciella und S. taeniolella (Flügel- länge bei allen: ca. 5 mm).

Der Autor dieser Zeilen hat auf eine sehr er- freuliche Art und Weise vor Augen geführt bekommen, dass selbst heute noch um die Mikros, die ausschließlich durch Genital - präparation bestimmbar sind, ein großer Bogen gemacht wird: Die hier gezeigte Syn- copacma ochrofasciella war der erste Nach- weis dieser Schmetterlingsart für Österreich.

Mag. Peter Buchner Scheibenstraße 335 2625 Schwarzau/Steinfeld

208 Kleinschmetterlinge Brigitte Komposch Listspinne Pisaura mi- 4.18 Pusztazwerge und Steppen- die Flughöhe der Arachniden liegt dabei zwi- rabilis: Während das Weibchen den Eiko- wölfe – die Spinnenfauna der schen wenigen Dezimetern und mehreren kon mit sich herum pannonischen Magerrasen Tausend Metern. Dieses Phänomen des trägt, nimmt es keine Massenfliegens von Jungspinnen findet im Nahrung zu sich. Spätsommer statt und wird im Volksmund als Christian Komposch „Altweibersommer“ bezeichnet.

Allgegenwärtige Achtbeiner Wenngleich nur wenige Aeronauten diese Form der schnellen (und gefährlichen) Aus- Spinnen (Araneae) trifft man in allen Gebieten breitung überleben – viele landen in unge- der Erde, von den Permafrostböden der Arktis eigneten Lebensräumen, andere werden un- bis zu den trocken-heißen Wüstenzonen, von terwegs von Vögeln gefressen – gelingt es den vegetationslosen Block- und Felsstandor- aufgrund des großen „Starterfeldes“ doch ten der höchsten Alpengipfel bis zu den sandi- einigen Individuen am Ort der Landung eine gen Trockenrasen der Ungarischen Tiefebene. Population aufzubauen. Dadurch zählen Spinnen nehmen aufgrund ihres arten- und Spinnen zu den ersten und dominanten Be- individuenreichen Auftretens in allen terrestri- siedlern neu entstandener Lebensräume. schen und semiaquatischen Lebensräumen Derartige Pionier-Spinnengesellschaften fin- eine zentrale Stellung im Ökosystem ein. den sich nicht nur auf neu entstandenen vul- Derzeit sind mehr als 40.000 Spinnenarten kanischen Inseln sondern auch auf regelmä- bekannt. Ihre allgegenwärtige Präsenz ver- ßig umgelagerten Schotter- und Sandbänken danken diese Tiere der Fähigkeit des Faden- naturnaher Bäche und Flüsse, auf Ackerflä- fluges, dem so genannten „ballooning“. Bei chen, in Bergsturzgebieten, Bergbaugebie- günstiger Thermik gelingt es jungen oder ten, Lawinenhängen, Brandflächen und kleinen Spinnenarten aus unterschiedlichen weiteren Erosions- und Sukzessionsflächen. Familien am eigenen Faden fliegend als Andererseits können stenotope und wenig „Luftplankton“ Strecken von 100 Kilometern mobile Bodenbewohner wie beispielsweise und mehr zurückzulegen (z. B. FOELIX 1992); Röhren- oder einige Tapezierspinnen als sehr

Spinnen 209 Falsche Schwarze Witwe (Steatoda paykulliana): Die Wärme liebenden Tiere sind in den letzten Jahrzehnten im Süden Öster- reichs eingewandert, noch gibt es aber kei- nen Nachweis aus dem Pannonikum (oben). Mauer-Tapezierspinne (Atypus muralis): Die urtümlich wirkenden Tapezierspin- nen sind die einzigen Vogelspinnen-Ver- wandten in Mitteleuropa (Mitte). konservative Faunenelemente als Indikatoren für langfristig wenig veränderte Lebens- räume bzw. für Analysen historischer Nut- zungs- und Bewirtschaftungsformen heran- gezogen werden.

Artenreich – Österreich

Die „arachnologische Schallmauer“ ist durch- brochen! Nennen BLICK et al. (2004) in ihrer Checkliste der Spinnen Mitteleuropas vor we- nigen Jahren noch 984 Arten für Österreich, sind inzwischen mehr als 1.000 Spinnenarten aus 40 Familien für das Bundesgebiet nach-

Christian Komposch gewiesen (KOMPOSCH 2008).

Die Mager- und Trockenrasen Ostösterreichs zählen aus spinnenkundlicher Sicht zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas. Im „arachnologischen Klassiker“ des Panno- nikums, der Bearbeitung der Spinnenfauna des Hackelsberges im Leithagebirge, präsen- tierte Karen HEBAR (1980) eine Artenliste mit 148 Spezies, darunter zahlreiche zoogeogra- phisch und faunistisch bemerkenswerte Arten. Wenige Jahre vor den umfangreichen Untersuchungen HEBARs (1975 bis 1976) leg- ten der bekannte Arachnologe Jörg Wunder- lich und der Köcherfliegenspezialist Hans Ma-

Christian Komposch licky eine Liste arachnologischer Raritäten von 1964 bis 1969 mittels Barberfallen „ne- benbei erbeuteten“ Spinnen vor. Unter die- sen aus Trockenrasen, Hutweiden, Mähwie- sen und wärmeliebenden Gebüsch- und Waldstandorten aus dem Burgenland und aus Niederösterreich stammenden Tieren waren mehrere Neufunde für Österreich und die Wissenschaft (u.a. WUNDERLICH 1969, MALICKY 1972). Zuvor hatte sich Harald NEMENZ (1959: 136) mit der „Spinnenfauna des Neu- siedlersee-Gebietes“ befasst und berichtet unter anderem vom Vorkommen der Wasser- spinne (Argyroneta aquatica), der hygrobion- ten Streckerspinne Tetragnatha striata und der Südrussischen Tarantel (Lycosa singo- Heinz Wiesbauer Wespenspinne (Argiope bruennichi): Ihre Ausbreitung gilt als Indiz für die Klimaerwärmung in Europa.

210 Spinnen Dornfinger Cheiracanthium puncto- rium: Die Dornfingerspinne gilt als Laufspinne Thanatus formicinus: die für den Menschen gefährlichste Markantes Erkennungsmerkmal ist Spinne Mitteleuropas. Ihr Biss kann der schwarze Rücken-Spießfleck auf heftige Schmerzen verursachen. graubraunem Körper. Heinz Wiesbauer Christian Komposch riensis). Jener Autor analysierte die beson- Röhrenspinne, Pracht-Springspinne und die dere zoogeographische Lage des Gebietes Krabbenspinne Synema globosum schien und dokumentierte das Auftreten einiger öst- WERNER (1927) das Auffinden der Wespen- licher Formen, die „hier am Westrand der un- spinne und des Karpatenskorpions (Eu scor- garischen Tiefebene ebenso an die Grenze pius carpathicus) besonders erwähnenswert. ihrer Verbreitung gelangen, wie einige an- dere, für die dieselbe Ebene ein unüberwind- Die Artenliste enthält auch den wissenschaftli- liches Hindernis für ein weiteres Vordringen chen Namen Ch(e)iracanthium punctorium nach Osten darstellt.“ und somit die „berühmt-berüchtigte“ Dornfin- gerspinne. Es sei an dieser Stelle nur am Das Rad der Erforschungsgeschichte der Rande erwähnt, dass der Dornfinger im Zuge Spinnenfauna dieser Region weiter zurück- der mediengeschürten Hysterie der letzten drehend, ist die Bereicherung unserer Jahre seitens der Presse regelmäßig und un- „Kenntnis der Bodenfauna im pannonischen verbesserlich fälschlicherweise als neu einge- Klimagebiet Österreichs“ durch Herbert Franz wanderte oder eingeschleppte Art porträtiert und Max Beier zu erwähnen. In ihrer aus- wurde. Doch zurück zum Skorpionspezialisten führlichen Abhandlung der Arthropoden Franz Werner und dem bemerkenswerten (FRANZ & BEIER 1948) werden auffällige For- Auftreten südlicher und östlicher Faunenele- men wie die Tapezierspinne Atypus affinis, mente „hoch oben im pannonischen Norden die Rote Röhrenspinne (Eresus cinnaberi- Österreichs“: das weithin isolierte Auftreten nus), die Wespenspinne (Argiope bruennichi) des Karpatenskorpions im Kamptal, aktuellen und die Pracht-Springspinne (Philaeus chry- Forschungsergebnissen zufolge sind alle sops) genannt. Franz Werner begann seine österreichischen Karpatenskorpione als Tries- Sammelaktivitäten an einer „xerothermischen tinerskorpion (Euscorpius tergestinus) anzu- Lokalität“ im Unteren Kamptal in Niederöster- sprechen (KOMPOSCH 2004), ist auch für THALER reich vor 100 Jahren: Unter den von Eduard & KNOFLACH (1995) „noch immer rätselhaft“. Reimoser determinierten Spinnen befanden sich mehrere sub- und pontomediterrane Unter den aktuellen Arbeiten zur Spinnen- Faunenelemente. Neben dem Nachweis der fauna des österreichischen Pannonikums sei

Spinnen 211 Wolfspinne Alopecosa inquilina: Diese mit bis zu 17 mm Körperlänge Gemeine Baldachinspinne (Linyphia große Wolfspinnenart zählt zu den triangularis): Die im Netz hängenden charakteristischen Magerrasen- Spinnen sind von oben betrachtet gut Bewohnern Ostösterreichs. getarnt. Christian Komposch Christian Komposch jene des Kärntners und Wahltirolers Karl- BUCHAR (1968) eine rege arachnologische Heinz Steinberger hervorgehoben, der in der Tätigkeit bei unseren ungarischen Nachbarn Parndorfer Platte mittels Barberfallen mehr (z. B. SZITA et al. 2002). Nicht unerwähnt als 200 Spinnenarten nachweisen konnte bleiben darf in einem Beitrag über Spinnen- (STEINBERGER 2004, K. Thaler unpubl.). Meh- tiere des pannonischen Österreichs Jürgen rere Diplomarbeiten unter der Ägide Wolf- GRUBER (1960), einer der bedeutendsten We- gang Waitzbauers und mit Unterstützung bei berknechtkundler Europas, der bereits im den Determinationsarbeiten durch Karl-Heinz Jahr 1958 damit begann, die „Kenntnis der Steinberger hatten die Spinnenfauna heraus- Opilionenfauna des Leithagebirges und der ragender Wärmestandorte Nordostöster- Hainburger Berge“ zu erweitern, und diese reichs zum Thema: Braunsberg bei Hainburg Arbeiten über einen Zeitraum von 50 Jahren (RIEDL 1999, GRASBÖCK 2001), Eichkogel bei scheinbar unermüdlich fortsetzt. Mödling (ZOLDA 1997) und Hundsheimer Berge (PRIESTER 1997, PRIESTER et al. 1998, Puszta-Spinnen KIRCHMAYR 2002). Unterstützung bei der Er- forschung der Spinnenfauna Ostösterreichs Die Spinnenfauna der Magerwiesenstandorte kam auch vom Senckenberg-Museum in des Pannonischen Raumes, seien es nun Frankfurt: JÄGER (1995) publizierte knapp Trockenrasen, Halbtrockenrasen, extensive 100 Spinnenarten, darunter einige Erstnach- Hutweiden, Bracheflächen, Felssteppen, weise für Österreich. Sanddünen, Salzwiesen oder die Sandpuszta, ist hoch divers. Die artenreichste und vor- Hauptverantwortlich für das Überschreiten herrschende Arachnozönose ist hier jene der der „magischen Zahl von 1.000 österreichi- Bodenoberfläche. Zur wissenschaftlichen Er- schen Spinnenarten“ sind mit Norbert Mila- fassung dieser epigäischen Fauna kommt seit sowszky, Klaus Peter Zulka und in jüngster wenigen Jahrzehnten die Boden- oder Bar- Zeit auch Martin Hepner jene Arachnologen, berfallenmethode standardmäßig zum Ein- die sich seit vielen Jahren insbesondere der satz. Eine Analyse des Familienspektrums Arachnozönosen des Pannonischen Raumes der epigäischen Spinnenfauna dieser alle- angenommen haben. Ein Blick über die samt bundesweit hochgradig gefährdeten Grenzen des Landes zeigt neben dem Wie- Standorte zeigt eine – zu erwartende – Do- senspinnen-Bearbeiter Tschechiens Jan minanz der Baldachin- und Zwergspinnen

212 Spinnen Rote Röhrenspinne (Eresus cinnaberi- nus): Sie zählt zu den Charakterarten Rote Röhrenspinne (Eresus cinnaberinus): von Trockenrasen und Felssteppen. Die Das Weibchen ist dunkel gefärbt und besitzt wunderschön gefärbten Männchen sind eine gelbliche Stirn. Es ist in der Lage, auch nur wenige Wochen im Jahr aktiv größere Käfer und Tausendfüßer zu über - (Paarungszeit). wältigen. Heinz Wiesbauer Heinz Wiesbauer

(Linyphiidae), Wolfspinnen (Lycosidae) und tige Zeichnung (Mimikry): der schwarze Vor- Plattbauchspinnen (Gnaphosidae); artenreich derkörper der an Springspinnen erinnernden vertreten sind auch Krabbenspinnen (Thomi- Tiere kontrastiert mit eingestreuten weißen sidae), Springspinnen (Salticidae) und Lauf- Härchen, der Hinterkörper ist intensiv rot be- spinnen (Philodromidae). Stetig und in hohen haart und besitzt vier rundliche schwarze Abundanzen im Seewinkel anzutreffen sind Flecken. Die beiden vorderen Beinpaare sind die Wolfspinnen Pardosa agrestis, P. cribata, schwarz-weiß geringelt, die hinteren Alopecosa pulverulenta und Arctosa lute- schwarz-rot. Zu beobachten sind die auffälli- tiana, die Zwergspinnen Oedothorax gen Männchen für nur wenige Wochen zur apicatus, Prinerigone vagans, Erigone atra Paarungszeit: von Mitte August bis Mitte und E. dentipalpis, die Krabbenspinnen Xysti- September – hinsichtlich ihrer Phänologie cus kochi und X. ninnii sowie die Plattbauch- unterscheiden sich die einzelnen Populatio- spinnen der Gattung Zelotes (u. a. ZULKA & nen Mitteleuropas deutlich – streifen sie auf MILASOWSZKY 1998, MILASOWSZKY & WAITZBAUER in der Suche nach den in bis zu 10 Zentimeter Druck, MILASOWSZKY et al. in Druck). Besonde- tiefen Erdröhren lebenden Weibchen im Of- rer Erwähnung bedarf dabei der Nachweis der fenland umher. Die deutlich größeren, dunkel eurasisch verbreiteten Reliktart von natürli- gefärbten Weibchen bestimmter Populationen chen Störungslandschaften Zelotes mundus besitzen eine auffällig gelb behaarte Stirn. (MILASOWSZKY et al. 2007, ZULKA et al. 1997). Die taxonomische Bedeutung dieser Unter- schiede in der Färbung und Phänologie von Die Röhrenspinne – Inbegriff des ge- europäischen Eresus-Populationen wird der- fährdeten Trockenrasenbesiedlers zeit noch kontroversiell diskutiert. Die mit Spinnseide ausgekleidete Wohnröhre erwei- Wohl kein anderes Spinnentier ist dazu bes- tert sich an der Bodenoberfläche zu einem ser geeignet die Kleintierwelt der nieder- wenig auffälligen, watteartigen Fanggewebe, österreichischen Trockenrasen zu repräsen- in dem oftmals Nahrungsreste wie Flügelde- tieren als die Röhrenspinne. Der – auch von cken von Lauf- und Mistkäfern und Chitin- Nicht-Arachnologen – als „wunderschöne panzer von Tausendfüßern dem Arachnolo- Spinne“ bezeichnete ein bis zwei Zentimeter gen das Vorhandensein einer Röhrenspinne große Eresus cinnaberinus besticht im männ- signalisieren. Eresus cinnaberinus ist ein lichen Geschlecht durch seine marienkäferar- südeuropäisches Faunenelement, das in

Spinnen 213 schen Steppengürtel bis ins östliche Öster- reich. Lycosa singoriensis ist trotz ihrer Größe nicht leicht zu entdecken, lebt diese Art doch in Erdröhren, die sie in den Sandbo- den gräbt. Als Habitate dienen ihr sowohl die Uferbereiche der Salzlacken als auch höher gelegene beweidete Trockenrasen. In der ak- tuellen Roten Liste gefährdeter Spinnen Österreichs wird Lycosa singoriensis als vom Aussterben bedroht („Critically Endangered“)

Christian Komposch geführt (KOMPOSCH 2008). Zur langfristigen Südrussische Sicherung des Überlebens der nationalen Be- Tarantel Österreich nur an wärmebegünstigten Stand- stände dieser naturschutzfachlichen Zielart orten überleben kann. Klassische Vorkom- werden Managementpläne für den National- men dieser Art im Pannonikum Österreichs park Neusiedler See-Seewinkel auf die Be- sind neben den bisher erwähnten Standorten dürfnisse dieses Trockenrasen- und Sandbo- beispielsweise die Trockenrasen und Fels- denspezialisten abgestimmt (MILASOWSZKY & steppen des Braunsberges bei Hainburg und ZULKA 1996, 1998). jene der Hundsheimer Berge. Die wenigen aktuellen Populationen dieser ausbreitungs- Syedra apetlonensis – Ein Zwerg mit schwachen und anspruchsvollen Spezies in großem Namen seltenen und gefährdeten Trockenrasenge- sellschaften machen die Röhrenspinne öster- Maximalgröße: knappe 1,5 Millimeter. Gelb- reichweit zu einer hochrangigen Rote-Liste- brauner Vorderkörper, dunkelgrauer Hinterkör- Art. Die Sicherung dieses arachnologischen per – und dennoch ein zoologisches Gold- Schutzgutes bedarf der Entwicklung spezifi- klümpchen! Im Jahr 1968 oder 1969 gefangen scher Pflegepläne, eines raschen Handelns und erst 24 Jahre später beschrieben (WUN- bezüglich der Umsetzung von Maßnahmen DERLICH 1992). Im Namen trägt diese kleine und einer kontinuierlichen Erfolgskontrolle. Baldachinspinne (Familie Linyphiidae) den tiefst gelegenen Punkt Österreichs, nämlich Die Südrussische Tarantel als Flagschiff- die burgenländische Marktgemeinde Apetlon. Art des Seewinkels Ursprünglich ausschließlich vom Ort der Ent- deckung (Locus typicus) bekannt, konnten Die Wolfspinne mit dem klingenden Namen GAJDOŠ et al. (1999) Syedra apetlonensis Lycosa singoriensis ist mit bis zu vier Zenti- auch in der Slowakei feststellen. Mit diesen metern Körperlänge (BELLMANN 1997) die weltweit nur zwei bekannten Vorkommen ist größte Spinne des Pannonikums und Mittel- dieser burgenländische Zwerg ein so genann- europas. Wie MILASOWSZKY & ZULKA (1996, ter Subendemit Österreichs. 1998) in ihren monographischen Bearbeitun- gen dieser „flagship “ eindrucksvoll Besonderheiten ohne Ende? belegen, übt die Südrussische Tarantel auf Arachnologen eine Faszination aus und er- Unter den netzbauenden Spinnen ist wohl die regt zugleich die Aufmerksamkeit der Öffent- Wespen- oder Zebraspinne die auffälligste lichkeit. Die Verbreitung dieser Wolfspinne und neben der Gartenkreuzspinne die be- erstreckt sich von China über den eurasi- kannteste. Argiope bruennichi, bereits an

214 Spinnen ihrem mit einem zick-zack-förmigen Stabili- ment versehenen Radnetz gut kenntlich, gilt als arachnologischer Inbegriff eines mediter- ranen Faunenelements, welches sich im Zuge der Klimaerwärmung in den letzten Jahr- zehnten „explosionsartig“ über Europa aus- breiten konnte. Wenngleich diese Arealaus- weitung auch für weite Teile Österreichs gilt Veränderliche Krab- – entlang der Talräume ist die Wespenspinne benspinne (Misu- bis ins Alpeninnere vorgedrungen (z. B. AUER mena vatia): Sie wird et al. 1989) – das Pannonikum beherbergt das Chamäleon unter diese prächtig gelb-schwarz-weiß gezeich- den Achtbeinern ge- nannt. Die Weibchen nete Radnetzspinne bereits seit mindestens können ihre Körper- 100 Jahren (WERNER 1927). färbung dem Unter-

Brigitte Komposch grund anpassen. Die nächst höher gelegene Etage des Trok- ken- oder Halbtrockenrasens, das Blüten- meer, wird von Krabbenspinnen besiedelt. Gerade das Pannonikum kann hier wiederum mit den für das menschliche Auge „schön- sten“ Vertretern der Familie Thomisidae auf- warten. Grün-weiß-gelb-rot-schwarz – das Farbenspiel der Arten Heriaeus mellottei, Thomisius onustus oder Synema globosum Vierfleck-Kreuzspinne scheint ebenso vielfältig wie das „botanische (Araneus quadratus): Substrat“, auf dem diese Räuber in Erwar- Wissenschaftlichen tung blütenbesuchender Insekten mit ausge- Untersuchungen zu- streckten Vorderbeinen geduldig lauern. Der folge erbeutet eine einzige Radnetzspinne Meister der Anpassung ist dabei zweifelsfrei mehrere Tausend

die Veränderliche Krabbenspinne (Misumena Christian Komposch Insekten pro Jahr. vatia), gelingt es ihr doch, die Körperfärbung ähnlich einem Chamäleon zu wechseln. Ein schneller und gezielter Giftbiss dieser Krabbenspinnen führt binnen kürzester Zeit selbst zur Immobilisierung wehrhafter Beute- tiere wie Bienen und Wespen. Neueste For- schungsergebnisse lassen in der Färbung dieser achtbeinigen Räuber nicht nur Vorteile durch Tarnungseffekte (Mimese) sondern eine gezielte Anlockung von Insekten durch Eckige Blüten-Krab- Ultraviolettmuster am Körper der Spinne er- benspinne (Thomi- kennen. sius onustus): Der Trockenrasen-Be- Zurück im Boden und an der Bodenoberfläche wohner lauert auf Blüten und erbeutet begegnen dem Steine wälzenden Arachnolo- Heinz Wiesbauer deren Besucher.

Spinnen 215 Kreuzspringspinne (Pellenes cf. tripunctatus): Im Herbst suchen die Tiere vorzugsweise leere Schneckenhäuser auf, um darin zu über - wintern.

Wiesen-Springspinne (Evarcha arcuata): Wie bei allen Spring- spinnen sind die vor- deren Mittelaugen teleskopartig Christian Komposch vergrößert. Christian Komposch

gen mit der Ungarischen Sechsaugenspinne (Dysdera hungarica) oder der Dalmatinischen und Böhmischen Plattbauchspinne (Haplod- rassus dalmatensis und H. bohemicus)inter- essante Arten, die ihre süd- und osteuropäi- sche Herkunft alleine schon durch ihren Namen nicht leugnen können (STEINBERGER 2004, MILASOWSZKY et al. in Druck). Stets ein Blutströpfchen-Krab- freudiger Anblick sind die in Kolonien leben- benspinne (Synema globosum): Diese den Tapezierspinnen (Familie Atypidae), die blütenbewohnende im Gebiet mit den beiden Arten Atypus pi- Krabbenspinne tritt in ceus und A. affinis vertreten sind (z. B. PRIE- zwei Farbvariationen STER et al. 1998, STEINBERGER 2004). Atypus auf: schwarz-rot und schwarz-gelb. lebt in einem selbst gegrabenen und mit Spinnseide austapezierten Wohnschlauch, der in einen an der Bodenoberfläche oder in lückiger und niedriger Vegetation montierten, geschlossenen Fangschlauch übergeht. „Stol- pert“ nun ein Insekt oder Tausendfüßer über diesen mit Gras oder Moos gut getarnten Fangschlauch, schlägt die Tapezierspinne ihre bis zu fünf Millimeter langen Chelizeren- klauen durch die Schlauchwand ins Opfer und zerrt den erbeuteten Käfer oder Schnur- Wiesen-Trichternetz- füßer ins Innere desselben. Tapezierspinnen, spinne (Agelena sp.): Die taubedeckten in Österreich mit drei Spezies vertreten, gel- Netze sind besonders ten als wenig mobil und als gute Bioindikato- im Gegenlicht der ren für naturnahe Wärmestandorte. Sollte zu Morgensonne guter Letzt auch noch der „arachnologische

auffällig. Christian Komposch Heinz Wiesbauer

216 Spinnen Marienkäfer“, ein Männchen der Röhren- von Spinnen als Bioindikatoren für land- spinne (Eresus cinnaberinus) mit seiner cha- schaftsökologische Fragestellungen macht rakteristischen rot-schwarzen Hinterleibs- die Spinnenfauna der Offenlandstandorte im zeichnung, den Weg des Biologen oder pannonischen Osten Österreichs zu vielfach Naturfreundes kreuzen, kann man – neben eingesetzten und unverzichtbaren Werkzeu- dem optischen Genuss – sicher sein, sich in gen naturschutzfachlicher Arbeiten. Der einem der naturschutzfachlich wertvollsten überaus hohe Anteil an österreichweit einzig- Trockenrasen Österreichs zu befinden! artigen Vorkommen und hochrangigen Rote- Liste-Arten verleiht der Spinnenfauna dieser Spinnen – Werkzeuge des Naturschutzes sensiblen Biotope Schutzgutstatus von natio- naler Bedeutung. Das Überleben dieser Viel- Spinnen unterscheiden sich in ihrer Autökolo- zahl an seltenen und hochgradig gefährdeten gie, insbesondere in ihrer Habitatbindung, oft Spinnenarten in Österreich ist nur durch eine nur in kleinen, aber biologisch relevanten langfristige Sicherung der Pannonischen Ma- Details. Dabei kommt besonders dem Mikro- gerrasen zu erreichen! klima sowie der Strukturdiversität hohe Be- Weiterführende Literatur deutung zu: so gibt es beispielsweise Spin- AUER, E., EGGER, W. & MILDNER, P. (1989): Die Wespenspinne nen, die nur auf Sandböden, Trockenrasen, Argiope bruennichi (SCOPOLI), und die Röhrenspinne, Eresus Feuchtwiesen, in Schilfbeständen oder auf niger (PATAGNA), in Kärnten. Carinthia II, 179./99.: 275- 279. Schotterflächen an Fließgewässern, auf Fel- BELLMANN, H. (1997): Kosmos-Atlas Spinnentiere Europas. – sen oder Rinde vorkommen. Eine hervorra- Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. Stuttgart, 304 S. gende Analyse der Habitatbindung heimi- BLICK, T., BOSMANS, R., BUCHAR, J., GAJDOŠ, P., HÄNGGI, A., VAN scher Araneen publizierten HÄNGGI et al. HELSDINGEN, P., RUŽICKA, V., STAREGA, W. & THALER K. (2004): (1995) in ihrem Buch „Lebensräume mittel- Checkliste der Spinnen Mitteleuropas. Checklist of the spi- ders of Central Europe. (Arachnida: Araneae). Version 1. europäischer Spinnen“. Die differenzierten Dezember 2004. Anforderungen der einzelnen Arten an ihren Internet:http://www.arages.de/checklist.html (20.3.2008) Habitat zeigen sich in einer außerordentlich BUCHAR, J. (1968): Analyse der Wiesenarachnofauna. Acta feinen ökologischen Einnischung. Universitatis Carolinae – Biologica 1967: 289-318. FOELIX, R. F. (1992): Biologie der Spinnen. – 2. Auflage, Georg Thieme Verlag. Stuttgart, 331 S. Beispielhaft seien hier die Lebensrauman- FRANZ, H. & BEIER, M. (1948): Zur Kenntnis der Bodenfauna im sprüche der Südrussischen Tarantel im See- pannonischen Klimagebiet Österreichs. II. Arthropoden. An- winkel erwähnt: neben passenden klimati- nalen des Naturhistorischen Museums in Wien, 56: 440-549. schen Bedingungen ist diese Spezies in GAJDOŠ, P., SVATON, J. & SLOBODA, K. (1999): Catalogue of ihrem Überleben an eine Kombination aus Slovakian Spiders. Ustav krajinnej ekologie SAV, Bratislava, 337 S. & 930 Karten. den Faktoren Sandboden und offene Vegeta- GRASBÖCK, A. (2001): Bestandesaufnahme ausgewählter Ar- tionsstruktur als Ergebnis hoher Salzkonzen- thropodengruppen auf einer beweideten und unbeweideten tration und/oder Beweidung angewiesen Fläche eines Halbtrockenrasens auf dem Nordhang des Braunsberges bei Hainburg, Niederösterreich. Diplomarbeit (MILASOWSZKY & ZULKA 1998). Spinnengemein- am Institut für Zoologie der Universität Wien, 34 S. schaften spiegeln mit hoher Trennschärfe GRUBER, J. (1960): Ein Beitrag zur Kenntnis der Opilionen- Unterschiede in der Biotopausstattung und fauna des Leithagebirges und der Hainburger Berge. Bur- -strukturierung sowie im Mikroklima wider. genländische Heimatblätter, 22: 117-126. Eine genaue Kenntnis des Arteninventars HÄNGGI, A., STÖCKLI, E. & NENTWIG, W. (1995): Lebensräume mitteleuropäischer Spinnen. Charakterisierung der Lebens- eines Untersuchungsgebietes lässt somit eine räume der häufigsten Spinnenarten Mitteleuropas und der differenzierte Beurteilung und Bewertung mit diesen vergesellschafteten Arten. Miscellanea Fauni- desselben zu. Diese ausgezeichnete Eignung stica Helvetiae, 4: 459 S.

Spinnen 217 HEBAR, K. (1980): Zur Faunistik, Populationsdynamik und österreich). Verhandlungen der Zoologisch-Botanischen Ge- Produktionsbiologie der Spinnen (Araneae) des Hackelsber- sellschaft in Österreich, 135: 151-170. ges im Leithagebirge (Burgenland). Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Mathema- RIEDL, B. (1999): Bestandesaufnahme ausgewählter Arthro- tisch-naturwissenschaftliche Klasse, Abteilung I, 189: 83-231. podengruppen eines naturnahen Trockenrasenstandortes auf dem Südwesthang des Braunsberges bei Hainburg JÄGER, P. (1995): Spinnenaufsammlungen aus Ostösterreich (Niederösterreich). Diplomarbeit am Institut für Zoologie mit vier Erstnachweisen für Österreich. Arachnologische der Universität Wien, 35 S. Mitteilungen, 9: 12-25. SZITA, É., SZINETÁR, C. & SZŨTS, T. (2002): Faunistical inves- KIRCHMAYR, R. (2002): Bestandesaufnahme der Laufkäfer- tigations on the spider fauna (Araneae) of the Fertö-Han- und Spinnenfauna (Coleoptera, Carabidae; Arachnida, Ara- ság National Park. – In: The fauna of the Fertö-Hanság Na- neae) von Trocken- und Halbtrockenrasenflächen auf der Kö- tional Park. Hungarian Natural History Museum, Budapest, nigswarte (Hundsheimer Berge, Niederösterreich). Diplomar- S. 231-244. beit am Institut für Zoologie der Universität Wien, 58 S. STEINBERGER, K.-H. (2004): Zur Spinnenfauna der Parndorfer KOMPOSCH, Ch. (2004): Die Skorpione Österreichs (Arach- Platte, einer Trockenlandschaft im Osten Österreichs (Bur- nida, Scorpiones). Denisia 12, zugleich Kataloge der OÖ. genland) (Arachnida: Araneae, Opiliones). Denisia, 12: Landesmuseen Neue Serie, 14: 441-458. 419-440. KOMPOSCH, Ch. (2008): Rote Liste der Spinnen Österreichs THALER, K. & KNOFLACH, B.B. (1995): Adventive Spinnentiere (Arachnida: Araneae). In: ZULKA, K. P. (Red.): Rote Listen in Österreich – mit Ausblick auf die Nachbarländer (Arach- gefährdeter Tiere Österreichs. Checklisten, Gefährdungs- nida ohne Acari). Stapfia, zugleich Katalog des OÖ. Landes- analysen, Handlungsbedarf. – Grüne Reihe des Lebensmini- museums N.F. 84, 37: 55-76. steriums, 14/3 (im Druck). WERNER, F. (1927): Zur Kenntnis der Fauna einer xerother- MALICKY, H. (1972): Spinnenfunde aus dem Burgenland und mischen Lokalität in Niederösterreich (Unteres Kamptal). aus Niederösterreich (Araneae). Wissenschaftliche Arbeiten Zeitschrift für Morphologie und Ökologie der Tiere, 9: 1-96. aus dem Burgenland, 48: 101-108. WUNDERLICH, J. (1969): Zur Spinnenfauna Deutschlands, IX. MILASOWSZKY, N. & ZULKA, K. P. (1996): Verbreitung und Le- Beschreibung seltener oder bisher unbekannter Arten (Arach- bensraumtypen der Südrussischen Tarantel, Lycosa singorien- nida: Araneae). 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(in Druck): Die Spinnen- fauna (Arachnida, Araneae) beweideter und unbeweideter Trockenrasen und Salzwiesen im Nationalpark Neusiedler Dank See-Seewinkel (Burgenland, Österreich). Abhandlungen der zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien. Für fachliche Diskussion und die kritische Durchsicht des Manuskripts danke ich herzlich Dr. Thomas Frieß, Mag. Bri- NEMENZ, H. (1959): Zur Spinnenfauna des Neusiedlersee- gitte Komposch, beide Graz, Dr. Norbert Milasowszky, Wien Gebietes. Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland, und Dipl.-Ing. Heinz Wiesbauer, Wien. 23: 134-137.

PRIESTER, A. (1997): Faunistische Dokumentation der thermo- philen Arthropodenfauna, speziell der Araneae, auf dem Hain- Mag. Dr. Christian Komposch burger Schloßberg (Hundsheimer Berge – NÖ). Diplomarbeit ÖKOTEAM – Institut für Faunistik am Institut für Zoologie der Universität Wien, 116 S. und Tierökologie PRIESTER, A., STEINBERGER, K.-H. & WAITZBAUER, W. (1998): Bergmanngasse 22 Zur epigäischen Spinnenfauna (Arachnida: Araneae) eines Xerothermstandortes am Hainburger Schloßberg (Nieder- 8010 Graz

218 Spinnen Die Trockenrasen wurden über viele Jahrhunderte beweidet. Das Bild zeigt eine gemischte Rinder- und Ziegen- herde am Braunsberg um 1935.

4.19 Gefährdung und Pflege der Trockenrasen

Heinz Wiesbauer und Erwin Neumeister

Waldfreie Standorte würde es unter heutigen Klimabedingungen im pannonischen Raum ohne menschliche Nutzung nur kleinflächig geben. Es war der Mensch, der diese Gebiete über die Jahrtausende durch Rodung, Bewei- dung und Mahd geprägt hat. Extensive Nut- zungen haben dazu beigetragen, dass sich in manchen Bereichen artenreiche Rasen ent- wickeln konnten.

Heute sind diese Trocken- und Halbtrocken- rasen durch den Strukturwandel in der Land- wirtschaft und die Aufgabe traditioneller ex- tensiver Nutzungen stark gefährdet. Der © ÖNB Slanar, Grünlandrückgang im pannonischen Raum während der letzten Jahrhunderte lässt sich am Beispiel der agrarisch geprägten Ge- meinde Prellenkirchen eindrucksvoll darstel- len.

Strukturwandel in der Landwirtschaft Im 19. Jahrhundert, als es noch keinen Traktor gab, waren Pferde und Ochsen die wichtigsten Zugtiere am Bauernhof. Sie be- nötigten etwa so viel Futter, wie auf einem Drittel der Gemeindefläche wuchs. Aus die- sem Grund waren damals in Prellenkirchen neben den Trocken- und Halbtrockenrasen des Spitzerberges auch in den ebenen Lagen ausgedehnte Grünlandbereiche ausgebildet.

Der Rückgang dieser Wiesen vollzog sich in mehreren Etappen. Mit der Grundentlastung 1848 ging der bis dahin gemeinschaftliche Grundbesitz in Privateigentum über. Dazu kam, dass mit der Umstellung von der Drei- felder- auf die Fruchtwechselwirtschaft we- sentlich mehr Ertrag erzielt werden konnte. Die Landwirte brachen deshalb den Großteil © BEV Hutweiden und Wiesen (grün) im ortsnahen Bereich von Prellenkirchen um 1819

Gefährdung und Erhaltung 219 NÖ Landesmuseum, Augustin Meisinger Perchtoldsdorfer Heide als Parkplatz der ehemaligen gemeinschaftlichen Hutwei- rasch vor sich, aber auch flachgründige Ex- bei einem Motocross- den um und betrieben hier Acker- oder Wein- tremstandorte bleiben von der zunehmenden Rennen 1958 bau. Davon verschont blieben nur jene Berei- Verbuschung nicht verschont, wenngleich che, die für diese Nutzungen wegen ihrer dieser Prozess meist schleichend und unauf- unfruchtbaren Böden oder Steilheit ungeeig- fällig passiert. Zunächst dringen in die etwas net waren – im Fall der Gemeinde Prellenkir- feuchteren Felsrinnen genügsame Gehölze chen war dies vor allem der Spitzerberg. Er wie der Weißdorn ein. Im Schutz dieser Ge- wurde weiterhin als Weideland genutzt, büschgruppen kommen einige Jahre später wobei die Tiere nicht in einer Koppel gehal- auch höherwüchsige Arten wie die Gemeine ten, sondern von Hirten gehütet wurden. Der Esche, Robinie oder Götterbaum auf, die mit tägliche Abtrieb ins Dorf begünstigte die Aus- zunehmender Schattenwirkung die Standorte hagerung der Standorte, da der Mist zum Teil großflächig verändern. Die typischen Trok- im Stall landete und in der Folge für die Dün- kenrasenarten werden allmählich von Saum-, gung der Äcker verwendet wurde. Lange Zeit Ruderal- und Waldarten verdrängt. prägte diese Form der extensiven Nutzung die Trocken- und Halbtrockenrasen des Spit- Eine Rückentwicklung in Richtung Rasen ist zerberges. ab einer gewissen Überschirmung bzw. Höhe der Gehölze nur mehr schwer möglich, da die Ab den 1950er-Jahren vollzog sich ein weite- verbuschte Fläche dann nach dem Forstge- rer tiefgreifender Wandel in der Landwirt- setz als Wald einzustufen ist. schaft: Kennzeichnend dafür sind die steigende Technisierung und ein starker Aufforstungen und Aufkommen Rückgang der Beweidung, wie sich anhand invasiver Gehölze der Agrarstatistik nachvollziehen lässt. 1910 Mit dem Rückgang der Weidewirtschaft wur- umfasste der Tierbestand in Prellenkirchen den viele Trockenrasen aufgeforstet, sodass 238 Pferde und 542 Rinder sowie zahlreiche sich hier der ursprüngliche Standortcharakter Schafe und Ziegen. 1980 waren es nur mehr grundlegend geändert hat. Häufig kam dabei 3 Pferde und 308 Rinder und bis heute ist auch die trockenheitsverträgliche Robinie dieser Tierbestand mit Ausnahme einiger (Robinia pseudacacia) zum Einsatz. Dieser Reitpferde erloschen. Eine ähnlich starke Ab- aus Nordamerika stammende Baum ist aus nahme ist für viele Gemeinden im Osten Nie- naturschutzfachlicher Sicht problematisch, derösterreichs charakteristisch. da sich an seinen Wurzeln Knöllchenbakte- rien befinden, die den Luftstickstoff binden. Durch den verminderten oder fehlenden Wei- Der Boden wird dadurch gedüngt, sodass dedruck konnten sich in den Offenlandberei- sich allmählich ein dichter Unterwuchs mit chen Gehölze ausbreiten. Auf tiefgründigen nährstoffliebenden Pflanzen einstellt. Die Böden geht dieser Prozess vergleichsweise rasante Ausbreitung dieser Baumart erfolgt

220 Gefährdung und Erhaltung Heinz Wiesbauer (2x) zum einen über Wurzelbrut und Stockaus- Nährstoff- und Spritzmitteleintrag Invasive Arten wie schläge, zum anderen über Samen, die Schwerwiegende Folgen verursachen die Götterbaum oder Robinie zerstören über große Distanzen vom Wind verdriftet Spritzmittel- und Nährstoffeinträge aus der Trockenstandorte werden können. Ein ähnlich hohes Ver - Landwirtschaft, insbesondere bei kleinen (links) drängungspotenzial besitzt der aus Trockenrasengebieten. Die fein zerstäubten China stammende Götterbaum (Ailanthus Spritzmittel werden durch den Wind oft über Großräumiger Ge- steinsabbau am altissima), der sich während der letzten große Distanzen verbreitet, gelangen so auf Hundsheimer Berg Jahre in einigen Trockenrasen massiv aus - sensible Flächen und wirken sich nachteilig bzw. Pfaffenberg gebreitet hat. auf Fauna und Flora aus. (rechts)

Zerstörung durch Baumaßnahmen Durch den Gesteinsabbau gehen wertvollste Viele wertvolle Standorte wurden in der Ver- Trockenrasenstandorte unwiederbringlich gangenheit durch Baumaßnahmen zerstört. verloren. Im Gegensatz zu alten Steinbrü- Trockenrasen liegen häufig in sonnenexpo- chen, die in der Regel nur der regionalen nierten Hanglagen, die wiederum begehrte Versorgung dienten, erreichen die Abbauflä- Bauplätze darstellen. Aber auch durch Stra- chen heute gewaltige Dimensionen und be- ßenbauten und Gewerbeansiedlungen wur- einträchtigen die Tier- und Pflanzenwelt im den so manche Kleinode zerschnitten oder näheren Umfeld durch erhebliche Staubemis- zerstört. sionen. Erholungsnutzung Isolation Insbesondere im Nahbereich städtischer Viele Trockenrasen sind nur kleinflächig aus- Agglomerationen werden die Trockenrasen gebildet und innerhalb der intensiv genutzten durch intensive Erholungsnutzung beein- Kulturlandschaft Niederösterreichs isoliert. trächtigt. Entlang stark begangenen Wegen Da die nächstgelegenen Trockenstandorte oft tragen auch die Hunde einer nachteiligen viele Kilometer entfernt sind, ist die Möglich- Eutrophierung der Standorte bei. Sie stellen keit der Wiederbesiedlung bereits verdräng- beim Herumstreunen den Wildtieren nach ter Arten stark eingeschränkt. Dies kann bei und haben schon so manches Schaf erlegt. kleinen Populationen zu genetischer Verar- mung und schließlich zu ihrem Aussterben Trockenrasenkatalog – ein Appell zum führen. Damit die Möglichkeit des Austau- Schutz wertvollster Lebensräume sches zwischen den vielfach isolierten Popu- lationen nicht weiter eingeschränkt wird, ist Die Trockenrasen wurden vor etwas mehr als es notwendig, neben den größeren Trocken- 20 Jahren flächendeckend erhoben und im rasengebieten auch kleinräumige Brücken- „Österreichischen Trockenrasenkatalog“ be- standorte zur Vernetzung zu schaffen. schrieben (HOLZER et al. 1986). Diese Bilanz

Gefährdung und Erhaltung 221 war ein wichtiges Signal für den Schutz der Zudem gibt es mehrere flächige Naturdenk- Trockenstandorte. Sie trug wesentlich dazu male mit ähnlichen Zielen. bei, dass die Trockenrasen nicht mehr als „Ödland“ verkannt, sondern als wertvolle Le- Durch den Beitritt Österreichs zur Europäi- bensräume geschätzt wurden. Andererseits schen Union 1995 wurden auch Richtlinien wurden in der Zwischenzeit viele, vor allem und Gesetze der EU wirksam. So sind durch kleinere Gebiete zerstört. Vergleicht man die die Fauna-Flora-Habitat-Richt linie österreich- alten Angaben mit dem gegenwärtigen Zu- weit 65 Lebensraumtypen und 92 verschie- stand, so zeigt sich, dass zumeist nur jene dene Tier- und Pflanzen arten besonders Standorte erhalten blieben, die den Status geschützt. Dazu zählen in Trockenrasenge- von Naturschutzgebieten aufweisen. bieten vorkommende Arten wie Ziesel, Österreichische Heideschnecke, Hainburg- Maßnahmen zur Erhaltung Feder-Nelke, Waldsteppen-Beifuß und Öster- reichischer Drachenkopf. Aber auch die un- Die Gefährdung der pannonischen Steppen- terschiedlichen Trockenrasen-Typen finden und Trockenrasen resultiert wie oben aufge- sich auf der Liste der prioritären Lebens- zeigt v. a. aus der Änderung traditioneller räume und unterliegen besonderem Schutz. Bewirtschaftungen, insbesondere dem Rück- gang der Beweidung durch Schafe, Ziegen, Zur Erhaltung und Förderung der in der FFH- Pferde und Rinder. Aber auch die Intensivie- Richtlinie angeführten Arten und Lebensräume rung land- und forstwirtschaftlicher Nutzun- wurden Europaschutzgebiete – sogenannte gen hat zu großflächigen Verlusten geführt. „Natura 2000-Gebiete“ – ausgewiesen. Natura Die Fläche der ehemals landschaftsprägen- 2000 ist ein europaweites Netz von mehr als den pannonischen Steppen- und Trockenra- 20.000 Schutzgebieten, durch das besondere sen ist während der letzten Jahrzehnte auf Tier- und Pflanzenarten sowie schutzwürdige wenige hundert Hektar geschrumpft. Mit Lebensräume auch zukünftigen Generationen dem Rückgang der Offenlandstandorte und erhalten bleiben sollen. Alle Mitgliedsstaaten der Veränderung der Lebensraumausstattung der EU haben zugesichert, dass die Natura sind viele charakteristische Tier- und Pflan- 2000-Gebiete in ihrer Funktionalität nicht ver- zenarten der Steppen- und Trockenrasen sel- schlechtert werden. ten geworden und heute stark gefährdet. Aktives Naturraum-Management Rechtlicher Schutz Um die Trockenrasen zu erhalten, bedarf es Eine wichtige Voraussetzung für die Erhal- neben dem hoheitlichen Schutz aber auch tung der Trockenrasen ist die Ausweisung vorrangig konkreter Pflegemaßnahmen. Das von Schutzgebieten (z.B. Naturschutzgebieten Naturraum-Management ist von Standort zu oder Naturdenkmale). Naturschutz ist in der Standort sehr unterschiedlich. So benötigen Gesetzgebung und Vollziehung Landessache. Felstrockenrasen oder extrem seichtgründige Im NÖ Naturschutzgesetz 2000 finden sich Standorte nur eine geringe Pflege. In solchen zahlreiche Nutzungseinschränkungen und Bereichen ist es meist nur notwendig, dass Verbote zum Schutz der betroffenen Gebiete. die aufkommenden Gehölze in mehrjährigen Bislang wurden in Niederösterreich 18 Natur- Abständen entfernt werden. Eine Beweidung schutzgebieten eingerichtet, die vorrangig oder Mahd sind hier in der Regel nicht ziel- auf den Schutz von Trockenrasen abzielen. führend.

222 Gefährdung und Erhaltung In besonders sensi- Trockenrasen auf tiefgründigeren Standorten, blen Bereichen tragen Landschaftspfleger die ihre Existenz dem Menschen verdanken, mit Freischneider und brauchen zu ihrer Erhaltung extensive Nut- Rechen zur Erhaltung zungen wie Beweidung oder Mahd, da sich der Gebiete bei. sonst schon nach kurzer Zeit Wald entwi - ckeln würde. Dabei sollte immer kleinräumig differenziert vorgegangen werden, da sich andernfalls die gut gemeinte Pflege negativ auf die Tierwelt auswirkt. So sind etwa grö- ßere Bereiche von der Mahd oder Beweidung auszunehmen, damit für die Insekten ein entsprechendes Angebot an Blüten, Nah- rungspflanzen und Niststrukturen bestehen Bei der Beweidung bleibt. Auf generelle Richtlinien zur Pflege von Naturschutzge- bieten werden auch soll hier aber nicht eingegangen werden, da alte Haustierrassen sich diese von Gebiet zu Gebiet recht unter- wie das Waldviertler schiedlich darstellen und bei der Maßnah- Blondvieh eingesetzt menplanung die jeweilige Entwicklung des (Eichkogel). Standorts beachtet werden muss.

Eine besonders effiziente Form der Pflege ist die Beweidung, die erfreulicherweise wieder in einigen Gebieten etabliert werden konnte. Seit 1982 werden beispielsweise tiefgründi- gere Standorte am Hundsheimer Berg und einige Jahre später am Spitzerberg durch eine Schafherde, die ca. 240 Mutterschafe umfasst, nach naturschutzfachlichen Ge- sichtspunkten gepflegt. Auf der Königswarte wurde im Jahr 2000 die Beweidung mit Rin- Beweidung mit Scha- dern wieder aufgenommen. Am Braunsberg fen und Ziegen am Hundsheimer Berg startete 2007 der Versuch einer Ganzjahres- beweidung mit Koniks, einer „Wildform“ des Pferdes.

Auch in der Thermenregion werden einige Bereiche wieder extensiv bewirtschaftet, etwa die Perchtoldsdorfer Heide mit Schafen. Am Eichkogel werden einige Flächen seit 2000 mit Schafen und dem Waldviertler Blondvieh, einer alten Rinderrasse, beweidet. Es handelt sich dabei um eine Versuchsbe- weidung, um Erfahrungen mit Intensität, Um die Trockenrasen Zeitpunkt und Dauer zu gewinnen. Weitere zu erhalten, werden aufkommende Ge- Beispiele für Beweidungen gibt es im March- Heinz Wiesbauer (4x) hölze entfernt.

Gefährdung und Erhaltung 223 Ganzjahresbeweidung mit Koniks am Braunsberg (links)

Ziegen sind besonders effiziente Weidetiere, da sie die Blätter und Rinde der Gehölze

gerne fressen (rechts). Heinz Wiesbauer (2x)

feld, Steinfeld und Weinviertel sowie in der von Gehölzen im Bereich der Steppen- und Wachau. Trockenrasen, kleinräumige Rodungen sowie Beweidung oder Mahd. Der Aufwand für das Zudem sind im Auftrag der Naturschutzabtei- Naturraummanagement ist sehr hoch, da es lung zahlreiche Landschaftspfleger tätig, die sich größtenteils um steiles und unwegsames wertvolle Trockenrasen mit Motorsäge, Frei- Gelände handelt. Begleitende fanistische und schneider und Balkenmäher pflegen und Ge- vegetationsökologische Untersuchungen hölze in den Offenlandbereichen entfernen. tragen zur Optimierung der Pflege bei. Nicht zuletzt ist der freiwillige Beitrag der NGOs zur Erhaltung dieser Lebensräume an- Durch das LIFE-Projekt werden vorwiegend zuführen. Maßnahmen finanziert, die einen günstigen Erhaltungszustand bewirken und die künftige EU unterstützt Pflege der Trockenrasen Pflege wesentlich erleichtern. Die über das LIFE-Projekt hinausgehende Pflege führen LIFE-Natur zählt zu den wichtigsten Förderin- Landwirte oder Landschaftspfleger aus der strumentarien für den Naturschutz. Im Region im Rahmen des Vertragsnaturschutzes Rahmen des Förderprogramms LIFE-Natur durch, die dabei durch spezifische Förderpro- werden Maßnahmen unterstützt, die der gramme (z. B. ÖPUL) unterstützt werden. Erhaltung oder Wiederherstellung bedrohter Lebensräume dienen. Bislang wurden in Für die Erhaltung der Trockenrasen ist es auch Niederösterreich 4 LIFE-Projekte zum Schutz künftig notwendig, entsprechende Mittel für der Trockenrasen umgesetzt: ihre Pflege bereitzustellen. Standardisierte ● Bisamberg (Dauer: 2006–2010, Pflegemaßnahmen mit fixen Zeitpunkten und www.life-bisamberg.at) Vorgaben sind für sensible Flächen ungeeig- ● Pannonische Sanddünen net, da auf die jeweilige standörtliche Entwick- (Dauer: 1998–2002, www.sandduene.at) lung – die von Jahr zu Jahr sehr unterschied- ● Pannonische Steppen- und Trockenrasen lich sein kann – kleinräumig differenziert (Dauer: 2004–2008, www.steppe.at) reagiert werden muss. Zudem sind wissen- ● Wachau (Dauer: 2003–2008, schaftliche Begleituntersuchungen für die www.life-wachau.at) Optimierung der Pflege laufend erforderlich.

Im LIFE-Projekt „Pannonische Steppen- und Dipl.-Ing. Heinz Wiesbauer Trockenrasen“ werden in insgesamt 11 Teilge- Kaunitzgasse 33/14 bieten umfangreiche Pflegemaßnahmen 1060 Wien durchgeführt. Die in einem mehrjährigen Pfle- geprogramm umgesetzten Maßnahmen sollen Dr. Erwin Neumeister dazu beitragen, die charakteristische Tier- Abt. Naturschutz und Pflanzenwelt dieser Xerothermlebens - Amt der NÖ Landesregierung räume langfristig zu erhalten. Zu den wichtig- Landhausplatz 1 sten Pflegemaßnahmen zählen die Entfernung 3109 St. Pölten

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