Meer und Museum Band 25

25 Jahre Ostsee-Nationalparke in Deutschland Meer und Museum Band 25

Schriftenreihe des Deutschen Meeresmuseums und OZEANEUMs · 2015 Herausgabe dieses Bandes in Kooperation mit dem Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern Inhalt

Vorwort H. Benke und G.-B. Reinicke S. 5

Zum Geleit T. Backhaus S. 7

GESCHICHTE, ENTWICKLUNG UND BILANZ

Das Nationalparkprogramm 1990 H. D. Knapp und H. Sporns S. 9

Vorpommersche Boddenlandschaft, G. Haffner, I. Stodian und S. 27 und Südost-Rügen – C. Münster drei Großschutzgebiete an der deutschen Ostseeküste

Bilanz nach 25 Jahren aus der Sicht von G. Puhlmann und K. F. Sinner S. 44 EUROPARC Deutschland

WERDENDE WILDNIS – DIE LEBENSRÄUME

Wildnis und Kulturlandschaft L. Jeschke und H. D. Knapp S. 57

Nationalpark unter Wasser – Marine C. Herrmann, M. von Weber, S. 72 Lebensräume in Ostsee und K. Zscheile und F. Gosselck

Die marinen Schutzgebiete der Ostsee P. Brtnik S. 89 und ihre Bedeutung für Meeressäugetiere

Dynamische Küsten R. Reinicke S. 99

Inseln im Nationalpark Vorpommersche H. Sporns S. 109 Boddenlandschaft – Paradiese für Küstenvögel

Wälder und Moore – L. Jeschke S. 123 (Semi)-Terrestrische Lebensräume der deutschen Ostsee-Nationalparke

Der Wandel vor unseren Augen – Begleitende S. Puffpaff S. 141 Forschung in der Wildnis und Kulturlandschaft

2 NATUR FÜR ALLE – NATIONALPARK, BIOSPHÄRENRESERVAT UND GESELLSCHAFT

Zum Anfassen – Besucherangebote in den K. Bärwald, Ulf Steiner, S. 150 Ostsee-Nationalparken und im Kai Lüdeke, S. Dobelstein, Biosphärenreservat Südost-Rügen T. Förster und I. Martin

25 Jahre Umweltbildung im Nationalpark U. Rentz und S. 161 Vorpommersche Boddenlandschaft – C. Bokemeyer-Siems Erlebnisse entscheiden

Bildung für nachhaltige Entwicklung S. Dobelstein S. 173 im Biosphärenreservat Südost-Rügen

Gemeinsam für unsere Region – O. Ostermann, H. Sporns S. 182 Governancestrukturen der Großschutzgebiete und S. Woidig an der Deutschen Ostseeküste

Begleitung, Unterstützung, Gewissen – H. D. Knapp, J. Baginski und S. 189 das ehrenamtliche Engagement der Fördervereine M. Kutscher

Von Anfang an: Der WWF begleitet J. Lamp S. 205 die Ostsee-Nationalparke

Das Projekt Kranichschutz Deutschland G. Nowald S. 213 und die Faszination der Kranichrast

Perspektiven im 21. Jahrhundert H. D. Knapp und G. Haffner S. 221

Weiterführende Literatur (Auswahl) zu beiden S. 225 Nationalparken und dem Biosphärenreservat

Englische Zusammenfassungen S. 228

Autorinnen und Autoren dieses Bandes S. 235

Fotonachweise S. 237

3 4 Vorwort

Im 25. Jahr nach der Wiedervereinigung werden viele Jubiläen gefeiert, darunter die Gründung der beiden deutschen Ostsee-Nationalparke Jasmund und Vorpommersche Boddenlandschaft sowie des Biosphärenreservates Südost-Rügen in Mecklenburg-Vorpommern. Das Deutsche Meeres- museum hat deshalb gerne die Anregung des Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Ver- braucherschutz des Landes (LU) zur gemeinsamen Herausgabe einer Festschrift zu diesem Thema als Band 25 seiner Publikationsreihe MEER UND MUSEUM aufgegriffen. Unter dem Titel „25 Jahre Ostsee-Nationalparke in Deutschland“ ist dabei ein Bilderbogen entstanden, der einen Ausschnitt der vielfältigen Erfahrungen und Bewertungen engagierter Menschen aus der Vergangenheit Gegenwart der Gebiete widerspiegelt. Dabei wurde unterschiedlichen Sichtweisen der Akteure bewusst Raum gegeben, und nicht immer decken sich die dargelegten Positionen und Aussagen von Autoren mit den Ansichten der Herausgeber.

Der gedankliche Bogen dieser Festschrift spannt sich von einem Rückblick auf die frühen Jahre und die zwischenzeitlichen wechselvollen Entwicklungen über die Naturschätze in den Schutz- gebieten über und unter Wasser bis zu einer Übersicht wichtiger Aktivitäten der vielen beteiligten Menschen, Gremien und Institutionen, die gemeinsam die Bedeutung der „Natur für alle“ in der Gesellschaft fördern, ausbauen und tragen. Die Frage nach der Balance des Managements zwi- schen steuernden Eingriffen in einer Kulturlandschaft und dem bewussten Loslassen, dem unbe- einflussten Werden neuer Wildnis bildet dabei einen zentralen gedanklichen Ankerpunkt auch für jene Überlegungen, die über das Jubiläumsjahr 2015 hinaus vorsichtig in die Zukunft führen.

Die vorliegende Ausgabe fokussiert gezielt auf die großen Schutzgebiete im Vorpommerschen Küstenraum und auf Rügen, die den Standort des DMM zu „umzingeln“ scheinen. Unser Dank gilt allen Autoren, die trotz starker Arbeitsbelastung diesem Band bereitwillig ihre Unterstützung zusagten und ihre Texte und großartigen Bilder bereitgestellt haben. Sehr dankbar sind wir den Herren Dr. Bernd Schumacher vom Referat Großschutzgebiete im LU, Prof. Hans D. Knapp von der Internationalen Naturschutzakademie Insel und Hartmut Sporns vom Nationalparkamt Vor- pommern, deren fachliche Beratung und persönliches Engagement als Mitglieder der erweiterten Redaktion den Band maßgeblich mitgestalteten. Wir hoffen, dass diese Festschrift zum 25. Jahrestag sowohl in der Rückschau als auch mit den dargestellten Ausblicken dazu beiträgt, den beiden Nationalparken und dem Biosphärenreservat Aufmerksamkeit, regen Zuspruch und Unterstützung zu verschaffen.

Mögen auch die Ereignisse im Jubiläumsjahr die Verankerung der Schutzgebiete im Leben der Bevölkerung stärken und aus der Freude am bisher Erreichten Impulse für die Zukunft entstehen. Die gemeinsame Gestaltung einer lebenswerten Region in Vorpommern ist ein wichtiges Anliegen auch unserer Arbeit im Deutschen Meeresmuseum.

Dr. Harald Benke Dr. Götz-Bodo Reinicke Direktor Redaktionsleiter Deutsches Meeresmuseum MEER UND MUSEUM

5 6 Zum Geleit

Küstenlandschaften besitzen eine besondere Faszination. Aus uralter menschlicher Erfahrung ver- binden sich mit ihnen Aufbruch und Gefahr auf der einen, aber auch Schutz und Heimkehr auf der anderen Seite. Fast immer, so scheint es, gehören das ewige Kommen und Gehen auf schicksal- hafte Weise zu dieser Landschaft und ihren Bewohnern. Und immer wieder waren Küsten auch Schauplätze für Kampf und Grenzerfahrungen. 40 lange Jahre musste die Ostsee als Sperrgewässer der DDR dienen. Erst mit dem Fall der Mauer und der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands verlor die Küste ihre abschreckende Grenz- funktion. Sie wandelte sich wieder zu einem menschenfreundlichen Lebensraum – zugänglich und erlebbar für jedermann. Der rund 1 300 Kilometer lange Küstensaum, der Mecklenburg-Vorpommern nach Norden um- schließt, zählt zweifelsfrei zu den attraktivsten Landschaften Deutschlands. Besonders spektakulär sind die imposanten Kreidekliffs auf Rügen, die legendäre Insel oder der von Wind und Wellen geformte Darßstrand. Aber auch die ruhigen Bodden mit ihren flachen Ufern – den Lagunen der Ostsee – sind bezaubernd schön und natürlich die kilometerlangen Sandstrände, die jährlich Millionen Besucher anziehen. Im biologischen Kosmos zählen die Grenzbereiche zwischen Land und Wasser zu den interessan- testen Ökosystemen. Unter dem steten Einfluss von Klima, Brackwasser und starker Sedimentdy- namik konnten sich an unserer Ostseeküste spezielle Lebensräume mit einer typischen Tier- und Pflanzenwelt entwickeln und erhalten, wie wir sie woanders kaum noch finden. Doch nur selten lassen sich Schutzwürdigkeit und Nutzungsansprüche problemlos miteinander vereinbaren. Weltweit steht der Erhalt der biologischen Vielfalt meist auf der Verliererposition. Umso beachtlicher ist das, was zum Schutz der Natur in Mecklenburg-Vorpommern und insbe- sondere an seinen Ostseeküsten in den zurückliegenden Jahren erreicht wurde. Mit dem Natio- nalparkprogramm von 1990 – einer Sternstunde des Naturschutzes – gelang es, die wertvollsten Naturlandschaften in Ostdeutschland dauerhaft zu sichern. Als junger Abgeordneter im ersten freigewählten Parlament der DDR konnte ich diese intensive Zeit miterleben, woran ich heute noch gerne und mit Stolz zurückdenke. Auch die einzigen Ostsee-Nationalparke Deutschlands, die Vorpommersche Boddenlandschaft und der Jasmund, sind Kinder des Nationalparkprogramms. Ihr 25-jähriges Bestehen gibt uns Anlass zum Rückblick und auch zur Positionsbestimmung für den weiteren Kurs. Sie sind das Leit- thema dieses Bandes. Im selben Jahr gegründet, steht das UNESCO-Biosphärenreservat Südost- Rügen für eine ganz eigene, kulturhistorisch geprägte Küstenregion und ist völlig anderen Zielen als denen eines Nationalparks verpflichtet. Es soll hier ebenfalls gewürdigt werden. Meinen Dank sage ich dem Deutschen Meeresmuseum . Sehr bereitwillig und kompetent ist dieser Band 25 der Schriftenreihe MEER UND MUSEUM gemeinsam mit dem Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz entstanden. Ebenso danke ich allen Autoren für die vielfältigen Themenbeiträge. Und nicht zuletzt danke ich auch Ihnen, verehrte Leser, für Ihr Interesse und wünsche Ihnen eine informative Lektüre.

Dr. Till Backhaus Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern

7 8 Das Nationalparkprogramm 1990 Hans Dieter Knapp und Hartmut Sporns

SCHUTZGEBIETE IM OSTSEERAUM und Gotska Sandön, einer nördlich vor- gelagerten Düneninsel, auch erste Nationalpar- Die Küstenlandschaft Mecklenburg-Vorpom- ke an den Küsten der Ostsee geschaffen. 1926 merns gehört zu den besonders herausragen- folgte die kleine Felsinsel Bla Jungfru bei Öland. den Naturräumen in Deutschland. Hier treffen Alle drei Gebiete wurden 1988 um Meeresantei- mit Land und Meer zwei extrem gegensätzliche le deutlich erweitert, und mit der Felsküste von Naturräume aufeinander, es finden sich Reste Skuleskogen (1984) und den Schären von Hapa- der „Urnatur“ unseres Landes und die natür- randa Skärgärd (1995) im Bottnischen Meerbu- liche Dynamik ist sichtbar und erlebbar wie in sen wurden zwei weitere Küstennationalparke kaum einer anderen Landschaft. Das Meer nagt unter Einschluss von Meeresfläche geschaffen. beständig an Steilküsten und lässt mannigfache Formen von Kliffs entstehen, transportiert das In Finnland entstanden entsprechende National- abgetragene Material und lässt an anderer Stel- parke erst sehr viel später: Östlicher Finnischer le neues Land aus dem Meer aufwachsen. Jahr Meerbusen (1982), Schärenmeer (1983), Tam- für Jahr im Frühjahr und Herbst rasten zehntau- missaari Schären (1989) und Perämeri (1991). sende Vögel aus dem Norden Eurasiens in den Russland hat 1910 das Vaika Vogelschutzgebiet Boddengewässern der vorpommerschen Küste. auf der estnischen Insel Saremaa eingerichtet. Es Kreidefelsen und Küstenheiden, „Urwälder“ und wurde 1957 als zum Naturschutzgebiet alte bizarre Baumgestalten faszinieren seit 200 aufgewertet, 1971 deutlich vergrößert und 1993 Jahren Maler, Forscher und Naturfreunde. So durch das unabhängige Estland zum Nationalpark nimmt es nicht Wunder, dass die vorpommer- erklärt. Die 1957 unter Schutz gestellte Matsalu- sche Küstenlandschaft eine besondere Rolle in Bucht in Estland ist seit 1976 Ramsar-Gebiet und der Geschichte des Naturschutzes in Deutsch- wird seit 2004 als Nationalpark entwickelt. Lahe- land gespielt hat und mit dem Nationalparkpro- maa an der Küste von Estland wurde 1971 als gramm 1990 drei Großschutzgebiete in diesem erster Nationalpark der Sowjetunion unter Schutz Raum eingerichtet worden sind: der National- gestellt und schließt über 25 000 Hektar Meeres- park Vorpommersche Boddenlandschaft, der fläche der Ostsee ein. Die Sowjetunion hatte den Nationalpark Jasmund und das Biosphären- Schutzgebietsstatus von Teilen der Kurischen reservat Südost-Rügen. Alle drei Gebiete ha- Nehrung 1950 erneuert und diese 1987 zum Na- ben ihre eigene Geschichte, die hier kurz skiz- tionalpark erklärt; der litauische Teil der Nehrung ziert werden soll. Im Folgenden beschränken wir folgte 1991. Polen schuf an der pommerschen uns dann auf den Nationalpark Vorpommersche Küste den Wolinski Nationalpark (1960) und den Boddenlandschaft. Slowinski Nationalpark mit den Wanderdünen von Leba (1967). Und schließlich erklärte Dänemark Zuvor soll noch ein kurzer Blick auf die Ge- die Kreideküste von Møn 1980 zum Schutzgebiet. schichte der Schutzgebietsentwicklung an den Küsten der Ostsee geworfen werden: Bereits Mit den Nationalparken Jasmund und Vorpom- 1909 hat Schweden mit Sarek und Stora Sjö- mersche Boddenlandschaft steuert Deutsch- fallet in Lappland die ersten Nationalparke in land zwei herausragende Gebiete zum Netz Europa eingerichtet, zusammen mit dem 1962 der Nationalparke im Ostseeraum bei. Das Bio- gegründeten Nationalpark Padjelante stellen sie sphärenreservat Südost-Rügen (1990) ist Teil heute mit über 522 000 Hektar eines der größ- des weltweiten Netzes von derzeit 631 Modell- ten zusammenhängenden Wildnisgebiete un- regionen des UNESCO-Programms „Man and seres Kontinents dar. Im gleichen Jahr wurden Biosphere“ in 119 Ländern. An den Küsten der mit Ängsö (Schären im Bottnischen Meerbusen) Ostsee gehören dazu auch der Slowinski Na-

9 tionalpark in Polen (1976), der West-Estonian 1. Treffen der HELCOM-Arbeitsgruppe zur Re- Archipelago (1990) in Estland, die Archipelago vision der Helsinki-Konvention zum Schutz der Sea (1994) in Finnland und der Blekinge Archi- Meeresumwelt der Ostsee im Februar 1991 pelago (2011) in Schweden (Abb. 1). brachte Finnland den Entwurf eines Artikels über „Nature Conservation and Biodiversity“ in Die genannten Schutzgebiete sind durch loka- die Diskussion um die Neufassung der Konven- le und nationale Initiativen eingerichtet worden. tion ein, der im November des gleichen Jahres Seit den 1960er Jahren gibt es aber auch An- auf Vorschlag von Deutschland inhaltlich dahin- sätze Ostseeübergreifender Zusammenarbeit gehend präzisiert wurde, dass von der Ostsee im Naturschutz. 1969 fand in Stralsund das beeinflusste Küstenökosysteme und natürliche Kolloquium „Naturschutz im Ostseeraum“ statt, Prozesse in Artikel 15 als Schutzziele einbezo- veranstaltet vom Deutschen Meeresmuseum gen wurden (Knapp, 1995). Stralsund, dem Zoo und dem Insti- tut für Landschaftsforschung und Naturschutz Die Schutzgebietsverordnungen der National- (ILN) Zweigstelle . Ziel der Tagung mit parke Vorpommersche Boddenlandschaft und über 70 Teilnehmern aus sechs Ostseeländern Jasmund hatten mit ihrem dynamischen Na- war es, über den Erfahrungsaustausch hinaus- turschutzziel dabei Pate gestanden. Die neue gehend zur Zusammenarbeit im Naturschutz zu Helsinki-Konvention (1992) ist seither Grundla- gelangen. Doch aufgrund der politischen Situa- ge auch der Naturschutz-Zusammenarbeit im tion des Kalten Krieges war die Zeit dafür noch Ostseeraum und die im März 1993 auf der Insel nicht reif. Mit dem 3. Kolloquium „Naturschutz Vilm konstituierte Arbeitsgruppe „EC-Nature“ im Ostseeraum“ 1971 in Rostock zum Thema innerhalb des Umwelt-Komitees ist die entspre- „Biologisches Gleichgewicht und Belastbarkeit chende Struktur zur fachlichen Ausgestaltung der Küstenlandschaft“ wurde das politische des Artikels 15 und Entwicklung eines Netzwer- System der DDR in seiner Belastbarkeit offenbar kes von marinen Schutzgebieten in der Ostsee. überfordert und drohte aus dem Gleichgewicht zu geraten. Für zwei Jahrzehnte wurde eine wei- tere Zusammenarbeit im Naturschutz mit den VORGESCHICHTE Ostsee-Anrainern blockiert (Knapp, 1995). DER KÜSTENNATIONALPARKE Erst nach Öffnung des Eisernen Vorhanges Die Vorpommersche Boddenlandschaft kann konnte das Thema Naturschutz-Zusammenar- als eine Wiege des Naturschutzes, speziell des beit im Ostseeraum wiederbelebt werden. Beim Seevogelschutzes in Deutschland angesehen

Luleå Nationalparke 5 9 Oulu N 1 Ängsö (1909/1988) E S 2 Gotska Sandön (1909/1988) U B R 3 Bla Jungfru (1926/1988) Umeå E E M 4 Skuleskogen (1984)

R Haparanda Skärgärd (1995) 4 E 5 H Vaasa Finnland Sundsvall C 6 Itainen Suomenlathi (1982) S I 7 Saaristomeri (1983)

N

T 8 Tammisaaren saaristo (1989) T Pori 9 Perämeri (1991) Norwegen O

B Vaika (1910)/Vilsandi (1957/1993) 6 10 Schweden Turku 11 Matsalu (1957/2004) 8 Helsinki Oslo R B U S E N M E E E R 12 Lahemaa (1971) C H Åland I S Stockholm N 12 St. Petersburg 7 I N 13 Kursiu Nerija (1991) F 1 Tallin 21 11 14 Kurshskaya Kosa (1987) Saarema Estland 15 Slowinski (1967)

2 R E H C S I A G I R N E S U B R E E M 16 Wolinski (1960) Göteborg 10 Russland 17 Moen (1980) T A G E T T A K Gotland 3 18 Jasmund (1929/1990) Riga Kalmar 19 Vorpommersche Boddenlandschaft (1910/1990) Däne- Öland Lettland mark 22 Kopenhagen Malmö OSTSEE Klaipėda Biosphärenreservate Fünen 13 Seeland Litauen 15 Slowinski (1967) 17 18 Rügen 15 14 Kaliningrad 20 Südost-Rügen (1990) Kiel 19 20 Danzig 21 West-Estonian Archipelago (1990) Hamburg Rostock 16 8 (Tammisaari) (1994) Deutschland Polen Weißrussland 22 (2011)

Abb. 1: Nationalparke und Biosphärenreservate an den Küsten der Ostsee (Grafik H. D. Knapp, nach div. Quellen).

10 werden. Bereits um 1890 hatte sich der auf aussetzte, stellte sich der „Reichsjägermeister“ Schloss Hohendorf residierende Arthur Graf Hermann Göring zur Jagd ein und die Sundi- von Klot-Trautvetter (1858-1906) für den See- sche Wiese wurde im Zuge der Kriegsvorberei- vogelschutz auf den Werdern zwischen tung zum Bombenabwurf-Testgelände perver- und Hiddensee engagiert. 1909 übernahm der tiert (Jeschke, 1992). Ornithologische Verein Köthen die regelmäßige Betreuung der Werderinseln. Auch die ersten Die Idee eines Nationalparks war jedoch in der Naturschutzaktivitäten auf Rügen und Hidden- Welt und wurde zehn Jahre nach Kriegsen- see galten dem Seevogelschutz. Angesichts zu- de erneut vorgetragen. Am 5. März 1955 fand nehmender Jagd auf Seevögel und Plünderung auf Anregung des Naturschutzbeauftragten der von Gelegen unterbreitete der Stralsunder Gym- Insel Zingst, Kluge, eine Besprechung für die nasialprofessor Ernst Hübner (1859-1930) als Errichtung eines „Deutschen Nationalparks an Vorsitzender des Ornithologischen Vereins dem der Ostsee“ statt. „In der Diskussion wurde eine Oberpräsidenten der Provinz Pommern 1907 Übereinstimmung erzielt, die Forderungen des den Vorschlag, auf dem Gellen ein „Schonrevier“ Natur- und Landschaftsschutzes für Darß und einzurichten. Mit Unterstützung durch den 1899 Zingst bereits in diesem Jahre zu verwirklichen“. in Stuttgart gegründeten Bund für Vogelschutz Mit diesem Vorschlag wandte sich die Ortsgrup- (Vorläuferorganisation des NABU) konnte dieses pe Zingst des Kulturbundes zur demokratischen 1910 realisiert werden. Gleichzeitig propagierte Erneuerung Deutschlands am 5. März 1955 an der Internationale Frauenbund für Vogelschutz die Zentrale-Naturschutzverwaltung der DDR in aus Berlin eine „Vogelfreistätte Hiddensee“, für Berlin. Darin heißt es: „Wir fassen das Gesag- die sich auch der 1924 gegründete Natur- und te zusammen in der Bitte, an die Regierung der Heimatschutzbund Hiddensee unter dem Vor- Deutschen Demokratischen Republik und ihrer sitz des Inselpastors Arnold Gustavs einsetzte zentralen Naturschutzverwaltung auf dem Darß, (Jeschke, 1992; Faust, 2005; Knapp, 2010). dem Zingst und den „Deutschen Natio- nalpark an der Ostsee“ zu schaffen als ein Ge- Seit 1911/12 ließ der Ornithologische Verein Stral- schenk an die Natur- und Heimatfreunde im ge- sund die Brutkolonien auf der Fährinsel sowie auf samten Deutschland.“ (Rösler, 1998a). dem Gellen und dem Gänsewerder von Vogelwär- tern bewachen und errichtete die Vogelwarte Hid- Doch Nationalparke waren in der DDR nicht vor- densee-Süd. 1922 wurde der drei Hektar große gesehen und ähnlichen Initiativen in der Sächsi- Gänsewerder per Verordnung unter Naturschutz schen Schweiz und an der Müritz war kein Er- gestellt; es war das erste formelle Naturschutzge- folg beschieden (Rösler, 1998a; Schurig, 1991; biet im heutigen Mecklenburg-Vorpommern. Die Gilsenbach, 1998), obgleich Kurt Kretschmann Werderinseln wurden in den 1920er Jahren vom (1914-2007), der Schriftsteller Reimar Gilsen- Deutschen Bund für Vogelschutz gepachtet und bach (1925-2001) und andere in Veröffentli- 1929 zum Naturschutzgebiet erklärt. chungen und zahlreichen Veranstaltungen die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Natio- Auf Vorschlag des Gründers der biologischen nalparken ausführlich dargelegt und begrün- Forschungsstation der Universität Greifswald det hatten (Gilsenbach, 1956, 1965a, b, 1967; auf Hiddensee, Professor Erich Leick, wurden Behrens & Hoffmann, 2013). Statt eines großen Dornbusch und Bessin 1937 als Naturschutzge- Nationalparks wurden 1957 kleine Naturschutz- biete festgesetzt. Die Fährinsel, der Gellen und gebiete ausgewiesen (West-Darß und Darßer die als Vogelinsel bekannte , die Insel Ort, Hohe Düne von Pramort und Bock), die zu- und die Dünenheide auf Hiddensee er- sammen immerhin eine Fläche von rund 3 000 hielten 1967 verbindliche Verordnungen als Na- Hektar umfassten (Jeschke & Sporns, 2012). turschutzgebiete, die auf Rügen 1961 folgte das Ahrenshooper Holz und 1967 1984 (Jeschke, 1992; Jeschke & Sporns, 2012). wurden die Inseln Oie und im Barther Bod- 1931 schlug der schwedische Naturschriftstel- den ebenfalls zu NSG erklärt (Jeschke, 2009). ler Bengt Berg in der auflagestarken „Grünen Mit der Einrichtung eines Staatsjagdgebietes auf Post“ die Schaffung eines „Deutschen Urwild- dem Darß und eines Schießplatzes auf der Sun- parks“ vor. Der Vorschlag fand erstaunlich breite dischen Wiese knüpfte die DDR an unheilvolle Resonanz. So veröffentlichte der Darßer Forst- Traditionen des Naziregimes an und konterka- meister Franz Mueller in der „Grünen Post“ und rierte damit die Bemühungen um einen wirksa- im „Deutschen Waidwerk“ zwei Beiträge „Es men Schutz dieser herausragenden Landschaft, kommt der deutsche Nationalpark“ und „Der die in den 1960er Jahren immerhin zu zwei Nationalpark auf dem Darß und Sunde-Wiese“. Landschaftsschutzgebieten erklärt worden war Doch als Mueller 1937 auf dem Darß Wisente (Fischland-Darß-Zingst und Hiddensee).

11 Die Halbinsel Jasmund mit dem Waldgebiet der Auch das Biosphärenreservat Südost-Rügen Stubnitz und der berühmten Kreideküste weist hat eine lange Vorgeschichte und Tradition des ebenfalls eine bemerkenswerte Naturschutzge- Natur- und Landschaftsschutzes. Ein frühes schichte auf. Die Kreidefelsen von Jasmund gel- Beispiel für bewusstes Handeln zum Schutz von ten seit langem als Symbol und Markenzeichen Natur belegt Alfred Haas (1860-1950) für die In- von Rügen, faszinieren seit über zwei Jahrhun- sel Vilm: „Als die Insel Rügen im Anfang des 19. derten immer wieder aufs Neue Menschen aus Jahrhunderts von den Franzosen besetzt war, verschiedenen Gegenden Deutschlands, inspi- beabsichtigten diese, die Insel Vilm abzuholzen rieren Künstler und Naturforscher und werden und das Holz verkaufen zu lassen. Nur mit gro- hemmungslos für Werbezwecke vermarktet. ßer Mühe gelang es dem Fürsten zu , das Jacob Philipp Hackert (1737-1807) stellte sie drohende Unheil von Vilm abzuwenden.“ (Haas, 1764 erstmals als Gemälde auf den Boldevitzer 1924). Dies ist eine frühe Naturschutzinitiative Wandtapeten dar und die Gebrüder von Willich lange bevor „Naturschutz“ als Begriff geprägt in organisierten in den 1790er Jahren wurde und sich als Heimatschutz-Bewegung Ausflugsfahrten für Kurgäste der von ihnen be- entwickelte. triebenen Rügener Brunnen-, Bade- und Ver- gnügungsanstalt nach Stubbenkammer. Im 19. Und auch der Landschaftsschutz hat auf Rügen Jahrhundert wurden die Kreidefelsen zu einem eine über hundertjährige Geschichte. Auf der Wallfahrtsort für Künstler und Gelehrte sowie für Grundlage des preußischen „Gesetzes gegen Naturforscher und Touristen. die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gebiete“ von 1902 erklärte der Rügener Land- Seit 1922 bemühten sich der Pommersche Provin- rat Hans Jaspar Freiherr von Maltzahn 1911 die zialausschuss für Naturschutz, vorpommersche Süd- und Ostküste der Insel Rügen, die Insel Landtagsabgeordnete und die Staatliche Stelle Hiddenseeund den Rugard in Bergen zu Schutz- für Naturdenkmalpflege in Berlin um den Schutz bezirken (Knapp, 2010). dieser einzigartigen Küstenlandschaft, die durch bereits genehmigten Kreideabbau akut gefährdet Die Vision und das festgeschriebene erklärte war. Auf eine parlamentarische Anfrage sicherte Ziel von Biosphärenreservaten, nachhaltiges die preußische Innenbehörde 1926 zu „das ge- Wirtschaften im Einklang ökologischer, ökono- samte Steilufer von Saßnitz bis Stubbenkammer mischer und sozialer Aspekte zu entwickeln, wird von künstlichen und industriellen Eingriffen hat mit dem Beispiel von Putbus einen promi- verschont bleiben und bei der Bewirtschaftung nenten historischen Vorläufer. des Waldes wird auch in Zukunft auf die Natur- schönheiten Rücksicht genommen“ (Eichstädt & Mit der Entwicklung von Putbus zum Residenz- Eichstädt, 2008). In der Tat wurden dann die Krei- städtchen und Badeort sowie bewusster Gestal- deküste und ihr Hinterland per Polizeiverordnung tung der umgebenden Kulturlandschaft schuf vom 17. März 1929 zum Naturschutzgebiet erklärt. Wilhelm Malte Fürst zu Putbus (1783-1854) ein Auf Grundlage des 1935 erlassenen Reichsnatur- Gesamtkunstwerk, das nicht nur ökonomisch schutzgesetzes wurde die Verordnung 1935 er- tragfähig, sozial und ökologisch verträglich, neuert. Die forstwirtschaftliche Nutzung der Wäl- sondern darüber hinaus mit hohem ästhetischen der blieb davon jedoch unberührt und nach dem Anspruch gestaltet war und mit Gründung des Krieg wurden größere Flächen für Reparationszah- Pädagogiums 1836 als höherer Lehranstalt in lungen an die Sowjetunion kahlgeschlagen. die Zukunft wies (Jeschke & Knapp, 2007).

Im Ergebnis seiner vegetationskundlichen Er- forschung der Stubnitz stellte Lebrecht Jeschke LANDSCHAFT IN DER KRISE fest: „Wenn wir abschließend in Betracht ziehen, daß man gegenwärtig in den Industrieländern Die Bemühungen des 1953 gegründeten Instituts Mitteleuropas alle Anstrengungen unternimmt, für Landschaftsforschung und Naturschutz (ILN) die noch verbliebenen Reste naturnaher Land- bei der Akademie der Landwirtschaftswissen- schaften in großzügiger Weise zu Nationalpar- schaften der DDR und zahlreicher ehrenamtli- ken … auszubauen, so obliegt auch uns die cher Naturschutzbeauftragter und Naturschutz- Pflicht, die Frage eines erweiterten Schutzes helfer konnten zwar durchaus bemerkenswerte der ganzen Stubnitz in dieser Richtung zu unter- Erfolge bei der Ausweisung von Schutzgebieten suchen“ (Jeschke, 1964). Dennoch sollten auch erzielen. Dies darf jedoch nicht darüber hin- hier noch fast drei Jahrzehnte vergehen, ehe die wegtäuschen, dass Natur- und Landschaft ins- Idee eines Nationalparks verwirklicht werden gesamt seit den 1960er Jahren einem grund- konnte. legenden Wandel infolge der Wirtschaftspolitik

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Abb. 2a und b: a) Bilanz der Landschaftszerstörung: Die Jubelschrift des VEG Zingst-Darß-Fischland zum 10-jährigen Jubiläum; b) „Neuland unter dem Pflug“. Gerodete und urbar gemachte Flächen werden für die erste Saat vorbereitet (VEG,1976).

der DDR unterlagen. Das Gebiet des National- umzukrempeln. Es ist eine tiefe Tragik, dass parks Vorpommersche Boddenlandschaft ist statt „fruchtbare Erde“ zu schaffen, ein Stück dafür ein drastisches Beispiel. An den flachen Erde verwüstet wurde (Abb. 2b). Ufern der Darß-Zingster Boddenkette dehnten sich weitläufige Salzweiden, die sich seit der „So wurden nahezu die gesamte Niederungs- Zeit slawischer Besiedlung unter dem Einfluss küste der Darß-Zingster Boddenkette, der Wes- unregelmäßiger Überflutungen mit Brackwasser trügenschen und des Greifswalder be- und der Beweidung durch Rinder, Pferde und deicht und damit der periodischen Überflutung Schafe als naturnahes Element historischer Kul- entzogen. Die somit hochwassergeschützten turlandschaft herausgebildet hatten. Diese Küs- Flächen wurden mit Hilfe von Gräben, Drai- tenüberflutungsmoore erfüllten eine wichtige nagen und Schöpfwerken entwässert, umge- ökosystemare Funktion, indem große Mengen brochen und in Intensivgrasland umgewandelt an Biomasse (Algen, Seegras, Laichkraut) bei (wiederholte Neuansaat von artenarmen Gras- den Überflutungen aus dem Bodden aufgenom- gemischen, starke Düngung, Intensivbeweidung men und im Torf gespeichert wurden. Dadurch mit überhöhtem Tierbesatz, vielmaliger Schnitt erfolgte eine regelmäßige „Selbstreinigung“ des zur Silageherstellung und Pelletierung). Boddens. Der zwar geringmächtige aber feste Salzwiesen-Torf stellte zudem einen bedeuten- Beispielsweise bewirtschaftete das Volkseigene den Kohlenstoffspeicher dar. Gut Zingst bis 1990 etwa 6 200 Hektar landwirt- schaftliche Nutzfläche, darunter 1 200 Hektar Dieses über Jahrhunderte funktionierende Öko- Acker und 4 300 Hektar Intensivgrasland, das system wurde seit Anfang der 1960er Jahre mit 100 Dezitonnen Trockenmasse pro Jahr im Zuge der sozialistischen Umgestaltung der und Hektar das Futter für die in drei Großvie- Landwirtschaft durch „Melioration“ und in- hanlagen gehaltenen 15 000 Rinder (maximal tensive Nutzung systematisch zerstört. In ei- 18 000) lieferte. Ferner wurden 3 500 Schafe zur ner Propagandaschrift des Volkseigenen Gu- Beweidung eingesetzt. Das Wasser auf den In- tes Darß-Zingst heißt es unter der Überschrift tensivgrasländern hatte man mit 500 Kilometer „Was die Partei beschloß, wurde Wirklichkeit“: offenen Gräben, 22 Schöpfwerken und 30 Stau- Eine Handvoll Genossen begann Ende Novem- werken „voll in der Hand“. Gedüngt wurde mit ber 1963 auf Zingst und Darß, Ödland unter den 240 Kilogramm Stickstoff, 200 Kilogramm Kali Pflug zu nehmen. Sie folgten dem Beschluß der und 100 Kilogramm Phosphor pro Hektar und Partei, aus diesem landwirtschaftlich verarmten Jahr, Gülledüngung (130 000 t Gülle/a) war in Gebiet, fruchtbare Erde zu machen“ (Abb. 2a, die „ordnungsgemäße Bewirtschaftung einbe- VEG Zingst-Darß 1976). Es wurden weder Mittel zogen“ (Abb. 3a, b; VEG Zingst-Darß, 1976). noch Mühe gescheut, die als rückständig und verarmt verkannte traditionelle Kulturlandschaft Diese Art der Bewirtschaftung hat Standortde- unter Anwendung des „wissenschaftlich-tech- gradation (Torfzehrung, Vermullung) sowie die nischen Fortschritts“ im großen Stil regelrecht Zer­störung des besonderen Vegetationsmosaiks

13 a b

Abb. 3a und b: a) Zerstörung einer Kulturlandschaft in großem Stil. „Kultivierung“ mit Raupenschleppern; b) Das Ausbringen von Gülle erfolgte anfangs auch noch im Nationalpark. der Salzwiesen und drastischen Artenrückgang das Seegebiet der Ostsee zwischen Zingst und bewirkt. Weitere, dadurch ausgelöste landschaft- Hiddensee gesperrt. Die Boddenküste bei Bar- sökologische destruktive Prozesse und Folgewir- höft und der Gellen auf Hiddensee waren zur so kungen sind: genannten „Sicherung der Staatsgrenze Nord“ gesperrt. Grenzpatrouillen kontrollierten die für »» Ausschaltung der auf periodischer Über- Wassersport und touristische Schifffahrt ver- flutung beruhenden Entsorgungsfunktion botenen Gewässer. Auf der abgeriegelten Insel naturnaher Salzgrasländer, Bock wurden entgegen geltendem Naturschutz- »» Massive Belastung der Bodden- und Haffge- recht Ferienbungalows für Mitarbeiter des wässer durch Nährstoffeintrag aus Intensiv- Staatssicherheitsdienstes errichtet. Grasland (Eutrophierung), »» Schädigung des wesentlich auf intaktem Die Halbinsel auf Rügen war in Fortsetzung Makrophytobenthos beruhenden Selbstreini- militärischer Tradition aus dem ersten und zwei- gungspotentials der Küstengewässer. ten Weltkrieg Stützpunkt der DDR-Volksmarine. Auf dem Hochland von Hiddensee war eine Ein noch vor wenigen Jahrzehnten funktions- Grenzkompanie der NVA hinter Stacheldrahtzäu- fähiger Naturraum mit hohem Entsorgungs­ nen stationiert (Abb. 4a, b). Der Darßer Ort bis potential ist durch menschlichen Eingriff in ei- zum Leuchtfeuer war militärisches Sperrgebiet, nen hochgradig selbst belasteten und zugleich in dem nicht nur illegal Erholungs-Bungalows die Boddengewässer massiv belastenden Na- für NVA-Offiziere in den Dünen errichtet wur- turraum verwandelt worden. Der tiefgreifende den, sondern ebenfalls gegen geltendes Natur- Landschaftswandel infolge der Komplexmelio- schutzrecht ein Hafen für Torpedo-Schnellboote rationen der sechziger und siebziger Jahre ist gebaggert worden war, der wegen permanenter eines der finstersten Kapitel in der Geschich- Versandung bald seine Bedeutung als Militärha- te der Boddenlandschaft.“ (Knapp, 1996). Die fen verlor und lediglich für die Erholungsyacht Nährstoffüberlastung und Verschlammung der des Ministers für nationale Verteidigung noch Darß-Zingster Bodden ist eine bis heute unbe- offen gehalten wurde. wältigte Altlast und ein Erbe der industriellen Auch der Darß-Wald war durch das als „Wild- Landwirtschaft (Schlungbaum, 2001). schongebiet“ verbrämte Staatsjagdgebiet zu gro- ßen Teilen der Öffentlichkeit versperrt. Auf weitere Ein weiteres anderes düsteres Kapitel war die Belastungen und Eingriffe, z. B. durch Küsten- militärische Nutzung großer Teile des heutigen schutz, Massentourismus, Abwasser und Müll soll Nationalparks. Die Sundische Wiese mit der an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Hohen Düne von Pramort, die Werder-Inseln und der Bug waren militärisches Sperrgebiet Die Situation auf Jasmund und Südost-Rügen und dienten dem in Zingst stationierten Flak- kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Raketen-Regiment der NVA als Übungsgelän- Nur so viel – das ehemalige Stubbenkammer-Ho- de zum Schießen auf Luftziele. Dafür war auch tel am Königsstuhl war zur Kaserne der Grenz-

14 truppen umfunktioniert und das ganze Gelände bestimmten den Charakter dieser Boddenland- mit meterhohen Betonmauern und Stacheldraht schaft. Wellen und Wind sind die formenden umschlossen worden. Der Besucherdruck auf Kräfte. Wolken und Licht verleihen dieser Land- die Kreideküste war kaum geregelt, die Zufahrts- schaft ihren eigentümlichen, unverwechselba- straße nach Stubbenkammer im Sommer kilome- ren Reiz. In ihrer herben Schönheit und Weite terlang zugeparkt und der Staatliche Forstwirt- erscheint die westrügensche Boddenlandschaft schaftsbetrieb bereitete im Naturschutzgebiet so ganz anders als Südost-Rügen in seiner lieb- den Einschlag eines größeren Altbuchenbestan- lichen Vielgestaltigkeit und auch anders als Jas- des direkt hinter der Kreideküste vor. Auf Südost- mund mit dem grandiosen Eindruck der Kreide- Rügen, insbesondere auf Mönchgut, waren Mas- felsen. Mit ausgedehnten Flachwassergebieten sentourismus, Zersiedlung der Landschaft durch ist die Boddenlandschaft ein außerordentlich Bungalowsiedlungen und Ferienheime, Müllent- bedeutsames Brut-, Sammel-, Rast- und Über- sorgung und intensive Landwirtschaft Hauptfak- winterungsgebiet für zahlreiche Vogelarten, ins- toren der Landschaftsschädigung (Jelen, 1991). besondere ein Rastgebiet für nordische Krani- che, Limikolen, Enten- und Gänsevögel (Nowald et al., 2001; Nehls, 2001; Graumann & Stodian, NATURERBE 2001). Die westrügenschen Boddengewässer VON INTERNATIONALER BEDEUTUNG stellen einen äußerst wichtigen „Trittstein“ inner- halb des ostatlantischen Vogelzugweges dar, der Ungeachtet der einschneidenden Landschafts- von Nordsibirien über das Weiße Meer und die veränderungen und massiven Belastungen konn- Ostsee bis zum atlantischen Europa und West- te dank der eingerichteten Schutzgebiete und afrika reicht. So schließt der Nationalpark das dank des Bemühens von ILN, von Naturschutz- bedeutendste Kranich-Rastgebiet Mitteleuropas beauftragten und engagierten Menschen vor Ort ein. Zu zehntausenden fallen im Herbst die Krani- ein bedeutendes Naturerbe als Grundlage für die che allabendlich gegen Sonnenuntergang in das Ausweisung eines Nationalparks erhalten wer- flache Wasser ein, wo sie dicht gedrängt stehend den. Das Gebiet umfasst mit den Halbinseln Darß, die Nacht verbringen, bis sie im frühen Morgen- Zingst und Bug, der Insel Hiddensee und mehre- nebel schreiend aufsteigen, um zur Nahrungs- ren kleinen Inseln sowie den Boddengewässern aufnahme auf umliegende Felder zu fliegen. zwischen Fischland und West-Rügen einen reprä- sentativen Ausschnitt vorpommerscher Bodden- Vor allem auf Grund des Kranichrastplatzes und Küstengewässer (siehe Umschlagkarte vorn). wurden die Boddengewässer von Ost-Zingst, Die angrenzende Ostsee ist bis zur zehn Meter- West-Rügen und Hiddensee bereits 1978 als ein Tiefenlinie in den Nationalpark einbezogen. Feuchtgebiet internationaler Bedeutung dekla- riert. Auch die Wälder auf dem Darß stellen trotz Dort ist ein breites Formenspektrum baltischer früherer forstlicher Bewirtschaftung ein bedeu- Ausgleichküste in natürlicher Dynamik erhalten, tendes Naturerbe dar. Der regelmäßige Wechsel sind Küstenabtrag und Landbildung in Aktion. von Erlensümpfen in den Riegen und Kiefern- Moränenkerne mit Steilküsten unterschiedlicher wäldern auf den Reffen des Neu- und Vordarß Formen wechseln mit Haken, Nehrungen und ist ein einzigartiges Phänomen und Reste von Hövtländern unterschiedlichen Alters, Strand- altem Buchenwald auf der Sandplatte des Alt- seen und Strandsümpfe mit Strandwällen und darß zeugen vom standörtlichen Potenzial die- Dünen, Flutrinnen mit ausgedehnten Flachwas- ses Naturraumes. serbereichen, die bei niedrigem Wasserstand als Windwatt trockenfallen. In keiner anderen Mit dem Nationalpark wird das Ziel verfolgt, die Landschaft an der deutschen Ostseeküste ist besondere Eigenart und Schönheit dieser ein- eine solche großräumige Vielfalt von Küsten- zigartigen Küstenlandschaft zu bewahren bzw. formen und Küstendynamik zu beobachten wie wiederherzustellen „sowie auf möglichst gro- hier im Nationalpark Vorpommersche Bodden- ßer Fläche eine nicht durch stoffliche Nutzung landschaft (siehe Beiträge von Herrmann et al. beeinflusste Entwicklung der Ökosysteme... und Reinicke in diesem Band). zu sichern“ (Jeschke & Succow, 2001). Dies schließt die natürlichen Prozesse der Küstendy- Der westrügensche Teil des Nationalparks wird namik (Abtragung und Neulandbildung) ebenso geprägt von den weiten Wasserflächen der ein wie die natürliche Waldentwicklung und die Bodden, von flacher Offenlandschaft mit aus- „Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des gedehnten Niederungen und mehreren kleinen Naturhaushaltes der durch menschliche Eingrif- Inseln. Röhrichte und Salzwiesen, Magerrasen fe veränderten Salzgrasland- und Moorflächen“ und Dünenheiden, Strände und Windwattflächen (Verordnung 1990, § 3).

15 DIE GUNST DER STUNDE UND EIN zum Ende der DDR bedeutende Teile des Na- WETTLAUF MIT DER ZEIT turerbes in Ostdeutschland als Nationalpar- ke, Biosphärenreservate und Naturparke unter Die von der friedlichen Revolution im Herbst Schutz gestellt und die öffentliche Diskussion 1989 erzwungene „Wende“ in der DDR bot über Naturschutz belebt werden. Das Konzept, eine kurzzeitige Chance, den gesellschaftlichen der Wettlauf mit der Zeit und das Ergebnis wur- Umbruch für einen Aufbruch zum Naturschutz den an anderer Stelle mehrfach dargestellt (z. B. in neuer Dimension zu nutzen. Mit dem „Natio- Rösler, Schwab & Lambrecht, 1990; Succow, nalparkprogramm der DDR als Baustein für ein 1992; Rösler, 1998b; Müller-Helmbrecht, 1998; europäisches Haus“ (Knapp, 1990a, b) konnten Succow, Jeschke & Knapp, 2001, 2012; Dix & im Verlauf von elf Monaten von der Wende bis Gutermann 2006), so dass hier nur das Gesche-

Die turbulenten ersten Monate des NLP Jasmund – Erinnerungen von Manfred Kutscher

Als damaliger Aufbauleiter des Nationalparks Jasmund erinnere ich mich gut an die aufre- gende Zeit um die NLP-Gründung und die folgenden Monate:

»» 22. Januar 1990: Der Vorsitzende der Partei „Demokratischer Aufbruch“ lädt zu einer Veranstaltung unter dem Thema „Nationalpark Rügen“ in die damalige Molkerei Bergen ein. Eintritt: 10 Mark der DDR. Referenten waren u. a. Dr. Knapp und M. Kundy als Ver- treter des NLP Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Ich hielt es für eine gute Sache und wollte mich bewerben; »» 27. Februar/12. März 1990: Der Rat des Bezirkes Rostock beschließt die einstweilige Sicherung der geplanten Schutzgebiete im Bezirk; »» 21. März 1990: Im Kreistag Rügen wird der Beschluss des Bezirkes bestätigt und am 11. April u. a. die Stadt offiziell informiert; »» Juni 1990: Die Stadtverwaltung Sassnitz erbittet vom Umweltministerium nähere Infor- mationen zum geplanten Nationalpark „Hoch-Jasmund“; »» 12. September 1990: Der Ministerrat beschließt das „Natio- nalparkprogramm der DDR“; »» 15. September 1990: Beginn meiner Tätigkeit als Aufbauleiter für den NLP Jasmund. Der rückwirken- de Arbeitsvertrag von der Regionalbehörde Rostock ist auf den 8. Oktober datiert. Bis zum Jahresen- de kommen zwei Mitarbeiter hinzu. Das Büro ist anfangs im Technischen Bereich des VEB Fischfang Sassnitz untergebracht; »» Ende September 1990: Der Umweltminister Schleswig-Holsteins lädt die Leiter der Aufbaustäbe NP Rügen, Herrn Kleinke und NLP Jasmund, also mich, zu 14 Lerntagen ins Wattenmeer ein. Wegen der eigenen Bewerbung mussten wir aber am 3. Oktober zeitiger zurück; »» 1. Oktober 1990: Von diesem Tag an gilt die neue Verordnung über den NLP Jasmund; »» Januar 1991: Die NLP-Verwaltung zieht in das leere Bürogebäude am Kreidetagebau Wittenfelde. Das Hamburger Umweltbezirksamt Nord entsendet für ein Jahr Herrn Jansen zur Unterstützung der Aufbaulei- tung. Eine unschätzbare Hilfe; »» 20. März 1991: Das 1. Standardfaltblatt „Der National- park Jasmund“ erscheint Ostern 1991 (Abb. 1). Wäh- Abb. 1: Das erste Informationsfaltblatt rend der vier Ostertage erleben etwa 25.000 Besucher der neuen Aufbauleitung des NLP den Nationalpark und unvorstellbare Verkehrsverhält- Jasmund (Teilansicht).

16 nisse (Abb. 2). Während aller meiner Berufsjahre war ich noch nie so ge- stresst und fühlte mich so hilflos. Es musste schnell etwas geschehen; »» 15. Mai 1991: Die ersten Ranger wer- den über eine Arbeits-Beschaffungs- Maßnahme eingestellt; »» Juni 1991: Der Nationalpark Jasmund erhält von der Oppermann-Stiftung eine Spende in Höhe von 171.000 DM für die Erarbeitung eines Nationalpark- plans; »» 1. Juli 1991: Das Nationalparkamt M-V nimmt in Speck seine Arbeit auf. Von nun an ist die NLP-Verwaltung Jas- Abb. 2: Das Verkehrschaos auf den Zufahrten zum Jasmund mund nie mehr völlig selbständig. Erst um Ostern 1991. einmal sind alle Gebiete Außendezer- nate. Ein Mitarbeiter wird vom geplan- ten Naturpark Rügen nach Jasmund umgesetzt; »» August 1991: Die erste Waldbehandlungsrichtlinie wird verbindlich. Mitte des Monats verstärken drei weitere Ranger die „Schlagkraft“ des Außendezernats; »» Dezember 1991: Der strapazierte Königsstuhl erhält eine Feuerstein-Kreide-Auflage; »» 1. Januar 1992: Herr Klötzer übernimmt die Leitung des Außendezernats NLP Jasmund »» 15. April 1992: Der Auffangparkplatz Hagen und der Buspendelverkehr nehmen den Betrieb auf. Endlich! Bis zum Jahresende wird der Parkplatz 14 000 Pkw zählen. »» Mai 1992: Die Parkverwaltung zieht von Wittenfelde nach Stubbenkammer.

Von nun an begann die Zeit des Gestaltens, Entwickelns und Informierens (Rückbau von Immobilien und anderer Hinterlassenschaften, Wege- und Geländerbau, Aufstellen von Info- Tafeln usw.). …

hen um die Einrichtung des Nationalparks Vor- Müller als Aufbauleiter für das Biosphärenreser- pommersche Boddenlandschaft beispielhaft vat Südost-Rügen (siehe KASTEN auf Seite 16). skizziert werden soll. Die dramatische Verschlechterung des Zustan- Vorab sei dennoch kurz auf das Geschehen auf des der Darß-Zingster Boddenkette gab den Rügen verwiesen. Als Reaktion auf augenfälli- Anstoß zur Auseinandersetzung mit Umwelt- ge Umweltprobleme und die Totschweigepolitik problemen der Region, insbesondere in der von Partei- und Staatsorganen formierten sich Gesellschaft für Natur und Umwelt im Kultur- in den 1980er Jahren auch dort Umweltgruppen bund. In dem Fischlandort wurden und Bürgerinitiativen. Joachim Kleinke betrieb am 19. Oktober 1989 die vom Schriftsteller im Rahmen des Kulturbundes intensive Auf- Reimar Gilsenbach initiierten 8. Brodowiner klärungs- und Bildungsarbeit und der damalige Gespräche mit dem Thema: „Gedanken zum Pastor in Middelhagen, Frieder Jelen, initiierte ökologischen Umbau unserer Gesellschaft“ das „Aktiv für Umwelt und Landschaftsschutz“ durchgeführt. Der Kulturbund der DDR mit sei- auf Mönchgut, dessen Vortrags- und Gesprächs­ nem Zentralvorstand der Gesellschaft für Natur abende auf die ganze Insel ausstrahlten und das und Umwelt als Veranstalter hatte dazu unter zur Keimzelle des Verbandes INSULA RUGIA anderem einige Umweltschriftsteller der DDR e. V. wurde (Knapp, 2013). eingeladen. Speziell kam die Sanierung der Bodden als „Die Boddensanierung – eine Au- Bei der Entwicklung des Nationalparkpro- genauswischerei?“ durch Gilsenbach auf die gramms 1990 engagierten sich auf Rügen vor Tagesordnung, wurde jedoch vermutlich wie- allem Joachim Kleinke als Aufbauleiter für einen der abgesetzt. Solch eine Fragestellung durfte Naturpark Rügen, Manfred Kutscher als Auf- unter den damaligen Verhältnissen nicht in die bauleiter des Nationalparks Jasmund und Axel Öffentlichkeit dringen.

17 Im Kreisverband Ribnitz-Damgarten des Kul- für ein Nationalparkprogramm in der DDR und turbundes wurde eine Liste schützenswerter Antrag auf Schaffung eines Nationalparks an der Landschaftsteile erarbeitet, die jedoch beim Müritz“ an den Präsidenten der damaligen einzigen Mitarbeiter für Jagd- und und an den Ministerpräsidenten sandte. Darin Naturschutz im Landkreis liegen blieb und erst wurde auch „Darß-Zingst-Hiddensee“ als Land- ab 1990 von der neu eingerichteten Unteren schaft mit reicher Naturausstattung genannt, Naturschutzverwaltung des Landkreises Rib- die es wert sei, als großflächiges Schutzgebiet nitz-Damgarten für die Ausweisung neuer Land- entwickelt zu werden. Wenig später erfolgte mit schaftsschutzgebiete mit engeren Schutzzonen einer Aufschrift auf einem Fischländer Garagen- verwendet wurde. tor an der Durchfahrtsstraße in Althagen der Aufruf „Nationalpark Fischland-Darß-Zingst“. Anfang Dezember 1989 erging die Mitteilung zur Damit wurde die weitere Diskussion um einen Auflösung der Staatsjagdgebiete der DDR durch Nationalpark vom Fischland aus angestoßen. den Generalforstmeister R. Rühtnick (ADN- Meldung vom 01.12.1989). Das war ein klares Der Rat des Kreises Ribnitz-Damgarten hatte Signal, über die Zukunft dieser Gebiete nach- sich zwischenzeitig für die territoriale Sicher- zudenken und gab den Anlass zur Bürgeriniti- stellung der ehemaligen NVA-Sperrgebiete, so ative „Müritz-Nationalpark“, die den „Vorschlag auch am Standort Darßer Ort in die Verantwor-

Erinnerungen von Hartmut Sporns:

19. Oktober 1989: Mir und anderen Aktiven aus dem Kulturbund/GNU-Arbeitskreis blieb die Teilnahme an den vom Schriftsteller Reimar Gilsenbach initiierten 8. Brodowiner Ge- sprächen in Wustrow verwehrt. Ich erfuhr erst später überhaupt von dem Termin, irgendein Ergebnis war nicht zu erfahren.

Januar 1990: Nachdem sich im Kreis Ribnitz-Damgarten ein Runder Tisch formiert hatte, gelang es nur Vertretern politischer Parteien bei diesem Gremium mitzuwirken. Das war Anlass, eine Grüne Partei zu gründen. Außer mir war es auch M. Dietrich aus Schulenberg/ Kneese, die sich nun am Runden Tisch die Aufnahme erkämpfte und Naturschutzthemen in den Gesprächskatalog einbrachten. Bei einer Reihe von Sympathisanten gab es Zustim- mung, jedoch wenig persönliche Bereitschaft, sich in einer neuen Partei zu organisieren. Resonanz zum Thema Nationalpark kam damals auch aus den Reihen der neu gegründeten SPD, hier besonders von S. Keler, die zu dieser Zeit noch im Faserplattenwerk Ribnitz ar- beitete. So konnte es nach einigen anderen Diskussionen, z. B. um die Kreisdienststelle des MfS (Stasi) und Gebäude der SED-Kreisleitung, auch um das Thema Nationalpark gehen.

1. Juni 1990: Mein neuer Arbeitsvertrag mit der Bezirksverwaltungsbehörde Rostock kam nach einiger Verzögerung dann doch noch zu Stande. Von Vorteil war schließlich auch, dass ich zu DDR-Zeiten mit meiner beruflichen Tätigkeit beim Küstenschutz zum Umweltministe- rium gehörte, in dem Professor Michael Succow das Nationalparkprogramm einbrachte. So zog ich dann aus meinem Büro der Dünenmeisterei nach Born in das Staatsjagd- gebäude. Oberförster G. Hanefeld hatte inzwischen das dortige Hauptbüro übernommen, wodurch sein ehemaliges Oberförsterzimmerchen am separaten Westeingang frei wurde. Dort richtete ich meinen ersten Schreibtisch für die weitere Aufbauleitung ein.

September 1990: Mit Vertretern des Landkreises und der Gemeinde Born reisten wir zur Erkundung in den Nationalpark Bayerischer Wald. Insbesondere die vorausgegangenen Querelen in Born gegen den entstehenden Nationalpark waren Grund dafür, einer Einla- dung von Dr. Hans Bibelriether zu folgen und den tourismusfördernden Nationalpark im Bayerischen Wald vor Ort kennen zu lernen und zu erleben. Der Verein der Freunde des dortigen Nationalparks übernahm großzügig die Kosten. Die Reise verlief sehr angenehm und überzeugend, besonders auch für die Erkenntnis bei den Zweiflern, dass der baye- rische Nationalpark regional eine enorme Strukturförderung und Entwicklung der Region bewirkt hatte.

18 a b

Abb. 4a und b: Militärische Altlasten wurden im Nationalpark weitgehend entsorgt: Die Grenzsicherungskaserne am Dorn- busch auf Hiddensee a) vor und b) während des Rückbaus (1992).

tung gebracht. Zur Schließung des Hafens und baum (WPU, Sektion Biologie), Dr. Jeschke zum Abriss der rechtswidrig errichteten Gebäu- (Akademie der Wissenschaften, Institut für de erging am 9. Februar 1990 ein Erlass durch Landschaftsforschung und Naturschutz), Herr den Vorsitzenden E. Reiher an den Chef der Prahl (Rat des Bezirkes, Abteilung Natur- und Volksmarine, Vizeadmiral H. Born, unterstützt Umweltschutz), Herr Strunk (Rat des Bezirkes, von Schreiben gleichen Inhalts vom 9. März Bezirksnaturschutzwart), Herr Voigt (Rat des 1990 des Leiters der Arbeitsgruppe Greifswald Kreises, Abteilung Natur- und Umweltschutz/ des Institutes für Landschaftsforschung und Wasserwirtschaft), sowie Vertreter der Gemein- Naturschutz, Dr. G. Klafs. Am 31. Mai 1990 rich- den als Gäste in das Haus Friedrich-Engels- tet G. Prahl vom Rat des Bezirkes, Abteilung Straße 10-12 gekommen“ (J. Baginski in OZ Naturschutz und Wasserwirtschaft ein Schrei- v. 16.02.1990). Burghard Voigt berichtete, dass ben an das Seefahrtsamt, den Hafen Darßer Ort in den sieben Naturschutzgebieten im Gebiet für die öffentliche Nutzung zu sperren, bis Ende Fischland-Darß-Zingst einzigartige Besonder- 1990 als Nothafen zuzulassen und danach zu heiten vorliegen, jedoch auch schwerwiegende schließen (Archiv des Landkreises RDG). Fehler begangen wurden. Dazu nannte er die widerrechtliche Errichtung etlicher Gebäude, Der Rat des Kreises Ribnitz-Damgarten (die Abt. des Armeehafens am Darßer Ort und die be- Naturschutz/ Umweltschutz/ Wasserwirtschaft) lastende Tierhaltung entsprechend der Höchst­ legte mit einem hektografierten Papier vom 31. ertragskonzeption. Als gemeinsames Anliegen Januar 1991 eine Konzeption über Möglich- aller Teilnehmer wurde ein besserer Schutz der keiten und Maßnahmen für einen Nationalpark Natur gefordert. Auf Beschluss des „Runden Ti- „Fischland-Darß-Zingst einschließl. Boddenge- sches“ wurde der Vorschlag zur Gründung ei- wässer und Recknitzniederung“ als Diskussi- nes Nationalparks, dessen Hauptteil im Kreis onsgrundlage vor. Ribnitz-Damgarten liegen soll, aufgegriffen. Vor- gesehen war das Gebiet Fischland-Darß-Zingst Am 13. Februar 1990 fand auf Einladung von G. und die Boddenrandgebiete sowie das Niede- und P. Strunk (Mitarbeiter für Naturschutz beim rungsgebiet der . Das Vorschlagsgebiet Rat des Bezirkes Rostock) eine Beratung in Vor- sollte in erster Stufe als LSG mit zentraler Be- bereitung zur Schaffung eines Nationalparks deutung einstweilig gesichert werden. Als Sitz „Boddenküste“ statt, bei der mit Vertretern ver- der Verwaltung wurde Born mit dem ehemaligen schiedener Institutionen u. a. über eine einstwei- Staatsjagdgebäude festgelegt. lige Sicherung, Sofortmaßnahmen gegen Aus- verkauf, die Abgrenzung eines Nationalparks und Daraufhin beschloss der Rat des Kreises Ribnitz- geeignete Öffentlichkeitsarbeit diskutiert wurde. Damgarten am 16. Februar 1990 die „Einstweilige Sicherstellung des Landschaftsschutzgebietes Am 14. Februar 1990 stand die Gründung eines „Küstenlandschaft mit zentraler Bedeutung“. Im Nationalparks „Boddenlandschaft“ als einziger Beschluss heißt es unter anderem „Dieses Gebiet Punkt auf der Tagesordnung für den „Runden ist für die Nachwelt in seiner Ursprünglichkeit zu Tisch“ in Ribnitz-Damgarten. „Zu dieser 7. Sit- erhalten. Eine Entwicklung dieses Gebietes zum zung waren am Mittwoch auch Herr Schlung- Nationalpark wird angestrebt.“ (Archiv BfN Vilm)

19 Abb. 5: Dieses 15 Seiten umfassende Diskussionsmaterial wurde im Februar 1990 an tausende Haushalte in der Re- gion verteilt.

Ende Februar 1990 wurde an alle Haushalte der Nationalparkregion eine Postwurfsendung über den geplanten „Nationalpark Küstenlandschaft“ als Informations- und Diskussionsmaterial ver- teilt (Auflage: 100.000; Abb. 5). Herausgeber war die Initiativgruppe für die Entwicklung des Na- tionalparks beim Rat des Kreises Ribnitz-Dam- garten. Zu ihr gehörten Dr. G. Schlungbaum, B. Voigt, H. Wanke, B. Kühn und H. Sporns (sie- he Kasten auf Seite 18). Bei einigen Vertretern Abb. 6: Mit Unterstützung des WWF Deutschland (Watten- der Darßkommunen Born und stieß das meerstelle Husum) und des damaligen Meereskundemuse- Material auf heftige Ablehnung. Sie befürchte- ums in Stralsund wurde ein erstes Faltblatt zu vorhandenen ten noch größere Einschränkungen im Gebiet und geplanten Schutzgebieten an der deutschen Ostsee- als bisher. Speziell den Hafen am Darßer Ort küste erstellt (erschienen Juni 1990). wollten einige Prerower für eine touristische Nutzung erhalten und ausbauen. Ganz anders sahen die Fischlandgemeinden Wustrow und 15. März 1990 mehr als 100 Teilnehmer, darun- den Nationalpark-Vorschlag und ter Bewohner und Gäste der Halbinsel, in der beförderten ihn. In Wustrow wuchs die Hoff- Hochschule für Seefahrt Wustrow. „Mehr pro als nung, die südlich des Ortes gelegenen Fisch- contra“ erhielten die Referenten Jeschke vom landwiesen wieder auszudeichen und der tradi- ILN Greifswald und Strunk als Bezirksnatur- tionellen Salzgrasbeweidung zuzuführen. schutzwart (Ostseezeitung v. 20.03.1990). Auf dieser Veranstaltung wurde deutlich, dass in der Zu einer Informationsveranstaltung über den Gemeinde Born in der Vergangenheit Fehlinfor- Nationalpark „Küstenlandschaft“ trafen sich am mationen zum Nationalpark verbreitet wurden.

20 sage wurde tatsächlich umgesetzt, und aus dem „ersten Entwicklungshelfer aus dem Westen“ ist die erfolgreiche Projektstelle „Ostsee“ des WWF Deutschland in Stralsund entstanden (siehe Bei- trag von Lamp in diesem Band). Mit angereist zu dieser Veranstaltung des Ribnitzer „Runden Ti- sches“ war auch ein Fernsehteam des NDR aus Hamburg unter Leitung der engagierten Redak- teurin Kerstin Tewis. Das Kamerateam bereiste mit Prokosch und Tewes auch die Insel Hidden- see. Der damalige Rügener Aufbauleiter Joachim Kleinke stellte den Kontakt zur Hiddenseer Vo- gelwarte her. In der nachfolgenden Fernsehsen- dung des NDR wurde nicht nur von der erhitzten Debatte des „Runden Tisches“ in der Ribnitzer Friedrich-Engels-Straße berichtet, sondern auch von den Aktionen Bochumer Investoren für eine geplante Spielbank in Dierhagen.

Ein weiteres Thema des 13. „Runden Tisches“ war der Nothafen Darßer Ort. „Der Hafen, so habe der Rat des Kreises mit großer Mehrheit entschieden, verbleibt im NSG. Ab 1991 soll seine Nutzung ganz eingestellt werden und der Natur auch hier wieder freier Lauf gelassen wer- den - wie es das Gesetz für dieses Gebiet seit Abb. 7: In dem vom DDR-Umweltministerium herausgege- Jahren vorschreibt.“ Weiterhin forderte der Run- benen Umwelt-Report Nr. 1 (es blieb der einzige) wurde das de Tisch, „das Militärgelände Zingst-Pramort in Planung befindliche Nationalparkprogramm insgesamt mit dem Seesperrgebiet aufzulösen und für die vorgestellt. zivile Nutzung freizugeben. Nochmals wurde die Armee aufgefordert, die vor kurzem aufgestell- ten Zäune wieder abzubauen“ (beide Zitate aus J. Baginski, OZ 30.03.1990). Am 28. März 1990 griff der „Runde Tisch“ in Ribnitz-Damgarten das Thema Nationalpark Im April 1990 wurde vom DDR-Umweltministeri- während seiner 13. Sitzung erneut auf. Burk- um der Umwelt-Report Nr. 1 veröffentlicht. Darin hard Voigt vom Rat des Kreises berichtete von wurde das in Planung befindliche Nationalpark- den beabsichtigten Aussichtsplattformen am programm insgesamt vorgestellt (Knapp, 1990a; Darßer Ort und den begonnenen Beschilderun- Abb. 7). Die vom Ministerium für Naturschutz, Um- gen. Zur bevorstehenden Saison sollte der zu weltschutz, Energie und Reaktorsicherheit (MU- erwartende Besucherstrom besser organisiert NER) organisierte, auf der Insel Vilm am 10. Mai werden. Die Gefahr des ungelenkten Tourismus 1990 begonnene Exkursionstagung „Nationalpar- in den bisher gesperrten Gebieten wurde als ein ke in der DDR“ führte auch in die Vorpommersche Problem erkannt. Boddenlandschaft und diskutierte die dort anste- henden Probleme (Abb. 8). Am 1. Juni 1990 wur- Neben den Vertretern der Halbinselgemeinden de mit mehrwöchiger Verzögerung (im damaligen nahmen als Gäste H. D. Knapp als Beauftrag- Bezirk war bereits im April 1990 ter des neuen Umweltministeriums in Berlin und eine Aufbauleitung für den Müritz-Nationalpark Dr. P. Prokosch vom WWF Deutschland aus der installiert worden) Hartmut Sporns zur Vorberei- Wattenmeerstelle in Husum teil. Sie erläuterten tung des Nationalparks sowie zur Gründung eines unter anderem, welche neuen Chancen für den Aufbaustabes von der Bezirksverwaltungsbehör- Tourismus durch einen Nationalpark entstehen. de Rostock eingestellt. Als Arbeitsort wurde das Durch Prokosch wurde konkrete Unterstützung neue Forsthaus in Born festgelegt, wo bisher die der Umweltstiftung WWF Deutschland zuge- Staatsjagd auf dem Darß ihren Sitz hatte. sagt. Sie sollte sich bei der Ausweisung des neuen Nationalparks auf personelle und finanzi- Am 26. Juni 1990 fand unter der Leitung MUNER, elle Hilfe, besonders auch auf aufklärende Öf- vertreten durch den Referatsleiter Naturschutz fentlichkeitsarbeit beziehen (Abb. 6). Diese Zu- L. Jeschke, eine Beratung zur weiteren Klärung

21 Abb. 8: Materialsammlung für die Exkursions-Tagung „Nationalparke in der DDR“ vom 10. bis 15. Mai 1990. des in Rechtsträgerschaft der Volksmarine be- amtlichen Naturfreunden und aktiven lokalen findlichen Naturschutzgebietes Darßer Ort statt Wendepolitikern zu finden als in der Forstver- (Archiv LK VR, Aktennotiz Kreisverwaltung Rib- waltung. nitz-Damgarten v. 28.06.90, Dez. III B. Voigt). Gemeinsam mit der 4. Flottille der NVA, dem Engagierte Bürgerinnen und Bürger, die sich Militärforstbetrieb Prora, den Bürgermeistern dem Schutz und Erhalt unserer einzigartigen von Prerow und Born und den Naturschutzver- Küsten- und Boddenlandschaft verschrieben tretern wurden Rückbauten aller Gebäudekom- haben und deshalb das gemeinsame National- plexe festgelegt. Zur künftigen Nutzung bzw. parkprojekt fördern, wollten am 30. Juni 1990 Nichtnutzung des gesetzeswidrig errichteten in der Ahrenshooper Kirche den „Förderverein Hafens Darßer Ort sollte erst nach Konsultation Boddenlandschaft“ gründen. Dabei ging es mit dem Ministerium für Abrüstung und Vertei- ihnen vor allem darum, die Arbeit der Aufbau- digung entschieden werden. Die gemeinsame leitung zu unterstützen und zu ergänzen. „Ein Beratung war am 11. Juli 1990 geplant. Im Al- wesentliches Ziel sieht der Verein, so deren leingang verhandelten jedoch bereits schon am Vorsitzende Dorothea von Saucken, gegenwär- 6. Juli 1990 die Prerower Gemeindevertreter in tig darin, die Bevölkerung für den Nationalpark- Straußberg mit dem neuen Verteidigungsminis- gedanken zu gewinnen“ (Gerda Beytthin/ Jan ter Eppelmann, der Kompromissen Bereitschaft Baginski, OZ am 09.08.1990). Als prominen- bekundete (OZ v. 11.07.90, J. Baginski). tes Gründungsmitglied ist Dr. L. Jeschke aus Greifswald erschienen und hält den Festvor- In Sachen Forst und Naturschutz kam noch im trag. Neben der begeisterten Teilnehmerschar Juni 1990 Christian Kähler als damaliger Ab- von Einheimischen vom Fischland und teilweise teilungsleiter beim Rat des Bezirkes Rostock auch vom Darß gab es aber auch kritische Stim- zu einer ersten gemeinsamen Dienstberatung men Einzelner, die auch später ihre ablehnende nach Born und fordert die Revierleiter zur guten Haltung beibehielten. Zusammenarbeit mit der Nationalparkaufbau- leitung auf. Die Unterstützer des Nationalparks Die Gründung des Fördervereins durch enga- waren in diesen Tagen jedoch mehr bei ehren- gierte Freiwillige erfolgte zu einem Zeitpunkt, an

22 dem die gesetzliche Festsetzung des National- warte Hiddensee tätig war, beriet in ornitholo- parks noch völlig ungewiss war (siehe Beitrag gischen Fachfragen, wie auch in praktischen von Baginski in diesem Band). Unter anderem Fragen der Landschaftspflege. dürfte sie besonders dazu beigetragen haben, dass weitere Menschen von der Nationalpark­ Um den Nationalpark ging es auch bei der In- idee ergriffen wurden und neue Hoffnung für teressengemeinschaft (IG) Bodden. Auf deren den Naturschutzgedanken schöpften. 5. Jahreshauptversammlung Anfang Juli 1990 wurde in Wustrow festgestellt, dass durch den Im Juni kam es zur ersten praktischen Unter- bisherigen Vorrang ökonomischer Interessen stützung durch das Land Schleswig-Holstein seit Jahrzehnten die Natur im Bereich Fisch- mit dem Nationalparkamt Tönning. Der junge land-Darß-Zingst „vernutzt“ wurde. Als Beispiel und dennoch erfahrene Mitarbeiter für Öffent- nannte der Abteilungsleiter für Natur- und Bo- lichkeitsarbeit und Umweltbildung, M. Kundy, denschutz im damaligen Umweltministerium der kam wochenweise von Tönning nach Born und DDR, Alfons Hesse, das „grüne Ungeheuer“ der beriet zu ersten wichtigen Informationsaktionen. intensiven Rinderproduktion des VEG Zingst. Auf Bürgerversammlungen in Born und Prerow „Wir haben die historische Chance, unsere wurden zum Teil heftige Debatten geführt. Auch Landschaft zu retten“, betonte der Rostocker der Amtsleiter des Partneramtes aus Tönning, F. Biologe Dr. G. Schlungbaum von der Rostocker H. Andresen, half persönlich bei Diskussionen Universität (Norddeutsche Neueste Nachrich- auf der Halbinsel. Mit dem damaligen Direktor ten, 09.07.90). Zur Verbesserung des Schutz- des Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes in status der Boddenkette wurde der National- Rövershagen, D. Hildebrandt, klappte die Ver- park vorgeschlagen. „Hartmut Sporns von der ständigung in niederdeutscher Mundart, wenn Bezirksverwaltung stellte den aktuellen Stand auch mit kleinen Unterschieden. Hildebrandt der Nationalpark-Vorbereitung dar. Er beschrieb gab seine damals maßgebliche Zustimmung zu dessen Grenzen mit Darß/Zingst/Bug// einem ersten Informationsfaltblatt. Halbinsel Lieschow/Teile des Boddens nördlich Auf Hochtouren liefen die Vorbereitungsarbeiten Stralsund sowie Flachwasserzonen einschließ- zur Gebietserfassung für die Schutzgebietsab- lich Hiddensee“ (Demokrat von 17.07.90). In der grenzung beim ILN Halle, Außenstelle Greifs- Presse war auch von „ausländischen Gästen“ wald. Der dortige Bearbeiter, Dr. R. Holz, traf die Rede. Gemeint war Andresen vom Natio- sich im Juli auf der Insel Hiddensee mit Sporns nalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. und Kundy. Es wurden spezielle Bereiche in Diskussionen gab es, weil das nun benannte der Dünenheide, auf der Fährinsel und auf dem Gebiet kleiner ausfiel, als ursprünglich vorge- Gellen aufgesucht, um über ein geeignetes zu- schlagen. Speziell das Fischland wurde aber künftiges Management der Hiddenseer Natio- als Bestandteil des Landschaftsschutzgebietes nalparkflächen zu beraten. Holz, der während als eine zukünftige Pufferzone für den National- seines Geographiestudiums auch an der Vogel- park vorgeschlagen. Auf dieser Veranstaltung in

Abb. 9: Mit Unterstützung des Landesamtes für den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer in Tönning wurde im August 1990 das erste Faltblatt für den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft gedruckt.

23 Abb. 10: Die Verordnung über die Festsetzung des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft trat mit dem 1. Okto- ber 1990 in Kraft.

24 Wustrow stellten erstmalig Studenten der Land- mit der Veröffentlichung in der letzten Ausgabe schaftsarchitektur mit einem Landschaftspfle- des Gesetzblattes der DDR in Kraft und bleibt geplan ihre Studien zum zukünftigen National- mit Überleitung im Einigungsvertrag nach dem park vor. 3. Oktober 1990 geltendes Recht im Vereinten Deutschland (Abb. 10). Im August 1990 erschien mit Unterstützung des Landesnationalparkamtes Tönning in Schles- wig-Holstein das erste Nationalparkfaltblatt: LITERATUR „Der Nationalpark Vorpommersche Bodden- landschaft – Schutz für eine Küstenregion“, das Dix, A. & R. Gutermann (2006): Naturschutz in der in Niebüll/Schleswig-Holstein gedruckt wurde. DDR: Idealisiert, ideologisiert, instrumentali- Erstmalig war damit auch eine Gesamtkarte siert? In: Frohn, H.-W. & Schmoll, F. (Bearb.), (Karthographie Norderstedt) gefertigt, die in der Natur und Staat. Staatlicher Naturschutz in Folgezeit für Publikationen immer wieder einge- Deutschland 1906-2006. Naturschutz und setzt wurde (Abb. 9). Biologische Vielfalt 35, S. 535-624. Eichstädt, W. & H. Eichstädt (2008): Geschich- Von den Helfern aus Schleswig-Holstein, dem te des Naturschutzes in Pommern (1908 Nationalparkamt in Tönning, war besonders bis 1945). In: Eichstädt, W. et. al., Die Ge- Kundy auch vor Ort aktiv. Er vermittelte über schichte des Naturschutzes in Pommern seinen Kontakt mit der Commerzbank Frank- von den Anfängen bis in unsere Zeit. Fried- furt die Finanzierung einer Praktikantenstelle für land/Meckl., 265 S. die Boddenlandschaft. Dadurch konnte als ers- Faust, M. (2005): Hiddensee. Die Geschichte ei- te Praktikantin, die Biologin K. Schäfer, bereits ner Insel. Von den Anfängen bis 1990 mit am 1. September 1990 eingestellt werden. Zu- einer Chronologie der wichtigsten Ereig- sammen mit einem ersten Zivildiensleistenden, nisse von 1991 bis zur Gegenwart. Schwe- der einige Tage später begann, wurden erste rin, 422 S. Publikationen erarbeitet und Führungen durch- Gilsenbach, R. (1956): Große Naturschutzparke geführt. Mit der Oberförsterei Born wurde eine in Deutschland? Natur und Heimat 1956, Vereinbarung zur Vermietung von Verwaltungs- S. 280. räumen im Forsthaus Born getroffen. Gilsenbach, R. (1965a): Braucht die DDR Nati- onalparke? Sächs. Heimatblätter 1965/1, Als der 3. Oktober als Termin der Wiederver- 2-12. einigung Deutschlands bekannt wurde, schien Gilsenbach, R. (1965b): Mehr Mut zum Natio- es unmöglich, die geplanten Gebiete des Na- nalpark. Urania-Universum Bd. 11, Leip- tionalparkprogramms rechtsverbindlich si- zig, 191-196. cherzustellen. Doch in zweiwöchiger Tag- und Gilsenbach, R. (1967): Ein Verteidigungswort für Nachtarbeit zahlreicher Beteiligter gelang es, Oasen der Erholung. Naturschutzarbeit in die Verordnungsentwürfe für fünf Nationalparke, Mecklenburg 10/1, 12-26. sechs Biosphärenreservate und drei Naturpar- Gilsenbach, R. (1998): Die größte DDR der Welt - ke fertigzustellen und abzustimmen (Succow et ein Staat ohne Nationalparke. Des Merkens al., 2001; Müller-Helmbrecht, 1998). Am 5. Sep- Würdiges aus meiner grünen Donquichotte- tember erteilten die Landräte von Rügen und rie. In: Auster, R. & Behrens, H. (Red.), Na- Ribnitz-Damgarten sowie der Regierungsbeauf- turschutz in den neuen Bundesländern – Ein tragte des Bezirkes Rostock ihre Zustimmung Rückblick. Forum Wissenschaft Studien Bd. zur Entwicklung des Nationalparks Vorpom- 45, Halbband II, Marburg, S. 533-546. mersche Boddenlandschaft. Graumann, G. & I. Stodian (2008): Vogelschutz auf Hiddensee im Nationalpark Vorpom- Am 12. September 1990 beschloss der letzte mersche Boddenlandschaft. MEER UND Ministerrat der DDR auf seiner letzten Sitzung MUSEUM 21: 25-34. die Unterschutzstellung von 14 großflächigen Haas, A. (1924): Die Insel Vilm. A. Schuster, Landschaften zwischen Ostsee und Elbsand- Stettin, 48 S. steingebirge, darunter sind fünf Nationalparke. Jelen, F. (1991): Naturschutz zum Überleben. In: Die Vorpommersche Boddenlandschaft und Gerig, U. (Hg.), Rügen. Historie-Heimat- Jasmund gehörten dazu. Am 1. Oktober 1990 Humor. Königstein/Taunus, S. 244-258. trat die „Verordnung über die Festsetzung des Jeschke, L. (1964): Die Vegetation der Stubnitz Nationalparks Vorpommersche Boddenland- (Naturschutzgebiet Jasmund auf der Insel schaft“ zusammen mit den Verordnungen der Rügen). Natur und Naturschutz in Meck- anderen Gebiete des Nationalparkprogramms lenburg 2, 1-135.

25 Jeschke, L. (1992): Nationalpark Vorpommer- Rösler, M. (1998a): Nationalparkinitiativen in der sche Boddenlandschaft. Wind, Watt und DDR bis zur Wende 1989. In: Auster, R. Wellen. In: Freude, M., Jeschke, L., Knapp, & Behrens, H. (Red.), Naturschutz in den H. D., Succow, M., Unbekanntes Deutsch- neuen Bundesländern – Ein Rückblick. Fo- land, Tomus München, S. 48-67. rum Wissenschaft Studien Bd. 45, Halb- Jeschke, L. (2009): Natur- und Landschafts- band II, Marburg, S. 547-560. schutz. In: Billwitz, K., & Porada, H. Th., Rösler, M. (1998b): Das Nationalparkprogramm Die Halbinsel Fischland-Darss-Zingst der DDR. In: Auster, R. & Behrens, H. und das Barther Land. Landschaften in (Red.), Naturschutz in den neuen Bundes- Deutschland, Werte der deutschen Heimat ländern – Ein Rückblick. Forum Wissen- Bd. 71, Köln, Weimar, Wien, S. 51-56. schaft Studien Bd. 45, Halbband II, Mar- Jeschke, L. & H. D. Knapp (2007): Die Goor. burg, S. 561-595. Natur-Landschaft-Kulturerbe. Hinstorff, Rösler, M., Schwab, E. & M. Lambrecht (1990): Rostock, 108 S. Naturschutz in der DDR. Economica, Jeschke, L. & H. Sporns (2012): Der National- Bonn, 305 S. park Vorpommersche Boddenlandschaft. Schlungbaum, G. (2001): In: Benke, H. (Hrsg.): In: Succow, M., Jeschke, L., Knapp, H. Die Darß-Zingster Bodden: Monographie D. (Hg.), Naturschutz in Deutschland. Ch. einer einzigartigen Küstenlandschaft. Links, Berlin, S. 88-95. MEER UND MUSEUM 16: Stralsund, 204 Jeschke, L & M. Succow (2001): Nationalpark S. Vorpommersche Boddenlandschaft. In: Schurig, V. (1991): Politischer Naturschutz: Wa- Benke, H. (Hg.), Die Darß-Zingster Bod- rum wurde in der DDR (1949-1989) kein den: Monographie einer einzigartigen Küs- Nationalpark gegründet? Natur und Land- tenlandschaft. MEER UND MUSEUM 16: schaft 7/8, S. 363-371. S. 126-134. Succow, M. (1992): Im Wettlauf mit der Zeit. Knapp, H. D. (1990a) Für ein gemeinsames Eu- Globus 12/92, S. 300-305. ropa: Nationalparkprogramm der DDR. Succow, M., Jeschke, L. & H. D. Knapp (2001): Umwelt-Report Nr. 1, MNUW Berlin, S. 13- Die Krise als Chance. Naturschutz in neuer 21. Dimension. Findling, Neuenhagen, 256 S. Knapp, H. D. (1990b): Nationalparke in der DDR Succow, M., Jeschke. L. & H. D. Knapp (Hg.) – Bausteine für ein gemeinsames europä- (2012): Naturschutz in Deutschland. Ch. isches Haus. Nationalpark Nr. 67, 2/1990, Links, Berlin, 333 S. S. 4-9. VEG Zingst-Darß (1976): Beweis der erfolgrei- Knapp, H. D. (1995): Gemeinsam für die Ostsee. chen Agrarpolitik der SED in der Entwick- Gesunde Küste – lebendes Meer. WWF Ta- lung der industriemäßigen Produktionsme- gungsbericht 9: 53-81. thoden. Rostock, 55 S. Knapp, H. D. (1996): Belastung und Schutz der Verordnung über die Festsetzung des National- Boddenlandschaften an der deutschen parkes Vorpommersche Boddenlandschaft Ostseeküste. In: Buchwald, K., Knapp, H. vom 12. September 1990: Gesetzesblatt D., Louis, H. W., Schutz der Meere. Ost- der Deutschen Demokratischen Republik, see und Boddenlandschaften, Economica Sonderdruck Nr. 1466, Berlin, 1. Oktober Bonn, S. 76-112. 1990. Knapp, H. D. (2010): Landschaftswandel und Naturschutz. In: Petrick, F. (Hrsg.), Rügens Geschichte von den Anfängen bis zur Ge- genwart, Teil 4: Rügens Preußenzeit 1815- 1945, Putbus, S. 115-129. Knapp, H. D. (2013): Landschaftswandel und Naturschutz. In: Petrick, F. (Hrsg.), Rügens Geschichte von den Anfängen bis zur Ge- genwart in fünf Teilen. Teil 5: Rügens Zeit- geschichte seit 1945, S. 124-136. Müller-Helmbrecht, A. (1998): Endspurt – das Nationalparkprogramm im Wettlauf mit der Zeit. In: Auster, R. & Behrens, H. (Red.), Na- turschutz in den neuen Bundesländern – Ein Rückblick. Forum Wissenschaft Studien Bd. 45, Halbband II, Marburg, S. 597-608.

26 Vorpommersche Boddenlandschaft, Jas­mund und Südost-Rügen – drei Großschutzgebiete an der deutschen Ostseeküste Gernot Haffner, Ingolf Stodian und Cathrin Münster

EINLEITUNG de durch die Gletscher ein Kreidehorst aus dem tieferen Untergrund herausgehoben, der in der Am Ende der Weichseleiszeit vor etwa 12 000 Eiszeit zudem stark deformiert wurde und nun- Jahren zogen sich die Gletscher aus dem Ge- mehr mit den eiszeitlichen Sedimenten kom- biet der heutigen Küste von Mecklenburg-Vor- pliziert gelagert ist. Mit dem Abschmelzen der pommern zurück. Sie hinterließen eine vegeta- Gletscher verblieben in der Landschaft zahlrei- tionsfreie Landschaft, welche sich seither völlig che Toteisblöcke, welche Senken ausgeformt neu entwickeln konnte. Zunächst ragten Insel- haben und teilweise heute als Sölle oder Seen kerne als Reste der Grundmoräne der Gletscher noch erkennbar sind. aus der Landschaft hervor. Diese Inselkerne bestanden überwiegend aus Geschiebemergel Der Meeresspiegel der damaligen Ostsee be- und Geschiebelehm mit eingefalteten Sanden fand sich deutlich unter dem heutigen Niveau. und Kiesen. Im Nordosten der Insel Rügen wur- Mit dem Abschmelzen der Gletscher kam es

Abb. 1: Das Windwatt am Bock mit den Werderinseln und der Insel Bock als Abtrennung der Bodden von der Ostsee. Im Hintergrund liegen die Inseln Hiddensee und Rügen.

27 durch die Gewichtsentlastung zur isostatischen DER NATIONALPARK VORPOMMER- Hebung des skandinavischen Schildes, wel- SCHE BODDENLANDSCHAFT che noch heute anhält. Im Wechselspiel zwi- schen dem Abschmelzen der Eisbarriere zur Der Nationalpark Vorpommersche Bodden- Nordsee, dem Meeresspiegelanstieg durch das landschaft wird durch die von der Ostsee ab- Schmelzwasser aus dem baltischen Eisschild getrennten Boddenketten charakterisiert. Erd- und den isostatischen Hebungen kam es zu ei- geschichtlich sind die Landschaftsformen des nem mehrfachen Wechsel zwischen Süß- und Nationalparks, die von einer innigen Durchdrin- Salzwasserphasen in der heutigen Ostsee. Die gung der Land- und Wasserflächen sowie einer Litorina-Transgression ließ den Meeresspiegel hohen Küstendynamik geprägt sind, noch sehr vor rund 6 000 Jahren letztlich auf ein Niveau jung (Abb. 1). Erst nach der letzten Eiszeit hat von etwa 50 Zentimetern unter dem heutigen sich die vorpommersche Ausgleichsküste ent- Stand ansteigen. Dieses Niveau blieb anschlie- wickelt. Die Boddenketten als Flachwasseröko- ßend über rund 5 000 Jahre nahezu konstant. systeme sind nur noch an einigen Stellen mit Mit dem Meeresspiegelanstieg begann eine der Ostsee verbunden und bilden einzigartige Erosion an den Inselkernen und eine stetige Brackwasserlebensräume. Die Ufer der Bodden Veränderung der Landschaft, die heute unsere werden von Brackwasserröhrichten und Küs- Ausgleichsküste prägt. Nach Abbrüchen von tenüberflutungsmooren geprägt, die Küsten der den Inselkernen wird der Sandanteil der Sedi- Ostsee durch Erosionsbereiche, Sandhaken, mente küstenparallel transportiert und an die Nehrungen, Windwatten, aktive Kliffs, Strände Inselkerne angelagert. Dem Strömungsregime und Dünen. folgend, bilden sich dort zunächst Sandbänke, Von dieser einzigartigen Naturraumausstattung später große Sandplatten, die zunehmend tro- abgeleitet, erhielt der Nationalpark Vorpom- ckenfallen. Treibgut und erste Vegetationsinseln mersche Boddenlandschaft als Alleinstellungs- fungieren als effektive Sedimentfallen. Nach merkmal die Bezeichnung „Bodden – Lagunen wenigen Jahrzehnten sind Inseln entstanden, der Ostsee“. Seine Größe beträgt 78 600 Hek- die durch ein Watt umgeben sind. So entstan- tar. Er ist ein Meeresnationalpark, der zu 83 den beispielsweise die Werderinseln auf dem Prozent Wasserflächen der Ostsee und Bodden Windwatt in Verlängerung der bestehenden umfasst. Die intensive Verzahnung von Land Landfläche des Zingst oder auch die Bessine und Wasser führt zu einer Küstenlinie, die insge- auf Hiddensee (siehe Umschlagkarte vorn). samt 371 Kilometer lang ist, davon erstrecken sich 71 Kilometer entlang der Ostsee und 300 In Abhängigkeit von der Hauptwindrichtung Kilometer entlang der Bodden. Knapp die Hälf- wachsen die Sandhaken in Strömungsrichtung te der Landfläche ist bewaldet, ein Drittel wird stärker. Letztlich kommt es zu einer Verbindung landwirtschaftlich, zumeist als extensives Grün- von benachbarten Inselkernen. Diese Landbrü- land, genutzt. Der restliche Teil umfasst offene cken trennen flache Gewässer wie Bodden und Flächen, wie Strände, Dünen, Heiden, Röhrichte Haffe von der offenen Ostsee. In der Vergan- und Kleingewässer. genheit haben sich durch diese Sedimenttrans- portsysteme die Hochländer zwischen Naturschutzgeschichte und Jasmund und der Granitz sowie zwischen Die Naturschutzgeschichte im Bereich des Na- dem Darß und dem Zingst miteinander verbun- tionalparks Vorpommersche Boddenlandschaft den. Diese Sandflächen bilden heute die touris- reicht mehr als 100 Jahre zurück. Sie begann tisch bedeutsamen Strände der und mit dem Schutz von durch Jagd bedrohten Vo- der Schmalen Heide. An der Ostseeküste zwi- gelarten. Der „Verein zur Begründung von Vo- schen Darß-Zingst sowie den Inseln Hiddensee gelfreistätten an den deutschen Küsten – Jor- und Rügen sind diese Prozesse heute noch gut dsand“ betreute bereits im Jahre 1909/1910 sichtbar. Dort hebt sich in einigen Bereichen in- die Insel Großer Werder im Windwatt. In dieser folge stetiger Sedimentzufuhr neues Land aus Zeit wurden auch erste Schutzbestimmungen dem Ostsee. für weitere naturschutzfachlich wertvolle Berei- che erlassen, wie beispielsweise die Fährinsel In den letzten 1 000 Jahren kam es zu einem (1910) oder den Dornbusch (1937). Aufgrund der weiteren Anstieg des Meeresspiegels bis auf das Vielzahl von Schutzgütern im vorpommerschen heutige Niveau. Damit beschleunigen sich auch Küstenraum existierte in Naturschutzkreisen die Prozesse der Küstendynamik. Das Sediment schon sehr früh die Vorstellung, dort einen Nati- stammt in einigen Bereichen nunmehr nicht nur onalpark zu etablieren (siehe Beitrag von Knapp aus der Erosion von Inselkernen, sondern auch und Sporns in diesem Band). Realität wurde die- aus dem Abtrag früherer Ablagerungen. ser Gedanke aber erst, als sich mit dem gesell-

28 Abb. 2: Dieses „Neuland“ stellt Primärlebensräume dar, welche für einige Tierarten die einzige Lebensgrundlage darstellen. schaftlichen Umbruch in der DDR eine einmali- Bedeutung“ wurde mit einer Behandlungsricht- ge Chance für den Naturschutz bot, besonders linie im nationalen Naturschutzrecht untersetzt. sensible Bereiche in dem so genannten Natio- 1989 wurde diese Fläche zunächst als „Be- nalparkprogramm nachhaltig zu sichern. Mit der deutendes europäisches Vogelschutzgebiet- Ausweisung des Nationalparks Vorpommersche Important Bird Area“ von der Europäischen Boddenlandschaft gingen zahlreiche bestehen- Union (EU) anerkannt. Dem folgte im Jahr 1992 de Naturschutzgebiete (NSG) im Nationalpark die Ausweisung des gesamten Nationalparks auf. Dazu gehörten die bereits vorhandenen Vorpommersche Boddenlandschaft gemäß der Naturschutzgebiete „Westdarß und Darßer Ort“, EU-Vogelschutzrichtlinie als speziell geschütz- „Inseln Oie und Kirr“, „Schmidt-Bülten“, „Bock tes Gebiet (Special Protected Area, SPA). In den und Hohe Düne von Pramort“, „Liebitz“, „Insel Jahren 2005/06 erfolgte eine abschließende Heuwiese und Freesenort“, „Gellen und Gän- Überarbeitung der Kulisse der EU-Vogelschutz­ ­ sewerder“, „Koselower See und Udarser Wiek“ gebiete in Mecklenburg-Vorpommern. Der und „Fährinsel“. Anteilig im Nationalpark auf- Nationalpark ist seitdem Bestandteil des EU- gegangen sind die NSG „Dünenheide“ sowie Vogel­ schutzgebietes­ „Vorpommersche Bod- ­ „Dornbusch, Schwedenhagener Ufer und Alt- denland­ schaft­ und nördlicher “, bessin“. welches eine Größe von etwa 122 300 Hekt- ar aufweist. Im Nationalpark sind zudem drei Eine rechtliche Aufwertung bekamen weite Teile „Gebiete von Gemeinschaftlicher Bedeutung“ des Gebietes schon 1978 durch die Ratifizierung (GGB) gemäß der Fauna-Flora-Habitat-Richt- der RAMSAR Konvention1 durch die DDR, ver- linie der EU (FFH-Gebiete) ausgewiesen, wel- bunden mit der Meldung des Gebietes der Bod- che eine Gesamtfläche von rund 55 000 Hektar dengewässer „Ostufer Zingst, Westküste Rügen, umfassen. Es handelt sich um die FFH-Gebiete Hiddensee“ mit einer Fläche von 25 800 Hektar. „Darß“, „Recknitzästuar und Halbinsel Zingst“ Die Meldung als „Feuchtgebiet internationaler sowie „Westrügensche Boddenlandschaft mit Hiddensee“.­ 1 Übereinkommen über Feuchtgebiete, insbesondere als Hinzu kamen 2009 Anteile von drei marinen Lebensraum für Wasser- und Watvögel von internationa- FFH-Gebieten: „Darßer Schwelle“ „Plantage- ler Bedeutung. netgrund“ und „Erweiterung Libben, Steilküste

29 und Blockgründe Wittow und Arkona“ mit einem fe genannt. Im Zuge der natürlichen Sukzession Flächenanteil im Nationalpark von zirka 12 000 entwickeln sich diese Flächen weiter, so dass Hektar. im Nationalpark heute vollständige Dünenkom- plexe, von der Primärdüne über die Weiß- und Zweck dieser europäischen Schutzgebietskate- Graudüne bis zur Braundüne unterschieden gorie ist die Sicherung und der Erhalt der na- werden können. Während bis zur Graudüne Grä- türlichen Lebensräume sowie der Schutz der ser, Moose und Flechten vorherrschen (Abb. 2), wildlebenden Tiere und Pflanzen. Im Verbund beginnen mit der Braundüne die Strauch- und mit den EU-Vogelschutzgebieten gemäß der Vo- Gebüschstadien einer natürlichen Vegetations- gelschutzrichtlinie der EU ist das kohärente eu- entwicklung der Dünenkomplexe (Abb. 3). Am ropäische Netz NATURA 2000 entstanden. Für Ende dieser Abfolge steht die bewaldete Düne, die Schutzgüter der NATURA 2000 Gebiete (Le- die im Zuge ihrer Entwicklung eine wechselnde bensraumtypen & Arten) besteht ein Verschlech- Zusammensetzung der Bestockung aufweist. terungsverbot. Für im Bestand gefährdete oder Nach den Pionierbaumarten, wie Birke und Kie- sehr seltene (prioritäre) Lebensraumtypen und fer, ist im Nationalpark Vorpommersche Bod- Arten besteht eine ganz besondere Verantwor- denlandschaft die Buche auf den Dünenzügen tung. die Klimaxbaumart. Naturraumausstattung und Küstendynamik Die im Nationalpark Vorpommersche Bodden- landschaft gelegene Ausgleichsküste ist erst nach der letzten Eiszeit zwischen Inselkernen entstanden, nachdem vor rund 6 000 Jahren durch die Litorina-Transgression der Meeres- spiegel im Bereich des heutigen Darß/Zingst deutlich angestiegen war. Bis heute formt das Meer die Küste in einem System aus Abtragung und Anlandung stetig neu. Durch den küsten- parallelen Sedimenttransport lagern sich beim Nachlassen der Transportenergie zunächst Sandbänke ab, die durch einen stetigen Sedi- mentnachschub letztlich aus dem Wasser her- auswachsen und Strandwälle bilden – auch Ref- Abb. 3: Die Dünenheide auf Hiddensee ist eine Braundüne.

Abb. 4: Neulandbildungen am Darßer Ort. Die in der Entwicklung fortgeschrittenen Dünenzüge sind im Hintergrund durch das Streifenmuster im Darßwald erkennbar.

30 Derartige Prozesse finden sich an mehreren Stellen im Nationalpark in den unterschiedli- chen Entwicklungsstadien, z. B. am Weststrand mit dem Darßer Ort, am Nordstrand Zingst mit dem Windwatt am Bock und auf der Insel Hid- densee mit den Neulandbildungen am Neuen Bessin und am Gellen. Besonders eindrucksvoll ist diese Waldentwicklung auf den Strandwall- komplexen im Darßwald zu erkennen (Abb. 4). Durch die stetige Neulandbildung der letzten etwa 2 500 Jahre befindet sich das ehemalige Meeresufer heute über sieben Kilometer vom gegenwärtigen Meeresufer entfernt. Dazwi- schen liegen über 100 Strandwälle. Entspre- chend der Entwicklungszeit sind die südlichen und damit alten Standwälle heute mit Buche bestockt, welche in nördliche Richtung in Kie- fernbestockung übergeht. Im unmittelbaren Küstenbereich sind es noch Gebüschstadien sowie Grau- und Weißdünen, die die Landschaft prägen. Zwischen den Strandwällen wurden und werden Strandseen eingeschlossen, die im Zuge der Sukzession verlanden und im fortge- schrittenen Stadium als Erlenbruch ausgebildet sind. Diese Senken zwischen den Reffen heißen Abb. 5: Der Kiebitz ist eine Brutvogelart der kurzrasigen Riegen. Salzgrasländer im Nationalpark Vorpommersche Bodden- landschaft. Küstenüberflutungsmoore und Vogelschutz Durch die natürliche Küstendynamik wurden bereiche – Bodden genannt – besitzen eine infolge der neuen Verbindungen zwischen den durchschnittliche Wassertiefe von weniger als eiszeitlichen Inselkernen im Verlaufe der letzten zwei Metern. Neben tieferen Rinnen weisen sie Jahrtausende große Meeresbuchten von der ausgedehnte Flachwasserbereiche von nur we- Ostsee abgeschnitten. Diese flachen Meeres­ nigen Zentimetern Wassertiefe auf. Wegen der

Abb. 6: Nonnengänse rasten im Frühjahr auf den Salzgrasländern und schöpfen Kraft für den Weiterzug in ihre Brutgebiete.

31 kettenartigen Anordnung der Bodden und der vögel ziehen im Herbst aus ihren Brutgebieten Ausbildung von Bülten in einigen Engstellen ha- in Skandinavien bzw. der sibirischen Tundra ben sie nur einen begrenzten Wasseraustausch und dem Baltikum über die Küste von Mecklen- mit der freien Ostsee und stellen daher ganz burg-Vorpommern in ihre Winterquartiere und besondere Lebensräume dar. Die Salinität so- im Frühjahr wieder zurück (Abb. 6). Die flachen wie die Kraft und Dynamik der offenen Ostsee Gewässer mit den Sandbänken, die Wattbe- sind nicht mehr gegeben, wodurch die Uferbe- reiche sowie die Salzgrasländer stellen ideale reiche durch charakteristische Schilf-Röhrichte Mauser-, Rast- und zum Teil Nahrungsgebiete gekennzeichnet sind. Die boddenseitigen Über- für die Zugvögel dar. Diese Bedeutung für den flutungsflächen nutzen die Menschen seit Jahr- Vogelschutz war, wie zuvor beschrieben, schon hunderten zur Viehweide. Durch den Tritt der lange vor der Ausweisung des Nationalparks Rinder wurden die Röhrichte vielerorts zu Torf bekannt. Daher ist neben dem Hauptziel des umgewandelt und die regelmäßigen Überflutun- Nationalparks, einer ungestörten Naturentwick- gen haben letztlich so genannte Küstenüberflu- lung, auch der Küstenvogelschutz in der Natio- tungsmoore mit einem einzigartigen Salzgras- nalparkverordnung verankert. Dies umfasst zum land entstehen lassen. Diese durch Beweidung einen den Erhalt der wichtigsten Wasser- und kurzrasige Kulturlandschaft bietet Küstenvö- Watvogelbrutplätze an der deutschen Ostsee- geln, wie Limikolen und Seeschwalben, ideale küste sowie weiterhin die Sicherung ungestörter Brutareale (Abb. 5). Die bedeutendsten Küs- Rast- und Winteraufenthaltsplätze für ziehende tenvogelbrutgebiete des Landes Mecklenburg- Wasservögel, insbesondere für Kraniche. Vorpommern befinden sich im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Es sind die Schutzzonen Inseln Kirr, , Liebitz, Heuwiese so- Im Zuge der Ausweisung wurde der Nationalpark wie die Neulandbildungen am Neuen Bessin auf in zwei Schutzzonen gegliedert (Abb. 7). Drei der Insel Hiddensee. Neben der Bedeutung als Teilbereiche wurden zur Schutzzone I (Kernzone) Brutgebiet wird der Küstenraum als wichtiges erklärt. Dazu zählen 1. der Darßer Ort mit seinen Rast- und Überwinterungsgebiet in der südli- Flachwasserbereichen und weite Waldbereiche chen Ostsee genutzt. Viele Millionen Wasser- des Neudarß, 2. die Flächen der Sundischen Wie-

Abb. 7: Die Schutzzonen des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft.

32 se über das Windwatt mit den Werderinseln und sich aus 2 455 Hektar Landfläche (80 %) und dem Bock bis hin zum Gellen einschließlich der 615 Hektar Ostsee (20 %) zusammen. Die see- Flachwasserbereiche des Geller Hakens und des seitige Grenze des Schutzgebietes befindet sich Vierendehlgrundes. Zu dieser Kernzone zählen etwa 500 Meter vor der Küste bei einer Was- auch weite Flachwasserbereiche der Ostsee vor sertiefe von rund zehn Metern. Die Küstenlinie dem Windwatt und südlich gelegene Boddenbe- des Nationalparks ist etwa zehn Kilometer lang. reiche. Die 3. Kernzone umfasst die Südspitze Von der Landfläche sind 2 168 Hektar mit Wald der Halbinsel Bug und des Neubessin einschließ- bestockt (88 %). Die Ufer- und Kliffbereiche, die lich der Wattflächen der Bessin‘schen Schaar. Moore und Wiesen, aufgelassene Kreidebrüche Insgesamt umfassen die Kernzonen 143 Quad- und Kiesgruben, Fließ- und Stillgewässer sowie ratkilometer (18,2 %) des Nationalparks. Alle an- Verkehrs- und Siedlungsflächen umfassen ins- deren Flächen befinden sich in der Schutzzone II, gesamt 287 Hektar (12 %). der Pflege- und Entwicklungszone. Naturschutzgeschichte Das als „Stubnitz“ bezeichnete große zusam- DER NATIONALPARK JASMUND menhängende Waldgebiet auf der Halbinsel Jasmund mit seinem seeseitigen Kreidekliff hat Der im nordöstlichen Teil der Insel Rügen zwi- eine lange Schutzgebietsgeschichte. Bereits schen der Stadt Sassnitz im Süden und der im 18. Jahrhundert wurde der Kreideabbau an Gemeinde im Norden gelegene Natio- der Steilküste durch ein königliches Dekret ver- nalpark Jasmund ist Deutschlands kleinster der boten. Trotzdem wurde Ende des 19. Jahrhun- inzwischen insgesamt 15 Nationalparke. Für derts an der Mündung des Kieler Baches ein 2015 ist die Ausweisung eines weiteren Natio- Kreidebruch angelegt, der bis 1893 in Betrieb nalparks geplant. Prägend für das Schutzgebiet war. In den 1920er Jahren wurde der Versuch ist zweifelsfrei die imposante Kreidesteilküste der Wiederaufnahme des Kreideabbaus an der an der Ostsee. Dementsprechend lautet auch Steilküste unternommen, welcher 1926 geneh- das Alleinstellungsmerkmal des Nationalparks migt wurde. Dem folgten Proteste der Bevöl- Jasmund: „Kreidefelsen am Meer“ (Abb. 8). kerung, woraufhin die Abbaugenehmigung zu- Die Gesamtfläche von rund 3 070 Hektar setzt rückgenommen und 1929 per Polizeiverfügung

Abb. 8: Kreidekliff am Fahrnitzer Ufer.

33 Abb. 9: Die Bänderung der Feuersteine dokumentiert die Deformation durch die Eiszeit. die Ausweisung des Naturschutzgebietes „Jas- der Einrichtung eines Nationalparks, wozu es mund“ erfolgte. Eine Schutzgebietsverordnung aber nicht kam. Erst im Verlauf der Wende im durch das Reichsnaturschutzgesetz trat 1935 in Jahre 1989 wurde diese Idee wieder aufgegrif- Kraft und wurde 1954 durch das Naturschutz- fen und 1990 realisiert. Am 12. September 1990 gesetz der DDR fortgeführt. Neben dem Krei- verabschiedete die DDR-Regierung das Natio- deabbau beeinflusste auch die Gewinnung von nalparkprogramm, das am 1. Oktober 1990 in Großgeschieben aus dem Flachwasser- und Kraft trat (siehe Beitrag von Knapp und Sporns dem Strandbereich das Gebiet. Dies erfolgte in diesem Band). Im Jahre 2006 erhielt das Krei- verstärkt ab 1889, als für den Bau der Sassnit- dekliff die Anerkennung als „Nationaler Geo- zer Hafenmole ein hoher Bedarf für dieses Bau- top“. Der Nationalpark Jasmund und angren- material bestand. In der Folge verstärkte sich zende naturschutzfachlich wertvolle Bereiche die Erosion der Küste, weil die Steine als natür- wurden zudem als FFH-Gebiet (Fauna-Flora liche Wellenbrecher fehlten. Daher wurde 1906 Habitat-Richtlinie der EU) gemeldet. Als Teil des per Polizeiverordnung das „Steine Zangen“ ver- kohärenten europäischen Netzes NATURA 2000 boten. Auch der Zweite Weltkrieg hatte in der werden im Jasmund besonders die Waldlebens- Stubnitz seine Spuren hinterlassen. Zudem kam räume, Moore, Bäche, Kliffbereiche und die auf- es nach 1945 zu einem großflächigen Holzein- gelassenen Kreidegruben mit überregional be- schlag im Zuge von Reparationsleistungen. Die deutsamen Vorkommen an Orchideen, wie z. B. entstandenen Lücken wurden den Anforderun- dem Frauenschuh (Cypripedium calceolus), ge- gen der damaligen Zeit folgend mit Nadelhöl- schützt. zern bzw. nicht standortgerechten Laubhölzern Am 25. Juni 2011 wurden fünf deutsche Buchen- aufgeforstet. Einzig der Küstenstreifen mit den waldgebiete in Ergänzung der seit 2007 beste- Steilhangwäldern, einige weitere Bereiche um henden Weltnaturerbestätte „Buchenurwälder den Herthasee sowie die Täler des Kieler und der Karpaten“ in die Welterbeliste eingetragen. des Briesnitzer Baches blieben von derarti- Die transnationale Stätte erhielt den neuen Na- gen Eingriffen verschont und wurden im Jahre men „Buchenurwälder der Karpaten und Alte 1958 als Naturwaldparzelle unter Schutz ge- Buchenwälder Deutschlands“ und repräsentiert stellt. Verbunden war dies mit dem Gedanken den europäischen Buchenwald als die natürli-

34 che Vegetation Europas. In jedem der nunmehr 15 Teilgebiete sind die besten noch erhaltenen Ausprägungen des jeweiligen Buchenwaldtyps ausgewiesen worden. Das im Nationalpark Jas- mund rund 493 Hektar große Areal repräsentiert einen artenreichen Buchenwald der planaren Höhenstufe auf Kreide- und Geschiebelehms- tandorten als Waldgrenzstandort zum Meer. Kreide und natürliche Küstendynamik Die Rügener Schreibkreide ist ein biogenes Sediment, welches sich vor etwa 68 Millionen Abb. 10: Vorhang aus Eis und lockerem Kreideschutt. Jahren in der oberen Kreidezeit in einem fla- chen Meer des Küstenschelfs gebildet hat. Es besteht überwiegend aus Skeletten von einzel- ligen Planktonalgen, den so genannten Kalkfla- gellaten (Coccolithophorida) oder deren Resten, die nur wenige Mikrometer groß sind. Die Rü- gener Schreibkreide weist eine charakteristi- sche Bänderung von ursprünglich horizontalen Feuersteinlagen auf. Sie werden zumeist aus unregelmäßig geformten, knolligen, schwarzen Flinten gebildet. Die Rügener Schreibkreide wurde während der drei Eiszeiten in Form eines Horstes angehoben. Dieser Kreidehorst wirkte am Ende der Weichseleiszeit als Strompfeiler für den Gletscher. Er wurde dabei eistektonisch Abb. 11: Im Frühjahr sammelt sich die durch Eissprengung von zwei Seiten aufgepresst, in Schuppen zer- gelockerte Kreide als Schuttkegel vor dem Kliff. brochen, die gegeneinander und teilweise sogar übereinander verstellt wurden. Im Ergebnis die- ser Überformung entstand die charakteristische Falten-Schuppenstruktur des Jasmunder Krei- dehorstes, deren Ausmaß gut an der Lage der einst waagerechten Feuersteinbänder zu erken- nen ist (Abb. 9).

Durch die natürliche Feuchte der Kreide kommt es im Winter bei jedem Frosteinbruch zu Frost- sprengungen, die die Oberfläche der vordersten Kreideschicht lockert. Tauwetter lässt das ge- lockerte Material an den Strand stürzen. Dort bildet sich zunächst ein Schuttkegel aus (Abb. 10 und 11).

Neben der stetigen flächigen Erosion am Kreide- kliff durch Frost, Regen und Wind kann es durch Instabilitäten am Kliff zu größeren Abbrüchen kommen. Besonders betroffen sind die Berei- che, in denen pleistozänes Material zwischen den Kreidekomplexen lagert oder wenn Wasser auf den eiszeitlichen Bruchflächen durch die Kreide sickert. Es entstehen dann Gleitbahnen für die darüber lagernden Sedimente, die dann instabil werden. Solche Kreideabbrüche kön- nen mehrere tausend Kubikmeter umfassen und teilweise bis weit über 100 Meter in die Ostsee Abb. 12: Kliffabbruch am Fahrnitzer Ufer von ca. 35.000 Ku- gleiten (Abb. 12). bikmeter nach einer längeren Regenperiode im August 2011.

35 Abb. 13: Abtransport der „Kreidemilch“ in die Ostsee.

Die Schuttkegel von den Abbrüchen und dem pleistozänen Lockergesteinssteilküsten. Diesem Abplatzen der vordersten Kreideschicht wird gegenüber stehen die Ökosysteme des Festlan- durch die Ostsee in wenigen Monaten aufge- des, dominiert von den Waldökosystemen auf arbeitet und abtransportiert (Abb. 13). Am Ufer Kreide- bzw. Pleistozänstandorten. Darin einge- verbleiben nur die Feuersteine und Geschiebe lagert finden sich Bach- und Moorökosysteme. der pleistozänen Sedimente, die dort als na- türlicher Wellenbrecher fungieren (Abb. 14). Im Die bewaldeten Bereiche der Stubnitz – dem Nationalpark Jasmund ist heute noch eine na- größten zusammenhängenden Buchenwald an hezu uneingeschränkte natürliche Küstendyna- der deutschen Ostseeküste – weisen ein star- mik gegeben. In exponierten Bereichen erodiert kes Relief auf, welche den eistektonischen das Steilufer durchschnittlich etwa 30 Zentime- Stauchungen der Eiszeit entstammen. Daher ter pro Jahr. Diese Erosion ist der Baumeister sind langgestreckte, schmale Senken typisch, der imposanten Klifflandschaft. Seit tausenden die durch Bacherosion weiter ausgeformt wur- Jahren verändert sie stetig die Form der Küste: den. Weiterhin sind infolge der Eiszeit verbreitet Wahrzeichen entstehen und vergehen wieder. Kessel und Mulden ausgebildet. Der Untergrund Ohne diese Erosion würden die Kreidefelsen un- ist neben pleistozänen Einfaltungen und Torfen ter einer Vegetationsdecke verschwinden. maßgeblich durch Schreibkreide geprägt. Von Versickerungen auf Bruchflächen der eistektoni- Naturraumausstattung schen Klüfte abgesehen, staut sich das Nieder- Mit einer Höhe von bis zu 161 Metern über schlagswasser auf der Kreide. Daher sind die NN () erhebt sich weithin sichtbar die abflusslosen Kessel und Mulden zumeist ver- Halbinsel Jasmund als massiver Block aus der moort. Durch Karsterscheinungen kann durch Küstenlandschaft. An der Steilküste treffen zwei die Kreide sickerndes Wasser an anderer Stelle große Ökosystemkomplexe aufeinander. Auf der als Quelle wieder zutage treten. Dort sind dann einen Seite die Flachwasser- und Uferökosys- zumeist Quellmoore ausgeprägt, gelegentlich teme der Ostsee mit ihrem blockreichen Flach- finden sich dort Kalktuffbildungen. Die Moore wasser- und Strandökosystem, dem Kreides- sind trotz ihrer geringen Flächengröße prägende teilküsten-Ökosystem bzw. dem Ökosystem der Elemente der Stubnitz.

36 Abb. 14: Zurück bleibt ein Blockstrand.

Die Niederschlagswerte der Halbinsel Jasmund weisen mit 758 Millimeter pro Jahr im langjäh- rigen Mittel (1993-2010) vergleichsweise sehr hohe Werte auf. Bedingt durch die Nähe zur Ostsee ist das Klima überwiegend kühlfeucht. An exponierten Standorten, wie der Steilküs- te oder den Kreidebrüchen, kann es hingegen kleinflächig trockenwarm sein.

In Abhängigkeit vom Substrat haben sich unter­ schiedliche Vegetationsgemeinschaften aus­ge­ bildet. Auf Kreide herrschen Heckenkirschen- Bu­chen­wälder und auf Geschiebe­mergel Zahn­wurz-Buchen­wälder vor. Auf den ärmeren Abb. 15: Totholz ist Leben! Es bietet holzzersetzenden Or- Sand­stand­orten findet man hingegen Sieben­ ganismen Lebensraum und hinterlässt Nährstoffe für die stern- und Blau­beer-Buchen­wälder. In den Bach­ nächste Waldgeneration. tälern und Moorrandbereichen­ kommt es zur Einmischung von Erlen und Eschen bis hin zu deren Dominanz. Die Wälder der Steilufer sind Ziel eines vollständigen Waldkreislaufes mit der überwiegend als Orchideen-Buchenhangwald, Zerfallsphase ist in einigen Altbeständen des Bu- untergeordnet mit Ahorn, ausgeprägt. Vereinzelt chenwaldes bereits erkennbar (Abb. 15). finden sich Elsbeeren-Buchenbuschwälder und Hartriegel-Wachholdergebüsche. In den Hängen Zonierung um den Königsstuhl gibt es letzte Bestände der Der Nationalpark Jasmund ist in drei Schutzzo- einzigen heimischen Nadelbaumart, der Eibe. nen gegliedert: die Kernzone, die Entwicklungs- Ein besonderes (und auch augenscheinliches) und Pflegezone sowie die Erholungszone. Die Merkmal des Nationalparks ist der hohe und Kernzone oder Schutzzone I des Nationalparks steigende Anteil an Totholz in den Wäldern. Das umfasst die natürlichen und naturnahen Öko-

37 systeme. Dazu zählen die Buchenwälder als laufen langfristiger Pachtverträge abhängig und Klimaxgesellschaft auf dem Standort, die na- kann, wie auch Maßnahmen zur Renaturierung turnahen Moore, Fließ- und Standgewässer, die anthropogen gestörter Moore, noch eine un- Steilufer mit dem Blockstrand sowie die zum bestimmte Zeit in Anspruch nehmen. Die Flä- Nationalpark gehörenden Flachwasserbereiche chenanteile der Schutzzonen I und IIa umfas- der Ostsee. sen etwa 3 049 Hektar und damit 99,3 Prozent des Nationalparks. Die Pflegezone ist mit zirka Die Schutzzone II ist in die Entwicklungszo- 13 Hektar bzw. 0,4 Prozent des Nationalparks ne (IIa) und die Pflegezone (IIb) unterteilt. Die vergleichsweise klein und umfasst die aufge- Entwicklungszone umfasst Bereiche, die nach lassenen ehemaligen Kreidebrüche von Quol- Initialmaßnahmen zeitnah der Kernzone ange- titz und Buddenhagen. Im Kreidebruch Quoltitz gliedert werden sollen. Es handelt sich um Flä- wird die natürliche Sukzession aktiv aufgehal- chen mit gebietsfremden Holzarten, die inselför- ten, um überregional bedeutsame Bestände mit mig in der Kernzone verstreut liegen. Weiterhin bemerkenswerten Orchideenvorkommen zu er- zählen die Moore mit anthropogen gestörtem halten (Abb. 16). Die Kreidebrüche von Quoltitz Wasserhaushalt oder noch in Nutzung befind- und eine artenreiche Pfeifengraswiese in der liche Grünland- oder Ackerflächen dazu. Der Schutzzone IIa sind die zwei einzigen Flächen Nationalpark Jasmund ist ein Entwicklungsna- im Nationalpark Jasmund, die aus Gründen des tionalpark. Spätestens 30 Jahre nach der Aus- Artenschutzes auch langfristig durch Pflege- weisung muss gemäß Nationalparkplanung der maßnahmen in ihrem Zustand erhalten bleiben Waldumbau abgeschlossen sein (Nationalpar- sollen. kamt Vorpommern, 2014). Dabei werden die Na- delholzbestände aufgelichtet, um heimischen Die Siedlungsbereiche im Nationalpark Jasmund Baumarten die Möglichkeit zu schaffen, in diese stellen die Erholungszone (Schutzzone III) dar. Flächen einzuwandern. Im Nationalpark Jas- Es handelt sich um die Bereiche Stubbenkam- mund wird dieser Waldumbau bereits im Jahr mer, Buddenhagen, Werder, Waldhalle sowie 2017 vollzogen sein. die Baumhäuser Schwierenz und Hagen. In der Die Beendigung der Acker- und Wiesennut- Summe handelt es sich um eine Flächengröße zung ist jedoch vom Eigentum bzw. dem Aus- von acht Hektar (0,3 % des Schutzgebietes).

Abb. 16: Orchideenbestände mit überregionaler Bedeutung finden sich in der Pflegezone des Nationalparks, wie beispiels- weise das Helm-Knabenkraut (Orchis militaris).

38 Abb. 17: Magerrasen im Naturschutzgebiet der Zicker Berge mit Blick auf den Greifswalder Bodden.

DAS BIOSPHÄRENRESERVAT direkten Nebeneinander von Steil- und Flachküs- SÜDOST-RÜGEN ten, Sand- und Blockstränden, Nehrungen und tiefen Buchten sowie bewaldeten Höhenzügen, Das Biosphärenreservat Südost-Rügen befindet Niedermooren, Söllen, Seen und trockenen Ma- sich im Südosten der Insel Rügen. Es umfasst gerrasen. Großsteingräber der Jungsteinzeit, die Halbinsel Mönchgut und das Waldgebiet bronzezeitliche Hügelgräber, jahrhundertealte der Granitz samt eines schmalen vorgelagerten Kirchen und Profanbauten, die Bäderarchitektur Streifens der Ostsee, die Stadt Putbus und de- sowie traditionelle Landschaftsnutzungen und ren Umgebung sowie den nordöstlichen Teil des ‑strukturen bilden kulturgeschichtliche Beson- Greifswalder Boddens mit der Insel Vilm und den derheiten. Gerade die Überlagerung von his- umliegenden Gewässern (siehe Umschlagkarte torischen Elementen der Kulturlandschaft und vorn). Das Schutzgebiet ist insgesamt 22 800 naturschutzfachlich wertvollen Flächen ist ein Hektar groß, davon sind 12 300 Hektar Wasser- wichtiges Charakteristikum von Biosphärenre- fläche, überwiegend von Bodden und Ostsee. servaten (Abb. 17). Annähernd 4 100 Hektar unterliegen zusätzlich einem Schutzstatus als Naturschutzgebiet. Da- Geschichte und Entwicklung mit unterschreitet das Biosphärenreservat Süd- Das Biosphärenreservat Südost-Rügen existiert ost-Rügen derzeit die Vorgabe des Nationalko- seit dem 1. Oktober 1990. Es ist somit wie die mitees für das UNESCO Programm „Der Mensch Küstennationalparks in Mecklenburg-Vorpom- und die Biosphäre“, das von einer Mindestgröße mern ein Kind der gesellschaftlichen Wende in von 30 000 Hektar ausgeht (Deutsches National- der DDR und Teil des damalig in Kraft getrete- komitee, 2007). Die Landschaft ist dennoch ab- nen Nationalparkprogramms. wechslungsreicher als jene in vielen größeren Ge- bieten. Infolge der Gletschervorstöße sowie des Die Situation der DDR-Ära ist nur bedingt mit dauernden Einflusses von Wind und Wellen ent- dem heutigen Zustand vergleichbar, weil insbe- standen im heutigen Biosphärenreservat vielfäl- sondere die Lage an der nördlichen Staatsgren- tigste Küsten- und Landschaftsformen mit einem ze eine Sondersituation bedingte.

39 Wassersport an der Außenküste war zu DDR- touristischen Aufschwung und der touristische Zeiten undenkbar, und selbst in den inneren Schwerpunkt Südost-Rügens verlagerte sich in Küstengewässern, also beispielsweise auf dem die Küsten-Gemeinden, namentlich , Sel- Greifswalder Bodden, galten strenge Regularien, lin, , Göhren und Thiessow. Die bis da- die eine Freizeitnutzung der Gewässer erheblich hin dominierenden Wirtschaftszweige Fischerei, einschränkten. Die große Bedeutung vieler Ge- Lotsenwesen und Landwirtschaft traten zuneh- wässer Südost-Rügens für die Vogelwelt, die mend in den Hintergrund (Abb. 18). Mit dem Fall eines der Ausschlag gebenden Kriterien für die der Mauer brachen sowohl die staatlich orga- spätere Ausweisung als Biosphärenreservat war, nisierte Tourismuswirtschaft wie auch der kol- rührt nicht zuletzt auch aus der daraus resultie- lektivierte Agrarsektor zusammen. Während die renden Störungsarmut. Gleichwohl war Südost- volkseigenen landwirtschaftlichen Großbetriebe Rügen auch schon in der DDR ein Schwerpunkt unter neuer privater Eigentümerschaft weitge- des Tourismus, der sich jedoch zu Lande und hend fortgeführt wurden, war im Tourismus ein insbesondere an den Ostseestränden konzent- grundlegender struktureller Neuaufbau nötig. rierte. Die touristische Tradition der Region reicht Dieser gelang binnen weniger Jahre, wobei er- dabei stolze 200 Jahre und damit bis ins frühe hebliche Um- und Zubauten an der Infrastruk- 19. Jahrhundert zurück, als rund um Putbus tur vorgenommen wurden. Der Fremdenverkehr und Lauterbach durch gezielte Bau- und Land- ist heute im Biosphärenreservat Südost-Rügen schaftsgestaltungsmaßnahmen erste Grundla- sowohl in Bezug auf die Anzahl der damit ver- gen für einen gut organisierten Badetourismus bundenen Arbeitsplätze als auch die daraus geschaffen wurden. In diesem Zusammenhang resultierende Wertschöpfung der mit Abstand entstanden zum Beispiel die Schmalspur-Eisen- wichtigste Wirtschaftszweig. Neben dem Strand bahn „Rasender Roland“ und das Jagdschloss sind die landschaftliche Schönheit des Gebie- Granitz, die bis in die heutige Zeit eine heraus- tes und seine kulturellen Sehenswürdigkeiten ragende Bedeutung für den Tourismus im Bio- besondere Zugpferde für Touristen, die durch sphärenreservat besitzen. Im 20. Jahrhundert die jahrzehntelange Grenzlage besser als in an- nahm die ganze Ostseeküste einen gewaltigen deren Gebieten bewahrt werden konnten. Heute

Abb. 18: Das Biosphärenreservat auf einer geführten Rangerwanderung erleben.

40 ist das Biosphärenreservat Südost-Rügen wie auch die beiden Nationalparke Vorpommersche Boddenlandschaft und Jasmund Teil des so ge- nannten Grünen Bandes in Europa, welches das natur- und kulturhistorische Erbe des ehemali- gen Eisernen Vorhanges bewahrt.

Die Erhaltung der vielfältigen Kultur- und Na­ tur­landschaft stellt insbesondere vor dem Hin­ ter­grund einer intensiven touristischen Land­ schafts­nutzung eine besondere Herausforderung für das Biosphärenreservat­ mit den darin liegen- den Gemeinden dar (Abb. 19).

Die vergangenen zwei Jahrzehnte zeigten, dass dies nicht in allen Fällen möglich war. So sind Änderungen in der Vogelwelt offensichtlich und auch die Verbreitung der natürlichen Lebens- gemeinschaften der Strände ist erheblich ge- schrumpft. Darin liegen für die Zukunft durch- aus Herausforderungen, wobei die Perspektive keineswegs schlecht ist. Die besondere Natur als rares, intensiv nachgefragtes Gut hat ei- nen beträchtlichen Wert als touristisches Qua- litätsmerkmal. Die hohe touristische Nachfrage schafft Gestaltungsräume zur Etablierung nach- haltiger Angebote im Tourismusbereich. Die zunehmend verbesserte Kooperation zwischen Gemeinden und der Biosphärenreservatsver- waltung sowie die Wiederkehr von auch touris- tisch hochattraktiven Arten wie der Kegelrobbe in den Greifswalder Bodden bereiten den Weg für gemeinsame Zielbestimmungen und Maß- Abb. 19: Die kleine Küstenfischerei im Biosphärenreservat, nahmen, die in der Vergangenheit nicht immer Fischer Roberto Brandt nach erfolgreichem Fang am Strand realisierbar waren. von Baabe. Naturraum und Landschaftsgenese, Pflanzen und Tiere cher wärmeliebender Tierarten. Die Zauneidech- Die Naturraumausstattung des Biosphärenre- se (Lacerta agilis) und die Feld-Grille (Gryllus servates Südost-Rügen ist ausgesprochen viel- campestris) gehören dazu. Die Flora beherbergt fältig und bietet auch für Laien zahlreiche auf- beispielsweise die Echte Schlüsselblume (Pri- fällige und interessante Arten und Lebensräume mula veris), Hundszunge (Cynoglossum offici- (Abb. 20). nale) und Hain-Wachtelweizen (Melampyrum nemorosum). Das fast 1 000 Hektar große Laub- Die geomorphologischen Grundlagen der heu- waldgebiet der Granitz ist demgegenüber reich tigen Landschaft wurden erst vor etwa 10 000 an Altbäumen und Totholz und birgt die daran Jahren gegen Ende der Weichseleiszeit sowie in angepasste artenreiche Insektenfauna sowie der folgenden Phase der Klimaerwärmung ge- bedeutende Fledermausvorkommen. Es han- legt. Eiszeitliche Gletschervorstöße mit Ablage- delt sich um einen historisch alten Wald, d. h. er rungen von Moränen und Toteisblöcken sowie wurde vom Menschen nie vollständig gerodet, die anschließenden küstendynamischen Pro- was zahlreichen Arten das Überleben ermög- zesse der frisch entstandenen Ostsee formten licht hat. Der von Buchen und Trauben-Eichen das auffällige Geländerelief und die zerklüftete dominierte Bestand gehört – zusammen mit den Küstenlinie. Die langgestreckten Hügelketten weiteren ostseenahen Wäldern des Biosphä- des Mönchguts, aufgetürmt aus feinkörnigen renreservates – zu den artenreichsten Waldge- Sanden und kalkhaltigem Geschiebemergel, sellschaften des Norddeutschen Tieflandes. Im bergen heute eine buntblütige und artenreiche Nordosten fällt das Hügelland der Granitz mit Magerrasenvegetation und Vorkommen zahlrei- einem eindrucksvollen Mergel-Kliff abrupt zur

41 Ostsee hin ab. Solche Steilküsten machen fast die Hälfte der Küstenlänge des Biosphärenre- servats aus, am Nordperd und dem Zickerschen Höft erreichen sie bis zu 45 Metern Höhe. Es sind Naturstandorte vieler Pflanzen, die heu- te im Grünland ihren Verbreitungsschwerpunkt haben. Arten wie die Uferschwalbe (Riparia ri- paria) oder Wildbienen bauen in den lehmigen Kliffs ihre Brutröhren. Das von den Steilufern stetig abgetragene Bodenmaterial wird mit der Meeresströmung abtransportiert und sedimen- tiert später stromabwärts teilweise an Nehrun- gen und Flachküsten. Unterhalb der Steilküsten bleiben steinige Blockstrände mit Findlingen, reichen Fossilienvorkommen und typischen Pflanzen wie dem Meerkohl (Crambe maritima) zurück (Abb. 21).

Die Flachküsten werden demgegenüber von Salzgrasländern und Röhrichten auf Sand- und Moorstandorten eingenommen, deren Ausdeh- nung während der DDR-Zeit allerdings durch Eindeichungen stark gemindert wurde. Die Flachwasserzonen des Boddens sind Konzen- trationsbereiche für gründelnde und tauchen- de Wasservögel, beispielsweise die Bergente (Aythya marila) und verschiedene Schwäne. Die Seegras- und Tangwälder der Flachwas- Abb. 20: Uralte Baumveteranen - die mehrere hundert Jahre serzonen des Greifswalder Boddens bilden das alte Schirmeiche im Naturschutzgebiet Goor. wichtigste Heringslaichgebiet der westlichen

Abb. 21: Blockstrand am Reddevitzer Hövt.

42 Abb. 22: Die Jüngsten für die Biosphärenreservatsidee begeistern – im grünen Klassenzimmer den Strand mit einem Ranger des Biosphärenreservates erkunden.

Ostsee. Die wechselnden Substrate des Boden- stetiger Kooperation von Gemeinden, Flächen- sedimentes von Schlamm über Sand bis hin zu nutzern und regionaler Wirtschaft mit der Ver- Blockgründen bergen darüber hinaus eine be- waltung des Biosphärenreservates (Abb. 22). sonders üppige und artenreiche Benthosfauna. Gerade die Unterwasserlebensräume sind aber auch ein Beispiel dafür, dass Schutzgebiete wie LITERATUR das Biosphärenreservat Südost-Rügen aufgrund ihrer begrenzten Größe beim Schutz von Arten Deutsches Nationalkomitee für das UNESCO und Lebensräumen nur teilweise erfolgreich Programm „Der Mensch und die Biosphä- sein können, denn großräumig wirkende Ge- re“ - MAB (2007): Kriterien für die Anerken- fährdungsursachen wie die starke überregionale nung und Überprüfung von Biosphärenre- Eutrophierung von Bodden und Ostsee können servaten der UNESCO in Deutschland. im Gebiet selbst nur wenig beeinflusst werden. Bonn. Die Entwicklung ausgeprägter Algenmatten an Landesamt für Forsten und Großschutzgebiete Stränden und geringe Sichttiefen infolge der Eu- Mecklenburg-Vorpommern (2002): Natio- trophierung in den Bodden sind gleichermaßen nalparkplan Nationalpark Vorpommersche ein Problem für den Tourismus und den Natur- Boddenlandschaft. Band 1 Leitbild und schutz. Umso wichtiger ist die Vorbildfunkti- Ziele; Band 2 Bestandsanalyse. on, die das Gebiet bei der Verwirklichung einer Nationalparkamt Vorpommern (2014): National- nachhaltigen, emissionsarmen Landschaftsnut- parkplan Jasmund. Band 1 Leitbild und zung einnehmen kann – eine Herausforderung, Ziele. die im Biosphärenreservat Südost-Rügen offen- siv angegangen wird. Die Erfahrungen aus dem Biosphärenreservat Südost-Rügen zeigen, dass eine solche nachhaltige Nutzung der komplexen Landschaft nur gemeinsam zu erreichen ist, in

43 Bilanz nach 25 Jahren aus der Sicht von EUROPARC Deutschland Guido Puhlmann und Karl Friedrich Sinner

VORBETRACHTUNGEN siert werden. Diese erfreuliche Entwicklung hält bis heute an. Im Oktober 2015 jährt sich das Na- Bis 1990 existierten in der damaligen DDR ne- tionalparkprogramm zum 25. Mal. Mit dem Be- ben einigen größeren Naturschutzgebieten nur schluss von 1990 wurden zwei Naturparks neu- zwei echte Großschutzgebiete: die UNESCO- er Prägung, fünf UNESCO-Biosphärenreservate Biosphärenreservate Vessertal (seit 1979) und sowie sechs Nationalparks gesichert. Dieses Steckby-Lödderitzer Forst (seit 1979 / seit 1988 so genannte „Tafelsilber“ der Deutschen Ein- als Mittelelbe). heit bildet heute gemeinsam mit vielen anderen Großschutzgebieten das Rückgrat zum Erhalt Darüber hinausgehende Vorschläge des Insti- der biologischen Vielfalt in Deutschland. Seit tuts für Landschaftsforschung und Naturschutz 2005 wurden mittlerweile über 130 Großschutz- Halle sowie von Ehrenamtlichen konnten erst gebiete in Deutschland unter einer Marke als unter den veränderten politischen Bedingun- „Nationale Naturlandschaften“ vereint. Träger gen in den letzten Tagen der DDR mit dem so ist EUROPARC Deutschland, der Dachverband genannten Nationalparkprogramm bzw. in den der Naturparks, Nationalparks und Biosphä- folgenden Jahren durch die Bundesländer reali- renreservate. Stand lange Zeit die Erweiterung

Abb. 1: Die Kreideküste im Nationalpark Jasmund ist eines der deutschen Wahrzeichen.

44 des Netzes der Nationalen Naturlandschaften Naturparks im Mittelpunkt der Aktivitäten, so liegt der Ar- beitsschwerpunkt inzwischen vor allem bei der Qualitätserreichung bzw. deren Sicherung.

Der besondere Wert der Nationalen Naturland- schaften für Natur und Gesellschaft besteht vor allem in dem an Langfristigkeit, Nachhaltigkeit und Partizipation unterschiedlichster Perso- nen- und Nutzergruppen orientierten Manage- ment dieser Gebiete. Es wird von EUROPARC Deutschland durch regelmäßige Evaluierungen quantitativ und qualitativ begleitet. Nationalparks Wegen der besonders wertvollen Naturausstat- tung setzte das Nationalparkprogramm seiner- zeit einen Schwerpunkt im Gebiet des heutigen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern. Mit dem Naturpark (und heutigem UNESCO-Bio- sphärenreservat) Schaalsee, den Nationalparks Müritz, Jasmund und Vorpommersche Bodden- landschaft sowie dem UNESCO-Biosphären- UNESCO-Biosphärenreservate reservat Südost-Rügen wurden hier Gebiete rechtlich gesichert, deren Bedeutung weit über Deutschland hinaus reicht (Abb. 1).

Die drei letztgenannten Gebiete an der Ostsee- küste sollen im Folgenden in ihrer Entwicklung Abb. 2: Übersicht und Farbsymbole der aktuellen Nationalen bis heute, ergänzt durch einen Ausblick, aus- Naturlandschaften in Mecklenburg-Vorpommern. führlicher betrachtet werden. Angesicht der da- mals zu erwartenden Gefahr einer ungehemm- ten touristischen Expansion auf Kosten der viele Bereiche des Schutzgebietes ausreichend Natur war die kurzfristige Sicherung der Gebiete gewesen wäre, steht sehr in Frage. Die insge- zwingend notwendig. Sie war, wie der Vergleich samt erfolgreiche Entwicklung des Nationalparks mit anderen Küstenlandschaften zeigt, auch Vorpommersche Boddenlandschaft bestätigt die schutzgutbezogen sowie gesamtgesellschaft- Richtigkeit der damaligen Entscheidung. In den lich erfolgreich. zurückliegenden Jahren hat das Land Meck- lenburg-Vorpommern ergänzend zu den Groß- 1990 musste schnell und unter erheblichem Zeit- schutzgebieten aus dem Nationalparkprogramm druck gehandelt werden. Das damalige Umwelt- weitere Biosphärenreservate und Naturparke rahmengesetz der DDR ließ es zu, dass manche durch Gesetze oder Landesverordnungen aus- aus heutiger Sicht unumgänglich notwendige gewiesen. Somit präsentiert das Land gegenwär- Interessensabwägung vor 25 Jahren nur im be- tig 13 Nationale Naturlandschaften (Abb. 2). grenzten Rahmen vorgenommen wurde. Den- noch war die Sicherung als Nationalpark für Jasmund und als Biosphärenreservat für Südost- ZWEI NATIONALPARKS Rügen rechtskonform und naturschutzfachlich bis heute unstrittig. Die Vorpommersche Bod- Betrachtet man die Situation der beiden deut- denlandschaft ebenfalls als Nationalpark und schen Ostsee-Nationalparks 25 Jahre nach ihrer nicht als Biosphärenreservat auszuweisen, wur- Gründung, so ist sehr viel Positives zu entde- de seinerzeit aus guten Gründen so entschieden. cken, aber es gibt auch Schattenseiten und noch Zwar führen die durch den Nationalparkstatus nicht eingelöste Erwartungen und Hoffnungen. eingeschränkten Möglichkeiten im Arten- und Beide Nationalparks sind durch das Land Meck- Biotopmanagement bis heute zu teils kontrover- lenburg-Vorpommern gesetzlich geschützt und sen Diskussionen und Zielkonflikten innerhalb klar abgegrenzt. Sie umfassen höchst wertvolle des Naturschutzes. Ob das rechtliche Instrument Naturlandschaften, die sich – aus der Nutzung des Biosphärenreservates angesichts des bis entlassen – in den letzten 25 Jahren Zug um Zug heute anhaltenden außerordentlichen touristi- zu einer neuen Wildnis entwickelt haben. Dieser schen und baulichen Entwicklungsdruckes auf Weg ist noch längst nicht zu Ende.

45 Nationalpark Jasmund Kreideklippen abbrechen und in die Ostsee Ein Charakteristikum des Nationalparks Jas- stürzen (Abb. 4). Dann werden regelmäßig For- mund sind seine einzigartigen Buchenwälder. derungen nach konservierendem Schutz der Sie verändern sich durch den Prozess der Mo- berühmtesten Klippenformationen durch künst- saikzerlegung sehr langsam und gewinnen erst liche Sicherung laut, was jedoch dem Grundprin- nach vielen Jahrzehnten die volle Altersdifferen- zip eines Nationalparks, dem Laufenlassen von zierung und Strukturvielfalt natürlicher Wälder natürlichen Prozessen, absolut konträr gegen- zurück. Den notwendigen Waldumbau durch übersteht. Das Leben und Vergehen der Bäume Entnahme nicht standortheimischer Fichten, im weltberühmten Buchenwald läuft unter dem Douglasien und Lärchen ging die Nationalpark- Nationalparkschutz ungestört und unbeeinflusst verwaltung zunächst nur zögerlich an und nahm ab. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für damit menschliche Aktivitäten in der Fläche die dynamischen Prozesse der Erosion und der des Nationalparks noch für einen erheblichen Neugestaltung der Küstenlinie im Nationalpark. Zeitraum in Kauf. In den von Buchen dominier- Bis heute in der Diskussion ist der Umgang ten Waldflächen hat sich die Nationalparkver- mit den Beständen an verbeißenden Schalen- waltung jedoch gänzlich zurück gehalten und wildarten. Nach einer Zeitspanne extrem hoher überließ die alleinige Steuerung der Natur. Die- Wildbestände ist eine erhebliche, aber noch ser konsequente Schutz hat zur Anerkennung nicht ausreichende Reduktion erfolgt. Um einen wichtiger Kernflächen des Nationalparks als Teil tolerierbaren Wildbestand zu definieren, wurde einer transnationalen Stätte des UNESCO-Welt- ein umfangreiches Monitoring zur Wildtierdichte naturerbes geführt (Abb. 3), ein bei der Grün- und zur Wildwirkung im Nationalpark und seinen dung des Nationalparks vor 25 Jahren nicht zu angrenzenden Flächen durchgeführt. Neben der erwartendes Ergebnis. Der Welterbestatus do- Sicherung des Schutzzieles einer natürlichen kumentiert den herausragenden Wert der Bu- Waldentwicklung, zu der zweifelsfrei auch das chenwälder des Nationalparks Jasmund in ganz Wild gehört, sollen die Besucher des National- besonderer Weise. parks das Wild in seiner natürlichen Umgebung auch beobachten können (Abb. 5). Das Wildtier- Das Prinzip des ungestörten Wirkens der Natur management des Nationalparks ist bisher man- führt allerdings immer wieder zu Grundsatzdis- gels großer Prädatoren eine menschliche Hilfs- kussionen, so beispielsweise wenn Teile der konstruktion, die die natürlichen Einflussgrößen

Abb. 3: Die ungenutzten Hangbuchenwälder des Nationalparks Jasmund wurden als Weltnaturerbe der UNESCO anerkannt.

46 Abb. 4: Die dynamischen Kräfte des Meeres verursachen an der Steilküste hin und wieder auch größere Abbrüche der Kreidefelsen.

onen in der Region aufzubauen (Abb. 6). Umso bedauerlicher ist es, dass sich die Abstimmung der Aktivitäten für eine gedeihliche Kooperati- on mit dem Nationalpark-Zentrum Königstuhl bisweilen schwierig gestaltet. Auch die für den Erhalt und die Entwicklung des Nationalparks sowie für seine wirtschaftliche und touristische Inwertsetzung unerlässliche, aber zuweilen unpopuläre, konsequente Umsetzung der Na- tionalparkverordnung und des Nationalpark- planes steigern nicht immer den Beliebtheits- grad der Parkverwaltung. Mitunter werden die erwiesenen, unstrittig positiven Wirkungen des Nationalparks auf Wirtschaft, Beschäftigung und Wertschöpfung in der Region weniger der Verwaltung sondern eher dem Infozentrum zu- Abb. 5: Die Regulierung der Schalenwildbestände, hier ein gerechnet. Beide Seiten sollten das 25-jährige Damhirsch, bleibt eine dauerhafte Aufgabe. Jubiläum nutzen, ihre Aktivitäten auf eine solide, gut abgestimmte und zukunftsträchtige Zusam- menarbeit auszurichten. weder ersetzen noch hinreichend simulieren kann. Auch in Zukunft wird diese wichtige Auf- Unabhängig davon wird den Besuchern des Na- gabe der Nationalparkverwaltung nur in enger tionalparks ein sehr gut strukturiertes Bildungs- Kooperation mit der Jägerschaft der Insel Rü- angebot offeriert, das in hohem Maße ein natio- gen zu lösen sein. nalparkspezifisches Naturerlebnis sichert.

Dem Nationalpark ist es in den 25 Jahren seiner Sehr positiv hat sich die Zusammenarbeit mit dem Existenz gelungen, attraktive Erlebnisangebote Verein der Freunde und Förderer des National­ und ein umfangreiches Netzwerk an Kooperati- parks Jasmund e. V. entwickelt. Neben der fach-

47 lichen Begleitung der Verwaltung bei vielen Fra- sante Einblicke in die Arbeit der Schutzgebiets- gen der Nationalparkentwicklung unterstützt der verwaltungen. Sie lernen Neues kennen, erhal- Förderverein die Umweltbildungsarbeit und den ten Anerkennung und erleben gute Teamarbeit technischen Dienst des Nationalparks im Rah- mit Gleichgesinnten. Gleichzeitig profitieren die men seiner Möglichkeiten auch finanziell. Als Be- Schutzgebiete von den vielen helfenden Hän- treiber des Kreidemuseums leistet er einen wich- den und der Fürsprecher- und Multiplikatoren- tigen Beitrag zur Information der Besucher rund funktion, die die zufriedenen Freiwilligen äu- um das Thema Kreide. Jährlich finden zahlreiche ßerst überzeugend erfüllen. gemeinsame Projekte und Veranstaltungen statt Was bleibt für den Nationalpark Jasmund an (siehe Beitrag von Knapp und Sporns in diesem Wünschen offen? Manches ist noch unvollen- Band). det, weil der Nationalpark an einer chronischen Gemeinsam mit dem Biosphärenreservat Süd- finanziellen und personellen Unterausstattung ost-Rügen wird derzeit an einem Junior-Ran- leidet. Ein augenfälliges Beispiel dafür ist die seit ger-Entdeckerheft gearbeitet. Das Heft dient vielen Jahren unbefriedigende Arbeitsstättensi- Familien und deren Kindern ab Mitte 2015 als tuation der Parkverwaltung. Obwohl zweifelsfrei innovatives Rätselheft und Reiseführer und lädt ein Imageträger der Region, erfüllten sich nicht zum eigenständigen Erkunden der beiden Na- alle der großen Erwartungen an den National- turlandschaften ein. park als regionaler Wirtschafts- und Jobmotor. Das Land Mecklenburg-Vorpommern, die Natio- Im bundesweiten Freiwilligenprogramm „Ehren- nalparkverwaltung, die Kooperationspartner vor sache Natur – Freiwillige in Parks“ bieten die Ort und die Partner in der Region sind nach wie Nationalparks Vorpommersche Boddenland- vor in hohem Maße gefordert, die bisherige Er- schaft und Jasmund sowie das Biosphärenre- folgsgeschichte des Nationalparks Jasmund zu servat Südost-Rügen attraktive Einsatzstellen sichern, fortzusetzen und dabei weiter erfolgs- für engagierte Bürger an: Unter anderem als orientiert zu arbeiten. Kern des Ganzen und Ga- „Kranich-Guide“, als „Forscher“ im Monito- rant für das Gelingen aber bleibt die einzigartig ring, bei der Kontrolle von Wanderwegen oder schöne und zunehmend wilde Landschaft der bei der Übersetzung von Faltblättern in andere Kreideküste mit ihren einmaligen Buchenwäl- Sprachen bekommen die Freiwilligen interes- dern.

Abb. 6: Das Nationalpark-Zentrum Königsstuhl zieht jedes Jahr zahlreiche Besucher an.

48 Abb. 7: Durch die Küstendynamik am Darßer Ort formt sich die Landschaft stetig neu. In diesem aktiven System eingebettet liegt der Nothafen am Darßer Ort.

Nationalpark dern des Parkgebietes deutlich mehr Raum zu Vorpommersche Boddenlandschaft geben und die menschlichen Steuerungsver- Der Nationalpark Vorpommersche Boddenland- suche zu Gunsten von mehr Wildnis zurück zu schaft hat eine ganz andere, sehr dynamische fahren. Dies kann man getrost der Natur selbst Küstenlandschaft zu schützen. Zentrale Aufgaben überlassen. Sie schafft Schritt für Schritt die in den Anfangsjahren waren der Abbau und die Entwicklung zu einer dynamischen Waldwildnis, Beseitigung diverser Altlasten aus der Zeit vor der die nicht der pflegenden und steuernden Hand Nationalparkgründung (siehe Beitrag von Knapp der Menschen bedarf (Abb. 9). und Sporns in diesem Band). Daran hat die Natio- nalparkverwaltung sehr erfolgreich gearbeitet. Die Über lange Jahre hat der Nationalpark auch die Situation um den Darßer Nothafen stellt allerdings, schwere Hypothek eines zutiefst traditionellen trotz aller Bemühungen der Verantwortlichen, ein Verständnisses im Umgang mit dem Rotwild nicht enden wollendes Trauerspiel dar (Abb. 7). getragen. Es fiel nicht leicht, die altgewohnten Sie blieb bisher eine permanente Wunde im na- Wege eines überkommenen Hegeideals und der türlichen Geschehen von Landabtrag und Neu- damit verbundenen spezifischen Traditionen zu- landbildung, dem wertstellenden Merkmal dieses erst in Frage zu stellen und jetzt daran zu ge- Nationalparks. Denn nirgendwo sonst ist dieser hen, einen nationalparkgerechten Umgang mit natürliche Prozess so konkret erlebbar (Abb. 8a dieser beeindruckenden Wildtierart zu finden. und b). Das 25-jährige Jubiläum sollte nun Anlass Auch tradiertes, klassisches forstliches Denken genug sein, eine der seit längerem vorliegenden stand über längere Zeit dem freien Leben der Alternativen in die Tat umzusetzen und diese Wun- Wälder und ihrer dynamischen Entwicklung im de im Naturgeschehen des Nationalparks endlich Wege, was sich in einer nur unzureichend aus- zu schließen. Die gegenwärtigen Anstrengungen gewiesenen Prozessschutzzone gezeigt hat. auf erneute Initiative des Ministers für Landwirt- Heute ist das Primat der ungestörten Waldent- schaft, Umwelt und Verbraucherschutz geben be- wicklung unstrittiges Ziel der Parkverwaltung. rechtigten Anlass zur Hoffnung. Natürliche Ereignisse werden als zentrale Steu- ergrößen einer wilden Waldnatur verstanden In den letzten Jahren erfolgte die dringend not- und nicht als eine Störung der Waldentwicklung wendige Weichenstellung, der Natur in den Wäl- nach menschlichen Zielvorstellungen korrigiert.

49 Abb 8a: Am Nordstrand des Zingst wird durch Erosion das Land genommen….

Abb. 8b: …und an anderer Stelle wieder angelagert und teilweise zu Dünen aufgetürmt.

50 Abb. 9: Auf den alten Reffen im Darßwald hat sich die Buche als Klimaxbaumart bereits durchgesetzt.

Wildnis wird in den Wäldern des Parks und an der höchst lebendigen Küste von Jahr zu Jahr erlebbarer.

Deutlich anders sieht es mit der Nutzungsfrei- heit im marinen Teil des Nationalparks aus (sie- he Beitrag von Herrmann et al. in diesem Band). Dort sind noch große Anstrengungen erforder- lich, um zumindest 50 Prozent der Fläche frei von menschlicher Nutzungsaktivität zu bekom- men (Abb. 10). Der Nationalpark benötigt dabei dringend die politische Unterstützung, um die freie, ungestörte Entwicklung der Natur zuneh- mend auch im Ostsee- und Boddenbereich zu ermöglichen. Bis heute stehen dem vor allem Abb. 10: Die Boddengewässer unterliegen in weiten Berei- Fischerei und Angelsport entgegen. chen einer intensiven touristischen Nutzung.

Auch in der Vorpommerschen Boddenland- schaft ist ein intensives und enges Netzwerk an das besonders gut zur Jugendarbeit passt, ist Mitarbeit und Partnerschaften entstanden. Das das „Geocaching“. Eine Gruppe mit dem Na- gilt insbesondere auch für die Kooperation in men „Seeadler“ trifft sich regelmäßig, um den den bundesweiten Projekten z. B. der Partner Nationalpark kennenzulernen und überprüft, ob der Nationalen Naturlandschaften. die Geocaches nationalparkgerecht versteckt wurden und den Lebensraum von Tieren nicht Der Nationalpark Vorpommersche Boddenland- stören. schaft engagiert sich gleich mit mehreren Grup- pen im Junior-Ranger-Programm und begeistert Hervorzuheben ist die engagierte Arbeit des immer wieder durch innovative Bildungsansätze Fördervereins Nationalpark Vorpommersche in der Arbeit (Abb. 11). Ein modernes Thema, Boddenlandschaft, die durch das jährliche Dar-

51 Abb. 11: Regionales Treffen der Junior-Ranger: Spannendes Totholz.

ßer Naturfilmfestival sowohl regional erfolgreich ist und gleichzeitig auch eine überregionale Ausstrahlung erlangt hat.

In der Zusammenarbeit mit dem Tourismus und als zentraler Werbeträger der Region hat der Nationalpark ein hohes Niveau erreicht. In Teilbereichen ist dies noch ausbaufähig, insbe- sondere im Hinblick auf die Infozentren und die Zusammenarbeit mit dem Förderverein.

Mit der „Grünen Kliffkunst“ in Barhöft hat der Nationalpark Vorpommersche Boddenland- schaft ein herausragendes Projekt im Rahmen des bundesweiten Freiwilligenprogramms „Eh- Abb. 12: Künstler in Aktion: Die „Grüne Kliffkunst“ in Barhöft. rensache Natur – Freiwillige in Parks“ entwickelt (Abb. 12). Seit 2011 schaffen dort Künstler eh- renamtlich Werke zu Nationalparkthemen, die in Fällen nicht ausreichend gelöst bzw. aus Sicht einer wachsenden Open-Air-Ausstellung in Bar- von Vertretern des Küstenvogelschutzes schein- höft von Jahr zu Jahr mehr Gäste anziehen und bar einseitig entschieden. Der ursächlich unter- für ehrenamtliches Engagement werben, z. B. schiedliche und anhaltend mit zum Teil dras- als „Kranich-Guide“ oder als Betreuer von Info- tischen Bestandsrückgängen wertgebender stellen im Nationalpark. Vogelarten verbundene Bedeutungsverlust von Vogelschutzgebieten im Nationalpark macht Die häufig diskutierten Widersprüche zwischen Sorgen. So weisen die Inseln Kirr, Barther Oie, ungestörter Wildnisentwicklung im Nationalpark Heuwiese und Fährinsel aber auch die Salzwie- und dem Küstenvogelschutz auf gesonderten sen auf den Vordeichflächen des Zingst zu klä- Teilflächen, beides Schutzziele laut National- rende Defizite auf. Die erfolgreiche Bekämpfung parkverordnung, sind in einigen wesentlichen der verschiedenen Prädatoren, aber auch die

52 dung mit einer aktiveren Rolle der Jägerschaft bei der Prädatoreneindämmung könnten wirk- sam dazu beitragen, die weit über das Bun- desland hinaus bedeutsamen Brutvorkommen auf dem vorhandenen Stand zu stabilisieren und schrittweise an das frühere Niveau heran- zuführen. Dabei, wie auch bei zuvor genann- ten Themen, sind alle Beteiligten aufgefordert, ihre Zusammenarbeit weiter zu verbessern, um gemeinsam für die Zielsetzungen des National- parks zu arbeiten.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern sollte durch die Sicherstellung einer ausreichenden Finanzierung und guten interdisziplinären Per- sonalausstattung seinen dauerhaften Beitrag zum Erfolg dieses Nationalparks leisten.

DAS UNESCO-BIOSPHÄRENRESERVAT SÜDOST-RÜGEN Südost-Rügen ist eine der wohl schönsten und bekanntesten Landschaften in Mitteleuropa (Abb. 14). Die Ausweisung als UNESCO-Bio- sphärenreservat ist einer der Garanten dafür, Abb. 13: Die Sicherung der Küstenvogelbrutgebiete ist ein die nach 1990 einsetzende teilweise exzessive erklärtes Ziel der Arbeit im Nationalpark Vorpommersche Entwicklung der traditionsreichen touristischen Boddenlandschaft. Nutzung an Kriterien nachhaltiger Entwicklung auszurichten. Dabei hat es seitdem sehr posi- tive und weniger positive Ergebnisse gegeben. für den Küstenvogelschutz­ angepasste Bewirt- Manche konfliktträchtigen Nutzungen und Vor- schaftung der Brutgebiete bleibt eine dauerhaf- haben konnten durch die konsequente Anwen- te Aufgabe (Abb. 13). Hinreichende Ergebnisse dung der mitunter rechtlich in Frage gestellten sind angesichts der Rahmenbedingungen wie Biosphären­ reser­ vatsverordnung­ beschränkt der vom Bundesland nur wenig beeinflussba- oder unterbunden werden. Auf diesem Gebiet ren EU-Agrar­förderung und entgegen stehender wurde trotz schwieriger Bedingungen weit über jagdrechtlicher Regelungen schwierig erreich- Rügen hinaus wirkend Beispielhaftes geleistet. bar. Für die Umsetzung dieser speziellen Arten- Die Kommunikation im Biosphärenreservat, ins- schutzziele im Nationalpark sind Verbesserungen besondere zwischen Reservatsverwaltung und jedoch unerlässlich. Seitens der Landesregie- Verantwortungsträgern, mit Bevölkerung bzw. rung Mecklenburg-Vorpommern sind zügige und Landnutzern verschiedenster Art war nicht im- dem immer dringender werdenden Thema Präd- mer optimal, ja zeitweise geradezu grundsätzlich atorenbekämpfung angemessene jagdrechtliche gestört. Diese „Störung“ führte zwischenzeitlich Regelungen kurzfristig erforderlich, bei Bedarf dazu, dass die in der Entwicklung des Biosphä- anzupassen und jeweils zeitnah umzusetzen. renreservates liegenden Chancen von weiten Teilen der Verantwortungsträger sowie der Be- Eine gute Zusammenarbeit und ein aus mehr ge- völkerung nicht wahrgenommen bzw. von wenig genseitiger Kenntnis erwachsendes, besseres zielführenden Konflikten überlagert wurden. Die Verständnis zwischen Nationalparkverwaltung Landesregierung reagierte auf diese Situation und ehrenamtlichen Vertretern des Küstenvo- mit umfassenden personellen und strukturellen gelschutzes, insbesondere den Inselbetreuern Veränderungen. Das in seiner Struktur eigent- aus ganz Deutschland ist notwendig und eine lich innovative und zukunftweisende National- dauerhafte Aufgabe. Dabei kann ggf. von den parkamt Rügen wurde aufgelöst und der Natio- Erfahrungen in den Wattenmeer-Nationalparks nalpark Jasmund dem für den Nationalpark bzw. -Biosphärenreservaten profitiert werden. Vorpommersche Boddenlandschaft zugeordnet. Eine stärkere Unterstützung des amtlichen und Diese Lösung hat seitdem wiederum auch viele ehrenamtlichen Küstenvogelschutzes in Verbin- Vorteile für beide Nationalparke gebracht.

53 Nach der Bildung des Amtes für das Biosphä- So sind, nicht zuletzt als Ergebnis der langjäh- renreservat Südost-Rügen und der Neubeset- rigen internen und externen Kommunikations­ zung der Amtsleiterstelle im Jahr 2006 wurde störungen, auch 25 Jahre seit Einrichtung des der zum Erliegen gekommene Kommunikati- Biosphärenreservates Südost-Rügen noch er- onsprozess mit den Akteuren der Region wie- hebliche strukturelle Defizite zu bewältigen. Die der aufgenommen. Ein Beirat, zu dem neben größte Herausforderung stellt dabei die Erwei- zahlreichen regionalen Interessenvertretern die terung des Biosphärenreservates auf die not- Bürgermeister aller zehn Gemeinden im Bio- wendige Mindestgröße von 30 000 Hektar dar. sphärenreservat gehören, wurde gebildet. Der Hinzu kommt, dass Kern- und Pflegezonen in Verein Insula Rugia e. V. konnte als Förderverein einigen Fällen zu klein und sehr fragmentiert gewonnen werden. sind. Mit den angrenzenden Flächen, die der Deutschen Bundesstiftung Umwelt im Rahmen Dass der Kommunikationsprozess Früchte des Nationalen Naturerbes übertragen wurden, trägt, zeigt das Leitbild für das Biosphärenre- und weiteren Flächen, die aus einem geförder- servat Südost-Rügen, welches im Mai 2014 ten Naturschutzgroßprojekt herrühren, beste- der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Es ist das hen gute Möglichkeiten zur Verbesserung der Ergebnis eines mehrjährigen Diskussions- und Situation. Arbeitsprozesses in der gesamten Region. Das Es ist auch im Biosphärenreservat sehr erfolg- Leitbild fasst die wichtigsten Ziele des Biosphä- reich gelungen, die Partnerinitiative der Na- renreservates zusammen und ist Richtschnur für tionalen Naturlandschaften aufzubauen. Die das Handeln der Schutzgebietsverwaltung. Ver- gegenwärtig 22 zertifizierten Partner des Bio- treter vermeintlich gegensätzlicher Interessen sphärenreservates sind in verschiedenen Bran- haben dabei Konsens erzielt und eine Vision für chen aktiv. Fischer gehören ebenso dazu wie ihr Biosphärenreservat der Zukunft entwickelt. Gastronomen, Hoteliers, Veranstalter, Reede- Das ist nicht selbstverständlich, macht Mut für reien, Landwirte oder Natur- und Landschafts- die Zukunft und wird helfen, aus regionaler Sicht führer. Sie stehen für Qualität, Authentizität und und aus der Perspektive der UNESCO notwen- Nachhaltigkeit. Sie helfen, dass der Naturreich- dige Entwicklungen gemeinsam behutsam ein- tum der Biosphärenreservats-Region für uns zuleiten und schrittweise umzusetzen. und unsere Nachkommen erhalten bleibt.

Abb. 14: Von den Trockenrasenfluren des Kleinen Zicker streift der Blick weit über die abwechslungsreiche Küstenlandschaft des Biosphärenreservates.

54 Abb. 15: Freiwillige Helfer bekämpfen die Ausbreitung des eingewanderten Riesen-Bärenklaus im Schutzgebiet.

Im Rahmen des bundesweiten Freiwilligenpro- Die Robbenbotschafter nehmen regelmäßig an gramms „Ehrensache Natur – Freiwillige in Parks“ Monitoringausfahrten im Greifswalder Bodden erhält das Biosphärenreservat Südost-Rügen mit Rangern aus dem Biosphärenreservat teil. wertvolle Unterstützung von Freiwilligen aus der Sie dokumentieren ihre Beobachtungen zu An- Region, aber auch von eigens dafür anreisenden zahl und Vorkommen der Robben sowie eventu- Engagierten aus dem Bundesgebiet. Durch gutes elle Störungen. Damit leistet das Projekt einen Freiwilligenmanagement gelingt es der Verwal- Beitrag zum Schutz der Kegelrobben und un- tung, „alte Hasen“ aus der Tradition des früheren terstützt ihre Rückkehr an die deutsche Ostsee- Kulturbundes mit jüngeren Naturinteressierten küste (Abb. 16). zu einem fruchtbaren Austausch zusammenzu- bringen. Mit viel Fachexpertise übernehmen die Mit der Fokussierung auf das Thema „nach- Freiwilligen Aufgaben z. B. als Amphibien- und haltiger Tourismus“ hat das Biosphärenreser- Biotopbetreuer, als „Forscher“ im Steilküstenmo- vat bei der Erfüllung der Entwicklungsfunktion nitoring oder bei praktischen Einsätzen zur Ein- angesichts der hohen Zahl an Urlaubern und dämmung von Neophyten (Abb. 15). Tagesgästen einen richtigen Schwerpunkt ge- Das Biosphärenreservat Südost-Rügen enga- setzt. So ist es gelungen, im Rahmen der „eu- giert sich gemeinsam mit dem WWF Deutschland ropäischen Charta für nachhaltigen Tourismus mit einem besonderen Projekt im Junior-Ran- in Schutzgebieten“, einem Projekt des euro- ger-Programm der Nationalen Naturlandschaf- päischen Schutzgebietsverbands EUROPARC ten. Dabei werden Kinder und Jugendliche im Federation, ein Leitbild für einen nachhaltigen Alter zwischen 10 und 15 Jahren zu Robben- Tourismus zu entwickeln und erste Maßnahmen botschaftern geschult. In einer mehrmonatigen umzusetzen. Ausbildung werden die Rügener Jugendlichen auf ihre Aufgabe vorbereitet. Sie lernen die Ost- EUROPARC Deutschland würde es sehr begrü- see-Kegelrobbe während mehrerer Workshops, ßen, wenn die Landesregierung für das Biosphä- Gesprächsrunden und Exkursionen als wieder renreservat weiter und in verbesserter Form die heimisch werdende Säugetiere kennen und un- entsprechenden finanziellen und personellen terstützen aktiv den Schutz der Meeressäuger. Möglichkeiten bietet.

55 Abb. 16: Die Robbenbotschafter des Biosphärenreservates und WWF betreuen einen Infostand auf der Insel Vilm.

AUSBLICK regionalwirtschaftliche und touristische Poten- Die drei betrachteten Nationalen Naturlandschaf- zial erhält und verbessert, ist in den drei Gebie- ten sind herausragende Gebiete des Naturschut- ten herausragend erlebbar. Dies immer wieder zes und der Erhaltung der Artenvielfalt. Zugleich zu vermitteln sowie gesellschaftlich und auf zählen sie zu den wohl bedeutendsten Touris- allen politischen Ebenen zu leben, bedarf wie musdestinationen an der deutschen Ostseeküs- bisher engagierter Personen, Personengruppen te. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat seit sowie Verantwortungsträger. Der erreichte Ent- 1990 am konsequentesten die einzigartige Chan- wicklungsstand lässt ein breites Aufgabenfeld ce der Naturparks neuer Prägung, Nationalparks für nachfolgende Generationen und bietet aus- und UNESCO-Biosphärenreservate genutzt, eine reichend Grund für einen optimistischen Aus- staatliche Trägerschaft mit geeigneten rechtlichen blick auf die nächsten 25 Jahre. Regelungen sowie Zuständigkeiten realisiert und schrittweise ausgebaut. Im Ergebnis stetigen Be- mühens um qualitative Verbesserungen sind diese LITERATUR Nationalen Naturlandschaften heute einzigartiges Aushängeschild des Naturschutzes und des Na- Ergebnisbericht der Evaluierung des National- turtourismus in Deutschland. Eine weiter verbes- parks Vorpommersche Boddenlandschaft serte personelle und finanzielle Ausstattung der (April 2010): http://www.nationalpark-vor- Schutzgebietsverwaltungen könnte das hohe Po- pommersche-boddenlandschaft.de/vbl/ tenzial noch besser für das Land und die Regionen publikationen/evaluierung_vbl.pdf. wirksam werden lassen. Dies gilt besonders für Ergebnisbericht der Evaluierung des National- die Bereiche Gebietsbetreuung, Öffentlichkeits- parks Jasmund (März 2010): http://www. arbeit, Forschung und Monitoring. Perspektivisch nationalpark-jasmund.de/publikationen/ könnte eine stärkere Vernetzung der Infozentren evaluierung_jas.pdf. innerhalb der drei Nationalen Naturlandschaften Bericht zur Überprüfung des UNESCO-Bio- sowie mit dem DBU-Naturerbe-Zentrum Rügen, sphärenreservates Südost-Rügen (Mai z. B. durch Einführung von kombinierten Angebo- 2013): http://www.biosphaerenreservat- ten als Kombitickets, die touristische Inwertset- suedostruegen.de/documents/pgf/BR zung noch verbessern. Suedost Ruegen Evaluierungsbericht Mai 2013.pdf. Die Erkenntnis, dass konsequenter und dem Schutzziel entsprechender Naturschutz trotz Einschränkung von Nutzungsmöglichkeiten das

56 Wildnis und Kulturlandschaft Lebrecht Jeschke und Hans Dieter Knapp

VOM FEINDBILD ZUM MODETREND dieser immer eindringlicher werdende Ruf nach einer neuen, unreglementierten Natur – nach Der Begriff „Wildnis“ war in Deutschland traditi- „Wildnis“ – zu erklären. Die bis auf den letzten onell überwiegend negativ belegt, als Ausdruck Quadratmeter rationell durchgestaltete, hoch- des Wilden, Unkultivierten und Unberechen- produktive, mit zahlreichen technischen Attri- baren; als ständige Bedrohung menschlicher buten ausgestattete Agrarlandschaft ist da- Kultur und als ein Feindbild zivilisierter Gesell- bei, ihre Funktion „Heimat der Menschen“ zu schaft. „Wildnis“ war ein Gegenbegriff zur Zivi- sein, zu verlieren. Da ist es kein Wunder, dass lisation, eine Umschreibung für Orte, an denen in den Köpfen vieler Menschen die Sehnsucht wilde Tiere hausen, die den Menschen Angst nach einem Leben „in Harmonie mit der Natur“ und Schrecken einflößen. Seit einigen Jahren ist oder „im Einklang mit der Natur“ wächst! Die- jedoch eine deutliche Trendwende festzustellen. ser Wunsch – so verständlich er ist – ignoriert, „Wildnis“ ist zu einem kontrovers diskutierten dass jede menschliche Nutzung von Natur, die- Thema im Naturschutz, zu einem Sehnsuchts- se Natur verändert, ihre Evolution unterbricht ziel zivilisationsgeschädigter Stadtmenschen und damit eine Degradierung bewirkt. Hinzu und zum Modetrend in Tourismus-, Sportartikel- kommt der durch die Geldwirtschaft ausgeüb- und Werbeindustrie geworden (Knapp, 2000). te Zwang, lebendige Arbeit durch Maschinen zu ersetzen. So wurde der Bauer zum Unterneh- So sind seit etwa 20 Jahren immer häufiger mer, im Wettstreit der gnadenlosen Konkurrenz Stimmen in den Medien zu vernehmen, die mehr der anderen „Unternehmer“ ausgeliefert ist. Die oder weniger kategorisch fordern „Mehr Wildnis uns umgebende Kulturlandschaft repräsentiert wagen“ (Succow & Jeschke, 2014). Fernsehsta- also in Wirklichkeit eine degradierte, ihrer vol- tionen und Buchautoren bedienen sich des Be- len „Leistungsfähigkeit“ beraubte Natur. Wir griffs „Wildnis“, der zumindest etwas Neues und können Leistungsfähigkeit durch „Lebensfülle“ Aufregendes verspricht. Dabei wissen wir doch ersetzen und meinen damit jenen Zustand, der alle, dass wir in einer Kulturlandschaft leben, die etwa dem Normalzustand eines sich selbst op- vor Urzeiten von unseren Vorfahren der „Wild- timierenden Ökosystems entspricht. Der Begriff nis“ abgerungen wurde. Und der Naturschutz Leistungsfähigkeit impliziert unausgesprochen in Deutschland, wie er von Ernst Rudorff (1840- für den Menschen nutzbare Leistungen und die- 1916) vor mehr als 100 Jahren begründet wor- se sind hier vordergründig nicht gefragt. den ist, verfolgte das Ziel, die Kulturlandschaft oder doch wenigstens Ausschnitte derselben zu konservieren. Die Naturschutzpolitik der EU hat VON WILDNIS an diesem Ziel kaum etwas geändert. Was soll ZUR KULTURLANDSCHAFT also dieser Ruf nach mehr Wildnis in Deutsch- land? Es ist offenbar das Unbehagen, das einen In Jahrtausende langer Auseinandersetzung Zeitgenossen beschleichen muss in Anbetracht haben die Menschen seit der Jungsteinzeit der der dramatischen Entwicklungen, die in der Kul- „Urnatur“ Weide-, Acker- und Siedlungsland turlandschaft ablaufen. abgerungen, haben ursprüngliche Wildnis „kul- tiviert“, zu Kulturlandschaft gewandelt. Die Na- Es ist unübersehbar: In den vergangenen Jahr- tur zu bezwingen, zu zähmen, zu beherrschen, zehnten hat sich, einhergehend mit den seit sie nutzbar zu machen galt und gilt bis heute als den späten 1950er Jahren beginnenden Ver- „Fortschritt“. „Kultivierung“ von Wildnis bedeu- änderungen der Landnutzung, ein grundlegen- tet Rodung, d. h. Zerstörung von Wäldern („mit der Bewusstseinswandel vollzogen. Nur so ist Stumpf und Stiel“), bedeutet Entwässerung,

57 Abb. 1: Von Natur aus wäre unser Land zum weitaus größten Teil von Wäldern bedeckt. Alter Wald auf der Insel Vilm. also Zerstörung von Mooren und Feuchtgebie- mer, und der ist bestrebt diesen so gewinnbrin- ten, bedeutet Begradigen und Kanalisieren von gend wie möglich zu nutzen, unter Einsatz aller Flüssen, Festlegen von Küsten, Ausrotten wilder von der Industrie zur Verfügung gestellten Mit- Tiere. Das alles ist in Deutschland Geschichte, tel. Es hat sich eine Fremdheit eingestellt, bis es gibt schon lange keine ursprüngliche Wildnis zum Horizont ausgedehnte Rapsäcker oder die mehr, die kultiviert werden könnte (Abb. 1). nicht enden wollenden Mais- oder Weizenfelder, ist das noch Natur, in der wir uns heimisch und Seit dem ausgehenden Mittelalter gab es eine geborgen fühlen? vom Menschen nicht genutzte Natur nur mehr sehr kleinflächig in abgelegenen Gebirgen, sie Die Kulturlandschaft hat sich im Verlaufe der wurde von der Allgemeinheit nicht wahrgenom- Jahrtausende und Jahrhunderte entsprechend men. Nur in Märchen und Mythen lebte sie fort den sich ändernden Bedürfnissen der Men- und ist jetzt dabei zum Sehnsuchtsort der Deut- schen gewandelt (Abb. 2). Auch die Weiterent- schen zu werden. Der Anteil der Menschen, der wicklung der Technik hat das Bild der mittel- in den Städten lebt, wächst kontinuierlich und europäischen Kulturlandschaft immer wieder der Bevölkerungsanteil, der in der Landwirt- verändert. Mit der technologischen Entwicklung schaft, also in der Landschaft lebt und arbeitet, einhergehend, lassen sich auch gesellschaftli- sinkt entsprechend. In Deutschland leben ca. 80 che Prozesse als Triebkräfte für die Wandlungen Prozent der Menschen in Städten. In den land- der Kulturlandschaft identifizieren, so dass wir wirtschaftlichen Betrieben arbeiten nur wenige ein außerordentlich komplexes Wirkungsgefüge Prozent. Im Osten Deutschlands ist diese Ent- vor uns haben, dessen Grundgerüst die Natur wicklung fortgeschrittener als in der alten BRD. lieferte, das dann jedoch durch die Menschen Das vertraute Bild der heimatlichen Landschaft immer wieder umgeformt wurde (Abb. 3). Dabei mit ihrer Vielfalt an zwecklosen und zufälligen ging es letztlich um zwei Dinge, Nahrung und Strukturen ist vielerorts verschwunden. Jeder Energie, die das Überleben der Menschen auch Quadratmeter des Landes hat einen Eigentü- heute noch entscheiden (Haber, 2006).

58 In der vorgeschichtlichen Kulturlandschaft ser gepufferten Böden dominierten bestenfalls wechselten sich Phasen von Rodung und Auf- stark aufgelichtete Weide- oder Niederwälder, lassung ab. In der Zwischenzeit wurde der Acker die so genannten Hudewälder. Diese Heiden und so lange genutzt bis der Nährstoffvorrat des Hutungen befanden sich in der Regel im Besitz Waldbodens aufgebraucht war und der Acker der Kommunen. Für diesen gemeinschaftlichen wegen Erschöpfung der Bodenfruchtbarkeit Besitz finden wir auf alten Karten gelegentlich aufgegeben werden musste. Er bewaldete sich die Bezeichnung „Freiheit“ für das Land, das wieder und die Humusbildung kam von neuem keinem Fürsten oder Landesherren gehörte. in Gang. Diese Art und Weise der Landnutzung Daneben gab es „Kronwälder“ im Besitz der wird bis heute in einigen tropischen Ländern be- Landesfürsten, sie wurden von „Soldaten“ be- trieben und als „shifting cultivation“ bezeichnet. wacht. Holzordnungen legten fest, wann und wie viel Holz eingeschlagen werden durfte. Als Spätestens im ausgehenden Mittelalter gab es in den verbliebenen Wäldern nicht mehr genug in Mitteleuropa mit Ausnahme der großen Moo- Feuerholz geerntet werden konnte, wurden die re kein nicht genutztes Land, das neu in Besitz Moore wertvoll, denn man konnte mit dem Torf genommen werden konnte. Wälder waren bis der Moore die wachsenden Städte mit Brenn- auf Reste in den Gebirgslagen und an schwer material versorgen. Zu beneiden war eine Stadt erreichbaren Orten im Tiefland aufgebraucht. wie , die ein Torfmoor ihr Eigen nannte, Sie waren Äckern gewichen oder sie wurden das Anklamer Stadtbruch, oder Ribnitz, der das als Weideland genutzt bis sie soweit degradiert Große Ribnitzer Torfmoor gehörte. waren, dass Zwergstrauchheiden in einigen Ge- genden das Landschaftsbild beherrschten, wie Diese Kulturlandschaft mit den Heiden und Hu- z. B. in den Altmoränenlandschaften von der tungen, die zum Gemeinbesitz der Kommunen Lausitz bis zur Lüneburger Heide. Auf den bes- gehörten, endete in Preußen zu Beginn des 19.

Abb. 2: Mit der neolithischen Besiedlung begann vor etwa 5 000 Jahren die Wandlung von Waldwildnis zu ersten Kul- turlandschaften. Großsteingrab bei Groß Stresow im Biosphärenreservat Südost-Rügen; Zeugnis der jungsteinzeitlichen Kulturlandschaft.

59 Abb. 3: (Historische) Kulturlandschaft von besonderer Vielfalt, Eigenart und Schönheit. Blick vom Jagdschloss Granitz nach Mönchgut im Biosphärenreservat Südost-Rügen.

Jahrhunderts mit der Privatisierung der Allmen- „Fortschritt“, er wollte bewahren, was schein- de. Albrecht Thaer (1752-1828) und Justus von bar nutzlos geworden war, was mit wirtschaftli- Liebig (1803-1873) hatten entdeckt, wie man die chem Gewinn nicht mehr zu nutzen war (Abb. 4). Äcker ertragreicher gestalten könne. Gleichzei- tig wurde die Forstverwaltung modernisiert. Die Als die DDR 1954 das erste „Gesetz zur Erhal- organische und mineralische Düngung war er- tung und Pflege der heimatlichen Natur“ be- funden worden. Damit begann die Umwandlung schlossen hatte, da hieß es in der Präambel der Heiden in produktive Äcker oder sie wurden unter anderem: „Indem die Wissenschaft die aufgeforstet. Viele der so genannten Heidewäl- mannigfaltigen Zusammenhänge des Pflan- der sind aus solchen Heideaufforstungen her- zen- und Tierlebens, der Bodenbildung und vorgegangen. des gesamten Landschaftshaushaltes erforscht, schafft sie entscheidende Grundlagen für die Gestaltung der Natur sowie für die Erhaltung NATURSCHUTZ ALS PFLEGEFALL und Steigerung der Bodenfruchtbarkeit.“ Damit ging das neue Gesetz weit über das Reichsna- Mit der Entwicklung der Industrie zu Beginn turschutzgesetz von 1936 hinaus. Der Land- des 19. Jahrhunderts war ein geradezu dra- schaftshaushalt und die Bodenfruchtbarkeit matischer Landschaftswandel verbunden. Just wurden erstmals als übergeordnete Ziele des um diese Zeit nahmen aufgeklärte Intellektuelle Naturschutzes genannt. wahr, dass mit dem gigantischen Landschafts- wandel etwas verloren ging: das von den Dich- Heute steht die Biodiversität im Fokus des Na- tern und Malern der Romantik immer wieder turschutzes. Gemeint ist meistens nur „Arten- beschworene vertraute Bild der heimischen vielfalt“, die ohnehin kaum jemand kennt und Landschaft. Und der Naturschutz wandte sich deren Bedeutung für das Geschehen in der Na- gegen alle Veränderungen. Er war gegen jeden tur oft überschätzt wird. Nicht die seltenen Ar-

60 ten sind für die Ökosystemfunktionen entschei- dend, sondern die Arten, die in großer Menge An dieser Stelle sei eine per- auftreten. sönliche Reminiszenz erlaubt: Auch wenn die Möglichkeiten, Landschaften vor dem aktuellen Zugriff eines unberechtigten „Als junger Assistent war ich (L. J.) 1958 Nutzers zu schützen, zwar gewachsen sind im Institut für Landschaftsforschung und (NSG, FFH, SPA, Natura 2000 etc.), wird weiter Naturschutz (ILN), in der Arbeitsgruppe an alten Ritualen festgehalten, indem sich Na- Greifswald, tätig. Wir hatten den Auftrag turschutz nach wie vor auf den Erhalt aktueller erhalten, die Flur der LPG Groß Neme- Zustände konzentriert. Jeder Naturinteressierte row auf Möglichkeiten landeskultureller weiß heute, dass das, was wir Natur nennen, Verbesserungen hin zu untersuchen. Wir sich fortwährend verändert. Ein Schutz, ein fanden einen südexponierten Lehmhang, Konservieren bestimmter, erwünschter Zustän- der im Zweiten Weltkrieg beackert und de von Natur und Landschaft ist letzten Endes später seit einigen Jahren aber aufge- nicht möglich. lassen worden war. Er war inzwischen zu Ödland geworden. Obwohl auf dem Hang Deshalb folgen an dieser Stelle einige Bemer- ein botanisch überaus interessanter Tro- kungen zum so genannten „Pflegenaturschutz“. ckenrasen entwickelt war, schlugen wir Es lassen sich verschiedene Szenarien ausden- die Aufforstung vor. Obwohl der Hang ken, wie sich eine Fläche, ein Biotop, entwi- auch im Verlaufe der Sukzession ein Wald ckeln sollte, letztendlich entscheidet jedoch der geworden wäre. Aber so viel Zeit glaubte Eigentümer, was mit seiner Fläche geschieht. damals niemand zu haben. Unter einem Der Nutzungsvorbehalt des Eigentümers kon- Wald wäre die schädliche Bodenerosion terkariert am Ende alle Naturschutzbestimmun- gebremst und die Humusbildung würde gen, egal, ob sie sich als unsinnig oder sinn- einsetzen. Das schien mir damals und voll erweisen. Das ist trotz mancher Fortschritte mehr noch heute ein vernünftiger Vor- noch immer die Wirklichkeit des Naturschutzes schlag zu sein.“ in Deutschland und in der EU.

Abb. 4: Agrar-industrieller Produktionsraum als Ende von „Kulturlandschaft“? Rapsacker auf Rügen.

61 Abb. 5: Mit dem Nationalpark Bayerischer Wald (1970) wurde Wildnis („Natur Natur sein Lassen“, Hans Bibelriether) auch in Deutschland zu einem anerkannten Naturschutzziel. Naturwald-Regeneration unter abgestorbenen Fichten am Lusen, Nationalpark Bayerischer Wald.

Doch seit wenigen Jahren darf sich „neue Wild- denkmäler, zu bewahren: „Aber alle diese Mittel nis“ auf geringen Flächenanteilen entwickeln. sind doch nur klein und unzureichend. Wenn et- Naturwaldreservate, Nationalparke und Kern- was wirklich Gutes geschaffen werden soll, so zonen von Biosphärenreservaten haben das er- wird nichts übrig bleiben, als gewisse Gebiete klärte Ziel, natürlicher Dynamik ohne lenkende unseres Vaterlandes zu reservieren, ich möchte oder nutzende Eingriffe Raum zu geben. Der- den Ausdruck gebrauchen: in „Staatsparks“ um- zeit sind weniger als ein Prozent der Fläche zuwandeln, allerdings nicht Parks in dem Sinne, Deutschlands der Naturentwicklung überlassen. wie wir sie jetzt haben […] sondern um Gebiete, deren Hauptcharakteristikum ist, daß sie unan- tastbar sind“ (Wetekamp, 1901). Zwar griff Ro- „WILDNIS“ ALS NATURSCHUTZZIEL bert Gradmann (1865-1950) diesen Gedanken auf und prägte dafür den Begriff „Bannwald“, „Wildnis“ hat in Deutschland als Naturschutzziel zwar konnte der Eberswalder Forstmeister Max bisher keine Rolle gespielt – die Auffassung von Kienitz (1849-1931) erwirken, dass 1907 knapp Rudorff hatte sich durchgesetzt: Naturschutz 200 ha Wald und Moor zum ersten Naturschutz- als Kulturlandschaftsschutz bzw. Heimatschutz! gebiet in Preußen erklärt wurden, in dem „der Der Abgeordnete Wilhelm Wetekamp (1859- Wald sich selber leben sollte“, doch die Natio- 1945) dagegen forderte im Preußischen Landtag nalpark-Idee wurde in Deutschland erst 70 Jah- 1898 die Regierung solle nach amerikanischem re später verwirklicht (Abb. 5). Vorbild die Einrichtung von „Staatsparks“ be- schließen. Wörtlich sagte er mit Verweis auf die Die Wälder waren eine wichtige Einnahmequelle Bemühungen, Einzelteile der Natur, eben Natur- des Staates, auf die er damals nicht verzichten

62 wollte. Der Eberswalder Forstwissenschaftler rung scheint eine Grundeigenschaft aller terres- Herbert Hesmer (1904-1982) machte 1934 erst- trischen Ökosysteme zu sein. Der Waldökologe mals den Vorschlag, kleinere Waldparzellen aus Alfred Möller (1860-1922) formulierte dies auf der Nutzung zu nehmen (Hesmer, 1934). 1961 den Wald bezogen in einem Satz: „Der Wald wurde dieser Vorschlag in der DDR verwirk- schafft sich seinen Standort selber“ (Möller, licht, zehn Jahre später in der alten Bundesre- 1921). Damit ist alles gesagt. Alle so genannten publik (Succow et al., 2012). Gemäß der 2007 „Waldgesellschaften in Mitteleuropa“ wurden beschlossenen Nationalen Strategie zur Biolo- anhand Jahrhunderte lang genutzter, also be- gischen Vielfalt (NBS) kurz „Biodiversitätsstra- wirtschafteter Wälder beschrieben. Auch wenn tegie“ genannt, sind bis 2020 fünf Prozent der die Vegetationskundler von „natürlichen Wäl- Wälder Deutschlands bzw. zehn Prozent des öf- dern“ sprechen, handelt es sich doch um die fentlichen Waldes aus der Nutzung zu entlassen Produkte einer vielhundertjährigen Nutzung und (BMU, 2007), also den Grundstein zur Entwick- keineswegs um intakte, also unberührte Natur. lung einer neuen Wildnis zu legen! Nur dort, wo die spontane „Naturentwicklung“ Wildnis in Mitteleuropa – ist das den Vorstellungen und wirtschaftlichen Zielen überhaupt möglich? des Bewirtschafters – des Försters – entsprach, Bei dem Thema Wildnis in Mitteleuropa geht es wurde sie zugelassen. Das war jedoch keine nicht um die „ursprüngliche Natur“ und schon freie Naturentfaltung sondern eine von den Inte- gar nicht um eine unberührte (intakte) Natur. Es ressen des Menschen „gelenkte Naturentwick- geht um die Entscheidung, eine konkrete Bo- lung“. denfläche künftig nicht mehr zu bewirtschaf- ten bzw. zu pflegen, es geht um einen Verzicht Worauf kommt es wirklich an? aller materiellen Nutzungen auf den für eine Es ist ein Gebot der Stunde, den durch uns Wildnisentwicklung vorgesehenen Flächen. Alle Menschen ausgelösten Veränderungen des Wildnisdefinitionen, die heute im Umlauf sind, globalen Naturhaushaltes entgegen zu wirken. meinen „ursprüngliche oder nur leicht veränder- Dies zwingt dazu, der regulierenden Funktion te Flächen“ (IUCN-Definition) sollten zu Wildnis- der Ökosysteme (Funktionstüchtigkeit), die für gebieten erklärt werden. Dies entspricht aber die Stabilität der Biosphäre von herausragender nicht der Ausgangslage für Wildnisentwicklung Bedeutung sind, höchste Priorität einzuräumen. in Deutschland im Sinne NBS. Deshalb wird Das gilt sowohl für die kulturabhängigen Öko- die folgende Definition vorgeschlagen: „Wild- systeme als auch für die bisher weitgehend un- nisgebiete i.S. der NBS sind ausreichend gro- genutzten Ökosysteme. Die Stabilität der Bio- ße (weitgehend) unzerschnittene, nutzungsfreie sphäre wird in hohem Maße von diesen, durch Gebiete, die dazu dienen, einen vom Menschen den wirtschaftenden Menschen bisher nicht unbeeinflussten Ablauf natürlicher Prozesse beanspruchten und veränderten Ökosystemen, dauerhaft zu gewährleisten.“ (Finck et al., 2013). die wir unter dem Begriff „Wildnis“ zusammen- fassen, gewährleistet. In diesen Wildnis-Öko- Unser Wildniskonzept enthält nur die eine Be- systemen funktionieren Element-Recycling und dingung, dass künftig auf die wirtschaftliche Kohlenstofffestlegung, Grundwasserneubildung Nutzung und Ausbeutung der Fläche verzichtet und Kühlung, Humusbildung und die Sicherung wird – nicht mehr und nicht weniger! Der aktu- der Biodiversität ohne Einschränkung. Es sind elle Zustand der Flächen ist dabei weniger von nicht mehr als 20 Prozent aller Landflächen in Belang (Succow & Jeschke, 2015). Ein entschei- naturnahem Zustand verblieben, es sind die dendes Kriterium für Wildnis ist die Zeitspanne letzten Überlebensräume einer unendlich gro- der von Menschen nicht beeinflussten Naturent- ßen Zahl von Pflanzen- und Tierarten und auch wicklung. Sie kann weder beschleunigt werden, letzte Rückzugsräume indigener Völker (Suc- noch ist sie durch irgendetwas ersetzbar. cow et al., 2012). Es sind die sich fortwährend selbst optimierenden, globalen Stabilisierungs- Vor unseren Augen – räume der Biosphäre. Wildnis entsteht immer wieder neu Es ist eine alte Erfahrung, die immer wieder neu Das bewusste Zulassen von Wildnisentwicklun- gemacht werden kann. Die Natur holt sich alle gen kann ein entscheidender Beitrag werden, vom Menschen aufgegebenen Flächen zurück. den ökologischen Fußabdruck des Menschen Die sich spontan einfindenden Pflanzen produ- zu verringern. In diesem Sinne ist die zügige zieren organisches Material, das am Standort Einstellung der forstlichen Bewirtschaftung der verbleibt und zu Humus wird, der Boden ver- Wälder in unseren Nationalparks und in Wald- ändert sich, wird fruchtbarer. Die Selbstoptimie- Naturschutzgebieten längst überfällig.

63 Abb. 6: Küstenveränderung am Darßer Ort von 1835 bis 1957 (Jeschke et al., 1978).

WILDNIS UND KULTURLANDSCHAFT: Die Vorpommersche Boddenlandschaft von JASMUND, VORPOMMERSCHE Darß und Zingst ist aus Grundmoränen und Be- ckensanden des Pommerschen Stadiums der BODDENLANDSCHAFT Weichselkaltzeit hervorgegangen. Vor sieben- UND SÜDOST-RÜGEN einhalb tausend Jahren wurden die tiefer liegen- den Teile vom ansteigenden Litorina-Meer, dem Echte Wildnis als „Urnatur“ gibt es auch in den Vorläufer der Ostsee, überflutet und das vorma- drei Großschutzgebieten der vorpommerschen lige Festland zu mehreren Inseln und Halbinseln Küste wie in ganz Deutschland nicht mehr. Im- aufgelöst. Seither sind diese durch Landbildung merhin sind dort, wenngleich kleine, Teile der von Neu- und Vordarß, Zingst und Sundischer Landschaft in naturnahem Zustand erhalten Wiese zur heutigen markanten Form der Halbin- bzw. so vom Wirken natürlicher Kräfte geformt, sel zusammengewachsen, der fortwährend wei- dass neue Wildnis entsteht und auf ehemals ge- teren Veränderung unterliegt (Abb. 6). Während nutzten und degradierten Flächen regenerieren sich die Ostsee am Darßer Weststrand weiter kann. Die Buchenwälder auf den Steilhängen und weiter in das Land hineinfrisst, entsteht am der Kreideküste von Jasmund, heute Teil einer Darßer Ort fortwährend neues Land (Jeschke et seriellen Weltnaturerbe-Stätte, sind womöglich al., 1978; Kaiser & Lampe, 2009). letzte Reste der Urnatur unseres Landes. Auch die kleinen Kesselmoore können als solche Während das vorpommersche Festland und ins- angesehen werden. Und dort, wo neues Land besondere Rügen reich an Spuren menschlicher durch das Wirken natürlicher Küstendynamik Besiedlung seit dem Mesolithikum sind und dort aus dem Meer aufwächst, wie am Darßer Ort, an selbst spätpaläolithische Jäger nachgewiesen den Werder-Inseln und am Hiddenseer Bessin, werden konnten (Lange et al., 1986; Terberger, entsteht neue, primäre Wildnis. 2009), weisen die seeseitigen Halbinseln von Darß und Zingst nur wenige frühgeschichtliche In den Nationalparken ist es ein vorrangiges Siedlungsspuren auf. Es ist anzunehmen, dass Entwicklungsziel, neue, sekundäre Wildnis auf die von Wind und Wellen geformten jungen Halb- ehemals vom Menschen genutzten und zumeist inseln lange Zeit unbesiedelte „Urnatur“ waren. degradierten Flächen zu regenerieren, indem wir Bronzezeitliche Feuersteinfunde vom Darß (Ter- „Natur Natur sein lassen“. Am weitesten fortge- berger, 2009) deuten aber darauf hin, dass zu- schritten ist diese Entwicklung in den so genann- mindest auf den Beckensanden des Altdarß frü- ten „Totalreservaten“ der alten Naturschutzge- he Keimzellen von Kulturlandschaft entstanden biete Westdarß und Darßer Ort, Jasmund und waren. Seit der Zeit slawischer Besiedlung und Insel Vilm, die 1990 in die drei Großschutzge- dem Mittelalter entwickelt sich dann das typi- biete integriert wurden. Insbesondere auf Vilm sche Mosaik der traditionellen Kulturlandschaft haben sich aufgrund langzeitiger kontinuierlicher auf den Halbinseln. Waldbedeckung ohne forstliche Eingriffe Wald- strukturen und ungewöhnlich humusreiche Bö- Die mit Röhricht bestandenen Küstenüberflu- den entwickeln können, die sich Naturwäldern tungsmoore der flachen Boddenufer wandelten mit der Zeit immer mehr annähern. sich unter dem Einfluss von Tritt und Bewei- dung durch Rinder zu den charakteristischen Obgleich die gesamte vorpommersche Küsten- Salzweiden, die das Landschaftsbild bis in landschaft vom Fischland bis primär jüngste Vergangenheit hinein prägten (Abb. 7). von zwei jüngeren erdgeschichtlichen Ereignis- Auf dafür geeigneten Standorten wurde Acker- sen – der spätglazialen Reliefformung und der bau in bescheidenem Umfang betrieben und die postglazialen Entwicklung der Ostsee – geprägt überwiegenden, nicht ackerfähigen Neuland- worden ist, zeigen sich im Einzelnen doch ganz bildungen wurden vom Wind zu Dünenland- erhebliche Unterschiede. schaften geformt und bewaldeten in natürlicher

64 Sukzession, die von Kiefer und Birke eingeleitet wird (Abb. 8). Fischerei war seit Urzeiten eine wesentliche Grundlage zur Sicherung der kar- gen Lebensbedingungen in dieser rauen Küs- tenregion.

Erst mit dem Aufkommen des Tourismus am Ende des 19. Jahrhunderts erfuhr die traditio- nelle Kulturlandschaft Veränderungen durch den Wandel der Fischer-Bauerndörfer zu Badeorten. Gleichzeitig brachten Entwässerungen, Deich- bau und Küstenschutz weitere Veränderungen mit sich. In der Waldwirtschaft dominierte der Kiefernanbau und im 20. Jahrhundert gewann die Jagd an überregionaler Bedeutung. Der Ein- zug von Militär und Küstenschutzmaßnahmen in der Nazizeit und fortgesetzt in der DDR leiteten das Ende der historischen Kulturlandschaft ein. Die großräumigen Komplexmeliorationen und Abb. 7: Salzweiden an den flachen Ufern der vorpommer- die industriemäßige landwirtschaftliche Pro- schen Boddenlandschaft sind Relikte historischer Kultur- duktion durch das VEG Darß-Zingst besiegelte landschaft. Salzweiden am Varbelvitzer Bodden im National- deren Untergang (siehe Beitrag von Knapp und park Vorpommersche Boddenlandschaft. Sporns in diesem Band).

Abb. 8: Dünenlandschaften sind Wildnisbereiche im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Sie unterliegen allein den formenden Kräften der Natur. Hohe Düne bei Pramort.

65 Moränenkämme. Die nacheiszeitliche Waldsuk- zession verlief darauf über Kiefern-Birkenwäl- der zu wärmezeitlichen Hasel-Linden-Ulmen- wäldern, die über zweieinhalb Jahrtausende die nahezu menschenleere Waldlandschaft des Hochlandes von Jasmund beherrschten. Mit der Einwanderung neolithischer Ackerbauern der Trichterbecherkultur vor rund fünftausend Jah- ren begann mit zunächst kleinflächigen Rodun- gen im Umkreis kleiner Siedlungen der Wandel von der Ur-Wildnis zu frühen Kulturlandschaf- ten. Von den einst zahlreichen Großsteingräbern sind einige wenige als eindrucksvolle Zeugnisse der frühen Kulturlandschaftsgeschichte erhal- ten. In der nachfolgenden Bronzezeit muss das Hochland der Halbinsel Jasmund dichter be- siedelt gewesen sein: Die große Zahl von bron- zezeitlichen Hügelgräbern und die hohen Werte von Haselpollen in Pollendiagrammen sprechen für eine starke Auflichtung der spätwärmezeit- lichen Eichen-Ulmen-Lindenwälder durch Vieh- weide und Rodungen. Begünstigt durch die ba- Abb. 9: Kopie der gedruckten Matrikelkarte. Die Schwedi- senreichen Böden und das kühl-feuchte Klima sche Landesaufnahme von Vorpommern 1692-1709; He- des Hochlandes beginnt sich die Rotbuche (Fa- rausgegeben von der Historischen Kommission für Pom- gus sylvatica) stärker auszubreiten. mern in Verbindung mit dem vorpommerschen Landesarchiv Greifswald, 1996). Aus der Römischen Kaiserzeit und der Zeit der Völkerwanderungen fehlen Siedlungsspuren nahezu gänzlich. Früheres Siedlungsland wur- Mit dem Nationalpark besteht die wunderbare de vom Wald zurückerobert. Unterstützt durch Chance, außerhalb der Rest-Kulturlandschaft mit das kühl-humide Klima des Subatlantikum den Siedlungen nicht nur den natürlichen Pro- setzte sich die Buche vollends durch. Seit der zessen der Küstendynamik und Waldentwicklung Zeit slawischer Besiedlung im 7.-12. Jahrhun- freien Lauf zu lassen sondern auch, Wunden der dert beherrscht sie das Waldbild der Stubnitz. Vergangenheit zu heilen und neue, sekundäre Seit dieser Zeit kann auch eine kontinuierliche Wildnis entstehen zu lassen, in der Jahr für Jahr Waldbedeckung angenommen werden, lediglich hunderttausende Menschen Entspannung finden im Umkreis der slawischen Fluchtburgen (Burg- und Naturerfahrungen sammeln. berg, Herthaburg) ist mit kleinen Rodungsinseln in der weitläufigen Waldlandschaft zu rechnen. Die Kreidehorst-Landschaft von Jasmund, mit einer über 100 Meter hohen Steilküste und Er- Nachdem in Folge des 30-jährigen Krieges ganz hebungen bis 161 Meter über dem Meer, ragt Vorpommern mit Rügen und Jasmund 1648 an als herausgehobene Halbinsel von Rügen nicht Schweden gefallen war, ließ der Schwedenkö- nur weit nach Nordosten ins Meer hinaus, son- nig das neu gewonnene Land vermessen und dern ist auch eine herausragende Besonderheit hinsichtlich seiner Bewohner und deren Ein- ohne Parallele im gesamten Tiefland Mitteleuro- künfte beschreiben. In nur wenigen Jahren von pas. Auch sie wurde von Gletschern, Schmelz- 1692 bis 1698 schuf eine kleine Gruppe von wässern und Meereswogen geformt. Letztere Landmessern (meist Studenten) unter Leitung verändern sie fortwährend bis heute und in die von Gunno Eurelius (1661-1709) ein großarti- Zukunft. Die Geschichte dieser einzigartigen ges Kartenwerk von Schwedisch-Vorpommern, Landschaft sei hier kurz skizziert (Jeschke, das eine schier unerschöpfliche Quelle zur land- 1964; Lange et al., 1986; Knapp, 2010; Bieder- schaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Situ- staedt, 2011): ation von Rügen und Vorpommern am Ende des Als die Gletscher der letzten nordischen Verei- 17. Jahrhunderts darstellt (Thassler et al., 2014). sung vor etwa 11 000 Jahren das Land freige- geben hatten, bedeckten bald Zwergstrauch­ Dabei lieferten die Landmesser auch aufschluss- tundren die auffällig Ost-West streichenden reiche Beschreibungen der natürlichen Verhält-

66 nisse (Abb. 9). So beschrieb Peter Wiesing, der nen Kürze total Grunde richten werden, wenn auf Jasmund arbeitete, den Wald im heutigen sie nicht bald Hilfe bekommen“ (Historische Nationalpark als „reinen Buchenwald“ – es war Kommission, 1996). Man kann daraus schlie- ein Niederwald oder „Ausschlagwald“. Das jun- ßen, dass die Wölfe auch dafür sorgten, dass ge Buchenholz wurde meist zu Holzkohle ver- der Wald sich nach den Nutzungen immer wie- arbeitet und der schwedische Landvermesser der regenerieren konnte, denn sie hielten das machte sich auch Gedanken, dass man scho- übrige Wild kurz. nend mit dem Wald umgehen müsse: „…denn es ist nicht mehr als dieser eine Kronwald, wo- Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war Holz raus sowohl Wittow als auch Jasmund ihr Holz und damit der Wald die entscheidende Ener- nehmen müssen und wenn er vernichtet ist, so giequelle in Deutschland. Als die Wälder soweit ist das Land verdorben. Seine Königliche Ma- abgewirtschaftet waren, dass sie nicht mehr jestät kann wohl die, welche diese Kohlen nutz- genug Feuerholz lieferten, gewannen auch auf niessen, mit anderen Wohltaten begnadigen, Jasmund die Moore Bedeutung als Energie- die ebenso gut sein können und fast besser als quelle. Im Alten Torfmoor bei Hagen sowie in diese Kohlen, so könnten die anderen die Kohle einigen Mooren am Südrand der Stubnitz wurde wohl entbehren und dafür so viel Holzbrennen, nachweislich Torf gestochen und als Brenntorf doch das Kloster ausgenommen.“ (Historische verwendet. Erst nach der Mitte des 19. Jahrhun- Kommission, 1996). derts entspannte sich die Situation, mit der Ent- wicklung des Eisenbahnnetzes löste die Kohle Ferner berichtet Wiesing: „Im Kronwald Stub- allmählich Holz und Torf als Energiequelle ab. benitz sind verschiedene Arten wilder Tiere wie Hirsche, Hirschkühe, Rehe, Hasen, Füchse und 1815 übernahm die Preußische Forstverwaltung Wölfe. Aber die Wölfe sind dort nun den ande- den schwedischen „Cronwald Stubbenitz“. Wenig ren Tieren zu mächtig geworden, so daß sie bin- später wurde die erste Forsteinrichtung durchge-

Abb. 10: Die Steilhangwälder an der Kreideküste von Jasmund gehören zu den wenigen Resten ursprünglicher Wildnis in Deutschland.

67 führt, die offensichtlich einen Schutzwaldstreifen die sonst in den Wirtschaftswäldern des Tieflan- an der Küste festgelegt hatte. Dort und auf dem des die Rotbuche allenthalben begleiten, fehlen in Schlossberg beim ehemaligen Forstamt Werder der Stubnitz vermutlich aufgrund der klimatischen finden wir heute die ältesten Buchen im Natio- Bedingungen (hohe Niederschläge in Verbindung nalpark. Die Umwandlung der Niederwälder in mit einer vergleichsweise niedrigen Jahresmittel- Hochwälder dürfte etwa 100 Jahre in Anspruch temperatur, spätem Einzug des Frühlings und da- genommen haben, so dass zu Beginn des 20. mit verkürzter Vegetationsperiode; Abb. 10). Jahrhunderts mit Ausnahme einer kleineren Flä- che bei Rantzow kein Niederwald im Gebiet des Die Spuren frühgeschichtlicher Kulturlandschaft heutigen Nationalparks mehr existierte. und historischer Waldnutzung verblassen mit der Zeit der Regeneration des natürlichen Land- Die Forstverwaltung pflanzte in der ersten Hälfte schaftskomplexes aus Naturwäldern, Mooren, des 20. Jahrhunderts auch Eichen an, die sich Quellen, Bächen und Steilküsten. Im National- in dem von Buchen dominierten Wald jedoch park Jasmund lässt sich das Entstehen neuer kaum behaupten konnten. Dennoch erfolgte in Wildnis hautnah erleben, und eines Tages wird den 1980er Jahren noch eine weitere Auffors- sicher auch der Wolf zurückkehren. tung östlich von Baumhaus Hagen. Der Wald der Stubnitz ist trotz früherer, zeitweise Das nur wenige Kilometer entfernte Biosphären- starker Nutzungen heute zu einem naturnahen Bu- reservat Südost-Rügen zeigt ein gänzlich ande- chenwald regeneriert, der seit der Erklärung zum res Landschaftsbild im Vergleich zur Vorpom- Nationalpark von Jahr zu Jahr naturnäher wird. merschen Boddenlandschaft und zu Jasmund. Die Rotbuchen sind auf allen nicht vom Grund- Zwar wurde auch dieses Gebiet primär von wasser unmittelbar beherrschten Böden die do- Gletschern, Schmelzwässern und dem Meer ge- minierende Baumart. Eichen und die Hainbuche, formt. Die letzten Gletscheraktivitäten der jüngs-

Abb. 11: Das Gebiet um Putbus wird noch heute von Elementen historischer Kulturlandschaft geprägt. Die Entwicklung zukunftsgerechter Formen der Landnutzung gehört zu den zentralen Herausforderungen des Biosphärenreservates Südost- Rügen.

68 Abb. 12: Werdende Wildnis auf ehemaligem militärischem Übungsgelände. Nationales Naturerbe Prora, geplantes Erweite- rungsgebiet des Biosphärenreservates Südost-Rügen. ten Kaltzeit schufen ein ausgeformtes Hügelrelief Ackerbau und Viehhaltung der Waldwildnis ers- und das Litorina-Meer ließ vor etwa 7 000 Jahren te Kulturlandschaften ab. Zahlreiche Großstein- einen Archipel hügeliger Inseln entstehen, die gräber und archäologische Funde zeugen von im weiteren Verlauf der Landschaftsgeschichte dichter Besiedlung, die sich in den folgenden durch Küstenausgleich zur heutigen Gestalt ei- frühgeschichtlichen Siedlungsperioden fort- ner bizarr geformten Küstenlandschaft aus Halb- setzte und in der Zeit slawischer Besiedlung inseln, Küstenvorsprüngen, Meeresbuchten und ihren Höhepunkt erreichte. Lediglich während Bodden zusammenwuchsen. Zwar wäre auch der Völkerwanderungszeit konnte der Wald in dieses Gebiet von Natur aus von Buchenwäldern größerem Umfang zurückkehren (Knapp, 2008). beherrscht, doch wurden die Eichen-Ulmen-Lin- denwälder der Mittleren Wärmezeit hier frühzeitig Landwirtschaft und Fischerei prägten seit dem zurückgedrängt und die ursprüngliche Waldwild- Mittelalter das Bild dieser außerordentlich viel- nis zur Kulturlandschaft gewandelt. gestaltigen Kulturlandschaft, in der als einzige zusammenhängende Waldgebiete die im Besitz Nicht nur die Menschen der spätmesolithischen des Hauses Putbus befindlichen Wälder der In- -Kultur (etwa 5 500 bis 3 000 Jahre vor sel Vilm, der Goor, des Zargelitzer Forstes und Chr.) fanden an den Küsten der neu entstan- der Granitz überdauerten. Mit der Entwicklung denen Inseln als Fischer, Jäger und Sammler von Putbus zum Residenzstädtchen und Bade- günstige Lebensbedingungen, sondern vor ort durch den Fürsten Wilhelm Malte von Putbus allem die um 5 000 vor heute einwandernden (1783-1854) erfuhr die umgebenden Kulturland- Ackerbauern der neolithischen Trichterbecher- schaft durch bewusste Landschaftsgestaltung kultur ließen sich in der siedlungsfreundlichen eine ästhetische Aufwertung, die in Teilen bis Landschaft rings um den Rügischen Bodden heute wirksam ist (Jeschke & Knapp, 2007; sesshaft nieder und rangen im Gefolge von Knapp, 2010; Abb. 11).

69 Mit der Aufforstung von Heiden und Hutungen Hans Bibelriether populär gemacht und ein und mit der Entwicklung des Badetourismus Durchbruch zur für nutzungsfreie Natur er- an den Außenküsten Südost-Rügens seit Mit- reicht. te des 19. Jahrhunderts wandelte sich das Bild der alten Kulturlandschaft allmählich. Mit dem 5) Das nach dem Vorbild des Bayerischen einschneidenden Strukturwandel der Landwirt- Waldes entwickelte ostdeutsche National- schaft in jüngerer Vergangenheit erfuhr diese parkprogramm von 1990 stellte in bisher Landschaft weitere Veränderungen (Knapp, in Deutschland nicht praktiziertem Umfang 2010, 2013). Für das Biosphärenreservat Süd- Flächen zur Entfaltung natürlicher Dynamik ost-Rügen bestehen die Herausforderung und bereit und verlieh der Nationalparkbewe- zugleich die Chance, diese einzigartige Kultur- gung und dem Wildniskonzept in Deutsch- landschaft unter Einschluss von wenigen Natur- land kräftigen Schub. entwicklungsflächen auch unter den veränder- ten Rahmenbedingungen einer globalisierten 6) Seit Mitte der 1990er Jahre ist ein Bewusst- Welt in ihrer Vielfalt, Eigenart und Schönheit seinswandel in Bezug auf Wildnis zu ver- als Modellregion nachhaltigen Wirtschaftens zu zeichnen. Wildnis erfuhr einen positiven pflegen und zu entwickeln, damit auch künfti- Bedeutungswandel und ist mittlerweile zu ge Generationen Heimat und Besucher Ent- einem Modetrend geworden. spannung und Erkenntnis in ihr finden können (Abb. 12). 7) Mit dem Nationalen Naturerbe werden in nennenswertem Umfang Flächen für Natur- wald- und Wildnisentwicklung vorgehalten. FAZIT IN 11 THESEN Es manifestiert sich die Erkenntnis, dass dafür die Artenvielfalt weniger bedeutsam 1) Die Forderung, nach nutzungsfreier Wildnis ist als die Fläche, auf der sich Natur frei von wurde bereits in der Frühphase des Natur- Nutzung und Biotop­pflege entwickeln kann. schutzes in Deutschland formuliert. Im Ver- lauf der weiteren Geschichte konnte dieser 8) Mit der Formulierung von Zielen für Wildnis Ansatz aufgrund der Vorherrschaft utilitaris- und Naturwaldentwicklung in der Nationa- tischen Denkens sowie des juristisch ma- len Strategie zur biologischen Vielfalt 2007 nifestierten Nutzungsvorbehalts von Land- wird den dramatischen Veränderungen von und Forstwirtschaft in Naturschutzgebieten Natur und Landschaft unter dem Einfluss in- jahrzehntelang nicht realisiert werden. dustrialisierter Landnutzung und unter dem Einfluss globalen Wandels Rechnung getra- 2) Schwerpunkt und Hauptbetätigungsfeld gen und ein Paradigmenwechsel im Natur- des Naturschutzes war und ist die von Nut- schutz Leitbildern eingeleitet. zungen geprägte Kulturlandschaft. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wur- 9) Wildnisentwicklung ist unabhängig vom Aus­ den die durch Vielfalt, Eigenart und Schön- gangszustand einer Fläche. Sie kann als pri- heit ausgezeichneten Kulturlandschaften märe Sukzession auf neu entstehendem Land zum agrar-industriellen Produktionsraum ablaufen, ebenso aber auch als sekundäre so grundlegend umgestaltet, dass die ur- Sukzession auf ehemaligen Truppenübungs- sprünglichen Schutzgegenstände verloren plätzen, aufgelassenen Äckern oder in wieder- gingen und Naturschutz de facto auf der vernässten Feuchtgebieten. Die Zeit nicht be- Fläche gegenstandslos wurde. einflusster Entwicklung ist der entscheidende Parameter für den Natürlichkeitsgrad, der mit 3) Die früh formulierte Idee zur Einrichtung jedem Jahr der Nichtnutzung zunimmt. Zeit ernsthafter Waldschutzgebiete wurde zwei ist durch nichts ersetzbar, sie kann auch nicht Jahrzehnte später mit der Entwicklung ei- beschleunigt werden. Wildnis kann nicht „ge- nes Systems von Totalreservaten in Wäldern schaffen“ oder „gemacht“ werden. Wir – die im Osten, ein weiteres Jahrzehnt später mit Gesellschaft – können ihr nur Raum und Zeit Einrichtung von Naturwaldreservaten auch geben, sich selber zu entwickeln, ohne durch im Westen Deutschlands realisiert. Nutzungen oder Pflege in Anspruch genom- men oder gesteuert zu werden. 4) Mit der Entwicklung des ersten deutschen Nationalparks „Bayerischer Wald“ wur- 10) Die dauerhafte Sicherung der letzten Rest- de das Prinzip „Natur Natur sein lassen“ wildnis unseres Planeten und das Zulassen als Naturschutzziel in Deutschland durch neuer Wildnis in entsprechend gewidmeten

70 und gesicherten Gebieten wird zukünftig Jeschke, L., Schmidt, H. & G. Klafs (1978): Das der wichtigste Beitrag des Naturschutzes Naturschutzgebiet Darss. 46 S., Putbus. zur Erhaltung bzw. Regeneration der Funkti- Jeschke, L. & H. D. Knapp (2007): Die Goor. onsfähigkeit der Biosphäre sein. Dafür sind Natur-Landschaft-Kulturerbe. Hinstorff, Nationalparke, Strenge Schutzgebiete und Rostock, 108 S. Wildnisgebiete (IUCN Kategorien II, Ia, Ib) Kaiser, K. & R. Lampe (2009): Erdgeschichtliche geeignete und international bewährte Inst- Entwicklung. In: Billwitz, K. u. H. Porada rumente. (Hr.) Die Halbinsel Fischland–Darss–Zingst und das Barther Land. Landschaften 11) Der Wandel von agrar-industriellen Produk- Deutschlands Band 71: 6-13, Köln, Wei- tionsräumen zu neuen Kulturlandschaften mar, Wien. und die Besinnung auf Kultur im Umgang Knapp, H. D. (2000): „Wildnis“ – Feindbild, Hei- mit Nutzungslandschaften gehören zu den ligtum und Herausforderung. Nationalpark größten gesellschaftlichen Herausforde- Nr. 109, Sonderheft zum WNPC: 12-16. rungen des 21. Jahrhunderts in globalem Knapp, H. D. (2008): Rügens Frühe Geschichte. Maßstab. Biosphärenreservate haben sich In: Petrick, F. (Hrsg.), Rügens Geschichte als bewährtes Konzept zur Entwicklung von von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. Modellregionen zur dauerhaft tragfähigen 1, 124 S., Putbus. Entwicklung von bewohnten, kultivierten Knapp, H. D. (2010): Landschaftswandel und Landschaften etabliert. Naturschutz. In: Petrick, F. (Hrsg.), Rügens Geschichte von den Anfängen bis zur Ge- genwart, Teil 4: Rügens Preußenzeit 1815- LITERATUR 1945: 115-129, Putbus. Knapp, H. D. (2013): Naturschutz und Land- Biederstaedt, F. (2011): Die wechselvolle Ge- schaftswandel. In: Petrick, F. (Hrsg.): Rü- schichte der Stubnitz auf Rügen. Elmen- gens Geschichte von den Anfängen bis zur horst, Edition Pommern, 112 S. Gegenwart, Bd. 5, Rügens Zeitgeschichte BMU (2007): Nationale Strategie zur biologi- seit 1945, S. 124-136. schen Vielfalt. Berlin. Lange, E., Jeschke, L. & H. D. Knapp (1986): Finck, P., Klein, M. & U. Riecken (2013): Wild- Die Landschaftsgeschichte der Insel Rü- nisgebiete in Deutschland – von der Vision gen seit dem Spätglazial. Schriften zur Ur- zur Umsetzung. Natur u. Landschaft 88/8: und Frühgeschichte Band 38, 175 S., 10 342-346. Tafeln u. Beilagen. Haber, W. (2006): Kulturlandschaften und die Pa- Möller, A. (1922): Der Dauerwaldgedanke, sein radigmen des Naturschutzes. Stadt+Grün Sinn und seine Bedeutung In: Bode, W., 12: 20-24. Kommentierter Reprint. J. Springer Verlag Hesmer, H. (1934): Naturwaldzellen. Der deut- (Oberteuringen). sche Forstwirt Bd. 16 (13/14): 133-143. Succow, M., Jeschke, L. & H. D. Knapp (Hg.) Historische Kommission (1996): Die schwedi- (2012): Naturschutz in Deutschland. Ch. sche Landesaufnahme von Vorpommern Links Verlag Berlin, 333 S. 1692-1709. Texte. Herausgegeben von der Succow, M. & L. Jeschke (2015): Mehr Wildnis Historischen Kommission für Pommern wagen. In: U. E. Simonis, Sommer, J. & E. in Verbindung mit dem vorpommerschen U. von Weizsäcker (Hg.), Re-Naturierung. Landesarchiv Greifswald. Ortsbeschrei- Jahrbuch für Ökologie 2015: 21-28. bungen Band 2, Insel Rügen, Teil I, Halbin- Terberger, T. (2009): Ur- und Frühgeschichte. In: sel Jasmund. Greifswald, 228 S. Billwitz, K. u. H. Porada (Hr.) Die Halbin- Historische Kommission (1996): Die schwedi- sel Fischland-Darß-Zingst und das Barther sche Landesaufnahme von Vorpommern Land. Landschaften Deutschlands Band 1692-1709. Texte. Herausgegeben von der 71: 59-63, Köln, Weimar, Wien. Historischen Kommission für Pommern Thassler, O., Gloris, H.-P. & H. D. Knapp (2014): in Verbindung mit dem vorpommerschen Die Schwedische Matrikelkarte als Archiv Landesarchiv Greifswald. Ortsbeschrei- der Landschaftsgeschichte. RUGIA Rü- bungen Band 2, Insel Rügen, Teil I, Halbin- gen-Jahrbuch 2015: 20-28. sel Jasmund. Greifswald, 228 S. Wetekamp, W. (1901): Rede des Abgeordne- Jeschke, L. (1964): Die Vegetation der Stubnitz ten Oberlehrer Wetekamp im preußischen (Naturschutzgebiet Jasmund auf der Insel Abgeordnetenhaus am 30. März 1898. Ab- Rügen). Natur und Naturschutz in Meck- handlungen des naturwiss. Vereins zu Bre- lenburg 2, 1-135. men, Bd. 15: 258-261.

71 Nationalpark unter Wasser – Marine Lebensräume in Ostsee und Bodden Christof Herrmann, Mario von Weber, Kristin Zscheile und Fritz Gosselck

Der Nationalpark Vorpommersche Boddenland- biet umfasst Teile des Greifswalder Boddens, mit schaft – mit 786 Quadratkilometern das größte dem Bodden verbundene Strandseen sowie Ge- Schutzgebiet Mecklenburg-Vorpommerns – be- wässerbereiche der Pommerschen Bucht. steht zu mehr als 80 Prozent aus Wasserflächen. Davon werden 416 Quadratkilometer von der Ostsee bedeckt, die Boddengewässer nehmen SALZGEHALT, EXPOSITION, 236 Quadratkilometer ein. Die marinen Flächen- LICHT UND SUBSTRAT anteile des Nationalparks Jasmund sind zwar deutlich kleiner, sie beherbergen aber Lebens- Prägende Faktoren räume und Artengemeinschaften, welche in die- der marinen Lebensräume ser Ausprägung an der deutschen Ostseeküste Die Besiedlung der Ostsee und der Boddenge- einmalig sind. wässer wird in erster Linie durch den Salzgehalt Das Biosphärenreservat Südost-Rügen ist zu mehr bestimmt. Dieser unterliegt den Wasseraus­ ­ als der Hälfte von Wasser bedeckt. Das Schutzge- tausch­prozessen zwischen Nord- und Ostsee

Abb. 1: Klassifizierung der äußeren und inneren Seegewässer Mecklenburg-Vorpommerns nach dem Salzgehalt (nach IfAÖ, 2003).

72 Abb. 2: Torfe und Holzreste am Meeresgrund zeugen von der wechselhaften Geschichte der Ostsee. Die Gebiete westlich des Darß waren einstmals von Wäldern bedeckt, die im Zuge der Litorina-Transgression im Meer ertranken. und der Zufuhr von Süßwasser aus den Flüssen. Küsten zu den Hauptwindrichtungen und die Die Darßer Schwelle, die als unterseeische Er- Streichlängen des Windes über offenem Wasser hebung zwischen dem Darß und der Küste von bestimmen den Expositionsgrad. Die marinen verläuft, bildet ein Hindernis für den Was- Lebensräume vor den Außenküsten sind den sereinstrom in die innere Ostsee. In den Küsten- Kräften von Wind, Wellen und Strömungen am gewässern Mecklenburg-Vorpommerns westlich stärksten ausgesetzt. Die Innenküsten unterlie- der Darßer Schwelle beträgt der Salzgehalt des gen diesen Kräften in abgeschwächter Form. Wassers 10-18 Promille (alpha-mesohalin, siehe Je nach Ausrichtung zur Hauptwindrichtung Salinitätsskala in Abb. 1). In diese Salinitätskate- und Mündungsweite des Gewässers zur Ostsee gorie fällt der schmale Gewässerstreifen des Na- sind sie „geschützt“ (Orte mit begrenzter Wind- tionalparks Vorpommersche Boddenlandschaft wirklänge und/oder begrenztem Fenster zum entlang des Westdarß. Der überwiegende Teil offenen Meer) bis „ultra-geschützt“ (ganz ein- der Ostseegewässer der beiden Nationalparke geschlossen mit einer Windwirklänge bis maxi- und des Biosphärenreservates ist jedoch von mal 100 Meter). Da der Salzgehalt zwischen den Salzgehalten im Bereich fünf bis zehn Promille äußeren Küstengewässern und den Bodden mit gekennzeichnet (beta-mesohalin). Die Salinität geringer Süßwasserzufuhr keine gravierenden der Boddengewässer liegt – je nach der Menge Unterschiede zeigt, ist das wesentliche Unter- zufließenden Süß- und Salzwassers schwankend scheidungskriterium die Exposition, die wiede- – im Bereich von 0,5-10 Promille (oligo- bis beta- rum die Ablagerung von Sedimenten und damit mesohalin; Abb. 1). die Zusammensetzung der Bodensubstrate be- Das Meer formt die Küsten der südlichen Ost- einflusst. see. Mit Ausnahme der Ästuare sind alle ma- rinen Lebensräume das Ergebnis des Küs- Die Beschaffenheit der Substrate des Meeres- tenausgleichs. Jeder Eingriff in die natürliche grundes ist vom Relief, von der Wassertiefe und Dynamik des Küstenausgleiches wirkt sich auf von der Exposition abhängig. Den Ursprung der die charakteristischen abiotischen Merkmale Substrate in den Küstengewässern Mecklen- der marinen Lebensräume aus. Die Lage der burg-Vorpommerns bilden überwiegend eiszeit-

73 liche Geschiebe. Eine Ausnahme stellen die etwa Für die Beschreibung und Abgrenzung mari- 70 Millionen Jahre alten Kreideschollen vor dem ner Lebensräume ist weiterhin das Relief von NLP Jasmund dar, die als ursprüngliches Gestein Bedeutung. So werden z. B. Sandbänke als Er- durch den Druck des Eises während der letzten hebungen des Meeresbodens definiert – im Un- Eiszeit an die Oberfläche gelangten. Durch Ero- terschied zu Seesandplatten, welche aus dem sion und Umlagerungsprozesse werden die Ge- gleichen Substrat bestehen, jedoch eben sind. schiebe fortlaufend verändert und überprägt. Sande und Kiese werden abgetragen, durch Ein weiterer wesentlicher ökologischer Faktor Strömungen umgelagert und sortiert. Zurück der Gewässer ist die Lichtdurchlässigkeit des bleiben Restsedimente – grobe Sande, Kies, Ge- Wasserkörpers. Sie bestimmt die Tiefe der unte- röll und Blöcke. Die größeren Gerölle und Blö- ren Bewuchsgrenze der submersen Vegetation. cke sowie Geschiebemergel und Kreide bilden Die Lichtdurchlässigkeit der Küstengewässer die einzigen natürlichen Hartböden in der süd- Mecklenburg-Vorpommerns hat sich durch den lichen Ostsee. Feinsande und Schlicke werden Eintrag von Pflanzennährstoffen (Eutrophierung) in größeren Tiefen oder in strömungsarmen Be- im vergangenen Jahrhundert deutlich verändert. reichen abgelagert. Mit zunehmender Tiefe und Die Verfügbarkeit von Nährstoffen fördert die abnehmender Wasserbewegung erhöht sich der Entwicklung des Planktons und führt dadurch Schlickgehalt der Sande; in den tieferen Becken zu einer stärkeren Trübung mit der Folge des bedeckt Schlick den Meeresboden. In besonders Rückganges des Makrophytengürtels bis hin geschützten Bereichen an der Küste lagert sich zum Verschwinden von Pflanzengemeinschaf- Material ab, welches aus dem Abtrag von Abra- ten und Arten. sionsküsten stammt. Es entstehen Sandbänke, Sandhaken und Windwatten. Neben den eiszeit- lichen Geschieben gibt es jedoch auch Meeres- DIE KLASSIFIZIERUNG bodenbereiche mit Substraten holozänen (nach- DER MARINEN LEBENSRÄUME eiszeitlichen) Ursprungs. Vor etwa 8 000 Jahren führte der warmzeitliche Klimawandel zu einem Auf der Grundlage der genannten Faktoren wer- raschen Anstieg des globalen Meeresspiegels. den die marinen Lebensräume definiert und ab- Der Wasserspiegel der Ostsee stieg innerhalb gegrenzt. Je nach Wichtung der Faktoren und von wenigen Jahrhunderten um über 20 Meter Detaillierungsgrad können die Klassifizierungs- an. Diese Phase der Ostseeentwicklung wird als systeme voneinander abweichen. Für die Ostsee Litorina-Transgression bezeichnet. In deren Fol- insgesamt wurde 1998 durch die Helsinki-Kom- ge kam es zur Überflutung von Landflächen. Da- mission (HELCOM) mit der „Red List of marine von zeugen noch heute Baumstümpfe und um- and coastal biotopes and biotope complexes of gestürzte Bäume am Meeresgrund, wie sie z. B. the , Belt Sea and Kattegat“ erstmalig zwei Kilometer westlich des Darß gefunden wur- ein Klassifizierungssystem vorgelegt (HELCOM, den, oder auch anstehende Torfe auf dem Mee- 1998) und im Jahr 2013 überarbeitet (HELCOM, resboden (Abb. 2). Aus überfluteten Dünen konn- 2013). Für Mecklenburg-Vorpommern veröffent- ten Sandbänke entstehen (Leipe et al., 2011). lichte das Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie im Jahr 2011 eine „Anleitung für Neben den beschriebenen geogenen Substra- die Kartierung von marinen Biotoptypen“ (LUNG ten kann der Meeresgrund auch von biologisch M-V, 2011). Abbildung 3 zeigt das Schema der entstandenen Substraten bedeckt sein. In der Biotopklassifizierung, welches dieser Anlei- Ostsee sind dies vor allem Miesmuscheln (Myti- tung zugrunde liegt. Weitere Lebensraumdefi- lus edulis) sowie Großalgen und submerse Blü- nitionen, die für die heutige Naturschutzpraxis tenpflanzen (Makrophyten), in Ästuaren kann von Bedeutung sind, liefert die Fauna-Flora- auch die Wandermuschel (Dreissena polymor- Habitat (FFH)-Richtlinie. Diese 1992 von der pha) Muschelbänke bilden. EU-Kommission erlassene Richtlinie listet auch marine Lebensraumtypen auf, für die besonde- Auch wenn Gezeiten in der Ostsee kaum spür- re Schutzverpflichtungen der Mitgliedsstaaten bar sind, treten aperiodische, witterungsab- gelten. In Mecklenburg-Vorpommern kommen hängige Wasserstandschwankungen auf, die sechs marine Lebensraumtypen der FFH-Richt- für die Lebensräume zwischen den Hoch- und linie vor (siehe Abb. 7). Niedrigwasserlinien von entscheidender Be- deutung sind. Bei entsprechenden Wetterlagen Die genannten Klassifizierungssysteme sind fallen flache Küstenabschnitte im Bereich von überwiegend kompatibel, d. h. die nach einem Anlandungszonen und auf der Schorre trocken Klassifizierungssystem beschriebenen Lebens- – es entstehen so genannte Windwatten. räume lassen sich den Lebensräumen eines

74 Abb. 3: Schema der Klassifizierung mariner Biotoptypen in den Küstengewässern Mecklenburg-Vorpommerns. anderen Systems zuordnen, wobei der Grad Mit abnehmendem Salzgehalt sinkt die Zahl der jeweiligen Differenzierung variieren kann. der marinen Arten rasch. Im Bereich von 10-18 Für die Charakterisierung der Lebensräume in Promille (α-mesohalin) treten die ersten salzto- den Nationalparken und im Biosphärenreservat leranten limnischen Arten in Erscheinung. Die werden in diesem Beitrag die Lebensraumbe- meisten limnischen Arten sind jedoch gegen- zeichnungen der FFH-Richtlinie verwendet, die über höheren Salzgehalten empfindlich. Viele sich den Biotopbeschreibungen nach der Kar- Arten erreichen ihre Verbreitungsgrenze schon tieranleitung M-V eindeutig zuordnen lassen. bei weniger als drei Promille; nur einzelne Arten Die Beschreibung der Lebensräume, die in der können in Salinitätsbereiche von mehr als acht FFH-Richtlinie nicht gelistet sind, erfolgt nach Promille vordringen. Die geringe Toleranz mariner der Biotopkartieranleitung M-V. Arten gegenüber niedrigen Salinitäten, die hohe Empfindlichkeit limnischer Arten gegenüber dem Die Besiedlung Faktor Salzgehalt sowie die geringe Anzahl von der marinen Lebensräume Arten, die an das Brackwasser in besonderer Der Wasserkörper der Ostsee ist durch die Ver- Weise angepasst sind, führen zu einem Arten- mischung von Meerwasser, welches aus der minimum bei Salzgehalten von ungefähr fünf bis Nordsee einströmt, und Süßwasser aus den ein- acht Promille (Remane, 1934; Kinne, 1971). Für mündenden Flüssen geprägt. Wasserkörper, die planktische Organismen trifft das Artenminimum aus der Vermischung von Meer- und Süßwasser allerdings nicht zu. Das Phytoplankton (Blaual- entstehen, werden allgemein als Brackwasser gen, einzellige Grünalgen, Kieselalgen u. a.) zeigt bezeichnet. Brackwasserlebensräume sind na- in diesem Salinitätsbereich sogar ein Artenmaxi- türlicherweise durch eine Artenarmut der grö- mum, und auch für ein- und mehrzellige tierische ßeren wirbellosen Bodenbewohner (Makrozoo- Plankton-Organismen gilt die Artenminimum-Re- benthos) gekennzeichnet. Das Artenspektrum gel nicht (Telesh et al., 2011). wird sowohl durch marine als auch limnische Arten geprägt. Nur wenige Arten sind spezifisch Eine besondere Anpassung mariner Arten an das an die Lebensbedingungen des Brackwassers Leben im Brackwasser ist die Größenreduktion, angepasst und haben in diesem Lebensraum die z. B. bei Muscheln besonders auffällig ist. ihre Hauptverbreitung. Dazu gehören z. B. der Miesmuscheln, Herzmuscheln (Cerastoderma Keulchenpolyp Cordylophora caspia, die Assel glaucum) und Sandklaffmuscheln (Mya arenaria) Idotea chelipes, die Baltische Plattmuschel Ma- sind in der Nordsee viel größer als in der Ostsee; coma balthica (Abb. 4a) sowie der Meeresrin- innerhalb der Ostsee nimmt ihre Größe von West gelwurm Hediste diversicolor (Abb. 4d; Arndt, nach Ost ab. Auch einige marine Fische zeigen 1964). Die ursprünglich an der Ostküste Nord- diese Größenreduktion (z. B. Scholle Pleuronec- amerikas heimischen, heute jedoch auch in der tes platessa, Steinbutt Scophthalmus maximus, Ostsee weit verbreiteten Borstenwürmer der Kliesche Limanda limanda; Arndt, 1964). Gattung Marenzelleria sind ebenfalls charakte- ristische Brackwasserarten. Unter den Pflanzen Zur Fauna der Ostsee gehören weiterhin einige gehört der Brackwasser-Hahnenfuß (Ranuncu- Reliktarten aus der Eiszeit bzw. nacheiszeitlichen lus baudotii) in diese Gruppe. Entwicklungsperioden. Es handelt sich dabei um

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Abb. 4a-f: Wirbellose Tiere der Ostsee. a) Baltische Plattmuschel (Macoma balthica); b) Miesmuscheln (Mytilus edulis) mit Aufwuchsorganismen. Zu erkennen sind Seepocken (Balanus improvisus) und der Polyp Gonothyraea loveni; c) Sandkot- haufen des Wattwurms (Arenicola marina); d) Meeresringelwurm (Hediste diversicolor); e) Schlickkrebs (Corophium voluta- tor); f) Strandkrabbe (Carcinus maenas).

76 Abb. 5: Die Schwarzmundgrundel (Neogobius melanostomus) wurde erst in jüngerer Zeit aus dem Schwarzen und Kaspi- schen Meer in die Ostsee eingeschleppt. eingewanderte Arten der arktischen Fauna, die in MARINE LEBENSRÄUME der Ostsee heute noch isolierte Vorkommen be- DER NATIONALPARKE sitzen. Dazu gehören die Assel Saduria entomon, der Flohkrebs Monoporeia affinis, der Ruderfuß- UND DES BIOSPHÄRENRESERVATS krebs Limnocalanus grimaldii und der Priapswurm Halicryptus spinulosus (Segerstråle, 1957). Riffe, Sandbänke und Seesandplatten Als Riffe werden in der Ostsee vom Meeresbo- In jüngerer Zeit wird das Artenspektrum der Küs- den aufragende Hartsubstrate bezeichnet. In den tengewässer Mecklenburg-Vorpommerns zu- äußeren Küstengewässern der südlichen Ostsee nehmend auch durch Arten geprägt, die aus an- werden die Riffe überwiegend von Hinterlassen- deren Regionen der Erde eingeschleppt wurden. schaften der Eiszeit gebildet. Sie bestehen aus Allein aus der Gruppe der Wirbellosen wurden Moränenrücken und Restsedimentflächen mit in der deutschen Ostsee bisher 65 Arten dieser Blöcken, Geröllen sowie Kies- und Grobsand- so genannten Neobiota nachgewiesen (Schanz, bereichen, die den im Untergrund anstehenden pers. Mitt.). Dazu gehören die heute in den Bod- glazialen Geschiebemergel überdecken (Schwar- dengewässern um Rügen häufige, ursprünglich zer et al., 2008). Eine Besonderheit stellen die aus Nordamerika stammende Zuiderzeekrabbe Riffstrukturen vor der Halbinsel Jasmund dar, (Rhithropanopeus harrisii), die Neuseeländische die durch aufragende Kreideschollen gebildet Deckelschnecke (Potamopyrgus antipodarum) werden und damit keine glazialen Ablagerungen sowie die bereits erwähnten Borstenwürmer der sind (Abb. 6). Auch lokal vorhandene Miesmu- Gattung Marenzelleria. Letztere wurden erst um schelbänke werden den Riffen zugeordnet. Da 1990 mit dem Ballastwasser von Schiffen ein- das Hartsubstrat in diesem Fall durch biologi- geschleppt (Bick & Burckhardt, 1989). Sie sind sche Prozesse entstanden ist, spricht man von heute auf sandigen und schlickigen Böden oft- biogenen Riffen. mals in hoher Dichte und Biomasse anzutreffen. Unter den Fischen ist die aus dem Schwarzen Vor dem Westdarß liegen die Riffe der Darßer und Kaspischen Meer stammende Schwarz- Schwelle, die aber nicht in das Gebiet des Na- mundgrundel (Neogobius melanostomus) be- tionalparks Vorpommersche Boddenlandschaft sonders auffällig (Abb. 5). Diese Art wurde 2002 hineinragen (Abb. 7). Nördlich des Nationalparks erstmalig in den Küstengewässern Mecklen- liegt der Plantagenetgrund – ein ausgedehntes burg-Vorpommerns nachgewiesen und hat sich Riffgebiet mit anstehendem Mergel und großflä- seitdem stark ausgebreitet (Skora et al., 2003). chigen Steinpackungen, die mit Miesmuscheln

77 bewachsen sind. Diese bilden eine wichtige Nah- reiche, bunte Gemeinschaft von sessilen Auf- rungsgrundlage für Meeresenten, insbesondere wuchsarten, u. a. Großalgen, Miesmuscheln, Eisenten (Clangula hyemalis), Eiderenten (So- Seepocken (Balanus improvisus; Abb. 4b) und materia mollissima) und Trauerenten (Melanitta Moostierchen (Bryozoa). Seenelken (Metridi- nigra), die dort in den Wintermonaten in großen um senile) und Manteltiere (Tunikaten) kommen Zahlen rasten (IfAÖ, 2005). Die Riffstrukturen im noch bis in die tiefe, salzreiche Kadetrinne vor, südlichen Bereich des Plantagenetgrunds befin- auf den Riffen der Nationalparke und des Bio- den sich innerhalb des Nationalparks, der größe- sphärenreservats, die in Wassertiefen von bis zu re Teil liegt jedoch außerhalb. zehn Metern liegen und deren Salzgehalt deut- lich niedriger ist, fehlen sie jedoch. Als Makroal- Besonders beeindruckende Riffe mit großen, gen dominieren im Flachwasser bis zwei Meter dicht gelagerten Blöcken und Steinen und viel- Tiefe Grünalgen der Gattungen Cladophora, En- fältigem Makrophytenbewuchs finden sich vor teromorpha und Monostroma sowie einjährige dem Nordteil der Insel Hiddensee sowie vor Rotalgen (Polysiphonia fucoides), in den tiefe- Jasmund. Diese Riffe erstrecken sich teilweise ren Bereichen bis zehn Meter Braun- (Pilayella bis in Wassertiefen von 15 bis 20 Metern. Vor littoralis, vereinzelt Chorda filum, Abb. 13a) und der Halbinsel Jasmund schließen sie auch auf- Rotalgen (Ceramium spp., Furcellaria lumbri- ragende Kreideschollen ein (siehe Abb. 6). calis, vereinzelt Aglaothamnion tenuissimum und Coccotylus truncatus). Auf den Riffen vor Entlang der Steilküsten des Biosphärenreserva- Wittow und Jasmund wachsen teilweise noch tes Südost-Rügen ziehen sich teils ausgedehnte ausgedehnte Bestände des Zuckertangs (Sac- Riffstrukturen hin. Südlich der Halbinsel Thiessow charina latissima, früher: Laminaria saccharina, erstrecken sich die Riffe der Boddenrandschwel- Abb. 13b). Diese dekorative Großalge erreicht le. Diese unterseeische Erhebung ist der Rest ei- dort ihre östliche Verbreitungsgrenze in der Ost- nes Moränenrückens, welcher einstmals Südost- see. Der in der südlichen Ostsee ehemals häufi- Rügen mit dem Nordteil Usedoms verband. ge Blasentang (Fucus vesiculosus, Abb. 13c) ist noch an Steinen im Flachwasser der Außenküs- Die exponierten Hartböden der Riffe bieten ei- te und in den Bodden zu finden, aus den tieferen nen vielgestaltigen Lebensraum für eine arten- Bereichen ist er jedoch nahezu vollständig ver-

Abb. 6: Aufragende Kreideschollen sind eine Besonderheit der Riffstrukturen vor der Halbinsel Jasmund, hier mit dichtem Aufwuchs von Miesmuscheln und Algen.

78 Abb. 7: Die Verbreitung von Lebensraumtypen nach der FFH-Richtlinie in den Gewässern der Nationalparke Vorpommer- sche Boddenlandschaft und Jasmund sowie des Biosphärenreservates Südost-Rügen.

Abb. 8 und 9: Die Riffe der Ostsee sind vom Meeresboden aufragende Hartsubstrate, wie z. B. Gerölle. Die Hartsubstrate sind überwiegend dicht mit Miesmuscheln und Algen bewachsen. schwunden. Die Ursachen des Rückgangs sind nia crustulenta) besiedelt. In Spalten zwischen unklar, die hohe Nährstoffbelastung der Ostsee den Steinen sowie auf Sandflächen leben die ist jedoch wahrscheinlich ein maßgeblicher Fak- Strandkrabbe (Carcinus maenas, Abb. 4f), die tor. Das Phytal – der Lebensraum der Großal- Nordseegarnele (Crangon crangon) sowie Bors- gen - wird durch Polypenstöcke (Hydrozoa), tenwürmer (Polychaeten und Oligochaeten). Auf Flohkrebse (Gammarus spp.), Meeresasseln Steinen siedeln Miesmuscheln und Seepocken (Idotea chelipes, I. balthica), Schwebegarnelen (Abb. 8 und 9). Die Lebensgemeinschaften der (Neomysis integer), Schnecken (Hydrobia ulvae, Riffe dienen Fischen als Laich- und Aufwuchs- Littorina saxatilis) und Moostierchen (Einhor- platz sowie Wasservögeln als Nahrungsgebiet.

79 Den Lebensraumtyp Sandbänke findet man im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft unmittelbar nördlich des Darßer Orts. Auch die Prerowbank – etwa fünf Kilometer nordöstlich von Prerow gelegen – gehört zu diesem Lebens- raumtyp (Abb. 7). Im Nationalpark Jasmund gibt es keine Sandbänke. Im Biosphärenreservat Süd- ost-Rügen sind die tiefer gelegenen, ständig was- serbedeckten Bereiche des Nehrungshakens an der Nordostspitze der Insel Vilm als Sandbank zu klassifizieren. Sandbänke sind ständig wasserbedeckte Erhe- bungen mit einer deutlichen Hangneigung zum flachen Meeresgrund, die vollständig aus Sand bestehen. Sie entstehen typischerweise als Er- Abb. 10: Rippelstrukturen sind für Sandböden in flacheren gebnisse des Küstenausgleichs. Sand, der in Gewässerbereichen charakteristisch. Mitunter geben Kiesel- einer Abrasionszone abgetragen und mit dem algen (Diatomeen) dem Sand eine vielfältige Färbung. küstenparallelen Strom transportiert wird, la- gert sich in einer Stillwasserzone ab. Auf diese Weise sind die Sandbänke am Darßer Ort sowie schen einem und mehreren Metern. In den ex- an der Nordostspitze der Insel Vilm entstanden. ponierten Abschnitten auf dem Plateau bzw. an Die Prerow-Bank entstand hingegen durch die der Luvseite der Sandbänke wird das Sediment Ablagerung von marinen Fein- bis Grobsanden immer wieder umgelagert. auf den Resten eines „ertrunkenen“ pleistozä- nen Moränenrückens, der verbreitet aus Stau- Sandbänke sind in der Regel frei von Makrophy- beckensanden besteht (Naumann, 2012). Die ten, werden aber u. a. von Kieselalgen (Abb. 10) Mächtigkeit dieser Ablagerungen schwankt zwi- und einer arten- und individuenreichen Bodenfau-

Abb. 11: Die Tiere der Sandböden sind oftmals perfekt getarnt, wie z. B. die Flunder (Platichthys flesus).

80 Abb. 12: Vorkommen des Gemeinen Seegrases (Zostera marina) und des Zwerg-Seegrases (Zostera noltii) an Probepunkten im Bereich der Küstengewässer um die Halbinsel Darß-Zingst sowie die Insel Rügen. na besiedelt. Eine charakteristische Art schlickar- typ als „Meeresboden mit Fein- bis Mittelsan- mer, extrem exponierter Sande ist der Sandfloh- den der äußeren Küstengewässer der Ostsee krebs (Bathyporeia pilosa). In weniger exponierten östlich der Darßer Schwelle“ klassifiziert. Die- Sanden mit unterschiedlich hohem Schlickgehalt ser Lebensraum ist im Anhang der FFH-Richt- siedeln hingegen Schlickkrebse (Corophium vo- linie nicht aufgeführt, d. h. es bestehen nach lutator, Abb. 4e) sowie verschiedene Borsten- europäischem Recht keine besonderen Schutz- würmer (Hediste diversicolor, Ophelia rathkei, verpflichtungen. Er gehört auch nicht zu den Ophelia limacina, Travisia forbesii, Pygospio ele- gesetzlich geschützten Biotopen gemäß § 30 gans, Scoloplos armiger). Charakteristisch ist der Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG). Mee- meist dichte Bestand von Sandklaffmuscheln, resboden mit Fein- und Mittelsanden kommt Lagunen-Herzmuscheln (Cerastoderma glaucum), von 0,5 bis etwa 10 Meter Tiefe in exponierten Baltischen Plattmuscheln und driftenden Miesmu- Anlandungsbereichen (Nehrungen) unterhalb scheln, die die Nahrungsbasis für Fische (Abb. 11) der Windwatten und Sandbänke sowie auf Mo- und rastende bzw. überwinternde Tauchenten ränenrücken vor. Die Sandböden sind überwie- bilden. Da sich die biomassereichen Muschelbe- gend makrophytenfrei und werden von einer stände in geringen Wassertiefen befinden und die artenarmen Lebensgemeinschaft wirbelloser Muscheln aufgrund des niedrigen Salzgehaltes Meerestiere besiedelt, die starke Schwankun- recht klein sind, sind sie für Meeresenten leicht gen des Salzgehaltes vertragen. Eine charakte- erreichbar und gut aufzunehmen (IfAÖ, 2005). ristische Art exponierter Bereiche mit ständigen Sedimentumlagerungen ist der Sandflohkrebs Der größte Teil der Meeresbodenfläche des Na- (Bathyporeia pilosa). Die Sandklaffmuschel und tionalparks Vorpommersche Boddenlandschaft die Baltische Plattmuschel sowie der Wattwurm zwischen dem Darß, der Halbinsel Zingst und (Arenicola marina; Abb. 4c) und weitere Bors- Hiddensee ist weitgehend eben und besteht aus tenwürmer wie Hediste diversicolor (Abb. 4d), schluffarmen Fein- bis Mittelsanden. Nach der Pygospio elegans, Scoloplos armiger und Ma- Biotopkartieranleitung M-V wird dieser Biotop- renzelleria viridis erreichen teils hohe Individu-

81 endichten. Miesmuschelklumpen werden zeit- merkmalen erheblich unterscheiden. Unter dem weise, mitunter auch massenhaft, eingedriftet. Begriff „Bodden“ verbergen sich drei Lebens- raumtypen der FFH-Richtlinie: Ästuare (FFH- Auf größeren Flächen der sandigen Böden kom- Code 1130), Lagunen (1150) und flache, große men zusammenhängende, z. T. lockere, vom Ge­ Meeresarme und Buchten (1160). meinen Seegras (Zostera marina; Abb. 13d) do- minierte Makrophytenbestände vor. Soweit diese Ästuare sind Übergangsräume zwischen Fließ- Bestände eine Deckung über zehn Prozent errei- und Küstengewässern. Die Darß-Zingster chen, werden sie dem Biotoptyp „Seegraswie- Boddenkette ist nach dem Oderhaff und Pee- sen der äußeren Küstengewässer der Ostsee nestrom das zweitgrößte Ästuar Mecklenburg- östlich der Darßer Schwelle“ zugeordnet. See- Vorpommerns. Recknitz und Barthe sorgen für graswiesen sind nach dem Bundesnaturschutz- einen permanenten Süßwasserdurchfluss. Der gesetz gesetzlich geschützte Biotope. Zwischen Salzgehalt zeigt innerhalb des Ästuars einen der Halbinsel Darß-Zingst und der Insel Hidden- deutlichen Gradienten mit einer Abfolge von da- see befinden sich die größten zusammenhängen- ran angepassten Organismen-Gemeinschaften. den Seegraswiesen an der Außenküste Meck- Dieser Gradient ist in der Darß-Zingster Bod- lenburg-Vorpommerns (Abb. 12). Die Pflanzen denkette sehr deutlich ausgeprägt: Im innersten stehen meist im lockeren Verband, teilweise auch Bereich – dem Ribnitzer See mit der Einmün- in dichteren Beständen. dung der Recknitz – beträgt die Salinität weni- Dichtere Bestände sind bis sechs Meter, Einzel- ger als drei Promille (β-oligohalin). In den daran pflanzen bis in acht Meter Wassertiefe zu finden. anschließenden Saaler und Punktuell (z. B. vor Hiddensee) wurde Seegras bis herrschen Salzgehalte von drei bis fünf Promille in eine Tiefe von elf Metern nachgewiesen. Histo- vor (α-oligohalin). Östlich der Meiningenbrücke rische Untersuchungen belegen das Vorkommen – im Barther Bodden, Zingster Strom sowie im von dichten Beständen bis zehn Meter Wasser- – sind Salzgehalte von fünf bis zehn tiefe (Schories et al., 2006; Schubert et al., 2014). Promille anzutreffen (β-mesohaline Verhältnis- Infolge der hohen Nährstoffbelastungen und der se; siehe Abb. 1). Wind und Strömungen füh- zunehmenden Wassertrübung hat sich die Ver- ren zu starken, aperiodischen Schwankungen breitungsgrenze des Seegrases heute jedoch in des Salzgehaltes. Biozönotisch wirksam sind die flacheren Bereiche verschoben. Hinzu kommt besonders die Extremwerte, die durch Salz- die teilweise starke Überwucherung mit Braun- wassereinbrüche aus der Ostsee bzw. hohen (Pylaiella littoralis, Ectocarpus spp.) und Rotalgen Süßwasserzustrom aus den Flüssen nach star- (Ceramium spp., Polysiphonia fucoides), die die ken Niederschlägen hervorgerufen werden. Nur Bestände durch Beschattung beeinträchtigt. Die Arten, die extreme, kurzfristige Schwankungen Fauna der Seegraswiesen ist artenreich. Hervor- des Salzgehalts tolerieren, können dauerhaft in zuheben sind die Flohkrebse (z. B. Gammarus sa- den Ästuaren siedeln. Dies sind vorrangig salz- linus), Meeres­asseln (z. B. Idotea balthica, Jaera tolerante Arten des Süßwassers. albifrons), Schnecken (z. B. Hydrobia ulvae, Litto- rina saxatilis, Pusillina inconspicua), Polypen (Go- Aus den großen, überwiegend landwirtschaft- nothyraea loveni als einzige Hydrozoen-Art, Abb. lich genutzten Einzugsgebieten der einmünden- 4b) und Moostierchen (z. B. Einhornia crustulen- den Flüsse gelangen hohe Nährstofffrachten in ta). Charakteristische Fischarten der Seegraswie- die Ästuare. Der gesamte landseitige Stoffab- sen sind die Kleine Schlangennadel (Nerophis fluss passiert auf seinem Weg zum Meer die- ophidion), der Seestichling (Spinachia spinachia) se Gewässer. Sie sind damit die wichtigsten und auch der Aal (Anguilla anguilla). Den See- Transport-, Filter- und Puffersysteme für land- graswiesen kommt eine wichtige Bedeutung als bürtige Einträge (Krech, 2001). Die hohe Nähr- Laichsubstrat für Heringe (Clupea harengus) und stoffbelastung fördert die Entwicklung des Phy- Hornhechte (Belone belone) zu. toplanktons. Die Folge sind insbesondere in den Sommermonaten geringe Sichttiefen. Im Saaler Die vorpommerschen Bodden: und Bodstedter Bodden, teilweise auch noch im Ästuare, Lagunen, flache große Barther Bodden, sind Sichttiefen von weniger Meeresarme und Buchten als 20 Zentimetern keine Seltenheit. Der Begriff „Bodden“ bezeichnet vom Meer weitgehend abgetrennte Küstengewässer. Die Die Bodensubstrate bestehen überwiegend Bodden können sich je nach Grad der Abtren- aus schlickigem Sand, stellenweise auch aus nung bzw. Intensität des Wasseraustauschs Schlick. Die Entwicklung von Makrophyten ist mit der vorgelagerten Ostsee und der Menge aufgrund der starken Trübung auf die Flach- zufließenden Süßwassers in ihren Lebensraum- wasserbereiche bis 0,5 Meter Wassertiefe oder

82 a b

c

d

Abb. 13 a-d: Pflanzen der Ostsee. a) Gemeine Meersaite (Chorda filum); b) die Braunalge Saccharina latissima besitzt vor den Halbinseln Wittow und Jasmund ihre östlichsten Vorkommen in der Ostsee; c) Blasentang (Fucus vesiculosus); d) auf sandigen Flächen zwischen Geröllen wächst das Gemeine Seegras (Zostera marina).

weniger beschränkt. In den äußeren Bodden, sche Deckelschnecke (Potamopyrgus antipoda- insbesondere im Grabow und auch noch im rum), die Kahnschnecke (Theodoxus fluviatilis), Barther Bodden, treten Brackwassertauchfluren Flohkrebse (Gammarus spec.), Meeresasseln mit Meersalden (Ruppia spp.) und Armleuchter- (Idotea chelipes, Jaera albifrons), Schwebe- algen (Characeae) auf, gefolgt von Kamm-Laich- garnelen (Neomysis integer) und Moostierchen. kraut (Potamogeton pectinatus), Teichfaden Die Brackwassertauchfluren sind Laichsubstra- (Zannichellia palustris), Ährigem Tausendblatt te und Aufzuchtgebiete für Fische; fruchtende (Myriophyllum spicatum), Großem Nixenkraut Salden und andere Wasserpflanzen dienen im (Najas marina) und Borstenhaar (Chaetomorpha Sommer und Herbst als wichtige Nahrung für linum). Die Fauna dieser Unterwasserwiesen rastende Entenvögel. In den schlickigen bis ist artenreich; sie umfasst u. a. Polypen, Watt- sandigen Sedimenten leben Zuckmückenlar- schnecken (Hydrobia spec.), die Neuseeländi- ven (Chironomidae), Borstenwürmer (Hediste

83 Abb. 14: Blick von der Ostsee über den Zickerschen See und den Greifswalder Bodden. Der Zickersche See – mit seiner nur schmalen Verbindung zum Greifswalder Bodden – ist eine charakteristische Lagune, während der Greifswalder Bodden dem Lebensraumtyp flache große Meeresarme und -buchten zuzuordnen ist. diversicolor, Marenzelleria neglecta, Oligochae- wässert. Lediglich auf den Inseln Kirr und Barther ta) und in den äußeren Bodden vereinzelt auch Oie blieben große, zusammenhängende Salzwie- Sandklaffmuscheln. senkomplexe erhalten, die als Brutplatz für Küs- tenvögel eine herausragende Bedeutung besit- Die Fischfauna der Darß-Zingster Boddenkette zen. Durch Renaturierungsmaßnahmen, wie sie wird überwiegend durch limnische Arten ge- z. B. aktuell für die Sundische Wiese und für die prägt. Diese können niedrige bis mäßige Salz- Fischlandwiesen vorgesehen sind, wird sich die gehalte sehr gut vertragen; aufgrund eines natürliche Überflutungsfläche der Darß-Zingster verminderten Energieaufwandes für die Osmo- Boddenkette zukünftig wieder vergrößern. regulation wachsen sie in den Boddengewäs- sern sogar besser als im Süßwasser. Allerdings Lagunen sind vom Meer weitgehend oder voll- ist der Laich salzempfindlich, die Fische müs- ständig abgeschnittene salzige/brackige oder sen zur Fortpflanzung in die Flüsse aufsteigen stärker ausgesüßte Küstengewässer (Strandse- oder andere Bereiche mit geringem Salzgehalt en) mit zumindest temporärem Salzwasserein- aufsuchen (Herrmann, 1987). fluss. Im Gebiet des Nationalparks Vorpommer- sche Boddenlandschaft gehören einige extrem Wichtige Strukturen der Ästuare sind auch die geschützte Bodden wie z. B. die Gewässer süd- Uferbereiche mit ihren ausgedehnten Schilfröh- lich und östlich der Insel Ummanz (Koselower richten sowie die aperiodisch überfluteten Salz­ See und Focker Strom) sowie die Strandseen im wiesen. Die Darß-Zingster Boddenkette wur- Bereich des Darßer Orts (Libbertsee, Ottosee, de ursprünglich von ausgedehnten Salzwiesen Fukareksee; siehe Abb. 9 im Beitrag von Reinicke gesäumt, wie z. B. den Michaelsdorfer Wiesen, in diesem Band) zu diesem Lebensraumtyp. Die den Fischlandwiesen und der Sundischen Wie- Strandseen des Darßer Ortes sind ein Ergebnis se. Heute sind diese Wiesen überwiegend einge- nahezu ungestörter natürlicher Küstenentwick- deicht und werden über Pumpen künstlich ent- lung. Sie unterliegen einer permanenten Verän-

84 derung in Form und Größe, Salzgehalt, Verlan- dungsstadium und ihrer Verbindung zum Meer. Weiterhin sind die Landower und Priebowsche Wedde an der Ostküste des Kubitzer Boddens Strandseen. Im Biosphärenreservat Südost-Rü- gen sind der Wreechener See, der Neuensiener See, der Selliner See sowie der Zickersche See diesem Lebensraumtyp zuzurechnen (Abb. 14).

Aufgrund ihrer geschützten Lage sind Lagunen oft Sedimentationsbecken, ihre Bodensubstrate bestehen größtenteils aus Schlick und Sanden mit hohem Schluffanteil. Darauf wachsen dichte Bestände von Brackwassertauchfluren mit Arm- leuchteralgen. Lagunen sind der Lebensraum einer arten- und individuenreichen marin-euryhalinen Gemein- schaft von Benthosorganismen, deren Arten- spektrum vergleichbar ist mit dem der anderen Boddengewässer. Erwähnenswert ist das Vor- kommen einer kleinen kletternden Herzmuschel - der in den inneren Küstengewässern der Ost- see endemischen Kopenhagener Herzmuschel (Parvicardium hauniense; Weber & Gosselck, 1993). Die Art erreicht hier ihre ostseeweit dich- testen Bestände.

Flache große Meeresarme und -buchten sind durch Boddenrandschwellen oder Nehrungen Abb. 15: In den Boddengewässern finden sich Seegraswie- geschützte innere Küstengewässer mit breiter sen auf schlickigem Grund. Zu ihrer typischen Fauna gehört Öffnung und gutem Wasseraustausch zur freien die Strandschnecke (Littorina saxatilis). Ostsee. Der Salzgehalt der Meeresbuchten un- terscheidet sich nur unwesentlich von dem der vor­ge­lagerten Ostsee. Im Nationalpark Vorpom- pha. Flohkrebse (Gammarus salinus, Gammarus mersche Boddenlandschaft­ gehören die West- zaddachi), Meeresasseln (Idotea chelipes, Cya- rügenschen Bodden – Schaproder und Kubitzer thura carinata), Schnecken (Hydrobia ventrosa, Bodden – sowie der Libben zu diesem Lebens- Potamopyrgus antipodarum, Theodoxus fluvia- raumtyp. Auch der Greifswalder Bodden, dessen tilis), Stichlinge (Gasterosteus aculeatus, Pungi- nordöstliche Bereiche zum Biosphärenreservat tius pungitius) und Schlangennadeln (Nerophis Südost-Rügen gehören, ist eine flache, große ophidion) nutzen die Makrophytenwiesen als Meeresbucht im Sinne der FFH-Richtlinie. Lebensraum. In den noch flacheren Bereichen schließen sich Brackwasser-Tauchfluren mit In Abhängigkeit von der Exposition variieren Meersalden, Teichfaden und Brackwasser-Hah- die Bodensubstrate von Sandfraktionen unter- nenfuß an (Gosselck & Kell, 1998). schiedlicher Korngröße bis zu Schlick, lokal fin- den sich auch Hartgründe. Große Flächen der Der Greifswalder Bodden schließt Riffe, Sand- Westrügenschen Bodden sind mit Makrophyten bänke und Windwatten mit ein. Sein Wasser- bedeckt, überwiegend mit Meersalden. Im Kubit- austausch mit der Pommerschen Bucht wird zer Bodden zwischen Rügen und der Insel Liebitz durch die Boddenrandschwelle, deren Wasser- liegt der Bedeckungsgrad bei 80 bis 90 Prozent; tiefe überwiegend bei 1,5 bis 2,5 Metern liegt, nördlich der Liebitz sind es etwa 60 Prozent. Im eingeschränkt. Zur Pommerschen Bucht hin fällt nimmt ihr Bedeckungsgrad diese rasch bis auf zehn Meter ab, nach Wes- vom Flachwasser bis in 1,5 Meter Tiefe von 90 ten in Richtung Bodden nimmt die Wassertiefe Prozent auf 0 Prozent ab. Dazwischen befinden hingegen nur allmählich zu. Die Boddenrand- sich inselartig Bestände des Gemeinen Seegra- schwelle wird durch zwei fünf bis sechs Me- ses (Gosselck et al., 1994; Abb. 13d und 15). ter tiefe Rinnen – das Osttief und das Landtief Auf Steinen wachsen Blasentang und Grünal- – durchbrochen. Diese Rinnen werden für die gen der Gattungen Cladophora und Enteromor- Schifffahrt immer wieder ausgebaggert.

85 Die Makrophytenbedeckung des Greifswalder u. a. Furcellaria fastigiata, Polysiphonia nigre- Boddens ging im Laufe des 20. Jahrhunderts scens und Ceramium diaphanum. Blasentang, stark zurück. Während in den 1930er Jahren der früher in allen Vegetationszonen verbreitet noch 90 Prozent der Bodenflächen mit Pflan- war, ist heute auf den Flachwasserbereich zwi- zen bedeckt waren, waren es in den 1980er schen 0,25 bis 1 Meter beschränkt. Die Mak- Jahren weniger als 20 Prozent (Geisel & Meß- rophytenwiesen dienen dem Rügenschen Früh- ner, 1989). Der Pflanzengürtel erstreckt sich jahrshering als Laichsubstrat. heute überwiegend nur noch bis in vier Meter Wassertiefe, nur in wenigen Bereichen (z. B. vor Die Phytalfauna des Greifswalder Boddens äh- dem Zickerschen Höft) bis sechs Meter. In den nelt jener der Westrügenschen Bodden bzw. der Flachwasserbereichen dominieren Grünalgen Seegraswiesen vor der Außenküste der Halbinsel der Gattungen Enteromorpha, Ulva und Cla- Darß-Zingst. Die Sandbodenfauna wird von Mu- dophora sowie Armleuchteralgen. Im Bereich scheln (Sandklaffmuscheln, Herzmuschel) sowie von einem bis drei Meter Tiefe dominiert das dem Borstenwurm Pygospio elegans bestimmt. Kamm-Laichkraut, begleitet von Teichfaden, Auf sandig-schlickigen Böden leben Schnecken Strand-Salde (Ruppia cirrhosa), Tausendblatt der Gattung Hydrobia, die Kahnschnecke und die und Brackwasser-Hahnenfuß. In geschützten Neuseeländische Deckelschnecke. Neben den Bereichen kommt gelegentlich das Große Nix- bereits genannten Muschelarten ist für diese Bö- kraut vor. Die Pflanzenbestände zwischen zwei den auch die Baltische Plattmuschel kennzeich- und drei Metern Wassertiefe werden durch das nend. Die Gruppe der Borstenwürmer ist durch Gemeine Seegras dominiert (Abb. 15). Aus der die Arten Hediste diversicolor, Marenzelleria spp., Hagenschen Wiek gibt es auch Nachweise des Streblospio shrubsoli und Alitta succinea vertre- in unseren Küstengewässern seltenen Zwerg- ten. Auch den Schlickkrebs Corophium volutator Seegrases (Zostera noltii). Unterhalb von drei und die Assel Cyathura carinata findet man häufig Metern kommen überwiegend Rotalgen vor, (Geisel & Messner, 1989).

Abb. 16: Windwatten sind Übergangsbereiche zwischen Land und Meer. Besonders ausgedehnte Gebiete liegen vor dem Alten und Neuen Bessin (Hiddensee). Im Hintergrund sind die Halbinsel Bug (Insel Rügen), links der Libben sowie rechts der zu erkennen.

86 Zwischen Land und Meer: RESÜMEE Die Windwatten Auch in der Ostsee gibt es Wattflächen – Flach- Den Besuchern der Nationalparke bleibt die fas- wasserbereiche, die bei niedrigen Wasserstän- zinierende Lebenswelt unter der Wasserober- den vorübergehend trocken fallen (Abb. 16). fläche zumeist verborgen. Ungeachtet dessen stellt auch das nicht unmittelbar Sichtbare ei- Anders als an der Nordsee entstehen sie jedoch nen Reichtum dar, der eines besonderen Schut- nicht durch die Gezeiten, sondern aperiodisch zes bedarf. Als Bestandteil des europäischen durch witterungsbedingte Wasserstandschwan- Schutzgebietsnetzes „Natura 2000“ besitzen kungen. Im Nationalpark Vorpommersche Bod- die marinen Lebensräume der Nationalparke denlandschaft gibt es am Darßer Ort, vor den Vorpommersche Boddenlandschaft und Jas- Werderinseln und am Bock, östlich des Gellen mund sowie des Biosphärenreservates Südost- sowie um den Alten und Neuen Bessin am Nord­ Rügen nicht nur für Mecklenburg-Vorpommern ende der Insel Hiddensee ausgedehnte Wind- eine besondere Funktion für den Erhalt der bio- wattflächen. Auch die Udarser Wiek nördlich logischen Vielfalt und den Schutz natürlicher der Insel Ummanz weist größere zeitweise tro- Entwicklungsprozesse im Meer, sondern für den cken fallende Bereiche auf. Weitere Windwatt- gesamten Ostseeraum. flächen sind in der Darß-Zingster Boddenkette am Südwestufer des Bodstedter Boddens, an der Barther Oie sowie vor dem Kavelnhaken im LITERATUR Übergangsbereich zwischen Barther Bodden und Grabow anzutreffen (siehe Umschlagkarte Arndt, E. A. (1964): Tiere der Ostsee. Ziemsen- vorn). Im Biosphärenreservat Südost-Rügen be- Verlag Wittenberg: 199 S. findet sich an der Nordostspitze der Insel Vilm Bick, A. & R. Burckhardt (1989): Erstnachweis eine vergleichsweise kleine Windwattfläche. von Marenzelleria viridis (Polychaeta, Spi- onidae) für den Ostseeraum, mit einem Be- Die Dauer der Wasserüberdeckung entschei- stimmungsschlüssel für die Spioniden der det über die Artenzusammensetzung, Abun- Ostsee. Mitteilung Zoologisches Museum danz und Biomasse des Makrozoobenthos. Berlin 65: 237-247. Saisonale und jährliche, mitunter auch tägliche FFH-Richtlinie/Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie: Schwankungen sind charakteristisch. Höher Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. gelegene Bereiche, die nur noch gelegentlich Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Le- überflutet sind, werden vorwiegend von terres- bensräume sowie der wildlebenden Tiere trischen Tieren (Insekten, Spinnen) und kaum und Pflanzen (ABl. L 206 vom 22.7.1992). von Pflanzenarten besiedelt. Sie dienen Küsten- IfAÖ (2003): Gemeinsame Charakterisierung vögeln wie Zwergseeschwalben (Sternula albi- der deutschen Nord- und Ostsee-Küsten- frons), Sandregenpfeifern (Charadrius hiaticula), gewässer vor dem Hintergrund internati- Austernfischern (Haematopus ostralegus) und onaler Vereinbarungen. Teilgebiet Ostsee Säbelschnäblern (Recurvirostra avosetta) als (BMBF-FKZ 0330041): 1-63. Brutplatz sowie durchziehenden und rastenden IfAÖ (2005): Gutachtlicher Vorschlag zur Iden- Watvögeln, Möwen, Seeschwalben, Gründelen- tifizierung, Abgrenzung und Beschreibung ten und Kormoranen (Phalacrocorax carbo) als sowie vorläufigen Bewertung der zahlen- Rast- und Schlafplätze. und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zur Umsetzung der Richtlinie 79/409/EWG In tiefer gelegenen Prielen und Senken kom- in den äußeren Küstengewässern Meck- men 10 bis 20 Arten des Makrozoobenthos vor. lenburg-Vorpommerns. Unveröffentl. Gut- Die schlickig-sandigen Bodensubstrate werden achten im Auftrag des LUNG MV. dort lokal auch von Meersalden, Kamm-Laich- Geisel, T. & U. Messner (1989): Flora und Fau- kraut und Armleuchteralgen oder einer Schicht na des Bodens im Greifswalder Bodden. von Blau- und Kieselalgen besiedelt. Die relativ MEER UND MUSEUM 5: 44-51. wenigen Tierarten (insbesondere Krebse und Gosselck, F., Bönsch, R., Kell, V. & M. Kreuz- Borstenwürmer) können hohe Besiedlungsdich- berg (1994): Das Makrobenthos (Großal- ten erreichen. Windwatten stellen für eine Reihe gen, submerse Gefäßpflanzen, wirbellose mariner Fischarten einen temporären Lebens- Tiere) der westrügenschen Boddengewäs- raum für ihre Jugendstadien dar. Junge Platt- ser im Nationalpark Vorpommersche Bod- fische nutzen die flachen, schnell erwärmten denlandschaft. Gutachten im Auftrag des Gewässer bei Hochwasser zur Nahrungsauf- Nationalparkamtes Vorpommersche Bod- nahme. denlandschaft: 1-30.

87 Gosselck, F. (1998): Wissenschaftliche Grund- Schories, D., Selig, U. & H. Schubert (2006): lagen zur Ausweisung und zum Manage- Küstengewässer-Klassifizierung deutsche ment mariner off-shore-Schutzgebiete Ostsee nach EU-WRRL - Teil A: Äuße- im Bereich der Hoheitsgewässer und re Küstengewässer. Unveröffentl. For- der Ausschließlichen­ Wirtschaftszone schungsbericht der Universität Rostock Deutschlands in der Ostsee und deren im Auftrag des LANU S-H und LUNG M-V: Integration in das System von Baltic Sea 187 S. Protected Areas (BSPAs). Unveröffentl. Schubert, H., Steinhardt, T. & A. Schanz (2014): Gutachten im Auftrag des Bundesamtes Monitoring Makrophytobenthos – Doku- für Naturschutz: 165 S. mentation von historischen und rezenten Gosselck, F. & V. Kell (1998): Der verborgene Na- Seegrasvorkommen für die Bewertung tionalpark. Die Bodentiere und -pflanzen nach WRRL und MSRL entlang der Ost- der Ostsee und der Bodden des National- seeküste Mecklenburg-Vorpommerns. parks Vorpommersche Boddenlandschaft. Unveröffentl. Forschungsbericht der Univ. Natur und Naturschutz in Mecklenburg- Rostock im Auftrag des LUNG M-V: 43 S. Vorpommern 34: 113-129. Schwarzer, K., Themann, S. & R. Krause (2008): HELCOM (1998): Red List of marine and coas- Zusammenstellung der marinen Lebens- tal biotopes and biotope complexes of the raumtypen nach FFH-RL. Institut für Geo- Baltic Sea, Belt Sea and Kattegat. Baltic wissenschaften Christian-Albrechts-Uni- Sea Environ. Proc. 75: 115 S. versität, Kiel: 34 S. HELCOM (2013): Red List of Baltic Sea under- Segerstråle, S. G. (1957): On the immigration of water biotopes, habitats and biotope com- the glacial relicts of Northern Europe, with plex es. Baltic Sea Environ. Proc. 138: 69 S. remarks on their prehistory. Comm. Biol. Herrmann, C. (1987): Einfluss des Salzgehalts Soc. Sci. Fennica, 16 (16): 1-117. auf Resistenz und Leistung von juvenilen Skora, K., Winkler, H. M. & R. Thiel (2003): Die stenohalinen Süßwasserfischen aus der Schwarzmundgrundel (Neogobius melan- Darß-Zingster Boddenkette. Diplomarbeit, ostomus, Pallas 1814), ein Neubürger der Universität Rostock. Ostsee. Proc. IV. Tagung der Gesellschaft Kinne, O. (1971): 4. Salinity, 4.3. Animals, 4.3.1 für Ichthyologie. Invertebrates. In: Kinne, O. (Hrsg.): Marine Telesh, I. V, Schubert, H. & S. O. Skarlato (2011): Ecology 1: 683-1244. Revisiting Remane’s concept: evidence for Krech, M. (2001): Leitbildorientierte Bewertung high plankton diversity and a protistan spe- und Analyse der ökologischen Beschaffen- cies maximum in the horohalinicum of the heitssituation der inneren Küstengewässer Baltic Sea. Mar. Ecol. Prog. Ser. 421: 1-11. im südlichen Ostseeraum sowie Möglich- Weber, M. von & F. Gosselck (1993): Die Not- keiten ihrer Verbesserung als Grundlage wendigkeit marinen Artenschutzes am für die fachliche Umsetzung der EU-Was- Beispiel der Herzmuschel Cerastobyssum serrahmenrichtlinie. - Dissertation Univ. hauniense (Petersen u. Russel, 1971) aus Rostock: 173 S. dem Salzhaff (Wismarer Bucht, westl. Ost- Leipe, T., Moros, M. & F. Tauber (2011): Die Ge- see). Naturschutzarbeit in Mecklenburg- schichte der Ostsee. In: IOW/MeerLernen/ Vorpommern 36: 28-37. Ostsee in Kürze; http://www.io-warne- muende.de/geschichte-der-ostsee-2489. html. LUNG M-V (Hrsg.; 2011): Anleitung für die Kar- tierung von marinen Biotoptypen und FFH- Lebensraumtypen in den Küstengewässern Mecklenburg-Vorpommerns. Bearbeitung: F. Gosselck/IfAÖ Institut für Angewandte Ökosystemforschung Broders­dorf GmbH: 108 S. Naumann, M. (2012): Holozäne Küstenentwick- lung im Raum Darß-Zingst-Hiddensee und das Zusammenspiel von Eustasie, Neo- tektonik und Sedimentzufuhr. Dissertation Universität Greifswald: 144 S. Remane, A. (1934): Die Brackwasserfauna. Zool. Anz. 7 (Suppl): 34-74.

88 Die marinen Schutzgebiete der Ostsee und ihre Bedeutung für Meeressäugetiere Patricia Brtnik

„Vom Weltall aus gesehen ist der Planet ein bedroht (SAMBAH, 2014). Auch die drei in der blauer. Vom Weltall aus gesehen ist der Planet Ostsee vorkommenden Robbenarten befanden die Welt des Wals. Und nicht des Menschen.“ sich aufgrund starker Bejagung am Rande der (Heathcote Williams, Kontinent der Wale) Ausrottung (HELCOM, 2009). An der deutschen Ostseeküste waren Kegelrobben wohl bereits im Jahr 1920 ausgestorben (Schwarz et al., 2003). GEFÄHRDUNGEN VON MEERESSÄUGETIEREN Obwohl die Robbenjagd weitestgehend ver- boten oder stark eingeschränkt wurde und seit Seit über 50 Millionen Jahren besiedeln Meeres- 1985 das Walfang-Moratorium der internationa- säugetiere den Lebensraum Meer; der Mensch len Walfangkommission (IWC) die kommerzielle benötigte jedoch nur ein paar Jahrhunderte, um Jagd auf Wale weltweit verbietet, sind marine die Bestände durch intensive kommerzielle Be- Säugetiere weiterhin direkt oder indirekt durch jagung vielfach an den Rand der Ausrottung zu menschliche Aktivitäten bedroht. Zum einem wird bringen. Viele Arten haben sich bis heute nicht sowohl der Walfang als auch die Robbenjagd vollständig von dieser Bejagung erholt, und von einigen Ländern weiterhin aufrechterhalten. etwa ein Viertel der insgesamt 86 bekannten Zum anderen verschlechtert inzwischen die zu- Wal- und Delfinarten wurde von der Weltnatur- nehmende und intensivere menschliche Nutzung schutzunion (IUCN) als vom Aussterben bedroht der Meere den Erhaltungszustand vieler Arten oder stark gefährdet eingestuft. Ähnlich ist die oder verhindert eine Erholung ihrer Bestände. Situation bei den Robben, deren Bestände welt- Meeressäugetiere sind vielfältigen Gefährdungen weit durch Bejagung stark dezimiert wurden. ausgesetzt. Dazu zählen vor allem der Beifang in Gegenwärtig stehen etwa ein Drittel der Arten Fischernetzen, der Unterwasserlärm, die Über- auf der Roten Liste der IUCN. Die Karibische fischung wichtiger Beutefische, die Vernichtung Mönchsrobbe (Monachus tropicalis) überlebte wichtiger Lebensräume und Ökosysteme, die die Bejagung nicht und gilt seit 1996 als ausge- Schifffahrt, die Verschmutzung der Meere sowie storben. Die Mittelmeer-Mönchsrobbe (M. mo- die Auswirkungen des Klimawandels. nachus), mit einer verbliebenen Populationsgrö- Um marine Säugetiere effektiv vor diesen anth- ße von nur 350 bis 450 Individuen, ist akut vom ropogen verursachten Bedrohungen zu schüt- Aussterben bedroht (Aguilar & Lowry, 2013) und zen, sind umfassende Schutzmaßnahmen erfor- gilt als eines der seltensten Meeressäugertiere derlich. Am Beispiel des Gebietes der Ostsee in Europa. wird die aktuelle Situation resümiert und die Eine ähnliche Situation findet man in der Ost- Bedeutung nationaler Bemühungen im interna- see vor. Mit permanenten Populationen sind in tionalen Kontext betrachtet. der Ostsee drei Robbenarten: Seehund (Phoca vitulina), Ringelrobbe (P. hispida botnica) und Kegelrobbe (Halichoerus grypus balticus) so- ÜBERGREIFENDE wie eine Walart: der Schweinswal (Phocoena SCHUTZMECHANISMEN phocoena) mit zwei Subpopulationen vertreten (Population der westlichen Ostsee, Kattegat Schutzbemühungen für marine Säugetiere gab und Beltsee sowie der Population der Zentralen es verstärkt etwa seit den 1980er Jahren. Mari- Ostsee; Berggren et al., 1999; Huggenberger et ne Säugetiere effektiv und umfassend zu schüt- al., 2002; Wiemann et al., 2010). Die Schweins- zen, stellt allerdings große Herausforderungen wale der Zentralen Ostsee sind mit einem Be- dar: Wale und Robben sind hoch mobile Tiere. stand von etwa 450 Tieren vom Aussterben Wale, wie die Schweinswale, der Ostsee sind

89 Abb. 1: Marines Fauna-Flora-Habitat Schutzgebietsnetzwerk in der deutschen Ostsee mit Angaben über Meldungen Robben oder Sc hweinswale als Schutzgut.

90 zudem wandernde Tierarten, die bei ihren Mi- Maßnahmenvorschläge oder konkrete regionale grationen zwischen Nahrungs- und Reproduk- Schutzmaßnahmen eine Reduktion der Bedro- tionsgebieten weite Strecken zurücklegen kön- hungen zu bewirken und einzelne Populationen nen. Sie nutzen sowohl küstennahe Gebiete der verschiedenen Arten zu schützen bzw. über- als auch die Hohe See, also Gewässer jenseits lebensfähige Bestände wieder aufzubauen. nationaler Zuständigkeiten. Dementsprechend bedarf es für einen effektiven und umfassenden Relevante internationale und regionale Abkom- Schutz dieser mobilen Tiere neben nationalen men für die marinen Säugertiere der Ostsee Schutzbemühungen vorwiegend grenzübergrei- sind unter anderem das Übereinkommen zur fender bzw. regional abgestimmter Maßnah- Erhaltung wandernder wild lebender Tierarten men. Die vielfältig und teils kumulativ wirkenden (CMS bzw. Bonner Konvention), das den Schutz Bedrohungen, denen die Tiere ausgesetzt sind, wandernder Arten über politische Grenzen hin- machen zudem unterschiedliche Schutzmaß- weg regelt, indem es die Mitgliedstaaten zum nahmen und -mechanismen erforderlich. Ergreifen nationaler bzw. regional abgestimmter Schutzmaßnahmen verpflichtet (Anhang I bzw. Anhang II – Arten). Unter der Rahmenkonven- INTERNATIONALE UND REGIONALE tion CMS existieren zudem artspezifische re- ÜBEREINKOMMEN gionale Abkommen, wie das 1994 in Kraft ge- tretene Schutzabkommen für Kleinwale in der Internationale Übereinkommen zielten zunächst Nord- und Ostsee (ASCOBANS). Mit konkreten primär auf die Regulierung bzw. das Verbot der Maßnahmenvorschlägen wird im Rahmen die- direkten Tötung – der Jagd – ab. So wurde das ses Abkommens der Schutz von Kleinwalen und Internationale Übereinkommen zur Regelung Delfinen vorangetrieben. Für die Schweinswale des Walfanges (ICRW) mit seinem ausführen- der Ostsee wurden von ASCOBANS Erhaltungs- den Organ, der Internationalen Walfangkom- pläne bzw. Schutzkonzepte weiterentwickelt, zu mission (IWC), mit dem Ziel verabschiedet, den deren nationalen Umsetzung sich die Mitglieds- Walfang weltweit zu regulieren, um eine weitere staaten verpflichtet haben. Im Jahr 2002 erfolgte Bestandsabnahme oder gar ein Aussterben der die Verabschiedung des Rettungsplanes für die Wale zu verhindern. Mit dem Walfang-Morato- stark bedrohten Schweinswale der Zentralen rium der IWC im Jahre 1986 wurde schließlich Ostsee, der so genannte Jastarnia-Plan. Er zielt die kommerzielle Bejagung von Großwalen in- darauf ab, diese Schweinswalpopulation auf ein ternational verboten. Auch die Robbenjagd Niveau anzuheben, welches mindesten 80 Pro- wurde vielerorts durch verschiedene regionale zent der Umweltkapazität der Ostsee entspricht und internationale Übereinkommen und deren (ASCOBANS, 2002). Im Jahr 2012 folgte dann Empfehlungen reguliert bzw. untersagt. In der der Erhaltungsplan für die Schweinswalpopulati- Ostsee setzte sich das Helsinki Übereinkom- on der westlichen Ostsee, Beltsee und des Kat- men (HELCOM) zum Schutz der Meeresumwelt tegats (ASCOBANS, 2012). Eine zentrale Forde- der Ostsee für ein Verbot der Robbenjagd ein, rung dieser Schutzpläne ist die Verminderung um die stark dezimierten Bestände der drei des Beifanges in Fischernetzen, der als Haupt- Ostseerobben zu schützen. Im Jahr 1988 ver- bedrohung der Schweinswale in der Ostsee gilt. abschiedete die HELCOM die Empfehlung 9/1 (HELCOM, 1988), die ein absolutes Jagdverbot Die HELCOM verabschiedete relevante Emp- aller Robbenarten der Ostsee beinhaltete. fehlungen, die den Schutz der Robben in der Durch diese Regulierungen und Verbote der Ostsee gewährleisten und den Erhalt von vita- kommerziellen Tötung von Meeressäugetieren len Populationen aller drei Robbenarten sicher- konnte eine langsame Erholung der Bestände stellen soll (HELCOM, 2006). Allerdings wurde erreicht werden. Vor allem die stark dezimierten das seit 1988 geltende generelle Jagdverbot für Robbenbestände konnten sich vielerorts, wie Robben im Jahr 2006 teilweise aufgehoben. In auch in der Ostsee, nach dem Jagdverbot wie- einer neuen Empfehlung ist das direkte Töten der regenerieren. von Robben, deren Populationen sich oberhalb Mit der zunehmenden Nutzung der Meere durch einer sicheren biologischen Grenze befinden, die Menschen wurden Meeressäuger allerdings wieder erlaubt (HELCOM, 2006). neuen Bedrohungen ausgesetzt, die eine Wie- Eine weitere bedeutende Funktion für den derherstellung oder den Erhalt der Populationen Schutz der marinen Säugetiere der Ostsee hat weiterhin gefährden. Die internationale Staaten- die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richt- gemeinschaft erkannte den Handlungsbedarf linie) der Europäischen Union. Zielsetzung die- und reagierte auf diese neue Situation mit re- ser Richtlinie ist das Erreichen eines „günstigen levanten Abkommen. Sie zielen darauf, durch Erhaltungszustandes“ der Arten. Entsprechend

91 ihrer Listung in den relevanten Anhängen sind angewandte Methode, in deren Rahmen anth- die Mitgliedsstaaten verpflichtet, spezifische ropogen verursachte Gefährdungen für marine Schutzmaßnahmen für die jeweiligen Arten zu Säugetiere vermindert werden können. Gebiete erarbeiten und umzusetzen. speziell zum Schutz für Meeressäuger auszu- weisen, ist allerdings eine Entwicklung, die erst in den letzten Jahren an Bedeutung gewann. SCHUTZGEBIETE FÜR Generell ist die Ausweisung von Schutzgebieten MEERESSÄUGETIERE im Meer ein, im Vergleich mit Schutzgebieten an Land, relativ neuer Prozess, zu dem sich die in- Die Ausweisung von Meeresschutzgebieten ternationale Staatengemeinschaft erst im Jahr (MPA), Walschutzgebieten, Nationalparks oder 2002 im Rahmen des Weltgipfels für nachhaltige Biosphärenreservaten ist eine weitere wichtige Entwicklung (WSSD, 2002) verpflichtet hat.

Das Biosphärenreservat El Vizcaíno Die Laguna Ojo de Liebre im Zentrum der mexikanischen Halbinsel Baja California wurde von der mexikanischen Regierung bereits 1972 unter Schutz gestellt, um eines der wichtigs- ten Paarungs- und Aufzuchtsgebiete der gefährdeten Grauwale (Eschrichtius robustus; Abb. 2) zu schützen. Im Laufe der Jahre und mit zunehmender Kenntnis über die Habitatsnutzung und Bedürfnisse der Grauwale wurde das Schutzgebiet um weitere Zonen, u. a. der Lagune San Ignacio, vergrößert und in das Biosphärenreservat El Vizcaíno integriert, das insgesamt 25 468 Quadratkilometer umfasst. Die Buchten werden zudem von Seehunden, Seelöwen und Delfinen genutzt, um dort ihre Jungen zur Welt zu bringen. 1993 wurden die beiden La- gunen, jeweils mit ihrem Hinterland, in die Liste der UNESCO als besonders schützenswerte Gebiete aufgenommen. Ende der 1990er Jahre gefährdete ein geplantes Salzgewinnungs- projekt das Biosphärenreservat und vor allem die Grauwale in den Lagunen. Dieses Projekt wurde im Jahr 2000 nach langjährigen Protesten von Naturschützern, Wissenschaftlern und Politikern von der mexikanischen Regierung gestoppt. Das Pelagos Sanctuary for Mediterranean Marine Mammals Ein Beispiel für ein grenzüberschreitendes Walschutzgebiet ist das Pelagos Sanctuary for Mediterranean Marine Mammals im Ligurischen Meer. Dieses Gebiet wurde auf Betreiben von Frankreich, Italien und Monaco als Walschutzgebiet ausgewiesen. Neben nationalen Gewässern erstreckt sich das Gebiet auch über internationale Gewässer. Dies war durch die Meldung des Gebietes als „speziell geschütztes Gebiete von hoher Bedeutung im Mit- telmeerraum“ (SPAMI) im Rahmen der Barcelona Konvention (Konvention zum Schutz der marinen Umwelt und der Küstenregionen des Mittelmeeres) möglich.

Abb. 2: Grauwal (Eschrichtius robustus) in der Lagune San Ignacio des Biosphärenreservates El Vizcaíno, Mexiko.

92 Allerdings stellt die Ausweisung von Schutzgebieten FUNKTIONEN VON SCHUTZGEBIETEN für Wale und Robben zugleich erhebliche Heraus- forderungen dar. Lange Zeit wurde angenommen, Nationalparke, Biosphärenreservate sowie dass stationäre marine Schutzgebiete hochmobile Meeres- oder Walschutzgebiete können bezüg- und wandernde Tiere nicht effektiv zu schützen ver- lich des Schutzes von Walen und Robben unter- mögen. Dies änderte sich mit zunehmender Kennt- schiedliche Funktionen erfüllen. Diese hängen nis über das Verhalten der verschiedenen Arten, von verschiedenen Faktoren wie der Gebiets- ihre bevorzugten Habitate, Gebietsanforderungen auswahl, der Art der Bedrohungen sowie von und Migrationsrouten (Hoyt, 2005). der Effektivität der Schutz- und Management- maßnahmen ab. Das erste Schutzgebiet, das speziell für Wale ausgewiesen wurde, war die Laguna Ojo de Schutz von Schlüsselhabitaten Liebre im Jahr 1972 als Teil des Biosphärenre- Schlüsselhabitate wie Nahrungs-, Paarungs- servates El Vizcaíno im Zentrum der mexikani- und Aufzuchtsgebiete sowie Wurf- und Ru- schen Halbinsel Baja California (siehe Kasten heplätze gelten als wichtige Auswahlkriterien auf Seite xx). Durch die IWC wurden ganze geeigneter Schutzgebiete für mobile Arten wie Meeresregionen zu Walschutzgebieten erklärt, marine Säugetiere. Dadurch wird sichergestellt, in denen die kommerzielle Jagd auf Wale unter- dass die Tiere vor allem in besonders kritischen sagt ist: im Jahr 1979 das Indian Ocean Whale und sensiblen Lebensstadien geschützt sind. In Sanctuary sowie 1994 die Gewässer der Antark- der Ostsee werden die vorhandenen Schutzge- tis (Southern Ocean Whale Sanctuary). Das ers- biete von Schweinswalen ganzjährig, temporär te europäische Walschutzgebiet, ein Schweins- oder während ihrer Migration genutzt. Für Rob- wal-Schutzgebiet, wurde im Jahr 1999 vor der ben wurden unter anderem geeignete Ruheplät- Insel Sylt als Bestandteil des Nationalparks ze in die Schutzgebiete integriert. Ein Beispiel Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer einge- dafür ist der so genannte Große Stubber im richtet. Mit der Ausweisung des FFH-Schutzge- Greifswalder Bodden. Diese Untiefe war bereits bietes „Sylter Außenriff“ wurde dieses seewärts in frühen Zeiten als wichtiger Ruheplatz für Ke- der 12-Seemeilen-Grenze erweitert. gelrobben in der deutschen Ostsee bekannt. Mit der aktuellen Wiederausbreitung der Kegel- In der deutschen Ostsee sind bislang noch keine robben an den deutschen Küsten wird dieser Schutzgebiete speziell für Schweinswale aus- Ort wieder regelmäßig von den Tieren besucht gewiesen worden. Allerdings wurde unter der (Abb. 3). FFH-Richtlinie ein Netzwerk von Meeresschutz- gebieten aufgebaut, in denen Schweinswale als Ausschluss und Minimierung Schutzgut geführt werden (Abb. 1). Auch ande- von Bedrohungen re Ostsee-Anrainerstaaten haben im Rahmen Die Bedeutung von Schutzgebieten für marine der FFH-Verpflichtung Teile ihrer Gewässer zu Säuger ist zudem abhängig von Art und Umfang Schutzgebieten deklariert und Schweinswale als anthropogener Bedrohungen. Ein Nationalpark, Schutzgut geführt bzw. sind aktuell dabei, solche Biosphärenreservat oder Meeresschutzgebiet Gebiete zu identifizieren und auszuweisen. kann Gefährdungen durch entsprechende Maß-

Auch für Robben wurden ostseeweit unter HEL- COM oder der FFH-Richtlinie verschiedene Areale als Schutzgebiete deklariert. Schweden wies bereits in den 1970er Jahren bekannte Lie- ge- und Wurfplätze von Robben als Schutzge- biete aus. Im Jahr 1988 empfahl die HELCOM die Einrichtung von Robbenschutzgebieten in der gesamten Ostsee (HELCOM, 1988). Bislang wurden 44 solcher Robbenschutzgebiete im Rahmen von HELCOM in der gesamten Ostsee ausgewiesen, zwei davon in deutschen Gewäs- sern. Im Rahmen der FFH-Verpflichtung wurden zudem weitere Gebiete in der gesamten Ostsee unter Schutz gestellt, die Robben als Schutzgut führen. Ostseeweit sind dies bislang 100 FFH- Gebiete, wobei sich 17 davon in deutschen Ge- Abb. 3: Kegelrobben auf dem „großen Stubber“ im Greifs- wässern befinden (siehe Abb. 1). walder Bodden.

93 nahmen bzw. Reglementierungen direkt ent- biet konnte eine Verbesserung der Überlebens- gegenwirken oder sie erfüllen für den Schutz raten sowie ein leichter Anstieg der Population der Tiere einen zusätzlichen Nutzen, indem sie erreicht werden (Gormley et al., 2012). beispielsweise zu Habitatsverbesserungen bei- tragen. Ausgehend von der Art der Bedrohung Im Rahmen der FFH-Richtlinie sowie gemäß der können Schutzgebiete verschiedenen negativen HELCOM Empfehlung ist die Umsetzung von Auswirkungen anthropogener Aktivitäten un- Reglementierungen und Managementmaßnah- terschiedlich effektiv begegnen. Bedrohungen men in den entsprechenden Schutzgebieten in wie verschiedene Arten von Unterwasserlärm, der Ostsee verpflichtend. Allerdings kommen direkte Tötung, Beifang oder Nahrungsmangel Deutschland und andere EU- bzw. HELCOM- können durch ein zielgerichtetes Schutzregime Mitgliedsstaaten ihren Verpflichtungen bis- und effektive Managementmaßnahmen inner- lang nur zögerlich nach und die Schutzgebiete halb des Gebietes minimiert oder ausgeschlos- bleiben bisher faktisch ohne Schutzwirkung. sen werden. Fischereimaßnahmen wie saisonale Managementpläne zielen darauf ab, die anth- oder räumliche Ausschlüsse der Fischerei sowie ropogenen Aktivitäten innerhalb der Schutzge- Festlegungen bestimmter Fischereigeräte und biete zu regeln und die jeweiligen Bedrohungen nachhaltiger Fangquoten spielen eine entschei- zu minimieren oder auszuschließen, wobei ein dende Rolle, um Bedrohungen wie Beifang oder ökosystembasierter Ansatz von zentraler Be- Nahrungsknappheit entgegenwirken zu können. deutung ist. Ein erfolgreiches Beispiel solcher Maßnahmen ist das „Banks Peninsula Marine Mammal Sanc- Allerdings stehen dabei Meeresschutzanliegen tuary“ vor Neuseeland. Dieses wurde 1988 zum oft in direkter Konkurrenz zu wirtschaftlichen Schutz des stark gefährdeten Hector-Delfins Interessen. Um den verschiedenen Nutzergrup- (Cephalorhynchus hectori) ausgewiesen (Ree- pen und auch den Meeressäugern gerecht zu ves et al., 2013). Diese relativ ortstreue Delfinart werden, müssen folglich Kompromisslösungen ist hauptsächlich durch Beifang in Stellnetzen gefunden werden, die sowohl den Schutzanfor- gefährdet (Dawson & Sloten, 1993). Durch Aus- derungen der Säugerbestände entsprechen als schluss der kommerziellen Stellnetzfischerei und auch eine abgestimmte und gezielte Nutzung temporär auch der Freizeitfischerei aus dem Ge- durch lokale Interessensgruppen ermöglichen.

Abb. 4: Schweinswal in den Gewässern der dänischen Beltsee.

94 BEGLEITENDE MASSNAHMEN Natura 2000 Schutzgebietsnetzwerkes sowie durch den Aufbau der HELCOM Schutzgebiete, Bei mobilen, wandernden oder stark gefährde- den so genannten Baltic Sea Protected Areas ten Arten sowie bei komplexeren Bedrohungen (BSPAs) umgesetzt werden (Abb. 5). wie dem Beifang, reichen Schutzgebiete alleine meist nicht aus, um für die jeweiligen Arten einen ausreichenden Schutz zu gewährleisten. Zudem BEDEUTUNG DER DEUTSCHEN sind die Gebiete meist zu klein konzipiert, um OSTSEE-NATIONALPARKE FÜR den Ansprüchen von marinen Säugern gerecht zu werden. Für einen adäquaten Schutz sind MARINE SÄUGETIERE dementsprechend ergänzende, flächendecken- Das Hauptverbreitungsgebiet der Schweins- de Maßnahmen außerhalb der Schutzgebiete wal-Population in der westlichen Ostsee befin- erforderlich. Dies spielt vor allem bei stark be- det sich in den inneren dänischen Gewässern drohten Arten wie der Schweinswalpopulation (Sveegaard et al., 2007). Aber auch die Küsten- der Zentralen Ostsee eine entscheidende Rolle. gewässer der deutschen Ostsee werden ganz- Zum einen sind die Bestandszahlen zu gering, jährig von Schweinswalen genutzt, dabei tritt um Schlüsselhabitate oder Verbreitungsschwer- eine räumliche und saisonale Variabilität auf: punkte identifizieren und zielgerichtet schützen Die Schweinswaldichte nimmt von West nach zu können, zum anderen kann das Überleben Ost deutlich ab, wobei in Deutschland die Kie- dieser stark bedrohten Population nur gesichert ler Bucht die höchste Schweinswaldichte auf- werden, wenn die anthropogen verursachte Tö- weist. Weitere wichtige Lebensräume sind die tung dieser Tiere auf weniger als zwei Tiere pro Küstengewässer der Mecklenburger Bucht, der Jahr reduziert wird (ASCOBANS, 2002). Fehmarnbelt und die Kadetrinne. Die inneren Küstengewässer werden hingegen nur verein- Im Rahmen der FFH-Richtlinie ist es vorgesehen, zelt von Schweinswalen genutzt. Des Weiteren diesen flächendeckenden Ansatz zum Schutz ist die Dichte im Gebiet westlich der Darßer von Schweinswalen in der deutschen Ostsee Schwelle in den Sommermonaten deutlich hö- anzuwenden. Im Rahmen eines Artenmanage- her als im Winter (Verfuß et al., 2007; Scheidat mentplanes sollen flächendeckende Maßnah- et al., 2008). Die Pommersche Bucht ist ein wei- men entwickelt werden, die den Schweinswalen teres wichtiges Verbreitungsgebiet, das zuneh- einen adäquaten Schutz im gesamten Gebiet mend an Bedeutung zu gewinnen scheint und der deutschen Ostsee – und darüber hinaus – zudem abwechselnd von beiden Ostseepopu- gewährleisten soll. Solche umfassende Maß- lationen genutzt wird: In den Sommermonaten nahmen können unter anderem die Schaffung von der Population in der westlichen Ostsee von Schutzkorridoren, temporäre oder räumli- und im Winter von der Population in der bedroh- che Fischereibegrenzungen oder eine explizit ten Zentralen Ostsee (Benke et al., 2014). nachhaltige Fischerei beinhalten. Neben dem artenspezifischen Schutz spielt dabei auch der Vereinzelt werden auch Schweinswale im Bio- Habitatschutz eine bedeutende Rolle. sphärenreservat gesichtet, allerdings spielen das Biosphärenreservat wie auch die National- Grenzübergreifender Schutz parke für Schweinswale als Schlüsselhabitat Da sich mobile Meeressäugetiere bei ihren Wan- oder Lebensraum bisher keine bzw. nur eine un- derungen nicht an Ländergrenzen halten, sind tergeordnete Rolle. für einen effektiven Schutz neben nationalen Bemühungen auch grenzübergreifende Schutz- Auch Robben werden vereinzelt in den Gewäs- vereinbarungen notwendig. Dies gestaltet sich sern des Biosphärenreservates oder der Nati- in der Praxis aufgrund fehlender expliziter Man- onalparke angetroffen. Diese Gebiete, wie der date sowie der Abhängigkeit von internationaler Greifswalder Bodden, stellen bislang jedoch Kooperation und Koordination meist als müh- noch keinen bedeutenden Lebensraum für die sam und äußerst schwierig. Ein erfolgreiches Tiere dar. Das Hauptvorkommen von Robben Beispiel für ein solch grenzüberschreitendes befindet sich in der nördlichen Ostsee, in finni- Walschutzgebiet ist das „Pelagos Sanctuary schen und schwedischen Gewässern, während for Mediterranean Marine Mammals“ im Liguri- die aktuelle Wiederansiedlung in der südlichen schen Meer (siehe Kasten auf Seite 92). Ostsee nur langsam erfolgt. Seit dem Jahr 2007 führt das Landesamt für Umwelt, Naturschutz In der Ostsee könnte dieses Konzept eines und Geologie in Zusammenarbeit mit dem Deut- grenzübergreifenden, regionalen Schutzes von schen Meeresmuseum, dem Bundesamt für Na- marinen Säugetieren zum einem im Rahmen des turschutz und dem Biosphärenreservat Südost-

95 Abb. 5: Marines Schutzgebietsnetzwerk in der Ostsee, bestehend aus FFH-Gebieten und den HELCOM Schutzgebieten: die so genannten „Baltic Sea Protected Areas“.

Rügen ein Monitoring durch, um die Rückkehr Auch an der Küste der Pommerschen Bucht, der Robben an die deutsche Ostseeküste zu einschließlich der Nordküste Rügens werden re- dokumentieren und Schwerpunkte der neuen gelmäßig Kegelrobben dokumentiert, z. B. am Vorkommen zu identifizieren. Die meisten Beob- Granitzer Ort, am Kap Arkona oder am Nordperd achtungen liegen aus dem Greifswalder Bodden bei Göhren. Des Weiteren gibt es Sichtungen in vor, wobei der „Große Stubber“ von Kegelrob- der Darß-Zingster Boddenkette mit Liegeplät- ben wohl ganzjährig als Liegeplatz genutzt wird. zen am Ufer des Prerow-Stromes. Sporadisch Weitere Sichtungen gibt es vom und der werden Kegelrobben auch in der Wismarer . Bucht gesichtet. Regelmäßige Meldungen von

96 Seehunden gibt es aus der Wismarer Bucht und Schutzgebieten ist jedoch die Implementierung vor der Rostocker Heide (Hermann, 2012). und konsequente Umsetzung zielführender Das Biosphärenreservat Südost-Rügen sowie Schutz- und Managementmaßnahmen. Durch die beiden Nationalparke spielen bezüglich des zusätzliche und aufeinander abgestimmte Maß- Schutzes von marinen Säugetieren nur eine un- nahmen wie Schutzgebietsnetzwerke, Schutz- tergeordnete Rolle. Sie sind konzeptionell nicht korridore, flächendeckende Schutzmaßnahmen darauf ausgerichtet, um für marine Säuger, vor sowie regionale und internationale Schutzkon- allem Schweinswalen, einen adäquaten Schutz ventionen ist es möglich, auch mobile und regi- gewährleisten zu können. Weder umfassen sie onal wandernde Arten in ihrem gesamten oder wichtige Schlüsselhabitate der Schweinswale zumindest in Teilgebieten ihrer Verbreitung zu oder Robben, noch entspricht die Gebietsgrö- schützen. ße oder das implementierte Schutzregime den notwendigen Voraussetzungen, die für einen Von einem konsequenten Schutz von Meeres- zielgerichteten Schutz von Meeressäugern er- säugetieren würden in der Folge auch andere forderlich wären. Arten und Ökosysteme profitieren, denn idealer- Mit der Rückkehr der Kegelrobben an die weise erfüllt ein umfassender Schutz eine Mul- deutsche Ostseeküste könnten allerdings ver- tifunktion. Diese entspricht den integrierenden schiedene Strände innerhalb des Biosphären- Ansätzen der großen Schutzgebietskonzepte, reservates oder der Nationalparke geeignete die darauf zielen, Küstenregionen umfassend, Liegeplätze für die Tiere bieten. Vereinzelt wer- also einschließlich der zugehörenden Meeres- den diese Schutzgebiete von Robben bereits gebiete nachhaltig im Sinne aller beteiligten regelmäßig aufgesucht. Mit der Wiederausbrei- Stakeholder zu erhalten. Mit effektiven Schutz- tung der Kegelrobben an der deutschen Ost- maßnahmen und ökosystembasiertem Gebiets- seeküste könnte die Anzahl der Tiere in diesen oder Habitatschutz kann ein Schutzgebiet für Gebieten zukünftig noch zunehmen. Eine Vor- marine Säuger durch positive Begleiteffekte zu aussetzung dafür wäre allerdings die Schaffung einem gesunden Ökosystem sowie einer Erho- von Habitatsbedingungen, die eine Wiederan- lung von Fischbeständen, auch außerhalb der siedlung der Tiere unterstützen könnte sowie Schutzgebiete, beitragen. die Implementierung eines spezifischen Schutz- regimes, um mögliche negative Auswirkungen anthropogener Aktivitäten auszuschließen bzw. LITERATUR zu kontrollieren. Aguilar, A. & L. Lowry (IUCN SSC Pinniped Auch wenn das Biosphärenreservat und die Specialist Group) (2013): Monachus mo- Nationalparke für Meeressäugetiere keine un- nachus. In: IUCN 2014. IUCN Red List of mittelbaren Schutzwirkungen aufweisen, tragen Threatened Species. Version 2014.1. sie zu Habitatsverbesserungen bei, von denen ASCOBANS (2002): Recovery Plan for Baltic Har- in der Folge auch marine Säugetiere profitieren bour Porpoises (Jastarnia Plan). Bonn, 26 S. können. Im internationalen Kontext gesehen, ASCOBANS (2012): Conservation Plan for the sind sie zugleich Bestandteil eines ostseewei- Harbour Porpoise Population in the Wes- ten Netzwerkes von Schutzgebieten, welches in tern Baltic, the Belt Sea and the Kattegat. seiner Gesamtheit den Schutz und eine Verbes- Bonn, 38 S. serung der Meeresumwelt in der Ostsee bewir- Benke H., Bräger, S., Dähne, M., Gallus, A., ken kann und somit auch zu einer Verbesserung Hansen, S., Honnef, C. G., Jabbusch, M., der Lebensumwelt der marinen Säugetiere der Koblitz, J. C., Krügel, K., Liebschner, A., Region beiträgt. Naberhaus I. & U. Verfuß (2014): Baltic Sea harbour porpoise populations: status and conservation needs derived from recent FAZIT survey results. Mar Ecol Prog se Vol. 495: 275-290. Biosphärenreservate, Nationalparke und Mee- Berggren, P., Ishaq, R., Zebühr, Y., Näf, C., Band resschutz- oder Walschutzgebiete können bei C. & D. Broman (1999): Patterns and levels entsprechender Konzeptionierung wirkungs- of organochlorines (DDTs, PCBs, non-or- volle Mittel darstellen, um regionale Bestände tho PCBs and PCDD/Fs) in male harbour von Meeressäugetieren vor anthropogen ver- porpoises (Phocoena phocoena) from the ursachten Gefährdungen zu schützen und zu Baltic Sea, the Kattegat-Skagerrak Seas einer Verbesserung ihrer Situation beizutragen. and the West Coast of Norway. Mar Pollut Die Grundvoraussetzung für die Effektivität von Bull 38: 1070-1084.

97 Dawson, S. M. & E. Slooten (1993): Conser- Verfuß, U. K., Honnef, C. G., Meding, A., Dähne, vation of Hector´s dolphins: the case and M., Mundry R. & H. Benke (2007): Geogra- process which led to establishment of the phical and seasonal variation of harbour Banks Peninsula Marine Mammal Sanc- porpoise (Phocoena phocoena) presence tuary. Aquatic Conservation: Marine and in the German Baltic Sea revealed by pas- Freshwater Ecosystems 3: 207-221. sive acoustic monitoring. J. Mar. Biol. Ass. Gormley, A., Slooten, E., Dawson, S., Barker, U.K. 87: 165-176. R., Rayment, W., du Fresne, S. & S. Bräger Wiemann A, Andersen, L. W., Berggren, P., Sie- (2012): First evidence that marine protec- bert, U., Benke, H., Teilmann, J., Lockyer, ted areas can work for marine mammals. C., Pawliczka, I., Skóra, K., Ross, A., Ly- Journal of Applied Ecology 49: 474-480. rholm, T., Paulus, K. B., Ketmaier V. & R. HELCOM (1988): Recommendation 9/1: Protec- Tiedemann (2010): Mitochondrial Control tion of seals in the Baltic Sea area, Helsinki Region and microsatellite analyses on har- Commission, Helsinki. bour porpoise (Phocoena phocoena) unra- HELCOM (2006): Recommendation 27-28/2: vel population differentiation in the Baltic Conservation of Seals in the Baltic Sea Sea and adjacent waters. Conserv Genet Area, Helsinki Commission, Helsinki. 11: 195-211. HELCOM (2009): Biodiversity in the Baltic Sea WSSD (2002): Plan of Implementation; para 32 – An integrated thematic assessment on (c) of the World Summit on Sustainable De- biodiversity and nature conservation in the velopment, Agenda 21, 2002. Baltic Sea, Baltic Sea Environment Pro- ceedings No. 116B, Helsinki Commission. Herrmann, C. (2012): Robbenmonitoring in Mecklenburg-Vorpommern 2006-2012. LUNG, Mecklenburg-Vorpommern. Hoyt, E. (2005): Marine Protected Areas for Whales, Dolphins and Porpoises: A World Handbook for Cetacean Habitat Conser- vation. 2nd Edition. Earthscan, London, 512pp. Huggenberger, S., Benke, H. & C. C. Kinze (2002): Geographical variation in harbour porpoise (Phocoena phocoena) skulls: support for a separate non-migratory population in the Baltic Proper. Ophelia 56: 1-12. Reeves, R. R., Dawson, S. M., Jefferson, T. A., Kar- czmarski, L., Laidre, K., O’Corry-Crowe, G., Rojas-Bracho, L., Secchi, E. R., Slooten, E., Smith, B. D., Wang, J. Y. & K. Zhou, (2013): Cephalorhynchus hectori. The IUCN Red List of Threatened Species. Version 2014.2. Scheidat, M., Gilles, A., Kock K. H. & U. Siebert (2008): Harbour porpoise Phocoena pho- coena abundance in the southwestern Bal- tic Sea. Endang Species Res 5: 215-223. Schwarz, J., Harder, K., von Nordheim, H. & W. Dinter (2003): Wiederansiedlung der Ost- seekegelrobbe (Halichoerus grypus balti- cus) an der deutschen Ostseeküste. Ange- wandte Landschaftsökologie 54: 1-206. SAMBAH (2014): www.sambah.org Sveegaard, S., Hansen Rye, J., Dietz R. & J. Teilmann (2007): Can satellite telemetry show us the key habitats for harbour por- poise? Vortrag auf der Tagung “Year of the dolphin in Europe – Conservation of small cetaceans and marine protected areas”, Stralsund, 19.10.-01.11.2007.

98 Dynamische Küsten Rolf Reinicke

EINLEITUNG in besonderer Weise. Durch sie entstand die bemerkenswerte Vielfalt und Schönheit dieser Küstendynamik – Zerstörung, Abtragung, Mate- Landschaft. Die Eigenart der hier vorhandenen rialtransport und Ablagerung – prägte die vor- Ablagerungen bewirkte dabei eine ungewöhn- pommerschen Meeresufer seit ihrer Entstehung lich intensive Küstendynamik, deren Mecha-

Abb. 1: Nationalpark Jasmund, bei dem im zeitigen Frühjahr 1981 weit über 100 000 Kubikmeter Schreibkreide erdrutsch- artig ins Meer glitten.

99 nismen und Erscheinungsformen im Folgenden zusammenfassend beschrieben werden. Sie sind für das Verständnis der natürlichen Ver- änderungen unserer Küstenlandschaften von großer Wichtigkeit – besonders hinsichtlich der Maßnahmen, mit denen auf sie möglicherweise Einfluss genommen werden soll – auch und be- sonders in den Küstennationalparken Mecklen- burg-Vorpommerns und in deren Umfeld.

KÜSTENGESCHICHTE

Die vorpommersche Küstenlandschaft erhielt ihr ursprüngliches, überwiegend flaches Relief am Ende der letzten Vereisung. Inlandeis und Schmelzwässer formten dabei die Landoberflä- che und hinterließen weitere wenig verfestigte oder lockere Sedimente (hauptsächlich Ge- Abb. 2: Großscholliger Abbruch von Geschiebelehm am schiebemergel und Schmelzwassersande) auf Dornbuschkliff auf Hiddensee (Juli, 2000). den bereits vorhandenen älteren pleistozänen

Abb. 3: Kliffhalde aus abgestürztem und abgerutschtem Geschiebemergel und Geschiebelehm, teilweise bereits abgetra- gen, am Dornbuschkliff auf Hiddensee (August, 1993).

100 Ablagerungen, deren Basis meist Schreibkreide besaßen: das Hohe Fischland (Endmoränenga- bildet. Vor etwa 12 000 Jahren schmolz dort das bel), der Altdarß (Sanderfläche), der Dornbusch letzte Eis. (Stauchendmoräne), Wittow (Grundmoränen- block) und Jasmund (Stauchungsgebiet aus Die Festlandsphase nach dem Versiegen der Schreibkreide und pleistozänen Ablagerungen). Schmelzwässer endete mit dem Eindringen des Hohes Fischland, Altdarß, Dornbusch und Wit- Littorinameeres vor rund 6 500 Jahren. Dabei tow lieferten seither wesentliche Teile der über- entstand eine charakteristische Glazialschutt- wiegend sandigen Lockermassen, aus denen küste. Bei rasch ansteigendem Meeresspiegel das Meer im Küstengebiet des Nationalparks wurden im Bereich der heutigen vorpommer- Vorpommersche Boddenlandschaft im Laufe der schen Küste alle niedrig gelegenen Areale über- Zeit seine Bauwerke errichtete: die aus Strand- flutet. Aus den höher gelegenen entstanden wällen aufgebauten Sandhaken, Nehrungen und Inseln – Inselkerne, an deren Steilufern von An- Höftländer sowie weiträumige Seesandebenen. fang an die Küstendynamik wirkte. Die vom Inselkern Jasmund abgetragenen grö- beren Lockermassen gelangten außerhalb des Beim Erreichen des heutigen Meeresspiegels heutigen Nationalparks zur Ablagerung. Es ist vor etwa 4 000 Jahren hatten sich im Bereich davon auszugehen, dass diese Inselkerne – an der heutigen vorpommerschen Nationalparke – den von der Abtragung am stärksten betroffenen neben einigen kleineren – fünf größere Inselker- Steilküsten – seit ihrer Entstehung um mehrere ne herausgebildet, welche für die weitere Ent- hundert Meter, streckenweise sogar um mehr wicklung der Küste entscheidende Bedeutung als einen Kilometer zurückgeschnitten wurden.

Abb. 4: Nach der Aufarbeitung abgestürzter oder abgerutschter Lockermassen bleibt ein Geröllstrand mit Geschiebeblö- cken zurück. Dornbuschkliff auf Hiddensee (Juni, 2007).

101 ZERSTÖRUNG DER STEILKÜSTEN

Steilküsten sind beständig den Angriffen des Meeres ausgesetzt. Daneben wirken an ihnen fortwährend auch atmosphärische Kräfte: Re- gen, Schnee, Frost und Wind. An der vorpom- merschen Küste hält sich die Abtragung an den aus unverändertem Geschiebemergel, Geschie- belehm oder Schreibkreide bestehenden Steil- ufern durch den Wellenschlag – trotz der gerin- gen Verfestigung dieser Ablagerungen – meist in Grenzen. Regen- und Schmelzwasser füh- ren allerdings zu oberflächlichen Auswaschun- gen. Bei Frost werden von der durchfeuchteten Oberfläche der Steilufer manchmal auf großen Flächen kleine Bröckchen abgesprengt. Sie bleiben als Lockermasse am Fuß des Steilufers liegen und bilden dort die so genannte Klifffuß- Abb. 5: Bei einem Sturmhochwasser wird das Dünenkliff am halde. Besonders auffallend ist dieser Effekt an Darßer Weststrand angegriffen (November, 1992). der Kreideküste. Dort werden auf diese Weise

Abb. 6: Das Dünenkliff am Darßer Weststrand nach einem Sturmhochwasser, bei dem es an dieser Stelle um etwa drei bis vier Meter zurückgeschnitten wurde (April, 1993).

102 die oberflächlich durch Algenwuchs und über- bis hin zum Bodenfließen (Schlammströmen) spültem Lehm „verschmutzten“ Flächen durch und zum Grundbruch. Bei starker Durchfeuch- winterlichen Frost „gesäubert“. Das Gesamtvo- tung sammelt sich außerdem Wasser in den fei- lumen der auf diese Weise freigesetzten Locker- nen Rissen und Spalten des Steilufers. Dringt massen bleibt dabei – jedenfalls im Falle der dann der Frost ein, so kommt es zu natürlichen vorpommerschen Küste – deutlich hinter den Sprengungen, zur Frostsprengung mit Abbrü- bei Abbrüchen und Rutschungen entstehenden chen. An der Kreideküste kann das zur lang- Mengen zurück. samen Ablösung großer Schollen mit nachfol- genden Abbrüchen führen. An den Mergel- und Viel entscheidender für den Rückversatz der Lehmkliffen stürzen meist größere Brocken he- Küsten an den aktiven Kliffen der genannten runter, die oft beim Absturz zerbrechen. Rut- Inselkerne ist deren Zerstörung durch gravitativ schungen und Abbrüche treten auch kombiniert bedingte voluminöse Abbrüche und Rutschun- oder nebeneinander zur gleichen Zeit auf. gen, die vielfach nur punktuell auftreten oder auf Je stärker die Niederschläge sind und je länger kurze Abschnitte der Steilufer beschränkt sind. die verursachte Durchfeuchtung anhält, desto Auch dabei spielen Niederschläge die weitaus stärker quellen Mergel und Lehm. wichtigste Rolle. Der im Geschiebemergel und -lehm enthaltene Ton quillt bei starker Durch- Dadurch kommt es zu Ereignissen, bei denen im feuchtung. Dadurch verliert das Material allmäh- Extremfall in kürzester Zeit Massenbewegungen lich seine Festigkeit und neigt zu Rutschungen von einigen 10 000 Kubikmeter auftreten kön-

Abb. 7: Nach einem Sturmhochwasser ist das Meer vor der Kreideküste durch dispergierte Schreibkreide weiträumig mil- chig-weiß (Januar, 1995).

103 nen. Welche Dimension derartige Abbrüche und Somit entstanden gewaltige Schreibkreide- Rutschungen haben können, zeigt Abbildung schollen, die sich dachziegelartig übereinander 3. Dass sich solche Ereignisse in Zeiten mit schoben. Die Schichten wurden dabei aus ihrer überdurchschnittlichen Niederschlägen stark ursprünglich horizontalen Lagerung gebracht häufen, konnte man gerade in jüngster Zeit be- und schräg oder sogar senkrecht gestellt. So obachten – so nach den niederschlagsreichen gelangten bereits auf der Kreide vorhandene Wintern 2011/12 und 2012/13. ältere eiszeitliche Ablagerungen – überwiegend Geschiebemergel und Schmelzwassersand – als Die insgesamt durch Tektonik fein geklüftete Pleistozänstreifen zwischen die Kreideschollen. Schreibkreide von Jasmund ist auf Grund ihrer Der quellfähige Geschiebemergel dieser Strei- Porosität im Normalfall mit Schichtwasser ge- fen bildet an den Steilufern oft Gleitbahnen für sättigt und nicht quellfähig. Trocknet sie ober- gewaltige Rutschungen. Auf diese Weise kommt flächlich aus, so verhärtet sie, verliert an Dichte es dort zu den größten spontanen Massebe- und wird rissig. Dadurch kann es sogar mitten wegungen an der gesamten deutschen Küste im Sommer an überhängenden Partien zu Ab- (Abb. 1). brüchen kommen. Diese treten auch auf, wenn trockene – also poröse, rissig gewordene Be- Die Zerstörung der Steilküsten ist also insge- reiche nachträglich wieder stark durchfeuchtet samt stark abhängig von der Intensität der at- werden. mosphärischen Einflüsse und von der Lagerung der Schichten. Als Ergebnis häufen sich auf dem Zu größeren Abbrüchen und Rutschungen an Strand vor den Steilufern die Lockermassen zu der Kreideküste kommt es besonders im Be- Kliffhalden von unterschiedlichster Dimensi- reich der in die Schreibkreide eingelagerten so on. An den aus Sand aufgebauten Abschnitten genannten Pleistozänstreifen, die auf jüngste der Steilufer entstehen derartige Halden bereits geologische Vorgänge zurückzuführen sind: Der dann, wenn der bindemittelfreie Schmelzwas- starre, bis tief in den Untergrund gefrorene Krei- ser- oder Dünensand am Kliff trocknet. Dann dekomplex von Jasmund wurde vor 15 000 Jah- beginnt er zu rieseln und zu rutschen – so lange, ren vom letztmals vorrückenden Inlandeis wie bis sich der materialspezifische Neigungswinkel von einer gigantischen Planierraupe gerammt. eingestellt hat.

Abb. 8: Der Neudarß ist ein ausgedehntes, bereits weitgehend bewaldetes Strandwallsystem aus langgestreckten Strand- wällen (Reffs) und verlandeten Strandseen (Riegen; April, 2014).

104 Alle diese erosiven Prozesse gehen nicht kon- und Schreibkreide ohne vorgelagerte Kliffhalde. tinuierlich vor sich, sondern verlaufen unre- Hier bleibt die Wirksamkeit bei mäßiger Was- gelmäßig. Sehr stark abhängig vom jeweiligen serbewegung in der Regel nur gering. Wirkt der Witterungsverlauf, wechseln Zeiten mit starker Wellenschlag an solchen Uferabschnitten aber und deutlich geringerer Dynamik. Es kann sogar über längere Zeiträume und/oder besonders in- Zeiträume (einige Jahre bis mehrere Jahrzehnte) tensiv, so bildet sich oft eine charakteristische geben, in denen aktive Kliffe zeitweise inaktiv Brandungshohlkehle heraus. werden und bewachsen. Sie können aber später reaktiviert werden. An den vom „inneren Küstenzerfall“ betroffenen Steilufern können die Wellen das dort angehäufte gelockerte bzw. aufgequollene Material wesent- MARINE ABTRAGUNG lich leichter abtragen als an unzerstörten Kliffen. UND TRANSPORT Bei der Auswaschung der Lockermassen-Halden erfolgt im Wellenschlag eine Dispergierung der Anders als bei der über längere Zeiträume hin feinsten Bestandteile (Ton, Kreide). Das kann bei verlaufenden Zerstörung der Steilufer konzent- bzw. nach Sturmhochwasser dazu führen, dass rieren sich Abtragung, Transport und Sedimen- weite Teile des vorgelagerten Wasserkörpers tation im Wesentlichen auf Sturmhochwasser- durch dispergierte Partikelchen getrübt sind (Abb. Situationen („Sturmfluten“). Diese Vorgänge 7). Besonders auffällig ist dies an der Kreideküste. spielen sich zwar auch bei wesentlich geringe- Bei der Auswaschung bleiben neben Geschieben ren Wasserbewegungen ab, führen dann aber oft auch die im Schuttstrom oder Abbruch einge- zu keinen vergleichbaren Masseumlagerungen. lagerten stabilen Mergel- oder Kreidebrocken zu- Sobald das Wasser den Fuß des Steilufers er- rück. Sie leisten den anstürmenden Wellen nicht reicht, beginnt es mit der Abtragung. An den selten bedeutend länger Widerstand als stärker Steilufern aus Dünen- oder Schmelzwassersand gelockertes und durchfeuchtetes Material. Die (so z. B. auch am Dünenkliff des Neudarß) stößt fein verteilten Ton- und Kalkteilchen – insgesamt es dabei auf keinerlei Widerstand (Abb. 5). An- die größte Masse des abgetragenen Materials – ders verhält es sich an den unzerstörten Steil- werden vom Wasser mit der Strömung in uferfer- ufern aus Geschiebemergel, Geschiebelehm ne Areale getragen und gelangen dort in größerer

Abb. 9: Am beständig weiter nach Norden wachsenden Darßer Ort zeigen Strandwälle und Strandseen andere Formen als auf dem übrigen Neudarß (April, 2014).

105 Wassertiefe langsam zur Sedimentation. Damit geht dieses Material der Küste definitiv verloren. Schluff, Sand und Kies werden im beständigen Wellenschlag längs der Küste transportiert. Da- bei fungieren sowohl die ufernahen Sandriffe als auch der Seeschlag an der Wasserlinie als Transportbänder für diese feinklastischen Be- standteile. Das grobklastische Material, also Geschiebe und Feuersteinknollen, bleibt in Form von Geröll- und Geschiebeblockstränden vor den aktiven Kliffen zurück. Bei Sturmhoch- wasser mit hoher Wellenenergie können auch Gerölle küstenparallel transportiert werden.

Während des Transportes und der anschließen- den wiederholten Umlagerung erfährt das klas- tische Material im beständigen Wellenschlag eine Korngrößen-Sortierung. Dabei wird Mate- Abb. 10: Der Gellen – ein kilometerlanger Sandhaken – der rial gleicher Korngröße, gleicher Kornform und Süden der Insel Hiddensee (März, 1992). gleicher Dichte konzentriert.

Abb. 11: Dornbusch-Inselkern auf Hiddensee (oben links) und die Sandhaken Alter und Neuer Bessin sowie die ausgedehnte Sanddeponie der Bessin‘schen Schaar (unten; Mai, 2008).

106 ÄOLISCHE ABTRAGUNG, TRANSPORT nen sich bei positiver Materialbilanz zu Weiß- UND SEDIMENTATION dünen entwickeln, die dann einer natürlichen Sukzession unterliegen. An ausgetrockneten Steilufern kommt es be- sonders an sandigen Kliffen bei Starkwind zur Ausblasung (Deflation). Auflandiger Wind trägt MARINE SEDIMENTATION den Sand landeinwärts und häuft ihn dort zu Kliffranddünen an, wie man sie beispielsweise Während, wie oben bereits beschrieben, die di- am Dornbuschkliff oder am Darßer Weststrand spergierten Ton- und Kalkteilchen sowie Schluff beobachten kann. Deflation bei auflandigem vom Wasser mit der Strömung meist in uferfer- Wind bewirkt an den Jasmunder Kreidekliffen – nen Arealen zur Ablagerung gelangen, stehen besonders nach oberflächlicher Lockerung der die an den Steilküsten abgetragenen und durch Kreide durch Frost und anschließender Trocken- küstenparallelen Materialtransport verfrachteten heit – ein besonderes Phänomen: Der Bereich gröberen klastischen Bestandteile für den Auf- der Kliffkante wirkt mit ihren Bäumen wie weiß bau von Flachküsten zur Verfügung. Dabei ge- bepudert. langt feinsandiges Material bereits bei mäßiger Wasserbewegung vom Inselkern in die vorgela- Wird der vorhandene Sand von Starkwinden gerten Flachwassergebiete. Dort wird es vielfach transportiert, so kommt es zu einer Frachtson- in Form großflächiger Sanddeponien („Schaar“) derung. Die Primärdünen auf dem Strand kön- abgelagert. Diese „Sandbänke“ fallen bei Nied-

Abb. 12: Alter und Neuer Bessin, bei etwas höherem Wasserstand als auf Abbildung 11 fotografiert, mit gegenüber 2008 deutlich erkennbaren Veränderungen (September, 2012).

107 rigwasser trocken und zeigen oft zum tieferen Material. Nur an wenigen Stellen gibt es aktive Wasser hin eine ausgeprägte, scharf abgesetzte Uferbereiche („Wiesenkanten“) mit Erosion und Kante („Schaarkante“; siehe Abb. 11). die Entwicklung kleinteiliger Sandhaken. Die Bildung landfester Areale durch marine Se- dimentation erfolgt an der vorpommerschen Küste immer im Zusammenhang mit Sturm- ERGEBNISSE DER KÜSTENDYNAMIK hochwasser-Ereignissen und ist stark von deren Windrichtung und Wellenenergie abhängig. Da- Auf Grund der besonderen Konfiguration von bei wird mobilisiertes Lockermaterial mit abneh- Inselkernen, Halbinseln und Buchten sowie in mender Transportkraft des Meeres auf bereits Folge einer intensiven Küstendynamik durch bestehenden Untiefen wallartig aufgeschüttet. die beschriebenen Vorgänge entwickelte sich Diese über den Meeresspiegel aufragenden in Vorpommern in den vergangenen vier Jahr- langgestreckten Strandwälle unterschiedlichs- tausenden eine Boddenausgleichsküste – eine ter Dimension sind die charakteristischen Bau- ausgeprägte Doppelküste. Dafür gibt es an der elemente fächerförmiger Strandwallsysteme Ostsee nichts Vergleichbares. Große Teile da- wie Sandhaken, Nehrungen und Höftländer. Da- von stehen heute als Nationalpark Vorpommer- bei ist der Neudarß (Abb. 8) das weitaus größte sche Boddenlandschaft unter Schutz. so entstandene Bauwerk der Ostsee in der Na- tionalparkregion. Auch die Kreidesteilküste im Nationalpark Jas- mund verdankt ihre landschaftliche Vielfalt und Große Sandhaken – z. B. Gellen (Abb. 10), Bes- Schönheit der beständig fortschreitenden Küs- sine (Abb. 11 und 12) und Bug – haben eine An- tendynamik. Ohne sie würde dieser beeindru- bindung an einen Inselkern und können mehrere ckende natürliche Aufschluss alsbald bewach- Kilometer lang sein. Das Längenwachstum von sen und seine außerordentliche Attraktivität Sandhaken (z. B. am Neuen Bessin) kann bei verlieren. einem Sturmhochwasser bis zu 20 Meter be- tragen. Großflächige Meersandplatten wie der Der fortdauernde Wandel ist charakteristisch für Ostzingst entstehen durch Sedimentation in na- die Küsten der südlichen Ostsee und wird sich hezu ebenen Flachwasserbereichen im Lee von auch in den kommenden Jahrhunderten fortset- Sandhaken. zen. Der aktuell steigende Meeresspiegel tut ein An den Ufern der dahinter entstehenden Bod- Übriges, um die Dynamik der Ufer und Strän- den dominiert die Verlandung und zwar haupt- de zur alltäglichen Realität der Landschaft am sächlich durch Sedimentation von organogenem Meer zu machen.

Abb. 13: In diesem Bereich des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft erfolgt gegenwärtig die großflächigste Sedimentation: links das Windwatt über der Insel Bock; darunter Barhöft; rechts Hiddensee mit Gellen, Gellenschaar und Vierendel im Westteil des Kubitzer Boddens (April, 2014).

108 Inseln im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft – Paradiese für Küstenvögel Hartmut Sporns

KÜSTENVÖGEL – EIN MARKEN- erkennen sind. Die charakteristischen Rufe von ZEICHEN DES NATIONALPARKS Rotschenkeln und Uferschnepfen erklingen in der Ferne. Der Nationalpark Vorpommersche Boddenland- Mit etwas Glück sind in dieser Zeit des Zuges schaft umfasst eine charakteristische Küsten- sogar balzende Kampfläufer (Abb. 1) auf einer landschaft, die sich deutlich von Schutzgebie- kleinen Anhöhe oder am flachen Wiesentümpel ten im Binnenland unterscheidet. zu entdecken. Eine ihrer Attraktionen ist die Vogelwelt. Dabei üben nicht nur Zugvögel wie Kraniche, Gänse, Näher durchs Fernglas betrachtet, sind die Enten und Schwäne eine besondere Anzie- unterschiedlichen Farben der Kampfläufer- hungskraft für immer mehr Besucher aus. Der hähne von weiß, braun und schwarz erkenn- aufmerksame Naturbeobachter kann in den bar. Zeitweise laufen sie drohend aufeinander Monaten Mai und Juni vom Deichweg an der zu, während die schlicht gefärbten Weibchen Boddenküste bei Zingst Beobachtungen ma- aufmerksam am Rand der kleinen Kampfare- chen, die sonst kaum noch möglich sind: Ein na abwarten. Vereinzelt können auch Bruch- aufgeregter Säbelschnäbler fliegt trillernd am wasserläufer und Rotschenkel dabei sein. Für Bodden­ufer entlang und schwenkt gleich wieder manchen Naturfreund wecken diese Anblicke zur gegenüberliegenden Grasinsel ab. Dort bal- Erinnerungen an vergangene Zeiten, denn im zen noch zahlreiche Kiebitze im Flug, während norddeutschen Flachland und darüber hinaus brütende Einzelvögel in der Salzwiese kaum zu sind ähnlich vogelreiche Feuchtwiesen im Zuge

Abb. 1: Kampfläufer in Balzstimmung auf dem Frühjahrszug zusammen mit Bruchwasserläufern und Rotschenkeln auf den Wiecker Wiesen.

109 Abb. 2: Die Insel Kirr im Barther Bodden, eine unwirtliche Landschaft zwischen Wasser und Land mit zahlreichen Prielen. Sie bietet den meisten Küstenvögeln Raum für ungestörtes Brüten und Rasten (im Hintergrund, Mitte, die Insel Barther Oie). intensiver Landnutzung verschwunden. Die Be- Brutpaaren auf dem Darß, dem Zingst und auf deutung der Küstenvögel spiegelt sich in vielen Westrügen vertreten. Während der Winterrast Veröffentlichungen der ornithologischen Regio- sind darüber hinaus zahlreiche Seeadler als nalliteratur wider. Bekannt sind aus den letzten Nahrungsgäste anzutreffen. Jahrzehnten z. B. Spillner (1973), Hofer (1980), Eine besondere Bedeutung hat im Nationalpark Scheufler (1998) und Schulz (1995, 2008). Vorpommersche Boddenlandschaft der Kranich (Grus grus). Als größter Rastplatz in Nordeu- Viele Küstenvogelarten sind in der Region als ropa haben die flachen Boddengewässer mit Brutvögel oder rastende Zugvögel landschafts- ihrer Umgebung für die Kraniche eine interna- prägend geworden. Neben Inseln mit speziellen tional herausragende Bedeutung. Der Kranich Wiesenstrukturen sind die geschützten Sand- ist außerdem als regelmäßiger Brutvogel in den strände und Sandbänke die wichtigsten Le- Feuchtwäldern anzutreffen (siehe Beitrag von bensräume unserer Küstenvögel. Sie befinden Nowald in diesem Band). Verschiedene Küsten- sich heute hauptsächlich in den Kernzonenbe- vögel finden sich alljährlich im Nationalpark zur reichen des Nationalparks, die von der öffentli- Brut auf Inseln mit offenem Salzgrasland ein, chen Nutzung ausgeschlossen sind. das im Nationalpark ein besonderes Alleinstel- Alle vorkommenden Arten sind in der EU-Vogel- lungsmerkmal bildet. schutzrichtlinie aufgeführt. Sie reichen von den Lappentauchern, Kormo- ranen, Entenvögeln und Gänsen, Rallen- und ZUR HISTORIE Kranichvögeln, Austernfischern, Regenpfeifern und Schnepfenvögeln bis zu den Möwen und Die Bildung von Salzgraswiesen setzte vor Seeschwalben, ebenso Wasservögel, die auch etwa 1 000 Jahren ein. Um diese Zeit wurden weit im Binnenland vorkommen und nicht direkt die Gebiete der Ostseeküste zunehmend inten- zu den Küstenvögeln zählen (Nationalparkamt siver von Menschen besiedelt und genutzt. In Vorpommersche Boddenlandschaft, 2002). Von der Folge kamen Weiderinder in die Landschaft, den Greifvögeln ist der Seeadler (Haliaeetus al- die zu erheblichen Veränderungen der Vegeta- bicilla) als charakteristische Art in der Bodden- tion führten. Regelmäßiger Tritt der Rinderhufe landschaft herauszustellen. Er ist mit mehreren führte zur Verdichtung der Pflanzenmasse, be-

110 a für Schnepfenvögel bilden. Am Beispiel der In- seln Kirr und Oie zwischen und Zingst er- läuterte Jeschke (1982) die Genese und Struktur des Küstensalzgraslandes als spezielles Vogel- biotop. Auf der Insel Kirr ist auch heute noch die Wirkung dieser Mechanismen und Prozesse gut zu erkennen (Abb. 2). Salzwiesen sind nach der Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Richtlinie der Europäischen Union ein zu erhaltener Lebensraumtyp „Atlantische Salz­ wiesen“ (FFH-Richtlinie, 1992). Ihre spezifische Vegetation entstand infolge der Beweidung. Die b Salzbinsenweide (Juncetum geradii typicum) ist die typische Pflanzengesellschaft der Salzwie- sen im Nationalpark (Abb. 3 a-c). Die abgeschiedene Lage der Inseln Oie und Kirr und weiterer kleiner Inseln wie Liebitz und Heuwiese hat dazu geführt, dass sie von der großflächigen Geländeumgestaltung durch die industriemäßige Landwirtschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschont blieben und die Küstenvögel sich dorthin zurückgezo- gen haben. Als Brutgebiete wurden sie während der DDR-Zeiten in kleinen Naturschutzgebieten per Verordnung gesichert (Jeschke et al., 1980). c Der großflächige Schutz wurde mit der Gründung des Nationalparks (Gesamtfläche 78 600 ha) im Jahr 1990 umgesetzt. Im Schutzzweck gemäß § 3 der Nationalpark-Verordnung sind aufge- führt (Ministerrat der DDR, 1990): 1. Die Erhaltung der wichtigsten Wasser- und Wat­­vogelbrutplätze an der deutschen Ost­ seeküste,­ 2. die Sicherung ungestörter Rast- und Winter­ aufent­haltsbedingungen für ziehende Wasser­ vögel, insbesondere den Kranich (bestätigtes Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung Abb. 3: Pflanzenarten im Salzbinsenrasen: laut Ramsar-Konvention) und a) Boddenbinse (Juncus gerardii) mit Erdbeerklee (Trifolium 3. die Erhaltung von mehreren Brutplätzen des fragiferum), b) Meeresstrand-Dreizack (Triglochin mariti- Seeadlers und anderer bestandsbedrohter mum) und c) Laugenblume (Cotula coronophila) bereichert Großvogelarten. als „Neubürger“ (Neophyt) seit einigen Jahren die Pflanzen- welt an den Boddenufern. SALZWIESEN UND SANDSTRÄNDE ALS BRUTGEBIETE sonders des Schilfrohrs (Phragmites commu- nis). Episodische Überflutungen durch salziges Auf Veranlassung des Nationalparkamtes wur- Hochwasser (Salzgehalt 5-10 Promille) bewirk- den verschiedene Boddenwiesen kartiert. Eine ten einen Luftabschluss und die Torfbildung. Im Analyse zu den Salzgrasländern im Bereich der Ergebnis der Beweidung entstanden die Küs- Darß-Zingster Boddenlandschaft erstellten Je- tenüberflutungsmoore, die an ihrer Oberfläche schke und Paulson (2001). das so genannte Salzgrasland bildeten. Über Die Salzgrasinseln mit den dort brütenden Küs- ein feingliedriges Netz von Prielen (Abflussrin- tenvögeln sollen besonders betrachtet werden. nen) erfolgt bis heute das Ein- bzw. Abfließen Sie befinden sich in der Schutzzone II (Pfle- des salzhaltigen Boddenwassers. Tiefer liegen- ge- und Entwicklungszone) des Nationalparks, de Senken sind als Tümpel ausgeprägt, deren denn die Beweidung mit Rindern gilt dort als schlammige Ufer geeignete Nahrungshabitate wichtigste Pflegemaßnahme zur Erhaltung des

111 Abb. 4: Die Zwergseeschwalbe hat in der Strandwalllandschaft des Neuen Bessin nach wie vor ihren gesicherten Brutbe- stand, wie er sonst an der deutschen Ostseeküste selten zu finden ist.

Salzgraslandes. Entgegen dem sonst geltenden Art ist dort die Zwergseeschwalbe (Sternula al- Grundsatz in Nationalparken „Natur Natur sein bifrons) anzutreffen (Abb. 4). lassen“ (Bibelriether, 1992), wird auf einer Flä- Junge Neulandgebiete gehören zu den wich- che von insgesamt 850 Hektar ein Pflegeregime tigsten Entwicklungsflächen des Nationalparks, durchgeführt. Das bedeutet, dass von der Land- insbesondere in seiner Bedeutung als Europä- fläche des Parks – das sind 13 400 Hektar – isches Vogelschutzgebiet, das als Rast- und rund sechs Prozent als Salzgrasland zugunsten Überwinterungsgebiet auf dem ostatlantischen des Artenschutzes erhalten werden (Bibelriether Zugweg internationale Bedeutung hat. Weitere & Sporns, 2011). Bezogen auf die Gesamtfläche Potenziale für Feuchtgebietsvögel bestehen in des Parks – das sind 78 600 Hektar – sind das Form von Renaturierungen von Küstenüberflu- nur rund ein Prozent. tungsräumen und Moorwäldern.

Lebenswichtig für Küstenvögel sind ebenso die Naturflächen der küstendynamischen Strände ZU DEN VERSCHIEDENEN GEBIETEN und Neulandflächen. All dies sind geschützte Lebensräume, die nach der europäischen FFH- Die nachfolgend beschriebenen vorhandenen Richtlinie typisiert werden: die Windwatten mit und potentiellen Gebiete gehören im Jahr 2014 Flachwassergebieten, Lagunen, Sandbänke, zum Nationalpark Vorpommersche Bodden- Primär- und Weißdünen sowie die angrenzenden landschaft (Abb. 5; bei den Ostsee- und Bod- Landflächen. Sie dienen sowohl als geschützte denflächen wurde auf die weitere Kennzeich- Brutbereiche als auch als Rast- und Nahrungs- nung bevorzugter Rastgebiete für ziehende und gebiete. In den Kernzonen des Nationalparks überwinternde Vögel verzichtet). gelegen, erfordern sie keinerlei Pflegemaßnah- men. Störungen durch Menschen und jegliche Zunächst werden die fünf langjährig betreuten technische Eingriffe sind dort verboten. Beson- Gebiete (Nr. 1-5) beschrieben, deren Brutergeb- ders Wat- und Möwenvögel (Charadriiformes), nisse in Tabelle 1 und der Abbildung 6 dargestellt können in Ruhe rasten, Nahrung finden und ih- sind. Die Inseln 1 bis 3 sind dem Zielbereich „offe- ren Nachwuchs aufziehen. Als charakteristische ne Kulturlandschaft“ als herausragendes Küsten-

112 vogelbrutgebiet zugeordnet. Als Naturlandschaft Küstenvogelarten besitzt die Insel eine heraus- mit gleicher Bedeutung sind die Gebiete 4 und ragende Bedeutung (Stiefel & Scheufler, 2001). 5 im Nationalparkplan eingeordnet (Nationalpark- Ein Beispiel ist der Rotschenkel (Tringa totanus) plan, 2002). mit etwa 100 Brutpaaren (Abb. 7). Die Insel wird im Auftrag der Nationalparkverwaltung jährlich 1. Die Insel Kirr ist die größte Insel für Küs- zwischen Juni und Oktober mit Rindern des Gu- tenvögel im Nationalpark. Mit einer Fläche von tes Darß beweidet. etwa 370 Hektar liegt sie südlich des Ortes Zingst im Barther Bodden (siehe Umschlagkar- 2. Auf der Insel Barther Oie hat die Barther te vorn). Sie ist nahezu ebenflächig, baum- und Landwirtschaftsgesellschaft Frauendorf mbH strauchlos und ihr Niveau nur wenige Dezime- den Auftrag zur Weidepflege der 68 Hektar gro- ter über dem Mittelwasserspiegel erhoben. Als ßen Insel übernommen. Dadurch wird der etwa Küstenüberflutungsmoor beherbergt die Insel 50-prozentige Anteil an Salzgrasland sowie hö- das größte Salzwiesentorflager in Mecklenburg- her liegende Inselreste als Feuchtgrasland er- Vorpommern und wurde Jahrhunderte lang als halten. 32 Arten an Küstenvögeln wurden in den Weideland genutzt (Succow & Jeschke, 1989). letzten drei Jahrzehnten auf der Insel registriert Als Rastgebiet für zahlreiche Zugvögel hat die (Stiefel & Scheufler, 2001). Insel Kirr neben weiteren Inseln, Flachwasserge- bieten und Windwattflächen in den Herbst- und 3. Die Insel Liebitz befindet sich südwestlich Wintermonaten große Bedeutung. Als Schlaf- von Rügen im mit einer Fläche platz für Kraniche, aber auch als Zwischenrast- von 41 Hektar. Der von Hecken durchzogene gebiet für Schnepfenvögel und verschiedene Moränenkern wird durch eine Schafbeweidung Gänsearten, konzentrieren sich im Schutz der geprägt. Ein Drittel der Insel ist als Brutrevier Insellage die meisten der mehr als fünfzig Zug- der Küstenvögel reserviert. Dort befindet sich vogelarten des Nationalparks. Dem aufmerk- eine Salzwiese mit Tümpeln und Prielen. Die samen Beobachter fallen unter den rastenden Biotoppflege erfolgt über die einmalige Mahd Gänsen oft die schwarz-weiß gefärbten Non- vor der Brutzeit. Von den 16 Küstenvogelbrutar- nengänse auf. Aber auch als Brutgebiet für 36 ten sind besonders die Kolonie der Sturmmö-

VorhandeneVorhandene und und potentielle potentielle Gebiete Gebiete für für Küstenvögel, Küstenvögel, Stand Stand 2014 2014 KüstenvogelbrutgebietKüstenvogelbrutgebiet «« MoorrenaturierungMoorrenaturierung Sandstrände,Sandstrände, Dünen, Dünen, Wasser- Wasser- und und Windwattgebiete Windwattgebiete kleinerekleinere Inseln Inseln und und Bülten Bülten Verlandungsgebiete und Flachwassergebiete Verlandungsgebiete und Flachwassergebiete NeubessinNeubessin Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft ³ Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft ³ ««

BessinscheBessinsche Schaar Schaar

DarßerDarßer Ort Ort

NeudarßerNeudarßer Bock, Gellen und Gellenschaar MoorwälderMoorwälder Bock, Gellen und Gellenschaar

WieckerWiecker Wiesen Wiesen / / Osterwald Schwinkelsmoor Osterwald Schwinkelsmoor SundischeSundische Wiese Wiese « Kirr « « Kirr « HeuwieseHeuwiese ««Oie Oie «« LiebitzLiebitz

0 2.500 5.000 10.000 Meter 0 2.500 5.000 10.000 Meter NPA VP NPA VP

Abb. 5: Vorhandene und potentielle Gebiete für Küstenvögel (Stand 2014).

113 Tabelle: Brutentwicklung auf den Inseln (siehe dazu auch Abb. 6). 7 1 1 4 3 7 1 1 4 1 6 1 2 13 16 89 92 38 50 40 47 40 31 22 682 176 130 173 197 121 107 100 393 1366 2014 1570 8 3 2 4 1 2 6 1 5 2 12 15 83 76 22 30 28 88 47 10 90 36 26 97 19 525 341 286 118 207 384 1433 2013 2087 1 5 4 8 1 1 7 1 1 2 11 10 83 49 20 73 37 47 97 49 50 24 650 232 401 162 214 109 117 332 1262 2012 1635 9 2 2 3 1 8 3 1 2 1 2 2 2 15 91 42 25 59 34 53 96 52 62 12 38 400 191 230 167 283 123 120 309 1249 2011 1535 8 1 3 2 2 8 1 2 1 4 2 1 1 1 13 94 69 15 60 37 54 10 95 48 61 22 620 173 281 140 276 114 162 376 1266 2010 1985 7 1 1 6 9 1 3 1 7 3 4 1 11 90 72 14 73 24 48 89 45 44 24 450 193 390 120 298 112 147 255 1326 2009 3600 1 1 7 2 3 2 9 3 4 21 10 11 76 57 16 82 28 56 11 36 73 53 930 177 403 227 349 108 114 116 380 1114 2008 3300 8 9 1 7 7 1 3 2 2 5 4 14 78 39 17 63 26 61 95 32 61 62 804 225 643 284 317 108 120 327 1319 2007 3607 8 3 1 7 1 3 1 3 5 2 1 13 74 59 99 17 57 24 50 13 33 50 52 635 347 547 255 105 107 105 300 1308 2006 3408 8 1 2 1 1 6 1 3 1 2 1 1 15 87 51 14 37 24 62 10 22 48 55 835 273 764 138 293 111 111 106 353 1054 2005 3657 3 1 5 1 8 2 5 1 2 1 12 84 48 26 15 23 44 12 33 56 62 247 755 212 374 108 101 108 435 1018 2004 1100 4651 1 9 1 6 1 2 2 8 1 3 5 3 27 82 21 26 37 25 94 61 13 31 59 85 79 814 183 788 133 474 108 320 1173 2003 4686 1 6 1 8 1 1 5 5 1 8 1 3 3 2 3 32 88 20 28 25 39 68 13 93 44 63 67 991 679 213 553 181 387 148 143 234 2002 4432 2 9 2 4 1 4 8 2 1 2 8 1 3 32 67 29 44 26 38 64 13 10 44 49 66 935 650 250 661 160 369 130 130 138 321 2001 5248 1 5 2 2 1 8 8 1 2 4 1 3 33 15 73 17 31 53 26 63 13 10 42 43 35 826 426 173 702 167 549 142 109 145 369 2000 5073 1 5 2 9 1 2 1 8 1 1 1 4 1 2 44 70 20 47 73 48 69 14 11 1? 12 59 51 42 658 284 505 201 667 106 101 159 164 1999 2000 5928 1 3 1 1 2 1 2 3 12 10 72 13 43 50 38 43 12 11 11 67 10 58 73 34 33 716 346 408 189 573 117 141 560 1998 2000 5630 1 1 2 1 7 9 1 2 1 1 2 4 1 11 70 51 98 29 91 46 13 11 17 62 53 37 21 298 303 157 596 107 121 540 612 1997 2300 6017 2 2 5 1 2 3 6 1 2 3 2 2 2 1 2 70 60 36 95 32 76 49 16 13 73 55 41 46 28 740 255 116 613 104 560 616 1996 4960 2 3 6 2 1 4 1 5 1 2 5 1 1 1 1 3 1 60 86 26 72 34 73 48 16 12 78 69 31 52 41 736 341 123 549 108 515 569 1995 1252 2 5 1 4 3 1 1 1 3 1 13 73 11 42 46 56 89 68 15 14 75 53 68 79 383 167 396 101 135 487 522 1994 1800 1100 5300 2 8 8 6 1 5 2 7 2 2 1 1 2 1 79 10 43 60 77 22 20 90 74 89 95 399 173 630 107 111 190 146 666 546 1993 1000 1000 9550 1 9 1 3 2 1 3 2 7 1 23 50 55 69 25 22 64 79 800 221 128 225 767 117 118 177 105 164 792 101 452 1992 1000 10650 1 1 6 1 3 1 1 3 2 5 10 20 45 40 64 91 30 20 60 97 238 223 105 161 703 241 365 104 168 699 154 241 1991 1170 10850 1 2 1 7 1 5 2 1 2 2 2 1 28 45 60 83 36 21 95 168 102 186 120 158 400 101 164 205 690 181 130 1990 1105 1253 15000 Teichhuhn Mantelmöwe Haubentaucher Bläßhuhn Zwergmöwe Kormoran Wasserralle Raubseeschwalbe Höckerschwan Austernfischer Brandseeschwalbe Graugans Säbelschnäbler Flussseeschwalbe Kanadagans Nilgans Sandregenpfeifer Zwergseeschwalbe Küstenseeschwalbe Brandgans Flussregenpfeifer Kiebitz Schnatterente Alpenstrandläufer Krickente Kampfläufer Stockente Bekassine Spießente Knäkente Uferschnepfe Löffelente Großer Brachvogel Großer Kolbenente Rotschenkel Eiderente Schwarzkopfmöwe Tafelente Lachmöwe Reiherente Sturmmöwe Pfeifente Mittelsäger Silbermöwe Heringsmöwe

114 % 100 Neubessin 7 1 1 4 3 7 1 1 4 1 6 1 2 Heuwiese 13 16 89 92 38 50 40 47 40 31 22 682 176 130 173 197 121 107 100 393 1366 2014 1570 90 Liebitz 8 3 2 4 1 2 6 1 5 2 Barther Oie 12 15 83 76 22 30 28 88 47 10 90 36 26 97 19 525 341 286 118 207 384 80 1433 2013 2087 Kirr 1 5 4 8 1 1 7 1 1 2 11 10 83 49 20 73 37 47 97 49 50 24 650 232 401 162 214 109 117 332 70 1262 2012 1635 9 2 2 3 1 8 3 1 2 1 2 2 2 15 91 42 25 59 34 53 96 52 62 12 38 60 400 191 230 167 283 123 120 309 1249 2011 1535 8 1 3 2 2 8 1 2 1 4 2 1 1 1 50 13 94 69 15 60 37 54 10 95 48 61 22 620 173 281 140 276 114 162 376 1266 2010 1985

40 7 1 1 6 9 1 3 1 7 3 4 1 11 90 72 14 73 24 48 89 45 44 24 450 193 390 120 298 112 147 255 1326 2009 3600

30 1 1 7 2 3 2 9 3 4 21 10 11 76 57 16 82 28 56 11 36 73 53 930 177 403 227 349 108 114 116 380 1114 2008 3300

20 8 9 1 7 7 1 3 2 2 5 4 14 78 39 17 63 26 61 95 32 61 62 804 225 643 284 317 108 120 327 1319 2007 3607

10 8 3 1 7 1 3 1 3 5 2 1 13 74 59 99 17 57 24 50 13 33 50 52 635 347 547 255 105 107 105 300 1308 2006 3408 0 8 1 2 1 1 6 1 3 1 2 1 1 15 87 51 14 37 24 62 10 22 48 55 835 273 764 138 293 111 111 106 353 1054 2005 3657 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 3 1 5 1 8 2 5 1 2 1 12 84 48 26 15 23 44 12 33 56 62 247 755 212 374 108 101 108 435 Abb. 6: Brutvorkommen 1990 bis 2014 in den fünf betreuten Gebieten. 1018 2004 1100 4651 1 9 1 6 1 2 2 8 1 3 5 3 27 82 21 26 37 25 94 61 13 31 59 85 79 814 183 788 133 474 108 320 1173 2003 4686 wen (Larus canus) mit etwa 250 Brutpaaren zu bereichen in einer hochdynamischen Landschaft 1 6 1 8 1 1 5 5 1 8 1 3 3 2 3 32 88 20 28 25 39 68 13 93 44 63 67 991 679 213 553 181 387 148 mit Sandbänken, Strandwällen und Flachwasser- 143 234 nennen, aber auch Flussseeschwalben (Sterna 2002 4432 hirundo), Säbelschnäbler (Recurvirostra avoset- bereichen. Neben einjährigen Spülsäumen (FFH- 2 9 2 4 1 4 8 2 1 2 8 1 3 32 67 29 44 26 38 64 13 10 44 49 66 ta), Graugänse (Anser anser), Brandgänse (Ta- LRT 1210) mit jungen Primärdünen (LRT 2110) 935 650 250 661 160 369 130 130 138 321 2001 5248 dorna tadorna) sowie weitere Entenarten. sind dort auch jene Brutbereiche, die in kurzen 1 5 2 2 1 8 8 1 2 4 1 3 33 15 73 17 31 53 26 63 13 10 42 43 35 Hochwassersituationen weggespült werden kön- 826 426 173 702 167 549 142 109 145 369 2000 5073 4. Die Insel Heuwiese wird durch naturdynami- nen. Das Gebiet verändert sich von Jahr zu Jahr. 1 5 2 9 1 2 1 8 1 1 1 4 1 2 44 70 20 47 73 48 69 14 11 1? 12 59 51 42 sche Prozesse wie Hochwasser und Vogelweide Durch die Abtrennung von Sandhaken entstehen 658 284 505 201 667 106 101 159 164 1999 2000 5928 offen gehalten. Die kleine Insel mit einer Fläche ständig neue Insellagen, die für die Bodenbrüter 1 3 1 1 2 1 2 3 12 10 72 13 43 50 38 43 12 11 11 67 10 58 73 34 33 von etwa 14 Hektar befindet sich im Westrügen- den Schutz vor Haarraubwild verbessern (siehe 716 346 408 189 573 117 141 560 1998 2000 5630 schen Bodden, südlich der Insel Ummanz. Sie Abb. 12 im Beitrag von Reinicke in diesem Band). 1 1 2 1 7 9 1 2 1 1 2 4 1 11 70 51 98 29 91 46 13 11 17 62 53 Neben Zwergseeschwalben und Sandregenpfei- 37 21 beherbergt die einzige Brutkolonie des Kormo- 298 303 157 596 107 121 540 612 1997 2300 6017 rans (Phalacrocorax carbo sinensis) im National- fern (Charadrius hiaticula) sind Säbelschnäbler 2 2 5 1 2 3 6 1 2 3 2 2 2 1 2 park – die Vögel haben sich dort als Bodenbrüter typische Brutvögel auf dem Neubessin (Abb. 9). 70 60 36 95 32 76 49 16 13 73 55 41 46 28 740 255 116 613 104 560 616 1996 4960 spezialisiert (Abb. 8). Insgesamt 17 Brutvogelar- Als Rastgebiet für zahlreiche Enten, Gänse, Kor- 2 3 6 2 1 4 1 5 1 2 5 1 1 1 1 3 1 ten besiedeln die Insel, wobei Silbermöwen (La- morane und Limikolen sind die Schaarflächen am 60 86 26 72 34 73 48 16 12 78 69 31 52 41 736 341 123 549 108 515 569 1995 1252 rus argentus), Höckerschwäne (Cygnus olor) und Neuen Bessin besonders geeignet. 2 5 1 4 3 1 1 1 3 1 Kormorane neben Seeschwalben- (Sternidae) 13 73 11 42 46 56 89 68 15 14 75 53 68 79 383 167 396 101 135 487 522 1994 1800 1100 5300 und Entenarten (Anatidae) charakteristisch sind. 6. Weitere Inseln, Bülten und Flachwasserge- 2 8 8 6 1 5 2 7 2 2 1 1 2 1 Der Nährstoffeintrag infolge der Guanodüngung biete sind für die Vogelwelt des Nationalparks 79 10 43 60 77 22 20 90 74 89 95 399 173 630 107 111 190 146 666 546 1993 1000 1000 9550 durch Vogelkot um die Seevogelkolonien hat von Bedeutung. Sie sind Rückzugsorte für En- 1 9 1 3 2 1 3 2 7 1 im Inselzentrum flächiges Meldegestrüpp (Atri- tenvögel, Rallen (Rallidae) und andere Schilfbrü- 23 50 55 69 25 22 64 79 800 221 128 225 767 117 118 177 105 164 792 101 452 1992 1000 10650 plex calotheka) entstehen lassen, das von den ter. In der Darß-Zingster Boddenkette und im Kormoranen zur Errichtung der Bodenhorste Meinigen- bzw. Zingster Strom sind es die als 1 1 6 1 3 1 1 3 2 5 10 20 45 40 64 91 30 20 60 97 238 223 105 161 703 241 365 104 168 699 154 241 1991 1170 10850 „abgeweidet“ wird. Die Ungestörtheit der Insel „Bülten“ bezeichneten Schilfinseln, die sich im lässt mehr als anderswo die natürlichen Abläufe Nationalpark frei entwickeln können. Erfolgrei- 1 2 1 7 1 5 2 1 2 2 2 1 28 45 60 83 36 21 95 168 102 186 120 158 400 101 164 205 690 181 130 1990 1105 1253 15000 zu. So konnten erstmalig Mechanismen wie die che Bruten der Graugans wurden z. B. seit dem Prädation durch Seeadler in einer Kormoranko- Jahr 2013 auf solchen Inseln nahe Zingst beob- lonie dokumentiert werden. achtet (Abb. 10). Für Kegelrobben (Halichoerus grypus) sind diese Inseln Ruheplätze (siehe Bei- 5. Die ständig wachsende Halbinsel Neubessin trag von Brtnik in diesem Band). im Kernzonen-Bereich am nordöstlichen Ende der Wasservogelreiche Gebiete befinden sich im Teichhuhn Mantelmöwe Haubentaucher Bläßhuhn Zwergmöwe Kormoran Wasserralle Raubseeschwalbe Höckerschwan Austernfischer Brandseeschwalbe Graugans Säbelschnäbler Flussseeschwalbe Kanadagans Nilgans Sandregenpfeifer Zwergseeschwalbe Küstenseeschwalbe Brandgans Flussregenpfeifer Kiebitz Schnatterente Alpenstrandläufer Krickente Kampfläufer Stockente Bekassine Spießente Knäkente Uferschnepfe Löffelente Großer Brachvogel Großer Kolbenente Rotschenkel Eiderente Schwarzkopfmöwe Tafelente Lachmöwe Reiherente Sturmmöwe Pfeifente Mittelsäger Silbermöwe Heringsmöwe Insel Hiddensee gehört zu den jüngsten Neuland- Westrügener Bereich bei der Insel Schaproder

115 Öhe und in Verlandungsbuchten an der Bod- Als weiteres Projekt wird die Renaturierung des denküste. Besonders sind die Udarßer Wiek Osterwaldes bei Zingst mit seinem Regenmoor mit dem Gahlitzer Strom und die Landower und vorbreitet (etwa 750 ha). Durch kaskadenför- Pribowsche Wedde zu nennen. Einige in der miges Zurückhalten des Niederschlagswas- Vergangenheit bekannte Brutinseln für Küsten- sers werden die Torfmoose zu neuem Wachs- vögel, wie die Fährinsel, und Mährens tum angeregt. Im neuen Moorwald mit anderer sowie Schmidtbülten haben ihre Bedeutung Baumvegetation könnte für Arten wie Kranich, derzeit verloren. Sie haben als potentielle Flä- Waldschnepfe (Scolopax rusticola), Waldwas- chen für neue Entwicklungen jeweils ihren eige- serläufer (Tringa ochropus) und Bekassine nen Reiz. (Galinago galinago) eine geeignete Brutumge- bung entstehen. Vielleicht werden dort sogar 7. Sandstrände, Dünen, Wasser- und Wind- Schwarzstörche (Ciconia nigra), die sich jährlich wattgebiete im Spätsommer als Zuggäste im Gebiet aufhal- Besonders die Strandwälle mit ihren Primär- ten, neue Brutreviere begründen. dünen, Dünenheidelandschaften und auch die Ebenso wird mit der geplanten Renaturierung großen Flachwasserzonen stellen wichtige Le- der Vorflut im Neudarßer Waldgebiet (ca. 1 300 bensraumtypen dar. Dazu gehören die Schaar- ha) der ursprüngliche Charakter der Waldmoor- gebiete vor dem Darßer Ort und am Pramort, gebiete mit den Erlenbrüchen und bewaldeten das Windwatt des Bocks, am Gellen und im Dünen zurückgewonnen. Bereich Bessin. Das Windwatt am Gellen wird Die Wiecker Wiesen mit dem Schwinkelsmoor z. B. von vielen Säbelschnäblern der Ostsee- und am Prerowstrom (ca. 400 ha) werden sich population im August als Mauserplatz genutzt nach der geplanten Rückdeichung zu einer in- (Dierschke & Helbig, 2008). Sandregenpfeifer, teressanten Offenlandschaft mit Küstenvögeln Zwergseeschwalben, Rotschenkel und Kiebit- entwickeln. ze (Vanellus vanellus) gehören zu den Arten, die auch vom Rundweg am Darßer Ort zur Brutzeit zu beobachten sind. Als seltener Brutvogel wur- ENTWICKLUNG DER BRUTBESTÄNDE de auf dem Windwatt vor Pramort in den Jah- VON 1990 BIS 2014 ren 2001, 2003 und 2005 der Seeregenpfeifer (Charadrius alexandrinus) mit ein bis zwei Brut- Die Anzahl der Brutpaare in den fünf betreuten revieren nachgewiesen. Eine typische Brutvo- Küstenvogelbrutgebieten des Nationalparks gelart der Dünenlandschaft ist die Brandgans (oben unter 1-5 genannt) sind von 1990 bis 2014 (Abb. 11), die ansonsten ihren Lebensbereich in der Tabelle (Seite 114) sowie in Abbildung 6 auf den Windwattgebieten um Bessin, Gellen dargestellt. Sie fasst die Zählergebnisse der eh- und Darßer Ort hat. renamtlichen Küstenvogelbetreuer zusammen. In den krautigen Graudünen (prioritärer FFH-LRT Danach haben in den Gebieten während der 2130) am Darßer Ort und in der Dünenheide Hid- zurückliegenden zweieinhalb Jahrzehnte insge- densee „ernten“ durchziehende Regenbrachvö- samt 45 Küstenvogelarten gebrütet. gel (Numenius phaeopus) im Spätsommer die Die Brutgebiete im Nationalpark beherbergen Früchte der Krähenbeeren (Empetrum nigrum). nahezu die Hälfte des Brutbestandes an Küs- Zahlreiche Zugvögel finden sich alljährlich auf tenvögeln in Mecklenburg-Vorpommern. Au- den Windwattflächen ein. Neben Schnepfenvö- ßerhalb des Nationalparks wurden landesweit geln, Enten und Gänsen sind es die rastenden weitere 26 Gebiete an der Ostseeküste erfasst Kraniche, die hier im Frühjahr und im Herbst ih- (Herrmann & Junge, 2013). Bis zum Jahr 2014 ren sichersten Schlafplatz finden. hat sich der Rückgang der Küstenvogelbruten auf einem Niveau unter dem Stand von 1990 8. Die Renaturierungsgebiete eingepegelt. Ähnliche Verhältnisse wurden auch Das größte Renaturierungsprojekt in der Sundi- an der Wattenmeerküste der Nordsee festge- schen Wiese wird mit der Rückgewinnung von stellt (Hälterlein mdl., 2014). mehr als 1 800 Hektar natürlicher Küstenlebens- Signifikant ist der Rückgang der Lachmöwen (La- räume (Küstenüberflutungsland), davon 360 rus ridibundus) mit ihren einstmals großen Koloni- Hektar wieder herstellbares Salzgrasland, noch en. Reduziert haben sich ebenfalls die Bestände im Jahr 2015 realisiert. Durch den Rückbau des der Sturmmöwen. Damit gingen auch Verände- Boddendeiches entstehen neue Feuchtgebiets- rungen bei den Limikolen (Watvögeln) und See- lebensräume, die besonders für Küstenvögel schwalben einher, die oftmals vom Schutz durch von hoher Attraktivität sein werden. Vom neuen Möwenkolonien profitieren. Rasant haben sich Deichweg können Besucher diese Landschaft dagegen die Brutbestände der Silbermöwe ent- erleben. wickelt. Kormorane gründeten erstmals 1991 mit

116 Abb. 7: Der Rotschenkel hat mit etwa 100 Brutpaaren seinen stabilen Bestand auf der Insel Kirr, in anderen Gebieten ist er wesentlich seltener vertreten.

Abb. 8: Kormorane brüten seit 1991 in einer Bodenbrüterkolonie auf der Insel Heuwiese im westrügenschen Bodden.

238 Brutpaaren im Gebiet des Nationalparks ihre zur Bestandsreduzierung an der Kolonie wurden Bodenbrüterkolonie auf der Insel Heuwiese. Der im Nationalpark nicht zugelassen. Brutbestand wuchs bis 1997 auf ein Maximum Zugenommen haben im letzten Jahrzehnt die von 2 300 Brutpaaren an und hat sich seitdem Graugansbruten, während andere Entenarten bis 2014 auf 682 Brutpaare reduziert. Eingriffe auf dem Rückzug sind. Seit mehr als zehn Jah-

117 ren kommt die Bekassine im gesamten Natio- ren Regularien wie Prädatoren- und Weidema- nalpark nur noch als Zugvogel vor. nagement optimal gelungen. Dennoch lassen Einen nahezu stabilen Brutbestand weisen die die erreichten und laufenden Entwicklungen auf Arten Kiebitz und Rotschenkel auf, die haupt- Verbesserungen der Lebensbedingungen für die sächlich auf der Insel Kirr brüten und erfreuli- Küstenvögel hoffen. cher Weise auch die Überflutungswiesen in der Kernzone an Darßer Ort besiedeln. Diese bei- den Arten sind im restlichen Grünlandgebiet des GRUNDSÄTZE DES MANAGEMENT Nationalparks, trotz geförderter Extensivbewirt- schaftung als Brutvögel, nahezu verschwunden. Die natürliche Küstendynamik ist in größtmögli- Stabilisieren konnte sich jedoch weiterhin der chem Umfang aufrecht zu erhalten. Damit wer- Brutbestand der Uferschnepfen (Limosa limo- den insbesondere folgende Habitatvorausset- sa) auf den Inseln Kirr und Barther Oie als den zungen für Vögel erfüllt bzw. ihre Neubildung größten Brutplätzen dieser Art in Mecklenburg- zugelassen: ungestörte Sedimentbildungen, Vorpommern (Herrmann & Junge, 2013). Windwattflächen, Haken und Nehrungen, Sand- Zwischen den Brutinseln im Nationalpark findet bänke, aktive Kliffs, Dünen-und Strandseebil- oft ein Austausch statt: Nachdem sich die Kolo- dungen und Überflutungsmoore mit ursprüngli- nie der Brandseeschwalben (Sterna sandvicensis) chen, ungestörten Strand- und Dünenbereichen. auf der Insel Heuwiese 1995 auflöste, siedelten Nicht zuletzt ist die Erhaltung großer störungs- sich die Vögel auf den Inseln Kirr und Oie neu an. freier Wasserflächen und eines störungsarmen Auf der Barther Oie wuchs bis zum Jahr 2000 die Luftraumes der oberste Grundsatz, der in einem Brandseeschwalbenkolonie auf 700 Brutpaare an. Europäischen Vogelschutzgebiet zu beachten Als neu eingewanderte Brutvogelarten in den zu- ist (Scheller, 2001). rückliegenden zwei Jahrzehnten sind der Kormo- Desweiteren sind die landschaftstypischen Salz­ ran, die Küstenseeschwalbe (Sterna paradisaea) wiesen im Nationalpark mittels Beweidung zu er- und die Nilgans (Alopochen aegyptiacus) zu nen- halten und für die bodenbrütenden Küstenvögel nen. Die Brutbestände werden sich auch zukünf- zu optimieren, was gezielte Maßnahmen erfordert. tig dynamisch entwickeln (Herrmann, 2010). Der Raubsäugerbestand, besonders an Füch- In der Auswertung der Brutvogelentwicklung sen, ist jährlich zu kontrollieren und durch Jagd- sollen abschließend die Arten Alpenstrandläufer beauftragte so zu regeln, dass Bruterfolge ge- (Calidris alpina schinzii) und Kampfläufer (Philo- währleistet sind. Bisher fehlte landesrechtlich machus pugnax) besonders genannt werden, da die Ermächtigungsgrundlage, alle erforderlichen ihre Bestände inzwischen ein Minimum erreicht Jagdregulierungen durchzuführen. haben. Beiden Arten galt in den zurückliegen- den Jahrzehnten immer besondere Aufmerk- samkeit. Für den so genannten „Ostsee-Alpen- BETREUUNG DURCH VOGELWARTE strandläufer“ befindet sich der letzte Brutplatz des Landes Mecklenburg-Vorpommerns auf der Mehr als 50 ehrenamtliche Vogelwärter be- Insel Kirr. Ehemalige Vorkommen an der Müritz, treuen jährlich während der Brutzeit die derzeit in der Wismarbucht und am Greifswalder Bod- fünf wichtigsten Küstenvogelbrutgebiete im den sind seit Jahren erloschen. Der Kampfläufer Nationalpark. Mitglieder des Ornithologischen war in den letzten Jahren ebenfalls nur noch mit Vereins Halle wirken seit vielen Jahren dabei einem Brutpaar vertreten, wobei wahrscheinlich mit, den aktuellen Entwicklungsstand der Insel kein Bruterfolg zustande kam. Diese Situation Kirr zu beurteilen. Gemeinsam mit dem Land- sollte besonderer Anlass sein, möglichst alle schaftspflegebetrieb des Gutes Darß und dem bekannten Ansprüche an den Lebensraum die- Nationalparkamt werden unter anderem Auf- ser Arten zu optimieren. triebszeitpunkte, Weidebereiche und Herden- Insgesamt muss festgestellt werden, dass in größe festgelegt. den zurückliegenden 25 Jahren für die Küsten- vogelbestände im Nationalpark Vorpommer- Die Fachgruppe der Ornithologen aus Waren- sche Boddenlandschaft eine dynamische Ent- Müritz ist für die Barther Oie in gleicher Weise wicklung mit deutlich abnehmender Tendenz tätig. Für die Inseln Liebitz, Heuwiese und den zu verzeichnen ist. Die Ursachen für solche Neuen Bessin sind weitere ehrenamtliche Orni- Bestandsänderungen sind allgemein von kom- thologen unter Anleitung des Nationalparkam- plexer Natur. Nicht zuletzt dürften aber auch tes im Einsatz. Arealverschiebungen von Vogelarten in Verbin- Den Brutbestandserfassungen in den Küstenvo- dung mit dem Klimawandel zu betrachten sein. gelbrutgebieten liegen bestimmte Kriterien zu- Nicht immer sind die von Menschen steuerba- grunde. Entscheidend ist dabei, den Störungs-

118 Abb. 9: Säbelschnäbler mit Nachwuchs werden jährlich in unterschiedlicher Anzahl in fast allen Küstenvogelbrutgebieten des Nationalparks nachgewiesen, hier auf dem Neuen Bessin.

Abb. 10: Graugänse brüten auf einer kleinen Nachbarinsel vom Kirr, aber inzwischen auch in weiteren Nationalparkgebieten. grad für die Vögel so gering wie möglich zu NEUE RÄUME FÜR KÜSTENVÖGEL – halten. Der Schutz der Brutvögel behält Vorrang WILDE LANDSCHAFT AM MEER vor der exakten Erhebung. Dieser Grundsatz ist auch den Vogelwärtern in der standardisierten Mit dem 1990 gegründeten Nationalpark wurde Methodik vorgegeben (Graumann et al., 1995). ein großflächiges Renaturierungsvorhaben be- Nestersuche und ihre Kennzeichnung haben zu gonnen, das mit der Umwandlung ehemals in- unterbleiben. Die Brutbestände werden nach re- tensiv genutzter und entwässerter Polderflächen vieranzeigenden Merkmalen ermittelt. in eine extensive Form der Landwirtschaft seinen

119 Abb. 11: Brandgänse sind mit ihren „Kinderstuben“ auf den Gewässern um den Bessin, Gellen, Bock und Darßer Ort zu beobachten.

Anfang nahm. Der langwierige Prozess zur Rück- ZUSAMMENFASSUNG gewinnung natürlicher Küstenstandorte ist noch nicht abgeschlossen, dauert an und wird noch Der Erhalt der wichtigsten Wat- und Wasservo- eine gewisse Zeit erfordern. Weitere Lebensräu- gelbestände an der deutschen Ostseeküste ist me könnten für Küstenvögel entstehen, wenn für den Nationalpark Vorpommersche Bodden- der freien Küstendynamik im Nationalpark noch landschaft ein vorrangiges Anliegen. Die Beson- mehr Raum gelassen wird. Als Voraussetzung derheiten der Landschaft der Salzwiesen auf dafür wurde in den Hochwasserschutz der Ort- Küstenüberflutungsmooren werden beschrie- schaften schon angemessen investiert, so dass ben und in ihre Entstehung als Kulturfolgeland- nun Renaturierungen folgen können. schaft erläutert. Mit dem Anteil von nur einem Küstendynamische Prozesse verändern immer Prozent an der Gesamtfläche des Nationalparks wieder Uferlinien und die Vegetation. Sie schaf- steht die landschaftspflegende Beweidung der fen neue Lebensräume. Im Gebiet des National- Salzgrasinseln im Einklang mit den internationa- parks zeigt sich, dass sehr attraktive naturbe- len Kriterien zur freien natürlichen Entwicklung lassene Brutgebiete vorhanden sind und immer der Nationalparkgebiete. wieder neu entstehen. Der Darßer Ort und der Neue Bessin sind dafür instruktive Beispiele. Neben den Salzgrasinseln sind die Sandsträn- Weitere Brutbereiche befinden sich an Abschnit- de, Dünen und Windwattgebiete die wichtigs- ten der Boddenküste mit Vordeichflächen und ten Lebensräume für Küstenvögel in diesem in künstlich entwässerten Polderflächen. Gro- Nationalpark. Es gilt jedoch, weitere genutzte ße Potenziale bergen derzeit noch entwässer- Gebiete für eine natürliche Entwicklung zurück- te Moor- und Waldgebiete hinter den Deichen. zugewinnen. Das vorhandene Potenzial wird be- Die Schaffung möglichst unbeeinflusster natür- schrieben und eingeschätzt. licher Bedingungen sollte daher zukünftig noch mehr Beachtung finden. Dafür bieten nicht nur Es werden die wichtigsten Gebiete in ihrer un- die Kernzonen des Nationalparks geeigneten terschiedlichen Größe und Ausprägung mit den Raum. Baggerungen überflüssiger Schifffahrts- verschiedenen Brutvogelarten vorgestellt. Die wege, meist mit touristischem Hintergrund, soll- Entwicklung der Brutvögel auf den derzeitig wich- ten zukünftig unterbleiben. Mit der Umsetzung tigsten Inseln wird in den Jahren von 1990 bis der Nationalparkziele ist ein Langzeitprogramm 2014 in ihrer Dynamik diskutiert und mit einer Ta- verbunden, das in den zurückliegenden Jahren belle wiedergegeben, in der 45 brütende Küsten- erfolgreich begonnen wurde. vogelarten aufgelistet sind. Es sind die Bestands-

120 Ein Vogelschutzgebiet mit internationaler Bedeutung Das Europäische Vogelschutzgebiet „Vorpommersche Boddenlandschaft“ (Important Bird Area Nr.: DE 1542-401) ist das wichtigste Überwinterungsgebiet für Wasservögel im ge- samten Ostseeraum (Nationalparkplan, 2002). Der gesamte Nationalpark gehört deshalb neben weiteren angrenzenden Flächen zum EU-Vogelschutzgebiet (EU-Vogelschutzrichtlinie 79/409 EWG und Vogelschutzgebietslandesverordnung M-V, 2011). 34 Vogelarten des Anhanges I der EU-Vogelschutzrichtlinie (besonders zu schützende Ar- ten) kommen regelmäßig in beträchtlicher Anzahl vor. Die Rastbestände von 24 Arten über- steigen im Nationalpark regelmäßig das ein Prozent-Kriterium der afrikanisch-eurasischen Rastpopulation nach Ramsar-Konvention (1 % der Flyway-Population). Dieser Status inter- nationaler Bedeutung trifft vor allem auf die Wasserflächen des Nationalparks zu.

Nonnengänse als rastende Zugvögel in der Boddenlandschaft Nonnen- oder Weißwangengänse (Branta leucopsis) sind in den letzten Jahren sehr zahlreich in der Boddenlandschaft zu beobachten (Abb. 12). Als rastende Zugvögel suchten im April/ Mai 2014 bis zu 10 000 Tiere die Inseln Kirr und Oie im Barther Bodden auf. Auch im Januar 2015 deutet sich die gleiche Tendenz an. Vermutlich haben Stürme im Ostseebereich eine Zugwegverlagerung an die Südküste in unsere Nationalparkregion hinein bewirkt. Auf ihrem Rückflug aus dem Überwinterungsgebiet im Wattenmeer überflogen die Nonnengänse die Ostsee bisher weiter nördlich über die Insel Gotland und das Baltikum zum Weißen Meer und an der russischen Nordküste bis zu den Brutplätzen in Sibirien. Auf dem Langstreckenflug in die Arktis suchen die Gänse Zwischenrastgebiete auf, um Energiereserven aufzufrischen. Ungestörtheit und genügend Zeit zum Fressen sind dort deshalb sehr wichtig. Die Nonnengans gehört zu den Arten, deren Rastbestände das Kriterium „internationale Be- deutung“ (1 % der Flyway-Population) im Nationalpark regelmäßig überschreiten.

Abb. 12: Große Ansammlungen von Nonnengänsen infolge der Zugwegverlagerung (bis zu 10 000 Exemplare) gibt es seit 2014 auf der Frühjahrsrast bei den Inseln Kirr und Oie im Barther Bodden zu beobachten.

121 daten der fünf betreuten Gebiete in den einzelnen Graumann, G., Nehls, H.-W. & U. Köppen (1995): Jahren enthalten. Ornithologische Fachgruppen Anleitung zur Brutbestandserfassung von und andere ehrenamtliche Vogelwärter sorgen Küstenvögeln an der Ostsee, AG Küsten- seit vielen Jahren für die Betreuung der Küsten- vogelschutz Mecklenburg-Vorpommern. vogelschutzinseln. Die Sicherung der ungestör- Herrmann, C. ( 2010): Biodiversität als dynami- ten Rast- und Winteraufenthaltsbedingungen für scher Prozess; Ornithologischer Rundbrief ziehende Wasservögel und insbesondere für Kra- M-V, Tagungsband 8. Deutsches See- u. niche ist ein weiteres wichtiges Anliegen im Nati- Küstenvogelkolloquium: 17-38. onalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Herrmann, C. & M. Junge (2013): Seevögel, Band 34, Heft 3, 148 S. Auch nach den ersten 25 Jahren des Bestehens Hofer, K. J. (1980): Land zwischen Meer und werden sich die Lebensräume für die Küsten- Bodden, Brockhaus Verlag Leipzig, 175 S. vögel im Nationalpark weiter verbessern. Dazu Jeschke, L. (1982): Salzgrasland und Vogelbio- schaffen die Gewährung der natürlichen Küs- top, MEER UND MUSEUM, Bd. 3, S. 40-52. tendynamik und die erfolgreiche Beendigung Jeschke, L., Klafs, G., Schmidt, H. & W. Starke verschiedener Renaturierungsvorhaben erfor- (1980): Handbuch der Naturschutzgebiete derliche Grundlagen. Die bisherige Bilanz schil- der DDR, Band 1, Urania-Verlag Leipzig, dert die dafür nötigen Bedingungen. 336 S. Jeschke, L. & C. Paulson (2001): Salzgrasländer im Bereich der Darß-Zingster Boddenkette, DANKSAGUNG MEER UND MUSEUM, Bd. 16, S.117-122. Ministerrat der DDR (1990): Verordnung über Ich bedanke mich im Namen des Nationalpar- die Festsetzung des Nationalparks Vor- kamtes Vorpommern bei allen ehrenamtlichen pommersche Boddenlandschaft vom 12. Helfern für die Erfassung der Brutdaten. Insbe- September 1990, Gesetzblatt der DDR, sondere danke ich den Vogelwarten des Orni- Sonderdruck Nr. 1466, 1. Oktober 1990). thologischen Vereins Halle e. V. unter Leitung Nationalparkamt Vorpommersche Boddenland- von Herrn T. Spretke, der Ornithologischen schaft (2002): Küstenvögel, ihre Lebens- Fachgruppe Waren Müritz e. V. unter Leitung räume sowie Brut- und Rastbestände im von Herrn J. Hecklau, Herrn J. Reich (Bartens- Nationalpark. Informations-Faltblatt, 24 S. hagen) als Vogelwart der Insel Heuwiese und als Nationalparkplan (2002): Leitbild und Ziele, Naturfotograf, der für diesen Beitrag seine Fo- Textkarte 3: Räumliche Zielkonzeption, tos unentgeltlich überließ. , 71 S. Scheller, W. (2001): Schutzzweck, Zielarten und Dank gilt auch Frau S. Puffpaff für die Zusam- Erhaltungsziele im EU-Vogelschutzgebiet menstellung der Brutergebnisse in der Tabelle „Vorpommersche Boddenlandschaft“ SPA und Frau J. Gehrt für die Anfertigung der speziel- Nr.: DE 1543-401. In: Nationalparkplan len Karte. Bedanken möchte ich mich bei Herrn (2002): Bd. 1, Anlage 5, S. 61-63. Prof. Dr. H. Scheufler (Zingst) für die Beratung Scheufler, H. (1998): Die Insel Kirr, Scheunen- beim Manuskript und die jahrelange kompeten- Verlag, 125 S. te Begleitung der Nationalparkentwicklung. Schulz, F. (1995): Im Zeichen der Eule, Scheu- nen-Verlag, 60 S. Schulz, F. (2008): Die Halbinseln Darß und LITERATUR Zingst, Verlagsbuchhandlung Bunte Stube Ahrenshoop, 136 S. Bibelriether, H. (1992): Ungestörte Natur, was Spillner, W. (1973): Das Vogeljahr an der Küste, haben wir davon? Tagungsbericht 6, WWF- Deutscher Landwirtschaftsverlag Berlin, Deutschland, Husum, Breklumer Druckerei 223 S. Siegel, 85 S. Stiefel, A. & H. Scheufler (2001): Die Boddeninseln Bibelriether, H. & H. Sporns (2011): Kulturland- Kirr und Barther Oie – Lebensraum für be- schaftsschutz in Nationalparks: „National- drohte Vogelarten zwischen Meer und Fest- park“, Nr. 153, 32-34. land, MEER UND MUSEUM, Bd.16, 87-95. Dierschke, V. & A. J. Helbig (2008): Avifauna von Succow, M. & L. Jeschke (1989): Moore in der Hiddensee, MEER UND MUSEUM, Bd. 21, Landschaft, Urania-Verlag Leipzig, 268 S. S. 67-202. Vogelschutzgebietslandesverordnung M-V (2011): FFH-Richtlinie: Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie SPA, DE 1542-401 gemäß Naturschutz- 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 ausführungsgesetz M-V, § 21. zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume.

122 Wälder und Moore – (Semi)-Terrestrische Lebensräume der deutschen Ostsee-Nationalparke Lebrecht Jeschke

EINFÜHRUNG

Wälder und zum Teil noch wachsende Moore neh- men den größten Raum außerhalb der unmittel- baren Küsten in beiden Nationalparkgebieten ein, obwohl sie unterschiedlicher kaum sein können. Die Vorpommersche Boddenlandschaft gehört zu den dynamischsten Küstenlandschaften der Ost- see (siehe Beitrag von Reinicke in diesem Band). Die vergleichsweise sehr jugendliche Landschaft hat in den vergangenen 10 000 Jahren dramati- sche Veränderungen erlebt: Der schnelle Anstieg des Litorina-Meeres vor 7 000 Jahren ließ eine In- selflur entstehen und die damit einhergehenden Küstenprozesse führten schließlich zur gegen- wärtigen Landschaftsstruktur. Die alten Inselker-

Abb. 2: Strand nach winterlicher Sturmflut (1993).

ne des Dornbusch und des Altdarß sind durch Strandwallebenen und Moorbildungen verbun- den, unterbrochen nur durch Seegatts, deren Ent- stehung bis in die Gegenwart reicht. Unsere Schil- derung der Wälder und Moore sollte jedoch noch früher beginnen, nämlich mit der Entstehung des Altdarß vor etwa 10 000 Jahren. Der hier auf der pleistozänen Sandplatte in einer Wärmephase der späten Eiszeit, dem Alleröd, aufgewachsene Kie- fernwald wurde in der dann einsetzenden Kälte- phase unter den von trocken gefallenen Stränden durch die Winde herangetragenen Sandmassen begraben (Kaiser & Lampe, 2009). Die nacheis- Abb. 1: Kiefernwaldboden der Allerödzeit im Aufschluss auf zeitliche Waldentwicklung verlief dann ähnlich wie dem Altdarß (unter den Füßen von Knut Kaiser). Die auf- in den anderen Küstenlandschaften. Einen unter liegende Sandschicht der Jüngeren Dryasperiode hat eine meterstarken Sandschichten „begrabenen“ Kie- Mächtigkeit von einem Meter, darüber folgt der aktuelle hu- fernwald aus der Allerödzeit gibt es möglicherwei- musreiche Waldboden (Podsol). se aber nur auf dem Darß (Abb. 1).

123 Abb. 3: Junger Kiefernaufwuchs in der Kleingrasdüne am Abb. 6: Kiefernbestand auf dem Neudarß, von Buchen un- Darßer Ort. terwandert, im ehemaligen Naturschutzgebiet Westdarß in Höhe des Brandsees. Am Kiefernstamm Spuren ehemaliger Harzgewinnung (2012).

WÄLDER UND MOORE IM NATIONALPARK VORPOMMERSCHE BODDENLANDSCHAFT In Anbetracht der außergewöhnlichen Dynamik der Boddenlandschaft im Bereich Darß, Zingst und Westrügen ist schon auf Grund der Mee- resspiegelschwankungen während der Nach- eiszeit davon auszugehen, dass sich mit dem Küstenverlauf auch die Grenzen zwischen Wald und Offenland im Verlaufe der letzten 2 000 Jah- Abb. 4: Innenansicht eines jungen Kiefern-Pionierwaldes auf re erheblich veränderten: Neulandbildungen im dem Strandwall westlich des Nothafens. Die ersten Kiefern Bereich des Neudarß wurden vom Wald erobert. sind mehrstämmig aufgewachsen und vielleicht 100 Jah- Ebenso eroberte der Wald erodierte Moore, die re alt. Es folgten neue Kiefern, die etwa 50 Jahre alt sind kurzzeitig in den Überflutungsbereich geraten (2006). waren, wie z. B. Teile des Vordarß oder Moor- standorte auf dem Ostzingst (Jeschke & Lange, 1986). An anderen Stellen verschwanden Wäl- der unter den Dünen, bevor sie vom vorrücken- den Meer abgetragen worden sind. Bekanntes- tes Beispiel dafür dürften die Wälder und Moore an der Westküste des Darß sein, dort ist seit den 1950er Jahren ein Waldstreifen von mehreren 100 Meter Breite vom Meer verschlungen wor- den (Fukarek, 1961; Abb. 2).

Vermutlich ist ein erheblicher Teil der aktuellen boddenseitigen Waldgrenzen im Bereich der Halbinseln Fischland, Darß und Zingst auch auf die Überflutungshäufigkeit im Zuge des steigen- den Meeresspiegels zurückzuführen. Etwa seit Abb. 5: Krähenbeer-Kiefernwald nördlich des Leuchtturm- 1200 n. Chr. hat jedoch zweifellos der Mensch weges. Bemerkenswert ist die Kiefern-Naturverjüngung un- mindestens auf dem Festland die Grenze Wald/ ter den alten Kiefern der ersten Generation (2003). Offenland bestimmt (Paulson & Raskin, 1998).

124 An den natürlichen Waldgrenzen, vor allem dort, wo neues Land von der Vegetation erobert wird, treten im Rahmen einer primären Sukzession Pionierwaldstadien auf. Wirklich spontan aufge- wachsene Kiefern-Pionierwälder sind jedoch nur kleinflächig im Bereich Darßer Ort sowie auf den hohen Dünen nördlich des Leuchtturmweges und im Bereich Hohe Düne bei Pramort vorhan- den (Abb. 3). Der Mensch griff dort mindestens in den vergangenen 200 Jahren in die Sukzes- sion ein und pflanzte erste Kiefern, wo sie auch von Natur aus aufgewachsen wären. Nach Fuka- rek (1961) beginnt die Waldentwicklung auf den Dünen mit einem Flechten-Kiefernwald. Etwas weiter gefasst ist es der von zahlreichen Autoren beschriebene Krähenbeer-Kiefernwald, der aus der Krähenbeerheide am Darßer Ort hervorgeht (Abb. 4). Bereits in diesem frühen Entwicklungs- stadium können unter dem lichten Schirm der niedrigwachsenden Kiefern die ersten Eichen aufkommen. Damit ist die weitere Entwicklung Abb. 8: Das Moosauge (Moneses uniflora) ist eine Winter- vorgezeichnet. Dieser Krähenbeer-Kiefernwald grünart der Kiefernwälder in den Dünentälern des Neudarß.

Abb. 7: Kleines Versumpfungsmoor in den Dünentälern nördlich des Leuchtturmweges.

125 Kiefernmoor mit Gagel

Erlenbrüche

Kiefernwald, niedrig mit Heide bewachsen

Kiefern, Eichen, Buchen

Buchen, Kiefern, Eichen, Hasel

Buchen, Eichen,

Buchen, Eichen, Erlen

Junge Kiefern mit Calluna

Kiefern (mittelhoch) einschließlich der Kiefern-Hudewaldbestände Offene Sanddünen

Ried-Moor

Seen und Tümpel

Abb. 9: Waldzustand auf dem Darß nach der Schwedischen Matrikelkarte von 1696 (nach Fukarek, 1961). ist auf dem Darß noch relativ großflächig nörd- tationsentwicklung. Allerdings sind die interes- lich des alten Leuchtturmweges auf den in den santesten Flächen durch die Ausdehnung des vergangenen 300 Jahren während der „kleinen Campingplatzes Prerow inzwischen verloren Eiszeit“ entstandenen, steilen Dünenketten ent- gegangen. wickelt (Abb. 5). Die Einwanderung der Laub- Der seit einigen Jahrhunderten aus jagdlichen gehölze vollzieht sich dort deutlich verzögert Gründen sehr hoch gehaltene Schalenwildbe- (Abb. 6). Und man trifft hier auch noch auf eine stand hat dann im Verein mit der mindestens seit natürliche Verjüngung der Kiefern. Waldweide dem ausgehenden Mittelalter intensiv betriebe- und Streunutzung haben hier jedoch kaum zum nen Waldweide die Ausbreitung der Laubbäume Erhalt dieser Pionierwaldform beigetragen, so in den Kiefern-Pionierwaldstadien auf dem Darß dass wir wohl wirklich natürliche Kiefernwälder behindert. Grundsätzlich verläuft auch auf den vor uns haben. In den Senken zwischen den Dü- „Heidesanden“ des Altdarß und auf dem Fest- nenkämmen haben sich kleine, nährstoffarme land, die Waldentwicklung nach dem gleichen Versumpfungsmoore entwickelt, die zusammen Schema: Nach einem Kahlschlag, d. h. nach mit den alten Kiefern eindrucksvolle Bilder einer dem Abräumen eines alten Waldbestandes auf Naturlandschaft ergeben (Abb. 7). einem alten Waldboden breiten sich spontan sehr schnell Birken aus und bilden einen Vor- Zwischen dem jüngsten Dünenwald nördlich wald, dessen Baumschicht im Wesentlichen des Leuchtturmweges und den hohen Dünen von der Birke beherrscht wird. Nach etwa 30 des Krähenbeer-Kiefernwaldes ist eine Reihe Jahren haben Häher genügend Eicheln herbei von flacheren, mit Kiefern bewachsenen Strand- geschafft und der Birkenvorwald geht in den Ei- wällen eingeschlossen. Die Bodenvegetation chen-Birkenwald, ein typisches Zwischenwald- dieser Kiefernbestände zeichnet sich durch stadium, über. Nach weiteren 100 Jahren ist der eine Reihe seltener Orchideen (Listera corda- Boden für die Buche bereitet, die dann in den ta, Dactylorhiza maculata) und Wintergrünarten folgenden 100 Jahren das „Schlusswaldstadi- (Moneses uniflora, Pyrola chlorantha, Ramischia um“ ausbildet. Dieser Schlusswald stellt das secunda) aus (Abb. 8). Als Folge einer besseren Klimaxwald-Stadium dar, d. h. das unter den Wasserversorgung ist hier die Einwanderung gegebenen klimatischen Bedingungen mögliche der Laubgehölze begünstigt. Junge Eichen und finale Entwicklungsstadium, das sich nach einer Buchen bestimmen auch dort die weitere Vege- entsprechenden Bodenreifung einstellt.

126 folgerichtig zu den „Kiefern-Forstgesellschaf- ten“ zählte. Sie treten auf dem Darß in zwei Aus- bildungsformen auf, in einer Schlängelschmie- len-reichen und in einer Adlerfarn-reichen. In allen älteren Waldbeständen des Gebietes fällt weiterhin das reichliche Vorkommen einer Reihe ausgesprochen ozeanisch verbreiteter Gehölze auf. Dazu gehören der Hülsen (Ilex aquifolium), das Waldgeißblatt (Lonicera periclymenum) und der Efeu (Hedera helix). Efeu und Waldgeißblatt treten als üppig wuchernde Lianen besonders hervor (Abb. 10). In der Bodenvegetation kann entweder die Schlängelschmiele (Deschampsia flexuosa) oder die Blaubeere (Vaccinium myrtil- lus) vorherrschen. Ungewöhnlich häufig tritt der Siebenstern (Trientalis europaea) auf dem Darß auf. Die wenigen Buchenbestände wurden von Abb. 10: Kiefernforst auf dem Altdarß, einzelne Bäume mit Fukarek (1961) samt und sonders als Buchen- Efeu-Behang, im Hintergrund Buchenunterbaufläche, im Forstgesellschaften bewertet. Es handelt sich Vordergrund Adlerfarn (2012). dabei jedoch durchweg um moosreiche Aus-

Abb. 11: Alter Buchenwald auf dem Altdarß, rechts jüngere Abb. 12: Buchen auf dem ausgetrockneten Torflager des Kieferngruppe. Im Hintergrund jüngere Buchen (2012). Vordarßer Moores (2011) .

Die älteste Kartendarstellung der Wälder des bildungen natürlicher Buchenwälder mit dem Darß haben die schwedischen Landvermesser Weißmoos (Leucobryum glaucum), dem Ge- 1696 geliefert (Abb. 9). Die Buche war damals wöhnlichen und dem Großen Gabelzahn (Dicra- in den ortsferneren Lagen durchaus verbreitet. num scoparium und D. majus). Die Forstverwaltungen hatten jedoch weniger Vor 1990 hat kein Förster ernsthaft daran ge- Interesse am Buchenholz und erfanden das Gel- dacht, auf dem Darß Buchen zu pflanzen. bensander „Decksandverfahren“. Auf die star- Dass die Buchen vor 300 Jahren häufiger wa- ken Rohhumusschichten wurde streifenförmig ren als gegenwärtig, geht klar aus der Beschrei- Sand aufgebracht, auf diese Sandstreifen säte bung der Waldflächen, die 1695 im Rahmen der man Kiefern, obwohl die Bodenentwicklung Schwedischen Landesaufnahme erfolgte, her- schon lange den Buchenwald ermöglicht hätte. vor (Fukarek,1961). Diese Buchenwälder wer- Die Kiefern gediehen so gut, dass sich bei den den heute zu den Drahtschmielen-Buchenwäl- Förstern die Vorstellung verfestigte, der Darß- dern gezählt. Sie werden sich im Gebiet auf den wald sei ein naturgegebener Kiefernwald. spätpleistozänen Heidesandstandorten auf dem Das Zwischenwaldstadium, hervorgegangen Altdarß und auf den älteren Strandwällen des aus gepflanzten oder gesäten, nahezu eichen- Neudarß oder auf dem Dornbusch nach Been- freien Kiefernbeständen, wurde von Fukarek digung der forstlichen Nutzung einstellen; erste (1961) als „Pino-Qercetum“ beschrieben, die er Bestände sind bereits vorhanden (Abb. 11).

127 Abb. 13: Erlenwald im Verlandungsbereich des Teerbrenner Sees (2012).

Abb. 14: Die Europäische Wasserfeder oder Wasserprimel (Hottonia palustris) charakterisiert die nassesten Ausbildungen der Erlenbruchwälder.

128 Als der Darß vor 25 Jahren in den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft einbezogen wurde, musste den Forstleuten klar gemacht werden, dass die Kiefern auf dem Altdarß ver- schwinden werden, sie werden Buchenwäldern Platz machen, wenn es gelingt, einen wald- verträglichen Wildbestand zu regulieren. Der damalige Forstamtsleiter sah außerdem das starke Aufwachsen des Adlerfarns auf den Ver- jüngungsflächen als Gefahr für den Wald und bestand auf einem Buchenunterbau. So wurden in den vergangenen Jahren einige 100 Hektar auf dem Altdarß mit Buchen unterbaut. Die Bu- chen wären auch von allein gekommen, wenn das Wild es gestattet hätte. Die vor dem Wild durch Zäune geschützten Buchenunterbauten gediehen dank des Nährstoffvorrates in den or- ganischen Decken prächtig (siehe Abb. 10).

Auf den entwässerten nährstoffarmen Mooren des Gebietes haben sich in den vergangenen Abb. 15: Die mehr als 100 „Kesselmoore“ sind größtenteils 100 Jahren ebenfalls Wälder entwickelt. Nen- als Karstmoore ausgebildet, denn sie haben Anschluss an nenswerte Kiefern-Moorwälder wurden von ein „Schluckloch“. Christina Paulson demonstriert den Scamoni und Putzmann (1965) vom inzwischen Überlauf eines Kesselmoores in ein Schluckloch außerhalb weiter trocken gefallenen Regenmoor im Oster- des Moores (1996). wald (Sundische Wiese) beschrieben. In der gut entwickelten Strauchschicht traten Sumpfporst (Ledum palustre) und Glockenheide (Erica tet- Ende der sekundären Sukzession steht hier der ralix) gemeinsam mit Moosbere (Vaccinium oxy- Eschen-Buchenwald. In den alten Bauernwäl- coccus) und Scheidigem Wollgras (Eriophorum dern kann der Eschen-Buchenwald durch die vaginatum) auf. Torfmoose spielten kaum noch jahr­hundertelange Holzentnahme zum Eichen- eine Rolle. Heute ist dieses Moor, bedingt durch Hainbuchen­ wald­ umgewandelt (degradiert) Entwässerung und Nadelbaumaufforstungen worden sein. Eschen-Buchenwälder gehören zu weiter degradiert. den artenreichsten­ Waldformen mit einer beein- druckenden Frühlingsflora (siehe Abb. 27). Auf dem etwas nährstoffreicheren Versump- fungsmoor auf dem Vordarß dominieren neben Zu den ursprünglichsten Waldformen des Gebie- den großflächigen Fichtenaufforstungen Moor- tes zählen die bereits genannten, von Schwar- und Sandbirken (Betula pubescens, B. pendula). zerlen beherrschten Feuchtwälder. An den Teils sind die Standorte so weit ausgetrock- Verlandungsufern der Bodden und Strandseen net, dass bereits Buchen aufwachsen konnten bilden sie vielfach die Waldgrenze (Abb. 13). Es (Abb. 12). In der Bodenvegetation können sich handelt sich dann um schilf- und staudenreiche neben dem Pfeifengras (Molinia caerulea), nur Ausbildungen. Gelegentlich findet man, dort wo wenige andere Arten wie Sauerklee (Oxalis ace- Grundwasser aus der Moräne austritt, quellige tosella), Schattenblümchen (Maianthemum bifo- Ausbildungen mit der Sumpfdotterblume (Cal- lium) und Dorniger Wurmfarn (Dryopteris austri- tha palustris) und dem Bitteren Schaumkraut aca) behaupten. In den eingesenkten Flutrinnen (Cardamine amara). Die größte Fläche nehmen der Torflager des Vordarßer Moores stocken da- jedoch die Bultseggen-Erlenwälder in den Rie- gegen Erlenwälder mit Großseggen. gen des Neudarß ein. In der Regel sind diese Bruchwälder nach Entwässerung aus Segen- Auf den an Neutralkationen reichen Moränen- mooren hervorgegangen. In den nässesten Aus- standorten Westrügens würde eine sekundäre bildungen kann das Wasser zwischen den halb- Sukzession auf Freiflächen ähnlich verlaufen, meterhohen Horsten der Steifen Segge (Carex nur dass hier neben der Birke Hainbuchen (Car- elata) das ganze Jahr überdauern. Im Sommer pinus betulus), Eschen (Fraxinus excelsior) und findet man dort dann die untergetaucht lebende Ahorne (Acer platanoides und A. pseudoplata- Wasserprimel (Hottonia palustris; Abb. 14). In nus), Hasel (Corylus avellana) und Vogelkirsche die vor 100 Jahren stärker entwässerten Erlen- (Cerasus avium) eine größere Rolle spielen. Am moore mit Massenbeständen der Brennnessel

129 Abb. 16: Nordwestlich vom Königsstuhl erreicht der Bu- Abb. 18: Blick in die Stubbenkammerschlucht. Da die Stand- chenwald den Strand und bildet dort die maritime Wald- festigkeit der Bäume deutlich verringert ist, ist der Baumbe- grenze (2010). stand relativ jung (2010).

Abb. 17: Die meeresbedingte Waldgrenze östlich von Loh- Abb. 19: Waldfreie Lebensräume mit Pioniergehölzen wie me (2011). Wacholder und Kiefer sind eine Seltenheit im Bereich der Schräghangufer auf Kreideschutt (2010).

(Urtica dioica) sind inzwischen Eschen (Fraxinus WÄLDER UND MOORE AUF DEM excelsior) eingewandert. „KREIDEHORST“ JASMUND Wie sich die Wälder nach Abschaltung der Schöpfwerke entwickeln werden, ist schwer vo- Die Vegetation der Stubnitz wurde Anfang der rauszusagen. Vermutlich werden im Vordarßer 1960er Jahre eingehend untersucht (Jeschke, Moor und im Revier Sundische Wiese wieder 1964) und zusammenfassend mit einer Vegetati- waldfreie Moorstandorte entstehen. Nach der onskarte des Nationalparks im Handbuch der Na- detaillierten vegetationskundlichen Bearbeitung turschutzgebiete in Mecklenburg-Vorpommern und Kartierung der aktuellen Vegetation des (Jeschke et al., 2003) dargestellt. Die „Hochlage“ Darß durch Fukarek (1961) findet man eine aktu- des Gebietes und die Kreide sind Alleinstellungs- elle zusammenfassende Beschreibung der Ve- merkmale dieser Landschaft auf der nordöstli- getation der Halbinseln Darß und Zingst sowie chen Halbinsel von Rügen. Die eiszeitliche Über- eine Karte der potentiell natürlichen Vegetation formung des Kreidehorstes ist unverkennbar: Die bei Jeschke und Sloboda (2009). ost-west verlaufenden Moränenkämme mit den

130 Tälern dazwischen erinnern an die Reff- und Rie- bedingten Waldgrenze sprechen. Es dürfte im genstruktur des Darß. Im Inneren des Waldgebie- Bereich der südlichen Ostseeküste nur wenige tes fallen zahlreiche mehr oder weniger runde kes- Küstenabschnitte geben, wo dieses Phänomen selartige Hohlformen auf, in denen sich Torflager zu beobachten ist. gebildet haben (Abb. 15). Am Rande der Torflager finden wir ziemlich regelmäßig „Schlucklöcher“, Besonders im Bereich der Mündungen von wie sie für Karstlandschaften nicht charakteris- Bachtälern kommt es dagegen immer wieder tischer sein können. Die Karstmoore sind von zu Uferabbrüchen und es entstehen schlucht- Paulson (2001) eingehender erforscht worden, waldartige Landschaftsformen (Abb. 18). Auf es handelt sich um die bedeutendste Karstmoor- der anderen Seite treten auf den ostexponier- Landschaft Norddeutschlands. Die Landschafts- ten Kreidehängen Waldgrenzen auf und machen geschichte dieses Raumes ist durch Lange et al. einer Wärme liebenden Pioniervegetation Platz. (1986) ausführlich beschrieben (siehe Beitrag von Hier können sich dann außerordentlich arten- Haffner et al. in diesem Band). reiche Vegetationsgemeinschaften entwickeln, denen jedoch oft eine kurze Lebensdauer be- Die Küste ist im Norden und Osten als Steilküs- schieden ist: Entweder müssen sie Sträuchern te ausgebildet. In den vergangenen 100 Jahren und Bäumen weichen oder sie stürzen ins Meer hat die Ostsee die während der Kleinen Eiszeit (Abb. 19). Der Küstenstreifen des Nationalparks entstandenen Schutthalten am Klifffuß zum Teil gehört unzweifelhaft zu den ursprünglichsten bereits weggeräumt. Bis auf zahlreiche Moore Lebensräumen, schon der schwedische Land- ist das Gebiet bewaldet. Nur an der Küste er- vermesser stellte fest, dass allein auf den Küs- reicht der Wald seine Grenze. Im Bereich sta- tenhängen ein Buchenhochwald ausgebildet biler Küstenabschitte kann der Wald bis zur sei, während es auf dem Plateau nur Buchen- Hochwasserlinie auf den Strand hinabreichen Niederwälder gäbe (Historische Kommission, (Abb. 16 und 17). Wir können von einer meeres- 1996).

Abb. 20: Die ersten größeren „Windwurflücken“ entstanden etwa vor zehn Jahren. Sie sind wesentlicher Ausgangspunkt für eine natürliche Walddynamik und werden die Wälder des Nationalparks in wenigen Jahrzehnten deutlich verändern (2014).

131 Kreide, Lehm und Sand, eine unterschiedliche Durchfeuchtung und weitere, meist weniger ins Auge fallende Bedingungen wie das Klima, die Lage und Neigung zur Himmelsrichtung oder das Alter der jeweiligen Böden – das alles waren Fak- toren, die die Entwicklung und das Wachstum der Pflanzendecke bestimmen. Neu hinzu ge- kommen ist jetzt die wachsende Menge der or- ganischen Substanz in Form von totem Holz, das zu Humus wird. Diese jährlich anfallende Menge an toter organischer Substanz, die am Stand- ort verbleibt, wird den Wald des Nationalparks nachhaltig verändern. Die beschriebene Vege- tation erfasste den Zustand vor 60 Jahren (Je- Abb. 21: Uferschlucht bei den Wissower Klinken. Der Bu- schke, 1964). Zwischenzeitlich sind geschlosse- chenwald in den Schluchten ist meist jünger, da die Hänge ne Nadelholzkomplexe weitgehend beräumt und oft instabil sind. Es sind wirkliche Naturwälder, weil dort nie die Flächen werden der natürlichen Entwicklung eine Nutzung stattgefunden hat. überlassen. Eine ganze Reihe entwässerter Moo- re wurde wiedervernässt. Ein ungelöstes Prob- lem des Nationalparks ist jedoch noch immer der Betrachten wir nun den Wald im Nationalpark viel zu hohe Schalenwildbestand. etwas näher, sind wir immer wieder überrascht, wie sich die Wälder in einem viertel Jahrhundert Wie ganz Mitteleuropa ist auch die Insel Rügen verändert haben. Allein das Ausmaß der am mit der Halbinsel Jasmund von Natur aus ein Boden liegenden starken Baumstämme signali- Waldland (Jeschke et al., 1975). Das bedeutet, siert, dass hier eine Entwicklung begonnen hat, dass auf allen Flächen, auf denen der Mensch die zu ganz neuen Waldbildern und Waldformen aufhört, zu ackern, zu mähen oder seine Haus- führen wird (Abb. 20). tiere weiden zu lassen, sich allmählich der Wald

Abb. 22: Eiben (Taxus baccata) unterhalb des Königsstuhls am äußersten Rand des Buchenwaldes (2010).

132 Abb. 23: Von Kreidetrümmern überrollter Hang im Bereich Stubbenkammer (2006). einfindet. Es gibt nur ganz wenige Stellen, wo DIE KÜSTENZONE der Wald nicht dominieren würde, das sind ei- nige Moore, die Küstendünen. die Strandzonen Trotz der starken forstwirtschaftlichen Nutzung und Steilufer – jene Steilufer, wo infolge des der Wälder in der Vergangenheit treffen die Be- Küstenrückgangs immer wieder die Vegetati- sucher auf den Hängen entlang der Küste Wald- onsentwicklung unterbrochen wird und vollstän- bestände an, die zu den eindruckvollsten im dig pflanzenfreie Stellen geschaffen werden. Tiefland gehören. Soweit wir wissen, fand dort niemals eine geregelte Nutzung statt, so dass Zwar hat der Mensch seit Jahrtausenden in die- man mit Fug und Recht von Urwaldresten spre- ser Landschaft gelebt und den Wald und das chen kann. Selbst im Mittelalter, als die Wälder Wild, so gut er es verstand, genutzt, jedoch ist auf dem Stubnitz-Plateau stark aufgelichtete sein Einfluss auf die Zusammensetzung und Niederwälder waren, wird von Hochwäldern die Verteilung der verschiedenen Lebensge- auf den Küstenhängen berichtet (Historische meinschaften vergleichsweise gering geblie- Kommission, 1996). Hoch aufgewachsene Bu- ben. Die Wälder des Nationalparks zeichnen chenwälder, wie sie der landläufigen Vorstel- sich durch eine überraschende Vielfalt und, lung entsprechen, gibt es auf den Küstenhän- sofern sie nicht durch Nadelholzaufforstun- gen selten. Nur in alten Uferschluchten finden gen in ihrem Gefüge stärker gestört worden wir sie auf Lehm- und Sandböden (Abb. 21); die sind, durch große Ursprünglichkeit aus. Die Senkenlage bzw. die daraus resultierende reich- Rotbuche (Fagus sylvatica) herrscht auf den liche Nährstoffversorgung ist hier für das gute Küstenhängen. Wo der Wald eine natürliche Wachstum verantwortlich. Grenze erreicht, machen einige Edellaubhölzer Auf der anstehenden Kreide sind die Wuchs- der Rotbuche den Platz streitig. Da die Küsten- bedingungen meist sehr viel ungünstiger zone von jeher auch für die Botaniker die größte und die Höhe der Bäume ist dementspre- Anziehungskraft besaß, wollen auch wir unsere chend geringer. Umgekehrt verhält es sich mit Beschreibung damit beginnen. der Bodenflora. Auf den Sand- und Lehmhän-

133 Abb. 24: Der Gelbe Frauenschuh (Cypripedium calceolus) Abb. 25: Norbert Wisniewski besucht 1972 das damalige gehört zu den streng geschützten Orchideenarten im Natio- Naturschutzgebiet Jasmund und den damals größten Frau- nalpark Jasmund. enschuh-Bestand. gen sind es nur verhältnismäßig wenige Pflan- rollungen mit Kreidetrümmern auf, die das Ge- zenarten, die das Bild bestimmen. Meist herr- füge des Gehölzbestandes immer wieder auflo- schen nur Waldschwingel und Waldreitgras vor ckern und so für eine ungewöhnlich große Zahl und als Strauch ist die Alpenjohannisbeere nicht von Waldpflanzen günstige Lebensmöglichkeiten selten. Sobald der Boden jedoch kalkreicher schaffen (Abb. 23). Neben der Rotbuche sind min- wird, steigt die Zahl der Bodenpflanzen auffällig destens fünf weitere Baumarten, Berg- und Spitz- an, besonders wenn die Bestände nicht mehr ahorn (Acer pseudoplatanus, A. platanoides), die ganz geschlossen und die Hänge nach Süden Vogelkirsche (Cerasus avium) und die Wildobst- oder wenigstens Osten geneigt sind. Auf diesen Arten (Malus silvestris, Pyrus communis, Sorbus Hängen ist die Rotbuche jedoch nicht mehr die absolut vorherrschende Baumart. Andere Bau- marten, darunter so bemerkenswerte wie die Eibe (Taxus baccata) und Elsbeere (Sorbus tor- minalis), behaupten sich neben der Rotbuche. Der Eiben-Bestand wurde übrigens erstmals 1769 in der Flora Pomerano-Rugicae (Weigel, 1769) er- wähnt. Wie vor 200 Jahren wachsen die meisten der etwa 50 Eiben auch heute noch unterhalb des Königsstuhles im Bereich von Stubbenkammer (Abb. 22). An der unteren Grenze der Hangwälder finden sich immer wieder auch junge Eiben.

Die hohe Luftfeuchtigkeit und der Kalkreichtum des Bodens begünstigen nicht nur die Entwick- lung einer bemerkenswerten Moosflora, sondern auch das Wachstum mancher seltenen Orchi- dee. So kennzeichnen Orchideen wie das Blei- che Waldvögelein (Cephalanthera damasonium) und die Vogelnestwurz (Neottia nidus-avis) oder das im Tiefland sonst eher seltene Kräuselmoos (Tortella tortuosa) diese Waldgemeinschaft.

Überschreitet die Neigung der Küstenhänge 45 Abb. 26: Quellsumpf am Kieler Bach mit Riesenschachtel- Grad, so treten auf den Kreidehängen gehäuft halm (Equisetum telmateja) und Großer Segge (Carex pen- Abrutschungen einzelner Hangpartien und Über- dula).

134 Abb. 27: Alter Eschen-Buchenwald im Tal des Leescher Baches. torminalis) am Bestandsaufbau dieses Pionierwal- des beteiligt. Unübertroffen ist jedoch der Arten- reichtum der Bodenflora – es wurden Bestände von 100 Quadratmeter mit mehr als 60 verschie- denen Pflanzenarten aufgenommen.

Die Küstenhänge sind auch das Hauptwuchsge- biet der Orchideen in der Stubnitz. Neben den bereits genannten sind dort in manchen Jahren allein sieben Arten anzutreffen, darunter der seltene Frauenschuh (Cypripedium calceolus; Abb. 24), das Purpurknabenkraut (Orchis pur- purea) und das Fuchsknabenkraut (Dactylorhi- za fuchsii). Seit einigen Jahren wurde der frü- her reichlich vorkommende Frauenschuh nicht mehr beobachtet (Abb. 25). Er ist offenbar den Damhirschen zum Opfer gefallen. Abb. 28: Alter Zahnwurz-Buchenwald auf dem Stubnitz-Pla- teau östlich von Werder, seit 1961 als Naturwaldzelle ohne Die feuchtschattigen Uferschluchten meidet forstliche Nutzung (2014). die Rotbuche ebenso wie viele wärmelieben- de Arten der Bodenflora. Dort spielen Eschen und Ahorne die Hauptrolle. Die Waldbilder er- auf. In der Stubbenkammerschlucht quert der innern an Schluchtwälder in den Gebirgen; sie Abstieg zum Strand einen solchen Bestand. zeichnen sich durch eine große Ursprünglichkeit Am Grunde der Uferschluchten entspringen ge- aus. In der Bodenflora fallen das kalkliebende wöhnlich Quellen. In einigen Schluchten wie Christophskraut (Actaea spicata) und die rote z. B. im Teufelsgrund oder in der Stubbenkam- Heckenkirsche (Lonicera xylosteum) besonders merschlucht kam es im Laufe der Jahrhunderte

135 Abb. 29: Überstautes Eschen-Quellmoor im Quellgebiet des Kieler Baches. zur Ablagerung von mächtigen Humusschichten. nen Kreidehängen von besonderem Interesse. Hier wachsen uralte Bergulmen (Ulmus glabra), Der Baumwuchs auf den bis zu 50 Grad ge- Bergahorne und Eschen und in der Bodenflora neigten, aus Kreideschutt bestehenden Hängen findet man Arten, die quellige Standorte lieben, wird durch die ständig wirkende Hangabtragung wie z. B. die Große Segge (Carex pendula). Eini- verhindert. Es sind kräuterreiche Rasengemein- ge Quellsümpfe in den Uferschluchten zeichnen schaften mit einer Reihe von seltenen Moosen sich durch schöne Bestände des Riesenschach- und Blütenpflanzen, die sich unter den extre- telhalms (Equisetum telmateja) aus. Meist sind men Bedingungen halten können. Auch hier es wohl jüngere Quellmulden, in denen es noch sind Orchideen wie der Schwarzrote Sitter (Epi- nicht zu stärkeren Anhäufungen abgestorbener pactis atrorubens) und die nur noch hier wach- Pflanzenmassen gekommen ist und in denen sende stattliche Form der Händelwurz (Gymna- noch keine geschlossene Baumschicht existiert. denia conopsea subsp. montana) zu finden. Den Zu den schönsten Bildungen dieser Art gehören Hauptbestand bilden bekannte Wiesenkräuter die Quellsümpfe unmittelbar nördlich der Wisso- wie das Sumpfherzblatt (Parnassia palustris) wer Klinken und der kleine Quellsumpf im Mün- und der Rauhaarige Löwenzahn (Leontodon dungsgebiet des Kieler Baches (Abb. 26). hispidus).

Schließlich verdienen die Moose, die sich in den Sand- und Mergelhänge unterliegen im Ver- Quellen am Steilufer ansiedeln, Beachtung. Im gleich viel stärkerer Hangabtragung, so dass Laufe der Zeit entstehen dort vornehmlich unter wir dort nur relativ einfach zusammengesetzte dem Einfluss dieser Moose – Cratoneurum com- Pflanzenvereine finden. Meist herrscht hier der mutatum und Eucladium verticillatum – Kalktuf- Huflattich vor. Nur an wenigen Stellen können fablagerungen. sich dichte Sanddorn-Gebüsche entwickeln. Für den Botaniker sind die von Natur aus wald- Eine weitere Besonderheit des Nationalparks freien Lebensgemeinschaften auf den trocke- ist die Salzvegetation auf dem Blockstrand an

136 noch durch weidende Haustiere zur Erhaltung beitragen, handelt es sich hier um einen wirklich natürlichen Salz-Rasen.

DAS HINTERLAND

Auch auf dem Stubnitzplateau lassen sich eine Reihe standortbedingter Waldformen voneinan- der abgrenzen, die sich nicht nur in der Wuchs- leistung der Bäume, sondern auch in der Zu- sammensetzung der Bodenflora unterscheiden. Am auffälligsten ist der Kreide-Buchenwald. Im zeitigen Frühling überzieht das Leberblümchen jene Flächen, an denen die Kreide an die Ober- fläche tritt, mit seinem Blumenflor. Auf einigen Abb. 30: Das Erlen-Quellmoor der Rognick-Wiese beim Hängen am Südrand des Gebietes breiten sich Forsthaus Werder (2014). Massenbestände des Maiglöckchens aus. Im Sommer dann trifft man im Kreide-Buchenwald zuweilen das Bleiche Waldvögelein (Cephalan- der Nordküste. Zwischen den kopfgroßen Find- thera damasonium) an. An anderen Stellen kom- lingen der mittleren Strandzone wächst eine men Gräser, darunter die seltene Waldgerste Salzwiese, die von niedrigen Salzbinsen (Jun- (Hordelymus europaeus) oder das Bingelkraut cus gerardii) und Kräutern wie Salzmilchkraut (Mercurialis perennis) zur Herrschaft. (Glaux maritima), Stranddreizack (Triglochin ma- Ähnlich artenreich können die Waldbestände in ritima) und Strandwegerich (Plantago maritima) Geländemulden und Talböden sein. Dort werden gebildet wird. Am Außenstrand der Küste gibt die Buchen allerdings aufgrund der höheren Bo- es eine vergleichbare Bildung nur noch bei Kap denfeuchtigkeit meist stärker durch Eschen und Arkona. Da die Menschen weder durch Mahd Bergahorne bedrängt. Die Bodenflora ist beson-

Abb. 31: Kesselmoor ohne sichtbare Verbindung zu einem Schluckloch mit einem zehn Meter mächtigen Torflager, etwa im Zentrum der Stubnitz mit einer für nährstoffärmere Standorte typischen Vegetation (2011).

137 Abb. 32: Ein streifenförmiger Uferabbruch am Hohen Ufer südlich der Mündung des Kieler Baches (2008). ders im Frühling geradezu üppig entwickelt. Einige Buchenwald stellt die Grundausstattung des bemerkenswerte Vertreter sind Hohler und Mittle- Jasmund-Waldes dar und nimmt die größte Flä- rer Lerchensporn (Corydalis cava, C. intermedia) che im Gebiet ein. Die frischeren Ausbildungen und Goldsterne, neben dem häufigen Waldgold- zeichnen sich durch das Auftreten der Waldpri- stern (Gagea lutea) der für Küstenwälder bezeich- mel (Primula elatior) aus, während auf den verha- nende Scheidengoldstern (Gagea spathacea). Im gerten, meist sandigen Hängen und Kuppen zu- Sommer bedeckt auch dort das Bingelkraut meist nehmend Moose den Boden bedecken. Dieser die gesamte Fläche. Ein besonders schönes Bei- nach dem großen Gabelzahn (Dicranum majus) spiel eines solchen Eschen-Ahorn-Waldes liegt benannte Moos-Buchenwald ist in Küstennähe im Tal des Leescher Baches (nördlich der Wald- und auf einer Reihe von Kuppen im Innern der halle) unmittelbar am Hochuferweg (Abb. 27). Nationalparks nicht selten. In ebener Lage kann der Sauerklee (Oxalis acetosella) auf den armen Der Zahnwurz-Buchenwald nimmt die mitt- Sandböden neben den (in diesen Waldbestän- leren und besseren Moränen-Standorte den vorhandenen) Moosen auffällig hervortreten. ein (Abb. 28). Im Frühling bedeckt ein ge- An Hängen und in Senken, vor allem dort, wo schlossener Teppich der weißen Buschwind- das Buchenlaub zusammengeweht wird, fühlt röschen (Anemone nemorosa) den Boden. sich der Waldschwingel (Festuca altissima), ein Inzwischen scheint auch das Buschwindrös- hohes Gras, besonders wohl und bildet so dich- chen ein Opfer der Damhirsche zu werden. te Horste, dass dazwischen nur wenige andere Im Frühsommer, nachdem das Buchenlaub sich Waldpflanzen wie Waldmeister (Galium odora- entfaltet hat, leuchten die hellvioletten Blüten tum) und Sauerklee, gedeihen können. Auch der der Zwiebeltragenden Zahnwurz (Dentaria bulbi- Waldschwingel wird durch das Damwild stark fera) aus dem Waldesdunkel. Dieser Zahnwurz- beäst und ist auffällig zurückgegangen.

138 SÜMPFE UND MOORE wie sie bei der Kiefernwirtschaft auf dem Darß üblich waren, der Adlerfarn als Gefahr für die Die Bäche der Stubnitz werden von zahlreichen Walderneuerung, so dass die Forstverwaltung Quellmooren begleitet, auf denen im Unterlauf glaubte, mit großflächigem Buchenunterbau die öfter Eschen und im Oberlauf gewöhnlich Erlen Waldentwicklung vom Kiefernforst hin zu einem wachsen. Diese Erlen- und Eschen-Quellmoore Naturwald unterstützen zu müssen. Der Bu- sind in der Regel so nass, dass sie kaum begeh- chenunterbau ist inzwischen eingestellt worden. bar sind (Abb. 29). Dort gedeihen einige botani- sche Kostbarkeiten ganz im Verborgenen, z. B. Ein anderes Problem betrifft die entwässerten das Gegenblättrige Milzkraut (Chrysosplenium Moore, die heute weitgehend Wald tragen. Nach oppositilolium) oder das Entferntblütige Rispen- dem Rückbau der Entwässerungsanlagen wird gras (Poa remota). An den Bachrändern trifft sich die Vegetation der Moore wahrscheinlich man gelegentlich auch die Dünnährige Segge stärker verändern. Dies gilt insbesondere auch (Carex strigosa), die sich in den letzten Jahren für die Überflutungsstandorte auf dem Ost- auch auf Waldwegen ausgebreitet hat (Abb. 30). Zingst. Eine Reihe von Erlen-Quellmooren wurde im vergangenen Jahrhundert gerodet und in Wie- Der Nationalpark Jasmund, der die östliche Hälf- sen und Weiden umgewandelt. Sie werden te des Kreidehorstes von Jasmund einnimmt, ist wahrscheinlich in einigen Jahren wieder von Er- von Natur aus ein Buchenwald, der selbst wäh- len erobert sein. rend der seit dem Mittelalter üblichen Nieder- Im Hochland der Stubnitz liegen zahlreiche waldwirtschaft ein Buchenwald geblieben ist. vermoorte abflusslose Senken, die von Natur An den Küstenhängen wurde der Wald in den aus waldfrei sind (Abb. 31). Einige werden von vergangenen 300 Jahren kaum genutzt, so dass braunmoosreichen Großseggen-Beständen ein- hier urwaldartige Waldbilder vorherrschen. Als genommen, andere sind von nährstoffärmeren Besonderheit sind die wenigen Schräghangufer Mooren mit Wollgräsern und Torfmoosen erfüllt, auf anstehender Kreide zu nennen, auf denen darunter das im Tiefland seltene Sphagnum ri- der Wald eine natürliche Grenze erreicht (Abb. parium. Die Blasenbinse (Scheuchzeria palus- 32). Dort sind die Waldstrukturen aufgelockert tris) ist die wohl interessanteste Blütenpflan- und neben den Buchen sind eine Reihe bemer- ze der Moore. Aus der Gruppe der Farne sind kenswerter Holzgewächse zu nennen, darunter z. B. der Rippenfarn (Blechnum spicant) oder auch die Eiben. der Bergschildfarn (Polystichum aculeatum) zu nennen, von den Bärlappgewächsen die Teu- Die vor wenigen Jahren eingehender beschrie- felsklaue (Huperzia selago), ganz zu schweigen benen Karstphänomene in der Kreide sind für von der artenreichen Moos- und Pilzflora. Leider Norddeutschland einmalig. Die meisten der ver- sprengt die Fülle der botanischen Kostbarkeiten mutlich auf Toteisformen zurückgehenden zahl- im Nationalpark Jasmund den Rahmen dieses reichen Senken und Kessel der Hochlagen wei- Beitrages. Es bleibt am Ende nur selbst hinaus- sen Schlucklöcher auf, so dass sie episodisch zugehen und sie zu entdecken. trocken fallen oder die in diesen Senken entwi- ckelten Torflager werden meterhoch überstaut. Der kleinste deutsche Nationalpark ist auf gu- FAZIT tem Wege, ein richtiger Nationalpark zu werden, wenn es gelingt, den Wildbestand auf ein wald- Wälder und Moore nehmen in beiden National- verträgliches Maß zu begrenzen. parken den bei weitem überwiegenden Teil der Landflächen ein. Die Vorpommersche Bodden- landschaft erweist sich als eine der dynamischs- LITERATUR ten Landschaften im südlichen Ostseeraum. Die windexponierten Westküsten werden zurückge- Fukarek, F. (1961): Die Vegetation des Darß und schnitten und an den windabgewandten Küsten ihre Geschichte. Pflanzensoziologie Band entsteht neues Land, das von der Vegetation 12, Jena Gustav Fischer Verlag, 321 S., 40 besiedelt wird. Diese primäre Sukzession führt Fotos, 2 Vegetationskarten. schließlich zum Buchenwald. Da Kiefernholz Jeschke, L. & E. Lange (1986): Zur Genese der gefragter war als Buchenholz, wurden, auch als Küstenüberflutungsmoore im Bereich der die Böden lange buchenfähig geworden waren, vorpommerschen Boddenküste. In: Bill- Kiefern angebaut, die aufgrund der Nährstoff- witz, K., Jäger, K. D. & W. Janke (Hrsg.) vorräte der Humusauflagen sehr gut gediehen. Jungquartäre Landschaftsräume. Berlin: Allerdings entwickelte sich nach Kahlschlägen, 208-215.

139 Historische Kommission (1996): Die schwedi- sche Landesaufnahme von Vorpommern 1692-1709. Texte. Herausgegeben von der Historischen Kommission für Pommern in Verbindung mit dem vorpommerschen Landesarchiv Greifswald. Ortsbeschrei- bungen Band 2, Insel Rügen, Teil I, Halbin- sel Jasmund. Greifswald, 228 S. Jeschke, L. (1964): Die Vegetation der Stubnitz. Natur und Naturschutz in Mecklenburg, Bd. 2, 134 S. Jeschke, L. , Schmidt, H. & G. Klafs (1975): Das Naturschutzgebiet Jasmund. Ernst Wäh- mann Verlag Schwerin, 39 S. Jeschke, L., Lenschow, U. & H. Zimmermann (2003): Die Naturschutzgebiete in Meck- lenburg-Vorpommern. Schwerin, 712 S. Jeschke, L. & S. Sloboda (2009): Vegetation. In: Billwitz, K. & H. Porada (Hr.), Die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst und das Barther Land. Landschaften Deutschlands Band 71:36-46, (Böhlau Verlag Köln Weimar Wien). Kaiser, K. & R. Lampe (2009): Erdgeschichtliche Entwicklung. In: Billwitz, K. u. H. Porada (Hr.) Die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst und das Barther Land. Landschaften Deutschlands Band 71: 6-13, (Böhlau Ver- lag Köln Weimar Wien). Lange, E., Jeschke, L. & H. D. Knapp (1986): Die Landschaftsgeschichte der Insel Rügen seit dem Spätglazial. Schriften zur Ur- und Frühgeschichte Band 38, 175 S., 10 Tafeln u. Beilagen. Paulson, Ch. (2001): Die Karstmoore in der Krei- delandschaft des Nationalparks Jasmund. Greifswalder Geographische Arbeiten, Band 21, 296 S. Paulson, Ch. & R. Raskin (1998): Die Vegetation des Großen Werder (Nationalpark Vorpom- mersche Boddenlandschaft) als Ausdruck von Küstendynamik und Landnutzung. In: Natur und Naturschutz in Mecklenburg- Vorpommern 34: 24-42. Scamoni, A. & H. Putzmann (1965): Die Sundi- sche Wiese auf Zingst, In: Natur und Na- turschutz in Mecklenburg 3: 121-142. Weigel , C. E. (1769): Flora Pomeranica-rugica. G.A. Lange, Berlin, Stralsund, Leipzig, 55 S.

140 Der Wandel vor unseren Augen – Begleitende Forschung in der Wildnis und Kulturlandschaft Stephanie Puffpaff

Der Wandel in Wildnis und Kulturlandschaft quartalsweise Erfassungen von Müllpartikeln spielt sich direkt und stetig vor unseren Augen sowie der Küstendynamik entlang ausgewählter und in den vielfältigsten Facetten ab. Je nach Strandabschnitte. Blickwinkel nimmt jeder von uns diese Ver- änderungen der Umwelt jedoch anders wahr. Stetig verändern sich die natürlichen Gegeben- Diesen Wandel neutral zu dokumentieren, ihn heiten an der Küste. Sie laufen im Zeitraffer oder unter Beachtung des Schutzzwecks zu ergrün- in Zeitlupe ab. Dieser Wandel vollzieht sich da- den, ihn zu bewerten und daraus Schlüsse für bei entweder überraschend schnell (Abtrag an die Nationalparkentwicklung zu ziehen, dies der Steilküste) oder fast unmerklich vor unseren ist die große Herausforderung, aber auch das Augen (wie z. B. bei der Naturverjüngung oder Selbstverständnis für sämtliche Forschungs- der Entwicklung zum „Urwald“). Er lässt Altbe- und Monitoringaktivitäten im Nationalparkamt kanntes verschwinden und fügt ständig neue Vorpommern. Elemente in die Lebensgemeinschaften ein. Dazu werden zukünftig auf Grund vorausschau- Doch bis dahin war und ist es ein langer Weg. end angelegter Untersuchungen erste Ergebnis- Ähnlich dem Werden, Wachsen, Anpassen, se abrufbar sein. Daher sind derzeit aussage- Durchsetzen und Vergehen einer Buche mit der kräftige Informationen nur in Teilbereichen der sich anschließenden nächsten Generation oder Nationalparkentwicklung möglich. Darüberhin- dem unbändigen Spiel des Meeres, machte aus gibt es, bezogen auf einzelne Fragestellun- auch das heutige Sachgebiet „Forschung und gen, gezielte Untersuchungen. Monitoring“ in den vergangenen 25 Jahren viele Höhen und Tiefen durch. Im Folgenden werden für die beiden National- parke nur einige herausragende Arbeiten und In wissenschaftlicher Betrachtungsweise sind Aufgaben beispielhaft erläutert. 25 Jahre Monitoring nicht viel mehr als ein Wim- pernschlag. Detaillierte und fachlich begründete Aussagen lassen sich abhängig von der Frage- NATIONALPARK VORPOMMERSCHE stellung oft nur über ein effektives Langzeit- BODDENLANDSCHAFT monitoring treffen. Eine der zu bewältigenden Aufgaben in der Vergangenheit und Gegenwart Schutzkategorien im Wandel stellt daher die vorausschauende Einrichtung Die Strukturvielfalt der lagunenartigen Küsten- und dauerhafte Umsetzung dieses Monitorings landschaft begründete schon 1978 die Aus- auch unter schwierigen Rahmenbedingungen weisung großer Teilflächen als „Feuchtgebiete dar. Mit der Einrichtung der Parke erfolgte eine internationaler Bedeutung“ (FIB) gemäß der Inventarisierung der Fauna und Flora in fast al- RAMSAR-Konvention. Sie entsprechen etwa len Ökosystemen. Nach 25 Jahren wird nun im 80 Prozent der in Mecklenburg-Vorpommern Rahmen der Aktualisierung der Nationalpark- gemeldeten RAMSAR-Flächen (Stodian, 2004). pläne eine erneute Aufnahme dieser Inventari- Zur Etablierung des FIB wurde in Schapro- sierungen vorgenommen. Dauererhebungen in de eine Biosphärenstation anfangs mit einem, Form von regelmäßigen (14-tägige, monatliche später mit zwei Mitarbeitern geschaffen, wel- bis jährliche) Aufnahmen erfolgen momentan che die in diesem Gebiet vorkommenden Vo- nur im Bereich der Wasser- und Watvögel (teil- gelarten dokumentieren und deren Entwicklung weise bereits vor 1990), des Waldes (seit 1998 „überwachen“ sollten. Die Eingliederung dieses im Rahmen des Waldmonitorings) sowie der Pe- Landschaftsausschnitts in die Kulisse des Na- gelstände (seit 1994). Hinzugekommen sind die tionalparks Vorpommersche Boddenlandschaft

141 brachte es 1990 mit sich, dass diese Aufgaben- Besonderes Augenmerk wurde und wird auch stellung im Nationalpark fortgeführt wird. auf die Küstenvogelbrutgebiete im Bereich der Vorpommerschen Boddenlandschaft gelegt Schon damals wurden akribisch und gewissen- (siehe Beitrag von Sporns in diesem Band). Die- haft die Anzahl und Arten der Wasservögel er- se wurden zum Teil schon vor Ausweisung des hoben. Diesem Konzept folgend, werden auch Nationalparks während der Brutsaison intensiv heute noch entlang der insgesamt 371 Kilome- durch Vogelwärter betreut. Dadurch lässt sich ter langen Küstenlinie des Nationalparks auf 27 auf eine lange Datenreihe zurückblicken, die Zählstrecken einmal monatlich sämtliche Was- die Brutbestandsentwicklung der Küstenvögel servögel erfasst. Diese Daten fließen in die in- abbildet. Doch die Aufgaben der Vogelwärter ternationalen Wasservogelzählungen ein und beziehen sich nicht nur auf die Brutbestandser- tragen so zum Gesamtbild der Vogelpopulatio- fassung. Daneben werden beispielsweise der nen an der Ostseeküste bei. Schlupfbeginn bzw. die Phase des Flüggeseins dokumentiert, der Prädatoreneinfluss ausge- „Ursprünglich war international nur die Mittwint- wertet und anthropogene Störungen, wie Tief- erzählung Mitte Januar relevant, weil man davon flieger oder Verstöße gegen das Betretungsver- ausging, dass in den fünf biogeografischen Re- bot der Inseln und Halbinseln aufgezeigt. gionen der Westpaläarktis die Zugbewegungen der Wasservögel abgeschlossen sind und man Unter zum Teil widrigen Bedingungen wurde so die Bestände aller für das Ziel der Zählungen hier in der Vergangenheit Großes geschafft. Dies bedeutenden Arten am besten erfassen konnte“ war nur dank überdurchschnittlichem Engage- (Kalbe & Naacke, 2012). Mittlerweile hat sich ment eigener Mitarbeiter, ehrenamtlicher Natur­ jedoch der Wissensstand über die Rast- und schutzhelfer und Vogelwarte realisierbar. Doch Zugbewegungen der Wasservögel verändert. die Anforderungen an Personal und Ausstattung Stodian (2004) gibt an, dass „die Boddenge- wachsen weiterhin und neue gesetzliche Moni­ wässer an der Vorpommerschen Küste (…) das to­ring­verpflichtungen (Natura 2000, Meeres­ wichtigste Überwinterungsgebiet für Wasservö- strategie-Rahmenrichtlinie, Wasserrahmenricht- gel im gesamten Ostseeraum (sind) (...) bedingt linie etc.) übersteigen oft die Möglichkeiten. durch die geographische Lage (sind sie), ein wichtiger Durchzugsraum für (…) Vogelarten­ auf Die wandelbare Küste dem Zug zwischen den Brutgebieten im Norden Die Küste Mecklenburg-Vorpommerns misst und den Überwinterungsgebieten im Süden.“ insgesamt 1 712 Kilometer. Davon entfallen 354 Diese überregionale Bedeutung führte im Jah- Kilometer auf die Außenküste und 1 358 Kilo- re 1992 zur Ausweisung der Boddengewässer meter auf die Boddenküsten (MBLU M-V, 1995). als EU-Vogelschutzgebiet „Vorpommersche Der Zuständigkeitsbereich des Nationalparkam- Boddenlandschaft und nördlicher Strelasund“. tes umfasst etwa ein Viertel der Gesamtküsten- Nach Stodian (2004) kommen 34 Arten des An- linie Mecklenburg-Vorpommerns (371 km). Die- hangs I der EU-Vogelschutzrichtlinie (beson- ser Anteil beinhaltet 71 Kilometer Außenküste ders zu schützende Arten) regelmäßig und in und 300 Kilometer Boddenküste des National- beträchtlichen Anzahlen in diesem Gebiet vor. parks Vorpommersche Boddenlandschaft. Hin- Davon übersteigen 27 Arten regelmäßig das ein zu kommen zwölf Kilometer Steilküste im Natio- Prozent-Kriterium der afrikanisch-eurasischen nalpark Jasmund. Rastpopulation und erlangen dadurch internati- onale Bedeutung gemäß RAMSAR-Konvention. Der Küstendynamik als unverwechselbarem Zur Dokumentation des Vorkommens der Arten Bestandteil der Vorpommerschen Boddenland- sind ganzjährige Erfassungen der Winter-, Früh- schaft wird auch im Hinblick auf Forschung und jahrs-, Sommer- und Herbstzugbewegungen Monitoring entsprechende Aufmerksamkeit ge- notwendig. Nur durch kontinuierliche und stan- widmet. So wandelbar wie die Küste allerdings dardisierte Zählungen lassen sich verlässliche ist, so schwierig und anspruchsvoll ist auch Trendaussagen gewinnen. Diese wiederum fin- ihre wissenschaftliche Dokumentation. Erst- den Eingang in das Nationalparkmanagement. mals im Laufe der vergangenen 25 Jahre konnte Zu den Aufgaben im Rahmen des Vogelmonito- die Landschaftsveränderung am Bessin foto- rings gehören auch die Erfassungen des Zug- dokumentarisch festgehalten werden. Abtrag und Rastverhaltens der Kraniche (siehe Beitrag einerseits und Anlandung andererseits führen von Nowald in diesem Band) oder Sondererfas- fortwährend zur Entstehung von Pionierlebens- sungen zur Beantwortung spezieller Fragestel- räumen für bedrohte Arten. lungen beispielsweise im Rahmen von FFH-Ver- Ist die natürliche Küstendynamik noch gegeben, träglichkeitsprüfungen. tragen Wellenbewegungen und Sturm Sediment

142 a b c

Abb. 1: Die durch Abtragungsprozesse immer schmaler werdende Anbindung des Neuen Bessins hielt einem Sturmereignis im November 2006 nicht mehr stand (a) 2003, Blickrichtung SSW; b) 2006, Blickrichtung NW; c) November 2006, Blickrichtung SO). a b

Abb. 2: Veränderungen an der Durchbruchsstelle am Neubessin (a) Dezember 2007 und b) Mai 2009). Innerhalb weniger Monate verlagerte sich der Durchbruch am Neuen Bessin und eine Sandfläche entstand, auf der sich bereits 2009 eine erste Pioniervegetation zeigte (Blickrichtung a) und b): S).

vom Strand ab, befördern es über ein „Trans- lichen Durchbruch (rot markiert) nichts mehr zu portband“ (Sandbank) entlang der Küstenlinie erkennen, dafür hat sich ein neuer etabliert (blau und lagern es im Strömungs- und Windschatten markiert; Abb. 2). von Inseln oder Halbinseln bei nachlassender Strömungsenergie wieder am Strand an. Es ent- Im Gegensatz zum Altbessin, welcher schon um stehen Sandhaken, Nehrungen und Strandwäl- 1500 Erwähnung fand, hat der Neubessin sei- le. Mit Hilfe von Luftbildern wurde in der Vergan- ne erst 1890 begonnene Entwicklung bis heute genheit die Entstehungsgeschichte der Bessine noch nicht abgeschlossen. Anlandungen von rekonstruiert. Demnach betrug im Jahr 2003 bis zu 30 Meter im Jahr sind keine Seltenheit. beispielsweise an der schmalsten Stelle des Neubessin die Breite der Sandbank 66 Meter. Im Frühjahr 2006 hatte die Ostsee dem Bessin an dieser Stelle bereits 54 Meter abgerungen. Es verblieb nur ein schmaler Übergang von we- nigen Metern. Nur einige Monate später kam es (im Herbst) zum Durchbruch dieser Schmalstel- le (Abb. 1).

Knapp ein Jahr darauf sind erste Anzeichen einer Verlandung dieser Durchbruchstelle (rot Abb. 3: Neulandbildungen am Neubessin 1877 bis 2006. Die markiert) sowie eines sich andeutenden neuen Umriss-Skizzen zeigen Küstenverläufe am Neuen Bessin in Durchbruchs (blau markiert) erkennbar. Zwei verschiedenen Jahrzehnten, 2006 mit der Andeutung eines weitere Jahre im Anschluss ist vom ursprüng- Dritten Bessins.

143 Abb. 4: Eine ganz eigene Welt erschließt sich dem Betrachter beim Blick unter die Wasseroberfläche ins Reich der Wasser- pflanzen.

Ein Hochwasser genügt jedoch, um diese „Er- mischten. Dadurch entsteht ein ganz eigenes rungenschaft“ wieder an die Ostsee abzutreten. Metier, welches die Bodden charakterisiert. Ein dritter Bessin deutet sich bereits an (Abb. 3). Als die letzten verbliebenen Rinnen zwischen Ostsee und Bodden sich stark verengten bzw. Eine solche Neulandbildung findet auch in ande- sich verschlossen (Permin – 1395, Prerowstrom ren Bereichen des Nationalparks statt, wie bei- – 1872, Aufspülung Bock – 1930er, Meiningen- spielsweise am Darßer Ort. Dort trägt die Ostsee brücke – 1970er) bewirkte dies eine Verschlech- am Weststrand jährlich 65 000 Kubikmeter Sand terung des Wasseraustausches. Durch die feh- ab, um ihn am Darßer Ort wieder abzulagern. lende Dynamik erhöhte sich die Verweilzeit. Mit Eine typische Ausgleichsküste, wie sie im Beitrag dem Bevölkerungsanstieg vor und nach dem von Reinicke in diesem Band beschrieben wird. Zweiten Weltkrieg sowie der Intensivierung der Landwirtschaft (industrielle Viehhaltung) ging Der Wandel ein rasanter Anstieg der Eutrophierung der Bod- von der Ostsee zum Bodden dengewässer einher (Bachor, 2014). Das Grundgerüst für diese Prozesse lieferte die letzte Eiszeit, welche vor rund 12 000 Jahren Die Bodden waren durch hohe Chlorophyll-Ge- endete. Im Zuge der Litorina-Transgression er- halte mit geringen Sichttiefen und ein dadurch reichte der Wasserspiegel der Ostsee vor etwa begründetes geringes Pflanzenwachstum ge- 5 000 Jahren sein heutiges Niveau. Das Land kennzeichnet. Ende der 1990er Jahre wurde wurde überflutet und die vorhandenen Höhen- der Zustand der Darß-Zingster Boddenkette als rücken ragten als Inseln heraus. Von diesen trug hocheutroph mit Neigung zur Poly- und Hyper- das Meer fortan in stetigem Prozess Material ab, trophie eingeschätzt. Im unberührten Zustand um es als Sandhaken oder Nehrungen wieder würde hier eine stabile, natürliche Eutrophie, an anderer Stelle anzulagern. Nach und nach welche in Ostseenähe mehr zur Mesotrophie wurden auf diese Weise flache Buchten von und in den inneren Boddengewässern mehr zur der Ostsee abgeschnürt, in denen sich Brack- Polytrophie neigt, vorherrschen. Als entschei- wasser der Ostsee und Süßwasser der Flüsse dender Faktor für die Eutrophierung wird Phos-

144 phor angesehen. Trotz großer Anstrengungen in übertragbar sein wird.“ (BACOSA, 2014). Die- der Vergangenheit durch Optimierung der Ab- se Untersuchungen werden durch die Univer- wasserreinigung ist nach Bachor (2014) jedoch sität Rostock, die Biologischen Stationen in noch kein Trend zur Zustandsverbesserung der Zingst und auf Hiddensee (Universität Rostock Boddengewässer erkennbar. Die Phosphor- und Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald) einträge haben sich nach Angabe von Bachor sowie die Christian-Albrechts-Universität Kiel (2014) in der Zeit von 1945 bis 1982 um das durchgeführt. zehnfache erhöht. Erst mit Veränderungen in der Viehhaltung und dem Ausbau des Kläran- Der Wandel im Wald lagensystems hat sich die Belastungssituation In vier Naturwaldparzellen der Vorpommerschen verändert, seit Mitte der 1990er Jahre ist (mit Boddenlandschaft werden Untersuchungen zur Ausnahme nach Stark­regenereignissen) keine Waldentwicklung durchgeführt, um Rückschlüs- Veränderung mehr erkennbar. se auf die Auswirkungen einer veränderten Be- wirtschaftungsweise ziehen zu können. In den 1970er und 1980er Jahren kam es durch die beschriebene Veränderung der Wasserquali- Die Aufnahme der Naturwaldparzellen erfolgt in tät zu einer Abnahme der Makrophytenbestände einem zehnjährigen Aufnahmeturnus und nach in den inneren Küstengewässern. Erst seit 1990 einem landesweit einheitlichen Schema, um die ist wieder eine Zunahme zu verzeichnen. Rest- Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten bestände an Makrophyten, die das Sediment und die Nationalparkkulisse als Referenzfläche stabilisieren und dem System Nährstoffe entzie- für unbewirtschaftete Wälder auch in anderen hen sowie Sporen und Samen, welche das Po- Zusammenhängen nutzen zu können. tenzial für eine Neubesiedlung mit Makrophyten in den Boddengewässern bilden, konnten im Auch im Zuge der regelmäßig durchgeführten Rahmen der Untersuchungen bereits gefunden Forsteinrichtungen können Waldentwicklungen werden. Diese können zur Verbesserung der Si- beobachtet werden. Wurden im Jahr 1995 noch tuation der Boddengewässer beitragen und den 498 Hektar Laubholzunterstand in der Vorpom- Selbstreinigungsprozess unterstützen (Abb. 4). merschen Boddenlandschaft erfasst, hat sich die Fläche innerhalb von knapp zehn Jahren Seit knapp 50 Jahren wird die Darß-Zingster Bod- (2007) nahezu verdoppelt (1 049 ha). Hierin zeigt denkette wissenschaftlich untersucht und gehört sich der allmähliche natürliche Wandel im Wald. somit wohl zu den am tiefgründigsten erforschten Brackgewässern der Welt (Benke, 2001). Daneben werden weitere waldökologisch be- deutsame Untersuchungen an Bäumen auf Im Zuge des dreijährigen Verbundprojek- dem Neudarß durchgeführt. Die durch das tes BACOSA (Baltic Coastal System Analysis Vorhandensein von Böden unterschiedlichen and Status Evaluation) sollen der Einfluss von Alters auf kleinstem Raum einzigartige Natur- Wasserpflanzen (Makrophyten) auf den Nähr- raumausstattung des Darßwaldes ermöglichte stoffkreislauf und die Sedimentation in der es der Arbeitsgruppe Ökosystemdynamik der Darß-Zingster Boddenkette analysiert werden. Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, den Darüberhinaus soll die Ökosystemdienstleis- Einfluss fortschreitender Bodenentwicklung auf tung der Boddengewässer ermittelt werden. das Baumwachstum zu untersuchen. Über die „Die von BACOSA gewonnenen Daten schlie- Analyse von Jahresringen von Kiefern (Pinus) ßen daher entscheidende Kenntnislücken über konnten vorläufige Erkenntnisse erzielt werden die inneren Küstengewässer der Ostsee. Darü- (Abb. 5). berhinaus wird im Rahmen von BACOSA grund- legendes Wissen über Makrophytenbestände So wiesen die untersuchten Kiefern auf entste- generiert, das auch auf andere Ökosysteme hungsgeschichtlich sehr jungen Standorten des Darßes ein deutlich besseres Wachstum auf. In einem weiteren Schritt wurde auch der Einfluss fortschreitender Verlandung auf das Wachstum der Erlen (Alnus) untersucht. Diese zeigten vom Verlandungsgrad der Erlenbrüche abhängige, annuelle Wachstumsschwankungen. Weitere Untersuchungen sollen klären, ob dies durch die Waldstruktur, durch Trockenperioden oder die vorherrschende Bodenbeschaffenheit be- Abb. 5: Jahrringmessung am Beispiel der Kiefer. gründet ist.

145 Der Wandel der Arten Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) wer- Ein unverzichtbarer Bestandteil der Forschung den durchgeführt. Gemäß dieser soll bis 2020 und des Monitorings in einem Großschutzgebiet ein „guter“ Zustand der europäischen Meeres- ist die Erhebung der den Nationalpark charakte- gewässer erreicht werden. Im Rahmen der fach- risierenden Arten wie auch seiner „Allerweltsar- lichen Unterstützung der für die Umsetzung des ten“. Daneben gehört auch die Dokumentation MSRL zuständigen Behörden ((Landesamt für der „Neubürger“ in dieses Aufgabenfeld. Nur so Umwelt, Naturschutz und Geologie und Staatli- lässt sich das Werden und Vergehen in einem che Ämter für Landwirtschaft und Umwelt) wer- komplexen Ökosystem nachvollziehen. den an sieben Strandabschnitten im National- park Vorpommersche Boddenlandschaft sowie Für die Vorpommersche Boddenlandschaft be- einem Strandabschnitt unterhalb des Königs- deutet dies im Detail, dass das Vorhandensein stuhls im Nationalpark Jasmund ein systema- der vom Aussterben bedrohten Echten Lun- tisches Spülsaummonitoring durch Mitarbeiter genflechte (Lobaria pulmonaria) als auch die der Nationalparkverwaltung durchgeführt. Da- Bestandsentwicklung der vom Aussterben be- bei werden alle Müllpartikel in einem definierten drohten Zwergseeschwalbe (Sterna albifrons) Bereich aufgenommen, kategorisiert und vom ebenso dokumentiert und analysiert wird, wie Strand entfernt (Abb. 6). Ein vorläufiges Ergeb- die Eroberung des Küstenwaldes durch die Rot- nis zeigt ein vermehrtes Vorkommen von Plas- buchen (Fagus sylvatica) und die Ausbreitung tik- und Styroporpartikeln. des Riesen-Bärenklaus (Heracleum mantegaz- zianum) sowie des Japanischen Staudenknöte- richs (Fallopia japonica) im Schutzgebiet. NATIONALPARK JASMUND Der Wandel der Betrachtungsweisen Der Wandel vom Wirtschaftswald Der Fokus der Untersuchungen im National- zum Weltnaturerbe park liegt jedoch nicht nur im biotischen und Aufgaben aus dem Bereich Forschung und Mo- abiotischen Bereich. Auch Untersuchungen im nitoring wurden im Nationalpark Jasmund zu Zusammenhang mit Soziökonomie oder der Beginn der Ausweisung des Parks nicht vor-

Abb. 6: Sammelabschnitt des regelmäßigen Spülsaum-Monitorings. Neben Strömungs- und Windverhältnissen sind es ins- besondere Hochwasser oder Sturmereignisse, welche zur Anspülung von Meeresmüll beitragen.

146 Abb. 7: Naturwaldparzelle „Schlossberg“ im Nationalpark Jasmund. Nach einer landesweit vergleichbaren Methodik werden in den Naturwaldparzellen der Nationalparke Aspekte zur Waldentwicklung in einem zehnjährigen Turnus betrachtet. rangig bearbeitet. Es fehlte an Mitarbeitern und Im Nationalpark Jasmund existieren derzeit drei Inventar. Erst im Laufe der Etablierungsphase Naturwaldparzellen, welche im zehnjährigen des Nationalparks konnten dauerhafte Untersu- Turnus nach landesweit vergleichbarer Metho- chungsflächen eingerichtet werden. dik (angelehnt an Braun-Blanquet) erhoben und ausgewertet werden. Die aus relativ naturnahen, Die gesellschaftlich zunehmende Bedeutung stabilen aber artenarmen Beständen des Festu- der Buchenwälder führt auch im Nationalpark co-Fagetum bestehende Naturwaldparzelle am Jasmund zu neuen Herausforderungen für For- Schlossberg (Abb. 7) weist im Vergleich der Ve- schung und Monitoring. Konzentrierte man sich getationsaufnahmen von 1998 und 2008 keine in der Vergangenheit eher auf Inventarisierung, signifikanten Veränderungen der Vegetation auf küstendynamische und geomorphologische (Thiele, 2008). Phänomene werden diese heutzutage durch die Buchenwaldökosystemforschung und die Un- Ähnlich verhält es sich mit den Beständen der tersuchung der prägenden Gewässersysteme Naturwaldparzellen Fahrnitzer Berge und Piek- im Park ergänzt. Das alles dient nicht zuletzt berg. Altholzbestände fehlen an dieser Stelle. dem Monitoring im UNESCO-Weltnaturerbe- (Thiele, 2009). Hier wird sich erst im Rahmen gebiet „Buchenurwälder der Karpaten und alte langfristiger Erfassungen die Entwicklung hin Buchenwälder Deutschlands“. Hierfür gilt es zu einem Altholzbestand dokumentieren lassen. zukünftig ein Monitoringsystem zu etablieren, Neben der Waldaufnahme werden diese Natur- welches „im Wesentlichen eine regelmäßige, waldparzellen auch für Totholzkäferkartierung systematische und unter allen Gebieten ver- (Abb. 8) und Erfassungen zum Pilzvorkommen gleichbare Erhebung natürlicher Parameter (…), genutzt, um Wissen über diese Ausschnitte des die den außergewöhnlichen, universellen Wert Buchenwaldes der Stubnitz anzureichern. Er- kennzeichnen“ ermöglicht (Nominierungsdossi- gebnisse hierzu stehen noch aus. er, 2009). Viele der in diesem Zuge geforderten Indikatoren können über das bestehende Moni- Der Wandel der Gewässer toringsystem abgedeckt werden, andere müs- Ein Forschungsschwerpunkt der jüngeren Ver- sen mit erheblichem personellen und finanziel- gangenheit (2009/10) lag auf der Untersuchung len Aufwand neu eingerichtet werden. des Gewässersystems und der Bilanzierung des Wasserhaushaltes des Nationalparks Jasmund.

147 Abb. 8: Stehendes Totholz ist für die Erhebung von Totholzkäfern von besonderer Bedeutung. Mit Hilfe von so genannten „Leimringen“ kann das Arteninventar des Totholzes ermittelt werden.

Die eiszeitliche Aufstauchung der Stubnitz ist schlagsreichen Gebieten im Nordosten von prägend für die heutige Morphologie des Gebie- Deutschland. Im Zuge der Ausweisung des Natio- tes. Aus ihr gingen sowohl aufgeschobene Hö- nalparks erfolgte dann eine sukzessive Nutzungs- henrücken als auch abflusslose Senken hervor. aufgabe der Offenländer, welche den aktiven und Letzte entwickelten sich zu Mooren und Feucht- passiven Rückbau nicht natürlicher Entwässe- gebieten. Diese wurden in der Vergangenheit rungssysteme beinhaltete (Stodian, 2014). neben dem Wald stark entwässert und urbar gemacht. Die Untersuchung des Wasserhaushaltes ergab, dass der überwiegende Teil des Niederschlages Mit durchschnittlich 760 Millimeter Niederschlag von der Vegetation verbraucht, lediglich 2,0 bis im Jahr gehört der Nationalpark zu den nieder­ 2,5 Prozent versickert und der verbleibende An- teil effektiv über die vorhandenen Fließgewäs- ser abgeführt wird (Abb. 9). Auch 25 Jahre nach Einstellung der Gewässer- und Offenlandnut- zung kommen die natürlichen Entwässerungs- systeme ihrer Funktion nach.

EIN- UND AUSBLICK

Erste Naturschutzbestrebungen im Bereich der heutigen Küste Mecklenburg-Vorpommerns be- gannen bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahr- hunderts. Jedoch konzentrierte sich der Natur- Abb. 9: Wasserbilanz im Nationalpark Jasmund. Der größte schutz zunächst nur auf einzelne Arten wie bei Anteil des Niederschlagwassers der Stubnitz wird über die den Küstenvögeln oder einzelne Landschafts- Vegetation aufgenommen oder durch den Abfluss des Was- ausschnitte wie die Steilküste auf der Halbinsel sers über die vorhandenen Gewässersysteme abgeleitet. Die Jasmund. Erst im Laufe der Zeit setzte sich ein geringste Menge wird über die Versickerung abgeführt. umfassenderer Ansatz hin zum Ökosystem-

148 schutz durch. Analog verlief die Entwicklung im LITERATUR Bereich der Forschung und des Monitorings. Nach Ausweisung der Gebiete als Nationalpark Bachor (2014): http://www.lung.mv-regierung. konzentrierte man sich zunächst auf die Inven- de/dateien/2014_02_28_dzb_workshop_ tarisierung der Arten, später im Zuge der FFH- vortrag_1_bachor.pdf. Gebietsausweisung auf die Erfassung der Le- BACOSA (2014): http://www.oekologie.uni-ros- bensräume, nunmehr stellt man sich auch den tock.de/forschung/bacosa/. komplexen ökosystemaren Fragestellungen. Benke, H. (2001): Die Darß-Zingster Bodden – Auch in jenem Teilbereich des Nationalparks, Monographie einer einzigartigen Küsten- bei dem „Wildnis“ als Schutzziel ausgewiesen landschaft. MEER UND MUSEUM 16: 204 ist, sollen die dort ablaufenden natürlichen Pro- S. zesse untersucht werden, um die Auswirkungen Biederstaedt, F. (2011): „… und wenn er ver- des Menschen auf die Landschaft besser ver- nichtet ist, so ist das Land verdorben. stehen zu können. Außerdem sind in einer so – Die wechselvolle Geschichte der Stub- jungen aber dennoch eiszeitlich und küstendy- nitz auf Rügen“. Edition Pommern, Elmen- namisch stark geprägten Landschaft Untersu- horst, 112 S. chungen zum besseren Verständnis der Vergan- Kalbe, L. & J. Naacke (2012): Alles gezählt? – genheit notwendig. Nur über das Verständnis Erfassung und Schutz der Wasservögel in der Vergangenheit lassen sich Vorhersagen über Ostdeutschland. Natur + Text, Rangsdorf. zukünftige Ereignisse gewinnen. 232 S. Lenkungsgruppe der Länder , Mit der Zusammenlegung der Verwaltungen Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und beider Nationalparke im Jahr 2006 koordi- Thüringen mit BMU und BfN (2009): An- niert nunmehr eine Mitarbeiterin die Umset- meldung „Alte Buchenwälder Deutsch- zung von Forschung und Monitoring in beiden lands“ als Erweiterung des Weltnaturerbes Großschutz­gebieten. Es bestehen Kooperatio- Buchenurwälder der Karpaten – Nominie- nen und Zusammenarbeiten mit ehrenamtlichen rungsdossier für die UNESCO zur Eintra- Mitarbeitern, Fachgruppen, Institutionen und gung in die Welterbeliste. S. 158. Universitäten, deren Expertise zum Gesamtver- Ministerium für Bau, Landesentwicklung und ständnis der Abläufe in den beiden Ostseenati- Umwelt Mecklenburg-Vorpommern (MBLU onalparks beitragen. Mittlerweile wurden über MV) (1995): Generalplan Küsten- und 300 Forschungs- und Monitoringvorhaben in di- Hochwasserschutz Mecklenburg-Vorpom- rekter Abstimmung mit der Nationalparkverwal- mern.108 S. tung initiiert und in beiden Parks durchgeführt. Stodian, I. (2004): Der Nationalpark Vorpom- Viele weitere werden folgen. mersche Boddenlandschaft im Verbund des europäischen Schutzgebietssystems Sie werden über das „Forschungskonzept“ des NATURA 2000. In Rostocker Meeresbiolo- Nationalparkamtes Vorpommern koordiniert. gische Beiträge, Heft 13, S. 227-232. Darin werden unter Beachtung der gesetzlichen Stodian, I. (2014): Der Wasserhaushalt im Na- Verpflichtungen und unter Berücksichtigung des tionalpark Jasmund. In: Nationalparkma- Schutzzweckes neue Akzente gesetzt ohne auf nagement in Deutschland. Hrsg. V. Scher- Altbewährtes zu verzichten. Forschung und Mo- fose, Bundesamt für Naturschutz in der nitoring in den Nationalparks Vorpommersche Reihe Naturschutz und Biologische Viel- Boddenlandschaft und Jasmund reichen dem- falt, S.105-118. nach von einzelnen Arterfassungen über die Thiele, S. (2008): Abschlussbericht Waldmo- Klärung komplexer ökologischer Zusammen- nitoring Naturwaldreservat Schlossberg hänge bis hin zur Beantwortung sozioökono- Nationalpark Jasmund. Unveröffentlichter mischer Fragestellungen. Dieses Ziel verfolgte Bericht im Auftrag des Nationalparkamtes das Nationalparkamt nicht nur in den vergange- Vorpommern. nen 25 Jahren, sondern wird auch künftig daran Thiele, S. (2009): Abschlussbericht Waldmoni- festhalten. Bekanntlich geschieht der Wandel toring Naturwaldreservat Fahrnitzer Berge stets und ständig vor unseren Augen, denn ... Nationalpark Jasmund. Unveröffentlichter Bericht im Auftrag des Nationalparkamtes „…die Natur schafft ewig neue Gestalten, Vorpommern. was da ist, war noch nie; was da war, kommt nie wieder; alles ist neu und doch immer das Alte.“ (Johann Wolfgang von Goethe)

149 Zum Anfassen – Besucherangebote in den Ostsee-Nationalparken und im Biosphärenreservat Südost-Rügen Katrin Bärwald, Ulf Steiner, Kai Lüdeke, Stefanie Dobelstein, Thomas Förster und Ines Martin

Verstehen, was Vorpommerns Küstenschätze Wortreiche Erläuterungen mit Tiefgang und draußen nicht verraten oder erst mit dem zweiten versteckt erhobenem Zeigefinger oder Ermun- Blick sichtbar wird – das vereint die Ausstellun- terung zum Mitmachen, Nachdenken und Na- gen im Nationalpark-Zentrum KÖNIGSSTUHL, tur verstehen ganz nebenbei? Was wünschen im NATUREUM am Darßer Ort, die Ausstellungen sich und was erwarten die Besucher? Eines und Informationspunkte des Biosphärenreser- ist sicher: Auch im multimedialen Zeitalter sind vates, wie das „Granitzhaus“ und die Lotsenwa- Ausstellungen immer noch gefragt. Die jüngste che in Thiessow, oder die Ostsee-Ausstellung im Umfrage der Universität Würzburg (JOB et al., Stralsunder OZEANEUM. Zusammen mit vielen 2014) zeigte, dass sie zu denjenigen Informati- weiteren kleinen und größeren Angeboten in den onskanälen gehören, die Besucher in National- Schutzgebieten sind sie alle eine Reise wert und parks nach wie vor erwarten, neben themenbe- tragen außerdem dazu bei, den Besucherverkehr zogenen Publikationen, dem Internet und Social in den wertvollsten Naturgebieten zu lenken. Media. Die Frage, warum eine Ausstellung be-

Abb. 1: Aus dem ehemals militärisch genutzten Gebäudekomplex direkt am Königsstuhl entstand das Besucherzentrum des Nationalparks Jasmund.

150 geistert und wie viel Verständnis für Natur und Schutzgebiet letzten Endes in den Köpfen und Herzen der Menschen hängen bleibt, ist schon viel schwieriger zu beantworten. Vor dieser Fra- ge stehen alle Ausstellungsmacher gleicherma- ßen und immer wieder. Die möglichen Vermitt- lungspfade scheinen unendlich: Mitgehen mit dem multimedialen Zeitgeist oder bewusst Ak- zente dagegen setzen? Viel Aktion und Anima- tion oder gerade den ruhigen Gegenpol? Kin- derangebote und Mehrsprachigkeit ganz vorn oder eher dezent platzieren? Wie lässt sich eine Ausstellung ohne Barrieren und ökologisch bau- en? Sind große Zentren gefragt oder lieber viele kleine Infopunkte mit thematischem Profil? Abb. 2: Das Besucherzentrum des Nationalparks Jasmund Das Gute ist: Es gibt von allem und für jeden entstand auf Initiative des Landes Mecklenburg-Vorpom- etwas. Das zeigen die folgenden Beiträge über mern, der Stadt Sassnitz und des WWF Deutschland. die Informations-Zentren und Ausstellungen der drei großen Schutzgebiete im Vorpommerschen Ostseeraum. Darin wird zusammengefasst, was des Landes Mecklenburg-Vorpommern eine die Besucher im 25. Jahr nach der Gründung moderne Besucherattraktion. 2014 – im zehn- der Gebiete vorfinden. ten Jahr nach der Eröffnung – wurde der drei­ millionste Besucher begrüßt (Abb. 2). Das Zent- Die vorgestellten Konzepte der Bildungseinrich- rum beschäftigt 44 Mitarbeiter, ist wirtschaftlich tungen gehen jeweils von zentralen Anliegen der unabhängig und trägt sich ohne Zuschüsse der Schutzgebiete aus und unterscheiden sich ent- öffentlichen Hand. sprechend in den Akzenten ihrer Vermittlungsar- beit (siehe Beiträge von Bokemeyer-Siems und Erlebnis Natur auf vier Etagen Rentz und von Dobelstein in diesem Band). Das „Wir machen Unsichtbares sichtbar“ ist das Konzept werdende Wildnis durch „Natur Natur Motto des Nationalpark-Zentrums, dessen sein lassen“ in den Nationalparks steht der be- Erlebnis-Ausstellung das Kernstück der Besu- wussten und nachhaltigen Vermittlung und Ge- cherangebote ausmacht. Die interaktive Aus- staltung der Kulturlandschaft im Biosphärenre- stellung enthüllt auf vier Etagen die Geheimnis- servat gegenüber. se der Natur. Ob als Abenteurer und Forscher oder in der Stimmung für einen romantischen Streifzug durch die Lebensbereiche des Natio- DAS NATIONALPARK-ZENTRUM nalparks: Für jeden gibt es die passende Füh- KÖNIGSSTUHL rung per Kopfhörer-System. Für Kinder wurde eine besondere Reise entwickelt: Die Maus Wie entstand die gigantische Kreideküste in Mimi und der Rabe Krax begleiten die jüngsten Deutschlands kleinstem Nationalpark Jas- Besucher mit lustigen Geschichten durch die mund? Welche Geheimnisse verbergen sich in Erlebnis-Ausstellung (Abb. 3). den alten Buchenwäldern und den versteckten Im Nationalpark-Zentrum gibt es noch viel Mooren? Dies und vieles mehr erfährt man in mehr zu erleben. Im Multivisions-Kino wird das dem modernen Informationszentrum KÖNIGS- UNESCO Welterbe „Buchenurwälder der Karpa- STUHL, das mitten im dichten Buchenwald ten und Alte Buchenwälder Deutschlands“ in 15 (Abb. 1) Unsichtbares anhand interaktiver Ex- Minuten erlebbar. Kinder können sich auf dem ponate wird für seine Besucher sichtbar macht. Waldspielplatz mit Abenteuer-Parcours zum Balancieren, Schaukeln und Klettern austoben. Nationalpark-Zentrum Auf der Wiese der „Romantik“ kann man das Dem berühmten Kreidefelsen „Königsstuhl“ in berühmte Gemälde „Kreidefelsen auf Rügen“ Deutschlands kleinstem Nationalpark verdankt von Caspar David Friedrich nachempfinden. das moderne Informationszentrum seinen Na- Das Konzept des Nationalpark-Zentrums KÖ- men. Er gehört zum „Pflichtprogramm“ bei je- NIGSSTUHL zielt darauf, über viele Kommuni- dem Besuch der Insel Rügen. Aus einem his- kationskanäle beständig die Botschaft „Natio- torischen Gebäude entstand dort auf Initiative nalpark bedeutet - Natur, Natur sein lassen“ an des WWF Deutschland, der Stadt Sassnitz und die Zielgruppen zu vermitteln.

151 Abb. 3: Die Dauerausstellung des Besucherzentrums nimmt die Gäste mit auf eine Zeitreise durch die Kreidezeit bis in die Gegenwart.

Viel Innovation – Null Emissionen: fünfstelligen Betrag in den Ausbau der Bil- Umwelttechnik im Nationalpark- dungs-, Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Zentrum KÖNIGSSTUHL des Nationalparks Jasmund. Wo Verständnis für Umwelt und Natur geweckt wird, sollte auch der äußere Rahmen stimmen. Neue Zeichen setzen Das war den zahlreichen Initiatoren des Projekts Wo der Nationalpark Jasmund von Menschen- schon im Vorfeld der fast zweijährigen Bauzeit hand fast unberührt ist, beherbergt er die „Alten klar. Daher lag der Fokus auf umweltverträglichem Buchenwälder“. Sie sind von so herausragender und energiesparendem Bauen. Alle Bauelemente Bedeutung, dass die UNESCO sie zum Welterbe wurden vor ihrem Einsatz auf umweltgerechte Ma- erklärte. Mit dem Nationalpark-Zentrum KÖNIGS- terialien hin geprüft. Nachweislich wurden für das STUHL engagieren sich der WWF Deutschland Bauprojekt nur zwei Prozent nicht ausgezeichnet und die Stadt Sassnitz an der Seite des Landes umweltverträgliche Bauelemente eingesetzt. Und Mecklenburg-Vorpommern für den Schutz dieses das auch nur, weil es auf dem europäischen Markt unversehrten Lebensraums. Ein Kernprojekt der keine geeigneten Produkte gibt. Zusammenarbeit ist der Rückbau eines verlasse- nen Gebäudekomplexes mitten im Nationalpark, Standort und Management – am Rande des Welterbegebietes. Dort entsteht Die Faktoren des Erfolges das UNESCO-Welterbeforum. Es wird im Jubilä- Vor dem Hintergrund knapper öffentlicher Kas- umsjahr 2015 eröffnet. sen und dramatischer Mittelkürzungen wurde mit dem Nationalpark-Zentrum KÖNIGSSTUHL eine Bildungseinrichtung geschaffen, die ne- ABSEITS DER ben dem traditionellen Kerngedanken der Na- INFORMATIONSZENTREN: turschutzkommunikation auch verstärkt den Unternehmergeist aufgreift. Schlüsselfaktor AUSSTELLUNGEN IM NATIONALPARK für den wirtschaftlichen Erfolg ist das Zusam- VORPOMMERSCHE menspiel von Standort und Management. Das BODDENLANDSCHAFT Konzept geht auf. Jährlich besuchen etwa 300 000 Menschen das Zentrum. Sie werden im Die weite Ausdehnung des Nationalparks Vor- Nationalpark-Zentrum KÖNIGSSTUHL von der pommersche Boddenlandschaft über mehrere Natur begeistert und von der Nationalparkidee Halbinseln und Inseln zieht naturgemäß auch eine überzeugt. Das Zentrum arbeitet ohne externe „Verinselung“ der Besucher nach sich. Damit alle Zuschüsse und investiert jährlich einen hohen in erreichbarer Nähe einen Anlaufpunkt mit Infor-

152 Abb. 4: Das Nationalparkhaus in Vitte auf Hiddensee beherbergt die Rangerstation und eine Ausstellung. mationen zum Nationalpark (NLP) finden, wurden auf der Insel Hiddensee, der Halbinsel Zingst, auf der Insel Ummanz und auf dem Festland in Bar- höft kleine NLP-Informationsstellen eingerichtet. An diesen Standorten sind Rangerstationen mit Ausstellungen vereint. Durch die zeitweise Prä- senz von Rangern und mit der unentbehrlichen Hilfe von Freiwilligen, Praktikanten und Mitar- beitern des zweiten Arbeitsmarktes stehen An- sprechpartner in den Ausstellungen bereit und betreuen die Besucher. Die Inhalte bestimmen die regionalen landschaftlichen Eigenarten der Um- Abb. 5: Das Informationshaus an der Sundischen Wiese bei gebung, also die jeweiligen Besonderheiten der Zingst, die ehemalige Schießplatzwache, ist Startpunkt für Teilgebiete des Nationalparks. Radtouren in die Kernzone des Nationalparks.

Am stärksten besucht wird das im Jahre 1998 er- öffnete Nationalparkhaus in Vitte auf Hiddensee Ausstellungsgebäude (Abb. 6). Der Förderverein (Abb. 4), das auch ein regelmäßiges Veranstal- Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft tungsprogramm anbietet und sich dem Thema und das Nationalparkamt machten es sich zur „Veränderungen“ widmet. Die Ausstellung „Le- gemeinsamen Aufgabe, das neue „Haus am Kliff“ bensräume“ an der Sundischen Wiese bei Zingst mit Themen und Leben zu erfüllen. (Abb. 5) lockt besonders zahlreiche Radfahrer auf dem Weg zur Halbinselspitze Pramort an. Dort Verständlich, anregend und in Waase auf Ummanz wird der Kranichzug und mit Augenzwinkern und die Welt der Küstenvögel vorgestellt. Wen wollen wir erreichen? Was sollen – und was wollen die Besucher unbedingt mitnehmen? Wie In Barhöft erwarb 1992 der Förderverein des Na- können wir diese Ziele mit unseren begrenzten tionalparks ein kleines Gebäude im Schutzgebiet, Mitteln umsetzen? Inspiriert von vielen anderen in dem im Laufe der Zeit mit Hilfe von Schulpro- Infohäusern in den Schutzgebieten deutsch- jekten eine Ausstellung heranwuchs. In die Jah- landweit hat eine Arbeitsgruppe aus Förderver- re gekommen, musste dies alte „Haus am Kliff“ ein, Nationalparkamt und Ausstellungsagentu- 2014 abgerissen werden. Die engagierte Ge- ren nach passenden Antworten für den Standort meinde Klausdorf erbaute noch im gleichen Jahr Barhöft gesucht. Das neue Ausstellungskonzept neben dem Barhöfter Aussichtsturm ein neues soll nach und nach auf die anderen, in die Jah-

153 auskennt. Unterstützt von den Machern pro- minenter Kindersendungen, wie „Löwenzahn“, werden Wildnis, Küstendynamik, das Windwatt und Schilf auf eingängige Weise an junge wie äl- tere Besucher gebracht (Abb. 7). Die Freude am Verstehen wird genauso ernst genommen wie die Nationalparkidee. Im Jubiläumsjahr 2015 öffnet das neue „Haus am Kliff“ in Barhöft mit einer etwas anderen Nationalparkausstellung die Tore für Familien, Schulklassen und alle jung gebliebenen Besucher der Region.

Abb. 6: Das neue „Haus am Kliff“ bereitet sich im Winter DIE DARSSER ARCHE 2014/15 auf seine Eröffnung vor. Das Nationalparkzentrum Darßer Arche in Wieck auf der Ostseehalbinsel Fischland-Darß-Zingst informiert auf über 500 Quadratmeter Fläche mit wechselnden Ausstellungen über den Natio- nalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Im Jahr des Nationalpark-Jubiläums wird es eine Sonderausstellung mit dem Titel „Nationalpark von oben“ geben. Überdimensionale Luftbilder und spannende Filmaufnahmen vermitteln einen atemberaubenden Eindruck von den bewegten Küstenabschnitten.

Das konsequent ökologisch erbaute und mit Solarenergie betriebene Haus wurde im Jahr Abb. 7: Der Pluster, ein äußerst neugieriger Vogel, ist dem 2000 eröffnet (Abb. 8). In dem modernen Bau Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft kürzlich in Form eines Schiffes befindet sich auch die zugeflogen. Er kennt sich inzwischen bestens dort aus Gästeinformation und Zimmervermittlung der und erklärt seinen reisenden Freunden Lup, Lars und dem Kur- und Tourist GmbH Darß. In der Darßer Ar- Leuchtturm Küstendynamik, Windwatt, Wald, Kliff und vieles che lädt außerdem das Bio-Café „Fernblau“ ein mehr. In den neuen Nationalparkausstellungen ist er ganz – mit einem Ladengeschäft für Kunst und Kultur, aktiv und mit viel Augenzwinkern dabei (Zeichnung: Chris- selbstgebackenem Kuchen, Kaffee und kleinen toph Tillmann). Köstlichkeiten.

Die Arche ist zudem Heimat des jährlich statt- re gekommenen Ausstellungen ausstrahlen und findenden Darßer Naturfilmfestivals, auf dem diese, wie auch das Nationalpark- und Gäste- seit 2008 der Deutsche Naturfilmpreis verlie- zentrum Darßer Arche, sinnvoll ergänzen. hen wird. In Planung ist eine Erweiterung des Hauses, die den veränderten Ansprüchen des „Was Kinder inspiriert und zum Entdecken ani- Nationalparkzentrums gerecht wird und zudem miert, das macht auch den Großen Freude“. An- auch wieder eine Dauerausstellung zum Natio- nett Storm vom Förderverein beobachtete in an- nalpark beinhaltet. deren Ausstellungen immer wieder, wie sich die Erwachsenen „in der Kinder-Ebene tummelten“ nachdem sie die Überschriften gelesen hatten. DAS INFORMATIONSSYSTEM DES Platz- und Finanzmangel ließen den Entschluss BIOSPHÄRENRESERVATES SÜDOST- reifen: Warum nicht gleich die Informationen für (Schul-)Kinder verständlich aufbereiten und die RÜGEN wissenschaftlich vertiefende Ebene dem welt- Das dreigliedrige Informationssystem des weiten Netz überlassen? In der Folge werden UNESCO-Biosphärenreservates Südost-Rügen weniger Fakten vermittelt, diese verweilen dafür besteht aus zwei betreuten Ausstellungen, vier lange in Kopf und Herz. Als Botschafter für den Informationspunkten und zahlreichen Informati- Nationalpark hilft der Pluster – ein seltener, et- onstafeln im Gebiet. Diese verteilen sich über was komischer Vogel, der sich im Park bestens die gesamte Fläche des Biosphärenreservates,

154 Abb. 8: Die Darßer Arche mit dem Ausstellungsanbau und Café. dadurch werden Einheimische und Besucher in Die Informationspunkte der freien Landschaft immer wieder darauf hin- Die Informationspunkte des Biosphärenreserva- gewiesen, dass sie sich im Biosphärenreservat tes befinden sich in kleineren Gebäuden oder befinden. an historischen Standorten und sind alle ohne Betreuung. Sie sind für den Besucher aber Die Informationstafeln selbsterklärend und aufgrund von Kooperatio- Das Biosphärenreservat verfügt neben den Aus- nen mit Partnern vor Ort, welche diese auf- und stellungen und Informationspunkten über Infor- zuschließen und überwachen, frei zugänglich. mationstafeln in der freien Landschaft. Hier er- Zusätzlich überprüfen die Ranger auf ihren Ge- fährt der Gast ebenfalls alles Wissenswerte über bietskontrollen regelmäßig den Zustand der In- das Biosphärenreservat und seinen Auftrag, die formationspunkte. Neben den historischen Be- Geschichte und Kultur sowie über den entspre- zügen zur Kulturlandschaft wird der Besucher chenden Lebensraum. Es wird nebenbei dazu darüber informiert, dass und wo er sich im Bio- aufgefordert, sich angemessen und rücksichts- sphärenreservat Südost-Rügen befindet. voll in der Natur zu verhalten. Übersichtskarten ermöglichen die Orientierung im Gebiet und ver- Die Lotsenwache in Thiessow befindet sich weisen auf besondere Sehenswürdigkeiten. direkt neben dem so genannten Lotsenturm auf dem Südperd in Thiessow. Der Informati- Dieses Informationssystem ist bisher leider nicht onspunkt ist ein Kooperationsprojekt von der einheitlich im gesamten Gebiet. Das gesamte Kurverwaltung Thiessow und dem Biosphä- Informationssystem des Biosphärenreservates renreservatsamt Südost-Rügen. In der kleinen bedarf daher einer Überarbeitung. Aus diesem Ausstellung wird über die Bedeutung und Ge- Grund war und ist das Biosphärenreservat Mit- schichte des Lotsenwesens auf der Halbinsel initiator und treibender Motor bei der Erstellung Mönchgut insbesondere in Thiessow informiert. und Umsetzung eines rügenweiten gemeinsa- Vom Lotsenturm erhält der Besucher einen fan- men Wegekonzeptes, welches bis 2016 auf der tastischen Ausblick über die gesamte Halbinsel gesamten Insel umgesetzt werden soll. Mönchgut und damit über einen großen Teil des Biosphärenreservates Südost-Rügen (Abb. 9). Im Jahre 2008 wurde in Kooperation mit der Rü- genschen Bäderbahn das Projekt „Jeder Aus- Das 24 Meter hohe Sturmwarnsignal Göhren stieg ein Erlebnis“ entwickelt. Durch dieses Pro- wurde auf Initiative des Biosphärenreservatsamt jekt sollten Gäste dazu animiert werden, auch in Kooperation mit der Kurverwaltung Göhren einmal Stationen und Wanderwege, die von dort und den Mönchguter Museen mit Hilfe von För- in die Natur des Biosphärenreservates abseits dermitteln restauriert und wieder funktionstüch- der großen Tourismusströme führen, zu erkun- tig gemacht. Informationstafeln beschreiben die den. Entlang der Bahnstationen der Rügen- einstmalige Nutzung des Sturmwarnsignals und schen Bäderbahn werden die Gäste daher mit dessen Bedeutung für das Lotsenwesen auf der Tafeln und einem eigens dafür erstellten Flyer Halbinsel Mönchgut. auf die Sehenswürdigkeiten, natürlichen Be- sonderheiten und die entsprechende Kulturge- Der Informationspunkt in der ehemaligen Pack­ schichte hingewiesen. Dieses Projekt wird wei- station in Philippshagen ist ebenfalls ein ter fortgeführt und -entwickelt. Kooperations­projekt zwischen dem Biosphä-

155 Abb. 9: Blick vom Lotsenturm Thiessow. renreservatsamt und der Rügenschen Bäder- Das ehemalige Forst- und Gasthaus, Granitz- bahn, welche auch die Betreuung übernommen haus genannt, wird seit 2004 als Informations- hat. Anhand von Schautafeln erfahren die Gäste zentrum des Biosphärenreservates genutzt. einiges über die touristische Entwicklung der Seit seiner Eröffnung zählt die Ausstellung im Halbinsel Mönchgut und die Bedeutung des Ra- Granitzhaus jährlich etwa 40 000 Besucher. Es senden Rolands. befindet sich unterhalb des Jagdschlosses im NSG Granitz. Das Gebäude steht unter Denk- Wie der Name schon verrät werden im ehema- malschutz. Es ist nicht mit dem Pkw erreichbar. ligen Fischerschuppen in Neukamp Einblicke Die Anfahrt für Gäste erfolgt über die Rügen- in die Geschichte der traditionellen Küstenfi- sche Bäderbahn, den Jagdschlossexpress, mit scherei im Biosphärenreservat Südost-Rügen dem Fahrrad oder zu Fuß. gegeben. Die Ausstellung von historischem Fanggeschirr veranschaulicht die erworbenen Die gegenwärtige Ausstellung beinhaltet die Informationen für den Gast. Alle Informations- Themen: Ziele, Aufgaben und Fakten des Bio- punkte sollen im Anschluss an die Erneuerung sphärenreservates Südost-Rügen, die Granitz des Informationssystems ab 2016 ebenfalls im – Lebensraum Wald, Robben an der Küste Rü- neuen CD/CI modernisiert werden. gens, Fischerei, Landwirtschaft. Sie steht bisher leider unter keinem gemeinsamen Ausstellungs- Die Ausstellungen thema (Abb. 10). Damit die Ausstellung auch zu- Mit dem Umzug des Biosphärenreservatsamtes künftig den Ansprüchen an ein Informationszen- Südost-Rügen wurde 2013 in einem der Räume trum sowie denen des MaB-Programms und der am neuen Amtssitz in Putbus eine Ausstellung Besucher entspricht, ist derzeit ein Ideenwett- über die Kulturgeschichte des Biosphärenre- bewerb für die Neugestaltung ausgeschrieben. servates eingerichtet. Die Ausstellung präsen- Die Neueröffnung ist für 2016 geplant. tiert Informationen zu neun verschiedenen The- menkreisen: »» Frühe Siedler (Stein- und Bronzezeit) »» Die Ranen auf Rügen (Slawenzeit) »» Mönche und Bauern (Christianisierung) »» Haupterwerb Fischfang (Hochmittelalter) »» Rügen wird schwedisch (Schwedenzeit) »» Gestaltete Landschaft (Preußenzeit) »» Technik und Chemie (Industrialisierung) »» Urlaub für alle (Massentourismus) »» Eine Region mit Perspektive – UNESCO Bio- sphärenreservat Südost-Rügen Abb. 10: Die aktuelle Ausstellung im Granitzhaus.

156 NATUREUM – DAS AUSSTELLUNGS- Name auf die Inhalte der Ausstellungen hin. Das ZENTRUM AM DARSSER ORT kleine naturkundliche Museum wird jährlich von über 100 000 Gästen besucht. Mitten in der Na- In exponierter Lage, mitten im Nationalpark tur und dem Schutzgebiet erhalten sie vielfältige Vorpommersche Boddenlandschaft, liegt das Informationen zur Artenvielfalt und den geologi- NATUREUM. Die Außenstelle des Deutschen schen Prozessen der Küstenlandschaft im Nati- Meeresmuseums besteht seit 1991 auf dem his- onalpark. torischen Leuchtturmgehöft am Darßer Ort. In enger Kooperation mit dem Wasser- und Schiff- Im Eingangsbereich des NATUREUMs finden fahrtsamt Stralsund, dem Eigentümer des noch die Besucher sehenswerte Freiflächen. Im klei- heute im Betrieb befindlichen Seezeichens, nen Strand- und Dünen-Garten wachsen und wurde dort eine museale Einrichtung entwickelt, blühen – je nach Jahreszeit – zahlreiche cha- die zu den fünf am meisten besuchten Museen rakteristische Pflanzen des Strandes und der in Mecklenburg-Vorpommern gehört. Dünenlandschaft, die sich am Rande der Wan- derwege nie in einer solchen Artenkonzentrati- Der 35 Meter hohe Leuchtturm, im Januar 1849 on finden. An und in einem kleinen Tümpel sind offiziell in Betrieb genommen, steht unter Denk- in der wärmeren Jahreszeit zahlreiche Frösche malschutz (Abb. 11). Er ist der älteste noch in und Wasserinsekten, einige Kröten und Mol- Betrieb befindliche Leuchtturm an der Küste che sowie hin und wieder eine Ringelnatter zu Mecklenburg-Vorpommerns. Sehr aufwendig beobachten. Auf Informationstafeln werden die wurden deshalb in den letzten Jahren der Turm, entsprechenden Naturräume, Pflanzen und Tie- die Gebäude des Gehöftes und die Umfas- re erläutert. Ein zum 25-jährigen Jubiläum des sungsmauer instand gesetzt. Das Leuchtfeuer Nationalparks neu eingeweihtes Reliefmodell wird seit 1978 automatisch betrieben und ist am Strandweg zeigt den Küstenabtrag vor dem aus bis zu 23 Seemeilen Entfernung zu sehen. Leuchtturm während der letzten Jahrzehnte.

Das NATUREUM informiert direkt vor Ort über Lagunen der Ostsee – diese häufige Bezeich- den Nationalpark und die besondere Landschaft nung für den Nationalpark Vorpommersche Bod- am Darßer Ort. Bereits kurz nach der Gründung denlandschaft kennzeichnet die ausgedehnten des Nationalparks eröffnet, weist bereits sein Flachwassergebiete, die sich um die Landflä-

Abb. 11: Das Leuchtturmgehöft am Darßer Ort liegt eingebettet in die ursprüngliche Dünenlandschaft.

157 und Exponaten über diese erdgeschichtlich jun- ge Landschaft, die von einer starken Küstendy- namik geprägt ist.

Anhand von Präparaten wird zudem ein Über- blick der wichtigsten Tierarten der Darßregion gegeben. Das aufwendig gestaltete Diorama „Darßwald bei Nacht“ stellt jene Tiere vor, die in den ausgedehnten Kiefern- und Buchenwäl- dern sowie auch in Küstenüberflutungsmooren anzutreffen und typisch für die Landlebensräu- me des Nationalparks sind (Abb. 12). Neben Wildschweinen, Füchsen und Fischottern sind auch heimische Vögel und Reptilien zu entde- cken. Neben Seeadlern und anderen vorkom- menden Greifvögeln finden Besucher auch die Zug- und Seevögel wieder, die in den großen Flachwassergebieten reichhaltig Nahrung und auch Schlafplätze finden.

Zum Nationalpark gehören zudem die vorgela- gerten Seegebiete der Ostsee mit den Bodden, in denen eine reiche Flora und Fauna behei- matet ist, darunter z. B. 48 Fischarten wie der Ostseehering, dem sie als Laichgebiete dienen. Die Aquarien im NATUREUM zeigen typische Tiere und Pflanzen, die in der Ostsee um den Darßer Ort vorkommen. Anhand der Aquarien wird auch die Besonderheit des Salzgehaltes Abb. 12: Das Diorama „Darßwald bei Nacht“ zeigt die nacht- dargestellt, der in der Ostsee von Westen nach aktiven Bewohner der Umgebung. Osten abnimmt. Aus den Gebieten westlich der Darßer Schwelle werden die typischen Meeres- fische wie Dorsche, Flundern, Steinbutte oder Heringe, aber auch Klippenbarsche, Lippfische, Seezungen und Rote Knurrhähne gezeigt. Aus dem östlichen Bereich stammen Süßwasserfi- sche wie Hechte, Barsche und Flussaale, die in einem weiteren Becken gehalten werden. Selbst Seehunde, Kegelrobben und Schweinswale las- sen sich manchmal von der Küste aus beobach- ten. Präparate und Informationstafeln stellen diese Säugetiere des Meeres vor.

Im früheren Petroleumbunker des Leuchtturms werden regelmäßig wechselnde Sonderaus- stellungen mit Themen rund um den Darß prä- sentiert. Zusätzliche Informationen zu den Aus- stellungen und dem am Museum beginnenden Abb. 13: Mit dem eGuide wird nicht nur der Rundgang durch Rundwanderweg erhalten die Besucher seit das NATUREUM erleichtert und mehrsprachig möglich, der 2014 über ein individuelles eGuide-Führungs- Guide führt auch informativ und kurzweilig durch den Nati- system, das in enger Zusammenarbeit mit dem onalpark. Nationalparkamt entwickelt wurde (Abb. 13). Ein kleines Café lädt als Serviceeinrichtung des Museums zum Verweilen auf dem Hof oder im chen des Darß, der Halbinsel Zingst, der Insel ehemaligen Wärterhaus des Gehöftes ein. Hiddensee und entlang der Westküste Rügens Das Grundanliegen des NATUREUMs ist, die Be- erstrecken. Die Ausstellungen des NATUREUMs sucher des Nationalparks für die Schönheiten informieren mit anschaulichen Darstellungen und für den Schutz der Natur der Darßregion zu

158 sensibilisieren. Damit trägt das Deutsche Mee- bellose Meerestiere, Fische, Robben, Schweins- resmuseum zur Popularisierung und zur Vielfalt wale und Küstenvögel. der Umweltbildungsangebote des Nationalparks Vertiefende Informationen gibt es zur Biologie, Vorpommersche Boddenlandschaft bei. Ziel ist es Ozeanografie, Geologie und Ökologie des Ge- dabei, auf interessante wie unterhaltsame Weise bietes. Wandmodule, ein Relief des Ostseebo- Kenntnisse über die heimische Natur zu vermitteln. dens und ein interaktiver Wissenstisch bieten Möglichkeiten, die vielfältigen Inhalte optisch, haptisch oder auditiv zu erschließen. DIE AUSSTELLUNG „OSTSEE“ IM OZEANEUM STRALSUND Es wird verständlich gemacht, welche natür- lichen morphologischen, hydrologischen und Die Ostsee ist das Meer vor den Toren Stralsunds. biologischen Gegebenheiten den Zusammen- An ihren Küsten und Stränden leben oder erho- hängen und Prozessen zugrunde liegen. Auch len sich fast alle Besucher des OZEANEUMs. Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Deshalb bildet das Thema einen Schwerpunkt Lebensräume werden erläutert. seiner Ausstellungen. Die Vielfalt der Natur des Ostseeraumes wird veranschaulicht, besonders Die Ausstellung auch die naturbedingten Ursachen für die hohe Wichtigstes Objekt am Beginn der Ausstellung Empfindlichkeit der Ökosysteme und die daraus ist ein Tiefenreliefmodell der Ostsee (Abb. 14). resultierenden Grenzen der Nutzung sowie die Aufgrund der 250-fachen vertikalen Überhö- Notwendigkeit von Schon- und Schutzmaßnah- hung wird die starke Gliederung der Ostsee in men für die Lebensräume erläutert. Flachwasserbereiche und tiefere Becken deut- lich. Im Zentrum der Ausstellung kennzeichnet Das Konzept die freischwebende Installation einer „Plankton- In der Ausstellung unternehmen Besucher eine wolke“ den Lebensraum des freien Wassers in Reise entlang der typischen Küsten- und Unter- der offenen Ostsee. Sie zeigt unzählige Modelle wasserlebensräume des Mare Balticums. Die von Planktonorganismen in 25- bis 4 000-facher Besucher lernen auf dieser Reise die wichtigs- Vergrößerung, die normal so winzig sind, dass ten Entwicklungsetappen, Küstenformen, Le- wenige Wassertropfen Tausende davon enthal- bensgemeinschaften und Organismen kennen. ten können. Der Planktonschwarm macht diese Sie erhalten detaillierte Informationen über wir- Welt für die Besucher sichtbar.

Abb. 14: Das Ostseemodell und die Planktonwolke im OZEANEUM vermitteln nachhaltige (Lern-) Erlebnisse.

159 Abb. 15: Das OZEANEUM liegt eingebettet in die Stadtsilhouette des Stralsunder Hafens.

Viele der Naturlandschaften der Nationalpark- Die lebendigen Organismen vertiefen eindrucks- Gebiete finden sich samt ihrer Flora und Fauna voll das (Lern-)Erlebnis und die Erinnerungen an in den Habitatnachbildungen der Ausstellung den Besuch im OZEANEUM (Abb. 15). wieder. Besucher begegnen den Lebewesen, die sie bereits in der Natur beobachtet haben. Didaktik und Umweltbildung Küstenformen, wie sie als Kreideklippen im Na- Die Präsentation der Ostseeausstellung ori- tionalpark Jasmund oder als Geschiebelehm- entiert sich an modernen Ausstellungs- und Steilufer im Biosphärenreservat anstehen, Vermittlungsmethoden und berücksichtigt ein werden beispielsweise in der Vitrine „Vom Eis breites Zielgruppenspektrum. Sie umfasst An- abgelagert – Glazialschutt“ erläutert. Die Vitrine gebote für alle Altersgruppen, auch für eng- „Zwischen Land und Meer – die Bodden“ zeigt lischsprachige Besucher. Ein individuelles Au- die typischen Formationen der Vorpommer- dio-Führungssystem wird für polnische Gäste, schen Boddenlandschaft samt ihrer Entstehung für Kinder und für Besucher mit Sehbehinde- und Verbreitung. Mit der Vorstellung der arten- rung bereitgehalten. Vielfältige museumspäda- reichen Tier- und Pflanzenwelt in den National- gogische Vermittlungsformate für Kindertages- parks werden auch die Schutzanliegen didak- stätten, Schulklassen und (Jugend-) Gruppen tisch und emotional untermauert. ergänzen die permanenten Präsentationen. Für Kinder gibt es ein abwechslungsreiches Be- In der von Vitrinen dominierten Ausstellung bil- gleitbuch zur Ausstellung. Insgesamt klärt die det der interaktive Medientisch „Das Meer in Ostsee-Ausstellung die Besucher über ein sen- unsere Mitte“ einen zeitgemäßen Kontrapunkt. sibles Binnenmeer auf und trägt somit in einer Er zeigt die Übersicht der Ostsee mit ihrem breiten Öffentlichkeit zur Popularisierung des Wassereinzugsgebiet auf einer ovalen Projek- Landschafts- und Meeresschutzes bei. Dieses tionsfläche von 2,20 x 1,60 Metern. Besucher Engagement wurde mit dem International Envi- interessieren sich heute als Anwohner oder Tou- ronmental Award 2012 der schwedischen Stadt risten auch für die Umweltprobleme der Natur- Kalmar ausgezeichnet. und Kulturlandschaft, in der sie sich aufhalten. Nutzungskonflikte und mögliche Lösungsan- sätze vermittelt der Medientisch anhand von LITERATUR zehn aktuellen Themenfeldern, die von jeweils vier Besuchern gleichzeitig erschlossen werden Job, H. & F. Kraus (2014): Regionalökonomi- können. sche Effekte der Nationalparke Jasmund und Vorpommersche Boddenlandschaft, Im anschließenden Aquarien-Rundgang zeigen Endbericht vorläufige Fassung.125 S. Schaubecken Beispiele der Unterwasserwelt in der Ostsee, wie die Kreideklippen des Jasmund.

160 25 Jahre Umweltbildung im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft – Erlebnisse entscheiden Ulrike Rentz und Chris Bokemeyer-Siems

Dafür zu sorgen, dass Menschen Natur erleben Ziel unserer Umweltbildungsveranstaltungen ist können, ist eine der Kernaufgaben in National­ es, die Teilnehmer damit anzustecken, gerne im parken seit deren erster Gründung 1872 im Yel- Einklang mit der Natur handeln zu wollen. Was lowstone-Gebiet. Sie steht konträr zu der eben- Einklang ist, kann man in ungestörter Natur (also so grundsätzlichen Zielstellung, sich als Mensch in Nationalparks) besonders gut lernen. Unsere aus den natürlichen Prozessen zurückzuziehen, Umweltbildungsarbeit basiert auf den drei Säu- wie es für die deutschen Nationalparke später len originale Begegnung, Dialog und persönli- von Dr. Hans Bibelriether (1992) zum Begriff „Na- che Haltung. tur Natur sein lassen“ zusammengefasst wurde.

Beide sich widersprechenden, aber gleichwohl gut begründeten Zielsetzungen wurden seitdem als Kernsätze in den juristischen Grundlagen- dokumenten weltweit formuliert, wohl wissend, dass das eine ohne das andere nicht durchführ- bar ist.

DER NATIONALPARKGEDANKE

Gegenstand der Umweltbildung im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft ist es stets, das Schutzgebiet und die Nationalparkphiloso- phie zu vermitteln. Die zahlreichen Lebensraum- typen bieten eine Vielfalt an Ausgangsthemen für das Kennenlernen einer sich nach eigenen Ge- setzen, frei von menschlichen Einflüssen entwi- ckelnden Natur. Hier kann Wildnis erkundet wer- den: Gerüche und Geräusche des Boddens, Licht und Schatten im Waldmosaik, Urwaldzwerge und -riesen, das Vergehen und das Daraus-Werden, das Angespül als Pflanzenrest und Nährboden gleichzeitig. Der Lebenskreislauf wird in diesem Nationalpark deutlich in einem komplexen Netz paralleler Sukzessionsabläufe.

Aktivitäten, die darauf abzielen, die Natur zu un- terstützen, zu pflegen und ihr auf die Sprünge zu helfen, wie z. B. Nistkästen, Nisthilfen aller Art oder gar Futterstellen, haben in diesem sehr gro- ßen Naturschutzgebiet, in dem sich die Natur ent- wickeln soll, wie sie das von Natur aus tun würde, nichts zu suchen. Auch alle Aktivitäten, die die Na- tur nur als Kulisse brauchen, sind zwar eventuell genehmigungsfähig, aber keine Umweltbildung. Abb. 1: Schwarzspecht am Trommelbaum.

161 Abb. 2: Morgenröte.

Abb. 3: Windzerzauste Wolken und Menschen am Darßer Ort.

ORIGINALE BEGEGNUNG: »» dass ein junger Baummarder zum Zeitpunkt NATURERLEBEN der Morgenröte (Abb. 2) nach nächtlichem Jagdgang nur noch nach Hause will, mich Die ersten drei gezeigten Abbildungen stammen als menschliche Gefahr nicht mehr erkennt aus dem Nationalpark Vorpommersche Bod- und leise am Wanderschuh schnuppert, be- denlandschaft. Sie zu betrachten ist sicher für vor er sich besinnt und den nächsten Baum nahezu jeden ein ästhetischer Genuss. Zu die- erklimmt oder sen Bildern kann man eine Geschichte erzählt »» dass der Wind, der den Darßer Ort formt, bekommen – oder sie selbst erleben: mir die Haare zaust (Abb. 3) und den Atem »» dass sich an einem kalten, klaren Wintermor- wegreißt. gen balzende Schwarzspechte (Abb. 1) nicht So verbinde ich mich mit dem Gegenstand, über beim Trommeln stören lassen, den ich lerne.

162 Beispiele der Entfremdung von der Natur finden sich viele, auch im Schutzgebiet: Darßer Morgenerlebnis im Frühling 2014: Mutter geht eiligen Schrittes mit Kind Richtung Kindergar- ten – entlang einer Hecke. Kind: „Mama, ich habe gerade eine Raupe gesehen!“ Mutter, mit Kind an der Hand weitergehend: „Das macht nichts“ (vgl. Abb. 4 und 5).

Abb. 4: Cartoon „Medienbevorzugung“ Abb. 5: Cartoon „Tüdelüt“ (Zeichnung: Gregor Siems). (Zeichnung: BeCK).

Kleine Kinder sind sehr begabte Lerner. Die Er- der Natur – möglich. Willfried Janßen fasste wachsenen wissen um die gesundheitsfördern- 1997 zusammen: „Naturerleben ist das subjek- de Wirkung eines Spazierganges, sie planen tive Innewerden von Naturphänomenen, die als auch geduldig die tägliche Tour mit dem Kinder- bedeutsam empfunden werden.“ wagen ein, wenn möglich „an die frische (Wald-) Luft“. Kaum ist das Kind aber etwas älter, fällt Ein Naturerleben muss nicht angeleitet werden, es dem erwachsenen Begleiter deutlich schwe- man kann Natur auch gut bei einem Waldspa- rer, an jedem aus subjektiver Kindersicht inter- ziergang erleben. Wichtig ist, dass es über- essanten Ort mit stehen zu bleiben und eventu- haupt stattfindet. So schreibt der Biologe und ellen Entdeckungen Raum zu geben. Naturphilosoph Andreas Weber (2010): „Die Gegenwart der Natur, das Spiel in ihr sind Dabei kennt wohl jeder an der Natur Interessier- relevant für die Befriedigung der emotionalen, te die Momente wahren Glücks, wenn man in aber auch der kognitiven Bedürfnisse heran- einem an Schönheit und Besonderheit reichen wachsender Menschen. […] Ohne die Nähe zu Gebiet wie dem Nationalpark unterwegs ist. Man Pflanzen und Tieren verkümmert ihre emotionale geht mit einer grundsätzlich offenen Stimmung Bindungsfähigkeit, schwinden Empathie, Fanta- und wird dann tatsächlich von einer Begegnung sie, Kreativität und Lebensfreude.“ Naturerle- überrascht. Die Zeit scheint ausgekoppelt – ein ben setzt jedoch Wahrnehmungsfähigkeit sowie glücklicher Moment der Teilhabe. Solche Über- Offenheit dafür voraus. Gerade weil Menschen raschungen sind insbesondere im Freiland – in der heutigen Zeit nur noch wenige Erfahrungen

163 in der Natur machen, bekommen die National- dern wird keine Mühe, aber auch keine Span- parke und ihr außerschulischer Bildungsauf- nung und Freude verkürzt.“ trag – festgelegt im Bundesnaturschutzgesetz Dabei kommt dem angemessenen, angeneh- – eine tragende Rolle. Beziehungen zur Natur men und naturgemäßen Einsatz der eigenen entwickeln sich nicht mehr nebenbei und au- Sinne große Bedeutung zu. Sinnesleistungen­ tomatisch. Angeleitetes Naturerleben, das zu lassen sich mit einer dafür geöffneten Haltung Verständnis weitergeführt wird und schließlich gerade im Nationalpark gut erleben. In diesem die innere Haltung beeinflussen kann, ist daher vielschichtigen Gebiet macht es Freude, sich notwendig. auf die Vielfalt der eigenen Sinne zu konzentrie- ren. Allerdings ist die „Schärfung der Wahrneh- Katalysatorfunktion mung“, der „Vorstellungskraft der Sinne“, eine des Umweltbildners „fundamentale Kulturleistung und muss wie Le- In der Chemie bezeichnet der Begriff „Kataly- sen, Schreiben und Arithmetik erlernt werden“ sator“ einen Stoff, der die Aktivierungsenergie (nach Jon Young, amerikanischer Wildnispäda- einer chemischen Reaktion herabsetzt. So kann goge, zitiert nach A. Weber, 2010). Gerade die- diese leichter starten. Es wird ein oder es wer- se mit intensiven Sinneseindrücken verknüpften den meist mehrere chemische Ausgangsstoffe Lerninhalte bleiben nach Vester (2014) lange in in andere Verbindungen umgewandelt. Dabei Erinnerung. können sich die Eigenschaften der Produkte im Vergleich zu jenen der Ausgangsstoffe stark än- Warum im Nationalpark? dern. Im besten Falle ist der Umweltbildner ein „Alle methodische Kunst liegt darin beschlossen, solcher Katalysator. Er erleichtert den teilneh- tote Sachverhalte in lebendige Handlungen rück- menden Nationalparkgästen, persönliche Ver- zuverwandeln, aus denen sie entsprungen sind: bindungen zum Nationalpark und seinen The- Gegenstände in Erfindungen und Entdeckungen, men zu erkennen oder einzugehen. Werke in Schöpfungen, Pläne in Sorgen, Verträge in Beschlüsse, Lösungen in Aufgaben, Phänome- Eine gute Veranstaltung lebt daher nach unse- ne in Urphänomene“ (Roth, 1957). rem Verständnis sowohl vom Wissen des Um- weltpädagogen um die Art der Vermittlung als Ein Nationalpark beherbergt in seiner Größe auch von seinem ökologischen Wissen. Gleich- die Urphänomene ganzer Ökosysteme. Das zeitig hat er eine sehr gute Kenntnis des Gebiets ist gleichzeitig sein Alleinstellungsmerkmal als im Jahreslauf und einen Erfahrungsschatz über Lernort der Nation. Uns als Umweltpädagogen Plätze, die Potenzial für Entdeckungen haben. im Nationalpark interessieren die Ursprünglich- Bei der Kunst der Vermittlung kommt außerdem keit und die Komplexität von natürlichen Zusam- insbesondere die innere Haltung zu Teilnehmern menhängen. Alles ist miteinander verwoben. und Inhalten zur Wirkung. So kann der Umwelt- pädagoge als Katalysator, Mentor und empathi- Der Nationalpark Vorpommersche Boddenland- scher Mensch Lernvorgänge unterstützen. schaft hat als Naturraum immenses Potenzial. Dafür gibt es eine geologische Ursache: die Reiche Begegnungen rasante Umlagerung von Sand und Boden ent- Vorrang vor allen anderen Möglichkeiten der lang der Küste. Sie ist Grundlage für eine Fülle Vermittlung hat für uns als Umweltbildner im von weiteren natürlichen Vorgängen. Durch im- Nationalpark also die „originale Begegnung“ mer wieder neu vorgelagertes Land gibt es ein (Roth, 1957) mit dem Phänomen in seinem Da- einzigartiges Erlebnis in unserem Nationalpark: sein, weder nachvollzogen noch aufbereitet. Man kann die eigentlich in Jahrhunderten ablau- fende Veränderung durch Sukzession entlang „Das erste Beginnen jeder Methodik muss […] der jeweils älteren, inzwischen nachgelagerten sein, das originale Kind, wie es von sich aus in Bereiche (Strandwälle und Strandseen) selbst die Welt hineinlebt, mit dem originalen Gegen- räumlich ablaufen. Man beginnt zum Beispiel stand, wie er seinem eigentlichen Wesen nach am Darßer Ort, wo die ersten landerobernden ist, so in Verbindung zu bringen, dass das Kind Spül­saumgesellschaften die Landbildung unter- fragt, weil ihm der Gegenstand Fragen stellt, stützen und verlässt hunderte Entwicklungsjah- und der Gegenstand Fragen aufgibt, weil er eine re und sechs Kilometer später am Altdarß die Antwort für das Kind hat.“ (Roth, 1957) Die in- Reffe- und Riegenlandschaft mit ihren jeweili- nere Haltung des Umweltpädagogen zum Na- gen Klimaxgesellschaften. Das ständig im Wan- tionalparkbesucher muss dies widerspiegeln. del begriffene Mosaik am Meer bietet auf Schritt Dann trifft auch das zu, was Friedrich Copei und Tritt eine Vielfalt an Arten, die anderswo auf (1960) in folgendem Zitat ausdrückt: „Den Kin- der Roten Liste stehen.

164 DIALOG dem bei Vielen die Merkfähigkeit für neue Inhalte und Eindrücke - und damit womöglich die Chan- „…im Miteinander-Sprechen hindurchgehen ce auf eine Haltungsänderung. zum Sinn“ – das ist eine Möglichkeit, den Begriff Dialog zu verstehen („dia“ (griech.) = hindurch, „logos“ (griech.) = Geist; Thiel, 2008). Die Um- ACHTUNG VOR ALLEM LEBEN – weltbildung im Nationalpark Vorpommersche DIE EIGENE HALTUNG Boddenlandschaft ist auf das Mittel des Dialogs ausgerichtet. Die Angebote zielen auf eine in- ALS UMWELTBILDNER tensive Auseinandersetzung der einzelnen Teil- nehmer mit der Natur. Nur im Dialog können wir Über dem eigenen Erlebnis darf man als Teilneh- erfahren, wo der Teilnehmer steht. Lernen über mer wie als Führender nicht aus den Augen ver- den Nationalpark kann dann stattfinden, wenn lieren, dass man sich nur als temporärer Gast im die Teilnehmer dafür offen sind. Nach einem Na- Gebiet der Natur aufhält. Es geht dabei um die turerlebnis kann im Dialog Natur beschrieben Konsequenz aus der Tatsache, dass in einem und erklärt werden. So kann ein Teilnehmer Ver- Nationalpark zwei gleichwertige Zielstellungen ständnis erlangen, damit beginnen, sich zu dem zueinander eigentlich im Widerspruch stehen (Natur erleben vs. Natur Natur sein lassen).

Für die Umweltbildner heißt das, dass es ihre Aufgabe ist, jederzeit das Schutzanliegen zu be- achten und authentisch zu vermitteln. Es heiligt nicht der Zweck die Mittel (Beispiel Pflanzen- arten zeigen: nicht durch Abpflücken und He- rumgeben, sondern durch Suchen und darum herum Stellen). Unsere Veranstaltungen finden mit der unbedingten Ausrichtung darauf statt, dass Lebewesen nicht zu Schaden kommen. Sie verfolgen das Ziel, sich so in der Natur zu bewegen, dass die Lebewesen die Anwesenheit von Menschen nicht als störend empfinden. Die Natur steht zu Bildungszwecken nicht zur Abb. 6: Die originale Begegnung bildet den Kern, das sub- Verfügung. Es ist erklärtes Ziel, dieses Nicht-Zur- jektive Moment auf dem Weg zu verantwortungsbewusstem Verfügung-Stehen zum Lerngegenstand zu ma- Handeln (Janßen, 1988). chen. Voraussetzung für einen Dialog ist das ech- te Interesse des Umweltbildners am Teilnehmer.

Inhalt zu positionieren und eventuell in seiner Jemandem – einem Erwachsenen gleicherma- Lebenswirklichkeit auch Konsequenzen daraus ßen wie einem Kind – etwas nahe zu bringen, ziehen (Abb. 6 nach Janßen). „Es [Anm.: das Ler- kann unserer Erfahrung nach dann gut gelingen, nen] ist immer das selbststeuernde Resultat des wenn man gleichzeitig offen ist für das, was die Interaktionsprozesses eines aktiven Subjekts mit Teilnehmer einem deutlich machen. Das muss seiner Umwelt, in dem Bestreben, einen viablen, nicht unbedingt heißen, dass man hinterher d.h. lebbaren und damit individuell sinnvollen Le- mehr weiß als vorher, aber zum Beispiel, dass bensentwurf zu entwickeln“ (Overmann, 2003). man eine Erfahrung teilt oder die eigene Er- kenntnis oder Liebe durch sie gewachsen ist. Zum Beispiel sind Rallyes zwar eine beliebte Me- thode, um eine ganze Gruppe zu aktivieren, nut- Wie die Themen im Nationalpark sehr vielfältig zen aber nicht das Mittel des Dialogs und sind sind, so ist auch die Art der Aufnahme solcher durch die Ausrichtung auf Schnelligkeit auch nur Fakten auf vielfältigen Wegen möglich. Zudem bedingt geeignet, eine emotionale Verbindung können wir bei einer Umweltbildungsveranstal- zur Natur zu schaffen. In Abgrenzung zur Öffent- tung nicht alles lenken, was passieren wird. In lichkeitsarbeit steht bei Veranstaltungen der Um- einem Nationalpark sind überraschende Na- weltbildung der Dialog im Vordergrund. Voraus- turbegegnungen möglich. Damit geht man als setzung für einen effektiven Dialog ist es, dass Veranstaltender trotz seiner Erfahrung mit der- die Arbeit mit kleinen Gruppen stattfindet. Das ist selben inneren Haltung in den Nationalpark wie auch für die Teilnehmenden eine Voraussetzung, derjenige, der zum ersten Mal hineingeht – wie selbst tätig zu werden. Das eigene Tun erhöht zu- das kleine Kind mit offenen Augen (Abb. 7).

165 daher ab 2005 zur Teilnahme an dem von EU- ROPARC Federation initiierten und später von Phänomen EUROPARC Deutschland übernommenen AG- Programm der „Junior Ranger“.

Inzwischen erwachsen aus diesen soliden Be- ziehungen Schülerpraktika, FÖJ-Bewerbungen sowie Studentenpraktika. Chronologie vor 1996 Die ersten „Katalysatoren“: Ab Sommer 1990, also noch vor der Gründung des Nationalparks, wurde die erste Praktikantin für die Umwelt im Aufbaustab der Nationalparkverwaltung tätig Leitidee und viele weitere folgten nach. Die Aufbruchs- stimmung der Nachwendejahre motivierte die frühen Jahrgänge, die noch ohne Sachgebiets- leitung tätig werden mussten. Sie alle kamen wegen der reichhaltigen Natur und entwickelten eine starke und prägende Beziehung zu dieser Interpretin Besucherin besonderen Landschaft. Es sorgte so mancher Abb. 7: Beziehung zwischen Phänomen und Besucher: die Mitarbeiter bis hin zum damaligen National- originale Begegnung. Besucher und Interpret stehen im Dia- parkleiter für die emotionale Verbindung, sei es log! Aufgabe des Interpreten ist es, das Phänomen authen- durch intensive Auseinandersetzung oder auch tisch zu vermitteln (http://www.interp.de/). tatkräftig mit einer selbstgeruderten Fahrt zur Beobachtung der Küstenvögel. Bis heute haben 110 (!) Praktikanten das von der Commerzbank RÜCKBLICK AUF DIE ERSTEN 25 AG gesponsorte und bei uns auf Umweltbildung JAHRE: AUSGEWÄHLTE AKTIVITÄTEN ausgerichtete „Praktikum für die Umwelt“ bzw. „Umweltpraktikum“ absolviert und insgesamt UNSERER UMWELTBILDUNG 518 freiwillige Monate im Nationalpark verbracht.

Eine der Haupt-Zielgruppen der Umweltbildung Die vielfältigen Impulse der frühen Jahre haben im Nationalparkamt Vorpommern waren von An- Auswirkungen bis heute. Die Umweltbildung lief fang an und sind bis heute junge Menschen. Sie von 1990 bis 1995 schwerpunktmäßig über die haben in Nationalparks die Chance, eine ihnen Praktikanten für die Umwelt, da die Personal- oftmals nicht mehr bekannte Welt kennen zu ausstattung für den Bereich der Bildung auch lernen und sich für sie zu begeistern. Das bie- in den Anfangsjahren – man bedenke die Größe tet ihnen, die kurz vor dem Eintritt in politisches und geografisch schwierige Struktur des Ge- Urteilen und gesellschaftliches Engagement biets – sehr knapp war. Auch die Praktikanten stehen, die Grundlage für Entscheidungen über begannen schon, die besondere Möglichkeit den eigenen Lebensstil. des direkten Naturerlebens im Nationalpark zu nutzen. Bereits die Praktikantin des Jahres Langfristig, also über die 25 Jahre betrachtet, 1990 knüpfte Kontakte zum damaligen Borner führte die Berücksichtigung dieser Zielgruppe Kindergarten. Neben ersten Aktivitäten mit ein- zu einem intensiven Kontakt zu den benachbar- heimischen Schulklassen veranstalteten sie: ten Schulen: Die Klassen nutzen unser Angebot regelmäßig einmal pro Schuljahr. Es hat nahezu 1992: Eine Sommerferien-Radtour durch den jedes Kind der Halbinsel Fischland Darß Zingst Nationalpark. Im Rahmen einer einwöchigen jedes Jahr in einem Projekttag den Nationalpark Radtour faszinierte die Teilnehmer die Vielfalt besucht. der Nationalpark-Lebensräume und -lebewe- sen, vor allem der Nachttiere. Wir machen die Erfahrung, dass sich die Kinder gern daran erinnern. 1993: Dieser Ausschnitt der Radtour wurde im Folgejahr als eigene Veranstaltung aufgegrif- Noch intensiver ist die Bindung zu den freiwillig fen und wird bis heute angeboten: eine Däm- an Arbeitsgemeinschaften teilnehmenden Kin- merwald-Führung mit dem „Übergang von der dern und Jugendlichen. Wir entschlossen uns Tag- in die Nachtwelt“ als Thema. Dabei können

166 in besonderer Weise eigene Erlebnisse neue Er- im Nationalpark statt, da dies der Nationalpark- kenntnisse schaffen. verordnung widersprechen würde, wir authen- Schon in den ersten Jahren wurden Arbeitsgrup- tisch bleiben wollen und daher auch für ausge- pen außerhalb des Schulunterrichts für die be- wählte Gruppen diese Regel nicht verlassen. sonders „Angesteckten“ gegründet. Allerdings waren sie abhängig von den jeweiligen Praktikan- Chronologie ab 1996 ten und wurden nicht kontinuierlich fortgesetzt. Seit Sommer 1996 besteht im Nationalparkamt das Sachgebiet Umweltbildung. Dies ermög- 1994: Ferien-Tage für einheimische Kinder im lichte eine neue Kontinuität der Arbeit. Die oben Nationalpark Vorpommersche Boddenland- beschriebene Regelmäßigkeit des Schulklas- schaft: Besonders interessierte Kinder bekamen senbesuchs wurde nun effektiver mit Hilfe einer schon in den Anfangsjahren die Möglichkeit, in neuen Struktur. Im Nationalpark Vorpommer- den Ferien ganze Tage im Nationalpark zu ver- sche Boddenlandschaft gibt es seit 1997 ein bringen (Abb. 8). nach unserem Konzept gestaltetes Jahrgangs- Fortgesetzt wurde diese Idee ab 2002 mit einer stufenprogramm, das auf verschiedene Inhalte noch intensiveren Struktur des Erlebens: Insge- des Sachkunde- und Biologie-Lehrplans abge- samt gab es im Nationalpark Vorpommersche stimmt ist. Boddenlandschaft bereits neun Wildniscamps. Mit der Einführung des Sachgebiets „Umwelt- Die Übernachtungen fanden dabei jeweils nicht bildung“ wurde auch die Organisation der jähr- lichen Schulungen der Ranger in dieses Sach- gebiet einbezogen. Wir konnten dabei die drei Säulen der Umweltbildung als Rüstzeug auch für die naturkundlichen Führungen anbieten.

In den Jahren 1997 bis 1999 wurde das Jahr- gangsstufenprogramm entwickelt. Mit den be- schriebenen Methoden erkunden die Kinder in den vier Grundschulklassen nacheinander vier typische Lebensräume im Nationalpark. Das Kennenlernen des Gebiets (Abb. 9 und 10) mit Sinneserfahrungsspielen sowie die jeweilige ge- bietstypische Lebewelt stehen im Vordergrund.

In der Orientierungsstufe geht es um Zusam- Abb. 8: Originale Begegnung während der Ferienspiele, menhänge und Wechselwirkungen. Die Projekt- 1994. tage haben einen ökologisch forschenden Inhalt

Abb. 9: Kennenlernen des Gebietes zuerst ganz sinnlich – hier am Bodden mit einer Barfußraupe.

167 Abb. 10: Kennenlernen des Gebietes mit dem Augensinn – Erspähen wir jemanden? zum Schwerpunkt. Die Schüler können erfah- ein Hauptteil der Arbeit des Nationalparkamtes. ren, dass Natur ohne Eingriffe funktioniert. Wenn wir neben der oben beschriebenen Aus- richtung der Umweltbildung auf originale Begeg- Für die 7. bis 9. Klassen schließlich steht die Aus- nung und Dialog seit 1996 auch beim jährlichen einandersetzung mit sich selbst und der eigenen „Nationalparktag“, einer Großveranstaltung der Beziehung zur Natur im Zentrum. Ab diesem Al- Öffentlichkeitsarbeit auf dem Festplatz, mitwir- ter setzen wir zudem auf Wildnisbildung im en- ken, fehlte und fehlt naturgemäß die originale geren Sinne, das heißt, die Jugendlichen reflek- Begegnung. tieren die Wildniserfahrungen (Abb. 11), die sie machen und gemacht haben. Es geht um Freude Dann wird der Unterschied der Umweltbildung an der Natur, die das Leben bereichern kann und zu den weiteren Kommunikationsfeldern des um den eigenen Lebensstil und Sinnfindung. Nationalparkamtes deutlich (Abb. 12). Öffent- Das Bildungsprogramm für die Schulklassen lichkeitsarbeit ist zuständig für die Information der Region wird mit den Lehrern jährlich auf Ver- vieler und nutzt dafür andere Wege, z. B. Medi- besserungsbedarf überprüft. Es ist nach wie vor en. Die Richtung der Kommunikation ist über- wiegend vom Amt in Richtung Öffentlichkeit; ihr Ziel ist es, viele zu erreichen. Genauso ge- schieht die Informationsarbeit im Nationalpark über Medien wie z. B. Infotafeln (nach dem Rah- menkonzept Kommunikation in Großschutzge- bieten WWF, 1993). Es war und ist jedoch bei solchen Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit stets unser Anspruch, we- nigstens den anderen Grundsätzen unserer Me- thodik, also dem Dialog mit den Umweltpädago- gen und dem Selbst-Aktiv-werden zu folgen. In diesem Sinne gab und gibt es also bis heute die Mitwirkung beim Nationalparktag und drei weitere explizite Exkurse in das Nachbarsachgebiet „Öf- fentlichkeitsarbeit“: die Ausstellung „Mehr als nur Abb. 11: Wildniserfahrung heißt im Nationalpark natürliche Meer“, das Fotoprojekt „Jeder Tag ein Leben“ und Vorgänge für sich entdecken. das „Entdeckerheft“ (siehe jeweils in der Chronik).

168 Abb. 12: Besonderheiten und Überschneidungen der Arbeitsbereiche der Kommunikation in einem Schutzgebiet: Ö = Öf- fentlichkeitsarbeit, I = Informationsarbeit B = Bildungsarbeit (nach Ludwig 1995, veröffentlicht im Rahmenkonzept für Um- weltbildung in Großschutzgebieten 1996)

werden. Dabei war es uns ein Anliegen, Tat und Inhalt sinnvoll zu koppeln (z. B. Dominokette zum Aufbauen, jeder Stein mit zwei aufeinan- derfolgenden Arten der Dünensukzessionsreihe; Abb. 14).

Im Jahr 2000 initiierten wir das Fotoprojekt „Je- der Tag ein Leben“: Im Nationalpark misst die Natur die Zeit in ihren Maßen. Das machten wir im Jahr 2000 zum zehnjährigen Bestehen des Nationalparks Vorpommersche Boddenland- schaft zum Thema. Zeit als relativer Begriff wur- Abb. 13: Bodenfilter im Umweltbildungszelt, 1998. de deutlich im täglichen Fotografieren eines Na- turmotivs: einer Flechte (die sich von Tag zu Tag doch mehr veränderte, als wir im Vorfeld erwartet Daher haben wir im Team mit Partnern und Praktikanten, z. B. beim Nationalparktag, eine Serie von Aktionszelten mit bestimmten Natio- nalparkthemen kreiert, z. B. einen Einstieg in die Mikrowelt der Bodentiere (Abb. 13), die Unter- wasserwelt der Ostsee, ein Zugvogelzelt, eines zum Thema „Zeit“ (Unser erstes Zelt 1996 mit einem nachempfundenen Barfußgang von der Ostsee- zur Boddenküste zog dem damaligen Landrat im wahrsten Sinne die Schuhe aus).

1997 gelang außerdem die Konzeption und Um- setzung der „Mehr als nur Meer – Ausstellung zum Anfassen für Erwachsene und Kinder“ in der Alten Schule in Wieck. Auf etwa 85 Qua- dratmetern Ausstellungfläche konnte man an Abb. 14: Dünensukzession als Dominokette in der „Mehr als versteckter und nicht so versteckter Stelle tätig nur Meer-Ausstellung“ in der Alten Schule Wieck.

169 gemeinsam mit den insgesamt etwa 80 Partnern bewerkstelligt wurden. Ein Großprojekt, das aus dem Umweltbildungsstammtisch erwuchs, war z. B. 2009 die Freiluftakademie parks100.

Im Jubiläumsjahr 2004 des von der Commerz- bank bis heute gesponsorten „Praktikums für die Umwelt“ (jetzt „Umweltpraktikum“) setzten wir, angeregt durch das wunderbare Vorbild von Andy Goldsworthy, das Thema „Natur Natur sein lassen“ mit einem Natur-Kunst-Projekt um. Es entstanden fragil gelegte und der Natur anheim Abb. 15: Wenig später führten die Junior-Ranger der Freien gegebene Werke vergänglichen Charakters. Schule Prerow, die Darßer Dachse mit ihrer Betreuerin Heike Lawrenz eine Familienführung durch. 2005 erfolgte die Gründung der ersten Junior Ranger-Gruppe mit diesem Namen (Abb. 15). Die ersten Junior Ranger hießen vor mehr als 20 Jahren noch „ganz normal“ Arbeitsgruppe und waren der Borner Grundschule zugeordnet. Mittlerweile existieren im Nationalpark Vorpom- mersche Boddenlandschaft vier Junior Ranger- Gruppen: die Darßer Dachse, die Hiddenseer Hechte, die Zingster Zwergmäuse und die See- adler. Drei davon sind einer Schule zugeordnet, die Seeadler treffen sich überregional jedes Mal in einem anderen Teil des Nationalparks. Wir koordinieren die Gruppen z. B. bei den Fahrten zum bundesweiten oder internationalen Treffen der Junior Ranger und betreuen die Seeadler. Dabei erfahren wir im Dialog, welche Themen Abb. 16: Junior Ranger der Seeadler halten selbständig eine die Kinder gerade besonders interessieren. Familienführung. Einmal im Monat setzen wir die Dinge dann ge- meinsam um. Daher beschäftigen sich die See- adler ebenfalls mit der Gestaltung einer Famili- hatten), einer Rose und eines Baumes (die dem enführung (Abb. 16), aber auch mit Kartierungen menschlichen Zeitmaß nahekommen), eines sehr von Wasserschäden des Regensommers 2011, bewegten Küstenabschnitts im Abtragsbereich mit Stop-Motion-Filmen zu Does and Don’ts der Sundischen Wiese (rasante Veränderung von im Nationalpark, mit Blogs und Spurenlesen, Stunde zu Stunde) sowie einer Bodden-Schilf- mit dem Schreiben von Songs zum National- insel. Die Fotoaktion nahmen Schülerinnen und park und dem Junior Ranger-Dasein, mit einer Schüler der 13. Klasse zum Anlass, Kunstwerke ganztägigen kompletten Weststrandwanderung, zum Thema „Zeit“ zu kreieren. Die Aktion mün- dem Kranich-Verabschieden und dem Betreuen dete in eine Ausstellung, mit der wir z. B. das der Besucherplattformen im Herbst. Schweriner Finanzministerium und die Expo- 2000-Weltausstellung in Hannover bereisten. Seit dem Jahr 2006 ist die Umweltbildung als Kernaufgabe des Nationalparkamtes bewertet 2002 gründeten wir den Umweltbildungsstamm- und kooperiert inhaltlich mit den Kollegen im tisch, ein Austauschforum für die Akteure der Um- Nationalpark Jasmund. Wir bekamen außerdem weltbildung aus der Region zwischen Ribnitz und eine Mitarbeiterstelle dazu. So konnten Spezial­ Stralsund. Der Bedarf des Austauschs war schon führungen für eine weitere große Zielgruppe, früh vorhanden, zumal das Nationalparkamt in Ab- nämlich für Erwachsene, konzipiert und ange- ständen auch Schulungen für Wanderleiter selbst boten werden. Sie haben einen umfassenderen durchgeführt bzw. bei anderen Trägern mitgestal- Ansatz als pure naturkundliche Exkursionen und tet hat. So war die logische Folge ein organisiertes setzen z. B. die naturkundlichen Gegebenhei- In-Kontakt-bleiben. Wir von der Umweltbildung ten sowie Informationen zu Märchen oder zur luden seitdem zu 34 Stammtischen ein, bei de- menschlichen Kulturgeschichte in Beziehung. nen nicht nur der Austausch gepflegt wurde, son- Zudem wird die Umweltbildung – im Jahr 2006 dern auch verschiedene Umweltbildungsprojekte erstmalig und seit 2009 jedes Jahr – von ein bis

170 zwei Absolventen des Freiwilligen Ökologischen 2014: Die Altersspanne wurde bei drei der vier Jahres unterstützt (Einsatzstellen: Born und Junior Ranger-Gruppen so groß, dass wir mit Hiddensee). fünf Jugendlichen unsere erste „Junior Ranger- plus-Gruppe“ gründeten! Ihr erstes Projekt ist Getreu unserem Prinzip der originalen Begeg- die Erfassung der Geo-Caches im Nationalpark nung haben wir seit 2009 gemeinsam mit den mit einer Bewertung aus Naturschutzsicht so- im Umweltbildungsstammtisch zusammenkom- wie mit einer eventuellen Kontaktaufnahme zu menden Akteuren der Umweltbildung die „Frei- den Reviewern (den fachlichen Prüfern ver- luftakademie parks100“ initiiert. Anlass war die schiedener Online-Kataloge), um die Positionen Jubiläumsfeier von „100 Jahre Nationalparke ungünstig liegender Caches zu revidieren. in Europa“. Während der Freiluftakademie ging es im Mai vier intensive Tage lang von Sonnen- auf bis -untergang um Umweltbildung und die AUSBLICK Vermittlung. Sie fand statt an den bedeutends- ten und schönsten Orten im Nationalpark, auf Synergien sind notwendig. Sie zeigen sich auf dem Wasser und an Land. Die Einladung rich- der Basis unserer bisherigen Netzwerkarbeit tete sich an Expertenkollegen einerseits und an immer wieder. Wir schätzen die Zusammenar- naturinteressierte Touristen andererseits. 318 beit mit den Akteuren der Umweltbildung in der Besucher nutzten in kleineren Gruppen 35 ver- Nationalparkregion genauso wie die mit ehema- schiedene Angebote der Vermittlung, das heißt, ligen Schülern, die sich als Praktikanten bewer- es gerieten durchschnittlich acht Teilnehmer pro ben oder ehemaligen Praktikanten, die sich in Veranstaltung in regen Austausch. Das Prinzip der wissenschaftlichen Begleitung des Schutz- der kleinen Gruppe ging auf. managements engagieren. Dieses Netz werden wir mit unserer Arbeit erhalten und vergrößern. Im Jahr 2012 entwickelten wir für den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft ein Heft zum Vom Erleben zum verantwortungsbewussten Selbstentdecken. Das von EUROPARC Deutsch- Handeln (siehe Abb. 6) – nur kontinuierlicher land e. V. für alle Nationalen Naturlandschaften Kontakt zu den Zielgruppen ermöglicht den erstellte Grundkonzept des „Entdeckerhefts“ ist Ablauf dieser Kette und damit die Umsetzung ausgerichtet auf 8- bis 13-Jährige und ihre Famili- des Bildungsziels. Den Grundstein dafür in der en (Abb. 17). Sie bekommen viele Detailinformati- Kindheit und Jugend zu legen, wird immer der onen zum Schutzgebiet, können dabei Naturland- Schwerpunkt in der Umweltbildungsarbeit des schafts-Rätsel lösen und werden angeregt, den Nationalparks bleiben. Nationalpark – oder die jeweils anderen Schutz- gebiete – auch in Wirklichkeit zu erkunden. Ein Aber auch für die Erwachsenen, Gäste und Nut- Dialog ist unumgänglich, um den Entdeckercode zer des Nationalparks sowie interne und externe zu knacken, denn nur ein Mensch kann für gelös- Entscheidungsträger, gilt: die originale Begeg- te Rätsel den – in unserem Fall – Fischotterauf- nung ist die Basis. Eine authentische und pro- näher ausgeben. Dabei entsteht die Gelegenheit, fessionelle Anleitung des Naturerlebens mit ih- Weiteres nachzufragen. Der Hauptartikel unseres ren Effekten auf die emotionalen Erinnerungen, Heftes befasst sich mit der Küstendynamik, also der Dialog darüber und die Auffrischung des der rasanten geologischen Entwicklung des Nati- Bewusstseins für natürliche Vorgänge sowie onalparks. Interessierte finden die flächenreichs- die Konsequenzen unserer Handlungen, sind ten Lebensgemeinschaften ebenso wie Erläute- Grundlage für das eigene verantwortungsbe- rungen zu seltsamen Funden im Heft. wusste Handeln. Schulungen und die Intensi- vierung der Kontakte zu den Nutzern des Nati- 2013: Die Zahl unserer Junior Ranger wuchs über onalparks werden also konsequenterweise auf die Jahre stark an. Beim bundesweiten Junior Naturerleben basieren, das idealerweise profes- Ranger-Treffen aber, das einen Höhepunkt des sionell angeleitet wird. Junior Ranger-Daseins darstellt, sank in den letz- ten Jahren kontinuierlich die erlaubte Höchstteil- Die Projekttage mit Schulen werden weiterhin nehmerzahl. Also veranstalteten wir mit unseren mit den Lehrern ausgewertet und nach Bedarf auf Insel und Halbinseln verteilten vier Gruppen überarbeitet. Auch neue, der aktuellen Situati- erstmals ein regionales Treffen mit dem Kern- on der Schüler angepasste Projekte sind immer stück einer Darßwald- und Weststranderkun- wieder zu entwickeln. Besonders Bedürftige in dung. Ebenfalls erstmalig vertraten zwei Junior Bezug auf Barrierearmut werden wir gern ver- Ranger aus unserem Schutzgebiet Deutschland stärkt in ihrer Teilhabe an dieser einzigartigen, beim Internationalen Junior Ranger-Treffen. wilden Natur unterstützen.

171 oder im Internetauftritt; geeignete Routen für Geo-Caches). Unabdingbar für die Vielzahl der Aufgaben ist natürlich ausreichendes und gut ausgebildetes Personal in der Verwaltung, wird doch eine der zwei Zielstellungen eines jeden Nationalparks – das Naturerleben – wesentlich durch die Um- weltbildung ermöglicht.

LITERATUR

Bibelriether, H. (1992): Natur Natur sein lassen. In: Prokosch, P. (Hrsg.) (1992): Ungestörte Natur - Was haben wir davon? - Tagungs- ber. 6 Umweltstift. WWF Deutschland, S. 85-104, Husum. Bundesnaturschutzgesetz (2009) : „Bundesna- turschutzgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542), das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 100 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154) geändert worden ist“. Copei, F. (1960): Der fruchtbare Moment im Bil- dungsprozess, Heidelberg Quell und Mey- er, 5. Auflage 1960, S. 105. Cornell, J. (1991): „Mit Freude die Natur erle- Abb. 17: Titelseite Entdeckerheft. ben“, S. 105, Verlag an der Ruhr. Gründungstext Yellowstone Nationalpark: http:// www.law.cornell.edu/uscode/text/16/21 Fortbildungen für Lehrer und Lehrerinnen, na- IUCN – Kriterien: http://www.iucn.org/about/ türlich draußen in der Natur und zu aktuellen work/programmes/gpap_home/gpap_ Nationalparkthemen, sind Grundlage der ge- quality/gpap_pacategories/. meinsamen Arbeit und neuer Beziehungen. Janßen, W. & G. Trommer (1988): „Wald erle- Regionale Treffen der Junior Ranger zur gemein- ben.“ Quelle: Unterricht Biologie, (1988) samen Identifikation werden wegen der zuneh- Heft 137. menden Teilnehmerbegrenzung deutschlandwei- Janßen, W. (1997): o. S.; Zitat nach: Frank Cor- ter Treffen eine bedeutendere Rolle spielen als leis (2000), S. 27. 2009 in „Naturerleben bisher. Im Nationalpark Vorpommersche Bod- und die Kunst der Vermittlung“, Vortrag). denlandschaft wollen wir die regionalen Treffen Overmann, M. (2003): http://www.ph-ludwigs- alle zwei Jahre ausrichten. So können die Junior burg.de/html/2b-frnz-s-01/overmann/ Ranger in ihrer aktiven Zeit viele Bereiche des Na- baf5/5m.htm (19.12.2014). tionalparks erleben. Roth, H. (1957): Originale Begegnung als me- Ein besonderes Potenzial sehen wir in den älte- thodisches Prinzip. In: Pädagogische Psy- ren Junior-Rangern, die eine enge Bindung zu chologie des Lehrens und Lernens. Schro- ihrem Nationalpark entwickelt haben. Sie wach- edel, Hannover (1957), 12. Aufl 1970, S. sen in die Vermittlung des Nationalparks hinein 109-118. und können in eigener Verantwortung die Arbeit Thiel, B. (2008): http://www.dialogisches-ler- der Verwaltung unterstützen: nen.de/index.htm#_ftn1. »» Sie können über eigene Familienführun- Vester, F. (2014): „Denken, Lernen, Vergessen“ gen hinaus die Treffen der jüngeren Junior dtv wissen, 36. Auflage). Ranger mitgestalten und hier vor allem die Weber, A. (2010): http://www.geo.de/GEO/ Regionaltreffen anleiten. natur/oekologie/kinder-raus-in-die-na- »» Sie können das Monitoring im Nationalpark tur-64781.html?p=6. (z. B. Analyse von Hochwasserschäden, Geocachekataster) unterstützen. »» Ergebnisse ihrer Aktivitäten können in die Öffentlichkeitsarbeit übernommen werden (Stop-Motion-Filme beim Nationalparktag

172 Bildung für nachhaltige Entwicklung im Biosphärenreservat Südost-Rügen Stefanie Dobelstein

DAS BIOSPHÄRENRESERVAT net sich ein Weitblick, der über viele Jahrzehnte SÜDOST-RÜGEN auch die Entwicklung des Gebietes geprägt hat. So hat sich die atemberaubende Natur auch Im Südosten der Insel Rügen erstreckt sich eine im Industriezeitalter zu großen Teilen erhalten.“ besondere Landschaft (siehe Umschlagkarte (Biosphärenreservatsamt, 2014). Diese wunder- hinten): „Nirgendwo sonst in Deutschland sind schöne und einmalige Landschaft und Natur in- Land und Meer so innig ineinander verschlungen spirierte und inspiriert nicht nur immer wieder wie im Biosphärenreservat Südost-Rügen, einer Künstler sondern zieht seit mehr als 100 Jahren Landschaft aus zahlreichen Höhenzügen, Land- zahlreiche Gäste in die Region (Abb. 1). zungen, Halbinseln und Küstenvorsprüngen, aus Niederungen und Seen, aus Feldern und Bei aller Schönheit blendet man allzu gern aus, Wiesen, aus Dörfern und Denkmalen der Früh- dass in dieser ländlichen Gegend durchaus zahl- geschichte. Über Land, Meer und Bodden öff- reiche Probleme auf eine Lösung warten. Was

Abb. 1: Romantischer Sonnenuntergang im Biosphärenreservat Südost-Rügen.

173 ist zu tun, um bei steigenden Abwanderungs- Der Mensch steht dabei im Mittelpunkt, als Nut- zahlen der Jugend und fehlenden Bildungs- und zer und Gestalter, Bewahrer und Entwickler. Ausbildungsmöglichkeiten entgegen zu wirken? Auf sein Handeln wird es ankommen, ob die- Wie kann man mitgestalten und bewahren, wenn ser Flecken Erde von nachfolgenden Generati- industrielle Methoden der Landbewirtschaftung onen noch so erlebt werden kann, wie wir ihn die Artenvielfalt massiv bedrohen? Wie dem kennen gelernt haben. Die im Gebiet lebenden Druck der Begehrlichkeiten nach neuen Bau- Menschen dafür zu sensibilisieren und sie kom- gebieten für den Tourismus stand halten? Wie petent für die Lösung der Probleme zu machen, lässt sich Kultur bewahren, wenn traditionelle ist Auftrag der Biosphärenreservatsverwaltung. Handwerke und Landnutzungsformen, die einst Die Voraussetzungen im Großschutzgebiet sind das Landschaftsbild prägten und Artenvielfalt dafür ideal, denn wo sonst kann man Natur und schufen, nicht mehr marktwirtschaftsfähig sind? Landschaft so umfassend und tiefgreifend er- Wie lässt sich die Mobilität der Gäste in umwelt- fahren, studieren und begreifen. gerechte und klimafreundliche „Bahnen“ lenken? Biosphärenreservate sollen darauf Antworten EIN GROSSER AUFTRAG: BILDUNG geben und Lösungen gemeinsam mit den dort FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG lebenden Menschen finden (Abb. 2). „Sie sind eine ganz besondere Schutzkategorie, denn sie Der Bildungsauftrag im Biosphärenreservat un- vereinen in vorzüglicher Weise Natur und Kultur. terscheidet sich von jenem der Nationalparke. Sie sollen traditionelle Wirtschaftsweisen und In Biosphärenreservaten wird zum einen Kultur- Bräuche erhalten, Kulturlandschaften bewah- landschaft erhalten, zum anderen die Natur in ren und den Weg für alte und neue innovative Teilen sich selbst überlassen. Es besteht kein Nutzungen bereiten“ (Biosphärenreservatsamt, Widerspruch zwischen „Natur Natur sein las- 2014). sen“ und dem Ziel, die Menschen durch die

Abb. 2: Pflege der Kulturlandschaft auf dem Reddevitzer Hövt.

174 Begegnung mit der Natur in Beziehung zu ihr Drei wesentliche Elemente prägen die Bildungs- zu setzen. Da die Menschen mit ihrer positiven angebote im Biosphärenreservat Südost-Rü- Schaffenskraft und schöpferischen Tätigkeit im gen: Mittelpunkt der Betrachtung stehen, sind sie Teil der Natur- und Kulturlandschaft und nicht aus Natur erleben – ihr weg zu denken. Die Schaffung eines Verant- hautnah mit allen Sinnen wortungsgefühls gegenüber nachfolgenden Ge- Zunächst werden die Teilnehmer über interak- nerationen und die Entwicklung von Kompeten- tive und sinnliche Erlebnisse mit der Natur in zen zum verantwortungsvollen Umgang mit der Beziehung gesetzt. Ohne positive Erfahrungen Natur und den Ressourcen der Landschaft, dem in der Natur und ohne Beziehung zu dieser en- kulturellen Erbe und den Mitmenschen sind Ziel gagieren sich Menschen nicht für ihren Erhalt. des Bildungsauftrages. Sie empfinden keinen Verlust, sorgen sich nicht, selbst wenn sich ihr natürliches Umfeld konkret Die grundlegenden Elemente einer Bildung für verändert oder bedroht ist. nachhaltige Entwicklung in Biosphärenreservaten lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Im Leitbild des Biosphärenreservates steht nüchtern beschrieben, dass die Bildungsan- Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) leis- gebote durch interaktiv ausgerichtete und die tet einen Beitrag verschiedenen Sinne ansprechende Angebote »» zu einer verantwortlichen Gestaltung des qualitativ ausgebaut werden sollen. Sinnlicher Verhältnisses von Mensch und Natur; ausgedrückt, wollen wir mit unseren Angeboten »» zu mehr Gerechtigkeit; erreichen, dass unsere Teilnehmer folgenden »» zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundla- Prozess durchleben: gen sowie »» zur Bewahrung, Pflege und nachhaltigen Entschleunigen: Runter vom Gaspedal des Le- Entwicklung der Kulturlandschaft. bens. Die Zwänge vergessen. Offen werden für Raum und Zeit und alles was uns darin umgibt. Dabei beantwortet BNE zentrale, übergreifende Fragen anhand von regionalen Beispielen. Sie Sehen: Vielfalt und Schönheit, die uns umgibt vermittelt Werte zum verantwortungsvollen und und in ihrer Verletzlichkeit und Vergänglichkeit friedvollen Zusammenleben mit anderen Lebe- berührt. wesen und schafft Zugang und Verständnis für das Mensch-Natur-Verhältnis. Erfahrungs- und Hören: Stille. Laute und leise Töne, angenehme Gestaltungsmöglichkeiten fördern systemi- und unangenehme Geräusche. sches, vorsorgendes, alternatives und strate- gisches Denken, Zukunftswünsche und Visio- Riechen: Das Meer. Den Bodden. Die Blumen. nen. Auf Alternativen, Konflikte, Dilemmata und Den Wald. Das Korn. Kontroversen wird hingewiesen. Alle Beteiligten werden mit ihrem Erfahrungsschatz und ihren Schmecken: Der Tisch der Natur ist reich ge- Gestaltungsideen in den Handlungs- und Ge- deckt. Wir dürfen daraus entnehmen, was wir staltungsprozess eingebunden. Dafür werden zum Leben benötigen. Essen und Trinken wer- verschiedene Medien und Zielgruppen genutzt den zum sinnlichen Erlebnis, wenn Qualität und (verändert nach Stoltenberg, 2013). Zubereitung stimmen.

Fühlen: Den Wind im Gesicht. Erde und Rinde UNSER ANLIEGEN in der Hand. Sand auf der Haut. Die Wiese im Rücken. Die Kraft in den Lebensadern eines „Durch inhaltliche und methodisch vielfältige Baumes. Bildungsangebote sollen das Bewusstsein für nachhaltige Entwicklungen gestärkt und den Be- Ankommen: Alles ist in einander verwoben, von wohnern der Region positive Anknüpfungspunk- einander abhängig und miteinander vernetzt. te zum Biosphärenreservat geboten werden. Die Wir sind ein Teil des Ganzen. Teil der Natur. Hier Angebote sollen dabei das Einfühlvermögen, die kommen wir her. Hier gehören wir hin. Natur Wahrnehmungsfähigkeit, das Wissen und die umgibt, ist Geborgenheit und Zuhause, Ent- Kompetenz dafür fördern, kritisch das eigene spannung und Freude, Leben in Fülle. Wir sind Handeln zu hinterfragen und eigenverantwort- ein Wimpernschlag der Zeit. Die Erde dreht sich lich die Zukunft im Sinne der Nachhaltigkeit mit nicht um uns, sondern wir uns mit der Erde. Sie zu gestalten“ (Biosphärenreservatsamt, 2014). gibt uns ihren Rhythmus vor. Wir sind von ihr

175 abhängig und es tut gut, mit ihr im Gleichschritt neue innovative Wirtschafts- und Lebensformen durch die Jahre zu schreiten. entwickelt und gefördert werden. Dies setzt vo- raus, dass sich die Verwaltungsmitarbeiter der Erinnern: Positive Erfahren schaffen Bezie- Biosphärenreservate ständig selbst weiterbil- hung und verbinden. Sehnsucht nach neuen Le- den und entsprechendes Wissen aneignen. Da- benswegen und –formen, und danach sich sein rüber hinaus werden kompetente Fachpartner in Umfeld so zu gestalten, dass diese positiven die Bildungsarbeit einbezogen. Erfahrungen ständiger Bestandteil des Lebens werden, kann entstehen. Selbstreflexion schafft Verantwortung Die Verbindung aus positiven Erfahrungen mit Dazu bedarf es der eigenen Offenheit der Mitar- der Natur, Bewusstseinsbildung und Kompetenz­ beiter für die BNE. Die Teilnehmer müssen spü- entwicklung soll bei jedem Einzelnen ein kriti- ren, dass dem Bildungsangebot eigene tiefgrei- sches Selbstreflexionsvermögen schaffen. Dies fende Erfahrungen vorausgegangen sind, die ermöglicht, alltägliches Handeln zu hinterfragen bei den Mitarbeitern eben diese Verbundenheit und verantwortungsvolle Entscheidungen zu mit der Natur, den Menschen und der Region treffen. Die emotionale Bindung sowie fachliche geschaffen haben. Nur was man selbst erfahren und soziale Kompetenzen sollen zu einem ver- hat, kann man auch vermitteln. antwortungsvollen Umgang mit Natur und Mit- menschen führen. Wertschätzung und Toleranz Wissen macht kompetent prägen den Umgang mit der natürlichen und Begleitet werden diese interaktiven und sinnli- menschlichen Umwelt. Lebenslanges Lernen chen Erfahrungen von der Wissensvermittlung und die Fähigkeit, ständig in der Entwicklung zu über die Bestandteile der Natur, ihre Geschichte bleiben, Lösungsansätze zu optimieren, werden und die Verwobenheit dieser miteinander. Dar- zum persönlichen Bestreben. über hinaus sollen Kompetenzen für eine nach- Auch hier muss die Verwaltung als Motor der haltige Nutzung der natürlichen Ressourcen und Modellregion Biosphärenreservat Südost-Rügen

Abb. 3: Junior-Ranger des Biosphärenreservates beim Ablegen der Junior-Ranger-Prüfung.

176 Abb. 4: Glückliche Junior-Ranger im Camp in Klein Stresow. wesentlich zur Glaubwürdigkeit und Durchset- renreservat (Abb. 4). Die Kinder verbringen in zungskraft neuer nachhaltiger Ansätze beitragen, diesem Camp gemeinsam mit den Rangern vier in dem sie im alltäglichen Verwaltungsleben als gemeinsame Tage mit Übernachtungen. Es wer- Vorbild agiert, sei es zum Beispiel bei der Be- den Ausflüge im Biosphärenreservat unternom- schaffung, den Fahrten mit dem Dienst-Pkw, der men, die Kinder haben viel Zeit zum Spielen in energetischen Optimierung, der Verköstigung mit der Natur. Lagerfeuer, Nachtwanderung und ein regionalen und kontrolliert ökologischen Produk- Abschlussfest mit Eltern und Sponsoren stehen ten auf Veranstaltungen oder in Camps. ebenso auf dem Programm. Darüber hinaus erfreuen sich die vom Ranger geleiteten Wan- der- und Projekttage sowie Exkursionen gro- VIER SÄULEN DER BNE IM ßer Beliebtheit nicht nur bei den einheimischen BIOSPHÄRENRESERVAT Schulen (Abb. 5). Das Junior-Ranger-Programm Das Junior-RangerPlus-Programm Alle Grundschüler der Schulen im Biosphären- Auch die Regionalen Schulen nutzen das Bio- reservat Südost-Rügen durchlaufen mindestens sphärenreservat rege als Ort des Erfahrens und in einem ganzen Schuljahr Umweltbildungspro- Lernens, insbesondere bei geführten Wanderun- gramme zu den Themen „Wald“, „Wiese“ und gen und Projekttagen. Einige Schulen bemüh- „Wasser“ in 14-tägigem Turnus. Die Ranger be- ten sich um eine aufbauende Weiterführung des suchen die Grundschulen, um die Kinder in der Junior-Ranger-Programms. Da die Stelle der Natur, anhand von Spielen, Experimenten und Sachgebietsleiterin für BNE lange nicht besetzt Werkarbeiten an die genannten Themen und das war, blieb jedoch in den letzten Jahren die Ent- Leben im Biosphärenreservat heranzuführen. wicklung altersentsprechender Angebote immer Am Ende des Schuljahres legen die Schüler eine wieder auf der Strecke. Seit der Besetzung der so genannte Junior-Ranger-Prüfung ab (Abb. 3). Stelle im Jahr 2013 ist das Amt bemüht, den Be- Höhepunkt des Programms ist ein einwöchiges darf mit neuen Themen und methodischen An- Camp gemeinsam mit den Rangern im Biosphä- sätzen zu decken.

177 Abb. 5: Wanderung mit dem Ranger durch das Biosphärenreservat Südost-Rügen.

Das Projekt „Junior Ranger des Projektes „Robbenbotschafter“ ist es, die als Robbenbotschafter“ Rückkehr der Kegelrobbe auf Rügen bei Einhei- In Kooperation mit dem WWF führt das Bio- mischen und Gästen durch Aufklärungsarbeit sphärenreservatsamt seit 2012 das außerschu- vorzubereiten und durch regelmäßiges Monito- lische Projekt „Robbenbotschafter“ durch. Etwa ring zu begleiten. Durch Information und Aufklä- 25 Rügener Jugendliche im Alter von 11 bis 14 rung soll Konflikten, die durch den Schutz der Jahren werden in einer mehrmonatigen Ausbil- Kegelrobbe mit der Fischerei entstehen könn- dung auf ihre Aufgabe vorbereitet. Sie haben die ten, aktiv entgegen gewirkt werden. Das Projekt Ostsee-Kegelrobben während mehrerer Work- wurde auch ins Leben gerufen, um den Kindern shops, Gesprächsrunden und Exkursionen als im Anschluss an die Ausbildung als Junior-Ran- wieder heimisch werdende Säugetiere kennen- ger in den Grundschulen eine Möglichkeit zu gelernt und können nun aktiv den Schutz der geben, sich weiter aktiv für den Naturschutz im Meeressäuger unterstützen (Abb. 6). Die Rob- Biosphärenreservat Südost-Rügen zu engagie- benbotschafter nehmen regelmäßig an Monito- ren (Abb. 7). ringausfahrten im Greifswalder Bodden mit den Rangern aus dem Biosphärenreservat Südost- Die geführten Wanderungen Rügen teil. Sie dokumentieren ihre Beobach- Das Biosphärenreservatsamt bietet während der tungen zu Anzahl und Vorkommen der Robben Sommersaison (April-Oktober) in Kooperation sowie eventuelle Störungen. Weiterhin tragen mit den Kurverwaltungen zahlreiche Führungen die Jugendlichen ihr während der Ausbildungs- für Erwachsene und Kinder in den unterschiedli- phase angeeignetes Wissen zur Biologie der chen Lebensräumen unserer besonders attrakti- Kegelrobbe, deren Lebensraum Ostsee sowie ven und sensiblen Naturschutzgebiete an. Auch Bedrohung und Schutzmöglichkeit zum Beispiel die geführten Wanderungen des rügenweiten mit Hilfe von Infoständen in die Region. Dafür „Wanderfrühling“ und „Wanderherbst“ sind Tei- haben sie selber Mitmachmaterialien sowohl für le des Programmangebotes. Dabei erfahren die Kinder als auch für Erwachsene entwickelt. Ziel Besucher viel Wissenswertes über das Biosphä-

178 renreservat und seinen Auftrag, aber auch über Diese Angebote finden in den Schulen des Bio- die Arbeit der Ranger, die Menschen und ihre sphärenreservates großen Anklang. Geschichte(n) und lokale Kultur. 2013 fanden so beispielsweise 117 organisierte Wanderungen Bereits im ersten Jahr wurden insgesamt 59 Ver- mit 1 561 Teilnehmern statt. Ebenfalls in Koope- anstaltungen mit 1 624 Schülern durchgeführt. ration mit der Kurverwaltung Göhren gibt es ge- führte Wanderungen speziell für Kinder, welche 2005 entstand das Junior-Ranger-Projekt zu 2013 achtmal statt fanden und von 63 Kindern den Themen „Wald, Wiese, Wasser“, welches besucht wurden. als Sachkundeunterricht in den Grundschulen angeboten wurde. Zunächst beteiligten sich drei Chronologie zur Grundschulen mit 38 Kindern am Programm. Entwicklung der Umweltbildung Weitere Veranstaltungen für Partner und Schu- Im Frühjahr 2004 wird im damaligen National- len wie dem Kreisjugendring Bergen, der För- parkamt Rügen mit der Sachgebietsleiterin Frau derschule Sassnitz, dem Gymnasium Bergen, Kleinmeier ein Sachgebiet Umweltbildung ge- der Jugendherberge , verschiedenen Kin- schaffen. Die Ranger Axel Knoblich, Thomas dergärten, dem Kreislandschulheim Thiessow, Papke und Bernd Hoppmann melden sich frei- den Schullandheimen Sellin und Gager kamen willig für die Umweltbildungsarbeit. dazu. Artenschutzprojekte wie der Bau von In- sektenhotels wurden mit Partnern aus dem Tou- Projekte und Programme und ein Angebotsver- rismus aufgebaut. Mit dem Dünenpark Binz wur- zeichnis werden von den Rangern gemeinsam mit de eine Wanderung für Urlaubskinder entwickelt der Sachgebietsleiterin erarbeitet. Dazu gehörten und angeboten. Das Sachgebiet Umweltbildung das Projekt zu den Themen „Wald, Wiese, Was- beteiligte sich mit Angeboten an der Holzmesse ser“, Erlebniswanderungen, Ausarbeitungen zur Rügen in Lauterbach. Eiszeit und regionalen Besiedlungsgeschichte so- wie die Bauanleitungen von Nisthilfen, welche das Auch für die Kurverwaltung Göhren wird eine Verzeichnis unter dem Namen „Das Biosphären- Kinderführung entwickelt, welche seitdem zu reservat in die Schule geholt“ füllen. regelmäßigen Terminen in der Sommersaison

Abb. 6: Robbenbotschafter rufen dazu auf, sich aktiv für die Wiederkehr der Kegelrobben und den Naturschutz im Biosphä- renreservat zu engagieren.

179 Abb. 7: Robbenbotschafter nach bestandener Ausbildung. angeboten wurde. Am Ende des Jahres standen Junior-Ranger-Ausweis. Die Zahl der Veranstal- in der Statistik 152 Veranstaltungen mit 2 799 tungen steigt mit 231 und 4039 Teilnehmern Teilnehmern. weiter an.

2006 nahmen zwei weitere Grundschulen und In den Jahren 2008 bis 2010 läuft das Junior- eine Regionale Schule am Junior-Ranger Pro- Ranger-Programm an allen bisher beteiligten gramm teil. Das Junior-Ranger-Projekt endete Grundschulen weiter. Das Angebot wird durch nach einem Schuljahr, Höhepunkt des Jahres das Junior-RangerPlus-Programm an den Regi- war das 4. Bundestreffen der Junior-Ranger im onalen Schulen in Göhren und Binz ausgewei- Naturpark Drömling in Sachsen Anhalt. Eine Fle- tet. Zur Ausstattung der Junior-Ranger im Camp dermausnachtwanderung wurde neu in das Juni- gehören nun auch mit dem Fuchs bestickte T- or-Ranger-Programm aufgenommen. In Koope- Shirts und Rucksäcke. Die Umweltbildungs- ration mit der Mutter-Kind Klinik Baabe gestalten gruppe beteiligte sich mit Angeboten bei den die Ranger das Sommerfest dort mit. Erstmalig Mönchguter Museumsfesten. organisierte das Biosphärenreservatsamt einen inselweiten Küstenputz mit vielen Schulen auf Die Anzahl der Veranstaltungen im Jahr bleibt der Insel Rügen. 226 Veranstaltungen mit 3 887 stabil, die der aktiven (!) Junior-Ranger steigt Teilnehmern wurden im gesamten Jahr durchge- auf 94 Kinder. führt. Ab 2011 wird durch die Rückkehr der Kegelrob- Seit 2007 war das Junior-Ranger-Projekt an be an Rügens Küsten die Idee geboren, ehema- allen Grundschulen in und im Umfeld des Bio- lige Junior-Ranger zu Robbenbotschaftern aus- sphärenreservates (Bergen, Binz, ) einge- zubilden. Das Biosphärenreservat und der WWF führt. Der Fuchs wird als Logo für das Junior- unterschreiben eine Kooperationsvereinbarung Ranger-Programm entwickelt und Aufnäher und und starten am 1. Oktober 2011 mit 23 Kindern Basecapes gehören nun als Erkennungsmerk- das Projekt „Robbenbotschafter“. Es ist das mal dazu. Nach einer Prüfung gehen die Junior- erste Projekt, welches neben dem Schulunter- Ranger das erste Mal gemeinsam in das Camp richt, in der Freizeit der Kinder – überwiegend in Klein Stresow und erhalten dort feierlich ihren an Samstagen und in den Ferien – stattfindet

180 und besonders viel freiwilliges Engagement der In Kooperation mit dem NABU Rügen e. V. wer- Kinder und Eltern voraussetzt. den nach erfolgreicher Beantragung von Förder- mitteln ab 2015 „Haselmausbotschafter“ in zwei Von 2011 bis 2013 war die Stelle der Sachge- Kooperationsschulen ausgebildet. Ein weiteres bietsleitung für Bildung für nachhaltige Entwick- Bildungsangebot zum Thema Klimaschutz wur- lung nicht besetzt. Aus diesem Grund wurden de ab August 2014 mit Mitarbeitern des Forst- in den vergangenen zwei Jahren die einst ent- amtes Rügen, dem Klimaschutzmanager und wickelten Themen, Angebote und Projekte wei- der Bioenergiekoordinatorin ausgearbeitet. Die- ter sehr erfolgreich jedoch ohne konzeptionelle ses soll ab 2015 an der Regionalen Schule Garz Weiterentwicklung im Sinne einer Bildung für umgesetzt werden. Der rügenweite Küstenputz nachhaltige Entwicklung fortgesetzt. soll ab 2015 gemeinsam mit den zuständigen Kollegen des Nationalparks Jasmund und Hid- densee ausgeweitet und durch Projekttage zum AUSBLICK Thema „Marine Litter“ aufgewertet werden.

Mit neuen Köpfen kommen nun neue Ansätze, Das Junior-Ranger-Entdeckerheft „Rügen“, wel- Methoden und frischer Wind in die bestehenden ches in Kooperation zwischen der Organisati- Umweltbildungsangebote, damit sich diese wei- on Europarc, dem Nationalpark Jasmund, dem terhin als Bildung für nachhaltige Entwicklung Naturerbe-Zentrum Prora und dem Biosphären- entfaltet. Das Ziel, die bisherigen Bildungsan- reservat erstellt wurde, liegt zur Saison 2015 bei gebote mit kompetenten Kooperationspartnern allen bereits dafür gewonnen Partnern, die das qualitativ weiter auszubauen, ist seit Mai 2014 Entdeckerheft vertreiben, vor. auch im Leitbild des Biosphärenreservates Süd- ost-Rügen verankert. „Lüttenweihnachten“, eine kleine aber feine weih- nachtliche Imageveranstaltung, die 2013 ins Le- Seit dem neuen Schuljahr 2014 wurden zwei ben gerufen wurde, ließ mit weiteren Partnern und neue typische BNE-Projekte zu den Themen Angeboten auch 2014 das Jahr ausklingen. „Mobilität“ und „Artenschutz“ konzipiert, wel- che den Regionalen Schulen als Junior-Ranger- Die Themen der nachhaltigen Entwicklung sind Plus-Programm oder für Projektwochen ange- unerschöpflich. Es gibt also noch viel zu tun bis boten werden. unsere Gäste und Einheimischen durch intensive In einer Regionalen Schule wird das Projekt und schöne Erfahrungen in der Natur und Wis- „Mobilität“ bereits erfolgreich durchgeführt. Eine sensvermittlung eine so tiefe Beziehung zum Bio- weitere Regionale Schule gestaltet gemeinsam sphärenreservat haben, dass sie Verantwortung mit dem Biosphärenreservatsamt einen alten für den Schutz der Natur und Umwelt und für den Schulgarten zu einem „Öko- und Kräutergarten“ Erhalt und die nachhaltige Entwicklung unserer um und erfährt über den Jahreslauf, wie gut Kulturlandschaft übernehmen. Sicher können wir Gesundes aus dem eigenen Garten schmeckt. mit diesem Ansatz nicht alle eingangs des Textes Schüler einer anderen Regionalen Schule betei- genannten Probleme lösen und Fragen beant- ligten sich an der Künstleraktion „Spurwechsel“ worten, aber wenn es uns als Biosphärenreser- zum Thema „Ästhetik und Nachhaltigkeit“ mit vatsamt gelingt, im ständigen Gespräch mit den überdimensionalen, selbstgemachten Insekten Bewohnern und den sich erholenden Gästen die und thematisierten die anliegende Streuobst- Werte, Ziele und Aufgaben des Biosphärenreser- wiese anhand von Plakaten und Informationsex- vates Südost-Rügen zu vermitteln, zu gestalten ponaten sowie einem Informationstisch. Unter und zu leben, werden diese Menschen – viel- dem Thema „ArtenvielfaltWunderbar“ wurden leicht – zu Multiplikatoren unseres Auftrages. die Gäste über den Verlust der Artenvielfalt in- formiert und dazu selbstgepresster Apfelsaft und Wildkräutertee gereicht. Während die Kin- LITERATUR der verschiedene Apfelsorten zu Saft und Ap- felchips verarbeiteten, verkosteten die Eltern Biosphärenreservatsamt (2014): Leitbild für das verschiedene Honigsorten bei einer regionalen Biosphärenreservat Südost-Rügen. Put- Imkerin und lernten, dass man Landschaften bus 2014, S. 1-20. schmecken kann. Eine langfristige Kooperation Stoltenberg, U. (2013): Positionspapier zur Bil- zur Pflege, Unterhaltung und Ernte der Streu- dung für eine nachhaltige Entwicklung in obstwiesen des Biosphärenreservates in Zu- Biosphärenreservaten, Vorlage für die 25. sammenarbeit mit regionalen Imkern ist im An- Sitzung des MAB-Nationalkomitees am 9.- schluss an die Kunstaktion geplant. 11. September 2013, Bad Urach.

181 Gemeinsam für unsere Region – Governancestrukturen der Großschutz- gebiete an der Deutschen Ostseeküste Olaf Ostermann, Hartmut Sporns und Stefan Woidig

EINLEITUNG tisch-gesellschaftlichen Einheit Steuerung und Regelung nicht nur vom Staat („Erster Sektor“), Das 25-jährige Jubiläum der Festsetzung der sondern auch von der Privatwirtschaft („Zweiter drei Großschutzgebiete an der Deutschen Ost- Sektor“) und vom „Dritten Sektor“ (Vereine, Ver- seeküste – des Biosphärenreservates Südost- bände, Interessenvertretungen) wahrgenommen Rügen, des Nationalparks Vorpommersche bzw. getragen werden (WIKIPEDIA, 2014). Boddenlandschaft und des Nationalparks Jas- mund – bietet Anlass, über die in den ande- In Bezug auf Natur- und Umweltschutz statu- ren Beiträgen dieser Ausgabe beschriebenen iert der Johannesburg-Umsetzungsplan (Welt eigentlichen Gebietsentwicklungen und Be- Gipfel zu Nachhaltiger Entwicklung, 2002), dass trachtungen der wichtigen Akteure hinaus auch für „nachhaltige Entwicklung“ eine gute Gover- dem übergreifenden Aspekt der so genannten nance innerhalb jeden Staates und auf der inter- Governancestrukturen Aufmerksamkeit zu wid- nationalen Ebene notwendig ist. men und diese zusammenfassend darzustellen. Governance beinhaltet die Regeln der Entschei- Der Beitrag erläutert zunächst den Governance- dungsfindung, einschließlich der Regeln, wer Begriff und seine Bedeutung für die Arbeit in den Zugang zu Informationen bekommt und an und mit (Groß)schutzgebieten generell. Danach dem Entscheidungsprozess beteiligt ist sowie beschreibt er die wichtigsten Governancestruk- die Regeln über die Entscheidungen an sich, turen in den drei Gebieten und schildert de- wer die Entscheidungen umsetzt, wie sie umge- ren formale Ausgestaltung sowie inhaltlichen setzt werden und wer dafür Verantwortung trägt. Schwerpunktsetzungen. Anhand von Beispie- In Bezug auf die Natur als einem Kernfaktor für len werden Ergebnisse der Arbeit vorgestellt. das menschliche Wohlergehen ist die Interna- Schließlich wird in einem kurzen Ausblick ver- tional Union for Conservation of Nature (IUCN) sucht, den Stellenwert und die möglichen Rol- überzeugt, dass effektive Governance unter an- len der Governancestrukturen für die Zukunft derem eine bessere Verankerung der Umwelt- einzuschätzen. belange mit der sozialen und ökonomischen Dimension der Abwägungen impliziert und um- gekehrt, so dass diese drei Säulen nachhaltiger GOVERNANCE UND Entwicklung gegenseitig unterstützend wirken GROSSSCHUTZGEBIETE (IUCN, 2012, aus dem Englischen übersetzt). Der Begriff Governance bezeichnet allgemein Vermehrt wurde inzwischen auch die Rolle von das Steuerungs- und Regelungssystem von Governance-Regeln und -strukturen im regio- Strukturen (Aufbau- und Ablauforganisation) nalen Kontext von Naturschutzzielen untersucht politisch-gesellschaftlicher Institutionen wie (Fürst et al., 2005; Henne, 2009; Stanciu, 2014). Staat, (regionale) Verwaltung, Gemeinde, pri- Dabei wird insbesondere am Beispiel von Bio- vater oder öffentlicher Organisationen. Häufig sphärenreservaten der Frage nachgegangen, wird der Begriff auch im Sinne von verantwor- welche Governance-Muster sich beim regiona- tungsbewusster Steuerung oder Führung einer len Ressourcenschutz (z. B. Wasser, Natur und jeglichen Organisation (etwa einer Gesellschaft Landschaft) bilden können und wovon diese ab- oder eines Betriebes) verwendet. Die Bezeich- hängen. nung ist – im politischen Umfeld – alternativ zum Ergebnis ist, dass so eine so genannte regiona- Begriff Government (Regierung) entstanden und le Governance prinzipiell möglich und wirksam drückt aus, dass innerhalb der jeweiligen poli- ist, wenn es gelingt, die Identität mit dem regio-

182 Abb. 1: Beiratsmitglieder auf der Gründungsveranstaltung am 22. April 2010 in Baabe. nalen Raum zu stärken und die daraus resultie- ligen Regionen dienen. Nicht das Ziel an sich, je- renden Kräfte für das Gemeinschaftshandeln zu doch die Fragen nach den zeitlichen, räumlichen nutzen (Fürst, 2005). und sachlichen Schritten zu seiner Erreichung eröffnen dabei auch Spielräume für die Einbezie- Dass gerade Biosphärenreservate für den An- hung regionaler Akteure, und zwar im Rahmen satz der regionalen Governance besonders prä- geordneter Strukturen und Regeln, also regiona- destiniert sind, resultiert aus ihrem im Man and ler Governance für die Großschutzgebiete in der the Biosphere-Programm (MAB) der UNESCO Region Fischland-Darß-Zingst-Rügen. definierten Hauptziel: Bei der Nutzung der Landschaft durch den Menschen ist auf ein Die drei behandelten Großschutzgebiete (Nati- ausgewogenes Verhältnis zu natürlichen Kreis- onale Naturlandschaften, im Folgenden: NNL) läufen zu achten. Zugleich sind Methoden der das Biosphärenreservat Südost-Rügen, der Na- Land­nutzung zu entwickeln, die es auch künf- tionalpark Vorpommersche Boddenlandschaft tigen Generationen erlauben, die Natur noch zu und der Nationalpark Jasmund besitzen alle nutzen und trotzdem zugleich eine Vielfalt von jeweils eigene Governance-Strukturen, jedoch Tieren und Pflanzen zu erleben. Es geht dabei ist keine davon in den für diese Schutzgebiete also um neue Inhalte für das Verhältnis zwischen verbindlichen Rechtsverordnungen1 verankert. Mensch und Natur. Diese können keinesfalls nur Vielmehr waren es das zuständige Ministeri- durch staatliches Handeln verwirklicht, sondern um (heute das Ministerium für Landwirtschaft, müssen v. a. durch lokal angepasste Konzepte Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg- bzw. Problemlösungen unter Einbeziehung der Vorpommern), die betreffenden Schutzgebiets- regionalen Akteure in den betreffenden Regio- verwaltungen (heute das Biosphärenreservat- nen entwickelt werden. 1 Verordnung über die Festsetzung von Naturschutzgebieten und ei- Nationalparks haben mit ihrem Prozessschutz- nem Landschaftsschutzgebiet von zentraler Bedeutung mit der Ge- ziel, also dem Grundsatz „Natur Natur sein las- samtbezeichnung Biosphärenreservat Südost-Rügen vom 12. Sep­ tember 1990; Verordnung über die Festsetzung des Nationalparks sen“ im Vergleich zu den Biosphärenreservaten Vorpommersche Boddenlandschaft vom 12. September 1990; Ver- zwar eine wesentlich restriktivere Zielsetzung, ordnung über die Festsetzung des Nationalparks Jasmund vom 12. aber auch sie sollen der Entwicklung ihrer jewei- September 1990.

183 samt Südost-Rügen und das Nationalparkamt Verschiedene Initiativen und Projekte der Ver- Vorpommern) sowie vor allem engagierte Ver- waltung und die Bereitschaft der wichtigen re- treter aus Kommunen, Vereinen, Verbänden, gionalen Akteure zu einem Neustart trugen dazu Wirtschaftszweigen und der Wissenschaft, die bei, die bis dahin erloschene Kommunikation seinerzeit für eine Gründung ständiger Gremi- wieder aufzunehmen und deutlich auszubauen. en eintraten, um die staatliche Verwaltung bei Die gestiegene Akzeptanz des Biosphärenreser- wichtigen Entscheidungen zu beraten. vates und das gewachsene Vertrauensverhält- nis der Partner in der Region spiegeln sich auch Drei wesentliche Gremien werden im Folgenden in der Gründung des Beirates für das Biosphä- etwas detaillierter vorgestellt: renreservat im Jahre 2010 wider (Abb. 1). In dem Beirat sind zurzeit 26 Mitglieder der fol- »» der Beirat für das Biosphärenreservat genden Körperschaften vertreten, mit Gundela Südost-Rügen; Knäbe als Vorsitzende (Stand: Juni 2014): »» das Kuratorium für den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft; »» Landkreis Vorpommern-Rügen, »» der Kommunale Nationalpark-Rat Jasmund. »» Alle zehn Gemeinden des Biosphärenreser- vates Südost-Rügen, Darüber hinaus gibt es weitere auf Dauerhaf- »» BUND, INSULA Rugia e. V. (Förderverein des tigkeit angelegte Strukturen, die jeweils für BR), bestimmte Aufgabenbereiche der regionalen »» Kreisbauernverband, Abstimmung und der stärkeren regionalen Ver- »» Kreisanglerverband, ankerung der Schutzgebietsziele dienen. Dies »» Kreisjagdverband, sind z. B.: »» Landschaftspflegeverband Rügen, »» Wasser- und Bodenverband, »» das Netzwerk der Nationalparks- und Bio- »» Wirtschaftsverein Rügen, sphärenreservats-Partner; »» Verband der Kutter- und Küstenfischer, »» das Tourismus-Forum des Biosphärenreser- »» Tourismusverband Rügen, vates Südost-Rügen (im Rahmen der sog. »» Universität Greifswald, Europäischen Charta); »» Forstamt Rügen, »» der Landschaftspflegeverband Rügen. »» Deutsche Bundesstiftung Umwelt, »» Kreishandwerkerschaft Rügen, »» Verkehrsgesellschaft Vorpommern-Rügen DER BEIRAT FÜR DAS BIOSPHÄREN- mbH (VVR). RESERVAT SÜDOST-RÜGEN Der Beirat regelt seine Arbeit durch eine Ge- Das Biosphärenreservat Südost-Rügen wurde schäftsordnung vom 22. April 2010. Seit seiner im Jahr 1990 gegründet und schon ein Jahr Gründung hat er sich mit der kritischen Beglei- später in das Weltnetz der UNESCO-Biosphä- tung der turnusgemäßen Evaluierung des Bio- renreservate aufgenommen. Nach der in den sphärenreservates Südost-Rügen durch das ersten Jahren seines Bestehens vorherrschen- MAB-Nationalkomitee, der Fischerei, Rohrmahd den positiven Aufbruchstimmung, in der zum und Fragen der Landwirtschaft im Schutzge- Beispiel die Vision einer „Modellregion Rügen“ biet sowie mit der Erarbeitung des inzwischen entwickelt wurde, geriet das Biosphärenreser- verabschiedeten Leitbildes für das Schutzge- vat Südost-Rügen für viele Jahre in zum Teil biet befasst. In die Erarbeitung des Leitbildes sehr schwieriges Fahrwasser. brachten sich mit dem Biosphärenreservats- Beirat die wesentlichen Akteure der Region ein, Seine zeitweilige Eingliederung in das ehemali- die Vertreter vermeintlich gegensätzlicher Inter- ge Nationalparkamt Rügen, personelle Proble- essen einigten sich in ihren elf formulierten the- me und Kommunikationsdefizite spielten dabei matischen Handlungsfeldern auf gemeinsame eine erhebliche Rolle und führten zeitweise zu Standpunkte – das ist nicht selbstverständlich, einem weitgehenden Vertrauensverlust zwi- macht Mut für die Zukunft des Biosphärenreser- schen den Schlüsselakteuren der Region und vates und kann als Vorbild für andere Biosphä- dem Amt. Erst 2006 mit der Neugründung eines renreservatsregionen dienen. eigenständigen Amtes für das Biosphärenre- servat Südost-Rügen und mit einhergehenden Das Leitbild stellt das in die Zukunft gerichtete personellen Veränderungen konnte die stagnie- Kernstück des derzeit in Erarbeitung befindli- rende Entwicklung des Biosphärenreservates chen Rahmenkonzeptes für das Biosphärenre- deutlich belebt werden. servat Südost-Rügen dar. Es wurde am 21. Mai

184 Abb. 2: Präsentation des Leitbildes für das Biosphärenreservat Südost-Rügen (von links: Landrat Drescher, BGM Thiessow Herr Roepke, Leiterin Biosphärenreservatsamt Südost-Rügen Frau Münster, Minister Dr. Backhaus, Beiratsvorsitzende Frau Knäbe).

2014 feierlich im Beisein des Landwirtschafts- Prozessschutzes und Konflikte zwischen den ministers Dr. Till Backhaus der Öffentlichkeit zunächst getrennten für Naturschutz bzw. Forst präsentiert (Abb. 2). zuständigen Verwaltungen).

Mit der Gründung hatte das Kuratorium 21 be- DAS KURATORIUM FÜR DEN rufene Mitglieder, darunter Vertreter des Kreis- NATIONALPARK VORPOMMERSCHE tages, der Ämter und Gemeinden, der Verbän- de, z. B. Küstenfischer, Naturschutz-, Jagd-, BODDENLANDSCHAFT Angel-, Sport- und Tourismusverbände sowie Die Gründung des Kuratoriums für den National- der regionalen Initiativgruppe zur Erhaltung park Vorpommersche Boddenlandschaft wurde der heimatlichen Natur und Kultur Darß/Zingst im März 1995 auf einer Sitzung des Kreistages e. V. Gemäß der Satzung des Kuratoriums über- im Landkreis durch die Ver- nimmt jeweils der Landrat des Kreises Nordvor- abschiedung einer Satzung beschlossen, am pommern den Vorsitz des Gremiums. 21. Juni 1995 trat es zum ersten Mal zusammen. Die Satzung des Nationalpark-Kuratoriums NVP Zusätzlich erhielten 13 Vertreter aus Einrich- wurde am 4. Oktober 1995 im Kreisblatt Nr. 10 tungen wie dem zuständigen Ministerium für veröffentlicht und mit Fassung vom 16. Januar Landwirtschaft und Naturschutz, dem National- 2009 zuletzt geändert. parkamt, dem Staatlichen Amt für Umwelt und Natur Stralsund, dem Wasser- und Schifffahrts­ Ziel des neuen Gremiums war es, eine Plattform amt, dem Landesfischereiamt, dem Landwirt- mit breiter gesellschaftlicher Basis zur beraten- schaftsamt, dem Bundesforstamt sowie zwei den Begleitung der Nationalparkentwicklung Wissenschaftler (Prof. Dr. H. D. Knapp und Prof. zu schaffen und die Interessen der Region ge- Dr. G. Schlungbaum) den Status als ständige genüber der Nationalparkverwaltung zu vertre- Gäste des Kuratoriums. ten. Bereits gleich in den Anfangsjahren des Nationalparks hatte es teils heftige öffentliche Ein Grundproblem war von Anfang an mit diesem Debatten um grundsätzliche Nationalparkfra- Kuratorium verbunden: Es bildete wegen des gen gegeben (Restriktionen, Auswirkungen des Landkreiszuschnittes nur den Darß/Zingst-Teil,

185 nicht jedoch den westrügenschen Teil des Nati- meister den Vorstand bilden. Weitere Mitglieder onalparkes Vorpommersche Boddenlandschaft sind das Nationalpark-Zentrum Königsstuhl, der ab. Gleichwohl entwickelte sich das Kuratorium Landkreis Vorpommern-Rügen, das Ministerium zu einer wichtigen „Instanz“ und behandelte in für Landwirtschaft, Umwelt- und Verbraucher- insgesamt elf Sitzungen schwerpunktmäßig die schutz M-V, das Wirtschaftsministerium M-V, folgenden Themen: das Innenministerium M-V, das Bundesamt für Naturschutz, der WWF, die Kur- und Tourist »» die konzeptionelle Entwicklung des National- GmbH Lohme und das Nationalparkamt Vor- parkes; pommern. »» die Schaffung einer einheitlichen National- parkverwaltung durch Zusammenschluss Der Kommunale Nationalparkrat kommt plan- von Forst- und Naturschutzverwaltung; mäßig zweimal im Jahr zusammen und wird »» Thesen zur Nationalparkverordnung sowie auch anlassbezogen tätig. Bei Bedarf werden der Planungsstufen zum Nationalparkplan; zu den Sitzungen betroffene Vertreter gesell- »» eine Befahrensregelung für die Bundeswas- schaftlicher Gruppen geladen, die nicht ständig serstraße im Nationalpark; im KoNRat mitwirken, z. B. der Tourismusbran- »» die Verabschiedung eines Entwurfs für den che. Der KoNRat befasst sich mit allen Fragen, Nationalparkplan am 16.01.2002 (Hauptteil, die den Nationalpark und sein Zusammenwirken Band 1 Leitbild und Ziele) und die Positionie- mit den Gemeinden und dem Nationalparkzen- rung gegen den Bau von Offshore-Windanla- trum betreffen. Neben dem allgemeinen Infor- gen vor den Küsten von Darß und Zingst; mationsaustausch werden gemeinsame Prob- »» die Diskussion über Grundlagen der Forst- lemlösungen vorbereitet. In den letzten Jahren einrichtungen im Nationalpark; standen nachstehende Themen im Vordergrund »» Beweidungsfragen von Außendeichflächen der Beratungen: und der Insel Großer Werder; »» Rückschau nach 20 Jahren Nationalpark »» der Fahrradweg Sassnitz-Hagen-National- Vorpommersche Boddenlandschaft; parkzentrum, »» Sanierung der Darß-Zingster Boddenkette. »» der Parkplatz Hagen und seine zukünftige Entwicklung, Insbesondere die Befassung des Kuratoriums »» ein Verbundticket für die Besucher des Nati- mit dem Nationalparkplan führte dazu, dass onalparkzentrums, letzterer über seine formelle Wirkung hinaus für »» der Umgang mit Nationalparkkritikern, viele regionale Akteure bis heute als wichtige »» Konsequenzen des Status Weltnaturerbe und Richtschnur und Planungsgrundlage fungiert. »» die Waldhalle und die Welterbeausstellung. Die letzte Kuratoriumssitzung in dieser Kons- tellation fand am 10. März 2010 in der Darßer Einmal im Jahr berichten das Nationalparkamt Arche in Wieck statt. Mit der 2011 in Kraft ge- Vorpommern und das Nationalpark-Zentrum tretenen Kommunalreform entstand der neue Königsstuhl über geplante Aktivitäten im laufen- Landkreis Vorpommern-Rügen, in dessen Ge- den Jahr und ziehen eine Bilanz über ihre Aktivi- biet nun der gesamte Nationalpark Vorpommer- täten und Ereignisse des Vorjahres. sche Boddenlandschaft liegt. Am 11. März 2014 trat das Kuratorium nach WEITERE GOVERNANCESTRUKTUREN langer Unterbrechung unter Vorsitz des neuen IN DER REGION Landrates Ralf Drescher wieder zusammen und beriet unter anderem über einen neuen Entwurf Das Partner-Netzwerk der National- für eine Satzung bzw. Geschäftsordnung. parke und Biosphärenreservate Ziel des deutschlandweiten Partner-Projektes ist es, in den jeweiligen Nationalen Naturland- DER KOMMUNALE schaften Netzwerke mit lokalen oder regionalen NATIONALPARKRAT JASMUND Partnern aufzubauen. Bei den Partnern handelt es sich überwiegend um private Unternehmen, Im Unterschied zu den beiden vorgenann- weshalb das Netzwerk ein gutes Beispiel für ten Gremien steht dem Nationalpark Jasmund Public-Private-Partnership (PPP) ist; aber auch ein „Kommunaler Nationalparkrat Jasmund“ Gemeinden, Städte oder deren Betriebe können (KoNRat) zur Seite. Dieser setzt sich aus Vertre- als Partner aktiv werden. Sowohl das National- tern der Stadt Sassnitz, der Gemeinden Lohme, parkamt Vorpommern (für den Nationalpark Vor- Sagard und zusammen, deren Bürger- pommersche Boddenlandschaft) als auch das

186 Biosphärenreservatsamt Südost-Rügen haben halle“ ein Forum für die Alten Buchenwälder auf im Rahmen des genannten Projektes eigene Jasmund entstehen, die 2011 zum Weltnaturer- Partner-Netzwerke aufgebaut. Die Zertifizierung be erklärt wurden. der Partner erfolgt jeweils durch einen regio- nalen Beirat nach Kriterien von EUROPARC Die Fördervereine Deutschland e. V., dem bundesweiten Dachver- Die Arbeit der beiden Nationalparke sowie des band der Großschutzgebiete. Biosphärenreservates Südost-Rügen werden jeweils durch einen Förderverein begleitet (sie- Mit Stand vom Juli 2014 hatte der Nationalpark he Beiträge von Baginski, Kutscher und Knapp Vorpommersche Boddenlandschaft zehn und in diesem Band): das Biosphärenreservat Südost-Rügen 22 Part- ner. Dies sind beispielsweise Beherbergungs- Der Förderverein Nationalpark Boddenland- und Gastronomiebetriebe, Schifffahrtsunter- schaft e. V. wurde am 30. Juni 1990 gegründet, nehmen, Museen, touristische Anbieter sowie also noch vor der Errichtung des Nationalparks Betriebe aus Landwirtschaft und Fischerei. Vorpommersche Boddenlandschaft. Seine ers- te Aufgabe wurde daher die Unterstützung bei Die Partner verpflichten sich, die Ziele des je- dessen Aufbau. Aktuell wichtige Schwerpunkte weiligen Schutzgebietes zu unterstützen und sind unter anderem das von einer vereinseige- wirken gewissermaßen als deren Botschafter. Im nen GmbH betriebene Besucherzentrum „Dar- Gegenzug dürfen sie das Zertifikat für Ihre Wer- ßer Arche“ in Wieck auf dem Darß und das all- bung einsetzen (Abb. 3). Die Partnernetzwerke jährliche Darßer Naturfilmfestival. Der Verein hat dienen damit dem Aufbau und der Stärkung etwa 500 Mitglieder. einer nachhaltigen wirtschaftlichen, kulturellen Der „Verein der Freunde und Förderer des Nati- und sozialen Entwicklung ihrer Schutzgebiets- onalparkes Jasmund e. V.“ wurde 1991 gegrün- regionen, insbesondere einer nachhaltigen Tou- det, um den Aufbau des Nationalparks Jasmund rismusentwicklung. zu unterstützen, die ursprüngliche Natur des Gebietes zu erhalten und einen naturverträg- Das Tourismus-Forum des Biosphä- lichen Tourismus zu fördern. Ein herausragen- renreservates Südost-Rügen des Projekt des Vereines ist das Kreidemuseum Im Biosphärenreservat Südost-Rügen wurde im Gummanz auf Rügen. Rahmen des aus dem Ostseeprogramm finan- zierten Interreg-Projektes „PARKS & BENEFITS“ Schließlich ist der 1991 gegründete Verein IN- in einem partizipativen Prozess ein „Touristi- SULA RUGIA e. V. (Verband zum Schutz, zur sches Leitbild für einen nachhaltigen Tourismus Pflege und zur Entwicklung der Insel Rügen) zu im Biosphärenreservat Südost-Rügen“ entwi- nennen, der zugleich Förderverein für das Bio- ckelt. Zusammen mit einem Aktionsplan bilde- sphärenreservat Südost-Rügen ist. te dies die Grundlage für die Auszeichnung des Biosphärenreservates als Charta-Park im Rah- Der Landschaftspflegeverband men der „Europäischen Charta für nachhaltigen Rügen Tourismus in Schutzgebieten“ durch die EURO- Ein besonderer regionaler Akteur ist der Land- PARC Federation e. V. im Jahr 2012 (Balandina, schaftspflegeverband Rügen e. V., der insbe- 2012; Ostermann, 2014). sondere auch als Träger des Naturschutzgroß- vorhabens „Ostrügensche Boddenlandschaft“ Dieses hat den Aufbau des Partnersystems fungiert. entscheidend vorangebracht und wird auch zu- künftig als ein Hauptarbeitsfeld angesehen. Im Rahmen dieses von Bund (Bundesumwelt- ministerium und Bundesamt für Naturschutz) Das Nationalpark-Zentrum und Land Mecklenburg-Vorpommern geförder- Königsstuhl ten Projektes (Gesamtvolumen ca. 12,2 Mio €), Das im Auftrag des Landes Mecklenburg-Vor- das auch große Teile des Biosphärenreservates pommern agierende Nationalpark-Zentrum Kö- Südost-Rügen umfasst, wurden in den Jah- nigsstuhl ist eine gGmbH in Trägerschaft der ren 1995 bis 2009 zum Beispiel 1 000 Hektar Stadt Sassnitz und des WWF Deutschland. Wald und landwirtschaftliche Flächen für Natur- schutzzwecke erworben. Es ist das Besucherzentrum des Nationalparks Jasmund mit 2 000 Quadratmetern Ausstel- Der für das Projekt erstellte Pflege- und Ent- lungsfläche und großem Außengelände. In glei- wicklungsplan ist noch heute eine wichtige Ar- cher Trägerschaft soll in der ehemaligen „Wald- beitsgrundlage für den Naturschutz.

187 LITERATUR

Balandina, A., Love, L., Ostermann, O. & R. Par- tington (2012): European Charter parks - A growing network for sustainable tourism development in protected areas. PARKS 18 (2). 132-142. Fürst, D., Lahner, M., & K. Pollermann (2005): Regional Governance bei Gemeinschafts- gütern des Ressourcenschutzes: das Beispiel Biosphärenreservate. Raumfor- schung und Raumordnung 63 (5): 330- 339. Henne, E. (2009): UNESCO-Biosphärenreser- vate: Modellregionen für nachhaltige Wirt- schaftsentwicklung im ländlichen Raum – Beispiele aus dem Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin. Nachhaltige Entwick- lung ländlicher Räume: 345-352. IUCN (2014): Seite „Environmental Gover- nance“ in IUCN, Bearbeitungsstand: 18. April 2012. http://www.iucn.org/news_homepage/events/ iucn___rio___20/iucn_position/environ- mental_governance (Abgerufen: 26. Mai 2014, 14:00 UTC). Ostermann, O. (2014): Die Europäische Charta Abb. 3: Anerkennung Wohnschiff Störtebeker als National- zum nachhaltigen Tourismus in Schutzge- park-Partner (von links: Herr Haffner (NPA), Herr Budinger). bieten und das Projekt PARKS & BENE- FITS. Natur und Landschaft 89 (3). 118- 123. FAZIT UND AUSBLICK Stanciu, E. & I. Alina (2014): Governance of Pro- tected Areas in Eastern Europe. BfN Skrip- In den beschriebenen Gremien, Vereinen und ten 360, 172 S. Netzwerken sind alle wesentlichen Akteure der WIKIPEDIA (2014): Seite „Governance“. In: beiden Nationalparks und des Biosphärenre- Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bear- servates vertreten. Sie leisten für bzw. mit den beitungsstand: 4. April 2014, 11:52 UTC. betreffenden Ämtern sehr engagierte Arbeit, lie- URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php fern konkrete Ergebnisse und stärken dadurch ?title=Governance&oldid=129202683 (Ab- die Kommunikation und die Akzeptanz für die gerufen: 26. Mai 2014, 11:41 UTC). Gebiete.

Die vorhandenen Governance-Strukturen sollen erhalten und möglichst weiter entwickelt wer- den, um die Schutzgebiete auch bei künftigen Herausforderungen im Einklang mit ihren Re- gionen begleiten und unterstützen zu können. Für den Nationalpark Vorpommersche Bodden- landschaft steht vor allem das Ziel, seine dem Prozessschutz vorbehaltenen Flächenanteile zu erhöhen. Im Nationalpark Jasmund gilt es, das Weltnaturerbe „Buchenwälder“ zu bewah- ren und der Öffentlichkeit verständlich zu ver- mitteln. Im Biosphärenreservat Südost-Rügen stehen die nachhaltige Regionalentwicklung einschließlich der kleinen Küstenfischerei sowie die Gebietserweiterung im Vordergrund der zu- künftigen Aufgaben.

188 Begleitung, Unterstützung, Gewissen – das ehrenamtliche Engagement der Fördervereine

Öffentliche Resonanz, engagierte Unterstüt- chen Sichtweisen in ihrer Bandbreite und teils zung und die tägliche konstruktive Interaktion harschen Gegensätzlichkeit aufzugreifen und der verschiedenen beteiligten Akteure, Inter- dem offenen Meinungsaustausch zuzuführen. essengruppen und verwaltenden Institutionen Daraus folgt, dass die dargestellten Meinun- sind Dreh- und Angelpunkte einer nachhaltigen gen nicht in allen Fällen mit den Ansichten der Arbeit für die Entwicklung von regionalen Struk- Herausgeber übereinstimmen. Ziel der gemein- turen wie den vorgestellten Großschutzgebieten samen Arbeit bleibt jedoch, langfristig erfolg- (siehe Beitrag von Ostermann et al. in diesem reiche, nachhaltige Konzepte und Lösungen zu Band). Eine wichtige Rolle für kommunikative, finden, die geeignet sind das meinungsreiche, koordinierende und praktisch organisatorische vielfältige Miteinander in einer lebenswerten Funktionen spielten und spielen dabei die drei Heimat und Wirtschaftsregion möglichst zum Fördervereine, die seit den frühen Anfängen als Wohle aller Beteiligten und ihrer Gäste zu erhal- vielschichtige Schnittstellen die eigentlichen ten und weiter zu entwickeln. Der Konsens liegt politischen und gesetzlichen Entwicklungen in der Wertschätzung der Natur. beratend und unterstützend begleitet, auch be- einflusst und voran getrieben haben. Teils liegen die inhaltlichen Ursprünge dieser Initiativen aus INSULA RUGIA – FÖRDERVEREIN der Bevölkerung deutlich vor den vorrangig ver- DES BIOSPHÄRENRESERVATES folgten Hauptarbeitsthemen der heutigen Verei- ne. Fast zeitgleich gründeten sich am 23. Juni SÜDOST-RÜGEN 1990 der Verband INSULA RUGIA – Verein zum Hans D. Knapp Schutz, zur Pflege und Entwicklung der Insel Rügen e. V. und am 30. Juni 1990 der Förder- Wurzeln verein Nationalpark Boddenlandschaft e. V. Die Der Verband INSULA RUGIA e. V. und das Bio- Gründung des Vereins der Freunde und Förde- sphärenreservat Südost-Rügen haben gemein- rer des Nationalparks Jasmund e. V. folgte am same Wurzeln und diese liegen auf Mönchgut. 7. März 1991. Die Halbinsel Mönchgut zählt zu den markan- testen und herausragenden Landschaften in So vielfältig wie die Ansichten und Motivationen Deutschland. Geformt von den letzten Glet- der Bewohner bezüglich der Ausgangssituati- scheraktivitäten der jüngsten Eiszeit und von onen, des (politischen) Handlungsbedarfs und den Wellen der erdgeschichtlich jungen Ostsee der erforderlichen Entwicklungen ihrer Heimat- zeigt Mönchgut eine Vielfalt von Landschafts- region sind, so heterogen stellt sich die Arbeit formen auf engem Raum, wie kaum eine andere der Vereine mit ihren jeweiligen Schwerpunk- Landschaft weit und breit. Sie ist Heimat einer ten im Zeitverlauf dar. Entsprechend sind die bodenständigen, traditionsbewussten, verwur- rückblickenden Darstellungen unterschiedlich, zelten Bevölkerung von Fischern, Bauern, See- geprägt von individuellen Vorstellungen und fahrern, Lotsen (Abb. 1). gemeinschaftlich erreichten Zielen, teils aber auch gekennzeichnet von Fehlschlägen, Enttäu- Seit Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte schungen und begrabenen Träumen. sich Mönchgut zu einer zunehmend beliebten Urlaubsregion für naturverbundenen Tourismus. So verwundert es nicht, dass die Berichte un- Der Wechsel von sonnigen Hügeln und feuchten terschiedliche, auch kritische Töne anschlagen. Niederungen, von feuchten Sandstränden und Dies ist im Sinne des Festbandes ein ausdrück- blockreichen Steilufern, von Röhricht gesäum- liches Anliegen, die Vielfalt der unterschiedli- ten Boddenufern und wellengeformter Außen-

189 Abb. 1: Mönchgut, eine Kulturlandschaft faszinierender Schönheit, gab den Anstoß zur Einrichtung des Biosphärenreserva- tes Südost-Rügen und ist Wiege des Verbandes INSULA RUGIA e.V. küsten, die enge Durchdringung von Land und kundige Missstände hinwiesen. Die Aktivitäten Meer zeichnen diese Küstenlandschaft als ein dieses Umweltaktivs fanden breite Resonanz in Kleinod von faszinierender Schönheit aus. der Bevölkerung und nach zweijährigen Bemü- hungen wurde für Dezember 1989 die Gründung Zwar war diese Landschaft frühzeitig als Land- einer formalen Interessengemeinschaft für Um- schaftsschutzgebiet ausgewiesen, doch un- weltschutz anberaumt. terlag sie seit den 1970er Jahren erheblichen Veränderungen durch Eindeichung und Entwäs- Inzwischen waren mit der „Wende“ im Herbst serung von Salzwiesen, durch Küstenschutz- 1989 die Rahmenbedingungen für gesellschaftli- maßnahmen, durch Intensivierung der Land- ches Engagement gänzlich verändert, die DDR im wirtschaft und vor allem durch Zersiedelung Umbruch und Aufbruch. Umweltinitiativen hatten und Bebauung. Insbesondere der Tourismus an diesen Veränderungen wesentlichen Anteil, veränderte durch die wuchernde Ausbreitung waren Teil der Bürgerbewegung, die schließlich von Bungalowsiedlungen, Campingplätzen, die deutsche Wiedervereinigung und den Fall Ferienheimen und -lagern nicht nur das Land- des Eisernen Vorhanges herbeigeführt hatte. schaftsbild, sondern belastete die Region mit Abwässer und Abfall bis über die Grenzen der Der Kern des Mönchguter Umweltaktivs um den Belastbarkeit. Middelhagener Pastor Frieder Jelen bereitete die Gründung eines Vereins vor. „Zur Gründungs- Dies löste Mitte der 1980er Jahre in Middelhagen versammlung des neuen Vereins am 23. Juni die Bildung eines Umweltaktivs aus Mönchgu- 1990 wurden Persönlichkeiten des öffentlichen ter Bürgermeistern, Pfarrern, Fischern, Bauern, Lebens der Insel, Kommunalpolitiker, Künstler, Handwerkern, Gastronomen, LPG-Mitgliedern Wissenschaftler, Lehrer und Personen, von de- und auch SED-Genossen aus, die in Sorge um nen man annahm, dass sie eine Vereinigung, ihre Heimat verantwortungsbewussten Umgang die sich dem Schutz der natürlichen Umwelt mit dieser besonderen Landschaft einforderten Rügens sowie der Pflege und der Entwicklung und die zuständigen Staatsorgane auf offen- der Insel widmet, unterstützen können, in das

190 Jagdschloss Granitz eingeladen. Vor den rund Verordnung über das Biosphärenreservat und 80 Versammlungsteilnehmern erläuterte Frieder am 12. September 1990 beschließt der Minis- Jelen den Zweck und die Ziele des zu gründen- terrat der DDR auf seiner letzten Sitzung das den Vereins, Dr. Hans Dieter Knapp schilderte Nationalparkprogramm der DDR, darunter das Probleme des Landschafts- und Naturschutzes Biosphärenreservat Südost-Rügen. auf Rügen und leitete aus ihnen Aufgaben ab, mit denen der Verein zu ihrer Lösung beitragen Erster und langjähriger Vorsitzender von INSU- könnte“ (Jelen & Meissner, 2011). LA RUGIA war der Middelhagener Pastor Frieder Jelen, der von der Kanzel in die Politik wech- Zu dieser Zeit waren bereits die Grundzüge für selte und als Umweltminister von Mecklenburg- das Nationalparkprogramm der DDR mit den Vorpommern, später als Bürgerbeauftragter und drei Kategorien Nationalpark, Biosphärenreser- schließlich als Landrat des Kreises wirk- vat und Naturschutzpark ausgearbeitet. Mönch- te und bis heute ehrenamtlich aktiv ist. gut hatte den Anstoß gegeben, über ein wirk- sames Instrument zum Schutz herausragender Ziele Kulturlandschaften nachzudenken. National- Als Zweck des Vereins sind in § 2 der Satzung park kam jedoch für eine bewohnte und genutz- folgende anspruchsvolle Ziele und Aufgaben te Landschaft nicht in Betracht und so nahmen formuliert (INSULA RUGIA, 1991): wir die Kategorie „Biosphärenreservat“ in das Nationalparkprogramm auf (Knapp 1990, 2001). (1) Zweck des Vereins ist es, »» sich für den Schutz und die Pflege der Insel Während der Gründungsversammlung auf dem Rügen einzusetzen und dabei alle sinnvollen Jagdschloss Granitz unterzeichneten 25 Teil- Bestrebungen zum Umwelt-, Natur-, und nehmer die Gründungsurkunde des neuen Landschaftsschutz zu unterstützen. Vereins, der am 30. Juli 1990 als Verband IN- »» Einfluss auf eine ökologisch vertretbare SULA RUGIA e. V. in das Vereinsregister beim Entwicklung der Siedlungs-, Verkehrs- und Amtsgericht Bergen eingetragen wurde. Anfang Wirtschaftsstruktur zu nehmen. September befürworten die Bürgermeister von »» Erhaltung und Pflege, erforderlichenfalls Südost-Rügen und der Landrat von Rügen die Rekonstruktion von Bodendenkmalen,

Abb. 2: Der Verband INSULA RUGIA wurde am 23. Juni 1990 auf dem Jagdschloss Granitz gegründet.

191 Abb. 3: Der Schlosspark Pansevitz wurde über zehn Jahre lang in der Verantwortung von INSULA RUGIA saniert und ge- pflegt, bevor er an die 2007 gegründete Stiftung Schlosspark Pansevitz übertragen wurde.

Baudenkmalen, Parks und anderen benfelder finden sich auch im 2014 veröffent- Wahrzeichen der Geschichte zu fördern. lichten Leitbild des Biosphärenreservatsamtes »» Anstöße für die Kulturelle Entwicklung der Südost-Rügen wieder (Abb. 2). Insel sowie für das Aufarbeiten und Bewah- ren der Geschichte Rügens zu geben. Aktivitäten »» auf Prozesse und Erscheinungen Aufmerk- Der 1992 von mehreren Fernsehanstalten ge- sam zu machen, die bedrohliche Folgen für sendete Film „Rügen. Topographie einer Insel“ Menschen und Naturschätze Rügens in sich des bayerischen Publizisten und Filmemachers bergen. Dieter Wieland machte den Verband INSULA »» Durch öffentlichkeitswirksame Information RUGIA e. V. durch ein ausführliches Interview und Veranstaltungen die Vereinsziele mit dem Vorsitzenden Frieder Jelen deutsch- bekanntzugeben und Gleichgesinnte als landweit bekannt, und infolgedessen wuchs Förderer zum Mitwirken anzuregen. die Mitgliederzahl rasch auf über 200, darun- »» Kontakte zu den politischen Institutionen ter eine Mehrheit aus verschiedenen Gegenden herzustellen und zu unterhalten, um Deutschlands. Heute umfasst der Mitglieder- Entscheidungen im Sinne der Vereinsziele bestand etwa 120 Personen und eine Handvoll herbeizuführen. institutionelle Mitglieder wie z. B. die Ernst-Mo- »» Möglichkeiten für die Begegnung und ritz-Arndt-Gesellschaft e. V. und der Tourismus- Kontaktpflege der Vereinsmitglieder zu verband Rügen e. V. schaffen. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, alle durch Diese Ziele werden in der 1992 veröffentlichten den Verein initiierten und ausgeführten Aktivitä- Absichtserklärung präzisiert. Zehn Kapitel sind ten darzustellen. Es sei deshalb auf die von den folgenden Aufgabenfeldern gewidmet: Die Na- Ehrenvorsitzenden Frieder Jelen und Dr. Peter tur, Die Kultur, Die Geschichte, Die Wirtschaft, Meissner verfasste Chronik verwiesen (Jelen & Der Verkehr, Der Tourismus, Die Umwelt, Die Meissner, 2011). Einige Beispiele mit Bezug auf Siedlungsstruktur, Die Öffentlichkeit, Zusam- das Biosphärenreservat sollen an dieser Stelle menarbeit (INSULA RUGIA, 1992). Diese Aufga- dennoch Erwähnung finden:

192 Von 1992 bis 2002 wurden von einer eigens gegründeten INSULA RUGIA-Beschäftigungs- gesellschaft über 2 000 ABM-Kräfte im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen u. a. in der Landschaftspflege eingesetzt und betreut.

1993 initiierte INSULA RUGIA das Naturschutz- großprojekt „Ostrügensche Boddenlandschaft“ im Rahmen des Bundesförderprogramms „Er- richtung und Sicherung schutzwürdiger Teile von Natur und Landschaft mit gesamtstaatlich reprä- sentativer Bedeutung“, das vom ausgegründe- ten Landschaftspflegeverband Ostrügen unter der Geschäftsführung des Verbandsmitgliedes Dr. Bernd Rost als Träger betreut und umgesetzt wurde. Mit diesem Förderprojekt des Bundes wurde nicht nur ein Pflege- und Entwicklungs- plan für das gesamte Projektgebiet, das den größten Teil des Biosphärenreservates Südost- Rüge umfasst, aufgestellt sondern es wurde vor allem eine Reihe praktischer Maßnahmen der Landschaftspflege im Biosphärenreservat reali- siert, so der Rückbau militärischer Altlasten der Sowjetarmee sowie die Renaturierung von Ma- gerrasen auf Klein Zicker und die Renaturierung des Polders am Neuensiener See. Abb. 4: Unter dem Motto „Reif für die Insel“ warb INSU- LA RUGIA mit Veranstaltungen, Flyer und Broschüre für die Seit 1994 engagierte sich INSULA RUGIA über Entwicklung eines Naturparks Rügen. zehn Jahre lang für die Sanierung und Rekon-

Abb. 5: Der Kreidekreis wird seit 1993 als Verbandszeitung für die Mitglieder herausgegeben, a) erste Ausgabe 1993; b) Jubiläumsausgabe 2010/11.

193 Abb. 6: Das RUGIA Rügen-Jahrbuch knüpft an die Tradition des Rügener Heimatkalenders von 1908 an, a) erste Ausgabe von 1993 und b) das Jahrbuch 2015. struktion des Parks Pansevitz, der im Rahmen der Teilnehmer und die Unterstützung der Land- des Fördervorhabens der Allianz-Umweltstif- rätin und des Landes. Doch der Kreistag Rügen tung „Revitalisierung des Naturraumes Duwen- untersagte der Landrätin 2004 per Beschluss beck/Lansengraben“ wiederhergestellt werden mit einer Stimme Mehrheit das Thema Natur- konnte und in Trägerschaft des Vereins mehre- park weiter zu betreiben. re Jahre gepflegt wurde. Mit der Gründung der Stiftung Schlosspark Pansevitz 2007 und der Mit dem parallel betriebenen LEADER+ Projekt Nutzung des Parks als Friedwald wurde eine zur kulturellen Vernetzung und Aufwertung länd- dauerhaft tragfähige Lösung für die Pflege die- licher Parkanlagen auf Rügen konnte auf der ses bedeutenden Denkmals der Parkkultur auf Grundlage einer aktuellen Bestandsaufnahme Rügen gefunden (Abb. 3). dargestellt werden, welch bedeutsames Kultur- erbe ländliche Parkanlagen als ein prägendes Im zweiten Jahrzehnt des Bestehens widmete Element rügenscher Kulturlandschaft darstel- sich der Verein mit regelmäßigen öffentlichen Ver- len. Mit der Gründung des Vereins Parkkultur bandsabenden aktuellen Themen, u. a. zum Zu- Rügen e. V. und Vorschlägen zur kulturellen In- stand und zur Zukunft der Rügener Alleen, zum wertsetzung wurde das Projekt 2005 erfolgreich Kies-und Kreideabbau in sensiblen Landschafts- abgeschlossen. teilen, zur Bodendenkmalpflege, zu Problemen des Natur-und Landschaftsschutzes sowie zur Seit 1993 gibt INSULA RUGIA die Mitglieder­ Frage der kulturellen Identität der Insel Rügen. zeitung „Der KreideKreis“ heraus, von der seither 29 Ausgaben erschienen sind. Zum 20-jährigen 2002 brachte INSULA RUGIA die Schaffung ei- Vereinsjubiläum 2010 wurde eine Jubiläums- nes Naturparks Rügen erneut in die öffentliche ausgabe mit ausführlicher Vereinschronik her- Diskussion und startete mit Förderung aus dem ausgegeben (Abb. 5a b; INSULA RUGIA, 2011). LEADER-Programm das Projekt „Informations- kampagne Naturpark“ (Abb. 4). Die in diesem Das RUGIA Rügen-Jahrbuch wird ebenfalls seit Rahmen durchgeführten Veranstaltungen waren 1993 in Fortführung des 1908 erstmals erschie- von hoher Qualität und fanden großes Interesse nenen Rügener Heimatkalenders mit jährlich ei-

194 ner Ausgabe herausgegeben (Abb. 6ab). Darin Als ein gemeinsames Projekt wurde die Baustil- werden in anspruchsvoller Aufmachung Beiträ- fibel Rügen 2012 überarbeitet und neu heraus- ge zur Heimatgeschichte, Natur und Landschaf- gegeben. Sie dient als Leitfaden für die Pflege ten, Kunst und Kultur, über Persönlichkeiten regionaler Baukultur auf Rügen und insbeson- und Begebenheiten der Insel veröffentlicht. Die dere im Biosphärenreservat Südost-Rügen. Themen sind auf Rügen bezogen, die meisten In einer gemeinsamen Veranstaltung 2013 in Autoren und Gestalter sind auf Rügen beheima- Putbus, die außergewöhnlich breites Interesse tet und die Herstellung erfolgt im Rügen-Druck fand, wurde die Baustilfibel der Öffentlichkeit Putbus. Bisher sind 23 Ausgaben erschienen. vorgestellt. INSULA RUGIA ist für die regelmäßige Heraus- gabe des Rügen-Jahrbuches als sachlich hoch- Gemeinsam organisierte Pilzwanderungen in der wertiges und hervorragend gestaltetes echtes Baaber Heide unter fachkundiger Anleitung der Rügen-Produkt 2013 mit dem Kulturpreis der Pilzberaterin Rosemarie Fock und des INSULA Kulturstiftung Rügen 2012 ausgezeichnet wor- RUGIA Vorstandsmitgliedes Winfried Hocke fin- den (INSULA RUGIA, 2013). den alljährlich breites Interesse bei Teilnehmern und Teilnehmerinnen. Förderverein Auf Grundlage von übereinstimmenden Zielen Seit einigen Jahren ist eine Erweiterung des wurde 2008 zwischen INSULA RUGIA und dem Biosphärenreservates in der Diskussion, um die Biosphärenreservatsamt Südost-Rügen eine nach den Kriterien für UNESCO-Biosphären- Vereinbarung getroffen, um die Entwicklung des reservate erforderliche Mindestgröße des ein- Biosphärenreservates als Modellregion für nach- geschriebenen Gebietes zu erreichen. In diese haltige Entwicklung im Sinne eines Förderverei- Diskussion hat sich auch INSULA RUGIA mit nes zu unterstützen. INSULA RUGIA ist seit der eingebracht und die Vision eines Biosphärenre- Neugründung des Biosphärenbeirates 2009 nicht servates für ganz Rügen entwickelt. Auch wenn stimmberechtigtes Mitglied in diesem Gremium, dieses derzeit noch unrealistisch erscheint und nimmt an den regelmäßigen Beratungen teil und aus pragmatischen Gründen eher ein schrittwei- hat sich aktiv in dir Entwicklung, Diskussion und ses Vorgehen erfolgen wird, so bleibt eine Er- Verabschiedung des neuen Leitbildes für das Bio- weiterung auf ganz Rügen ein Ziel, für das sich sphärenreservatsamt Südost-Rügen eingebracht. INSULA RUGIA auch künftig einsetzen wird, um

Abb. 7: Die Kulturlandschaft um Putbus ist als ein frühes Beispiel nachhaltiger Regionalentwicklung ein historischer Vorläu- fer des heutigen Biosphärenreservates.

195 die im Leitbild für das Biosphärenreservat lie- Doch fast wäre in Berlin alles schiefgegangen genden Potenziale und Chancen für eine dauer- mit dem letzten Beschluss der letzten DDR- haft tragfähige Entwicklung für die ganze Insel Regierung. Aber er gelang – und inhaltlich ge- nutzen zu können (Abb. 7). lang er sogar großartig. Mit einem Hieb holte das ostdeutsche Nationalparkprogramm vieles Literatur nach, was in 40 Jahren versäumt wurde. Welch INSULA RUGIA (1991): Vereinssatzung. 12 S. epochales Ausmaß es hatte, begriffen auch wir INSULA RUGIA (1992): Absichtserklärung. 16 S. freilich erst viel später. Und wir ahnten damals INSULA RUGIA (2011): Jubiläumsausgabe 20 nicht, wie viel Begehrlichkeiten das „Tafelsilber Jahre INSULA RUGIA. Der KreideKreis der Wiedervereinigung“ (Klaus Töpfer) wecken 2010/2011. Zeitung von INSULA RUGIA würde. e. V. Verband zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung der Insel Rügen, Förder- Das Succow-Programm war simpel und aus- verein des Biosphärenreservat Südost-Rü- gewogen. In den Nationalparken (NLP) musste gen. 36 S. man nur loslassen, sich raushalten – mehr nicht. INSULA RUGIA (2013): Der KreideKreis An der raschen Umsetzung bestand kein Zwei- 2012/2013. Zeitung von INSULA RUGIA fel, weil die meisten Flächen der öffentlichen e. V. Verband zum Schutz, zur Pflege und Hand gehörten. Die Begeisterung war groß. Un- zur Entwicklung der Insel Rügen, Förder- ser Verein wuchs in nicht einmal zwei Jahren auf verein des Biosphärenreservat Südost-Rü- über 500 Mitglieder. Voller Enthusiasmus ging gen. 28 S. der Nationalpark-Aufbaustab unter Hartmut Jelen, F. (2000): Zehn Jahre „INSULA RUGIA Sporns an die Arbeit. Selbst die Medien über- e. V.“, Verband zum Schutz, zur Pflege und schlugen sich mit euphorischen Berichten. Wir Entwicklung der Insel Rügen. RUGIA-Jour- hofften auf blühende Landschaften und auf das nal 2000, S. 18-20. Auslaufen bisheriger Nutzungen. Dass dafür Jelen, F. & P. Meissner (2011): Chronik zweier 20 Jahre veranschlagt waren, schien uns völlig Jahrzehnte. Die Ehrenvorsitzenden des übertrieben. Verbandes blicken zurück. Der Kreide- Kreis, Ausgabe 2010/2011, S.16-23. Nun ist diese Frist längst abgelaufen und vieler- Knapp, H. D. (1990): Nationalparke in der DDR. orts werden die Erfolge bejubelt. Und in der Tat, Bausteine für ein gemeinsames europäi- es gibt große Fortschritte. Das Militär zog sich sches Haus. Nationalpark 67 (2): S. 4-9. aus der Boddenlandschaft zurück. Bevor die Knapp, H. D. (2001): Das Nationalparkpro- Natur wieder das Kommando über­nahm wurden gramm der DDR. In: Succow, M. Jeschke, Tausende Tonnen Stachel­­draht, Beton, Asbest L. & Knapp H. D.: Die Krise als Chance – und Munition entsorgt.­ Überall fanden intensive Naturschutz in neuer Dimension, Neuen- industrielle Landwirtschaft, Fischerei und Holz- hagen, S. 35-56. produktion ein jähes Ende. Ihre schlimmsten Fol- gen wurden beseitigt oder erheblich gemindert, Gräben zugeschüttet, Deiche geschleift, Ställe 25 JAHRE BERG- UND TALFAHRT – und Silos abgerissen, moderne Klärwerke errich- DER FÖRDERVEREIN NATIONALPARK tet und Straßen zurückgebaut. Seither füllen sich Brüche und Moore mit Wasser, Schilfgürtel brei- BODDENLANDSCHAFT ten sich aus, Vogelbestände erholen sich. Jan Baginski Mühsam erkämpfte Erfolge Am Abend bevor die D-Mark kam, am 30. Juni Auch dass neue Eingriffe, etwa der Bau gigan- 1990, gründeten wir in der Ahrenshooper Kir- tischer Schiffswerften und Marinas oder die che den Förderverein Nationalpark Boddenland- Errich­tung von Bettenburgen, Golfplätzen und schaft. Das Schutzgebiet existierte noch gar Kraftwerken, unterbunden werden konnten, nicht, zeichnete sich aber genauso deutlich ab muss dem Schutzgebiet (und seinem Verein) als wie die deutsche Einheit. Dass eine solche Perle Erfolg zugerechnet werden. Ebenfalls großartig: der Natur im neuen Deutschland nicht nur eine Im Nationalpark entstand ein weitverzweigtes staatliche Verwaltung, sondern auch einen „po- Wege- und Informationssystem.­ Es führt Be- litischen“ Verein brauchen würde – das wussten sucher durch empfindliche Lebensräume,­ ohne die Westdeutschen, die bei der Ausweisung der diese zu zerstören. Informationszentren und Parke im Osten halfen, aus leidvoller Erfahrung. Veranstaltungen bieten Erlebnisse und Wissen Und so kam es, dass wir der Gründung des Nati- für alle Zielgruppen, eine hauptamtliche Wacht onalparks zweieinhalb Monate voraus waren. betreut die Gebiete.

196 Zum Fazit gehört weiterhin, dass der an die und Buchstaben der Nationalparkverordnung Wand gemalte Zusammenbruch der Natur und stand in der Boddenlandschaft der Umgang des Tourismus ausblieb. Im Gegenteil: In der mit dem Wald. Mehrere Jahre fand natürliche Boddenregion schlägt ein klarer Wettbewerbs- Verjüngung größtenteils nur hinter teuren Zäu- vorteil zu Buche. Das zweifeln auch die Touristi- nen statt. Es wurde gegärtnert und geerntet, ker nicht mehr an (siehe Beitrag von Bärwald et Windbruch aufgearbeitet, Totholz verheizt, der al. in diesem Band). Boden erst verdichtet und dann umgepflügt, in Reih und Glied gepflanzt und der Wasserhaus- Lange Durststrecke halt reguliert. Selbst in vielen Wirtschaftswäl- EU, Bund und Land haben in den zwei Jahrzehn- dern herrschte mehr Zurückhaltung. Forstleute ten große Summen in die Schutzgebiete und ihre in Mecklenburg-Vorpommern schämten sich, Infrastruktur investiert. Dennoch: Die Tinte unter dass dieser ökologisch so kostbare Teil des dem gefeierten Testament der DDR war noch gar Landeswalds nicht einmal die FSC-Kriterien er- nicht trocken, da drohte bereits die Leichenfled- füllte und 2009 im BUND-Schwarzbuch Wald als derei. Beim Aufbau Ost vergeudeten Bundes- schlechtes Beispiel auftauchte (BUND 2009). und Landesbehörden nicht nur eigene personel- le Ressourcen. Sie versenkten auch erhebliche Auch die Jagd ging in der Boddenlandschaft Steuergelder, vergraulten Fachleute, verschleu- komplett gegen den Baum. Wie zuvor wurde derten das Potenzial vieler Ehrenamtlicher und das Wild gemästet, der Wald mit Hochsitzen beerdigten eine Reihe guter Ideen. möbliert und eine konservative Trophäenjagd betrieben. Die Reduzierung der Wildbestände Besonders fragwürdig ging die Bundesrepublik auf ein natürliches Maß war so unmöglich. in den Schutzgebieten mit den ererbten Grund- stücken um. Möglichst gewinnbringend sollten Neue Hoffnung keimt sie den Besitzer wechseln. Treuhandanstalt Es brauchte 20 Jahre, bis die Boddenlandschaft und Bundesfinanzministerium wollten das eben ihre zweite Wende erlebte. 2010 übernahm Ul- noch gefeierte Tafelsilber versilbern. Auch in der rich Meßner die kommissarische Leitung des Boddenlandschaft wurden Wiesen und Äcker Nationalparks und entrümpelte das Amt kräftig. verkauft. Ein Ausstellungshaus am empfindli- Er stellte bereits viele Weichen neu, bevor er den chen Boddenufer konnte der Förderverein nur Staffelstab im Juli 2011 an Gernot Haffner über- durch eigenen Erwerb vor der Privatisierung ret- gab. Seither hat sich fast alles verändert, und ten. Teile des Küstenwaldes sowie der sensiblen zwar ausschließlich zum Positiven. Vor allem Dünen wurden jedoch trotz aller Warnungen an Stil und Richtung. Ziel der Nationalpark-Ent- einen Campingplatz verpachtet. Das Verteidi- wicklung sind nun wieder echte Nationalpark- gungsministerium ließ sich erst nach mehrjäh- Ziele. Viele Gräben wurden zugeschüttet – in rigen Dauerdemonstrationen davon abhalten, der Landschaft, wie in der Gesellschaft. In der auf Mitteleuropas größtem Kranichrastplatz mit ganzen Region hat sich das Klima dramatisch Flugabwehr-Raketen zu schießen. Nach zahlrei- verbessert. Konfrontationen wurden ab- und chen Protesten und zähen Verhandlungen lenk- Kooperationen aufgebaut. Neue Projekte reifen te der Bund am Ende auch beim Verkauf ein. und neue Perspektiven geben Gemeinden, Tou- Inzwischen übertrug er überall viele Flächen an ristikern und Vereinen neue Energie. die Länder. Mecklenburg-Vorpommern kam da- bei besonders gut weg und auch die Bodden- Landwirtschafts- und Umweltminister Dr. Till landschaft profitierte. Backhaus unterstützt die neue Linie. 2012 un- terzeichnete er nach jahrelangem Ringen zwi- Wie die Axt im Walde schen Jagd- und Naturschutzverbänden eine Statt nachhaltige Lösungen für alternative Er- neue Regelung für das Wildmanagement in den werbsquellen zu fördern, machten Bund und Nationalparken. Sie ist noch immer ein Kom- Land in der Boddenlandschaft immer wieder promiss, aber durchaus ein beachtlicher Fort- Zugeständnisse an Landwirte, Fischer und Ang- schritt. Und erst unlängst erklärte der Minister ler, verlängerten alte Genehmigungen und be- öffentlich, dass die Waldbehandlung in der Bod- willigten neue Ausnahmen. Erst unlängst brach denlandschaft 2017 endgültig endet. die Landesregierung von Mecklenburg-Vor- pommern ihr Wort und ließ inmitten der Kern- Von der Nutzungsfreiheit auf 75 Prozent der zone des Nationalparks Vorpommersche Bod- Fläche sind wir nach der »Übergangszeit« al- denlandschaft die bereits komplett versandete lerdings immer noch Lichtjahre entfernt. Vor al- Zufahrt zum Nothafen Darßer Ort ausbaggern. lem auf dem Wasser darf Natur nur selten Natur In unverzeihlich krassem Widerspruch zu Geist sein. Größtes Problem ist – neben den immer

197 wieder verlängerten Fischereirechten in der Beide Ereignisse machen alljährlich tausende Kernzone – der Nothafen Darßer Ort. Doch in- Menschen mit der Wildnis zwischen Ostsee und zwischen scheint der Bau eines Ersatzhafens so Bodden bekannt. wahrscheinlich wie lange nicht. In Planung sind Wir veranstalten Seminare, bieten Exkursionen auch zwei große Ausdeichungsvorhaben auf an und bestreiten umfangreiche Bildungspro- dem Darß. Sie würden die natürliche Dynamik gramme für Reisegruppen mehrerer Reisever- in den so kostbaren Übergangsbereichen zwi- anstalter. Wir geben Informationsmaterial heraus schen Wasser und Land deutlich verbessern. und stellen viel Wissenswertes auf unsere Inter- netseite. Die erfolgreiche Broschüre „Das silber- Problematisch ist die Ausstattung mit Personal ne Fischbesteck“ haben wir 60 000 Mal abge- und Finanzen. Zu wirkungsvoller Öffentlichkeits­ setzt und bringen sie 2015 als Bildband heraus. arbeit und Umweltbildung­ sowie effektiver Naturwachtarbeit ist die Verwaltung des NLP Mit dem MeeresBürger-Projekt konnte der Ver- Vorpommersche Boddenlandschaft nur noch ein über 50 Umweltbildungseinrichtungen an teilweise in der Lage. Nord- und Ostsee vernetzen. Und mit der Dar- ßer Arche hat der Förderverein das zentrale Na- Werbung für das Loslassen tionalparkhaus konzipiert, zusammen mit zwei So gern wir in diesem Jahr auch die Erfolge des Gemeinden aufgebaut und zum Teil auch betrie- Nationalparks feiern, wenn wir ehrlich sind, dann ben. Dort veranstalten wir das Darßer Naturfilm- müssen wir zugeben, dass sich die Idee eines festival und vergeben den Deutschen Naturfilm- konsequenten Prozessschutzes keineswegs preis (siehe Kasten auf Seite 199) Das Festival durchgesetzt hat. Viele Deutsche wissen zwar, ist unser derzeit größtes Projekt. Wir wollen es dass man in der Schutzregion prima Urlaub weiter ausbauen und weiter in den Dienst der machen kann. Dass wir hier nicht „aufräumen“, Nationalpark-Idee stellen. Gemeinsam mit der sondern die Natur ohne Wenn und Aber in ihre Gemeinde Wieck planen wir dafür sogar die Ar- angestammten Rechte setzen, haben nur weni- che auszubauen und u. a. ein hochmodernes ge verstanden. Wie auch – wo sie doch oft das Naturfilmkino einzurichten. Gegenteil erleben müssen. Selbst überzeugte Naturschützer kennen bisweilen den gravieren- Rechnet man alle eigenen und die aktivierten den Unterschied zwischen Naturpark und Nati- Drittmittel auf, dann kommen einige Millionen onalpark nicht. Und auch einige Mitarbeiter in zusammen. Dabei schöpfen wir keineswegs aus Naturschutzbehörden bemessen den Wert eines dem Vollen. Wie die meisten Vereine können Gebietes durchaus nach der Anzahl der Arten. wir von einer finanziellen Grundausstattung nur Den meisten Menschen konnten wir noch nicht träumen. Ein Teil unserer Energie fließt deshalb nahebringen, dass Nationalparke keine Zustän- in die Mittelakquise, in Bürokratie und aufwän- de bewahren, keine Tiere und Pflanzen hegen dige Sponsorensuche. Umso ärgerlicher, dass oder Landschaftsbilder pflegen. wir kommunale und staatliche Instanzen viele Jahre lang mit großem Energieaufwand an die Das Prinzip Natur Natur sein lassen erklären, zu Erfüllung der Nationalpark-Ziele erinnern muss- werben für das Los-Lassen, das Stehen-und- ten. Ihr Umgang mit den Ehrenamtlichen war Liegen-lassen, das Entstehen- und Vergehen- bisweilen grenzwertig. Oft konnte von Beteili- lassen, das Dasein- und Sein-lassen, für das gung oder gar Würdigung keine Rede sein. In-Frieden- und Zeit-lassen – das hat unser Verein von Anfang an als zentrale Aufgabe für Doch inzwischen zeichnet sich auf allen Gebie- sich angenommen. Und so stand die emotio- ten (außer den finanziellen) eine Besserung ab. nale Umweltbildung für uns von Anfang an im Die Landespolitik nimmt das Thema Nationalpark Vordergrund. Dafür arbeiten wir mit Ämtern, ernst. Die Amtsleitung vor Ort sowieso. Mit den Kurverwaltungen, Naturerlebniseinrichtungen, meisten Akteuren in der Region gibt es mindes- Verbänden und vielen Initiativen zusammen. Der tens ein entspanntes, mit vielen sogar ein koope- Verein hat Ranger und ihre Ausrüstung finan- ratives Verhältnis. So kann aus der Boddenland- ziert, Bohlenstege und wissenschaftliche Ar- schaft womöglich in den nächsten zehn Jahren beiten bezahlt, diverse Ausstellungen und viele doch noch ein echter Nationalpark werden, eine Infomaterialien bezuschusst, ein Ausstellungs- Region, in der wir allein der Natur die Regie über- haus gekauft, diverse Bildungsprojekte ermög- lassen und alle sehr gut damit leben können. licht, Ferngläser und Fachbücher angeschafft, öffentlichkeitswirksame Benefizkonzerte ver- Literatur anstaltet. Wir haben den Darß-Marathon und BUND (2009): BUND-Schwarzbuch Wald.- Ber- den Ostsee-Staffelmarathon ins Leben gerufen. lin, 56 S.

198 FILMFEST, SEMINAR UND FAMILIENTREFFEN Annett Storm

Seit dem Herbst 2005 kommt der Deutsche Naturfilmpreis aus dem Nationalpark Vorpom- mersche Boddenlandschaft. Deutschlands höchste Ehrung für Naturfilmer lockt alljährlich Redakteure und Filmemacher, Filmfans und Politiker ins norddeutsche Idyll. Und stets stim- men Tausende Kraniche und Dutzende Hirsche in den Jubel ein, wenn das Darßer Naturfilm- Festival zum Meinungsaustausch auf die Ostseehalbinsel lädt. Was 2005 bescheiden anfing, kann sich heu- te sehen lassen. Das kleine aber feine Fes- tival gehört inzwischen zu den „Big Four“ in Mecklenburg-Vorpommern. Neben dem Schweriner Filmkunstfest MV, dem Rosto- cker FiSH und der Neubrandenburger do- kumentART haben sich die Darßer in der Film- und Fernsehbranche bundesweit einen Namen gemacht. „Wir sind in den Kalendern vieler Journalisten eine feste Größe“ weiß Festivalleiter Kai Lüdeke. „Autoren, Regis- seure, Redakteure, Kameraleute, Produzen- ten, Medienwissenschaftler – immer mehr Abb. 8: Zuschauer genießen in entspannter Atmosphäre Fachleute nutzen die Möglichkeiten, bei uns die neuen Film-Produktionen. Kontakt zu knüpfen oder zu pflegen.“

Abb. 9: Filmgespräche im Anschluss an die Vorführungen gewähren spannende Einblicke hinter die Kulissen der Produktionen.

Dabei geht fernab der großen Sender alles herrlich ungezwungen und gelassen zu. Die Fachleute genießen diese familiäre Atmosphäre und den Ausbruch aus dem ganz normalen Trubel (Abb. 8). So gehören Filmgespräche, Exkursionen und der allabendliche Abspann bei Wein und Bier selbstverständlich zum Programm. „Diese Mischung aus Urlaub, Guckfest, Seminar und Familientreffen ist schon einmalig“ sagt der Autor und Journalist Volker Arzt, der das Festival regelmäßig besucht. Offene Foren beschäftigen sich mit digitalen Medien, mit neuer Filmtechnik sowie mit Aktu- ellem aus Natur- und Umweltschutz. Impulsvorträge beleuchten Trends, die anschließend in großer Runde diskutiert werden. Zu den Referenten gehören renommierte Film- und Natur- schutzfachleute (Abb. 9).

199 Einen Schwerpunkt des Festivals bildet die Nachwuchsförderung. So wird in Kooperation mit der Heinz Sielmann Stiftung der CAMäleon Jugendfilmpreis auf dem Festival verliehen. An dem bundesweiten Wettbewerb nehmen Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren teil. Die Nominierten erhalten nicht nur ein Ticket zum Festival. Sie können dort in einem speziellen Seminar auch von erfahrenen Kollegen lernen. Bereits im Sommer organisieren die Festival- macher ein Naturfilmcamp auf dem Darß. Dann probieren sich junge Talente zwischen 12 und 15 unter Anleitung von Medienexperten hinter der Kamera aus. Eingebunden sind auch die Schulen der Region. In speziellen Vorstellungen erleben sie aktuelle Naturfilmproduktio- nen und kommen in Kontakt mit den Filmemachern.

Kern des Festivals bleiben natürlich die 14 nominierten Streifen für den Deutschen Natur- filmpreis. Im Anschluss an die Vorführungen erfahren die Festivalbesucher in moderierten Gesprächen mehr über die Arbeit der Filmemacher. Aber auch Kritik und Anregungen sind erwünscht. Dieser direkte Draht zum Publikum wird von der Branche sehr geschätzt. Nicht selten öffnet der rege Austausch neue Perspektiven – auf beiden Seiten. Außerdem laufen in mehreren Orten auf Fischland-Darß-Zingst rund 30 weitere Filme. Ak- tuelle Produktionen aus Mecklenburg-Vorpommern sind in einem NDR-Spezial zu sehen. Höhepunkt des Festivals ist natürlich die Verleihung des Deutschen Naturfilmpreises. Die Hauptpreise für „Wildnis Natur“ und für „Mensch und Natur“ sind jeweils mit 7.500 Euro dotiert (Abb. 10). Seit mehreren Jahren ist Mecklenburg-Vorpommerns Minister für Land- wirtschaft und Umwelt, Dr. Till Backhaus, Schirmherr des Festivals.

Über den Sieger entscheidet zusammen mit dem Publikum eine fünfköpfige Jury, deren Besetzung jedes Jahr wechselt. 2014 gehörten ihr der BUND-Vorsitzende Prof. Dr. Hubert Weiger an, die Wissenschaftsredakteurin Claudia Sewig vom Hamburger Abendblatt, die Naturschutz- und Stiftungsexpertin Kathrin Succow sowie die mehrfach ausgezeichneten Natur- und Tierfilmer Jürgen Eichinger und Oliver Goetzl.

Mittlerweile können Besucher aber auch außerhalb der fünf Festivaltage Naturkino auf der Leinwand erleben. In der von Mai bis Oktober stattfindenden Reihe „Kulinarisches Kino“ werden einmal im Monat regionale Bio-Köstlichkeiten vom Hotel Haferland mit aktuellen Natur– und Umweltfilmen kombiniert. Im letzten Jahr waren fast alle Gaumenkinos in der Darßer Arche ausverkauft. Außerdem ist das Festival bei vielen anderen Veranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern präsent. Ausbauen wollen die Organisatoren die Kooperation mit den anderes Festivals und Filmnetz- werken des Landes. Für die Zukunft ist sogar der Neubau eines modernen Na- turfilmkinos geplant.

Gefördert wird das Festival durch das Land Mecklenburg-Vorpommern, durch die Gemeinden Born, Wieck, Prerow und Zingst sowie durch Stiftungen und Vereine. Unterstützt wird es zudem vom NDR, von MV1, von der Ostsee-Zeitung und weiteren Medien. Veranstalter ist der Förderverein Nationalpark Bodden­ landschaft, Organisator seine Tochterge- sellschaft, die ArcheNatura gGmbH. Ein erheblicher Teil der Organisation und der Durchführung wird von Mitgliedern des Vereins ehrenamtlich geleistet. Abb. 10: Seit 2008 wird auf dem Darßer Naturfilmfestival der Deutsche Naturfilmpreis verliehen. Preisträger des 10. Festi- vals 2014 waren (von links nach rechts): Angelika Sigl, Britta Kiesewetter, Tom Synatzschke, Beatrix Stoepel, Joachim Hinz und Maximilian M. Mönch.

200 Abb. 11: Vereinsmitglieder bei der Pflege eines Magerrasenbiotops am Kreidemuseum.

DER VEREIN stützung heute vor allem auf den finanziellen, DER FREUNDE UND FÖRDERER fachlichen und ideellen Bereich. So wurden von Beginn an die Kosten für Informationsmaterial DES NATIONALPARKS JASMUND wie Faltblätter, Broschüren und Plakate teilwei- Manfred Kutscher se komplett übernommen. Diese Unterstützung erfolgte und erfolgt auch bei der Beschaffung Der Verein der Freunde und Förderer des Na- von Bürotechnik und Geräten/Werkzeugen. tionalparks Jasmund e. V. wurde am 7. März 1991 während einer Veranstaltung zum Thema Ideelle Unterstützung hat der Verein bei der Ver- „Nationalpark“ im Sitzungssaal des Rathauses hinderung der Ansiedlung der Meyer-Werft (wo- Sassnitz gegründet. Ein halbes Jahr sollte es bei der Nationalpark davon nicht unmittelbar noch dauern, bis am 27. August 1991 die - betroffen wäre) und vor allem im Rahmen der gerichtliche Anerkennung erfolgte. Seit vielen Probleme um den massiven und rücksichtslo- Jahren verzeichnet der Verein mit etwa 80 Mit- sen Bucheneinschlag im Jahr 1995 geleistet. Im gliedern einen annähernd stabilen Mitglieder- Ergebnis dieser Proteste wurde im Januar 1996 stand. Die Satzung des gemeinnützigen Vereins eine Neuordnung und Umstrukturierung der beinhaltet die materielle, finanzielle, ideelle und Forst- und Nationalparkämter vorgenommen. manuelle Unterstützung der Verwaltung bei der Durchsetzung des Schutzzweckes. Bereits seit 1992 gibt der Verein jährlich ein bis zwei mehrseitige Mitteilungsblätter heraus (der- Ein hohes Durchschnittsalter und die Tatsache, zeit sind es 44 Ausgaben), die den National- dass nur etwa 20 Prozent der Mitglieder in der park und die Vereinsarbeit zum Thema haben. Region Rügen/Stralsund ihren Wohnsitz haben, Besonders „wertvoll“ sind alle fünf Jahre die wirken sich nicht gerade günstig auf die prakti- Jubiläumshefte, die ein mehrseitiges Kalenda- sche Arbeit des Vereins aus. Aus diesem Grund rium enthalten, in welchem die wichtigsten Er- hält sich die manuelle Unterstützung in Grenzen. eignisse und Aktivitäten der letzten fünf Jahre Waren in den Anfangsjahren noch Aktivitäten chronologisch aufgelistet sind. Wer weiß nach wie der Transport von Bauholz im unwegsamen 20 Jahren noch, wann welche Bauruine zurück- Gelände oder Pflegemaßnahmen in den Kreide- gebaut, welche Infotafel errichtet oder welcher brüchen möglich, so erstreckt sich die Unter- Wanderweg neu ausgebaut wurde.

201 Die Arbeit eines Vereins kann nur so gut sein, wollen. Entscheidungen, die sich in beiden Fäl- wie es die Zusammenarbeit mit der Verwaltung len als richtig erwiesen. des Schutzgebietes gestattet. Immerhin verfügt diese über Informationen der übergeordneten Die Mitarbeiter der Verwaltung, die auch Ver- Instanzen, ohne deren Kenntnis Aktivitäten ei- einsmitglieder sind, brachten sehr zeitig eine nes Vereins wenig hilfreich oder sogar kontra- Erfahrung aus dem Umgang mit Parkbesuchern produktiv sein können. Alleingänge eines Ver- ein, die verkürzt lautet: „Man muss die erste Fra- eins bedeuten oft nicht nur eine Sprachlosigkeit ge beantworten können, sonst hat man schlech- zwischen den Partnern, sondern ein direktes te Karten.“ Ein Parkbesucher der im Verbotsbe- Gegeneinander. Leidtragender ist immer das reich parkend angesprochen wird, möchte eine Schutzgebiet. machbare Alternative angeboten bekommen. Neben dem Bemühen, einen seit über 200 Jah- Von 1996 bis 2010 war wegen der unverständ- ren landschaftsgestaltenden Industriezweig zu lichen personellen Entscheidung seitens der präsentieren, war dieser Alternativgedanke der Dienstherren eine Zusammenarbeit mit der Lei- Grund, im direkten Vorfeld der Bergbaukultur- tung des Nationalparks nicht möglich, wurde landschaft im Westteil des Nationalparks ein sogar massiv behindert. So konnte es lediglich Kreidemuseum zu errichten. Die Kombination mit den Mitarbeitern der „unteren Ebene“ einen mit gepachteten und gepflegten Magerrasen- Gedankenaustausch und finanzielle Unterstüt- Kleinflächen im nahen Umfeld des Museums zung für Projekte wie Naturerlebniscamp und (Abb. 11) erlaubt es, Fragen zur Schreibkreide ähnliches geben. und der Trockenrasen-Vegetation, speziell der Orchideen, ausreichend zu beantworten und Im Jahr 2006 wurde der Nationalpark Jasmund dadurch den Druck auf den FFH-Typ Kalkma- aus dem nicht glücklichen, bereits 1996 ge- ger- und -trockenrasen im Park zu reduzieren. schaffenen Nationalparkamt Rügen, zu dem Um das zu erreichen, wurde die Vereinssatzung auch das flächenmäßig viel größere Biosphä- um das Betreiben eines Museums und Natur- renreservat Südost-Rügen gehörte, herausge- lehrpfades erweitert. Der Verein ging mit diesem löst und nun, zusammen mit dem Nationalpark Vorhaben an seine personellen und finanziellen Vorpommersche Boddenlandschaft zum Natio- Grenzen (Abb. 12). Mit dem Museum ergibt sich nalparkamt Vorpommern vereinigt. Beide Male für die Öffentlichkeitsarbeit des Amtes eine gute hat sich die Vereinsleitung entschieden, nur im Möglichkeit bestimmte theoretische Aussagen Sinne des Nationalparks Jasmund handeln zu praktisch und informativ nahe zu bringen.

Das Kreidemuseum Gummanz – ein Projekt des Fördervereins Nationalpark Jasmund e. V. Alles begann mit der Planung des Baus einer Hotelanlage im Vorfeld des Nationalparks Jasmund bei Gummanz und der Sicherstellung einer Kreidelore. Im Jahr 1 des neuen Nati- onalparks war jemand dabei, eine Lore aus der Zeit um 1950 in einem, im Nationalpark liegenden Kreidebruch auszugraben. Die Ranger bargen die Lore, die dann einen Platz auf dem Gelände der Verwaltung am Königs- stuhl fand. Mitte der 1990iger Jahre plante ein Investor in Neddesitz eine Hotelanlage. Als Anlieger wurde auch die Nationalpark-Verwaltung in die Überlegungen einbezogen und äußerte Bedenken bezüglich der Größe der Anlage und ihren Einfluss auf das ehemalige Natur- schutzgebiet „Quoltitzer Kreidebrüche“. Im Ergebnis der Beratungen wurde die Betten- zahl reduziert und eine größere Geldsumme Abb. 12: Blick vom Kleinen Königsstuhl auf die restau- für die Anstellung von Rangern vorgesehen. rierte und jüngst erweiterte historische Werkhalle des Das Geld wurde dem Förderverein überge- alten Kreidewerks Gummanz im November 2014. ben, der statt der Ranger mit Arbeitern einer

202 Beschäftigungsgesellschaft einen Kreide- und Naturlehrpfad zwischen dem ehemali- gen Gutshaus und der Nationalparkgrenze errichtete. Den Denkanstoß lieferte die alte Kreidelore, die zu der Überlegung führte, ob nicht noch mehr Gerätschaften aus der historischen, die Jasmunder Landschaft teil- weise prägenden, Kreideindustrie zu finden sind. Alle im Freigelände des jetzigen Krei- demuseums gezeigten Geräte wurden aus den Jasmunder Kreidebrüchen geborgen Abb. 13: Eingangsbereich des historischen Werkgebäu- und aufgearbeitet. des, das nach der Erweiterung 2014 heute das Kreide- museum in Gummanz beherbergt. Der Kreide- und Naturlehrpfad, der bis zum 126 Meter hohen „Kleinen Königsstuhl“ führt, wurde 1998 eröffnet. Die Gerätschaf- ten waren auf einer Freifläche zwischen einem völlig maroden, dachlosen Werkge- bäude ausgestellt, dass vor 1910 gebaut, damals dreimal so groß war. Dem Investor gefiel die Idee mit dem Lehrpfad so gut, dass er dem Förderverein den Kauf des Ge- bäudes und einer Teilfläche anbot. Da sich so die Chance ergab, in einem festen Ge- bäude Informationen mit Exponaten zu ge- ben, die im Freien nicht präsentiert werden können, erwarb der Förderverein Gebäude Abb. 14: Blick in die neuen Ausstellungsräume des Krei- und Grundstück und führte eine erste Sanie- demuseums Gummanz. rung mit eigenen Mitteln durch. Gleichzeitig wurde ein Förderantrag über die Euroregion gestellt, der 2003 positiv beschieden wurde. Mit EU-, Landes- und Eigenmit- teln konnte von September 2003 bis Juli 2005 eine Ausstellung konzipiert und umgesetzt werden, die sowohl den Kreideabbau, ihre Aufbereitung und Nutzung von 1832 bis heute, wie auch die Kreidegeologie, ihre Fossilien und auch die versteinerten Hinterlassenschaften der Eiszeiten auf etwa 240 Quadratmeter Fläche zeigt. Dabei fiel auch noch ein Raum ab, der mit mehreren Mikroskop-Arbeitsplätzen und einem Materialfundus Möglichkeiten zum Entdecken und Forschen schuf.

Trotz positiver Reaktionen seitens der Gäste zeigten sich schon bald die Schwächen dieser Ausstellung: zu klein bei jährlich etwa 18 000 Besuchern, sich gegenseitig störende Tonstatio- nen und teilweise unglückliche Präsentation der Informationen. Durch einen Erweiterungsbau sollte eine Entzerrung der Tonstationen erreicht, mehr Raum geschaffen und ein weitgehend neues Konzept bei Einfügung weiterer Ausstellungsstücke umgesetzt werden. Bis zum Jahr 2013 war der Förderverein Träger und Bewirtschafter des Museums. Seit 2013 betreibt eine gemeinnützige GmbH das Museum. Der Förderverein ist nun der Gesellschafter.

Ein Förderantrag für einen Museumsanbau von etwa 140 Quadratmeter wurde im Septem- ber 2013 positiv beschieden. Zur Saison im Mai 2014 fand die feierliche Eröffnung der neuen Ausstellung statt (Abb. 13). In dieser sind bei Übernahme, aber Neuplatzierung und didakti- scher Verbesserung der alten Ausstellung auch neue Themen wirkungsvoll umgesetzt wor- den (Abb. 14). Dazu gehören u. a. der Einfluss der Eiszeiten auf die Landschaftsentwick- lung, die Entstehung der Insel Rügen und die Küstenerosion. Um die Störungen durch die ehemaligen Tonstationen zu beseitigen wurde ein separater Kinoraum eingerichtet und die Stationen mit Kopfhörern versehen. Der Förderverein gab in hohem Maße fachliche und partiell finanzielle Unterstützung zu die- sem Vorhaben.

203 Abb. 15: Besuch im Geocenter Møn, Vereinsmitglieder hören Erläuterungen vom Chef Nils Natorp.

Gebietsübergreifende Aktivitäten des Vereins im Nationalparkamt Vorpommern und dem De- waren vor allem die themenbezogene Unter- zernat, das für Jasmund zuständig ist, sehr ver- stützung der Gestaltung des Museums im Nati- bessert. Da das Museums seit 2013 auch nicht onalpark an der polnischen Ostseeküste, mehr durch den Verein, sondern eine gemein- mit dem am 26. April 2000 ein Partnerschafts- nützige GmbH betrieben wird und der Verein vertrag abgeschlossen wurde. Darauf basierten nur noch als Gesellschafter auftritt, kann dieser mehrere gegenseitige Erfahrungsaustausche sich nun wieder (und von den Mitgliedern gefor- und andere Aktivitäten. Im Rahmen der Bemü- dert) stärker seiner Kernaufgabe, dem National- hungen um die Erweiterung des Museums wur- park zuwenden. Und das nicht nur wegen des den zu beiderseitigem Nutzen engere Kontakte 25-jährigen Jubiläums. in die Region /Polen und vor allem zu „Rügens kleiner Schwester“, der Insel Møn/Dä- nemark geknüpft (Abb. 15).

Da die Vereinsmitglieder über die ganze Bun- desrepublik verstreut wohnen, ist es für die meisten nicht zumutbar, wegen einer dreistün- digen Jahreshauptversammlung den Weg nach Sassnitz anzutreten. Deshalb werden mindes- tens alle drei Jahre, wenn die Wahl des neuen Vorstandes und die Jahreshauptversammlung zusammenfallen, die Tagungen auf zwei bis drei Tage ausgedehnt, an anderen Orten und mit entsprechendem Programm durchgeführt.

Die oben erwähnte ungünstige Situation bei der Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Ver- ein hat sich mit den personellen Veränderungen

204 Von Anfang an: Der WWF begleitet die Ostsee-Nationalparke Jochen Lamp

Der WWF Deutschland hat die Ostseenati- Im Frühjahr 1991 wurde dann das Ostseebüro onalparke bereits bei der Vorbereitung ihrer des WWF in Stralsund eingerichtet – mit dem Gründung unterstützt, wobei sich seine Rolle eindeutigen Arbeitsschwerpunkt, die National- im Laufe der Entwicklungen deutlich gewan- parke zu fördern. Das WWF Büro übernahm in delt hat. Zunächst stand die Bereitstellung von den ersten 25 Jahren verschiedene Rollen, um technischer Ausstattung für den Nationalpark- die Nationalparke zu einem festen Bestandteil Aufbaustab und die Herstellung von Kontakten der Ostseeregion zu machen: Als Vermittler, als zu nationalen und internationalen Nationalpark- Wächter über Standards, als Antreiber bei Neu- Fachleuten und Naturschutzorganisationen im erungen, als Schutzschild bei konfliktreichen Si- Vordergrund. Später bestand das Engagement tuationen und als Partner im Alltag. des WWF sowohl in der Rolle als Mahner für die Einhaltung von internationalen Naturschutzstan- dards als auch in praktischer Hilfe bei Projekten DIE ANFANGSJAHRE: DIE und Initiativen. Bis heute begleitet der WWF die NATIONALPARKE ETABLIEREN SICH Nationalparke im Alltag und fördert nachdrück- lich ihre Entwicklung als identitätsstiftende Aus- Neben einem generellen Engagement des hängeschilder des Naturschutzes und der Küs- WWF für Nationalparke in Deutschland lag ein tenregion Mecklenburg-Vorpommerns. Schwerpunkt der Naturschutzarbeit schon seit langem auf der Küstenregion. Bereits Ende der 1970er Jahre unterstützte der WWF die Bemü- HILFE IN DER ENTSTEHUNGSPHASE hungen, im Wattenmeer Nationalparke einzu- richten. Dies gelang auch Mitte der 1980er Jah- Bereits als sich abzeichnete, dass in Ostdeutsch- re in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und land ein Nationalparkprogramm entstehen wür- zuletzt im Hamburger Abschnitt des Watten- de, hat der WWF sich in die Arbeit eingebracht meeres. So konnten mit der Küsten- und Mee- und praktische Unterstützung geleistet, indem resspezifik wichtige Erfahrungen gesammelt er zunächst ein Fahrzeug für Hans-Dieter Knapp werden, die in der einzigartigen Wendesituation zur Verfügung stellte, mit dem die immense direkt in die Entwicklung der neuen Schutzge- Reisetätigkeit zwischen den Schutzgebieten, biete eingebracht wurden. Die Erfahrungen in der Hauptstadt und verschiedenen Akteuren der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit wurden überhaupt erst möglich war. Gleichzeitig haben genutzt, um das für alle Seiten noch vage Kon- die WWF-Kollegen, die bisher den Aufbau der zept von Nationalparken in der Praxis bei Medi- Küstennationalparke im Wattenmeer Mitte der en und Bevölkerung bekannter zu machen. 1980er Jahre begleitet hatten, in der Vorphase Der jahrelange Umgang mit dem bundesdeut- der Nationalparkgründung mit Ratschlägen und schen Rechtssystem half, die jungen Natio- Konzepten geholfen, um bereits bei den Grund- nalparkverwaltungen auf mögliche Fallstricke strukturen wie Gesetzen und Verordnungen so- hinzuweisen, worüber bei der Einrichtung der wie dem Zuschnitt von Verwaltungen konkrete Wattenmeernationalparke – die dortigen Ver- Praxiserfahrungen mit einzubringen. waltungen schon gestolpert waren.

Schon 1990 wurde – noch von Hamburg aus Der Umgang mit Nutzergruppen und Investo- – ein Mitarbeiter eingestellt, um den Stab der ren, die nun in Goldgräber-Stimmung die Ost- jungen Nationalparkverwaltungen mit prakti- seeküste erschließen und sich die besten Plätze schen Tipps und Hilfestellungen zu unterstüt- in unberührter Natur sichern wollten, war den zen und die einmalige Chance zu verwirklichen. WWF-Naturschützern geläufig. Es waren teil-

205 weise dieselben Gruppen, Organisationen oder auch Einzelpersonen, mit denen man schon an der Nordsee jahrelang um naturschutzgerechte Regelungen für den Bootsverkehr oder um die Freihaltung von Schutzzonen von touristischen Anlagen gerungen hatte. Durch sein internatio- nales Netzwerk konnte der WWF zugleich po- sitive Erfahrungen aus anderen Nationalparken weltweit weitergeben und Kontakte vermitteln, wie z. B. eine Nationalparkwacht mit gut aus- gebildeten Rangern in der Praxis funktionieren könnte.

Nicht zuletzt hatte der WWF eine jahrelange Er- fahrung anzubieten, wie sich eine Zusammen- arbeit der Naturschutzverbände im Küstenraum fördern und Konkurrenz vermeiden lässt. Und natürlich spielte es eine positive Rolle, dass man es gewohnt war, seine Naturschutzargumente auch mit den Verantwortlichen in der Landes- regierung und den Ministerien auszutauschen und einzubringen. Viele Verantwortliche hatten, bevor sie in Schwerin neue Aufgaben übernah- men, in anderen Küstenbundesländern ver- gleichbare Funktionen inne, so dass der WWF auch hier auf erprobten Umgang zurückgreifen und diese Kenntnisse mit den jungen National- parkverwaltungen teilen konnte, die sich der bundesdeutschen Verwaltungspraxis und der Behördenpolitik erst annähern mussten.

Letztendlich konnte der WWF auch weitere bun- desdeutsche und europäische Nationalparker- fahrungen durch gute Kontakte in die deutsche Sektion der Vereinigung Europäischer Natio- nalparke (EUROPARC) mit einbringen. So wur- de es möglich, den Sachverstand langjähriger Nationalparkleiter zu nutzen, wenn es darum ging, Krisen zu umschiffen oder einfach auch die Gelassenheit aufzubringen, mit verbreiteten Ängsten vor Veränderung durch „Verwilderung“ umzugehen. Abb. 1: Faltblatt Küstenlandschaften und Landschaftsschutz. BEISPIELE, WIE DER WWF DIE OST- SEENATIONALPARKE UNTERSTÜTZT nicht selbstverständlich – oft nicht einmal in den Naturschutzkreisen selbst. Der WWF versuchte vom Stralsunder Ostseebüro aus bundesweit Vermittler des Nationalparkgedan- für die Schutzgebiete zu werben, Unterstützung kens vor Ort und in der deutschen für unsere jungen Nationalparke zu organisieren Öffentlichkeit und die Weichenstellungen so zu beeinflussen, Mit der Gründung der beiden Nationalparke an dass die Schutzgebiete zukünftig einmal die in- der Ostsee waren diese bei weitem noch nicht ternationalen Nationalparkstandards erfüllen. gefestigt und akzeptiert – oder gar von der Be- völkerung geliebt. Auch die Idee, dass ein Nati- In der Frühphase half der WWF zunächst mit, onalpark ein Schutzgebiet ist, in dem die Natur die ersten Informationsmaterialien – gemeinsam sich ohne menschliche Hege entsprechend ihrer mit dem Deutschen Meeresmuseum – zu er- Eigendynamik entwickeln kann, war bei weitem stellen. Ein einfaches Faltblatt über die Ostsee-

206 nationalparke wurde bereits 1991 gedruckt und ber auf das Nationalparkziel zu verzichten und über das Meeresmuseum und Touristikstellen in einen touristisch geprägten Naturpark zu for- Umlauf gebracht (Abb. 1). dern. In dieser Phase, als die Diskussion um den Nationalpark auch in den Medien hitzig geführt Als 1992/1993 deutlich wurde, dass „National- wurde, als sich Bürgerinitiativen „zur Erhaltung park“ auch bedeutet, Land- und Waldnutzungen der Kulturlandschaft“ (und zur Aufweichung der umzustellen und z. B. das Befahren der Bodden- Nationalparke) gründeten, bot der WWF seine und Ostseegewässer auf die Naturschutzbelan- Kapazitäten an, die erste „Nationalpark-Info“ – ge auszurichten, wurde sehr schnell Unmut in eine Nationalpark-Zeitung für alle Haushalte in den Gemeinden und Nutzerkreisen laut. Man der Region – gemeinsam mit der Nationalpark- glaubte, die neue Freiheit wieder zu verlieren, verwaltung in Born zu erstellen und zu verteilen. ungehindert die Wälder und Strände betreten 2015 erscheint die 25. Ausgabe dieses wichti- und die gerade erst wieder offenen Seegebiete gen Kommunikationsmediums. befahren zu können. Geschürt wurde diese Si- tuation dadurch, dass die Landesregierung be- Bundesweit wurde eine naturschutzgerechte schlossen hatte, zwei Verwaltungen gleichzeitig Entwicklung der Ostseeküste durch die erste über die Nationalparkentwicklung bestimmen WWF-Kampagne begleitet: mit Anzeigen in gro- zu lassen: die Forstverwaltung über Holzwirt- ßen Medien, Touristenbefragungen, Werbung in schaft und Jagd sowie die Nationalparkverwal- allen Medien für nationalparkgerechte Touris- tung über die Entwicklung und Betreuung der musentwicklung und einer Sammlung von über Gebiete. 20 000 Unterschriften, die dann der Landesre- gierung übergeben wurde (Abb. 2). Einerseits verunsichert dadurch, dass die Na- tionalparke in einer ohnehin ungewissen wirt- Regelmäßige Pressefahrten mit Journalisten, schaftlichen Lage nun noch weitere Einschrän- in denen Konflikte und positive Beispiele der kungen mit sich bringen könnten, andererseits Nationalparkentwicklung thematisiert wurden, geschürt durch den Konflikt um „ordentliche halfen, den Politikern in Schwerin deutlich zu Waldbewirtschaftung“ oder „Nationalpark-Wild- machen, dass man an einem Nationalpark mit nis“ entwickelte sich eine politische Auseinan- robusten Naturschutzzielen besser nicht rütteln dersetzung, die zeitweilig dazu führte, doch lie- sollte. Die zugespitzte Pressearbeit, teilweise

Abb. 2: Drei Wochen lang bereiste der Schoner „JULIA“ unter Panda-Segeln im Sommer 1993 die Ostseeküste, um für eine nachhaltige Entwicklung zu werben.

207 in enger Kooperation mit den anderen Natur- noch nicht klar war, dass der Schutz ein Garant schutzverbänden und den Fördervereinen der für hohe Qualität und Exklusivität ist, brachte Nationalparke, führte nicht nur zu Aufmerksam- sich der WWF immer wieder aktiv in die Einzel- keit in Politik und Öffentlichkeit (Abb. 3; sie- diskussionen ein. So engagierte sich das Ost- he Beitrag von Baginski in diesem Band). Sie seebüro mit Öffentlichkeitsarbeit, Briefen an die führte auch zu entscheidenden Änderungen im Verteidigungsminister und in Veranstaltungen, Umgang mit dem Nationalpark: Als die Forst- als es darum ging, statt eines Raketenschieß- verwaltung im Nationalpark Jasmund Buchen platzes auf dem Zingst, dem Naturschutz ein- zur Nutzung als Furnierholz einschlagen ließ, deutige Priorität einzuräumen. Mitte der 1990er konnten Öffentlichkeit und Politik überzeugt Jahre wurden heftige Auseinandersetzungen werden, dass eine solche Waldbewirtschaftung um eine Befahrensregelung für die Gewässer mit einem Nationalpark nicht vereinbar ist. Dies der Nationalparke geführt, um die Störung der führte zu der Entscheidung, die Zuständigkei- Wasservogelreviere zu begrenzen. Der WWF ten für Naturschutz und Waldwirtschaft in den mischte sich ein, unterstützte mit Gutachten und Nationalparkämtern des Landes zu bündeln und konstruktiven Beiträgen, damit zumindest eine damit die Weichen für eine echte Nationalpark- Kompromisslösung möglich wurde (Abb. 4). entwicklung zu stellen. Auch in anderen Fällen, als es z. B. um Golf- plätze auf Jasmund oder bei Zingst ging, um Ähnlich führte 1999 die Pressearbeit nach dem überdimensionierte Hafenplanungen oder den Orkan „Anatol“, der große Kiefernbestände auf Ausbau von Straßen im Nationalpark, enga- dem Darß umgeworfen hatte, zu einer Debatte gierte sich der WWF, um die Öffentlichkeit zu über die Waldbehandlung nach solchen Natur- informieren und die Nationalparkentwicklung zu ereignissen. In der Folge wurde für große Teile fördern. der Kernzone des Nationalparks das Ende der forstlichen Umbaumaßnahmen im Nationalpark Mahner für die Zielerreichung eingeleitet. Gerade in den ersten 15 Jahren der National- parkgeschichte war es immer wieder erforder- Gerade in den Anfangsjahren, als der Natio- lich, darauf zu drängen, dass die Nationalparke nalpark von touristischen Entwicklern noch als „auf der Naturschutzspur“ bleiben, d. h. dass Bremse eines Aufschwungs gesehen wurde und die vorgesehene Entwicklung von einem Ziel-

Abb. 3: Pressekonferenzen sind Teil der Kampagnenarbeit für echte Nationalparke.

208 Nationalpark zu einem National- park nach den internationalen Standards auch tatsächlich bei- behalten wird. Dazu hat der WWF – wie auch für die Nationalparke an der Nordsee – regelmäßig abgeprüft, wo sich die Schutzgebiete auf ihrem Ent- wicklungspfad befinden. In den „Nationalparkbilanzen“ wurden Einschätzungen abgegeben, wie weit man auf dem Weg, hin zu einem gut gemanagten Schutz- gebiet fortgeschritten war, in dem auf 75 Prozent der Fläche die Na- turentwicklung Vorrang hat und die Besucher gut informiert sind. Kriterien waren meist die interna- tionalen Nationalpark-Kriterien, aber auch die Nationalparkver- ordnungen selbst. Aufgegriffen Abb. 4: In regelmäßigen Abständen bilanzierten die Beteiligten die Fort- wurden Themen wie die natürli- schritte und entwickelten weitere Maßnahmen (links vorne: Leiter des Na- che Wald- und Salzgraslandent- tionalpark-Aufbaustabes Hartmut Sporns; Mitte stehend: Jochen Lamp). wicklung, fischereifreie Zonen und die Ausstattung mit Besu- chereinrichtungen und Personal, das Monitoring Heute: Begleiter im Alltag der Naturbestände und natürlich, wie weit die Die Rolle des WWF bestand vor allem in den An- mit der Einrichtung „geerbten“ Beeinträchtigun- fangsjahren darin, den Nationalparks zu helfen, gen abgestellt wurden. Diese öffentlichen Bi- dass die Naturschutzstandards eingehalten wer- lanzen halfen auch, den Politikern zu verdeutli- den. Seit die Parke „erwachsen sind“ wurde dies chen, dass die Nationalparke eine Verpflichtung inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Heute zur Erhaltung unserer Naturschätze beinhalten. geht es mehr um die Begleitung im Alltag z. B. durch die Unterstützung des Junior-Ranger-Pro- Unterstützer bei neuen Wegen grammes, Mitarbeit im Nationalpark-Kuratorium Als für die neuen Nationalparke die Entschei- oder die Mitgestaltung der Nationalparktage. dung um eine gute Betreuung der Schutzgebie- Auch der Betrieb des Nationalpark-Zentrums te anstand, war Mecklenburg-Vorpommern ein am Königsstuhl zusammen mit der Stadt Sass- Vorreiter, die Besucherlenkung und Unterhal- nitz gehört zu den Daueraufgaben (siehe Kasten tung der Infrastrukturen durch hauptamtliche auf Seite 211). Der Einsatz für den Darßer Ort ist Betreuer sicherzustellen. Dies ist international hoffentlich bald Geschichte, in dem nicht nur der üblich, war jedoch in Deutschland bisher kaum Bau eines Ersatzhafens noch in diesem Jahr- der Fall. Der WWF hat diese Entwicklung nach- zehnt realisiert wird, sondern auch, dass sich das haltig gefördert und sich für die Einrichtung ei- Gebiet des ehemaligen Nothafens allein gemäß nes Ranger-Berufsbildes mit einer entsprechen- der natürlichen Dynamik in der Kernzone des Na- den Ausbildung eingesetzt. In WWF-Projekten tionalparks entwickelt. wurden Ausbildungsinhalte zusammengestellt und Qualifizierungskurse für Nationalpark-Ran- ger in anderen Parken in Deutschland durchge- DER BLICK VORAUS führt. WWF wird auch weiterhin die Entwicklung der Mittler für Investitionen Nationalparke begleiten. Es wird darauf ankom- Vor allem in der Aufbauphase hat der WWF die men, dass die Parke in naher Zeit die internatio- Nationalparke durch Vermittlung von Sponsoren nalen Standards mit 75 Prozent nutzungsfreien bei der Herrichtung von Besuchereinrichtungen Gebieten erreichen, dass die Finanzausstattung unterstützt. So wurden die Treppen am Königs- nicht weiter geschwächt wird und dass der Be- stuhl, Besucherplattformen am Darßer Ort oder sucherdruck die Parke nicht erstickt. Eine zü- die Herstellung der kompletten Holzbeschilde- gige Realisierung der Nothafenalternative am rung realisiert. Darß wird ein besonderes Augenmerk erhalten.

209 Abb. 5: Die Versandung der Hafeneinfahrt zeigt die Veränderungskraft der Natur – der WWF kämpft seit 25 Jahren für eine Hafenalternative.

LANGER ATEM ZAHLT SICH AUS – det. Diese Ausnahmesituation wurde reichlich DER NOTHAFEN DARSSER ORT genutzt. Bis zu 400 Boote lagen zeitweilig in diesem „Nothafen“, den der Deutsche Segler- Die Auseinandersetzung um den Nothafen Dar- verband mit Stegen ausgerüstet hatte. Im Kon- ßer Ort begleitet das WWF-Engagement für flikt zwischen dem gewünschten Etappenhafen den Nationalpark Vorpommersche Bodden- und Standort der Seenotrettung einerseits und landschaft seit seiner Gründung. Der ehemalige dem Herzstück in der Kernzone des National- Schnellboothafen war bereits vor der Wende in parks anderseits, zeichnete sich lange keine po- ein Naturschutzgebiet hineingebaggert worden. litisch verträgliche Lösung ab. Daher beschloss Aus dem Strandsee wurde ein Marinehafen. Seit man 1993, die Situation zumindest zu ordnen der Wende nutzten ihn Wassersportler als idyl- und einen „ordentlichen Hafenbetrieb“ zu er- lischen Etappenhafen zwischen Warnemünde möglichen. Als es im Sommer 1993 zu Verhand- und Barhöft und der Seenotrettungskreuzer der lungen mit den Seglerverbänden darüber kam, Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrü- wer den Hafen betreibt, war auch der WWF chiger wurde an diesen Standort verlegt. eingeladen. Er erklärte sich bereit, den Hafen Der Hafen befindet sich nicht nur in der Kern- unter Naturschutzbedingungen zu betreiben, zone des Nationalparks, er liegt zugleich in ei- bis er geschlossen werde. Da der mitbietende nem der wenigen hoch dynamischen Küsten- Seglerverein die Bedingungen des Naturschut- abschnitte in Deutschland. Am Darßer Ort kann zes nicht erfüllen wollte, bekam der WWF den man quasi „Geologie live“ erleben: bis zu 20 Zuschlag als Hafenbetreiber – nach einem Jahr Meter Land wachsen dort jährlich aus dem Meer Verhandlungen über die Konditionen. Seit 1994 – Sandbänke, Dünen und Strandseen entstehen betreut der WWF nun diesen Hafen – mit dem neu und verändern sich ständig – wenn man sie Ziel, dass er tatsächlich nur als Nothafen ge- lässt. nutzt und dass eine Alternative gefunden wird. Entsprechend war das Gebiet des Nothafens als Die Absicht, eine Alternative für den Nothafen Kernzone des Nationalparks ausgewiesen – und zu finden, fand sich in allen Koalitionsverträgen in der Verordnung als Ausnahme bis zur Reali- der Landesregierungen seit dieser Zeit wie- sierung einer Alternative vorübergehend gedul- der, ohne dass der Mut oder das Geld für eine

210 solche Lösung aufgebracht wurde. Der WWF der Baggerungen vor Gericht einzuklagen, entwickelte Planungen, besorgte Investoren scheiterten mehrfach ohne eine Lösung. Erst für einen kleinen Ersatzhafen bei Prerow oder Ende 2014 – fast 25 Jahre nach der Gründung Zingst. Diese wurden mit einer Vielzahl von Gut- des Nationalparks und nach 20 Jahren Hafen- achten und Untersuchungen aus Steuermitteln betrieb durch den WWF – zeichnete sich eine stets verworfen – gleichzeitig baggerte man aus Lösung des Konfliktes ab. Die Landesregierung Steuermitteln immer wieder die Hafenzufahrt beschloss endlich, die Finanzen und den poli- aus – da der Sand an dieser Stelle ganz natür- tischen Willen aufzubringen, an der Seebrücke lich in die Bucht hinter der Spitze des Darßer in Prerow einen kleinen Ersatzhafen zu bauen Ortes verdriftet wird. Der WWF verteidigte den und den Nothafen am Darßer Ort endgültig zu Nothafen als Teil des Nationalparks mit Öffent- schließen und rückzubauen. Die Planungen der lichkeitsarbeit, Überzeugungsarbeit in Land, nun von allen Seiten akzeptierten Lösung ent- bei Kommunen und Nutzern sowie vor Gericht. sprechen weitgehend dem Vorschlag, den der Selbst eine Zusage der Landesregierung, dass WWF bereits 1997 als Vorzugsvariante empfoh- 2009 die letzte Baggerung sei, wurde anschlie- len hatte. Dieser wurde damals noch auf breiter ßend von dieser ignoriert. Versuche, das Ende Front abgelehnt (Abb. 5).

Eine Erfolgsgeschichte – das WWF-Projekt Nationalpark-Zentrum Königsstuhl Die Entwicklung, der Bau und Betrieb des Nationalpark-Zentrums Königsstuhl war wohl das umfangreichste Unterstützungs- projekt des WWF für die Ostseenational- parks. Der Königsstuhl, Sinnbild der deut- schen Ostseeküste und Touristenmagnet weit über Rügen hinaus, liegt im Herzen des Nationalparks Jasmund. Zugleich ver- fügte dieser kleine Nationalpark nicht über ausreichende Möglichkeiten, ein ange- messenes Besucherzentrum zu erstellen, das Millionen Besuchern die Nationalpark- gedanken vermitteln könnte. Hinzu kam, dass der Aussichtspunkt Königsstuhl bis dahin eine fast betriebskostenfreie Einnah- mequelle für die Stadt Sassnitz darstellte und direkt daneben die ehemalige Station der DDR-Grenztruppen mit Kasernenan- lagen und Gittermast demoliert und ros- tend verfiel. Diese Mischung veranlasste den WWF, über eine Lösung der Situation nachzudenken, die die Altlasten beseitigt und dem Nationalpark dient. Es entstand 1994 die zunächst kühne Idee, das Militä- robjekt in ein vorbildliches Nationalpark- Besucherzentrum umzubauen und den Königsstuhl in dieses Konzept zu integrie- ren. Davon mussten zunächst die eigenen Abb. 6: Der Abriss des Gittermastes zur Grenzbeobach- Reihen überzeugt werden, bevor die Stadt tung 1997 war ein Meilenstein auf dem Weg zur Entste- Sassnitz, das Nationalparkamt, die Lan- hung desNationalpark-Zentrums. desregierung und viele andere mit auf den Weg genommen werden konnten. Als diese allgemeine grundsätzliche Zustimmung erreicht war, begann die eigentliche langjährige Vor- bereitungsphase durch den Dschungel von Zuständigkeiten, Finanzkonzepten und Genehmi- gungswegen. Nicht nur die Sassnitzer Stadtvertretung musste gewonnen werden, die Aussicht

211 auf kommerzielle tou- ristische Erschließung des Gebietes aufzuge- ben und ihren Königs- stuhl-Betrieb in ein Ge- meinschaftsvorhaben einzubringen. Um eine tragfähige Rechtssi- tuation zu schaffen, musste zunächst das Grundstück in Landes- besitz gelangen. Es ge- hörte zur ungeklärten Erbmasse des Landes Preußen und geriet erst durch Tausch ge- gen die Insel vom Bund an das Land Mecklenburg-Vorpom- mern. In jahrelangen Abb. 7: Das ehemalige „Hotel am Königsstuhl“ diente als Kaserne der Grenz- zähen Verhandlungen truppen bevor es nach zunächst provisorischem Betrieb komplett umgebaut wurden dann Verträ- zum heutigen Nationalpark-Zentrum erweitert wurde. ge und Pläne mit der Stadt Sassnitz und dem Land verhandelt, wie man zu einer geeigneten Trägerschaft für Bau und Betrieb eines solchen Zentrums kommt: Das Ergebnis war eine gemeinsame Trägerschaft von WWF und der Stadt Sassnitz für eine gemeinnützige GmbH auf der Grundlage eines Erbbaurechtsvertrages mit dem Land.

Parallel zu den rechtlichen Klärungen musste die Finanzierung gesichert und die eigentliche Planung durchgeführt werden. All diese Vorbereitungen und das Werben für die Unterstüt- zung durch Parlamente und Regierungen liefen über das WWF-Ostseebüro in Stralsund. Nachdem Machbarkeitsstudien ergeben hatten, dass ein solches Zentrum wirklich realisier- bar und kostendeckend zu betreiben ist, begannen die eigentlichen Planungen: Zügig konn- te der Abriss der Militäraltlasten 1996 (Abb. 6) erfolgen. Die Planungen für das eigentliche Zentrum wurden dann unter Leitung des WWF durch das Architektenbüro Müller-Menckens- Heselhaus durchgeführt, die Planung der Ausstellung übernahm das Büro Impuls aus Erlan- gen. Neben dem Anspruch, ein innovatives Besucherzentrum für die Königsstuhl-Besucher zu realisieren, das ihnen die Nationalparkgedanken nahe bringt, galt es auch hinsichtlich Kli- maschutz und Abwassertechnik ein Zentrum zu bauen, das den WWF-Standards entspricht (Abb. 7). An der Finanzierung beteiligten sich das Land Mecklenburg-Vorpommern und das Bundesumweltministerium. Das Besucherzentrum am Königsstuhl wurde 2003 eröffnet. Es begrüßt seit dem jährlich bis zu 300 000 Besucher, begeistert sie vom Nationalpark Jasmund und bringt ihnen nahe, warum es gut ist, dass sich in den Nationalparken die Natur nach ihren eigenen Gesetzen entwickeln kann (siehe Beitrag von Bärwald et al. in diesem Band).

Etwa fünf Jahre lang war ein Mitarbeiter des WWF-Ostseebüros ausschließlich damit be- schäftigt, das Projekt vorzubereiten und die nötige Unterstützung zu organisieren. Zugleich brachte der WWF etwa 1/5 der rund 10 Millionen Euro auf, um das Vorhaben zu realisieren. Noch heute ist WWF Deutschland mit 70 Prozent der Anteile an der Betreibergesellschaft hauptverantwortlicher Träger für den Betrieb des Nationalpark-Zentrums. Der Erfolg zeigt, dass es eine gute Investition für den Nationalpark Jasmund war.

212 Das Projekt Kranichschutz Deutschland und die Faszination der Kranichrast Günter Nowald

Seit den 1970er Jahren führten der Natur- Nordostspanien einer der wichtigsten Trittsteine schutzbund Deutschland (NABU) e. V. und die des Kranichs auf dem westeuropäischen Zug- Umweltstiftung WWF-Deutschland (World Wide weg (Mewes et al., 2003; Nowald & Dirks, 2006). Fund for Nature) jeweils eigene Kranichschutz- Projekte in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg durch. Im östlichen Deutschland INFORMATIONEN ZUR KRANICHRAST haben die Mitglieder des „Arbeitskreises zum IN DER REGION RÜGEN UND Schutz vom Aussterben bedrohter Tierarten in der DDR“ im gleichen Zeitraum ein Netzwerk DARSS-ZINGSTER BODDENKETTE zur Überwachung der Kranichbrut und Rast Die Kranichrast auf Rügen wurde schon 1821 entwickelt und betreut. Nach der Wiederverei- erwähnt (Picht, 1821 in Prange, 1989). Auch nigung gründeten die ost- und westdeutschen später gab es Hinweise für das Auftreten großer Kranichschützer gemeinsam mit der Lufthansa Kranichscharen im Frühjahr und Herbst. Nach Umweltförderung 1991 die Arbeitsgemeinschaft Dost (1959 in Prange, 1989) erschienen mehrere „Kranichschutz Deutschland“. Heute sind meh- 10 000 Tiere in kleineren und größeren Wander- rere Hundert Mitglieder in Landesarbeitgruppen gesellschaften in der Zeit von Anfang August bis organisiert und betreiben auf regionaler oder Ende Oktober. Die Rast am Bock wurde 1871 in auf Landesebene verschiedene Schutzprojekte. der Literatur erwähnt (Lühder, 1871 in Prange, 1996 wurde die gemeinnützige Kranichschutz 1989), doch gab es dazu bis Mitte der 1960er Deutschland GmbH mit dem NABU und dem Jahre keine weiteren schriftlichen Mitteilungen. WWF als Gesellschafter gegründet und das Hartwig Prange erfasste in den Jahren 1965 bis Kranich-Informationszentrum in Groß Mohrdorf 1967 die Kranichrast im Bereich der Werderin- eröffnet. Ihr Ziel ist es – neben der Öffentlich- seln systematisch (Prange, 1966, 1996). In den keitsarbeit – den Kranichen (Grus grus) eine si- 1970er und in den 1980er Jahren führten Ros- chere Brutheimat sowie störungsfreie Sammel- tocker Ornithologen Kranichzählungen am Bock und Rastplätze in Deutschland zu erhalten und durch, so dass auch aus dieser Zeit Zahlen zur zum internationalen Kranichschutz beizutragen. Verfügung stehen. Mit der Eröffnung des Kra- nich-Informationszentrums im September 1996 Dieser Beitrag informiert über die Sammel- und wurden von dort aus jährlich Synchronzählun- Rastregion Darß-Zingster Boddenkette und Rü- gen für die Rügen-Bock-Region organisiert und gen (Nowald, 2014) und fokussiert die Aktivi- gemeinsam mit dem Nationalparkamt Vorpom- täten des Kranich-Informationszentrums. Das mern durchgeführt, so dass die Entwicklung der Gebiet, das zu einem großen Teil im National- Kranichrast an der südlichen Ostseeküste über park Vorpommersche Boddenlandschaft liegt, mehr als vier Jahrzehnte sehr gut nachgezeich- ist unter Kranichfreunden als die Rügen-Bock- net werden kann (Nowald et al., 2010). region bekannt und liegt in der Landschaftszone Seit den ersten Zählungen 1965 ist der Kra- Ostseeküstenland, in den Landschaftseinheiten nichrastbestand bis heute kontinuierlich ange- Fischland-Darß-Zingst und Barther Boddenket- stiegen (Abb. 1). Der bisher größte an einem te sowie Westrügensche Bodden mit Hidden- Synchronzähltag nachgewiesene Rastbestand see und Ummanz. Diese Region im Nordosten wurde am 18. Oktober 2014 mit 72 992 Kra- Deutschlands ist neben dem Rhin-/Havelluch, nichen, gefolgt von 69 262 Vögeln am 11. Ok- der Diepholzer Moorniederung, dem Hornborga- tober 2007 ermittelt. Schwankungen zwischen see in Südschweden, dem Lac du Der Chante- den einzelnen Jahren deuten auf den starken coq sowie der Region Les Landes in Südwest- Einfluss der Zugbedingungen hin. Insbesonde- Frankreich und der Laguna de Gallocanta in re die Windstärke und -richtung hemmen oder

213 70 000

60 000

50 000

40 000

30 000

20 000

10 000

0

Abb. 1: Die Entwicklung der Rastzahlen der Kraniche im Herbst in der Region der Darß-Zingster Boddenkette und Rügen von 1965 bis 2013 (jährliche Maxima).

befördern den Weiterzug. In den letzten zehn skandinavischen und baltischen Ländern brüten, Jahren lag der Rasthöhepunkt jeweils zwischen in denen es dann noch kälter ist, kommen später. dem 5. und 25. Oktober. Die Frühjahrsrast in der Region des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft fällt auf den März. Der Höhepunkt mit bis zu 15 000 Kranichen PHÄNOLOGIE DER liegt im letzten Märzdrittel. Anfang April sind die FRÜHJAHRS- UND HERBSTRAST meisten Vögel bereits weitergezogen. Bis Ende August ist das Sammeln heimischer Ab Mitte Februar kehren die einheimischen Krani- Kraniche aus Vorpommern-Rügen mit fast 1 500 che aus den Winterquartieren an die Brutplätze in Tieren abgeschlossen bzw. wird dieser Prozess Vorpommern-Rügen zurück. Die Vögel, die in den durch die ersten Rastvögel überlagert. In einigen

70 000

60 000 sonstige Udarser Wiek 50 000 Kirr Oie

e 40 000 Werder/Bock c h an i r

K 30 000

20 000

10 000

0

Abb. 2: Sammel- und Rastphänologie beim Kranich in der Darß-Zingster Boddenkette und auf Rügen während der Herbst­ rast 2013.

214 Jahren gesellen sich bereits einige frühe Kraniche verschiedene „Ablenkfütterungsflächen“ für aus Skandinavien dazu. Anfang September er- Kraniche eingerichtet und erfolgreich getestet reicht dann eine erste spürbare Welle südschwe- (Nowald, 1994). Das Instrument der Ablenkfüt- discher Kraniche die Region, Mitte September terung ist aus Sicht des Naturschutzes nicht un- sind es meist über 10 000 Vögel (Abb. 2). Die umstritten. Es stellt jedoch ein effizientes Mittel Herkunft dieser Kraniche aus Südschweden wur- zur Vermeidung von Schäden an Neusaaten dar de mit Hilfe farbig beringter Vögel nachgewiesen und kann für die Besucherlenkung positive Ef- (Nowald et al., 2010). Später gesellen sich über- fekte erzielen (Zimmermann et al., 1999). wiegend Vögel aus Mittel- und Nordschweden sowie aus Norwegen und Finnland hinzu. Kraniche gehören zu den faszinierendsten Vö- geln weltweit (Abb. 3). Aus diesem Grund hat der Mensch eine besondere Beziehung zu die- GRÜNDE FÜR DEN POSITIVEN sen Vögeln entwickelt, die sich in der Mytholo- BESTANDSTREND – ENTWICKLUNG gie, in Gedichten, Sagen und in Geschichten in vielen Kulturen auf der Welt widerspiegelt (No- DER LANDWIRTSCHAFT wald et al., 2007). Daher ist es nicht verwun- Der Anstieg der Rastzahlen in der Region der derlich, dass hunderttausende Gäste aus ganz Darß-Zingster Boddenkette und Rügen spiegelt Deutschland und aus den Nachbarländern in die positive Entwicklung der Kranichpopulati- die Region der Darß-Zingster Boddenkette und on besonders in Schweden und Norwegen wi- Rügen kommen, um die einzigartige Kranichrast der. Andererseits wurde die Rast auch durch zu erleben (Strahl & Treuenfels, 1996). Für die die großen, offenen Anbauflächen der Land- strukturschwache Gegend ist der Tourismus wirtschaftlichen Produktionsgenossenschaf- ein wesentlicher Einkommensfaktor. Touris- ten (LPG) der DDR begünstigt (Prange, 1989). tiker sprechen gar von der fünften Jahreszeit, Gleichzeitig standen den Vögeln in den flachen da, nachdem die Sommergäste die Ostsee- ausgedehnten Boddengewässern zahlreiche si- strände verlassen haben, im frühen Herbst die chere Schlafplätze zur Verfügung, die in neuerer Hotel- und Gästebetten von naturbegeisterten Zeit in ihrer Zahl im Rahmen der zunehmenden Touristen gefüllt werden (Umweltstiftung WWF- Nutzung von Nahrungsflächen im westlichen Deutschland – Projektbüro Ostsee, Kranich-In- Bereich der Rastregion ebenfalls zunahmen. formationszentrum, StAUN Stralsund, 1999). Nach der Wiedervereinigung der beiden deut- schen Staaten hat sich die Form der landwirt- schaftlichen Nutzung im Nordosten Deutsch- DAS KRANICH-INFORMATIONS- lands in eine intensive, marktorientierte ZENTRUM IN GROSS MOHRDORF Agrar­industrie gewandelt, mit der Folge, dass zum Beispiel weniger Drill- und Druschverlus- Seit 1996 betreibt Kranichschutz Deutschland te auftreten (Nowald et al., 2001). Zusätzlich das Kranich-Informationszentrum in Groß Mohr- haben sich der Bearbeitungsrhythmus und die dorf, 14 Kilometer nordwestlich von Stralsund. Anteile von Marktfrucht- und Futterfruchtflä- In der ganzjährig geöffneten Dauerausstellung chen verändert. Nach einem starken Rückgang geben audiovisuelle Medien, informative Schau- von Feldern mit Mais aufgrund der drastisch tafeln und Präparate einen Einblick in das Leben reduzierten Großtierbestände könnten die neu der Großvögel (Abb. 4). Die Ausstellung im Zent- entstandenen Biogasanlagen jetzt eine erneu- rum ist Anlaufstelle für jährlich 15 000 Besucher. te Erhöhung der mit Mais bestellten Fläche be- Die Naturtouristen erfahren auch etwas zu den wirken. Die Raumnutzung der Kraniche hat in besten Beobachtungsplätzen und bekommen den letzten 30 Jahren eine deutliche Schwer- aktuelle Informationen zum Zuggeschehen. Bis- punktverschiebung nach Westen erfahren. Die her haben fast eine viertel Millionen Menschen bevorzugte Nahrung von Kranichen in der Re- dieses Angebot wahrgenommen. Spezielle Ver- gion der Darß-Zingster Boddenkette und Rü- anstaltungen, wie die alljährlich im September gen im Herbst sind Maiskörner, gefolgt von durchgeführte „Woche des Kranichs“ und Füh- Weizenkörnern (Nowald, 1996; Ulbricht, 1999). rungen, ergänzen das Programm. In einem klei- Stehen keine geeigneten Stoppelflächen mehr nen Shop können unter anderem Bücher, DVDs, zur Verfügung, wechseln Kraniche auch auf fri- CDs, Poster, Postkarten sowie Geschenke mit sche Neusaaten (Weiß, 1988; Nowald, 1996). Kranichbezug erworben werden. Um Konflikte mit Landwirten zu vermeiden, hat Kranichschutz Deutschland 1992 und 1993 Daneben betreibt Kranichschutz Deutschland (mdl. Mitt. W. Eichstädt, E. Rüting) in der Region seit 2004 während der Kranichrast im Frühjahr Darß-Zingster Boddenkette und Rügen erstmals und Herbst eine kleine Beobachtungsplattform

215 Abb. 3: Kranicheinflug an der Fütterungsfläche von Kranichschutz Deutschland am Günzer See, März 2014. in der Nähe des Günzer Sees. Über 20 000 Be- unterschiedlichen Aktionen wie Fotoausstellun- sucher werden dort jedes Jahr von überwie- gen, Bildpräsentationen und Exkursionen. gend ehrenamtlichen Kranich-Rangern betreut. Ambitionierte Fotografen können über das Kra- Trotz zahlreicher Angebote für die Kranichbe- nich-Informationszentrum auch Fotoverstecke obachtung kommt es punktuell zu häufigen anmieten. Diese sind an einer Fütterungsfläche Störungen durch Touristen. Der Einsatz von aufgebaut und werden von maximal je zwei Fo- Kranich-Rangern während der Rastzeiten zur tografen belegt. Störungen durch Fotografen Verringerung von Störungen erwies sich als wurden in der Region durch dieses Angebot sehr erfolgreich. In den Jahren 1999 bis 2005 stark reduziert. wurde der Einsatz mit Unterstützung des Um- weltministeriums des Landes Mecklenburg- Für eine bessere Besucherinformation und Be- Vorpommern und der Norddeutschen Stiftung treuung westlich von Barth hat Kranichschutz für Umwelt und Entwicklung realisiert. Derzeit Deutschland mit Unterstützung durch die Kur- wird das Projekt durch die Schneider-Menden- und Tourismus GmbH Zingst 2012 ein Kranich- Stiftung gefördert. Der überwiegende Teil der Info-Mobil (KIM) konzipiert und bauen lassen. Finanzierung der Kranich-Ranger erfolgt aber Das Projekt wurde zudem von der Norddeut- über Kranichschutz Deutschland. Ranger des schen Stiftung für Umwelt und Entwicklung Nationalparkamtes Vorpommern sind an den (NUE) und die Ingrid und Wilfried Hoppe-Stif- Beobachtungsplattformen am Boddengewässer tung Naturschutz gefördert. KIM ist ein komplett in Schlafplatznähe tätig, während die Kranich- umgebauter Bauwagen: Zwei Kranich-Ranger Ranger von Kranichschutz Deutschland an den sind im Oktober und im März täglich von 09:00 Nahrungsflächen in der Region eingesetzt sind. bis 16:00 Uhr an Bord. Vielfältiges Informations- material, Spektive, Ferngläser, aber auch Bü- cher und Zeitschriften gehören zur Ausstattung. UMWELTBILDUNG Ein weiterer Höhepunkt für Touristen ist die so genannte „Woche des Kranichs“, die jährlich im Die Mitarbeiter des Kranich-Informationszent- September durchgeführt wird. Zahlreiche regio- rums haben sich besonders der Umweltbildung nale Akteure des privaten und behördlichen Na- verschrieben. Regelmäßig organisieren sie turschutzes sowie die Touristiker organisierten Projekttage in Kindergärten und Kitas sowie in 2014 bereits die 16. „Woche des Kranichs“ mit Schulen und im Informationszentrum. Im Rah-

216 men der Umweltbildung werden Bücher und meinschaft Kranichschutz Deutschland koope- Broschüren sowie Beiträge in zahlreichen popu- riert das Kranichinformationszentrum eng mit lärwissenschaftlichen und wissenschaftlichen anderen Einrichtungen und Naturschutzorgani- Zeitschriften veröffentlicht. Jährlich erscheint sationen, insbesondere mit dem NABU und dem das Journal der AG Kranichschutz Deutschland WWF, aber auch mit dem Bund für Umwelt und mit dem Titel „Das Kranichjahr“ (Nowald & Don- Naturschutz Deutschland (BUND) in der Diep- ner, 2011; Nowald et al., 2012; Nowald et al., holzer Moorniederung, dem Förderverein Rhin- 2013a). Einen Großteil der Beiträge schreiben luch, dem Natur-Erlebniszentrum Wanninchen die Mitglieder der Landesarbeitsgruppen, so der Heinz Sielmann Stiftung und vielen anderen. dass man aus diesen Broschüren etwas über die neuesten Entwicklungen der Kranichpopu- lationen in den Bundesländern erfahren kann. INTERNATIONALER KRANICHSCHUTZ

Das Kranich-Informationszentrum ist an eini- NATIONALER KRANICHSCHUTZ gen internationalen Projekten beteiligt. Ein be- sonderes Augenmerk gilt der Erforschung von Im Rahmen von Stellungnahmen werden Beur- Kranichpopulationen in Afrika. So waren 2007, teilungen oder Empfehlungen bei Eingriffen in 2009, 2011 und 2013 Mitarbeiter an einem Mo- die Landschaft aus Sicht des Kranichschutzes nitoring der Grau-, Jungfern- und Klunkerkra- erarbeitet. Im Fokus stehen dabei Planungen niche sowie der Schwarzen Kronenkraniche in von Windenergie-, Solar- und Biogasanlagen Äthiopien beteiligt (Abb. 5). Dies geschah in Ko- in großen Kranichrastgebieten. Weiterhin wird operation mit der Bundesarbeitsgruppe AFRIKA Stellung bezogen bei Interessenskonflikten in des NABU und der äthiopischen Naturschutz- der Landschaft, vor allem bei landwirtschaftli- organisation Ethiopien National Wildlife and chen oder jagdlichen Themen. History Society (ENWHS). Dabei besteht auch eine enge Zusammenarbeit mit der Universität Neben der Betreuung der ehrenamtlich arbei- Jimma. Ein wesentliches Ziel ist der Schutz von tenden Mitglieder, der Landesarbeitsgruppen Feuchtgebieten in Äthiopien, weil auch dort vie- (LAGs) und des Fachvorstandes der Arbeitsge- le europäische Kraniche überwintern.

Abb. 4: Ein Blick in die Ausstellung des Kranich-Informationszentrums bei Groß Mohrdorf, April 2013.

217 Abb. 5: Umweltinformation in Äthiopien, Januar 2013.

Mitarbeiter des Informationszentrums sind auch rend des Zuges, der Bedeutung von Rastplät- gefragte Spezialisten bei Beringungs- und Be- zen sowie der Lebenserwartung der Tiere. In senderungsprojekten. Sie unterstützen diese diesem Zusammenhang wurde die Online Da- Arbeiten bisher in Estland (1998-2002), Israel tenbank „iCORA“ für Meldungen von Ringable- (1999), Polen (2001/2, 2006/7), Lettland (seit sungen und Senderortungen entwickelt. Heute 2012) und in der Mongolei (seit 2013). Fang- gilt es, die Datenbank zu verwalten, zu pflegen und Beringungsaktionen in der Türkei (seit 2014) und für wissenschaftliche Fragestellungen zu und in den Niederlanden (geplant ab 2015) sind erschließen. vorgesehen. Ein ständiger Erfahrungs- und Wissensaus- Die Organisation von Tagungen der Arbeitsge- tausch findet mit ausländischen Organisationen meinschaft Kranichschutz Deutschland dient wie mit der International Crane Foundation (ICF) dem wissenschaftlichen Erfahrungsaustausch statt. Aktuell wird in Spanien zudem der Aufbau auf nationaler Ebene. Die Durchführung der 3. einer Kranichausstellung (Laguna de El Oso) un- und 7. Europäischen Kranichtagung 1996 und terstützt. 2010 in Stralsund diente dem internationalen Informationsaustausch. Dazu wurden umfang- reiche Proceedings erstellt (Prange et al., 1999; ANGEWANDTE KRANICHFORSCHUNG Nowald et al., 2013b).

Das Kranich-Informationszentrum ist in ver- Durch die Kooperationsprojekte mit verschie- schiedene Forschungsprojekte eingebunden denen Organisationen und Instituten, zum Bei- bzw. auch für sie verantwortlich. Dafür sollen spiel mit der Vogelwarte am Institut für Zoologie die folgenden Beispiele stehen: der Universität Greifswald, ist es möglich, Ge- Für die Entwicklung effektiver Management- schlechtsbestimmung bei Kranichen oder auch maßnahmen werden verschiedene Projekte zur weitere genetische Untersuchungen durchzu- Verhaltens- und Nahrungsbiologie sowie zur führen. Zur Erforschung der Zugwege der Krani- Raumnutzung der Kraniche durchgeführt. che kooperiert das Kranichinformationszentrum Die Beringung (Abb. 6) und Besenderung von auch mit dem Dachverband Deutscher Avifau- Kranichen dient unter anderem der Erforschung nisten (DDA), um das Internetportal ornitho.de von Zugwegen und möglicher Gefahren wäh- nutzen zu können.

218 DANK ZUSAMMENFASSUNG

Das Betreiben des Kranich-Informationszent- Nach der Wiedervereinigung gründeten 1991 rums sowie die Durchführung der zahlreichen der „Arbeitskreis zum Schutz vom Aussterben Projekte sind vor allem durch die langjährige bedrohter Tierarten in der DDR“, der Natur- und kontinuierliche Unterstützung der Lufthan- schutzbund Deutschland (NABU) e.V. und die sa Umweltförderung möglich. In diesem Zusam- Umweltstiftung WWF-Deutschland gemeinsam menhang möchte ich vor allem Axel Kleinschu- mit der Lufthansa Umweltförderung die Arbeits- macher und Lutz Laemmerhold herzlich danken. gemeinschaft „Kranichschutz Deutschland“. Zugleich danke ich auch den zahlreichen Förde- 1996 wurde die gemeinnützige Kranichschutz rern von Kranichschutz Deutschland sowie den Deutschland GmbH mit dem NABU und dem privaten Spendern. WWF als Gesellschafter gegründet und das Kranich-Informationszentrum in Groß Mohrdorf Ich danke allen aktiven Kranich- und Natur- eröffnet. Wesentliche Tätigkeitsfelder sind die schützern für ihre engagierte Mitarbeit, für die Öffentlichkeitsarbeit mit der Betreibung einer Unterstützung bei Zählungen in der Region ganzjährig geöffneten Ausstellung, die Umwelt- Darß-Zingster Boddenkette und Rügen. Ich bildung, der regionale, nationale und internati- freue mich auf eine weiterhin intensive und onale Kranichschutz. Stellungnahmen und Gut- gute Zusammenarbeit mit dem Nationalpar- achten dienen als Beurteilung oder Empfehlung kamt Vorpommern, dem Landesamt für Umwelt, bei Eingriffen in die Landschaft. Das Brut- und Naturschutz und Geologie in Güstrow, dem Rastmonitoring sowie die Farbberingung und Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt Besenderung von Kranichen (inkl. Sammeln und Vorpommern, der Unteren Naturschutzbehörde Auswerten der Wiederfunde, iCORA.de) sind sowie dem Ministerium für Landwirtschaft, Um- eine wesentliche Aufgabe im Bereich der For- welt und Verbraucherschutz in Schwerin. schungsarbeiten des Kranich-Informationszent-

Abb. 6: Nach nur etwa zehn Minuten in der Obhut des Beringungsteams wird der Jungkranich mit seiner neuen Farbmarkie- rung wieder in die Freiheit entlassen (Landeskombination (links): blau-blau-weiß; Individualkombination (rechts): schwarz- gelb-weiß).

219 rums. In der gesamten Arbeit wird mit vielen na- Nowald, G. & N. Donner (Hrsg.) (2011): Journal tionalen sowie internationalen Organisationen der Arbeitsgemeinschaft Kranichschutz und Institutionen kooperiert. Deutschland – Das Kranichjahr 2010. AG Kranichschutz Deutschland. Kranich-Infor- Die Rastregion Darß-Zingster Boddenkette und mationszentrum. Groß Mohrdorf. 68 S. Rügen gehört zu den bedeutendsten Trittstei- Nowald, G., Weber, A. & E. Weinhardt (Hrsg.) nen für Kraniche auf dem Westeuropäischen (2012): Journal der Arbeitsgemeinschaft Zugweg. Das Gebiet ist seit mindestens 200 Kranichschutz Deutschland - Das Kranich- Jahren als Rastregion bekannt. Mit der positi- jahr 2011/12. AG Kranichschutz Deutsch- ven Entwicklung der Brutpopulationen in den land. Kranich-Informationszentrum. Groß Herkunftsländern, vor allem in Schweden, nah- Mohrdorf. 96 S. men auch die Rastzahlen zu. Auf dem Herbst- Nowald, G., Kettner, A. & J. Daebeler (Hrsg.) zug können bis zu 70 000 Kraniche eine Rast (2013): Journal der Arbeitsgemeinschaft einlegen, im Frühjahr können es kurzzeitig bis Kranichschutz Deutschland - Das Kranich- zu 15 000 Tiere sein. Um Konflikte mit den jahr 2012/13. AG Kranichschutz Deutsch- Landwirten zu vermeiden, werden besonders im land. Kranich-Informationszentrum. Groß Herbst Ablenkfütterungen eingerichtet. Ab Sep- Mohrdorf. 112 S. tember ist die Region ein Magnet für Touristen, Nowald, G., Weber, A., Fanke, J., Weinhardt, E. die das Naturschauspiel der Kranichrast erleben & N. Donner (eds.) (2013): Proceedings of möchten. Das Kranich-Informationszentrum bei the VIIth European Crane Conference. Cra- Stralsund wird zu dieser Zeit stark frequentiert. ne Conservation . Groß Mohrdorf. Daneben gibt es verschiedene Einrichtungen in 192 pages. der Region, von denen aus die Besucher den Prange, H. (1966): Über den Rastplatz des Kra- Abendeinfall der Kraniche in die Schlafplätze nichs am Bock. Natur Naturschutz Meck- bzw. den morgendlichen Abflug beobachten lenbg. 4: 145-162. können. Prange, H. (1989): Der Graue Kranich. Die Neue Brehm-Bücherei 229, Wittenberg Luther- stadt. 272 S. LITERATUR Prange, H. (1996): Entwicklung der Kranichrast in Deutschland von 1960 bis 1995. Vogel- Mewes, W., Nowald, G. & H. Prange (2003): welt 117: 125-138. Kraniche - Mythen, Forschung, Fakten. 3. Prange, H., Nowald, G. & W. Mewes (1999) Aufl. DRW Verlag Weinbrenner, Leinfelden. [eds.]: Proceedings 3rd European Crane 108 S. Workshop. Halle-Wittenberg. 411 S. Nowald, G. (1994): Habitatnutzung einer Früh- Strahl, F. & C. A. v. Treuenfels (1996): Das Pro- jahrsrastpopulation des Kranichs Grus jekt Kranichschutz Deutschland. Vogelwelt grus. Diplomarbeit Univ. Osnabrück. 86 S. 117: 101-102. Nowald, G. (1996): Nahrungspräferenzen des Ulbricht, J. (1999): Nahrungsflächen des Kra- Kranichs während der Herbstrast. Vogel- nichs während der Herbstrast auf Rügen. welt 117: 153-157. In: Prange, H., Nowald, G. & W. Mewes Nowald, G. (2014): Sammel- und Rastregion (eds.): Proceedings 3rd European Crane Darß-Zingster Boddenkette und Rügen. In: Workshop: 110-114. AG Kranichschutz Deutschland, LAG MV & Umweltstiftung WWF-Deutschland – Projektbü- OAMV (Hrsg.): Kraniche in Mecklenburg- ro Ostsee, Kranich-Informationszentrum, Vorpommern. Orn. Rundbrief MV, Bd. 48, StAUN Stralsund (Hrsg.) (1999): Kranich- Sonderheft 1: 147-160. schutz in der Rügen-Bock-Region – ein Nowald, G., Röper, S., Blüml, V. & H. Prange Gewinn für Natur und Wirtschaft. Broschü- (2001): Die Vorpommersche Boddenland- re. 19 S. schaft - Drehscheibe für den Kranichzug. Weiß, R. (1988): Beobachtungen zum Verhalten MEER UND MUSEUM 16: 106-111. der Kraniche auf Nahrungsflächen. Falke Nowald, G. & H. Dirks (2006): Kranichbegeg- 35: 332-335. nungen – Kranichwelten. Düsseldorf. 168 Zimmermann, H., Tessendorf, F. & G. Nowald S. (1999): Artenschutzpolitik in Mecklenburg- Nowald, G., Modrow, M., Donner, N. & T. Ficht- Vorpommern unter besonderer Beachtung ner (2010): Resting behaviour of Common der Ablenkfütterungen an großen Kranich- Cranes (Grus grus) during the autumn mi- rastplätzen. In: Prange, H., Nowald, G. & gration in Northern GERMANY. Aquila Vol. W. Mewes (eds.): Proceedings 3rd Euro- 116–117: 167-171. pean Crane Workshop: 252-255.

220 Perspektiven im 21. Jahrhundert Hans Dieter Knapp und Gernot Haffner

ANTHROPOZÄN Die derzeit weltweit praktizierte Chemo-Agrarin- dustrie auf der Basis von synthetischen Dünge- Mit dem 21. Jahrhundert hat ein neues Erdzeit- mitteln, Pestiziden, gentechnisch veränderten alter begonnen, das Anthropozän. Die Auswir- Organismen, scheinbar grenzenlos verfügbarer kungen menschlichen Wirtschaftens haben glo- Energie, Massentierhaltung und weltweiten Wa- bales Ausmaß angenommen und bereits jetzt renströmen wird das Problem nicht nur nicht irreversible Veränderungen in den Stoffkreisläu- lösen können, sondern es im Gegenteil drama- fen der Bio-Geosphäre unserer Erde verursacht. tisch verschärfen. Das 21. Jahrhundert wird ein Jahrhundert tief- greifenden globalen Wandels. Nichts wird blei- Fruchtbare Böden werden aufgrund von Boden­ ben, wie es heute ist. Die Weltbevölkerung wird speku­lationen, Land­grabbing, Bodendegradation weiter wachsen, wenngleich langsamer als bis- und Erosion infolge nicht angepasster Flächen­ her. Der Nutzungsdruck auf schwindende nicht nutzung zu einer immer knapper werdenden erneuerbare Ressourcen wird sich verschärfen, Ressource. Auch das lebensnotwendige Wasser der Bedarf an Nahrungsmitteln und Energie wird wird in weiten Teilen der Erde knapp. Desertifi- steigen und die Menschheit vor Herausforde- kation infolge von Übernutzung der Biosphäre,­ rungen bisher nicht bekannter Dimension stel- von technischen Wasserbauprojekten und von len, auf immer weniger Landwirtschaftsfläche Klimawandel wird fortschreiten und Völkerwan- immer mehr Menschen zu ernähren. derungen auslösen. Und wenn es nicht gelingt,

Abb. 1: Sonnenaufgang im Biosphärenreservat Südost-Rügen.

221 die vom Menschen ausgelöste Erwärmung der derung, Veränderung ist ein Wesensmerkmal von Erdatmosphäre zu begrenzen, werden sich diese Natur. Diesem Wesen können nur dynamische Probleme noch zuspitzen. Naturschutzkonzepte gerecht werden. Biosphä- Globalisierung eröffnet zwar ungeahnte Mög- renreservate, Nationalparke und strenge Schutz- lichkeiten interkultureller Kommunikation, aber gebiete sind Teil von Naturschutz in einer neuen sie fördert und beschleunigt zugleich Raubbau Dimension, die den Herausforderungen des 21. in globalem Maßstab an den schwindenden na- Jahrhunderts zu entsprechen vermag. türlichen Ressourcen (Süßwasser, Meeresres- sourcen, Boden, Wald etc.) und trägt zur Ent- Biosphärenreservate haben den Anspruch und wurzelung von Menschen und Auflösung lokaler Auftrag, die spezifische biologische Vielfalt zu Gemeinschaften und sozialer Systeme bei. Der erhalten und mit der Entwicklung von Formen systemimmanente Wachstumszwang verstärkt nachhaltigen Wirtschaftens in einer Region zu den Hunger global agierender Wirtschaft nach verbinden. Sie sollen modellhaft demonstrie- schwindenden Rohstoffen und verschärft den ren, wie nachhaltiges Wirtschaften in regionalen Ausbeutungsdruck auch auf Natur und Land- Kreisläufen praktiziert werden kann. Biosphä- schaft. Der Verlust an biologischer Vielfalt wird renreservate sind Modellregionen für die not- bei anhaltendem Nutzungsdruck kaum gestoppt wendige Wende zur Nachhaltigkeit. Der Wie- werden können. dergewinnung von Kulturlandschaften an Stelle von agrar-industriellen, monofunktionalen und Auch wenn Mitteleuropa aufgrund des tempera- uniformen Produktionsräumen nimmt dabei eine ten humiden Laubwaldklimas und der Regene- zentrale Rolle ein. rationsfähigkeit sommergrüner Laubwälder und Humusböden sowie vergleichsweise stabiler ge- Nationalparke und strenge Schutzgebiete haben sellschaftlicher Strukturen weniger stark vom glo- das ausdrückliche Ziel, natürlichen Veränderun- balen Wandel betroffen ist als viele andere Regio- gen Raum und vor allem auch Zeit zu geben, nen der Erde, so sind wir hier aufgrund weltweiter ohne durch Nutzungsansprüche des Menschen Vernetzung sowohl als Verursacher als auch als gesteuert, gelenkt oder gepflegt zu werden. Sie Betroffene in den Wandel einbezogen. So wird sind bewährte Instrumente, verbliebene Wildnis- z. B. der weltweite Anstieg des Meeresspiegels gebiete auf der Erde vor Zerstörung zu sichern auch die Küsten von Mecklenburg-Vorpommern und in Landschaften, die durch frühere Nutzun- betreffen und tief gelegene Bereiche überfluten gen degradiert sind, neue, sekundäre Wildnis und Küstenveränderungen auslösen. Wir wol- entwickeln zu lassen. Die Nationale Strategie len hier kein Horrorszenario zeichnen, doch die zur biologischen Vielfalt in Deutschland benennt Perspektiven für das 21. Jahrhundert sind alles unter anderem das Ziel, zwei Prozent der Fläche andere als rosig und ganz anders als fortschritts- Deutschlands nicht gelenkter Entwicklung von gläubige Technokraten es propagieren. Wildnis zur Verfügung zu stellen.

Was bedeutet das nun für die Schutzgebiete un- SCHUTZGEBIETE seres Landes Mecklenburg-Vorpommern? Sie bieten die Chance, dem oben skizzierten Hor- Doch was hat das mit unseren Schutzgebieten rorszenario des Anthropozän die Vision eines zu tun? Können Schutzgebiete die Welt retten? Paradigmenwechsels zur Nachhaltigkeit entge- Die Frage ist rhetorisch, denn sie können es na- genzusetzen. türlich nicht. Doch sie sind ein ganz wesentli- cher und unersetzbarer Beitrag, die notwendige Wende zur Nachhaltigkeit überhaupt zu ermög- VISION 2050 lichen und zu befördern, sowohl lokal und regi- onal als auch global. Stellen wir uns vor, wie die Situation der drei Großschutzgebiete an der Ostseeküste Meck- Schutzgebiete bewahren Ausschnitte der Bio- lenburg-Vorpommerns in 35 Jahren, in der Zeit- sphäre vor dem Zugriff wachstumsgetriebe- spanne nur einer menschlichen Generation, also ner Ressourcenausbeutung,­ geben natürlichen 2050 um die Mitte des 21. Jahrhunderts aus- Entwicklungen Raum, erbringen ökosystemare sehen sollte, um den notwendigen Paradigmen- Leistungen zur Aufrechterhaltung der Funktions- wechsel zu befördern. Hierzu einige thesenhafte fähigkeit von Ökosystemen und der Biosphäre­ Gedanken: insgesamt. Sie vermögen es jedoch nicht, be- 1) Die Auswirkungen des globalen Wandels sind stimmte Zustände zu fixieren und zu konservie- auch in Mecklenburg-Vorpommern spürbar,­ ren, denn Natur unterliegt fortwährender Verän- z. B. Anstieg des Meeresspiegels infolge­ von

222 Klimawandel und Verstärkung der Küsten­ umgestellt, der sich an den Bedürfnissen dynamik. Die Steilküsten werden stärker der Region orientiert und bei/trotz hohem abgetragen und an anderen Stellen wächst Mechanisierungsgrad eine hohe Beschäfti- neues Land aus dem Meer auf und wird in gungsquote aufweist. Es bestehen ausge- natürlicher Sukzession besiedelt. Dies hat zu wogene Verhältnisse von Großbetrieben und einem Bewusstseinswandel in Wissenschaft,­ bäuerlichen Strukturen sowie von Ackerland, Politik, Wirtschaft und breiter Öffentlichkeit Grünland und Tierbestand. Mit Spezialkul- geführt und einen Paradigmenwechsel zur turen und Gartenbau werden traditionelle Nachhaltigkeit eingeleitet. Zweige wiederbelebt aber auch gänzlich 2) Naturschutz ist aus dem Nischendasein her- neue Wege beschritten. Humusaufbau und aus und längst in der Mitte der Gesellschaft Bodenpflege gewähren gute und stabile Er- angekommen. Er bildet eine breite Allianz träge und führen zu drastischem Abbau vor- mit Politik und Wirtschaft, mit Medien und maliger Belastungen von Grundwasser und Kulturschaffenden, mit Schulen und Hoch- Gewässern. schulen für die Bewahrung der natürlichen 8) Die durch frühere Eindeichung und Melio- Lebensgrundlagen. ration zerstörten Küstenüberflutungsmoore 3) Schutzgebiete mit „neuer Wildnis“ erfahren (z.B. im Bereich der Sundischen Wiese) sind eine hohe öffentliche Wertschätzung, so- nach Deichöffnung/Rückbau in ihrer Ent- wohl bei lokaler Bevölkerung als auch bei sorgungsfunktion renaturiert. Sie tragen als Besuchern, die zumeist aus urbanen Bal- Nährstoff- und Kohlenstoffsenke wesentlich lungsräumen kommen, um in Schutzgebie- zur Regeneration und Selbstreinigung der ten Ausgleich und Entspannung durch Na- Boddengewässer bei. Salzweiden im Bio- turerfahrung zu finden. sphärenreservat werden mit angepassten 4) Die Schutzgebiete verfügen über ausrei- Weidetierrassen beweidet und liefern hoch- chendes Personal mit den Aufgaben ent- wertige Milch- und Fleischprodukte. sprechender Qualifikation und hoher Mo- 9) Die Nährstoffbelastung der Gewässer in der tivation zur Sicherung der Gebiete vor Vorpommerschen Boddenlandschaft hat Übergriffen und vor allem zur Besucherlen- sich infolge der Umstellung auf ökologischen kung und Vermittlung von Naturerfahrung Landbau (s. Pkt. 7) drastisch reduziert. Die und Bildung zur nachhaltigen Entwicklung. Wasserqualität hat sich auch aufgrund der 5) Die bestehenden Nationalparke und Bio- Regeneration ökosystemarer Funktionen sphärenreservate des Landes werden durch (s. Pkt. 8) deutlich verbessert. mehrere große Wald- und Moor-Naturschutz- 10) Die Küstenfischerei ist ein fester und insel- gebiete ergänzt, die als Wildnis-Gebiete von typischer Bestandteil des wirtschaftlichen allen Nutzungen freigestellt sind, so dass Gesamtgefüges im Biosphärenreservat Rü- sich Naturwälder und lebende Moore rege- gen. Die Bestände der „Brotfische“ haben nerieren können. Ihre ökosystemaren Funk- sich dank konsequenter Schonung in Mee- tionen tragen auch zum Klimaschutz bei. resschutzgebieten erholt, sodass sie bei 6) Das Biosphärenreservat Südost-Rügen ist Abfischung entsprechend der Kriterien von auf die gesamte Insel Rügen erweitert und Nachhaltigkeit dauerhaft sicheren Ertrag umfasst damit einen natürlich begrenzten liefern. Die Kegelrobbe ist wieder fester Be- Wirtschafts- und Entwicklungsraum mit standteil der heimischen Meeresfauna. Sie langer gemeinsamer Geschichte und ho- wird von Naturtouristen geschätzt und auch her Identifikation der Bevölkerung mit dem von den Fischern akzeptiert. Leitbild und den Zielen des Biosphärenre- 11) Heimische Erzeugnisse aus Landwirtschaft, servates. Der Nationalpark Jasmund und Fischerei und Waldwirtschaft werden in der der Rügener Teil des Nationalparks Vorpom- Region verarbeitet und vermarktet. Hand- mersche Boddenlandschaft sind als größere werk, Tourismus- und Gesundheitseinrich- zusammenhängende Kernzonen statistisch tungen sowie Kultur- und Bildungsstätten integriert (d.h. sie werden als Kernzonen an- sind gut entwickelt. Viele sind als Partner gerechnet, bleiben aber unter eigenständi- des Biosphärenreservates bzw. der Natio- ger Verwaltung), ergänzt durch Flächen des nalparke zertifiziert. Nationalen Naturerbes um den Kleinen Jas- 12) Durch Entwicklung und Umsetzung ei- munder Bodden, einen großen Teil des NSG nes intelligenten Nahverkehrssystems im Granitz sowie um Teile des Großen Putbus- Anschluss an das gut entwickelte Fern- ser Holzes und der Schaabe. verkehrsnetz der Eisenbahn gehören Au- 7) Die weltmarktorientierte Agrar-Industrie ist toschlangen und verstopfte Straßen der Ver- flächendeckend auf ökologischen Landbau gangenheit an.

223 13) In den beiden Nationalparken sind die 20) Die Schutzgebietsregionen besitzen eine Wunden früherer Holznutzung verheilt. Die hohe Lebensqualität. Sie sind mehr als nur Wälder haben sich zu strukturreichen Na- Erholungs- und Erlebnisraum. Sie sind zu- turwäldern mit allen Phasen des Regenera- nehmend attraktiv zum Leben und Arbeiten, tionszyklus bzw. der natürlichen Sukzession insbesondere für junge Menschen. Sie bie- entwickelt und passen sich selbstregulie- ten jungen, nachrückenden Generationen rend den Veränderungen des Klimas an. erstrebenswerte Lebensperspektiven. 14) Durch konsequentes Wildtiermanagement wird der Wildbestand im Biosphärenreser- Auch wenn diese Visionen nicht alle oder nur in vat auf waldverträglichem Maß gehalten. Teilen realisiert werden sollten, so ist es dennoch In den beiden Nationalparken ist der Wolf wichtig sie als Orientierung im Auge zu behalten zurückgekehrt. Für den Menschen kaum und sie zu verfolgen, damit die Richtung stimmt sichtbar reguliert er die Schalenwildbestän- und die Region auch in Zukunft lebens- und lie- de weitgehend auf natürliche Weise, sodass benswerte Heimat der hier lebenden Menschen menschliches Eingreifen nur noch gelegent- bleibt und Gäste sich großartiger Landschaft lich erforderlich ist. und gastfreundlicher Bevölkerung erfreuen kön- 15) Der frühere Militär- und spätere Nothafen nen. Wir schließen diese Betrachtung mit einem am Darßer Ort ist versandet und der natür- historischen Zitat, dessen Autor eng mit Rügen lichen Küstendynamik ausgesetzt. Ein 2018 und der vorpommerschen Küstenregion verbun- vom Land erbauter Inselhafen ist Liegeplatz den ist. des Seenotrettungskreuzers und bietet zu- Vor fast zweihundert Jahren schrieb Ernst Mo- gleich Seglern Schutz bei stürmischer See. ritz Arndt (1769-1860) in der 1820 in Schles- Auch für den wilden Campingplatz in den wig erschienenen Schrift „Ein Wort über die Dünen ist eine mit den Zielen des National- Pflegung und Erhaltung der Forsten und Bau- parks vereinbare Lösung gefunden. ern im Sinne einer höheren d.h. menschlichen 16) Die Besucherzentren im Bereich der beiden Gesetzgebung“: „Der Mensch soll die Erde, Nationalparke und des Biosphärenreserva­ die Natur, so verwalten und regieren, daß das tes (Darßer Arche, Darßer Leuchtturm, Schöne und Gute in ihr bleiben und wachsen Kranichzentrum Groß Mohrdorf, Barhöft, könne…Wenn es gelingt, die Erde besser zu Waase, Vitte; Königsstuhl, Waldhalle, Krei­ machen, werden auch die Menschen besser. de­museum; Naturerbezentrum, Jagdschloss Gehen die Menschen schlecht mit der Erde Gra­nitz u. a.) sind etablierte und personell um, werden auch die Menschen schlechter“ gut ausgestattete Einrichtungen der Natur- (Ott, 2006). bildung, Umweltpädagogik und Öffentlich- keitsarbeit mit großem Zulauf. Daraus kann man nur schlussfolgern: Lasset 17) Die Kommunen der Region sind untereinan- uns mit der Erde, mit der Natur gut umgehen, der und mit den Schutzgebietsverwaltungen damit es auch uns und unseren Kindern und eng vernetzt und profitieren von der bun- Kindeskindern gut gehe. Diese Aussage hat desweiten und internationalen Ausstrahlung nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil, sie und Beliebtheit der beiden Nationalparke ist im Anthropozän aktueller denn je. und des Biosphärenreservates Rügen. 18) Das Biosphärenreservat Rügen und die Na- tionalparkregion der Vorpommerschen Bod- LITERATUR denlandschaft sind erfolgreiches Modell für nachhaltige Regionalentwicklung und Na- Ott, K. (2006): und der frü- turschutz in Küstenregionen mit weit über he deutsche Naturschutz. Vortrag am 25. die Landesgrenzen hinausrechender Wir- März 2006 bei der Ernst-Moritz-Arndt-Ge- kung. Sie sind mit anderen Schutzgebieten sellschaft e. V. in Groß Schoritz. in Europa und anderen Teilen der Welt gut vernetzt und stehen im gegenseitigen Aus- tausch von Erfahrungen und Personal. 19) Die Menschen in den Schutzgebieten sind sehr gut informiert über das was global läuft (Internet, Kommunikationsnetzwerke), re- flektieren dies und handeln entsprechend verantwortungsvoll auf regionaler und loka- ler Ebene. Sie sind sich ihrer Verantwortung wie auch ihrer Chancen bewusst.

224 Weiterführende Literatur (Auswahl) zu beiden Nationalparken und dem Biosphärenreservat

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227 Englische Zusammenfassungen

THE NATIONAL PARK PROGRAMM 1990 LAGOON AREA, JASMUND NATIONAL AND Hans Dieter Knapp and Hartmut Sporns SOUTHEAST RÜGEN BIOSPHERE The coastal region of Mecklenburg-Vorpommern RESERVE – THREE LARGE PROTEC- belongs to the most outstanding and significant TED AREAS AT THE BALTIC COAST landscapes in Germany. Here last remnants of “primeval nature” survived, and dynamic pro- Gernot Haffner, Ingolf Stodian and Cathrin cesses form and change the coastline up today. Münster Coastal lagoons are one of the most important resting sites of the Western Palaearctic flyway of In the year 1990, the Western Pomerania Lagoon migrating birds, e.g. cranes. Old growth forests Area National Park was founded. It comprises and ancient trees fascinate painters, artists and an area of 78,600 ha. The Western Pomerania researchers for more than two centuries, and ear- Lagoon Area National Park is a marine national ly initiatives for protection of nature, especially park, about 83 per cent of the nature reserve in- birdlife, have been started in this region. The na- clude water areas of the Baltic Sea and the bod- tional parks “Vorpommersche Boddenlandschaft” den waters. The region is a young one, not until und “Jasmund” as well as the biosphere reserve after the last ice age did the Western Pomerani- “South East Rügen” are part of the national park an counterbalancing coast develop. It is charac- program in the time of political changes in the terised by a system of erosion and aggradation. GDR in 1990. Today they belong to the network As a consequence, the habitats of the national of 19 national parks and 4 biosphere reserves in park are shaped by closely intertwined areas of coastal landscapes along the Baltic Sea shore. land and water and by a high level of coastal dynamics. The national park aims to preserve The article describes the history of nature con- the natural processes of most of its areas and servation in the region and destructive changes protect them from human influences. Moreover, of coastal ecosystems under the impact of indus- some parts of the national park have outstand- trial land use in the 60ies of the last century. The ing importance as breeding habitats for coast- remaining natural heritage of international impor- al birds. In these parts specific maintenance tance was the base for the designation of the two measures are taken to ensure protection. national parks and the biosphere reserve. The au- With its 3,070 ha is the thors remember the moving time of the political smallest of 16 German national parks. It was changes 1989/90, and how the “window of op- founded in the year 1990 and pursues an undis- portunity” was used by the initiators of the nation- turbed natural evolution of its protected area. The al park program, which was supported by local Jasmund National Park comprises shallow water people and stakeholder, by scientists and artists, areas of the Baltic Sea and the Stubnitz, largest by conservation organizations like WWF, and by connected area of beech forests on the German colleagues of the national parks “Bavarian Forest” coast of the Baltic Sea. This forest includes nu- and “Schleswig-Holstein Wadden Sea”. At the merous moors. Significant orchid populations last session of the GDR Council of ministers on have established themselves in abandoned chalk September 12th the package of 5 national parks, quarries. In the year 2011, five German beech 6 biosphere reserves and tree nature protection forest areas were entered into the UNESCO parks was approved before the German reunifi- world heritage list of “Primeval Beech Forests of cation on October 3rd 1990. The regulations are the Carpathians and the Ancient Beech Forests current right up today. of Germany“. Just under 500 ha big, this part of

228 Jasmund National Park represents the manifes- long-term solutions, sustainability and participa- tation of an old beech forest on chalk ground as tion of different stakeholders. The National Park a habitat that borders the Baltic Sea. During the Program of the former GDR had focused on to- last ice age a chalk horst was forced upwards day’s federal state Mecklenburg-Western Po- and tectonically deformed. Due to natural coast- merania because of its extraordinary natural en- al dynamics a chalk cliff has formed at the sea- vironment. With the Jasmund National Park, the shore. Through processes of erosion coastal Western Pomerania Lagoon Area National Park retreat with partially big amounts of broken off and the Southeast-Rügen UNESCO Biosphere material is taking place. Reserve, important areas were legally protected The biosphere reserve is situated in the in the state of Mecklenburg-Western Pomerania south-eastern part of Rügen, Germany’s big- and beyond Germany in 1990. gest island. Within its 22,800 hectares, almost all These areas have been regarded in their devel- coastal forms of the southern Baltic Sea can be opment until today. The result shows a great deal found. It was created in 1990 and was integrated of positive facets but at the same time reveals into the UNESCO MAB (Man and the Biosphere) down sides and expectations or hopes which programme in 1991. Within a relatively small are not satisfied yet. The three considered Na- area, diverse landscape formations characteris- tional Nature Landscapes are outstanding areas tic of coastal Germany have been placed under of nature protection and the conservation of bi- protection. Here land and water are intimately odiversity as well as the major destinations for entangled: Peninsulas and promontories are con- tourism along the Baltic Sea in Germany. A fur- nected to another via narrow strips of land and at ther improvement of the personnel and financial the same time separated by the waters of bod- equipment of the National Park administrations den und bays. Wide, fine sandy beaches alter- could result in a better effect of the areas’ high nate with steep cliffs flanked by boulder-strewn potential on state and region. Today’s stage of beaches.Being a site near the northern state bor- development leaves a broad scope of duties for der, accessibility especially of some water areas following generations and gives enough reasons was limited during the GDR era. This situation to an optimistic outlook for the next 25 years. ceased to exist with the fall of the iron curtain, tourism today being the major economic factor. Bringing the demands of tourism, regional eco- WILDERNESS AND CULTURAL LAND- nomic prosperity, traditional land uses and nature SCAPE – SUMMARY IN 11 THESIS conservation in line with each other is one of the major challenges, jointly being taken by the local Lebrecht Jeschke and Hans D. Knapp municipalities and the state administration. 1) The wilderness approach has been formulat- ed already in the early phase of nature conser- BALANCE AFTER 25 YEARS – AS vation in Germany. However, it was not realized SEEN BY EUROPARC DEUTSCHLAND because of the predominating utilitaristic ap- proach including the legal privilege of agricul- Guido Puhlmann and Karl Friedrich Sinner ture and forestry in nature protected areas. 2) The main field of nature protection in Germa- In September 2015 will be the 25th anniversary of ny until present times is the cultural landscape, the National Park Program and therefore the an- which is formed by land use. But, the tradition- niversary of the resolution to secure the so-called al cultural landscape, characterized by diver- “silverware” – the state property of the German sity, individuality and beauty, has been totally reunification. To these belong two recently cre- changed to agro-industrial areas for commercial ated Nature Parks, five UNESCO Biosphere Re- production. The original reason for protection is serves as well as six National Parks, which to- lost and nature conservation has been de facto gether with many others form the backbone of displaced from such areas. the protection of biological diversity in Germany. 3) The idea for special forest protected areas, National Natural Landscapes – Nationale Natur- formulated in the thirties, has been realized two landschaften – is the brand under which more decades later in East-Germany by a system of than 130 large German national parks, biosphere strictly protected zones in forest protected ar- reserves and nature parks are united since 2005. eas, a further decade later by natural forest re- EUROPARC Germany is the governing body of serves also in the West. the brand. The specific value of National Nature 4) The conservation approach – “nature let be Landscapes for nature and society lies in the nature” by Hans Bibelriether – has been pushed management of the areas, which is orientated at as protection goal in Germany and accepted as

229 dynamic approach by the development of the THE SUBMERSE NATIONAL PARK: first German national park Bavarian forest. HABITATS OF THE BALTIC SEA 5) The East German national park program 1990, developed after the model of the Bavarian AND INNER COASTAL WATERS forest, reserved larger areas for natural dynamic Christof Herrmann, Mario von Weber, and pushed the national park idea and the wil- Kristin Zscheile and Fritz Gosselck derness approach in Germany. 6) Since the nineties a change of public aware- The major proportion (c. 80 %) of the Nation- ness is ongoing in relation to wilderness. It is al Park “Vorpommersche Boddenlandschaft” is changing to a positive interpretation, and it is covered by water, including 414 km² of the open like a modern trend. Baltic Sea and 236 km² of inner coastal waters 7) With the so called “National Natural Heritage” (the “Bodden”). The marine areas of the Nation- more than 100,000 ha of former military training al Park Jasmund are less in extension, but its areas are reserved mainly for the development reefs with enclosed chalk rocks are unique for of secondary wilderness. It is based on the ex- the whole German coast. The Biosphere Re- perience, that large and unsegregated areas for serve South-east-Rügen includes a narrow strip natural processes without land use and without of marine waters along the east coast and a va- biotope management are more relevant as the riety of inner coastal waters. current species diversity. The main factors determining the abiotic charac- 8) The National Strategy for Biological Diversity ters of the habitats as well as their biota are salin- 2007 contains wilderness and natural forest de- ity, exposure, light, substrate and relief. Further- velopment as conservation goals. It reflects the more, aperiodic water level changes related to dramatically changes of landscape and nature climatic factors are significant for the formation of under the impact of agro-industrial land use and sand- and mudflats. Based on these factors, the global change. It also opens a change of para- marine habitats are described using the classifi- digm to dynamic conservation goals. cation system of the EC Habitats Directive and, 9) Development of wilderness does not depend for those habitats not included herein, according from primeval conditions, it could start from to the “Guidelines for the mapping of marine bi- every stage of an area. Wilderness is an ongo- otopes and habitat types in the coastal waters of ing process. It could be a primary succession Mecklenburg-Western Pomerania”. on virgin land, e.g. originated by the sea like at Reefs, sandbanks, sand plains and eelgrass Darßer Ort. It could be also a secondary suc- meadows are the dominant habitats of the out- cession on degraded former military training er Baltic waters. Reefs are elevated structures areas, on abandoned arable fields or rewetted of hard bottoms, such as stones and boulders, wetlands. The time of succession without hu- exposed marl, or, as in the case of Jasmund Na- man impact is the most important indicator and tional Park, submerse chalk rocks. They are usu- scale for the degree of naturalness, which is in- ally covered by blue mussels and macrophytes. creasing year for year. Time is not replaceable. Sandbanks are, by definition, upraised structures Wilderness cannot be made. We (as humans) of sandy material which are permanently covered only can reserve space and spend time for nat- by water. The fauna is diverse; mollusks, crus- ural development without any management or taceans and polychaets, which often reach high guidance. densities, are dominating. Sand plains are formed 10) The persistent protection of the last remain- by similar sediments, but lack an upraised relief. ing wilderness on our Earth, and the accept- Eelgrass is widely distributed on the sand plains ance of new wilderness in special dedicated to the north of Darß-Zingst peninsula, where it protected areas are the most important contri- may form the habitat type “eelgrass meadows of bution of nature conservation to safeguard and the outer coastal waters”. to regenerate the ecosystem functioning of the The inner coastal waters include the habitat types biosphere. National parks, strictly protected ar- “estuaries”, “coastal lagoons”, “large shallow in- eas and wilderness areas (IUCN categories II, lets and bays” and “mud- and sandflats”. The Ia, Ib) are proofed and suitable tools. Darß-Zingst Lagoon Chain (Darß-Zingster Bod- 11) The change of agro-industrial production denkette) is a typical estuary, with a strong salin- space to new cultural landscapes, and the re- ity gradient from its inner sections in the west to flection to cultural approaches in land use take its outlet to the Baltic Sea in the east. The salinity to the largest challenges of the 21st century in may fluctuate heavily within short time intervals. global scale. Biosphere reserves are a proofed Such extreme changes are a physiological chal- concept for model regions of sustainable devel- lenge for aquatic organisms. Coastal lagoons opment. - according to the definition of the Habitats Di-

230 rective - are saline/brackish waters with limited Boddenlandschaft (Western Pomerania Lagoon water exchange with the adjacent marine waters. Area National Park). The unique landscape of salt They may be completely disconnected with only marshes on coastal flooding bogs is described occasional influx of salt water at high water lev- and explained in its emergence due to human els of the Baltic Sea, or permanently connected interaction. With a share of only 1% of the total through a narrow sea gate. Large shallow inlets area, the cattle grazing on the salt grass islands and bays are characterized by a salinity similar to is consistent with the international criteria for free the adjacent open Baltic Sea, but distinguished natural development of the national park area . from that by a lower exposure. The lagoons west In addition to the salt grass islands, the sandy of Rügen as well as the Greifswalder Bodden beaches, dunes and wind tidal flats are the most belong to this habitat type. Though there are no important habitats for shorebirds in this Na- tides in the Baltic Sea, vast mud- and sandflats, tional Park. It is, however, important to reclaim also called “wind-generated wadden areas”, ap- even more areas for natural development. The pear as a result of local water level fluctuations existing potential is described and evaluated. caused by climatic factors. This habitat type oc- Different areas are described in their size and curs in shallow sediment accumulation zones of characteristics of breeding birds. The dynamics low exposure. of breeding birds population on the current most important islands from 1990 to 2014 is discussed including a table of 47 species with breeding pairs MARINE PROTECTED AREAS IN THE in five areas in each year. Ornithological sections BALTIC SEA AND THEIR IMPOR- and other volunteer bird guards are caring for the coastal bird islands for years. Securing the un- TANCE FOR MARINE MAMMALS disturbed rest and winter sanctuaries for migra- Patricia Brtnik tory water birds and in particular for the crane is another concern in the Nationalpark Vorpommer- Marine mammals like whales and seals faced sche Boddenlandschaft. severe declines in abundance due to intensive After first 25 years since the foundation of the na- commercial hunting. Now, new anthropogenic tional park, habitats for the shorebirds are about impacts such as bycatch in fishing gear, habitat to improve. Thus, the granting of natural coastal destruction, underwater noise, food depletion, dynamics and the successful completion of vari- pollution or climate change are threatening the ous renaturation projects are crucial. The current survival of many whales or seals. Special areas conclusion shows the necessary requirements. of protections such as marine parks, biosphere reserves, sanctuaries or marine protected ar- eas can provide an important contribution to FORESTS AND MIRES – (SEMI)-TER- protect marine mammals from negative human RESTRIAL HABITATS IN THE GERMAN impacts. Key habitats such as feeding grounds, reproduction and nursing areas as well as crit- BALTIC SEA NATIONAL PARKS ical habitats for species life circles are used to Lebrecht Jeschke identify possible protection sites. To be effec- tive, concrete conservation measures have to The paper presents forests and mires lying within be implemented to tackle the threats. As high the two German National Parks (NP) on the Bal- mobile species, additional measures such as tic shores. It briefly describes the history of the the creation of protected area networks, fish- landscape development characterized by con- ery regulation as well international and region- siderable dynamics. In the NP „Vorpommersche al conventions and agreements are needed to Boddenlandschaft“ the development of mires provide a comprehensive protection of marine and forests is related to the history of the Baltic mammals in their entire range. Sea, especially the sea level fluctuations during the past 7 thousand years. The mires are main- ly paludification mires, in which sedge reeds in ISLANDS IN THE NATIONALP PARK – depressions between the beach barriers on the SANCTUARIES FOR SHOREBIRDS Neudarß turned into alder swamp forests. On the newly formed land the primary succession Hartmut Sporns of grass and heather stages leads to pine pioneer forests. On the high dune ridges this pine-crow- Conservation of the main wader and water bird berry-community is present in a very near natural stocks on the German Baltic coast is a special aim state. The further development of deciduous for- of protection to the Nationalpark Vorpommersche ests was hampered by (exeptivually) high stocks

231 of hoofed game. Therefore the intermediate sta- have in common, namely the Königsstuhl Na- dium of the characteristic oaks is largely missing. tional Park Centre, the Darßer Ort Natureum, the The climax community of the Darß is the beechfor- exhibitions and points of information of the Bio- est. The cretacious chalk horst of the Jasmund NP sphere Reserve like the Granitzhaus and the Lot- is dominated by beech forests. In direct near shore senwache in Thiessow, or the exhibition “Baltic gullies primorial forest communities survived, while Sea” of the Ozeaneum in Stralsund. Along with the ongoing erosion of the cliff leads to backset- numerous services and attractions throughout ting of the coastline and continous origin of new the nature reserves, they all are worth visiting. pioneer sites. The hinterland is occupied by beech They also play a role in helping manage visitors forests on chalk, clay and sandy soils. The natural to some of our most valuable nature areas. regeneration of these forests also is partly threat- What do our visitors expect and wish for? Wordy ened by the high hoofed game stock. and thoughtful explanations with a moralizing The beechforests on chalk grounds and the pi- undertone, or encouragement to understand oneer forests on the coast stand out by their nature, to participate and reflect? One thing is rich orchid flora. In numerous, often drainless certain: even in our age of multimedia, exhibi- terrain depressions unique kettle hole mires tions are still asked for. The latest survey, con- developed. However, many mires presumed to ducted by the University of Würzburg (JOB et al, have been originally drainless have proved to- 2014), reveals that exhibitions still belong to the day as castic swamps with strong fluctuations channels of information that visitors of a nation- of the water level. al park expect apart from topic related publica- tions, the internet and social media. A question much harder to answer is to what extent can CHANGE IN FRONT OF OUR EYES – exhibitions instill an appreciation of nature and MONITORING RESEARCH IN THE the protected areas in the heads and hearts of NATIONAL PARKS the people. Stephanie Puffpaff This is a question that all creators of exhibitions are faced with repeatedly. The possible chan- Changes in wilderness as well as in cultivated nels of communication seem endless: Should landscapes are happening directly and con- we embrace the change of multimedia devel- stantly in front of our eyes and in many different opments or actively emphasize contrasting fea- facets. This change in the environment differs tures? Should we implement lots of activities depending on the perspective each of us takes. and animations or the quiet counterpart? Should The major challenge, as well as the self-under- offerings for children and multilingualism be well standing for all research in the National Park Of- positioned or discreetly placed? How can ex- fice Vorpommern, is documenting this change in hibitions be build accessibly and ecologically? a neutral way, understanding it in compliance with Do visitors want great visitor centers or many the protective purpose, evaluating it and drawing smaller points of information that have a the- conclusions for National Park development. matic profile? The article gives an insight into conducted and future research in Jasmund National Park and The good thing is that there is something for the Western Pomerania Lagoon Area National everyone. This is shown by the following articles Park since designation of the Parks. about the centers of information and exhibitions of the three main nature reserves in the Western Pomeranian Baltic region. They summarize what FOR SEEING – VISITOR SERVICES IN the visitors can discover in the 25th year after THE WESTERN POMERANIAN NATIO- the foundation of the reserves. The presented concepts of the educational in- NAL PARKS AND IN THE SOUTHEAST stitutions take the central concerns of their re- RÜGEN BIOSPHERE RESERVE spective nature reserve as a starting point and differ according to the focus of their educational Katrin Bärwald, Ulf Steiner, Kai Lüdeke, work (cf. the articles by Bokemeyer-Siems and Stefanie Dobelstein, Thomas Förster and Rentz as well as Dobelstein in this volume). The Ines Martin concept of developing wilderness in national parks - “let nature be nature“ – must be bal- To uncover the hidden treasures that coastal anced against forming and conveying a con- Western Pomerania does not reveal at a casual scious and sustainable cultural landscape in the glance – that is what exhibitions of the regions biosphere reserves.

232 25 YEARS OF ENVIRONMENTAL “Seal ambassadors”. Since 2013 new staff al- EDUCATION IN THE NATIONALPARK lows to refine on approaches and methods to- wards ESD. New projects offered in 2014/15 VORPOMMERSCHE include the Protection of Species, Climate Pro- BODDENLANDSCHAFT tection and an Ecological School Garden.

Ulrike Rentz and Chris Bokemeyer-Siems GOVERNANCE STRUCTURES OF To celebrate the upcoming 25th anniversary of LARGE PROTECTED AREAS AT THE the Western Pomerania Lagoon Area National Park, the authors reflect on the principles of en- GERMAN BALTIC COAST vironmental education in the park and the devel- Olaf Ostermann, Hartmut Sporns opment of the department. In the first section of and Stefan Woidig the article, they explain the three most important pillars of their work - the original encounter with This article introduces the term „governance“, nature, the open dialogue with participants in describes it’s relevance for large protected ar- educational programs, the authentic approach eas (National Parks, Biosphere Reserves and of the environmental educator. The second part Nature Parks) generally and especially for the of the article discusses the establishment of the Fischland/Darß/Zingst/Rügen-Region, a coastal department of environmental education in the region of Mecklenburg-Vorpommern at the Bal- Western Pomerania Lagoon Area National Park tic coast in northeast Germany. It is highlighted, and outlines some exemplary activities the de- that the governance structures in place contrib- partment has organised over the years. ute to the integration of protected area’s work to the regional development and to their accept- ance by locals and the general public. EDUCATION FOR SUSTAINABLE The most important governance structures for DEVELOPMENT IN THE SOUTHEAST the two National Parks Vorpommersche Bod- denlandschaft and Jasmund and for the Bio- RÜGEN BIOSPHERE RESERVE sphere Reserve Southeast Rügen are then Stefanie Dobelstein presented in more detail, such as Advisory Councils, the Partner System, the supporting The unique landscape and nature in the Sou- private associates as well as long-lasting ef- theast Rügen Biosphere Reserve (SER-BR) ins- fects of certain projects. pires many visitors since more than 100 years. It can be concludet, that these governance Biosphere reserves combine nature and culture, structures should be kept and strengthened, only a small part of nature is left to itself. They because they made a good job and contributed keep traditional economic systems, preserve a lot to communication and acceptance for the cultural landscapes and customs but also pre- Protected Areas. pare the way for innovative and sustainable use. Therefore the educational mission of biosphere reserves differs from those in national parks. FROM THE BEGINNING: In biosphere reserves humans with their creati- WWF SUPPORTS THE NATIONAL vity and activities are in the center of attention and constitute an integral element of the natural PARKS DURING 25 YEARS and cultural landscape. A key mission is Educa- tion for Sustainable Development (ESD). Jochen Lamp Three fundamental elements characterize the educational concept in the SER-BR: WWF Germany with its Baltic Sea office in »» Experience nature with all senses, Stralsund has supported the two coastal nation- »» Knowledge makes competent, al parks since its early days in 1990. The ways »» Self-reflection creates responsibility. to endorse the national park’s development to- Since 2004, an environmental education pro- wards reaching international recognition were gram was developed jointly with the Rangers manifold. The approaches and support-Strate- and continuously expanded together with a net- gies changed alongside the needs of the park work of partners. Since 2008, all primary and administration and with the maturity of the man- regional schools in the area participate in the agement. It was important all the time, however Junior Ranger programs. Current training pro- to have a close contact to the administration and grams include Junior Ranger programs and the a deep insight into the actual processes in the

233 parks. In the early phase when structures and veloped the project and secured also with 2 mil- administration were established and when the lion Euro own investment costs that now yearly concept of a national park was hardly known, 300.000 visitors can be hosted. With the munic- WWF provided its national and international ipality of Sassnitz, WWF runs the centre via a contacts and experiences with other national joint non-profit company. park developments and also with the Western German policy and buerocracy. WWF funded or even edited the first information a leaflets and CRANE CONSERVATION GERMANY brochures. WWF also helped finding sponsors AND THE FASCINATION OF CRANE for the park infrastructure, like watch towers, walking paths or machines to produce informa- RESTING tion panels. Günter Nowald Especially, when traditional users or touristic developers tried to weaken die National parks After the the working group regulations and to challenge the whole concept “Crane Conservation Germany” was founded in of a national park, WWF, together an NGO co- 1991 by the “Working Group for the protection alition, lobbied publicly and in legal procedures of animal species threatened by extinction in for national parks that once will receive interna- the GDR”, the German “Nature and Biodiversity tional recogntion. National campaigns against a Conservation Union” (NABU e.V.) and the Ger- sold out of the Baltic Sea landscapes were run man “World Wide Fund for Nature” (WWF) in co- by WWF and support initiatives started to initi- operation with the Environmental Sponsorship ate a formal profession Park Ranger system in of Lufthansa. In 1996 the non-profit company Germany. In the more mature phase of the Na- “Kranichschutz Deutschland GmbH“with NABU tional parks consist of the more day-today co- and WWF as shareholders was founded and the operation: in the national park counsil, presence Crane Information Centre in Groß Mohrdorf was a public events like national park days or small established. The Crane Information Centre in- funding for Junior Rangers etc. cludes an all year round exhibition and is there- The two outstanding single activities are to fos- with; mainly responsible for public relations work, ter an alternative solution for the provisional ref- but also for environmental education as well as uge harbor Darßer Ort in the core zone of the regional, national and international crane con- National Park Boddenlandschaft and the cre- servation. Moreover, the staff provides scientific ation and funding of the National Park Centre opinions and prepares expert assessments for Königsstuhl in the Jasmund National Park. planned interventions in nature and landscape. Monitoring of breeding and resting as well as Darßer Ort marking cranes with colored rings and transmit- This illegally built harbor serves since the exist- ters including its data gathering and analysis with ence of the national park as a stop-over – lei- iCORA.de are some of the research activities of sure boat harbor and as well as basis for the the Crane Information Centre. The research and search-and-rescue vessel. It also lies within on conservation measurements are based on coop- the most active dynamic habitats where sedi- eration with national and international organiza- mentation creates about 20 meters of new land tions and institutions. every year. WWF has worked for an alternative The region in the lagoons of the Baltic Sea at to this unsustainable and economically hopeless the Fischland-Darß-Zingst Peninsula and Rügen harbor location. WWF took over responsibility to Island (“Darß-Zingster Boddenkette”) is one of maintain the harbor in 1994 and played this role the most important crane resting areas along since, while offering alternative solutions, lob- the Western European migration route. The area bying on the political floor or fighting at court is known as a resting area for more than 200 for a replacement outside of the nationalparks years. Due to the increase of the breeding pop- core zone. Only in 2014 a solution appears at ulation especially in the number of rest- the horizon. ing cranes has also increased. Nowadays, up to 70.000 cranes during autumn migration and for Nationalpark Centre Königsstuhl a short period of time up to 15.000 cranes dur- At the most visited point of the National park ing spring migration rest in this region. Artificial Jasmund, WWF had the idea to turn a former feeding areas are offered during crane migration military barrack into a model visitors centre. (especially in autumn) to prevent conflicts with Complicated legal procedures had to be un- regional farmers. Due to the resting cranes the dergone and funding be organized before the region becomes an important tourist destination centre could be inaugurated in 2003. WWF de- in September and October.

234 Autorinnen und Autoren dieses Bandes

Dr. Till Backhaus, Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz, Paulshöher Weg 1, 19061 Schwerin;

Jan Baginski, Förderverein Nationalpark Boddenlandschaft e. V., Bliesenrader Weg 2, 18375 Wieck a. Darß;

Katrin Bärwald, Nationalparkamt Vorpommern, Im Forst 5, 18375 Born;

Dr. Harald Benke, Deutsches Meeresmuseum, Katharinenberg 14-20, 18439 Stralsund;

Chris Bokemeyer-Siems, Nationalparkamt Vorpommern, Im Forst 5, 18375 Born;

Patricia Brtnik, Deutsches Meeresmuseum, Katharinenberg 14-20, 18439 Stralsund;

Stefanie Dobelstein, Biosphärenreservatsamt Südost-Rügen, Circus 1, 18581 Putbus;

Dr. Thomas Förster, Deutsches Meeresmuseum, Katharinenberg 14-20, 18439 Stralsund;

Fritz Gosselck, Sanitz;

Gernot Haffner, Nationalparkamt Vorpommern, Im Forst 5, 18375 Born;

Christof Herrmann, Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie M-V, Goldberger Str. 12, 18273 Güstrow;

Dr. Lebrecht Jeschke, Greifswald;

Prof. Dr. Hans-Dieter Knapp, Bundesamt für Naturschutz, Insel Vilm, 18581 Lauterbach;

Manfred Kutscher, Verein der Freunde und Förderer des Nationalparks Jasmund e. V., Gummanz 3A, 18551 Sagard;

Jochen Lamp, WWF Deutschland, Projektbüro Ostsee, Fährwall 1 / Beghinenhaus, 18439 Stral- sund;

Kai Lüdeke, Arche Natura gGmbH, Bliesenrader Weg 2, 18375 Wieck/Darß;

Ines Martin, Deutsches Meeresmuseum, Katharinenberg 14-20, 18439 Stralsund;

Cathrin Münster, Biosphärenreservatsamt Südost-Rügen, Circus 1, 18581 Putbus;

Dr. Günter Nowald, Kranichinformationszentrum, Lindenstraße 27, 18445 Groß Mohrdorf;

Olaf Ostermann, Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz M-V, Paulshö- her Weg 1, 19061 Schwerin;

235 Stephanie Puffpaff, Nationalparkamt Vorpommern, Im Forst 5, 18375 Born;

Guido Puhlmann, EUROPARC Deutschland e. V., Pfalzburger Strasse 43/44, 10717 Berlin;

Dr. Götz-Bodo Reinicke, Deutsches Meeresmuseum, Katharinenberg 14-20, 18439 Stralsund;

Rolf Reinicke, Stralsund;

Ulrike Rentz, Nationalparkamt Vorpommern,Im Forst 5, 18375 Born;

Dr. Bernd Schumacher, Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz, Pauls- höher Weg 1, 19061 Schwerin;

Karl Friedrich Sinner, EUROPARC Deutschland e. V., Pfalzburger Strasse 43/44, 10717 Berlin;

Hartmut Sporns, Nationalparkamt Vorpommern, Im Forst 5, 18375 Born;

Dr. Ingolf Stodian, Nationalparkamt Vorpommern, Im Forst 5, 18375 Born;

Annett Storm, Arche Natura gGmbH, Bliesenrader Weg 2, 18375 Wieck/Darß;

Ulf Steiner, Nationalpark-Zentrum KÖNIGSSTUHL, Stubbenkammer 2, 18546 Sassnitz;

Mario von Weber, Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie M-V, Goldberger Str. 12, 18273 Güstrow;

Stefan Woidig, Biosphärenreservatsamt Südost-Rügen, Circus 1, 18581 Putbus;

Kristin Zscheile, Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie M-V, Goldberger Str. 12, 18273 Güstrow.

236 Fotonachweise

Archiv Biosphärenreservatsamt Südost-Rügen (11): Seiten 43, 156, 173-180. Archiv Bundesamt für Naturschutz (1): Seite 92. Archiv Förderverein NLP Jasmund (5): Seiten 201-204. Archiv Nationalparkamt (2): Seiten 153 oben, 154 oben. Archiv Nationalpark-Zentrum Königsstuhl (3): Seiten 150-152. Archiv WWF (5): Seiten 207-209, 211-212. Bärwald, K./NLP (1): Seite 188. Benke, H. (1): Seite 94. Berndt, S. (1): Seite 153 unten. Bethke, I. (1): Seite 167 unten. Blase, B. (2): Seite19. Bokemeyer-Siems, C. (1): Seite 168 oben. Buras, A. (1): Seite 145. Chowanietz, D. (1): Seite 93. Dahl, U. (1): Seite 42 unten. Dahlke, S. (1): Seite 144. Förster, T. (5): Seiten 77, 83 oben rechts, Mitte rechts, 85, 157. Gosselck, F. (3): Seiten 76 oben links, Mitte rechts, unten links. Grapentin, G. (1): Seite 14 links. Grauwinkel, M. (1): Seite 162 oben. Grundner, T. (3): Seiten 27, 30 unten, 143 Mitte rechts. Haufe, S. (1): Seite 158 unten. Hennemann, M. (1): Seite 169 links. Hübner, P. und Krause, J. (1): Seite 78. Jergius, B. (1): Seite 167 oben. Jeschke, L. (32): Foto Rückseite, Seiten 123-138. Kästner, A. (1): Seite 52 unten. Kläger, J. (1): Seite 155. Kleimeier, C. (1): Seite 40. Knapp, H. D. (14): Seiten 58-69, 190, 192, 195, 221. Künkler, N. (3): Seiten 162 unten, 168 unten, 170 oben.

237 Kutscher, M. (1): Seite 17. Löber, A. (1): Seite 199 unten. Martitz, F. (1): Seite 143 Mitte links. Nikulski, L. (2): Seiten 199 oben, 200. Nowald, G. (4): Seiten 216-219. Puffpaff, S. (4): Seiten 143 oben rechts, 146-148. Reich, J. (12): Seiten 31 unten, 33, 37 unten, 86, 110, 112, 117-121. Reinicke, R. (15): Titelbild, Seiten 84, 99-108. Rentz, U. (2): Seiten 169 rechts, 170 links. Ruchhöft, F. (1): Site 143 oben links. Scheiwe, J. (1): Seite 52 oben. Schlorke, J. M. (3): Seiten 158 oben, 159-160. Sporns, H. (5): Seiten 14 rechts, 109, 111. Stodian, I. (16): Seiten 29, 30 oben, 31 oben, 35 unten, 37 oben, 38, 44, 47, 48, 50, 51, 53, 143 oben Mitte. Storm, L. (3): Seiten 49, 161, 210. Weigelt, M. (5): Seiten 34, 35 oben, Mitte, 36, 46. Wichmann, W. (10): Seiten 73, 76 oben rechts, Mitte links, unten rechts, 79 unten, 80, 83 links, unten rechts. Woidig, S. (8): Seiten 39, 41, 42 oben, 54-56, 183, 185.

*) sofern nicht aus Quellenangaben ersichtlich

238 Foto Titelseite: Blick über den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Das am 15. April 2014 aus etwa 300 Meter Höhe mit Blickrichtung Nord aufgenommene Luftbild zeigt große Teile des östlichen Nationalparks und deren ausgedehnte Flachwasserzonen. Links unten, am Ufer des Kubitzer Boddens, liegt Klausdorf mit seinem kleinen Anglerhafen. Der Wald- streifen darüber markiert einen steilen Uferhang – ein fossiles Kliff. Es verläuft im Wald geradlinig weiter bis nach Barhöft, das mit seinem Hafen am nördlichen Ende der breiten, teilweise bewalde- ten Verlandungszone vor dem fossilen Kliff liegt, das dort nach Westen abbiegt. Die westliche Uferzone am Kubitzer Bodden (Wasserfläche rechts bis auf Höhe Gellen) zwischen Klausdorf und Barhöft zeigt den breitesten Schilfgürtel im Nationalpark. Er wächst auf dem land- seitigen Teil einer gelblichgrün erscheinenden Flachwasserzone – der Schaar – einer Abrasions- platte aus den Anfängen der Küstendynamik dieses Gebietes. Etwas östlich verläuft die markante Rinne des Mühlentiefs. Die darüber liegende, schmalere Vierendehl-Rinne teilt als gebaggerter Seefahrtsweg die Sandplatte des Vierendehl-Grundes, der nach Norden in die teilweise trocken gelaufene Gellen-Schaar übergeht. Westlich, zwischen dieser ausgedehnten Seesand-Platte und der bewaldeten Insel Bock mit ihrem vorgelagerten hellen Windwatt, verläuft die Gellen-Rinne – wichtigste Verbindung zwischen den Bodden und dem offenen Meer. Zwischen der Insel Bock und dem bewaldeten Höhenrücken bei Barhöft führt die Barther Zufahrt in die westlich gelegene Darß- Zingster-Boddenkette. Im oberen Teil des Bildes liegt links die freie Ostsee, weiter rechts die lang gestreckte Insel Hid- densee mit dem Sandhaken des Gellen als Südspitze. Das Gewässer zwischen Hiddensee und der Insel Ummanz (rechts) und Westrügen (darüber) ist der Schaproder Bodden. Ganz im Norden erahnt man die Sandhaken Bug, Alter Bessin und Neuer Bessin (www.kuestenbilder.de).

Foto Rückseite: Die Kreidesteilküste zwischen Sassnitz und Stubbenkammer lockt jedes Jahr tausende Besucher in den Nationalpark Jasmund. Die Küste ist durch einen Wanderweg hervorragend erschlossen von dem der Besucher den stetigen Wandel dieser Küste erleben kann. Es sind nicht nur die wech- selnden Jahreszeiten, die immer wieder neue Bilder ergeben, sondern auch der unaufhaltsame Rückgang der Steilküste erzeugt neue, noch nie gesehene Bilder. Besonders der Herbst beschenkt die Besucher mit unvergesslichen Eindrücken: der bedrohlich dunkle Himmel kündet neue Stürme an, irgendwo liegen Kreidetrümmer auf dem Strand und werden von Meer aufgearbeitet und als Kreidemilch fortgetragen, dazu das braune Laub der dunklen Buchenstämme und die hellen Krei- dewände, die Wind und Wetter getrotzt haben – ein Weilchen noch werden sie sein.

Umschlagseite vorn: Übersichtskarte des deutschen Ostsee-Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft: Die Darstellung einschließlich der seeseitigen Grenzen umfasst die Bezeichnungen der Gebiete und Gewässerabschnitte, die in den Beiträgen des Bandes genannt werden (verändert nach der Stan- dardkartographie des Nationalparkamtes Vorpommern, Kartis 2009/2012).

Umschlagseite hinten: Übersichtskarte des deutschen Ostsee-Nationalparks Jasmund und des UNESCO-Biosphären- reservates Südost-Rügen: Die Darstellung einschließlich der seeseitigen Grenzen umfasst die Bezeichnungen der Gebiete und Gewässerabschnitte, die in den Beiträgen des Bandes genannt werden (verändert nach der Standardkartographie des Nationalparkamtes Vorpommern, Kartis 2009/2012).

239 In dieser Schriftenreihe sind von 1980 bis 2012 die Bände 1 bis 24 erschienen. Die Bände 1 bis 4 und 6 sind vergriffen, die anderen Bände können im DMM bezogen werden. Ausführliche Informationen zu den einzelnen Bänden und ein Bestellformular finden Sie im Internet unter www.meeresmuseum.de.

MEER UND MUSEUM Schriftenreihe des Deutschen Meeresmuseums und OZEANEUMS, Band 25, 2015

Herausgeber Dr. Harald Benke in Kooperation mit dem Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern

Redaktion und Gestaltung Dr. Götz-Bodo Reinicke Dr. Bernd Schumacher Dr. Dorit Liebers-Helbig Prof. Dr. Hans Dieter Knapp Hartmut Sporns Thomas Korth Sylvia Burwitz Ines Westphal

Layout, Druck und Weiterverarbeitung Ostsee Druck Rostock, ODR GmbH Koppelweg 2, 18107 Rostock

Bezug Deutsches Meeresmuseum Museum für Meereskunde und Fischerei · Aquarium Katharinenberg 14-20, 18439 Stralsund

OZEANEUM Stralsund GmbH Hafenstraße 11, 18439 Stralsund

Nationalparkamt Vorpommern Im Forst 5, 18375 Born

ISSN 0863-1131

Die Stiftung Deutsches Meeresmuseum wird gefördert durch die Bundesregierung Deutschland, das Land Mecklenburg-Vorpommern und die Hansestadt Stralsund.

240 Stralsund · 2015