In der Schatzkammer des Bayerischen Armeemuseums erwarten den Besucher herausragende Stücke der alten Sammlung, die weltweit einzigartig oder überaus selten sind. Kleidungsstücke einfacher Soldaten aus dem 16. Jahrhundert, ein prachtvoll gestalteter Parier- schild, die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich und andere kostbare Exponate. Das Zentrum des Raumes bildet eine Rüstung aus dem 14. Jahrhundert, ein so genannter Plattenrock.

Der Band bietet neben einführenden Aufsätzen einen Beitrag zu jedem Stück der Schatzkammer. Alle Objekte werden ausführlich vorgestellt und mit zahlreichen Abbildungen erläutert.

ISBN 978-3-96049-090-6

9 783960 490906 Plattenrock, Buckler und Conquistador Aus der Schatzkammer des Bayerischen Armeemuseums

Plattenrock, Buckler und Conquistador

Aus der Schatzkammer des Bayerischen Armeemuseums

Herausgegeben von Tobias Schönauer und Ansgar Reiß Kataloge des Bayerischen Armeemuseums Band 19 Kataloge des Bayerischen Armeemuseums Band 20 Herausgegeben von Ansgar Reiß

Herausgegeben von Ansgar Reiß

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Bayerischen Armeemuseums, der Autoren und des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Das Werk ist in allenin seinen und Verarbeitung Teilen urheberrechtlich durch elektronische geschützt. Systeme. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Bayerischen Armeemuseums unzulässig. Das gilt insbesondere Zustimmung des Bayerischen Armeemuseums unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in für Vervielfältigungen,Umschlaggestaltung: Übersetzungen, Mikroverfilmungen malyma.Werbung Neumarkt und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. DerDie VERLAGUmschlagabbildung PH.C.W. SCHMIDT basiert auf ist einem nicht Fotoverantwortlich aus der Ausstellung für den Inhalt von Gertder Publikation Schmidbauer. und Die Umschlagabbildung basiert auf einem Foto aus der Ausstellung von Gert Schmidbauer evtl. VerletzungenUmschlaggestaltung: des Urheberrechts; malyma.Werbung er kann dafür rechtlich Neumarkt nicht belangt werden. Umschlaggestaltung: malyma.Werbung Neumarkt

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© 2021ISBN: Bayerisches 978-3-96049-067-8 Armeemuseum, Paradeplatz 4, 85049 Ingolstadt Besuchen Sie uns im Internet: www.armeemuseum.de © 2019 Bayerisches Armeemuseum, © 2019Paradeplatz Bayerisches 4, 85049 Armeemuseum, Ingolstadt Paradeplatz 4, 85049 Ingolstadt Besuchen Sie uns im Internet: www.armeemuseum.de Besuchen Sie uns im Internet: www.armeemuseum.de Gesamtherstellung: VDS VERLAGSDRUCKEREI SCHMIDT 91413 Neustadt an der Aisch

Inhalt

8 Vorwort

10 Impressum

13 Zusammenfassungen der Beiträge

Ansgar Reiß 20 Museumsgeschichte, Objektgeschichte, Geschichte Europas – Die Schatz- kammer als Laboratorium der Museumsarbeit

Kerstin Merkel 32 Genäht und geschmiedet – Modetransfer und gesellschaftliches Ideal im 14. Jahrhundert am Beispiel von Rudolf IV., Erzherzog von Österreich, und Katharina von Böhmen

Fabian Brenker 46 Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert – Zur Bedeutung der Schriftquellen für die Erforschung der materiellen Kultur des Hochmittelalters

Tobias Schönauer 68 Die Hirschsteiner Rüstung – Ein Plattenrock oder Lendner aus der Mitte des 14. Jahrhunderts

Alfred Geibig 104 Drei Schwerter aus der Sammlung des Bayerischen Armeemuseums

Alfred Geibig 122 Von Hakenbüchsen und Prellhölzern – Eine besondere Hakenbüchse vom Markt Schrobenhausen

Tobias Schönauer 136 Holz, Leder und Leinwand – Eine Pavese mit dem Münchner Kindl

Tobias Schönauer 150 Von Innsbruck nach Bayern – Ein Buckler aus Schloss Ambras als Kriegsbeute

Tobias Schönauer und Dieter Storz 164 Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich – Ein Radschlossgewehr mit wechselvoller Geschichte 7

Tobias Schönauer 178 Das Innere eines Turnierhelms – Eine Helmhaube für einen Stechhelm

Christopher Retsch 190 Die Panzerhose im Bayerischen Armeemuseum – Hosen als Rüstungsteile im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit

Johannes Pietsch 212 Rock und Hose eines Conquistadoren – Ein außergewöhnlicher Fund aus Peru

226 Bildnachweis

229 Autoren Vorwort

„Plattenrock, Buckler und Conquistador“ jekt noch einmal komprimiert zusammen- ist nach „Formen des Krieges 1600-1815“ gestellt sind. Nicht zuletzt hier spiegelt aus dem Jahr 2019 der zweite Katalog- sich auch eine erst in jüngster Zeit erarbei- band im Rahmen der Neuaufstellung der tete, neue Stufe der digitalen Erschließung älteren Sammlungen des Bayerischen Ar- der Dokumente des Museums, die es er- meemuseums. „Plattenrock, Buckler und laubte, insbesondere die Provenienzen Conquistador“ ist der Katalog zu einem nun viel klarer herauszuarbeiten. eigenen Ausstellungsraum, der so ge- Der vorliegende Band entstand während nannten Schatzkammer. Er wendet sich ei- der augenblicklich noch fortdauernden ner noch älteren Epoche zu. Für diese Zeit Pandemie. Wir danken vor allen anderen sind die auf uns gekommenen sachlichen den Autoren der Beiträge. Es freut uns, Überreste naturgemäß selten. Aus dem dass sie in dieser fordernden Zeit die Fle- Mittelalter oder dem 16. Jahrhundert ha- xibilität und die Bereitschaft hatten, sich ben gerade Gegenstände aus organischen mit den jeweiligen Stücken oder Ensem- Materialen, also Holz, Leder oder Tex- bles intensiv auseinanderzusetzen und til, nur ausnahmsweise überdauert. Vor ihre Studien in diesen Katalog einfließen allem die Textilien des 15. und 16. Jahr- zu lassen. Wir hoffen, dass sich weitere hunderts aus den Sammlungen unseres Diskussionen und Forschungen daran Museums gehören allein schon deshalb anschließen werden, zumal viele der Stü- zu den ungewöhnlichsten Stücken im Mu- cke sehr ungewöhnlich sind und zuvor seum. Aber darüber hinaus wurde für die praktisch unbekannt waren. Wir danken Schatzkammer auch bewusst eine enge, aber besonders auch denen, die im Hin- exquisite Auswahl getroffen. Der Unterti- tergrund und begleitend gearbeitet ha- tel signalisiert, dass es sich nicht um eine ben; besonders zu nennen sind hier Frau geschlossene Gruppe von Gegenständen Magdalena Verenkotte und Frau Ursula handelt, sondern eben um einzelne, aus Hofmann, deren Restaurierung des Rocks verschiedenen Gründen besonders bemer- des Conquistadoren zu einer vollständi- kenswerte Stücke. gen Neubewertung und in der Folge auch Dieser neue Katalog hat auch einen ande- Neupräsentation dieses außergewöhnli- ren Zuschnitt. „Formen des Krieges“ ver- chen Stückes geführt hat. Diese Restau- stand sich als knappe, aber vollständige rierung wurde von der Ernst von Siemens Dokumentation der Ausstellung in Text Kunststiftung großzügig gefördert. und Bild, hier dagegen werden darüber Der Dank gilt auch allen Mitarbeiterinnen hinaus Tiefenbohrungen vorgenommen. und Mitarbeitern im Haus, die die Stücke Am Anfang steht ein Essay zum „Museum für die Vorbereitung zur Präsentation und in progress“, gefolgt von zwei Beiträgen vor allem während der teilweise komple- allgemeineren, historischen Zuschnitts xen und komplizierten Fotoaktionen im zum Thema Kleidung und Rüstung. Den Museum betreut haben. Schwerpunkt aber bilden eingehende Ein- Es war von Anfang an das erklärte Ziel, zeluntersuchungen zu den in der Schatz- die Aufsätze stark zu bebildern, um die kammer präsentierten Objekten. Jeder Bei- Stücke auf diese Weise in einen Gesamt- trag ist ergänzt um eine Doppelseite, auf zusammenhang stellen zu können. Ne- der sozusagen die harten Fakten zum Ob- ben Buchmalereien, Gemälden, Grafiken, 9

Vergleichsstücken und anderen Darstel- lungen sind es jedoch in erster Linie die hervorragenden Aufnahmen der Expo- nate selbst, die dieses Buch auszeichnen. So möchten wir zunächst dem Fotografen Gert Schmidbauer danken, der die Fer- tigstellung dieses Kataloges leider nicht mehr erleben durfte. Neben seinen Fotos findet sich in der Publikaton eine Vielzahl von Aufnahmen von Erich Reisinger. Die- se schwierig zu realisierenden Detailfotos geben teilweise spektakuläre Einblicke in das „Innenleben“ und die „Geheimnisse“ der Stücke. Daneben stellten viele Privat- leute und befreundete Forscher diverse Aufnahmen von Kunstwerken zur Verfü- gung, die den Katalog im besten Sinne des Wortes mehr Farbe verliehen haben – vie- len Dank hierfür. Sehr herzlich sei unse- rem Kollegen Daniel Hohrath gedankt für das sorgfältige Lektorat. Ohne ihn hätte das Buch nicht in dieser Form realisiert werden können. Und es ist hier zugleich der Ort, um unse- ren Dank im Zusammenhang mit dem vor zwei Jahren realisierten und gleichzeitig mit „Formen des Krieges“ am 3. Juni 2019 eröffneten Museumsraum auszudrücken. Im Impressum sind die Beschäftigen im Museum genannt, die mit dem Projekt in besonderer Weise zu tun hatten. Ihnen gilt unser Dank ebenso wie dem Ausstellungs- büro Janet Görner und der Grafikerin Lui- se Wagener, die hier einen Raum mit einer ganz besonderen Stimmung geschaffen haben.

Tobias Schönauer – Ansgar Reiß

Ingolstadt, im Mai 2021 10 Impressum Ausstellung Katalog

Veranstalter Kataloge des Bayerischen Bayerisches Armeemuseum Armeemuseums Bd. 20 herausgegeben von Ansgar Reiß Gesamtleitung Dr. Ansgar Reiß © 2021 Bayerisches Armeemuseum, Ingolstadt Idee, Konzept und Realisierung und Autoren Dr. Tobias Schönauer Herausgeber Kurator Tobias Schönauer und Ansgar Reiß Dr. Tobias Schönauer Redaktion, Layout und Satz Gestaltung Dr. Tobias Schönauer Ausstellungsbüro Janet Görner, Berlin Luise Wagener, Berlin (Graphik) Umschlaggestaltung malyma.Werbung, Neumarkt Werkstätten und Depots Tobias Baur, Kornelia Koch, Rudolf Lektorat Pemsl, Anja Pilz, Franz Prummer, Daniel Hohrath M.A. Hans-Peter Roth, Melita Schluttenhofer, Jakob Schwaiger, Heinz Weininger Druck und Verarbeitung Verlagsdruckerei Schmidt, Neustadt/Aisch Haustechnik Konrad Mayer, Christina Thurn

Übersetzungen Karl Veltzé, Bad Cannstatt

Ausstellungsbau Büchner Möbel GmbH, Reichnau Frank Europe GmbH, Bad Kreuznach Pigmentpol Sachsen GmbH, Dresden

13 Zusammenfassungen der Beiträge

Ansgar Reiß Kerstin Merkel Museumsgeschichte, Genäht und geschmiedet – Mode- Objektgeschichte, Geschichte transfer und gesellschaftliches Ideal Europas – Die Schatzkammer als im 14. Jahrhundert am Beispiel von Laboratorium der Museumsarbeit Rudolf IV., Erzherzog von Österreich, und Katharina von Böhmen Der einleitende Beitrag lässt die im Band versammelten Studien Revue passieren. Um 1350 verwischten die Grenzen zwischen Auf dieser Grundlage wird gezeigt, dass Rüstung und Kleidung. Die eng anliegende die Schatzkammer eine besondere Funk- Jacke und der tiefsitzende Gürtel wurden tion im Rahmen der Neukonzeption der gleichermaßen von Rittern und Bürgern so- Sammlungsausstellung im Neuen Schloss wie von Männern und Frauen getragen. hat. In ihr zeigt sich exemplarisch die Ar- Die Zitation von Kleidungselementen der beitsweise des Museums. Einzelne Expo- Ritter zeigt das Anliegen der ZeitgenossIn- nate sind Elemente in einer bestimmten nen, sich einer sozialen Gruppe mit hoher historischen Erzählung, sie haben aber gesellschaftlicher Akzeptanz anzunähern, quer durch die Jahrhunderte auch eine denn der Ritter war das Ideal seiner Zeit. jeweils eigene Objektgeschichte, und sie Als Protagonisten der Mode können Ru- sind drittens Teil der Geschichte des Mu- dolf IV., Herzog von Österreich und des- seums. Nur in dieser dreifachen Reflexion sen Ehefrau Katharina von Böhmen gelten, erschließt sich der Reichtum an Bedeutun- die sich gleich viermal in lebensgroßen gen, den die gesammelten und ausgestell- Skulpturen im Wiener Dom entsprechend ten Objekte in sich tragen. darstellen ließen. Die Herzogin wird hier vestimentär gleichermaßen als Trägerin von Macht, aber auch als Beschützerin inszeniert. Vermutlich brachte sie diesen Modetrend aus ihrer böhmischen Heimat mit nach Wien. 14

Fabian Brenker Tobias Schönauer Das Aufkommen des Plattenrocks Die Hirschsteiner Rüstung – Ein im 13. Jahrhundert – Zur Bedeu- Plattenrock oder Lendner aus der tung der Schriftquellen für die Mitte des 14. Jahrhunderts Erforschung der materiellen Kultur des Hochmittelalters Bis zur Entdeckung der Hirschsteiner Rüs- tung durch einen Sondengänger kannte Ende des 19. Jahrhunderts rückten Bild- man Plattenröcke fast nur von Abbildun- quellen und erhaltene Originale ins Zent- gen. Aus dieser Art von Rüstung entwickel- rum der deutschsprachigen Waffenkunde. te sich an der Wende vom 14. zum 15. Jahr- Bald hatte man die Schriftquellen so weit hundert der vollständige Plattenharnisch, aus dem Blick verloren, dass der Beginn der das Bild des Ritters bis heute prägt. der Körperpanzerung durch Platten vage Der Autor beschreibt zunächst die Ent- in die zweite Hälfte des 13. und ins 14. wicklung des Körperschutzes bis zum Jahrhundert datiert wurde. Einige volks- Aufkommen des Plattenrocks im 14. sprachliche Dichtungen und lateinische Jahrhundert und verdeutlicht so die Be- Gesetze belegen jedoch, dass Platten be- deutung des Ingolstädter Exemplars für reits im frühen 13. Jahrhundert zur Pan- die Harnischkunde. Danach werden die zerung von Reitern gehörten und seit den Besonderheiten dieses Stückes erläutert 1230er Jahren auch beim Fußvolk verbrei- und aufgezeigt, wie schwierig es ist, diese tet waren. Die bildlichen Darstellungen Rüstung auf wissenschaftlicher Basis zu aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhun- rekonstruieren. derts scheinen sich auf den deutschen Kulturraum zu beschränken und sich von den Panzern aus gehärtetem Leder in den romanischen Gebieten zu unterscheiden. 15

Alfred Geibig Alfred Geibig Drei Schwerter aus der Sammlung Von Hakenbüchsen und Prellhölzern des Bayerischen Armeemuseums Eine besondere Hakenbüchse vom Markt Schrobenhausen Drei Schwerter, und jedes steht in seiner Funktion und Gestalt für bestimmte Epo- 1904 gelangten drei außergewöhnliche chen, in einem Fall für die Karolingerzeit Hakenbüchsen aus dem Besitz des Mark- im zweiten für die Romanik/frühere Gotik tes Schrobenhausen in das bayerische und im dritten Fall für die spätere Gotik. Armeemuseum. Dabei soll sich hier das So lassen sich über Abmaße, konstruk- Hauptaugenmerk vor allem auf eine ganz tiven Aufbau und Morphologie sowohl spezielle Büchse richten, die aufgrund ih- unterschiedliche Anwendungsformen als res Zustandes aus der Dreiergruppe her- auch unterschiedliche Moden erkennen. aussticht und eine interessante, vielleicht Wissenschaftlich am interessantesten ist gar tragische Geschichte erzählen kann. das karolingische Schwert, das geradezu Neben einer besonderen Kolbenform, die beispielhaft für die Schwerter dieser Zeit allen drei Büchsen gemein ist, und die stehen kann. Ein zweites Schwert setzt sich interessante Rückschlüsse auf ihren ehe- in seinen Hauptelementen aus Produkten maligen Gebrauch und ihren Wirkungsort unterschiedlicher Zeitstellung zusammen, ermöglicht, zeugt die hier zu behandelnde wobei die Klinge deutlich älter als das Büchse durch einen katastrophalen Explo- Gefäß zu sein scheint. Als Gründe für die sionsschaden im Bereich ihrer Kammer zeitliche Diskrepanz zwischen Gefäß und von einer mit recht großer Wahrschein- Klinge wären hier Austausch von Gefäß- lichkeit erheblichen, vielleicht gar fatalen elementen und / oder Anpassung auf mo- Wirkung auf ihren, bzw. ihre Bediener. dernere funktionale /handhabungstechni- sche Ansprüche denkbar. Das dritte Stück, dessen Buntmetallein- lagen in der Klinge auf seine Entstehung in Passau hinweisen, dürfte zeitlich in die Gotik zu verorten sein und repräsentiert damit die frühe Phase einer im Laufe der kommenden Jahrhunderte aufblühenden, sich immer feiner entwickelnden Fecht- kunst. 16

Tobias Schönauer Tobias Schönauer Holz, Leder und Leinwand – Eine Von Innsbruck nach Bayern – Ein Pavese mit dem Münchner Kindl Buckler aus Schloss Ambras als Kriegsbeute 1463 kaufte die Stadt München von einem Mann, der als „Hanns von Siebenbürgen“ Buckler sind eine besondere Form von bezeichnet wird, 99 Pavesen. Diese im 15. Schilden, die sich durch einen zentralen Jahrhundert weit verbreitete Schildform Griff auszeichnen und nicht größer als 45 ist in Zeughäusern und Privathaushalten cm sind. Sie haben sich in vielen histori- in ganz Europa nachweisbar. Obwohl es schen Sammlungen weltweit erhalten, da mindestens 99 Exemplare gab, haben sich sie auf allen Kontinenten und in vielen Zi- nur drei erhalten. Eine dieser Pavesen vilisationen vorkommen. wurde 1999 vom Bayerischen Armeemu- 1932 übergab das Bayerische Nationalmu- seum erworben. Der Autor stellt Kons- seum dem Bayerischen Armeemuseum truktion, Aufbau und Bemalung dieses einen ungewöhnlichen Buckler. In den Stückes ebenso vor wie die Geschichte des Inventaren wird er als „Parierschild“ oder Objektes, soweit sie sich rekonstruieren „kleiner Faustschild“ bezeichnet und soll- lässt. te angeblich aus der Kunstkammer des Schlosses Ambras in Tirol stammen. Der Autor stellt den ungewöhnlich geformten und verzierten Schild vor und kann seine Geschichte über die königliche Gewehr- kammer und den Raub aus Tirol durch bayerische Truppen bis in das 16. Jahrhun- dert zurückverfolgen. 17

Tobias Schönauer und Dieter Storz Tobias Schönauer Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Das Innere eines Turnierhelms – Ottheinrich – Ein Radschlossge- Eine Helmhaube für einen wehr mit wechselvoller Geschichte Stechhelm

Die älteste datierbare Schusswaffe des Bay- Turniere waren vor allem 15. und 16. Jahr- erischen Armeemuseums ist eine Pirsch- hundert ein beliebter, wenn auch gefährli- büchse des Pfalzgrafen Ottheinrich, die cher Sport. Um schwere Verletzungen zu eine Inschrift mit der Jahreszahl 1533 verhindern, kamen spezielle Hauben aus trägt. Das Radschloss war eine technische Leinen, Wolle und Leder zum Einsatz, die Innovation, die es erstmals möglich mach- sich nur in wenigen Exemplaren erhalten te, eine geladene Schusswaffe mit sich zu haben. Das Exemplar des Bayerischen tragen, ohne eine glimmende Lunte bereit Armeemuseums wurde aufwändig res- halten zu müssen. Da diese Technik erst tauriert und dekontaminiert. Der Autor um 1500 erfunden wurde, stellt dieses stellt das Objekt vor und erklärt anhand Stück eine der frühesten erhaltenen Rad- von schematischen Darstellungen und schlosswaffen überhaupt dar. zeitgenössischen Abbildungen, wie die- Der Artikel beschreibt die wechselhafte se Hauben verwendet wurden. Aktuelle Erwerbungsgeschichte der Büchse, die u.a. Messungen zeigen, welche Kräfte auf den 1938 an das neu gegründete Jagdmuseum Helme und somit auf den Turnierkämpfer in München abgegeben werden muss- einwirken können. te, 1951 jedoch wieder zurück getauscht werden konnte. Aber auch die komplexe Funktionsweise des Radschlosses wird mit zahlreichen Detailaufnahmen dieser einzigartigen Waffe erklärt. 18

Christopher Retsch Johannes Pietsch Die Panzerhose im Bayerischen Rock und Hose eines Armeemuseum – Hosen als Conquistadoren – Ein Rüstungsteile im Spätmittelalter außergewöhnlicher Fund aus Peru und in der Frühen Neuzeit Der Forscher Heinrich Ubbelohde-Doe- Die sogenannte Panzerhose besteht aus ring entdeckte 1932 auf einem alten Grä- zwei Lagen Leinenstoff, zwischen denen berfeld im nördlichen Küstengebiet von als einfacher Schutz Metallplättchen ge- Peru zwei Kleidungsstücke nach europä- näht wurden. Jedoch wurden die Knie ischer Mode und übergab sie dem Bayeri- anstatt von Metallplättchen von je vier schen Armeemuseum. Es handelt sich um Streifen aus Ringpanzergeflecht geschützt. einen hemdartig geschnittenen Rock aus Die Hose ist eine Rarität, da diese Art des hellem Baumwollgewebe und eine aus Körperschutzes bisher lediglich von einer braunem Wollstoff gefertigte weite Knie- weiteren, jedoch kurzen Hose bekannt ist. hose. Beide Gewänder folgen den in Eu- Abbildungen des 14. und 15. Jahrhunderts ropa üblichen Schnitt- und Verarbeitungs- zeigen, dass derartige Rüstungsteile nicht techniken. Auch das Gewebe der Hose nur für die Beine existierten, sondern zu- stammt vermutlich aus England. Die für mindest auch für die Arme. Sie wurden als den Rock verwendeten Ober- und Futter- alleiniger Schutz ebenso verwendet wie in stoffe sowie die Nähfäden wurden jedoch Kombination mit weiteren darüber getra- in Peru hergestellt. Rock und Hose lassen genen Rüstungsteilen. Der Zuschnitt des sich in die Zeit um 1560/1580 datieren und Stoffes am Gesäß ermöglicht eine Datierung stellen einzigartige Zeugnisse für die All- der Hose ab circa 1490/1500 bis weit in das tagskleidung der Europäer in der Neuen 16. Jahrhundert hinein. Welt dar. Ausstellungsgrundriss der Schatzkammer, 5. Oktober 2018 (Ausstellungsbüro Janet Görner, Berlin)

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Ansgar Reiß Museumsgeschichte, Objektgeschichte, Geschichte Europas Die Schatzkammer als Laboratorium der Museumsarbeit

Es ist eine Binsenweisheit, dass die Bedeu- scheint sich dieser Traum zu erfüllen, es tung der Dinge nicht feststeht. Diese wan- mutet fast so an, als würde dies heute den delt sich im Lauf der Zeit und schwankt gebauten Raum des „White Cube“ ablö- je nach der Perspektive, aus der sie be- sen: Das Objekt allein in der Leere. Aber trachtet werden. Dinge finden neue Ver- dies ist natürlich eine Sackgasse, denn je wendungen und erfüllen verschiedene stärker ein Ding aus allen Kontexten ge- Funktionen, gleichzeitig besteht schon bei löst wird, desto größer wird das Bedürfnis ihrer Benennung oft keine Einigkeit. Gera- nach Erläuterung. Und so sind Museen nie de Gegenstände, die lange Zeit überdauert nur neutrale Räume der Betrachtung, son- haben oder die im Grenzbereich von Kul- dern mindestens ebenso sehr weisen sie turen angesiedelt sind, drohen uns oft fast den Dingen einen Ort zu, sie schaffen eine zu entgleiten, wenn wir sie hin und her Ordnung. Deshalb ist ein Museum auch wenden, näher betrachten, zu beschreiben nie nur eine Institution oder ein Arbeits- und zu benennen versuchen. Das Museum zusammenhang, sondern zu allermeist ist ein Ort, der speziell für die Betrachtung auch eine – oftmals sehr markante – Archi- von Dingen geschaffen ist. Sie werden aus tektur, die den Raum für diese Ordnung dem „wirklichen Leben“ heraus und in ei- schafft (Abb. 2). nen neuen, künstlichen Raum herüber ge- Im Museum widerstreiten also immer nommen. Paradoxerweise legt gerade die mindestens zwei Tendenzen: Einerseits Bemühung, sich über die Objekte klar zu lädt es zu einer ausführlichen Betrachtung werden, und diese Bemühung teilen Ku- ein, bei der die Bedeutungen und Kontexte ratoren und Besucher, oftmals verwirrend der Objekte tendenziell immer vielfältiger viele Schichten der Bedeutung frei. werden, während ihnen der eindeutige Um Klarheit zu gewinnen, werden Din- Gebrauchswert genommen wird, der mo- ge im Museum herausgegriffen, meistens netäre Wert stillgestellt scheint und sogar vereinzelt, als Exponate hervorgehoben der ideologische Wert sich nicht ungebro- und ins Licht gesetzt. Idealer Weise sind chen Geltung verschaffen kann. Anderer- sie von allen Seiten zu sehen. Im 3-D-Scan seits aber gibt das Museum den Dingen jeweils einen genauen Ort. Dies ist eben nicht der Ort im „wirklichen Leben“, son- Abb. 1 Vitrine mit dem Buckler aus Schloss Ambras, Ende 15. Jahrhundert dern ein Platz in der künstlichen Architek- (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 8460) tur des Museums, wobei hier Architektur 22 | Ansgar Reiß: Museumsgeschichte, Objektgeschichte, Geschichte Europas sowohl wörtlich wie auch metaphorisch Dank der genauen Untersuchungen zu verstanden werden muss. Bei aller Wert- den Objekten, die in diesem Katalog pu- schätzung, die die Dinge im Museum er- bliziert werden können, öffnet uns die fahren, werden sie doch ruhiggestellt und Schatzkammer gleich einem komplexen es wird ihnen eine imaginäre Bedeutung optischen Instrument eine ganze Reihe zugewiesen in einem Raum der Ruhe, des von Blickfeldern. Erstens geht der Blick Betrachtens, vielleicht des Lernens oder in die Tiefe der Geschichte der eigenen der Phantasie (Abb. 3). Institution, also des Museums, seiner 2019 wurden einige vom Kurator Tobias Partner und seiner Vorgänger (Samm- Schönauer ausgewählte Gegenstände aus lungsgeschichte), zweitens werden wie der Sammlung des Bayerischen Armee- in einem Prisma Varianten möglicher und museums in einem Ausstellungsraum ver- denkbarer Geschichten einzelner Samm- sammelt, den wir Schatzkammer genannt lungsobjekte sichtbar (Objektgeschichte), haben. Im Dunkel des Raumes treten die und drittens fallen Schlaglichter auf Eck- Objekte leuchtend in einzelnen Vitrinen punkte und Bilderwelt des alten Europa, hervor. Es war und ist der Versuch, aus die zugleich ein Feld aufspannen, in dem der Not eine Tugend zu machen. Die äl- sich die gesamte Ausstellung bewegen teren Sammlungen des Museums wa- wird (historische Bedeutung). Über die ren 2014 abgeräumt worden, eine völlig Integration vieler Einzelfragen hinaus ist neu konzipierte Aufstellung entsteht erst dieses Buch also auch ein Plädoyer, Muse- allmählich in mehreren Schritten.1 Zu- umsobjekte in der Komplexität dieser drei gleich sollten einige besondere Stücke Dimensionen zu betrachten. der Sammlung möglichst bald wieder in Erscheinung treten. Zuerst waren es also Museumsgeschichte einfach Fundstücke der kuratorischen Tä- tigkeit. Entstanden ist aber eine Art Mu- Blicken wir erstens auf die Sammlungs- seum im Museum, ein Laboratorium der und Museumsgeschichte, so sind für diese Museumsarbeit (Abb. 4). für das Bayerische Armeemuseum in den

Abb. 2 Eine Nische im Fünfeckturm, in dem heute die Schatzkammer zu sehen ist, vor der Einrichtung der Ausstellung, 2018 Ansgar Reiß: Museumsgeschichte, Objektgeschichte, Geschichte Europas | 23

Abb. 3 Eingang zur Schatzkammer vergangenen Jahren neue Arbeitsgrundla- ben harren die auf das Armeemuseum be- gen geschaffen worden. Die Inventare, zogenen Akten des ehemaligen Kriegsmi- historischen Findmittel und wissenschaft- nisteriums und ab 1919 des Kultusmi- lichen Karteien sind ebenso wie die objekt- nisteriums einer Sichtung. bezogenen Unterlagen erstmals verzeich- Denn es erweist sich schnell, dass all diese net und in großen Teilen digitalisiert Unterlagen nur im Kontext einer an Rah- worden (HA-Inventarnummern). So sind menbedingungen, Intentionen und Konzep- viele Dokumente jetzt unmittelbar greif- ten orientierten Geschichte der Museen und bar, die zuvor nur sehr schwer benutzbar ihrer Sammlungsausstellungen einen sinn- waren; sofern ihre Existenz überhaupt be- vollen Zusammenhang ergeben. So muss kannt war, war jedenfalls ihr Zusammen- etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, davon hang vielfach nicht ersichtlich. Dieser Pro- ausgegangen werden, dass Stücke, die zwi- zess ist keineswegs abgeschlossen, und schen 1881 und 1904 ans Armeemuseum zudem sind einzelne, auf konkrete Ensem- kamen, auch unmittelbar in den Ausstel- bles bezogene Projekte in Arbeit, so na- lungsräumen platziert wurden. Ein Neuzu- mentlich zu den osmanischen Zelten. In gang war also entsprechend immer mit Ver- einem weiteren Schritt muss diese Ver- schiebungen in der Ausstellung verbunden. zeichnung der eigenen Überlieferung ver- Die Ausstellungen seit 1880/81 im Arsenal- bunden werden mit den Findmitteln von gebäude in der Lothstraße in München Institutionen, mit denen die Geschichte und ab 1905 im Neubau am Hofgarten unseres Hauses und seiner Sammlungen sind durch gedruckte Führer und Fo- eng verwoben ist, nicht zuletzt natürlich tomappen vergleichsweise gut dokumen- dem Bayerischen Nationalmuseum, aber tiert – die Führer sind heute alle auf der auch dem Museum Fünf Kontinente, der Homepage des Museums greifbar. So lässt Schlösserverwaltung und anderen. Dane- sich relativ leicht nachsehen, dass die 1904 24 | Ansgar Reiß: Museumsgeschichte, Objektgeschichte, Geschichte Europas

Sample der Objekte der Schatzkammer in die Sammlung. Die Pirschbüchse Otthein- richs (siehe Beitrag Schönauer/Storz) konnte 1928 erworben werden, offenbar musste bzw. konnte dafür unmittelbar der damalige bayerische Ministerpräsident Heinrich Held (1868-1938) um Unterstüt- zung angegangen werden.5 Alle drei Schwerter (siehe Beitrag Geibig) kamen auf unterschiedlichen Wegen in dieser Zeit in die Sammlung des Museums: Eines wurde aus dem Bayerischen Nationalmu- seum überwiesen, eines im Kunsthandel gekauft, eines vom damaligen Verein der Freunde des Bayerischen Armeemuseums dem Haus geschenkt (und zuvor sicher- lich auch im Kunsthandel erworben); nur Abb. 4 Rock und Hose eines Conquistadoren (drittes Viertel des 16. Jahrhunderts) in der beim Stück aus dem Nationalmuseum ist heutigen Präsentation aber derzeit nachweisbar, dass es auch ausgestellt wurde. Schließlich fanden auch der Buckler (siehe Beitrag Schönauer) und in die Sammlung gekommene Haken- die Panzerhose (siehe Beitrag Retsch) als büchse (siehe Beitrag Geibig) ab 1905 in Überweisungen aus dem Nationalmuse- Saal I gezeigt wurde.2 Unter den in der um ihren Weg ins Armeemuseum, wäh- Schatzkammer gezeigten Stücken ist im rend die aus heutiger Sicht ungemein Übrigen keines, das früher als die Haken- wertvollen Kleidungsstücke des Conquis- büchse in die Sammlung des Museums tadoren (siehe Beitrag Pietsch) zwar aus gekommen ist (Abb. 5). einer Grabung des Museums für Völker- Für die Neuaufstellung im gleichen Ge- kunde stammten, aber offenbar direkt ans bäude seit 1921/22 (und bis zur kriegs- Armeemuseum gegeben wurden. Zur bedingten Auslagerung 1942/43) gibt es Ausstellung sind sie nicht gelangt (Abb. 6 leider keine regelmäßig überarbeiteten, und 7). gedruckten Museumsführer mehr, ob- Und damit sind wir an einem Punkt, den wohl diese Neuaufstellung vom neuen ich hier hervorheben möchte: Seit der Kurator der älteren Abteilung und späte- Gründung der bayerischen staatlichen ren Direktor Hans Stöcklein (1874-1936) Museen bis jedenfalls in die 1930er Jahre, mit großem Ehrgeiz betrieben wurde. Er und vielleicht auch noch bei der (Wieder-) konnte einige zusätzliche Räume erschlie- Herauslösung der Bestände des Armee- ßen und wollte „das veraltete System der museums aus den Sammlungen des Nati- Trophäen verlassen und eine moderne onalmuseums in den 1960er Jahren sind wissenschaftliche und zugleich volkstüm- vorhandene Objekte immer wieder ande- lich belehrende Anordnung“ schaffen.3 ren Sammlungen zugeordnet worden. Durch kräftige Raumfarben und eigens Hintergrund waren sachliche Überlegun- von der Grafikerin Magda Koll (1897- gen, die wiederum von konzeptionellen 1962) geschriebene Schilder sollte das Mu- Entscheidungen abhingen. So wurden vor seum attraktiver werden.4 In dieser Zeit allem sehr viele Waffen aus dem National- kamen wichtige Stücke aus dem kleinen museum ans Armeemuseum überwiesen, Ansgar Reiß: Museumsgeschichte, Objektgeschichte, Geschichte Europas | 25 aber offensichtlich erschien auch die Klei- In der Monarchie stand zunächst eine ein- dung des europäischen Soldaten in Süd- fache „Heerschau“ der königlich Bayeri- amerika passend für das Armeemuseum, schen Armee und ihrer Geschichte und nicht aber für das damalige Museum für Vorgeschichte durchaus im Vordergrund, Völkerkunde. Wie sehr aber, was nahelie- verbunden mit den Reliquien aus den Re- gend ist, die Ausstellungskonzepte des Ar- gimentern, neben Waffen vor allem den meemuseums hier als Pull-Faktoren wirk- Fahnen. In den 1920er und 1930er Jahren ten, darüber gibt es bisher nur punktuelle deutete sich eine Transformation in ein Kenntnisse. Gerade die Tätigkeit des ge- historisches Museum der bayerischen nannten Konservators Hans Stöcklein Kriegsgeschichte an, natürlich auch mit harrt einer eingehenderen und zusam- zeitbedingten Akzenten, die für die „Alte menhängenden Untersuchung. Abteilung“ etwa auf die Hussitenkriege Gegenüber anderen Sammlungen, die oder den Bauernkrieg abhoben (Abb. 8). nicht den bayerischen Staat als gemeinsa- Die Präsentation von 1972 im Neuen men Träger hatten, gab es ähnliche Über- Schloss in Ingolstadt zeichnete sich durch tragungen von Objekten, die als Tausch eine extreme Zurückhaltung gegenüber getätigt wurden. So kam, um wieder das aller Inszenierung aus. Die Präsentation Beispiel aus der Schatzkammer zu nennen, der Gegenstände folgte eher morphologi- die bereits genannte Hakenbüchse 1904 schen Kriterien. Die Kenntnis historischer durch einen Tausch mit der Stadt Schro- Zusammenhänge wurde beim Publikum benhausen ans Armeemuseum. Bei diesen vorausgesetzt; sie ließen sich allenfalls aus Tauschvorgängen, die vor allem um 1900 räumlichen Beziehungen erahnen, eine Er- sehr vielfältig waren, ist als Motiv erkenn- bar, dass die Museen versuchten, sich je- Abb. 5 Saal I im Gebäude am Münchner weils einen bestimmten Kanon an Objek- Hofgarten mit den Hakenbüchsen ten zu sichern. Bei der Hakenbüchse ging es beispielsweise für die waffentechnisch ausgerichtete Sammlung des Armeemuse- ums um die besondere, verkürzte Form des Schaftes. Auch solche Fragen müssen Gegenstand weiterer Forschungen sein. Aber kehren wir von diesen allgemeinen Überlegungen zur Schatzkammer zurück. Eine solche gab es in früheren Präsentatio- nen im Armeemuseum nicht. In gewisser Weise widerspricht die Idee einer Schatz- kammer auch der Idee eines Armeemuse- ums. Bei letzterer liegt der Akzent auf dem (massenhaften) Heer, den Soldaten, den einfachen, tatsächlich gebrauchten Waffen und der militärisch organisierten Gewalt. Diese Idee greift in neuer Form auch der gleichzeitig mit der Schatzkammer eröff- nete, große Ausstellungsbereich „Formen des Krieges 1600-1815“ wieder auf, auf den noch kurz zurückzukommen sein wird. 26 | Ansgar Reiß: Museumsgeschichte, Objektgeschichte, Geschichte Europas

Abb. 6 Vitrine mit mittelalterlichen Schwertern und Helmen in der Ausstellung der 1920er Jahre so viele hatte, im Mittelpunkt stehen, noch Das 15. Schwert von links ist A 3621 (siehe Beitrag ging es gar darum, erbeutete Trophäen als Geibig) – damals noch nicht zerbrochen. (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. GP.XII.871) Symbole des zu präsentieren, so wie dies 1881 und 1905 noch selbstver- ständlich war. läuterung fand praktisch nicht statt (Abb. Auf der einen Seite rückt der neue Aus- 9 und 10). stellungsbereich „Formen des Krieges“ Von der Traditionspflege des Heeres blieb das Gewalthandeln im Krieg in den Fo- nur der erratische und völlig aus der Zeit kus. Es ist nicht ganz einfach, darauf hin gefallene „Fahnensaal“ übrig, in dem die zu führen, aber, pointiert gesagt, stehen Fahnen der bayerischen Regimenter des hier der einfache Soldat und das namen- Ersten Weltkriegs aufgehängt waren. Mit lose Zeughausstück im Mittelpunkt. Aber dem Museum in Ingolstadt im Jahr der in der Sammlung des Hauses findet sich Olympiade 1972 eröffnet, ließ er noch ein- auch eine bemerkenswerte Zahl von sehr mal den Gedanken einer Ehrenhalle der seltenen und ungewöhnlichen Stücken.6 Armee wieder auferstehen, wie sie im Deshalb entstand auf der anderen Seite Heeresgeschichtlichen Museum in Wien die „Schatzkammer“. Die ihr zu Grunde oder etwa auch im Zentralmuseum der liegenden Überlegungen sind recht ein- russischen Streitkräfte in Moskau bis heu- fach. Es wurden hier durch ihre schiere te besteht. Seltenheit wertvolle Stücke versammelt: Im Bayerischen Armeemuseum wird heu- Die Hirschsteiner Rüstung (siehe Beitrag te versucht, andere Akzente zu setzen. We- Schönauer), Rock und Hose des Conquis- der sollten die Fahnen der Regimenter tadoren aus Peru (siehe Beitrag Pietsch), noch die Reliquien großer Feldherren, von die Helmhaube (siehe Beitrag Schönau- denen die bayerische Armee ohnehin nicht er), die durch Metallplättchen gepanzerte Ansgar Reiß: Museumsgeschichte, Objektgeschichte, Geschichte Europas | 27

te immer besonders elektrisierend, einige Stücke gezeigt werden, die bislang beina- he oder gänzlich unbekannt waren (die Helmhaube, die Kleidung aus Peru, die Panzerhose). Die auf den ersten Blick fast zufällig er- scheinende Zusammenstellung von Fund- stücken beruht also doch auf bestimmten Kriterien. Und es ist ein großer inhaltlicher Gewinn, dass einige Hauptelemente des alteuropäischen Kriegswesens gezeigt wer- den können, ohne dass sie ihren Zusam- menhang in der Ausstellung aus dem Ele- ment der Herrschaft und der symbolischen Legitimierung speziell monarchischer Herrschaft – das „echte“ Schatzkammern in fürstlichen Sammlungen üblicherwei- se auszeichnet – beziehen. Doch dazu im dritten Abschnitt noch einige Stichpunkte.

Objektgeschichten Abb. 7 Fritz Quidenus: Blick in die neugeord- neten Räume des Armeemuseums im Jahr 1924 Wenden wir uns zweitens den Objekt- geschichten zu. Diese sind teilweise fast Hose (siehe Beitrag Retsch) – einzigartige untrennbar von der Geschichte der Mu- Objekte, die zugleich in der Sammlung seen und Sammlungen, aber sie beginnen des Museums etwas exotisch und deshalb natürlich außerhalb dieses Raumes und schwer zu kontextualisieren sind, denn früher. An dieser Stelle kann es nur dar- das Bayerische Armeemuseum hat weder um gehen, hervorzuheben, dass diese Ge- wesentliche Sammlungen zum Turnier- schichten ein reiches Kaleidoskop bilden. wesen, dem die Helmhaube (siehe Beitrag Zu lernen wäre daraus, dass die Geschich- Schönauer) zuzuordnen ist, noch etwa zur te von Museumsobjekten wohl generell spanischen Eroberung Südamerikas. Da- sehr individuell betrachtet werden sollte. neben stehen Exponate, die in ihrer einfa- So hat die Hakenbüchse vermutlich eine chen Typisierung und zugleich vielleicht recht geradlinige Provenienz aus Schro- durch eine besondere Eigenheit besonders benhausen; zugleich bleibt allerdings ihre herausgehoben werden konnten oder soll- individuelle Geschichte, der vermutete ten (die Hakenbüchse mit dem Riss im schwere Unfall und die Frage, warum Kammerbereich (seine Beitrag Geibig), das zerstörte Stück denn überhaupt auf- die Pavese mit dem Münchner Kindl (sie- bewahrt wurde, im Dunkeln. Dagegen he Beitrag Schönauer), die Pirschbüchse ist die Pavese mit dem Münchner Kindl Ottheinrichs mit einem der ältesten Rad- nun eindeutig datierbar und zuzuordnen schlösser (siehe Beitrag Storz/Schönauer), als ein Stück, das einst für das Münchner der Buckler aus Schloss Ambras (siehe Bei- Zeughaus beschafft worden war, aber ihre trag Schönauer) und ausgewählte mittel- weitere Besitzgeschichte bleibt trotz des alterliche Schwerter (siehe Beitrag Geibig). Schlaglichts einer nicht erfolgreichen Auk- Schließlich können, für uns Museumsleu- tion im Jahr 1940 verborgen. 28 | Ansgar Reiß: Museumsgeschichte, Objektgeschichte, Geschichte Europas

Eine alte bayerische oder wittelsbachische als eigenständige Institution keineswegs Provenienz scheint dagegen auf den ers- sicher war. ten Blick bei der Pirschbüchse des Her- Den Buckler, der jetzt als ehemaliges zogs Ottheinrich naheliegend. Ist nicht Stück der Sammlung des Schlosses Am- wenigstens diese ein altes bayerisches bras bei Innsbruck in Tirol identifiziert Staatsstück? Weit gefehlt, auch hier gibt werden kann (wo er freilich auch erst es bemerkenswerte Umwege. Zwar ist etwa hundert Jahre nach seiner Fertigung das Stück in alten Neuburger Inventaren verzeichnet wurde), haben sich die Bay- nachweisbar, es verschwindet aber in na- ern aller Wahrscheinlichkeit nach in der poleonischer Zeit von der Bildfläche. Auf Napoleonischen Zeit als Kriegsbeute an- einer Auktion in Wien tauchte sie 1912 geeignet. Besonders schade ist es bei der auf, aber erst 1928 konnte sie, wie schon gepanzerten Hose und bei der Helmhau- erwähnt, erworben werden. Damit ist die- be, dass ihre Provenienzen nicht weiter se Geschichte aber noch nicht zu Ende, zurückverfolgt werden können, zumal die denn zunächst wurde die Pirschbüchse Hose immer oberirdisch und sorgfältig wieder abgegeben, und zwar 1938 an das aufbewahrt worden sein muss. Die Helm- neueröffnete Jagdmuseum, um endlich haube dagegen erscheint als ein quasi- 1951 durch einen Tausch wieder zurück archäologisches Objekt. Ausweislich ihrer zu gelangen. Wohlgemerkt zu einer Zeit, Verschmutzung und ihres vor einer ent- als die Sammlungen des nach dem Krieg sprechenden Behandlung sehr stechenden offiziell aufgelösten Armeemuseums beim Geruchs wurden im Raum, aus dessen Bayerischen Nationalmuseum unterge- Fehlboden sie angeblich stammt, Hühner bracht waren und eine Wiedereröffnung gehalten. Die Zuordnung zu einem spe- ziellen Turnierhelm oder gar dessen Trä- ger bleibt aber wohl unmöglich. Ähnlich Abb. 8 Fritz Quidenus: Waffen der Bürger und Bauern: Wehräxte 1462 im Jahr 1924 bleibt auch bei den Schwertern die Her- kunft vage – außer, dass es Flussfunde aus der Donau sind, wissen wir wenig über sie. Sie sind ein Zeugnis dafür, dass das Interesse der Kuratoren an präzisen Pro- venienzen eine Sache neueren Datums ist. Umso spannender ist schließlich die ver- gleichsweise präzise Lokalisierung der Fundumstände sowohl bei der Hirschstei- ner Rüstung als auch bei der Kleidung des Conquistadoren. Beide können deshalb recht konkreten historischen Umständen oder Strukturen zugeordnet werden, wie es in den entsprechenden Beiträgen in die- sem Band detailliert ausgeführt ist. Sehen wir die Objektgeschichten an, so geht es keineswegs nur um die Besitzge- schichten. Da es sich um keine „herrschaft- liche“ Schatzkammer handelt, besteht die- ser Fokus schon von musealer Seite nicht. Wegen der in vieler Hinsicht verspäteten Aufarbeitung des Kunstraubs durch das Ansgar Reiß: Museumsgeschichte, Objektgeschichte, Geschichte Europas | 29

Abb. 9 Der ehemalige Raum 6: Das Lunten- schloss, im Jahr 2013 Entfernung einer Übermalung aus einem rundköpfigen Münchner „Kindl“ wieder und unter dem nationalsozialistischen ein Mönch wurde. Die Bedeutung von Regime stehen heute im allgemeinen Be- Materialuntersuchungen fällt insbesonde- wusstsein vielfach die Besitzverhältnisse re bei den textilen Objekten ins Auge; vor im Vordergrund. In der Schatzkammer allem die Ergebnisse für den Entstehungs- des Armeemuseums spielt dieses histori- kontext der Hose und des Rocks aus Peru sche Unrecht, sofern nicht über die nicht sind eindrucksvoll, aber natürlich ebenso geglückte Auktion der Pavese und über die genaue Untersuchung des Schnittes ihre früheren Besitzverhältnisse neue Do- und der Machart der gepanzerten Hose. kumente gefunden werden können, wohl Die verschiedenen Stufen der Rekonstruk- keine Rolle. Dieses aktuelle Interesse an tion der Hirschsteiner Rüstung hingegen der Erforschung der Provenienzen öffnet zeigen, dass manche Diskussionen keines- aber den Blick für die Entstehungskon- wegs einfach beendet werden können, son- texte der Objekte und für andere Quellen dern vielmehr weitergeführt werden müs- ihrer Geschichte und Deutung. Die Prove- sen. Daneben spielen gerade bei diesem nienz des Bucklers im Kontext der napo- Stück besonders deutlich auch literarische leonischen Kriege ist heute zweifellos eine und bildliche Quellen eine ungemein gro- Sache der Forschung und der musealen ße Rolle, und wir erleben hier, auf metho- Darstellung, ebenso müssten die Umstän- disch schwierigem Feld, wie das genaue de der Grabungen in Peru heute von eth- Hinsehen und das Zusammentragen von nologischer Seite untersucht werden. zugehörigen Quellen zunächst Eindeu- Neben den schon genannten archäologi- tigkeiten schafft, sie aber auch manchmal schen Fundumständen sind insbesondere wieder aufhebt. Zusammenhänge werden die Ergebnisse restauratorischer Überar- erkannt, neue Fragen entstehen. beitungen und Untersuchungen von gro- Und schließlich sollen als weitere Elemente ßer Bedeutung. Bemerkenswert ist etwa, der Erkenntnis das Experiment und die Re- wie beim Wappen der Pavese durch die konstruktion hervorgehoben werden. Dies 30 | Ansgar Reiß: Museumsgeschichte, Objektgeschichte, Geschichte Europas zeigt sich besonders schön bei der „TÜV- in einer Verfremdung verwendete Begriff Prüfung“ von Turnierharnischen und der „Schatzkammer“. Tatsächlich ist es -helmen, aber etwa auch bei der Handha- eben keine Kammer mit einer einheitli- bung der Schwerter. Für die Hirschsteiner chen Sammlungsgeschichte oder einer Rüstung steht ein Nachbau noch aus, aber einheitlichen repräsentativen Bedeutung. vielleicht gibt es für einen solchen zu viele Sie ist vielmehr ein offenes, heterogenes unbekannte Parameter, wer weiß? Reservoir von Dingen und ihren Bedeu- tungen; die Linien gehen in die verschie- Bedeutungen densten Richtungen. Ein Indiz für „Bedeutung“ könnte die Wenn schließlich drittens von der his- Verwendung der Objekte in großen Aus- torischen Bedeutung der Objekte in der stellungen sein. Ein eigentlicher „Wan- Schatzkammer gesprochen werden soll, so derpokal“ ist jedenfalls nicht dabei, was kann dieses Thema hier natürlich nur an- aber auch an der bislang relativ geringen gerissen werden. Die Signifikanz der ein- Bekanntheit der „Schätze“ des Armeemu- zelnen Stücke ist, ebenso wie die jeweilige seums liegt. Gerade ein einziges der Stü- Objektgeschichte, Gegenstand der einzel- cke (eines der drei Schwerter) war in der nen Studien. Die Schatzkammer ist eben großen, für die bayerischen Sammlungen kein thematischer Raum, sondern eine Art Epoche machenden Ausstellung „Wittels- Nucleus des Museums, ein Raum der Re- bach und Bayern“ des Jahres 1980. Der flexion. Sie ist im Grunde eine Antwort auf Buckler, schon in den Vereinigten Samm- die Frage: Warum eigentlich überhaupt lungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Museum? Genau dies signalisiert der ausgestellt, fand keine über Fachkreise hi- nausgehende Beachtung. Erstaunlich ist, dass auch die Pirschbüchse offenbar nie Abb. 10 Der ehemalige Raum 7: Das Rad- schloss, im Jahr 2013; ganz links ist die Pirsch- büchse Ottheinrichs zu erkennen. Ansgar Reiß: Museumsgeschichte, Objektgeschichte, Geschichte Europas | 31 entliehen wurde. Die Münchner Pavese Anmerkungen war seit ihrer Erwerbung in verschiede- 1 Über die Entwicklung des Museums insge- nen Ausstellungen. Die im Jahr 2007 ange- samt in den vergangenen Jahren vgl. Reiß, kaufte Hirschsteiner Rüstung war zuerst Jahresbericht 2015-2019. Zum Konzept der 2008 in einer Landesausstellung zu sehen; Ausstellung vgl. Hohrath/Schönauer, Eine Ausstellung und Schönauer, Schatzkammer die Landesausstellung des Jahres 2014 in und Inszenierung. Regensburg gab Anlass zu einer ersten 2 Fahrmbacher, Führer, S. 37 („158-160 rohge- schäftete Hakenbüchsen aus Schrobenhau- Rekonstruktion. Die bedeutenden texti- sen“). Ders, Das K. B. Armee-Museum, S. 39 f. len Objekte waren unbekannt, die Helm- mit Abb. „Relativ“ leicht, weil die gedruckten haube und die Panzerhose sind bis heute Führer keine Inventarnummern ausweisen. 3 So schreibt er in Stöcklein, Sammlungen S. 685. gänzlich unpubliziert, das Gewand des 4 Vgl. Freksa, Armeemuseum, S. 416 f. Conquistadoren wurde nur an entlegener 5 Stöcklein, Neuerwerbungen, S. 604. Stelle in der Mitte der 1930er Jahre im Stil 6 Vgl. für die alte Sammlung z.B. die Auswahl in Paggiarino/Schönauer, The Bavarian Army eines Fundberichts veröffentlicht. Museum. So gibt es also einiges zu entdecken. Eini- ge Stichworte mögen hier genügen: Die Literatur Hirschsteiner Rüstung ist das Missing Fahrmbacher, Hans, Führer durch das K. Bayer. Link zwischen Ringpanzerhemd und Plat- Armeemuseum, 1905. tenharnisch, man mag in ihm den frühes- Ders., Das K. B. Armee-Museum, o.J. [ca. 1910]. ten „Ritter“ sehen, der in der europäischen Bildtradition ja einen Harnisch trägt. Ge- Freksa, Friedrich, Das Bayerische Armeemuseum, Velhagen und Klasings Monatshefte 39 (1924/25), nauso sind die Schwerter gewissermaßen S. 416-424. das Original zu einer Bilderwelt, die in heutigen Computerspielen so lebendig Hohrath, Daniel / Schönauer, Tobias, Eine Aus- stellung entsteht – Überlegungen zur neuen ist wie je. Das Bild des Kriegers vervoll- Dauerausstellung, in: Tobias Schönauer / Daniel ständigen die Schilde. Die Hakenbüchse Hohrath (Hgg.), Formen des Krieges 1600-1815, gehört in die ebenfalls sehr lebendige Er- Ingolstadt 2019, S. 31-43. zählung von den Burgen und Stadtmau- Paggiarino, Carlo (Photographs) / Schönauer, To- ern (auch das Neue Schloss, in dem sich bias (Introduction and Captions), The Bavarian Army Museum. A Selection of Medieval, Renais- die Schatzkammer befindet, hat ja in Tei- sance and Baroque Arms and Armour (Kataloge des len noch Züge einer Burg), die Helmhaube Bayerischen Armeemuseums 16), Mailand 2017. gehört zum Turnierwesen der Ritter. Mit Reiß, Ansgar (Hg.), Bayerisches Armeemuseum dem Turnier und der Jagdbüchse, aber Ingolstadt. Jahresbericht 2015-2019, Ingolstadt wohl auch mit dem Buckler wird deutlich, 2020. wie sehr das Kriegswesen eingebettet war Schönauer, Tobias, Schatzkammer und Inszenie- in eine nichtmilitärische Kultur, für die rung. Neue Präsentationsformen im Bayerischen gleichwohl Wettstreit, Waffen und Kampf Armeemuseum, in: Coburger Landesstiftung zentrale Bedeutung hatten. Der Conquis- (Hg.), Hieb- und Stichfest. Waffenkunde und Li- ving History (Festschrift für Alfred Geibig), Co- tador schließlich sprengt den mitteleuro- burger Jahrbuch 63 (2019), S. 267-283. päischen Rahmen. Auch das frühneuzeit- Stöcklein, Hans, Die Sammlungen der alten Abtei- liche Europa lebte und dachte in einem lung, Das Bayerland 40 (1929), S. 585-590. globalen Horizont, vielfach geprägt von von Gewalt, Eroberung und Ausbeutung. Ders., Neuerwerbungen der alten Abteilung des Armeemuseums, in: Das Bayerland 40 (1929), Fassen wir also die historische Bedeutung S. 603-605. der Objekte aus unserer Schatzkammer ins Auge, so liegt sie in einem bestimmten Wacker, Ludwig, Das Königlich Bayerische Ar- mee-Museum in 50 Kunstblättern, Pasing 1913. Blick auf die Geschichte Europas.

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Kerstin Merkel Genäht und geschmiedet Modetransfer und gesellschaftliches Ideal im 14. Jahrhundert am Beispiel von Rudolf IV., Erzherzog von Österreich, und Katharina von Böhmen

Rüstung und Kleidung des 14. Jahrhun- die Aufsätze von Tobias Schönauer und derts folgten der zeitgenössischen Mode Fabian Brenker im vorliegenden Band ver- und beeinflussten sich gegenseitig.1 Doch wiesen. Der Übergang von der Rüstung ist Mode nicht nur ein Wandel der For- zur Kleidung war fließend. Es haben sich men, sondern auch ein Ausdruck der po- mehrere originale gesteppte Jacken erhal- litischen und historischen Hintergründe ten, von denen einige nachweislich bei und der Sozialgeschichte. Mit der Klei- Kämpfen getragen wurden.3 dung fügt man sich sichtbar in eine sozi- Die Terminologie ist ein ungelöstes Prob- ale Gruppe ein, die demselben Dresscode lem, weil Schrift- und Bildquellen selten folgt. Dabei gilt es auch, sich gesellschaft- zusammentreffen. Im vorliegenden Aufsatz lichen Idealen und Vorbildern modisch wird rein deskriptiv der heutige Begriff anzunähern. Was bedeutet die Überein- „Jacke“ verwendet. Er leitet sich von dem stimmung der Formen von Kleidung und mittelalterlichen Wort „Schecke/Jaque“ Rüstung, wie sie von etwa 1350 bis Ende ab und steht somit für den körpernahen des Jahrhunderts zu beobachten ist, vor Schnitt als deren Charakteristikum. Meist allem auch die Übernahme von Rüstungs- ist der Schnitt mit einer vorderen Knopf- elementen in die Bekleidung der Frauen? leiste verbunden. In der Literatur findet Zur Entstehungszeit der Hirschsteiner man außerdem Gambaison, Lendner (wohl Rüstung Mitte des 14. Jahrhunderts (vgl. für das Ledermaterial), Pourpoint und Sa- Beitrag Schönauer zur Hirschsteiner Rüs- rock in unterschiedlichen Schreibweisen. tung in diesem Band) entwickelte sich ein Die Begriffe wurden lokal unterschiedlich extrem schlankes Körperideal. Enganlie- verwendet. Die Jacke lebt heute noch in der gende Rüstung und Kleidung überlängten typischen Form des Jacketts weiter. den Oberkörper und betonten die Tail- Besondere Popularität erhielt diese Mode le. Die Gürtel saßen tief auf der Hüfte2, durch Herzog Rudolf IV. von Österreich schlanke Beine wurden durch spitze Schu- (1339-1365), und dessen Ehefrau Kathari- he optisch verlängert. Für den Aufbau der na von Böhmen aus dem Hause Luxem- Rüstung gab es verschiedene konstruktive burg (1342-1395), die 1357 mit 17 und 15 Lösungen, auf die hier nicht im Detail ein- Jahren verheiratet wurden.4 Obwohl Ru- gegangen werden soll, sondern es sei auf dolf mit nur 26 Jahren starb, hat er in weni- gen jungen Jahren erstaunlich viel geleis- tet und auf den Weg gebracht, angefangen Abb. 1 Katharina von Böhmen, Gewändefigur von der Bautätigkeit am Wiener Dom bis im Singertor des Wiener Stephansdoms hin zur Gründung der Wiener Universi- 34 | Kerstin Merkel: Genäht und geschmiedet

Abb. 2 (oben) Grabplatte von Rudolf IV., Abb. 3 und 4 (unten rechts und links) Herzog von Österreich († 1365), und Katharina Details der Grabplatte von Rudolf IV., Herzog von Luxemburg († 1395), um 1360 von Österreich († 1365), und Katharina von (Wien, Stephansdom) Luxemburg († 1395), um 1360 (Wien, Stephansdom)

tät. Die Heirat mit der Kaisertochter ließ Das vermutlich älteste der vier Skulptu- ihn auf einen Machtgewinn hoffen. Des- renpaare ist jenes auf dem leeren Grab- halb nimmt Katharina neben ihm in der mal (Abb. 2-4). Ursprünglich stand es Kunst einen gleichrangigen Platz ein, mit prominent in der Mitte des Hauptchores dem auf die politische Machtrelevanz ih- vor dem Eingang der Familiengrabstätte, rer Herkunft verwiesen wird. In den vier die Rudolf 1362 errichten ließ. Schon zu skulpturalen Bildnissen des Paares am dieser Zeit – mit nur 23 Jahren – regelte und im Wiener Dom sind die beiden ei- er akribisch vom Gesang bis zur Anzahl nander in Form, Haltung und Kleidung der Kerzen alle Details seines Andenkens. auffällig angepasst. Zu dieser Zeit hat er auch den Auftrag Das Paar ist an prominenten Stellen ver- für sein Grabdenkmal gegeben, so dass ewigt: Im Dom-Inneren liegend auf sei- man davon ausgehen kann, dass das Er- nem Grabmal (Abb. 2-4), an der Westfas- scheinungsbild des Herrscherpaares rela- sade in den Ecknischen5 (Abb. 5-8) und die tiv authentisch sein dürfte. Die Eheleute Portale des Singer- und Bischofstor flan- strebten keine absolute Porträtähnlichkeit kierend (Abb. 1 und 9-11).6 an, sondern sie stellten sich so dar, wie Kerstin Merkel: Genäht und geschmiedet | 35 sie gesehen werden wollten. Mit diesen die sich bei beiden im Brustbereich auffäl- Skulpturen beginnt eine Imagekampagne, lig wölbt (Abb. 2). Bei Rudolf zeichnen sich bei der Katharina sicher aktiv mitwirkte. in der Taille die Spangen unter der Jacke Ihre ästhetische Erziehung am Prager Kai- ab, bei Katharina bilden sich durch den serhof, ihre politische Bildung sowie ihr engen Sitz Querfalten. Beide tragen einen diplomatisches Geschick bildeten dafür weit geöffneten Mantel mit Scheibenschlie- eine gute Basis. ßen, der den Blick auf ihre Körper freigibt. Die beiden liegen nicht als Leichname, Am auffälligsten sind die identischen Gür- sondern als dynamisches Paar mit geöff- tel aus schweren rechteckigen Elementen neten Augen auf dem Grabmal (Abb. 2). und mittiger runder Schließe mit einer Die Diskrepanz zwischen Liegen und Ste- Blüte (Abb. 4). Die Gürtelelemente sind hen ist in diesem Werk besonders auffällig. bei beiden mit Schriftbändern geschmückt, Rudolf „steht“ mit Stand- und Spielbein, die auch in der mittigen Zierleiste auf Ka- Katharina dreht sich leicht zu ihm, beide tharinas Obergewand zu sehen sind. Die „stehen“ auf Löwen, beide hatten einst die Figuren aus Rotmarmor7 dürften einst viel frei gearbeiteten Unterarme erhoben und prächtiger erschienen sein. Viele leere Ver- zugleich die Häupter auf bequeme Kissen tiefungen verweisen auf reiche Inkrustati- gebettet. Die Ähnlichkeit der Gewandung onen in Form von Edelsteinen oder Email. ist frappierend: beide betonen den langen Die Schriftbänder in den Gürteln dürften Oberkörper durch extrem enge Kleidung, bemalt oder mit Devisen beschrieben ge- wesen sein. Es gibt in der Kleidung keiner- lei emblematische Hinweise auf die famili- Abb. 5 und 6 Rudolf IV., von der Westfassade des Stephansdomes, um 1360 (Wien Museum) 36 | Kerstin Merkel: Genäht und geschmiedet

Abb. 7 und 8 Katharina von Luxemburg, von der Westfassade des Stephansdomes, um 1360, (Wien Museum) Katharina trägt gleichfalls eine Krone über ihrem Schleier. Dieser sogenannte Kruse- ler besteht aus einer Fülle von Rüschen, äre Herkunft. Doch könnte es sein, dass in die als Textil wie ein weißer Kranz das einer verschwundenen Farbfassung auch Gesicht umrahmen. Ein zweiter Rüschen- Wappen dargestellt worden sind. Als ös- kranz bauscht sich um die Schultern, die terreichischem Herzog hätte Rudolf der dank des sehr tiefen Dekolletés frei liegen. pelzverbrämte Herzogshut zugestanden, Mit Rudolfs Rüstung hat sich das Bild ei- doch erscheint er mit der von ihm erfun- nes Ritters im Vergleich zu jenem der Vor- denen zwölfteiligen Zackenkrone mit gängergenerationen erheblich geändert. Stirnbügel und Kreuz, eine Anspielung auf Vergleicht man ihn mit dem massiven hl. die Kaiserkrone, womit er seinen königli- Mauritius in Magdeburg (Abb. 3 im Bei- chen Anspruch dokumentieren wollte. Der trag Brenker in diesem Band) oder den sta- „gezinnete Kranz“ auf seinem Herzogshut bilen Naumburger Stiftern, dann wirkt er sei dem Herzogtum Österreich von Kaiser verschlankt bis zur Zerbrechlichkeit, mit Friedrich I. Barbarossa zugestanden wor- femininer Taille und an weibliche Brüste den. Rudolf bezieht sich auf das „Privile- erinnernder Vorwölbung des Brustbe- gium maius“, eine von ihm 1358/59 in Auf- reichs, verkürztem Rock über grazilen trag gegebene Urkundenfälschung, in der langen Beinen, elegant tänzelnd – martia- die Privilegien des Herzogtums Österreich lisch ist das nicht, aus heutiger Sicht eher manifestiert wurden, so auch Herrschafts- androgyn. Das Erscheinungsbild des Ehe- symbole wie die Krone über dem Hut. paares ist in Körperlichkeit und Kleidung Kerstin Merkel: Genäht und geschmiedet | 37

Skulptur der Westfassade zur Geltung. Rudolf balanciert leichtfüßig, auf federnd gebeugten Knien auf einem schlafenden Löwen, den Mantel vom Wind aufge- bauscht (Abb. 5-6). Der Körper ist voll- kommen vom Mantel gelöst, so dass die extrem schlanke Silhouette auch im Pro- fil zu bewundern ist. Im Profil formt sein Körper ein C, frontal ein S. Obwohl vorne stark verwittert, zeichnet sich die Ring- struktur der Spangen ab, wahrscheinlich von Textil oder Leder überzogen. Die für

Abb. 10 Rudolf IV., Gewändefigur im Bischofstor des Wiener Stephansdoms

Abb. 9 Katharina von Böhmen, Gewändefigur im Bischofstor des Wiener Stephansdoms angeglichen, die beiden tragen „Partner- look“. Und so wie der Mann feminisiert wird, so erhält die Frau mit den Zitaten von Rüstung und Gürtel ein männliches Machtpotential. Chronologisch dürfte die Grabskulptur die erste gewesen sein, möglicherweise auch zeitgleich mit jener an der Westfassade (Abb. 5-8, heute Wien Museum), die viel- leicht vom selben Bildhauer stammt. Die beiden Gruppen in den Portalen sind etwas später entstanden. Kleidung, Krone, Physio- gnomie, Frisur und Körperbild sind auf den ersten Blick sehr ähnlich (Abb. 1 und 9-11). Am spektakulärsten kommen die über- schlanken Gestalten des Paares in der 38 | Kerstin Merkel: Genäht und geschmiedet

inszeniert sie sich als Typus der „Schutz- mantelmaria“, unter deren Mantel die Un- tertanen symbolisch Schutz suchen können. Schon im Verlauf der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts kündigte sich die Verschlan- kung der Körper und die körperbetonen- de Kleidung bei Männern und Frauen an. Als besonders schönes Beispiel seien die Illustrationen aus dem Lobpreis für Robert von Anjou genannt, weil sich dieses Werk relativ genau auf ca. 1340 datieren lässt.9 Die Tugenden tragen alle engste Oberteile, die durch Knopfleisten oder Schnürungen den Körper modellieren. In der Männer- mode erscheinen tiefsitzende, aber noch recht schmale Gürtel ab der Mitte des 14. Jahrhunderts, so bei dem Spielmann im „Liber Viaticus“ (Böhmen um 1350, spätes- tens 1364). Die Miniaturen erlauben einen konkreten Blick auf die böhmische, also heimatliche Mode von Katharina. Bei der Rüstung entwickeln sich die hüft- tiefen Gürtel aus dem Schwertgehänge, Abb. 11 Rudolf IV, Gewändefigur aus dem doch vorerst handelte es sich um Ledergür- Singertor des Wiener Stephansdoms tel, die mit sogenannten Gürtelstreckern in Form gehalten wurden. Diese finden sich schon bei den Naumburger Stifterfiguren, einen Plattenrock typischen Ketten sind so bei Ekkehard (Abb. 12 bzw. Abb. 18 im noch zu erahnen. Der schwere Gürtel aus Beitrag Geibig zu den Schwertern in die- mit Scharnieren verbundenen Gliedern sem Band). Noch nach 1350 waren die ers- hängt tief auf der Hüfte. Am Arm, wo ten tiefsitzenden Schwertgehänge ebenfalls die Skulptur weniger verwittert ist, ist aus Leder mit Gürtelstreckern aus Metall, die Struktur des Panzerhemdes detailliert so bei Boleslaw III., Herzog von Schlesien- ausgearbeitet. Liegnitz-Berg (Grabmal im Muzeum Noro- Wie ihr Gemahl löst sich Katharina voll- dowe we Wroclawi in Breslau). Die massi- ständig vom Untergrund (Abb. 7-8). Ihr Oberkörper ist eng vom Gewand umschlos- Abb. 12 Ledergürtel des Ekkehard mit sen, welches die sehr schlanke und jugend- Gürtelstreckern aus Metall, Mitte 13. Jahrhundert, liche Figur betont. Die Schmuckelemente Naumburger Dom zeigen auf der rechten Mantelschließe ei- nen aufsteigenden Löwen, auf der mittleren Schmuckbrosche und der Gürtelschließe das Wappen von Österreich. Im Gürtel ist an der rechten Seite noch der Kopf eines ge- krönten Königs zu erkennen. Die Figur brei- tet ihre Arme aus, so dass sich der Mantel hinter ihr weit bauscht und öffnet.8 Damit Kerstin Merkel: Genäht und geschmiedet | 39 ve Form aus schweren dreidimensionalen, mit Scharnieren verbundenen Schmuck- gliedern erscheint wohl erst im Verlauf der späten 1350er Jahre. Tatsächlich stehen die Gürtel von Rudolf und Katharina ganz am Anfang dieser Modeerscheinung. Die bei- den können als die Protagonisten bezeich- net werden, bei denen der Schwertgurt als Zeichen des Ritters zu einer ganz neuen, explizit sichtbaren Gestaltung gebracht wird, der Gürtel als Standeszeichen wird zum Blickfang. Noch spektakulärer jedoch ist die Tatsache, dass auch Katharina ei- nen solchen Gürtel trägt und damit ebenso wie ihr Mann als Ritter erscheint, zumal in Kombination mit dem engen jackenförmi- gen Oberteil. Abb. 13 Amazonenkönigin, Detail aus: Die beiden Skulpturenpaare im Singer- Giovanni Boccaccios Cleres femmes, 1403 und Bischofstor wirken wesentlich boden- (Bibliothèque nationale de , fr. 12420, fol. 46r) ständiger (Abb. 1 und 9-11). Abgesehen von Kleinigkeiten ist die Kleidung aller vier Rudolf-Skulpturen des Stephansdo- österreichische Binnenschild. Unter dem mes annähernd identisch. Bei Katharina Gürtel erscheinen der steirische Panther, hingegen lassen sich einige markante Un- das Kärtner Wappen mit drei Löwen und terschiede beobachten. Die vestimentäre jenes der windischen Mark mit dem Hut Basis der beiden Portal-Skulpturen (Abb. (alle drei für Albrecht II., den Vater Ru- 1 und 9) ist unverändert: Lange Jacke mit dolfs IV.) und als letztes das Wappen mit tief angesetztem Rockteil, tiefer Ausschnitt, den beiden Fischen für die Grafschaft Pfirt eine Schmuckbordüre über die ganze Län- (Johanna von Pfirt war die Mutter Rudolfs ge der Vorderseite, weit aufspringender IV.).Das Kleid wird zum genealogischen Mantel und der Kruseler mit Krone. Nachweis und zum Beleg des Machtan- Die Unterschiede liegen im Schmuckde- spruches des Paares. tail: Die vordere Zierleiste von Katharinas Das Wappen von Österreich findet sich Kleidung im Singertor ist dank der ge- an beiden Schließen des Mantels und schützten Position hervorragend erhalten auf allen Gürtelplatten. Auf demü G rtel- (Abb. 1). Die Wappen darauf sind minuti- verschluss prangt der Helm Rudolfs mit ös ausgearbeitet und scheinen Perlstickerei Krone und Federschmuck. Die Bedeutung zu imitieren. Sie sind von oben nach unten dieser Ikonographie als besitzergreifende hierarchisch sortiert, am Oberkörper jene Botschaft des Ehemannes wird deutlich, von Katharinas und am Rockteil von Ru- wenn man die symbolische Aufladung des dolfs Eltern. Zuoberst steht der Adler für Gürtels bei der mittelalterlichen Paarbe- das Reich, dann der böhmische Löwe (bei- ziehung berücksichtigt.11 de für Karl IV., Katharinas Vater), darun- Bei der Skulptur im Bischofstor (Abb. 9) ter die französischen Lilien ( für Blanche verschwindet der Hinweis auf Katharinas de Valois, Katharinas Mutter und Schwes- Familie. Das Wappen von Österreich er- ter des Königs von Frankreich). In Katha- scheint wieder auf den Mantelschließen. rinas Gürtelgliedern findet sich dann der Auf dem Oberteil ihres Gewandes ist aus- 40 | Kerstin Merkel: Genäht und geschmiedet

Abb. 14 Hypsicrate, Detail aus: Giovanni Boccaccios Cleres femmes, 1403 Abb. 15 Dame und Ritter, Detail aus: (Bibliothèque nationale de France, fr. 12420, Rudolf von Ems, Weltchronik in Versen, um 1370 fol. 117r) (Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 5, fol. 66r) schließlich ein dreifach übereinander ge- Eine Frau als Ritter, mit allen Zeichen der staffelter Habsburger Adler zu sehen. Der Macht ausgestattet – ein Skandal? Keines- unterste verbirgt sich fast ganz hinter dem wegs, denn kämpfende und bewaffnete breiten Gürtel. Der Rapport des Stoffes Frauen finden sich in der zeitgenössischen lässt an extra für die Habsburger gewebte Kunst durchaus. Einen besonders guten Wappenstoffe mit Adlerbordüre denken.12 Vergleich bietet Fortitudo, die Tugend Die Übermacht der Habsburger Embleme der Stärke im Wiener Manuskript des wirkt wie Besitzzeichen auf dem Körper Lobpreises auf Robert von Anjou.13 Sie er- der Kaisertochter, die wie ein Attribut der scheint in voller Rüstung mit Panzerhemd, Macht von den Habsburgern vereinnahmt Arm- und Beinschienen und einem den wird. Man muss sich fragen, ob die Aufträ- langen Oberkörper betonenden Lendner ge nicht posthum vergeben wurden, denn aus einem rosa Stoff mit blauen Streublu- die selbstbewusste Katharina von Luxem- men, vorne eng mit einem roten Riemen burg dürfte sich kaum selbst in einer solch geschnürt. Die Stirn zu Zornesfalten unter attributiven Rolle gesehen haben. der Krone gerunzelt, schlägt sie auf einen Betrachtet man die gesamte Botschaft, die bemitleidenswert kleinen Löwen ein. Um in der vestimentären Inszenierung der 1340 entstanden, trägt sie noch keinen Kaisertochter zu finden ist, dann kombi- Scharniergürtel. nieren sich drei Komponenten: Die Amazonen erscheinen stets gerüstet, 1. Jacke und Scharniergürtel als die gerne in wagemutiger Kombination mit zeit- Kennzeichen eines Ritters genössischer Damenkleidung. In der Buch- 2. Der ausgebreitete Mantel steht für malerei tragen sie den Hüftgürtel als marti- die Schutzpatronin der Stadt oder gar alisches Zeichen auch noch nach 1400, als er des Landes schon längst unmodern war, so die Reiterin, 3. Eine erotische Komponente. die mit Pfeil und Bogen sowie Scharniergür- Kerstin Merkel: Genäht und geschmiedet | 41

Die erotische Konnotation von kämpferi- schen, bewaffneten, gefährlichen Frauen wird in einer Initiale deutlich, die zu Leb- zeiten der sehr ähnlich gewandeten Katha- rina von Luxemburg geschaffen wurde. Eine gertenschlanke Dame mit Kruseler und Hüftgürtel trifft einen Ritter mit dem Lie- bespfeil ins Herz, das dieser als Helmzier trägt. Von Kopf bis Fuß in Metall gerüstet, mit einem rosafarbenen Lendner, scheint er vor seiner Dame in die Knie zu gehen (Abb. 15). Weibliche Erotik wird als eine Form der Macht über den Mann definiert. Durch die Übernahme des Gürtels als Rüstungs- element wird die Frau für den Mann zur doppelten Gefahr, die er aber im Sinne der Minne gerne hinnimmt. Eine kämpfende Frau oder eine Frau in Rüstung wurde in dieser Zeit nicht als Normalität empfunden. Sie überschritt die Grenzen zwischen der männlichen und der weiblichen Welt. Unzählige Miniaturen in der Buchmalerei schildern minutiös das Eindringen von Frauen in die den Männern vorbehaltene Welt des Kampfes und der Abb. 16 Grabplatte von Reimar und Tcilia/ Kriege. Offenbar waren die „Ritterinnen“ Tcisia Barnekow, 1353, in der Klosterkirche von Rühn (Landkreis Rostock) ein Faszinosum, das sich in der fiktiven Welt entfalten durfte. Diese bunten Heldinnen, zumal äußerst feminin gestaltet, wurden be- tel mit Schwert in den Kampf zieht (Abb. staunt und bewundert. Vielleicht galten sie 13). Sie verzichtet aber nicht auf den immer ihren weiblichen Rezipientinnen gar als Rol- noch modernen Kruseler. Gleichermaßen lenvorbild. Der tiefsitzende Scharniergürtel findet man den Hüftgürtel bei Königin Hyp- findet sich bei Frauen bis etwa 1390/1400. So sicrate, hier in einer flauschig-weißen Aus- sieht man ihn gelegentlich auf Grabdenk- formung, die weniger an Geschmeide als an mälern wie bei Elisabeth und Ulrich Schenk Fell erinnert (Abb. 14). Offenbar hatten sich von Erbach in Steinbach.17 Das jugendli- die Hüftgürtel ins modisch-kollektive Ge- che Geschwisterpaar ist ausgesprochen dächtnis als typische Bekleidungselemente modisch gekleidet. Der Grabstein ist 1369 kämpferischer Frauen eingeprägt.14 entstanden, das heißt, die aktuelle Mode Kämpfende Frauen im Mittelalter sind ein hat sich schnell überregional verbreitet. Im bis vor kurzem vernachlässigtes Thema Kloster Rühn tritt die Tcilia/Tcisia, Ehefrau in der Forschung. Außer Jeanne d´Arc ist des Ritters Reimar Barnekow 1380 mit eng keine in Erinnerung geblieben. Doch mitt- geknöpfter Jacke und mächtigem Scharnier- lerweile belegen archäologische Zeugnis- gürtel in der gemeinsamen Grabplatte auf se15 und historische Forschungen, dass die (Abb. 16).18 Margarethe Moltke, gestorben Rolle von Frauen als Kämpferinnen unter- 1391, ist in ihrer Grabplatte im Doberaner schätzt wurde.16 Münster in gleicher Weise gekleidet. 42 | Kerstin Merkel: Genäht und geschmiedet

viel bedeutet wie „ein böhmischer Gürtel auf dem Gesäß (aufliegend)“. Hier haben wir den seltenen Fall, dass eine Textquel- le im Bild klar nachzuvollziehen ist, und eindeutig trägt Catilina einen Scharnier- gürtel aus schweren runden Medaillons. Besonders spannend ist die Bezeichnung als „Böhmischer Gürtel“, denn der Ver- weis auf Böhmen als Herkunftsland dieser modischen Extravaganz passt zu Katha- rina und Rudolf als Protagonisten dieser Mode. Auch Patrizier und Bürger rezipierten das Erscheinungsbild des Ritters. Enge Jacken mit gewölbter Brust und tiefsitzende Gür- tel, an die man kein Schwert, sondern ei- nen Beutel hängte, zitieren das Idol des Mittelalters, so bei dem patrizischen Kauf- mann Johann von Holzhausen († 1393) auf seiner Grabplatte im Frankfurter Dom (Abb. 18). Was hat dem Ritter eine solche Bewunderung verschafft? Es war seine Rolle als miles christianus, der wiederholt versuchte, Jerusalem zu befreien. Doch Abb. 17 Stifterehepaar, Chorfenster der zugleich huldigten ihm die zeitgenössi- Stiftskirche von Viktring (Kärnten), um 1390/1400 schen Medien: Ritterromane und Helden- gesänge. Gleich zwei Aspekte vermochte der Ritter hier abzudecken, zum einen Das Stifterpaar der prächtigen Glasma- die christliche Integrität, zum anderen lereien im Chor der Stiftskirche von Vik- die romantische Minne. Die Zitation der tring (Kärnten) trägt um 1390/1400 je einen Kleidungselemente von Rittern zeigt das Scharniergürtel (Abb. 17). Die Ehefrau mit Anliegen der ZeitgenossInnen, sich einer Kruseler und Hermelinmantel erinnert sozialen Gruppe mit hoher gesellschaftli- sehr an die Gesamterscheinung von Katha- cher Akzeptanz zu nähern oder in diese rina, die bis zu diesem Zeitpunkt in Öster- einzudringen. reich noch als Modevorbild gelten muss. Einen vergleichbaren Vorgang konnte Doch offenbar haftete dem tiefsitzenden man im 20. Jahrhundert beobachten: die Scharniergürtel ab etwa 1400 ein nega- idealisierte Gruppe waren die männlichen tiver Ruf an. In der Maleranweisung für Träger von dunklen Anzügen. Sie galten Buchillustrationen einer Sallustausgabe als Erfolgsmenschen, die es im Beruf so beschreibt der Verfasser Jean Lebèque weit gebracht hatten, dass sie nicht kör- 1404/07 den Verschwörer Catilina als eine perlich arbeiten mussten. Industriebosse, protzige, liederliche und verdorbene Ge- Banker und Manager – sie hatten es in stalt, was auch in der Kleidung zum Aus- der kapitalistischen Neuzeit zu Erfolg ge- druck gebracht werden soll. Catilina muss bracht. Auch Büroangestellte und Beamte einen Pourpoint tragen und dazu „une demonstrierten mit ihren Anzügen, dass sainture de Behaigne sur le cul“,19 was so- sie sich als dieser Gruppe zugehörig erach- Kerstin Merkel: Genäht und geschmiedet | 43 teten. Zugleich startete im 20. Jahrhundert neranzügen zu ungeahnter femininer At- der Weg der Frauen in die Arbeitswelt. Sie traktivität. Yves Saint Laurent steigerte übernahmen die Uniform der erfolgrei- in den 1960er-Jahren mit seinem Damen- chen Männer in ihrer weiblichen Interpre- Smoking den Sexappeal von maskuli- tation als Kostüm, also Anzugsjacke mit ner Kleidung an Frauenkörpern. In den Rock und weißem Hemd bzw. Bluse. Erste 80er-Jahren waren es Anne Klein, Ralph Vereinnahmungen in Form des Hosenan- Lauren und Armani, die die Emanzipati- zugs galten als skandalös, verwerflich und onsbewegung mit dem Herrenanzug für sehr erotisch. Marlene Dietrich war hier in Frauen prägten. Armani benannte ihn als den Filmklassikern Marokko (1930) und „Powersuit“ und schuf damit Anfang der Blonde Venus (1932) ein Vorbild, doch 1980er-Jahre das ultimative Statussymbol auch privat war sie die Protagonistin des für Karrierefrauen. Unverzichtbar waren Hosenanzugs. die sehr breiten Schulterpolster, mit der Eine Übernahme des Anzugs in die weib- die typisch weibliche Körperkontur sich liche Berufswelt erfolgte sukzessive. Ka- jene der Männer überstülpte. Breite Schul- therine Hepburn verhalf zu Anfang der tern stehen für männliche Durchsetzungs- 40er-Jahre in „Woman of the Year“ Män- fähigkeit, und genau das haben die Frauen in den Achtzigern gebraucht. Gleichzeitig kombinierte man die Attribute männlicher Abb. 18 Grabmal des Johann von Holzhausen († 1393) und Gudula Goldstein († 1371) im Dom Macht mit jenen der weiblichen Erotik, so von Frankfurt a. M. die als Dauerwelle wogenden Mähnen, hohe Absätze und den sehr roten Lippen- stift. Ein Vergleich mit der mittelalterlichen Katharina von Böhmen mag gewagt er- scheinen, aber er verdeutlicht, wie diese Mischung aus männlicher Kleidung, Ero- tik und Macht damals auf den Betrachter gewirkt hat. Mit unserer heutigen Seh- weise können wir das an Katharinas Be- kleidung kaum mehr nachspüren, doch vermögen die uns zeitlich näher liegenden Frauen im Männeranzug dabei zu helfen. Deren Übernahme der Männerkleidung mit zeitgleichem Eindringen in die männ- liche Berufswelt wurde gleichermaßen als Skandal, als erotischer Reiz und als gerechtfertigtes Statement gesehen. Die politische und gesellschaftliche Botschaft von Kleidung, heute ganz besonders von Politikerinnen, aber auch nach wie vor den Ehefrauen von Politikern, wird aktiv eingesetzt, man denke nur an die Auf- merksamkeit, die der Kleidung von ameri- kanischen Präsidentengattinnen und auch international bedeutenden Verantwor- tungsträgerinnen gewidmet wird.

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Anmerkungen rial, wie es später am Grabmal von Kaiser Friedrich III. im Chor des Stephansdomes 1 Kühnel, Bildwörterbuch, S. XLII; Krause, Mo- einen gestalterischen Höhepunkt erreicht. de, S. 45 zur gegenseitigen Beeinflussung von Meist handelt es sich bei dem sogenannten Kleidung und Rüstung im 16. Jahrhundert. Rotmarmor um Adneter Knollen- oder Riff- 2 Schopphoff, Gürtel, S. 10; Hundsbichler, Du- kalk aus dem Salzburger Land, der als Ex- sing, S. 67 f. und dies., Gürtel, S. 95. Im portschlager bis weit in den Norden Europas vorliegenden Text unterscheide ich zwischen gehandelt wurde. Ledergürtel und Scharniergürtel. Ledergürtel 8 Die rekonstruierende Darstellung von Mar- wurden auch auf der Hüfte getragen, waren quardt Hergott, Monumenta Aug. Domus aber weich, wurden von einer Schnalle mit Austriacae, Wien 1750, Taf. XXIV zeigt sie mit Dorn geschlossen und am langen Ende ver- Szepter und Reichsapfel. Das Szepter ist frag- knotet. Scharniergürtel wurden aus Platten mentarisch in ihrem Schulterbereich erhalten. zusammengesetzt, die mit Scharnieren ver- 9 Lobpreis auf Robert von Anjou, Unteritalien, bunden waren. Im Gegensatz zu den Leder- Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Ser. gürteln sind sie sehr viel raumgreifender, n. 2639. Ich danke Dr. Dieter Röschel für schwerer und größer. Sie lösten Ende der seine kollegialen Hinweise und inspirieren- 1350er Jahre den Ledergürtel auf der Rüstung de Diskussionen. ab. 10 Vgl. www.austria-forum.org/af/Wissenssamm- 3 So die gesteppte weißgoldene Seidenjacke lungen/Symbole/Wien_-_Wappen_und_ des Charles de Blois, in der er in der Schlacht Flagge bei Auray 1364 gefallen ist (Lyon, Musée de 11 Zum Gürtel in der Paarbeziehung, als Lie- Tissus), vgl. hierzu Fircks, Pourpoint und Ka- bespfand und Brautgeschenk vgl. Schopp- nia, Kleidung, S. 307. Die Jacke von Prinz hoff, Gürtel, S. 158-173; S. 174-178 zum Herr- Edward († 1376) mit ihren Wappenstickereien schaftssymbol. ist identisch mit jener auf seinem Grabbild, 12 Wappenstoffe waren im Mittelalter extrem nach dem sie mit Scharniergürtel über der beliebt und als gewebte Sonderanfertigungen Rüstung getragen wurde (Canterbury, Ka- ein teurer Luxus. Beispiele mit kleinem Rap- thedrale), siehe Kania, Kleidung, S. 313. Vgl. port in der Kleidung von Fernando de la auch die gesteppte rote Seidenjacke von Cerda († 1275), Burgos las Huelgas, vgl. Ka- Charles VI. (Chartres, Musée des Beaux- nia, Kleidung S. 294. Alternativ können die Arts), siehe hierzu Kania, Kleidung, S. 307. Motive aufgestickt oder appliziert sein, wie in 4 Baum, Rudolf IV., S. 372 f. Im April 1353 wur- der Jacke von Prinz Edward (Canterbury, Ka- de in Prag das symbolische Beilager vollzogen. thedrale), vgl. hierzu Kania, Kleidung, S. 313. Die Eheschließung fand erst im Juli 1357 statt. 13 Lobpreis auf Robert von Anjou, Unteritalien, 5 Das dürfte nicht der ursprünglich angedach- Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Ser. te Aufstellungsort sein. Es handelte sich um n. 2639, fol. 33r. einen Zyklus, in dem auch noch die Eltern 14 In der Buchmalerei finden sich zahlreiche der beiden dargestellt sind. Die Skulpturen Miniaturen, die kämpfende und gerüstete sollten sicher als „Ahnengalerie“ zusammen Frauen thematisieren. Neben den zahlreich stehen, vielleicht in der Nähe der Grable- dargestellten Amazonen gibt es aber auch ge. Die Reihe visualisiert die familiäre Her- Frauen, die ihre Burg verteidigen (z.B. Smith- kunft von Rudolf und Katharina und mani- field Decretals, London, British Library, Roy- festiert den Machtanspruch Rudolfs. Alle Fi- al MS 10 E IV, fol. 18v; Universitätsbibliothek guren befinden sich heute im Wien Museum. Heidelberg , Cod. Pal. Germ. 848, fol. 229v – 6 Bisher hat man sich in der Forschung vor so genannter Codex Manesse). allem mit den Skulpturen des Singer- und Bi- 15 Bei archäologischen Ausgrabungen in Cae- schofsportals befasst. In historischen Ab- sarea Maritima wurde ein Kreuzfahrer in Le- handlungen wird meist nur die Portalskulp- der-Bronzerüstung entdeckt, der mittler- tur von Rudolf berücksichtigt. Die vesti- weile als Frau identifiziert wurde, vgl. Bull, mentären Aspekte fanden bisher keine Beach- King, S. 224. Auch in Wikingergräbern sind tung. Vgl. Kosegarten, Parlerische Bildwer- bisher als männlich deklarierte Krieger als ke, S. 47-78; dies., Fürstenportale, S. 74-96 Frauen erkannt worden, Hedenstierna-Jon- und Schwarz, Baugeschichte. Hingewiesen son, Female Viking. sei auch auf das Forschungsprojekt der Uni- 16 McLaughlin, Woman Warrior; Edgington/ versität Bamberg: „Baustelle Portal. Die Fürs- Lambert, Gendering the Crusades; Hager, tenportale des Wiener Stephansdoms“, das in Endowed und Rottloff, Pilgerinnen, S. 108-117. Kürze publiziert wird. Ich danke Prof. Dr. 17 Vgl. Scholz, Inschriften, S. 21 f., Nr. 22. Michael Victor Schwarz für seine Hinweise. 18 Vgl. Brandt, Grabmäler, S. 62, Abb. 5. 7 Sogenannter Rotmarmor war ein beliebter 19 Oxford, Bodleian Library, MS. D´Orville 141, Stein für Grabdenkmäler, mit dem man den fol. 43. Zitiert bei Röschel, Christine de Pizan, antiken Porphyr zitierte. Im Sinne der Ma- Textband S. 299, Bildband Abb. 99 (Sallust, terialikonographie ist es ein fürstliches Mate- Genf, Bibliothèque de Genève, Ms. lat. 54, fol. 5r). Kerstin Merkel: Genäht und geschmiedet | 45

Literatur Dies., Zur Plastik der Fürstenportale am Wiener Stephansdom, in: Wiener Jahrbuch für Kunstge- Baum, Wilhelm, Rudolf IV. der Stifter. Seine Welt schichte 20 (1965), S. 74-96. und seine Zeit, Graz 1996. Kühnel, Harry (Hg.), Bildwörterbuch der Klei- Brand, Doreen, Die Grabmäler des ehemaligen dung und Rüstung. Vom Alten Orient bis zum Klosters und späteren Damenstifts Rühn (Korpus ausgehenden Mittelalter, Stuttgart 1992. der Grabplatten in Mecklenburg 2), Rostock 2011. Krause, Stefan, Mode in Stahl. Der Kostümhar- Bull, Robert J. u. a., King Herod´s Dream. Caesarea nisch des Wilhelm von Rogendorf (Kunsthistori- on the Sea, New York 1988. sches Museum Wien, Neue Burg, hg. von Sabine Haag), Wien 2016. Edgington Susan B. / Sarah Lambert (Hg.), Gende- ring the Crusades, Cardiff 2001. McLaughlin, Megan, The Woman Warrior: Gen- der, Warfare and Society in Medieval Europe, in: Fingerlin, Ilse, Gürtel des hohen und späten Mit- Women’s Studies 17 (1990), S. 193-209. telalters (Kunstwissenschaftliche Studien 46), München 1971. Röschel, Dieter, Christine de Pizans Epistre Othea – Der Einfluss der Autorin auf die Illustration, 2 Fircks, Juliane von, The Pourpoint of Charles de Bände, Simbach am Inn 2017. Blois. Men`s Fashion in the Fourteenth Century, in: Sabine de Günther / Philipp Zitzlsperger (Hg.), Rottloff, Andrea, Stärker als Männer und tapferer Signs and Symbols. Dress at the Intersection bet- als Ritter. Pilgerinnen in Spätantike und Mittelal- ween Image and Realia, Berlin/Boston 2018, S. 39-58. ter, Mainz 2005.

Hager, Katherine Rose, Endowed with Man- Schopphoff, Claudia, Der Gürtel. Funktion und ly Courage: Medieval Perceptions of Women in Symbolik eines Kleidungsstücks in Antike und Combat (Clemson University Tiger Prints 5), 2018 Mittelalter (Pictura et Poesis Series, Bd. 27), Köln/ https://tigerprints.clemson.edu/cgi/viewcontent. Weimar/Wien 2009. cgi?article=3848&context=all_theses (abgerufen am 22.01.2021). Scholz, Sebastian, Die Inschriften des Odenwald- kreises (Die Deutschen Inschriften 63, Mainzer Hedenstierna-Jonson u. a., A Female Viking Warri- Reihe 9), Wiesbaden 2005. or confirmend by Genomics, in: American Journal of Physical Anthropology 164/ 4 (2017) Schwarz, Michael Viktor, Baugeschichte – Bildge- https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/ schichte. Zur historischen Lesbarkeit der Befunde ajpa.23308 (abgerufen am 21.01.2021). an den Fürstenportalen von St. Stephan, in: Mit- telalterliche Portale als Orte der Transformation Hörmann-Weingartner, Bild und Missbild – Die (Tagung vom 11. bis 14. Januar 2018), Universität Porträtdarstellungen der Margarete Maultasch, in: Bamberg; erscheint in Kürze im Imhof-Verlag, Pe- Christoph, Haidacher / Mark Mersiowsky, 1363- tersberg. 2013: 650 Jahre Tirol mit Österreich, Innsbruck 2015.

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Fabian Brenker Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahr- hundert Zur Bedeutung der Schriftquellen für die Erforschung der materiellen Kultur des Hochmittelalters

Schrift- und Bildquellen in der Entwicklungsgeschichte auf Grundlage deutschsprachigen historischen von Quellen aller Art zusammengestellt Waffenkunde hatte.3 Der Kunst- und Kulturhistoriker Alwin Schultz († 1909) hatte sich für „Das In der bilderreichen Welt des 21. Jahrhun- höfische Leben zur Zeit der Minnesinger“ derts ist es kaum mehr vorstellbar, dass vor allem den literarischen Zeugnissen es eine Zeit gab, in der man nur kannte, der entsprechenden deutschen und fran- was man wirklich gesehen hatte. Während zösischen Sprachstufen gewidmet und die Bilder oder gar Fotos noch bis ins späte erste Auflage des zweiten Bands 1880 mit 19. Jahrhundert schwer zu reproduzieren 136, die vermehrte Auflage 1889 mit 196 waren,1 gab es bereits seit Jahrzehnten Holzstichen von Kunstwerken illustriert.4 eine sehr produktive Editionstätigkeit Der Wiener Waffenhistoriker Wendelin zur Verbreitung historischer Textquellen. Boeheim († 1900) widmete sich schließlich Der preußische Generalleutnant Gustav 1890 in seinem „Handbuch der Waffen- Köhler († 1896) hatte für seine „Entwick- kunde“ vor allem den erhaltenen Waffen lung des Kriegswesens und der Krieg- und einigen Miniaturen, welche er in zahl- führung in der Ritterzeit“ eine immense reichen Holzstichen wiedergab, während Fülle an chronikalischen und urkundli- er auf die schriftlichen Zeugnisse fast gar chen Schriftzeugnissen herangezogen und nicht mehr einging.5 Die seit 1897 erschei- diese 1887 entsprechend ohne Abbildun- nende „Zeitschrift für historische Waffen- gen in den Druck gegeben.2 Im Gegen- kunde“ konnte schon mit der ersten Liefe- satz dazu warb der deutsch-französische rung durch reproduzierte Fotoaufnahmen Schriftsteller August Demmin († 1898) glänzen. Bildquellen stellten in der Nach- auf dem Titelblatt seiner ersten Auflage folge von Wendelin Boeheim und Paul der „Kriegswaffen“ von 1869 bereits „Mit Post († 1956) seit dem frühen 20. Jahrhun- circa 2000 Illustrationen“, die er in seiner dert die Hauptquellen der deutschsprachi- gen Waffen- und Kostümkunde dar. Nach den oft verurteilten Materialsammlungen Abb. 1 Heiliger Mauritius als Krieger auf dem Reliquienschrein von Løgumkloster, des späten 19. Jahrhunderts zog lediglich 1. Viertel des 14. Jahrhunderts Ortwin Gamber 1977 nochmals die lite- 48 | Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert rarischen Zeugnisse der Stauferzeit zur chen Seiten zu den Plattenfunden aus dem Rekonstruktion der zeitgenössischen Kör- Massengrab von 1363 vor Visby auf der perpanzerung heran und wies auch auf Ostseeinsel Gotland 1939/1940 nicht auf die unterschiedliche Aussagequalität und die vorgenannten Sammlungen an Text- die Zeitverschiebung zwischen Schrift- belegen ein.9 Neben den Standardwerken und Bildzeugnissen hin.6 Bildquellen der letzten Jahrzehnte geben auch jüngste dienten der deutschen Waffen- und Kos- Arbeiten zur Geschichte der europäischen tümkunde des 20. Jahrhunderts primär Körperpanzerung durch Eisenplatten die zur Ausarbeitung einer Typologie, welche Mitte des 13. Jahrhunderts für das Auf- wiederum zur Datierung von Kunstwer- kommen der ersten sogenannten Platten- ken herangezogen werden konnte.7 Ähn- röcke an. Wie unten erläutert, ist dieser lich einer Stilanalyse kann dies innerhalb mittelalterlich wirkende Terminus kein einer Quellenart funktionieren. Jedoch Quellenbegriff, sondern eine Wortschöp- werden die Ergebnisse bis heute meist fung der historischen Waffenkunde, wes- mit der tatsächlichen Entwicklung von halb er im Kommenden vermieden wird. Kleidung und Waffen gleichgesetzt. Die Während es bei archäologischen Fun- folgenden Seiten machen anhand größ- den eher offensichtlich ist, dass Objekte tenteils längst bekannter, aber seit lan- zumeist erst nach der Nutzungsphase in gem ignorierter Quellen deutlich, welche den Boden gelangten und selbst dann oft Gefahr sich hinter dieser Fokussierung nur unzureichend über den ältesten und/ verbirgt. In der englischen und französi- oder jüngsten datierbaren Fund desselben schen Forschung scheinen alle Quellen in Befunds chronologisch einzuordnen sind, einem ausgewogeneren Verhältnis heran- scheint bei der Beurteilung der zeitgenös- gezogen worden zu sein.8 Die Sprachbar- sischen Aktualität von Bildquellen noch rieren verhinderten jedoch weitestgehend, immer Diskussionsbedarf zu bestehen. dass die deutschsprachigen Quellen dort Noch schwieriger wird dieses Unterfan- Eingang gefunden hätten. So ging etwa gen bei jenen Objekten, die auf Bildquel- Bengt Thordeman in seinen einflussrei- len nicht zu erwarten sind, weil sie entwe- der gänzlich unsichtbar getragen wurden oder zumindest den Kunstschaffenden Abb. 2 Die Ritterorden im Gefolge König Bal- 10 duins in einer mittelrheinischen oder niedersäch- nicht bewusst waren. sischen Buchmalerei zu Alexander von Bremens († 1271) „Expositio in Apocalypsim“, 1249/1250 Wesensmerkmale der platen (Cambridge, University Library, MS Mm.5.31, fol. 139r) nach den Textzeugnissen des 13. Jahrhunderts im deutschen und skandinavischen Raum

Am Anfang steht ein in seiner Deutung undeutliches, lateinisches Fremdzeug- nis: Nach dem von Giraldus Cambrensis († um 1223) 1189 abgeschlossenen Werk „Expugnatio hibernica“ trugen einige Dä- nen bei ihrem Angriff 1171 auf Dublin lan- ge Ringpanzerhemden, andere kunstfertig zusammengenähte Eisenbleche („laminis ferreis“).11 Außer, dass diese Panzerung aus mehreren durch Fäden verbundenen Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert | 49

Abb. 3 a und b Der heilige Mauritius im Magdeburger Dom, Mitte des 13. Jahrhunderts oder später

Platten bestanden hat und wohl den Ober- Inhalt und ihrer Gestalt nach fiktionale körper schützte, geht wenig aus dieser Literatur und auch als solche zu behan- Beschreibung hervor. Mit ihren Nähten deln.14 Trotzdem können die erwähnten unterschieden sie sich zumindest von den Gegenstände großenteils als den Autoren jüngeren Darstellungen im deutschspra- der Sache nach bekannt oder zumindest chigen Raum, sodass auch Schuppen- vorstellbar betrachtet werden. Sie lassen panzer und andere Konstruktionen nicht bei aller Vorsicht einen Rückschluss auf auszuschließen sind.12 Es sei etwa auf die die materielle Kultur ihrer Zeit zu. Ers- Panzerung aus Eisenbändern in Grab 8 te Hinweise auf Körperpanzerungen aus von Valsgärde aus dem 7. Jahrhundert er- Blechen finden sich spätestens im ersten innert.13 Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts. Damals Im Gegensatz zu den lateinischen Autoren, schrieb Wolfram von Eschenbach im „Par- welche weitestgehend auf das spätantike zival“ über Herzog Orilus: Zu Soissons Vokabular beschränkt waren, brachten (?) war geschlagen seine Platte („Zeſeſune die germanischen Volkssprachen eigene waſ geſlagen ſin plate“)15. Man geht sicher Bezeichnungen für neue Entwicklungen nicht fehl, in diesem Schlagen einer Platte hervor. So werden Neuerungen einfa- die Treibarbeit und somit eine Panzerung cher sprachlich greifbar. Die mittelhoch- aus Blech zu verstehen. Im unvollendet deutschen Epen und Gedichte sind ihrem gebliebenen „Trojanerkrieg“ Konrads von 50 | Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert

orte von Platten werden von Neidhart um 1230/1236 Wien17 und im „Jüngeren Titu- rel“ Albrechts von Scharfenberg um 1270 Hessen18 genannt. Ein Texteinschub in Version B der in den 1270er/1280er Jahren in Wien entstandenen Weltchronik von Jansen Enikel beschrieb die „blate“ des Trojaners Paris als aus breitem Stahl und mit Nägeln versehen, worunter wohl Nie- te zu verstehen sind.19 Im zwischen etwa 1190 und 1217 entstan- denen „Liet von Troye“ beschrieb Herbort von Fritzlar für einen Kampf vor Tro- ja, dass der Speer des Priamos zwar das Ringpanzerhemd Nestors durchdrang, die darunter (!) getragenen Platten dem Stich aber standhielten.20 Nachdem die Lanzen- spitze in den beschriebenen Textpassagen das Ringpanzerhemd durchbohrt hatte, konnte sie nicht mehr abgleiten. Auch scheinen die Platten den Werken der bil- denden Kunst (siehe unten) entsprechend von außen mit Textil überzogen gewesen zu sein, was dem Weggleiten einer Waffe ebenfalls unzuträglich gewesen sein dürf- te. Bis zu diesem Zeitpunkt war es bei den Abb. 4 Farbgetreuer Rekonstruktionsversuch verwendeten Ringpanzerhemden und des heiligen Mauritius aus dem Magdeburger Dom (Dipl.-Rest. Thomas Groll und Team), 2020 Holzschilden noch gar nicht denkbar ge- (Kulturhistorisches Museum Magdeburg) wesen, eine scharfe Waffe abzulenken, so- dass diese Möglichkeit offensichtlich noch nicht bekannt war. Erst seit dem 14. Jahr- Würzburg († 1287) wurde eine Platte von hundert zeigt sich an spitzen Visieren ganz besonderer Machart geschildert, wel- und gewölbten Brustplatten der Versuch, che Hektor über seinem Ringpanzerhemd gegnerische Waffen abgleiten zu lassen. und unter seinem Waffenrock getragen Heinrich von dem Türlin beschrieb um haben soll. Sie wird beschrieben als mit 1230 in „Diu Crône“ die Körperpanzerung Sorgfalt hergestellt, lobenswert geschnit- einiger Ritter bis einschließlich des Ring- ten aus einer grün schimmernden Kro- panzerhemdes („halſperch“). Danach, am kodilhaut, welche so gegerbt war, dass Ende, so heißt es, gehört vor die Brust eine sie sanft und weich war. Ihr verdankt der Platte („Darnach an dem end/ Gehört fùr Panzer letztlich seine Undurchdringbar- die bruſt ein blat“) bevor noch ein „wam- keit. Dieser sicher phantasiereichen aber mes“ oder ein seidener Wappenrock („wa- unrealistischen, epischen Überhöhung fol- penrock ſydin“) darüber gezogen wird.21 gen vier aufschlussreiche Verse: Ihr glän- Auch Ulrich von Liechtenstein († 1275) zendes Blech und ihre Glieder blieben trug gegen 1255 auf seinen Turnierfahrten ohne Scharten. Aus gut gehärtetem Stahl seine Platten über dem Ringpanzerhemd waren sie gemacht.16 Als weitere Bezugs- und unter dem Waffenrock.22 Gleiches gilt Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert | 51

Abb. 5 und 6 Die schlafenden Wächter am Heiligen Grab in der Mauritiusrotunde im Konstanzer Münster, um 1260 kamen das Ringpanzerhemd („bryniu“) und ein ärmelloser Waffenrock („pannza- ra“).24 Die Eisenverstärkung schützte also für einige Helden im Kampf um Troja in die untere Hälfte des Brustkorbs und den Jansen Enikels Weltchronik.23 Bauch, ließ den Armen aber die nötige Be- Im Mitte des 13. Jahrhunderts entstande- wegungsfreiheit. nen, altnorwegischen „Konungs skuggsjá“ Eine gereimte Chronik über die Teilnah- (lateinisch: speculum regale; deutsch: Kö- me Landgraf Ludwigs III. von Thüringen nigsspiegel) – also einem glaubwürdigen († 1190) am dritten Kreuzzug (1189–1190) Ratgeber – wird dem Prinzen empfohlen, aus dem Jahr 1301 schlug die Brücke zwi- über einem weichen Panzer („blautan schen Dichtung und Historiografie. Beim pannzara“) eine gute Brustberge („goða Bericht von einem Überfall ist von der briost biorg“) aus gutem Eisen („af goðu Hektik die Rede, in der jemand ihm die iarni“) zu tragen, die von der Brustwarze Platten gurtete („dirre im die platen gur- bis zum Hosengürtel („geirwartna oc br- ten tet“).25 Daraus ließe sich schließen, oca bælltis“) reichen sollte. Erst darüber dass der genannte Körperschutz mittels 52 | Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert

Lederriemen und Schnallen verschlossen ab zum Gürtel und wurde mit Hilfe Drit- war und eine Hilfsperson für diesen Vor- ter gegurtet. Im „Liet von Troye“ schützt gang herangezogen wurde, etwa weil die sie vor einem Lanzenstich (siehe oben). In Schnallen auf der Schulter oder auf dem den meisten der hier genannten Texte so- Rücken lagen. Solange keine zeitgenös- wie in einigen weiteren Epen des späten sische Vorlage bekannt ist, wird man die 13. Jahrhunderts wird die Platte jedoch erwähnte Panzerung der Lebenswelt des von Schwertern und Lanzen durchdrun- Dichters zuschreiben müssen und nicht gen.26 So jene von Ulrich von Liechtenstein der Berichtszeit um 1190. in seiner Tjost mit Konrad von Streitwie- Aus den vereinzelten Textzeugnissen kann sen.27 Die Platte wird in den erzählenden nicht erschlossen werden, ob die Platte zu Quellen somit fast ausschließlich im Kon- Beginn des 13. Jahrhunderts mit jener zu text von Nahkämpfen erwähnt. Beginn des 14. Jahrhunderts identisch war. Die bisher beschriebenen Platten erschei- In Summe ergibt sich, dass sie aus einem nen stets als Schutzbewaffnung hoher oder mehreren geschlagenen Blechen aus Adeliger oder von den Göttern unterstütz- gehärtetem Stahl und Nieten bestanden ter Helden im Kampf um Troja. Laut dem zu haben scheint. Aus der Dichtung von Dichter Neidhart waren um 1230/1236 der weich gegerbten Krokodilhaut könnte aber auch Bauernsöhne in der Lage, solche man vielleicht auf ein Trägermaterial aus Platten zu erwerben.28 Neuerdings wurde weichem Leder schließen. Sie konnte unter jedoch die These aufgeworfen, ob Neid- oder über dem Ringpanzerhemd getragen harts Sticheleien gegen die Bauern nicht ei- werden, reichte von den Brustwarzen hin- gentlich den niederösterreichischen Land- adeligen galten.29 In der lateinischen „Kulmer Handfeste“ Abb. 7 Schlafende Wächter am Grab Jesu, von 1233 wurde für alle Landbesitzer im Detail aus einem Psalter aus dem Umkreis von Magdeburg, um 1265 dortigen Ordensland in Abhängigkeit von (Bayerische Staatsbibliothek, Clm 23094, fol. 77v) Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert | 53

teinische Abrechnung mit den Grafen von Tirol 1298 den deutschen Begriff „platten“ benutzt und kein lateinisches 33Wort, ist davon auszugehen, dass das im deutschen Sprachraum verbreitete Objekt nach wie vor mit keinem lateinischen oder romani- schen Terminus in gleicher Weise adäquat zu beschreiben war. In einer anderen Ab- rechnung von 1293 hatte man den deut- schen Begriff zumindest lateinisch dekli- niert.34

Blechverstärkte und lederne Körper- panzerungen im romanischen Sprachraum

Abb. 8 Kameo mit dem Kopf eines Ritters, Die folgenden Ausführungen beruhen 2. Hälfte des 13. / frühes 14. Jahrhunderts (Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer, ausschließlich auf den in den einschlägi- Inv.-Nr. Antikensammlung XII 244) gen Werken genannten Belegstellen. Wei- tere Forschungen zu den Wort- und Er- scheinungsformen seien den Spezialisten der Landfläche festgelegt, mit welcher dieser Sprachen überlassen. Ausrüstung sie im Kriegsfall dem Deut- Erst in den 1290er Jahren kommt, den ent- schen Orden dienen sollten. Selbst für sprechenden Untersuchungen nach zu jene mit unter zehn Hufen war eine Pan- urteilen, der Begriff plate im Sinne einer zerung vorgeschrieben, welche im Volks- Körperpanzerung in französischsprachi- mund „Plata“ genannt werde.30 Die For- gen Textzeugnissen vor.35 Zuvor erwähnte mulierung legt nahe, dass für all jene bis lediglich der französische Autor Sarrasin zu einem Besitz von 40 Hufen die „Plata“ in seinem „Roman du Hem“ vereinzelt die alleinige Körperpanzerung darstellte. „pelates“ bei einer Tjost im Jahr 1278, die Sie scheint demnach der erschwinglichste teilweise von den Lanzen durchstochen Schutz gewesen zu sein. werden.36 Zu Beginn des 14. Jahrhunderts Spätestens mit dem im Original überlie- ist in französischen Rechnungen öfters ro- ferten Erbrecht der Stadt Augsburg von ter, seltener gelber Samit (ein Seidenstoff, 1276 zeigt sich, dass derartige Rüstungs- nicht Samt!) oder weißes Leder zum Be- teile auch in Städten häufiger anzutreffen ziehen der Platten dokumentiert.37 Da die waren, da sie dort als Beispiel für zu ver- mittelenglische Sprache, bedingt durch erbende Waffen und Rüstungsteile aufge- die normannische Eroberung Englands führt werden.31 Ob die Verfasser dabei an 1066, neben dem administrativen und Handwerker, reiche Bürger oder gar Mi- höfischen gerade auch im militärischen nisterialen dachten, verrät der Text jedoch Vokabular von Gallizismen durchzogen nicht. war,38 wird auch dort der Begriff plates Ab etwa 1285 mehren sich die Nennun- erstmals im Jahr 1300 greifbar.39 Im Altita- gen in Inventaren, Testamenten, Chro- lienischen trat er erst im frühen 14. Jahr- niken und Rechtsdokumenten, sodass hundert als piatine auf.40 Diese sprachliche nicht mehr auf einzelne Erwähnungen Adaption war wohl nur notwendig, weil eingegangen werden kann.32 Da eine la- sich die im Deutschen als solche bezeich- 54 | Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert nete Sache von den in diesen Gebieten üb- der Brust handelte. Im Inventar der nord- lichen Panzerungen unterschied und/oder italienischen Burg Robbio werden 1203 weil diese mitsamt ihrem Namen aus dem vier eisenverstärkte und zwei nicht eisen- deutschen Sprachraum importiert wur- verstärkte Lederpanzerungen (lateinisch: den. Im 14. Jahrhundert werden plates in corium=Leder) genannt („corcales IIII. fer- französischen Quellen öfter als deutsch ratas et II. inferratas“).43 bezeichnet.41 Doch war die Panzerung mit Im schriftsprachlich noch lateinisch do- Blechen auch im romanischen Kulturraum minierten Italien der zweiten Hälfte des bekannt. 13. Jahrhunderts scheint – ähnlich wie im Nach der lateinischen „Philippide“ von deutschen Sprachraum – die Namensge- Guillaume le Breton († 1226) durchstie- bung der neuen Platten über das lateini- ßen Richard, genannt Löwenherz, Graf sche Wort für Blech (lamina) funktioniert von Poitou, ab 1189 König von England zu haben. 1264 wurden in Vicenza durch († 1199), und Guillaume de Barres († 1234) „lama“ (Platten) verstärkte „panceria“ bei einem Zweikampf 1185 mit ihren Lan- (von deutsch „Panzer“) erwähnt.44 1255 zen jeweils Schild, Ringpanzerhemd und hingegen musste ein Besatzungsmitglied Gambeson (eine abgesteppte Polsterung) der venezianischen Flotte mit mehr als 40 des anderen, bis die Lanzen von einer „pa- Pfund Sold über Panzer oder eiserne Plat- tena“ – eigentlich ein liturgischer Blechtel- ten („panzeram vel lamam de ferro“) ver- ler – aus wörtlich wiedergekochtem, also fügen,45 sodass offensichtlich ein nominel- wohl thermisch behandeltem Eisen auf- ler Unterschied zwischen beiden bestand. gehalten wurden, welche die Brust sicher Auch im deutschsprachigen Raum waren schützte.42 Die erst im ersten Viertel des Platte und Panzer zwei verschiedene Din- 13. Jahrhunderts entstandene Textpassage ge, wie das Erbrecht der Stadt Augsburg hält noch keinen Eigennamen für diesen von 127646 und das Inventar der österrei- Brustschutz bereit. Aus der umständlichen chischen Burg Waidhofen vom 24. Mai Beschreibung geht aber doch hervor, dass 1313 („platne“/„panczirium“) zeigen.47 es sich um ein einzelnes, wohl rundes, ge- Der „Libro di Monteaperti“ von Florenz triebenes und leicht gewölbtes Blech vor schrieb 1259 dem schweren Reiter „pan- ceriam sive asbergum“ vor, sodass mit diesen beiden Termini sehr ähnliche Din- Abb. 9 Schlafende Wächter am Grab Jesu am ge gemeint zu sein scheinen. Desweiteren mittleren Westportal des Straßburger Münsters, werden dort „lamerias vel coraczas“ (Plat- um 1280/1290 Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert | 55

Abb. 10 Enthauptung der Heiligen Servandus und Germanus, Detail in einem mitteldeutschen Martyrologium, spätes 13. Jahrhundert, (Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, MS.Bos.q.3, fol. 83v) ten oder Lederpanzer) aufgezählt, welche als Currit oder Gurrit auf und werden sich sprachlich von den vorgenannten und unter anderem bei Neidhart53 und im Erb- untereinander abheben.48 recht der Stadt Augsburg54 als Alternativen Diese Lederpanzerungen könnten als zu den platen erwähnt. Die romanischen Wort und Sache auch das Fehlen der pla- Sprachen betonten also vielmehr den har- ten im Altfranzösischen und Altokzitani- ten Lederbestandteil der Panzerung, die schen erklären. Wenngleich sie sich teil- sich damit möglicherweise auch von den weise auf das 11. Jahrhundert beziehen, im deutschsprachigen Bereich gebräuch- so stammen die ersten Erwähnungen von lichen, weichen Überwürfen unterschied. coiriés, corietum und cuiree aus dem dritten Viertel des 12. Jahrhunderts und Der Abgleich mit den Bildzeugnissen später.49 Als „cuirie“ wird sie nach 1218 des 13. Jahrhunderts im französischen Chanson de geste „Gay- don“ zumeist unter dem Ringpanzer- Möglicherweise zeigt schon eine 1249/1250 hemd getragen und aus „cuir boilli“,50 an am Mittelrhein oder in Niedersachsen ent- anderer Stelle als aus gegerbtem Leder standene Buchmalerei zu Alexander von bestehend und zuletzt als mit Eisen ver- Bremens († 1271) „Expositio in Apocalyp- stärkt beschrieben.51 1266 ist sie in einem sim“ einen blechverstärkten Brustschutz, Nachlassinventar des Grafen von Nevers wenngleich hier die Platten nicht zu er- erstmals als „paires de cuiraces“ überlie- kennen sind (Abb. 2).55 Er hat jedoch in fert.52 Die daraus sprachlich ableitbaren seiner weißen Farbe sowie den fehlenden Merkmale lassen zumindest ab dieser Zeit Falten bei gleichzeitig symmetrischer Bin- auf eine Paarung aus je einem steifen, aber nengliederung und einem um den Bauch leichten Brust- und Rückenstück denken. verlaufenden Band auffällige Überein- In Ableitung davon treten sie in deutsch- stimmungen mit den folgenden, eindeuti- sprachigen Quellen ab den 1230er Jahren gen Nachweisen. 56 | Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert

nen Niet von innen auf ein Trägermaterial genietet zu sein, wenngleich nicht immer beide Niete direkt übereinander liegen.59 Das mittig zwischen den Nietreihen um- laufende Band könnte demnach zur Sta- bilisierung der Konstruktion gedient und ein Verschieben der Platten und damit ein Ausreißen der Niete verhindert haben. Zumindest hat sich dies bei einem eigenen Nachbau bewährt, wenn die Platten mit je nur einem Niet oben und unten fixiert wurden. Wie zwei Niete vor dem Schlüs- selbein andeuten, waren oberhalb dieses Plattenkranzes weitere Platten angebracht. Die konzentrischen Linien um den Arm- ausschnitt könnten gemeinsam mit den Linien am Rücken der Figur eine innensei- tig aufgenähte Verstärkung der Schulter- partie, etwa aus dickem Leder, andeuten. Damit würde die Schulterpartie geschützt, ohne die Beweglichkeit einzuschränken. In dieser Form decken die Platten ziemlich genau den Brustkorb des Trägers ab, wes- halb er dessen Bewegungsfreiheit nicht Abb. 11 Schlafender Wächter, Detail aus der einschränkt, solange die Armausschnitte Skulptur „Auferstehender Christus“ (Inv. Nr. Wie Ac 001) am Heiligen Grab im vorne weit genug sind. Die überstehen- Kloster Wienhausen, um 1290/1300 den Schultern wurden bei den platen des 14. Jahrhunderts durch schildförmige Plättchen ersetzt (Abb. 19 im Beitrag Schö- Als älteste sichere Bildquelle für einen nauer zur Hirschsteiner Rüstung in die- Torsoschutz aus Metallplatten gilt die sem Band).60 Mauritiusstatue im Magdeburger Dom Die schlafenden Wächter im Heiligen (Abb. 3), welche stilistisch in die Mitte des Grab in der Mauritiusrotunde im Kon- 13. Jahrhunderts datiert wird,56 aber aus stanzer Münster (Abb. 5-6) wurden zwar waffenkundlichem Gesichtspunkt durch- erst um 1300 verbaut, werden aber stilis- aus auch erst im Laufe der zweiten Hälfte tisch bereits auf um 1260 datiert. Einige des Jahrhunderts entstanden sein könnte.57 Figuren gelten als eng verwandt mit den Über einem goldenen Ringpanzerhemd Skulpturen in Magdeburg und werden auf trägt der Heilige einen ursprünglich wei- gemeinsame Vorbilder in Paris, Reims und ßen Überwurf mit goldenen Nieten (Abb. Meaux zurückgeführt.61 Die inneren Figu- 4).58 Darüber sitzt eine Ringpanzerhaube ren haben heute jegliche Fassung verloren, mit rechteckigem Latz. Auf der Rückseite sodass über deren Farbgebung keine Aus- finden sich die in den Schriftquellen er- sagen möglich sind. Über ihrem Ringpan- wähnten Schnallen. Nach den beiden waa- zerhemd tragen sie ungegürtet einen am gerechten Nietreihen zu urteilen, scheinen Oberkörper steifen, ärmellosen Überwurf, dazwischen annähernd rechteckige, senk- der unten in weiche Stofffalten übergeht. rechte Platten oben und unten durch je ei- Abgesehen von der fehlenden Binnenglie- Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert | 57 derung und des fehlenden umlaufenden Bandes ähnelt er der Form des Überwurfs der Mauritiusfigur in Magdeburg. In ei- nem Fall sind ebenfalls drei Schnallen am Rücken zu erkennen. Die gesellschaftliche Stellung der Wächter ist schwer zu beur- teilen. Keiner trägt Sporen. Man könnte in Anlehnung an zeitgenössische Siegel und Schriftquellen den sogenannten Topfhelm als ritterliches Attribut werten, die Eisen- hüte als Kopfschutz der Sergeanten.62 In diesem Fall wäre das ein bildlicher Hin- weis auf die in den Schriftquellen bereits eine Generation früher fassbare Verbrei- tung der Platten in nicht-adeligen Kreisen. Ein um 1265 entstandener Psalter aus dem Umkreis von Magdeburg63 zeigt unter den Wächtern am Grab ebenfalls einen schla- fenden Soldaten, dessen größtenteils ver- deckter, weißer Waffenrock faltenlos ist und mit einem kleinen Kreis seitlich der Brust vielleicht einen Niet andeutet (Abb. 7). Der eckige Latz der Ringpanzerhaube erinnert stark an den heiligen Mauritius im dortigen Dom, sodass hier eine Abhän- gigkeit denkbar wäre. Ein möglicherweise französisches Kameo (Onyx auf Jaspis aufgelegt), vielleicht aus Abb. 12 Heiliger Georg auf dem Reliquien- der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts schrein von Løgumkloster, 1. Viertel des oder aus dem frühen 14. Jahrhundert, 14. Jahrhunderts zeigt den Kopf eines Geharnischten mit Ringpanzerhaube (Abb. 8).64 Vor dem Schlüsselbein ist ein kleiner Kreis in den tes Martyrologium zeigt die Enthauptun- Waffenrock graviert, der vielleicht als gen der Heiligen Servandus und Germa- Niet zu deuten wäre. Ein weiteres Bei- nus (Abb. 10).67 Der Soldat trägt über ei- spiel dieses Merkmals findet sich beim nem mutmaßlichen Gambeson in brauner linken schlafenden Wächter an dem um Farbe ein seitlich geschlitztes, nahezu är- 1280/1290 geschaffenen mittleren West- melloses, rotes Obergewand und darüber portal des Straßburger Münsters (Abb. lediglich einen weißen, ärmellosen Über- 9).65 Dessen heute steinsichtige Panzerung wurf um den Torso und vor der Brust. hat jedoch ein Scharnier oder einen Ver- Wegen des Fehlens von Ringpanzerhemd schluss auf der Schulter,66 wie es eher bei und Waffenrock ist er sicher nicht dem einem steifen Brust- und Rückenpanzer Ritterstand zuzurechnen. Die innenseiti- wie der cuirie oder dem pair de cuiraces gen Platten sind durch senkrechte Linien notwendig wäre. erkennbar. Es deutet sich hier am unteren Ein im späten 13. Jahrhundert in Mittel- Rand vorne erstmals eine leichte Zuspit- deutschland entstandenes, reich bebilder- zung hinunter zwischen die Beine an, wie 58 | Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert

Brust- und Bauchreihe ist eine Reihe für den Unterleib getreten, wie sie ebenfalls aus Visby vorliegt.71 Die einzelnen Platten sind von innen auf eine Textil- oder Le- derschicht aufgenietet. Wenig jünger und in ihrer weißen, zweireihigen Panzerung mit obigen vergleichbar sind die Heiligen Georg und Mauritius auf dem Reliquien- schrein von Løgumkloster im südlichen Dänemark aus dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts – ebenfalls mit aufge- setztem, vor der Brust spitz nach oben zu- laufendem Streifen (Abb. 1 und 12).72 Das Grabmal für Nils Jonsson († 1316/1319) in der Marienkirche in Sigtuna und die 2001 durch Brandstiftung zerstörte Wandmale- rei des Ritters Valerianus im Martyrium des heiligen Hippolytus in Södra Råda von 1323 setzten diese Tradition in Südschwe- den fort.73 Möglicherweise zeigt noch die Darstellung des Minnesängers Dürner bei einer Tjost vom zweiten Nachtragsmaler des „Codex Manesse“ um 1330/1340 eine herkömmliche plate (Abb. 7 im Beitrag Schönauer zur Hirschsteiner Rüstung in diesem Band).74 In roter und grüner Farbe findet sich die typische Form der platen, Abb. 13 Der Tod Graf Walrams († 1311), Detail aus dem „Codex Balduini“, um 1340 jedoch ohne erkennbare Niete oder sonsti- (Koblenz, Landeshauptarchiv, Bestand 1 C Nr. 1, ge Hinweise auf innenliegende Platten, im fol. 14r) um 1340 entstandenen „Codex Balduini“, wo der vom Pfeil getroffene Graf Walram († 1311) keinen Waffenrock trägt (Abb. sie auch noch bei den aus senkrechten 13).75 Um diese Zeit scheint man allmäh- Platten bestehenden Funden aus den Grä- lich zu waagerechten Metallstreifen über- bern von 1363 vor Visby zu finden ist.68 gegangen zu sein.76 Wie beim Magdeburger Mauritius führt Die genannten Bildzeugnisse stimmen in ein Band auf halber Höhe waagerecht um fünf Aspekten weitgehend miteinander den Leib. überein. Erstens stehen alle dargestellten In die 1290er Jahre datiert schließlich eine Personen des 13. Jahrhunderts in religiö- noch original gefasste69 Wächterfigur an sem Kontext und waren somit nach dama- einem Auferstehungsaltar im niedersäch- ligem Verständnis historisch real. Trotz- sischen Kloster Wienhausen (Abb. 11).70 dem scheint die Plattenpanzerung kein Ihr weißgrauer, ungegürteter Waffenrock Antikisierungselement gewesen zu sein, ist fast bodenlang. Die Platten sind zwar als welches etwa der Schuppenpanzer noch senkrecht, nun aber erstmals in drei häufig diente.77 Die spätere Entwicklung78 waagerechten Reihen liegend mit je vier weist sie als zeitgenössische Frühformen Nieten plastisch dargestellt. Unter die plattenverstärkter Textil- oder Lederpan- Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert | 59 zer aus. Zweitens zeigen sie mit Ausnahme zu beurteilenden Kameo aus dem damals des „Codex Balduini“ stets einen weißen deutschsprachigen Raum. Dementspre- Überwurf, auf den von der Innenseite79 chend ist eine französische Vorlage für die senkrechte Platten aufgenietet sind. Die Magdeburger und Konstanzer Figuren in weiße Farbe könnte auf Leinwand oder diesem Detail fraglich. Auch Soissons als fett- und alaungegerbtes Leder hinweisen. Bezugsquelle im „Parzival“ unterstrich Letzteres käme in seinen Eigenschaften vielleicht eher die Exklusivität des Stücks, dem genannten Krokodilleder Hektors in als dass damals Platten aus Nordfrank- Konrad von Würzburgs „Trojanerkrieg“ reich in den süddeutschen Raum impor- nahe, ist aber sehr empfindlich. Drittens tiert worden wären. handelt es sich in der Regel um ein Band Im Zuge der Betrachtung der Bildquellen aus senkrechten Platten, das einmal zwi- zu platen sind noch ähnliche zu nennen, schen Brustwarzen und Gürtel um den deren Details jedoch wahrscheinlich auf Körper geführt und hinten durch Schnal- andere Arten von Körperpanzerung ver- len verschlossen wird. Einige weitere Plat- weisen. Ein im frühen 13. Jahrhundert in ten schützen die Brust. Im letzten Viertel Nordspanien entstandener Apokalypsen- des Jahrhunderts wird die untere Mitte kommentar des Beatus aus San Andrés nach unten gezogen und bald als zusätzli- del Arroyo zeigt einen Krieger zu Fuß che Reihe ausgeführt. Viertens ist die pla- mit Streitkolben und sogenanntem Topf- te bei all diesen Figuren nur zu erkennen, helm (Abb. 14). Über seinem Ringpan- weil sie über dem Ringpanzerhemd und zerhemd trägt er ein braunes, ärmelloses anstatt eines Waffenrocks getragen wird. und oberschenkellanges Gewand mit vier Die Bildhauer und Maler gaben somit senkrechten Punktreihen, das als älteste wieder, was sie sahen. Nicht zuletzt aus Darstellung einer plattenbesetzten Torso- diesem Grund ist sie auch auf den frühen panzerung diskutiert wird.81 Damit un- Bildzeugnissen nicht sichtbar.80 Fünftens terscheidet es sich außer in der Ärmello- stammen alle bekannten und sicher als sigkeit von den späteren Bildquellen des solche zu interpretierenden Bildzeugnisse Jahrhunderts. Daher ist eine Interpretation der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts als platen gerade mit Blick auf die senk- mit Ausnahme des nicht mit Sicherheit rechten Punktreihen fragwürdig.82

Abb. 14 Krieger, Detail aus einer nordspanischen Handschrift, frühes 13. Jahrhundert (Bibliothèque nationale de France, Ms. Nouv. Acq. Lat. 2290, fol. 106v) 60 | Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert

Abb. 15 Grabfigur für Gilbert Marshal († 1241) in der Londoner Temple Church, um 1290/1300

Bei einer anonymen Grabfigur in Per- Von der 1281 zerstörten Burg Reichen- shore Abbey, Worcestershire, von etwa stein bei Javorník in Tschechien stammen 1270/1280 und bei Gilbert Marshal († 1241) vermutlich die bisher ältesten datierba- in der Londoner Temple Church aus dem ren Teile einer kleinteiligen Plattenpan- ausgehenden 13. Jahrhundert ist unter zerung.87 Einige längliche und leicht ge- dem Waffenrock sehr deutlich eine weitere wölbte Platten mit vereinzelten Löchern Rüstungsschicht ohne Niete zu erkennen, am Rand von der 1233 zerstörten Burg welche seitlich festgeschnallt wurde (Abb. Wilnsdorf in Nordrhein-Westfalen sind et- 15). Brust- und Rückenstück könnten ein was zu unspezifisch, um sicher als solche Paar bilden, was zum pair de cuiraces angesprochen zu werden.88 passen würde.83 Damit unterscheiden sich diese beiden Torsopanzerungen ganz we- Thesen zur Herkunft sentlich von der oben dargestellten Form im deutsch-skandinavischen Raum. Die Als Summe der vorigen Kapitel lässt beiden Skulpturen legen nahe, dass Eng- sich festhalten, dass die platen nicht erst land nicht nur sprachlich, sondern auch allmählich im letzten Drittel des 13. Jahr- bei der wirklichen Körperpanzerung fran- hunderts aufkamen, sondern bereits im zösisch beeinflusst war. mittleren Drittel des Jahrhunderts zur Als letztes sei summarisch auf all jene relativ günstigen Massenware geworden Bildzeugnisse hingewiesen, deren Waffen- waren. Durch diese frühen Hinweise lässt rock durch abstehende Schultern auf eine sich Bengt Thordemans These einer Über- darunterliegende Versteifung schließen nahme von den Mongolen89 widerlegen, lässt.84 Sie treten vermehrt ab dem zwei- die erst 1241 in der Schlacht von Liegnitz ten Viertel des 13. Jahrhunderts in der auf die Ritter Mitteleuropas stießen. Der Kunst auf,85 so auch im deutschsprachigen englische Benediktiner Matthew Paris Raum.86 († 1259) überlieferte in seiner „Chronica Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert | 61

Majora“ für 1241 immerhin einen Brief gen.94 Wie oben dargestellt, wird die Platte Kaiser Friedrichs II. († 1250) an den eng- jedoch vor allem im Nahkampf mit Lanze lischen König, in dem die Panzerung der und Schwert geschildert, was der idealen Mongolen als ungegerbte Häute von Och- Kampfesweise der Helden geschuldet sein sen, Eseln oder Pferden mit eingenähten kann. Ebenfalls in den beiden Jahrzehnten Eisenbändern beschrieben wird.90 um 1200 verdrängte die heute als Topf- David Nicolle sah abweichend zur Inter- helm bezeichnete barbiere mit Gesichts- pretation im vorliegenden Aufsatz in eini- platte den herkömmlichen Nasalhelm als gen der oben genannten Bildwerke sowie ritterlichen Kopfschutz, der ebenfalls vor durchaus zutreffend in den Bildzeugnis- allem auf den Kampf mit eingelegter Lan- sen des 14. Jahrhunderts waagerechte ze ausgelegt war.95 Man könnte daraus Blechreifen. Unter Betonung des ledernen rein hypothetisch auf eine zeitverzögerte Trägermaterials hielt er eine Adaption Reaktion auf die Kampfesweise mit einge- der vorderorientalischen Panzerung jaws- legter Lanze schließen. han aus waagerechten Streifen gehärte- Eine vergleichbare Studie zum Aufkom- ten Leders seit dem 12. Jahrhundert für men der Dolche und Kampfmesser im wahrscheinlich. Sie könnte im Rahmen hohen Mittelalter zeigt, dass sämtliche an- von friedlichen und kriegerischen Kul- hand von Bildquellen bisher ins 14. Jahr- turkontakten in Spanien, Sizilien und im hundert datierte Dolchformen bereits in östlichen Mittelmeerraum nach Europa den beiden Jahrzehnten um 1200 nach- gekommen sein.91 Wie oben dargestellt, weisbar sind.96 Die zeitgenössischen Schil- weisen jedoch zumindest die Bildzeugnis- derungen etwa der Schlacht von Bouvines se der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts 1214 zeigen die Bemühungen, mit den im deutschsprachigen Raum eine eigene Stichmessern unter dem Ringpanzerhemd Form auf, die weder auf waagerechten oder in den Sehschlitz der Helme zu ge- Elementen, noch maßgeblich auf gehärte- langen.97 Sie waren somit vermutlich eher tem Leder beruhte. eine Reaktion auf die nahezu geschlosse- Trotzdem waren die Kontakte mit dem ne Ringpanzerung als auf die neue Plat- Vorderen Orient namentlich durch die tenpanzerung, zumal Ringgeflecht nach Kreuzzüge prägend für die Entwicklung eigenen Versuchen gegen einen einhändi- von Waffen und Rüstungen in Europa. So gen Stoß in der Regel ausreichend Schutz lassen sich ebenfalls um 1200 muslimische bietet. Armbrustbauer in England nachweisen, Nicht ganz auszuschließen ist, dass ein die dort Hornkompositbögen herstellten.92 Teil dieser Neuerungen noch weiter ins Um 1200 treten außerdem für Armbruste 12. Jahrhundert zurückreicht. Denn in den hölzerne Haspelwinden, Steigbügel und Jahrzehnten um 1200 mehren sich über- Spanngürtel sowie um die Mitte des 13. haupt erst die Schriftquellen, die derartige Jahrhunderts Spannhebel ebenfalls lan- Details überliefern. Es sind dies vor allem ge vor den Bildquellen in europäischen die volkssprachigen Dichtungen für ein Schriftquellen auf, die teilweise bereits im Laienpublikum sowie die Überlieferung späten 12. Jahrhundert im Nahen Osten von Rechnungen und Inventaren.98 bekannt waren.93 Schon Thom Richardson Zukünftige Forschungen können hoffent- hatte das zeitgleiche Auftreten der Plat- lich klären, woher die Impulse dieser Ent- tenpanzerung mit verbesserten Armbrus- wicklung um 1200 kamen. ten – allerdings fälschlich erst im späten 13. Jahrhundert – erkannt und dafür einen kausalen Zusammenhang vorgeschla- 62 | Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert

Anmerkungen 17 Zitiert nach der um 1300 entstandenen soge- nannten Riedegger Handschrift: Berlin, 1 Vgl. etwa Peters, Bilder. Staatsbibliothek, Ms. germ. fol. 1062, fol. 51rb: 2 Köhler, Entwicklung. „Irnwart vnd voge die von rehte ſollten/ phle- 3 Demmin, Kriegswaffen (1. Aufl.). gen. powes mit ir phvge. di ſah 4 Schultz, Leben. man ze wienn chovfen currit vnd platen“. 5 Boeheim, Handbuch. (vgl. Neidhart-Lieder (ed. Müller et al.), Lied 6 Gamber, Bewaffnung. R 13 (WL 28) Strophe V, Vers 1-3, S. 112; dazu 7 Vgl. dazu etwa Gamber, Bewaffnung, S. 114 Gessler, Lieder, S. 4 f.). und Fingerlin, Gürtel, S. 8. 18 Zitiert nach der im frühen 14. Jahrhundert 8 Vgl. die entsprechenden Titel im Literatur- entstandenen Handschrift Wien, Öster- verzeichnis. reichische Nationalbibliothek, Cod. 2675, fol. 9 Vgl. Thordeman, Armour. 169vb: „Die plat von heſſen riche, der halſperk 10 Vgl. Brenker, Armbrust. von anſchowen,/geworht so meiſterliche, die 11 Giraldi Cambrensis Expugnatio Hibernica wurden beide dvrch vnd/ dvrch gehowen, (ed. Dimock), lib. 1 cap. 21, S. 263 f.: „A biz dar sin menlich ellen lak daz/ veste“. (vgl. navibus igitur certatim erumpentes, duce Albrechts Jüngerer Titurel (ed. Nyholm), Stro- Johanne agnomine þe Wode, quod Latine phe 5906,1-3). sonat Insabo, vel Vehementi, viri bellicosi, Da- 19 Vgl. Jansen Enikels Weltchronik (ed. Strauch), nico more undique ferro vestiti, alii lori- Einschub nach Vers 16020, S. 303: „diu blate was cis longis, alii laminis ferreis arte consutis, von stahel breit,/ dar ûf negel, als man seit,/ gesla- clypeis quoque rotundis et rubris circulariter gen von gimme schôn, […]“. ferro munitis, hominies tam ferrei quam ar- 20 Zitiert nach der ältesten erhaltenen Hand- mis, ordinatis turmis ad portam orientalem schrift von 1333: Heidelberg, Universitätsbi- muros invadunt.“ Vgl. auch die Erwähnung ei- bliothek, Cod. Pal. germ. 368, fol. 10ra: „Durch ner „lame“ in den „consuetudines“ der Nor- den halſperg er in ſtach/ in gein der bruſt vf mandie bei Köhler, Entwicklung, S. 92 Anm. 3. die platen […] Die plate beſtunt den ſper for“. 12 Vgl. Blair, European Armour, S. 37; Nicolle, Ebenda fol. 31rb werden auch andere Pan- Jawshan, S. 208 und Dowen, Introduction, S. 19. zerteile genannt (v. 4735-4737): „Sie [die Troja- 13 Vgl. Arwidsson, Armour. ner] hetten pancir kollir/ Krocanir teſtir/ arm 14 Auf Literaturverweise zu den erwähnten yſen vnd platen“. Personen und Werken wurde aus Platzgrün- 21 Zitiert nach der ältesten, diese Stelle überlie- den verzichtet. Sie sind für die Autoren des fernden Handschrift von 1479: Heidelberg, 19. Jahrhunderts in der „Allgemeinen Deut- Universitätsbibliothek, cpg 374, fol. 294r- schen Biographie“ (56 Bände 1875-1912) bezie- 294v: „Durch den halſperg er in ſtach/ in gein der hungsweise in der „Neuen Deutschen Bio- bruſt vf die platen […] Die plate beſtunt den ſper graphie“ (27 Bände seit 1953) mit ihrer Daten- for“ (vgl. Heinrich von dem Türlin, Die Krone bank www.deutsche-biographie.de sowie für (ed. Kragl/Ebenbauer), Vers 18185-18206, die mittelalterlichen Autoren in „Die deut- S. 167 f.). sche Literatur des Mittelalters – Verfasserlexi- 22 Zitiert nach der ältesten vollständig erhalte- kon“ (14 Bände 1977-2008) sowie im „Re- nen Handschrift von circa 1300: München, pertorium Fontium Historiae Medii Aevi“ Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 44, fol 100ra: (11 Bände 1962-2007) und auf www.ge- „Do leit [ich] einen halſperc an/ vesten, starch, schichtsquellen.de zu finden. lieht, wolgetan/ dar über eine blaten gůt,/ uf 15 Vers 261,26, zitiert nach der ältesten erhal- ritterſchaft ſtunt al min můt/ min wapenroch was tenen, Mitte des 13. Jahrhunderts entstande- ſarlach rot […]“ (vgl. Ulrich von Liechtenstein, nen Handschrift: München, Bayerische Frauendienst (ed. Spechtler), Strophe 1401, Staatsbibliothek, Cgm 19, fol. 31rc. 1-4, S. 300). 16 Konrad von Würzburg, Trojanerkrieg, Vers 23 Vgl. Jansen Enikels Weltchronik (ed. Strauch), 3710-3727, S. 53: „geworht mit hôhem flîze gar/ Vers 15737-15744, S. 298: „Ein tjoppen legt er fuorte er eine blaten drobe,/ diu was gesniten [Achilles] im [Patroclus] an,/ diu was minniclîch wol ze lobe/ ûz eines kocatrillen hût./ diu getân,/ dar ob ein halsberc wîz,/ die was geworht schein grüen als ein fenchelkrût:/ alsô was si mit flîz,/ einen wâfenroc durchslagen,/ in möht geferwet/ und alsô wol gegerwet,/ daz si was ein keiser hân getragen, dar under ein blaten linde unde weich./ ir glanzen blech und ir ge- stechlîn, diu niht vester möht gesîn“. Ebenda leich/ bliben ungeschertet,/ ûz stahele wol ge- Vers 15791-15794, S. 299: „[…] dar nâch ein hertet/ wâren si gemachet./ diu plate niht ges- halsberc snêwîz,/ geworht mit guotem vlîz;/ wachet/ wart von swertes orte,/ kein lanze si dar über er [Hector] die blaten leit,/ diu was durchborte/ mit ir spitze sinewel,/ wan des ko- guot unde weît“. catrillen fel/ kein wâfen kan versnîden.“ Das 24 Speculum regale, cap. 38, S. 103, Z. 26-32: „En Blech wird nochmals erwähnt ebenda Vers up/ ífra þarf þat at hafa næst ser blautan/ 32274 f., S. 457: „den halsperc und der platen pannzara. þann er æigi taki længra en a/ mitt blech/schriet er [Rêmus] enzwei geswinde“. lær en þar næst þarf hann at hafa/ goða briost Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert | 63

biorg gorwa af goðu iarni/ þa er taki mil- 36 Vgl. Buttin, Du costume, S. 236. lim geirwartna oc broca/ bælltis en iwir þat 37 Vgl. Gay, Glossaire, S. 237. goða bryniu en ífir/ bryniu goðan pannzara. 38 Vgl. Baugh/Cable, History, S. 171 f. gorwan mæð sa-/ ma hætti sæm aðr war sagt 39 Vgl. Nicolle, Jawshan, S. 214. oc þo ærma-/ lausum“. (nach der ältesten er 40 Vgl. ebenda, S. 214. haltenen, noch im 13. Jahrhundert entstande- 41 Vgl. Moffat, Manner, S. 6, 9, 17 f. und 22. nen Handschrift: Copenhagen, University Li- 42 Vgl. Philippide de Guillaume le Breton (ed. brary, MS AM 243 fol. B, fol. 79r). Zur Über- Delaborde), lib. 3 Vers 494-498, S. 84 f.: „Ut- setzung vgl. Der Königsspiegel, 135. raque per clypeos ad corpora fraxinus ibat,/ 25 Die Kreuzfahrt des Landgrafen Ludwigs des Gambesumque audax forat, et thoraca trili- Frommen von Thüringen (ed. Naumann), Vers cem/ Dissilit. Ardenti nimium prorumpere 6198, S. 283 nach der einzigen Überlieferung tandem/ Vix obstat ferro fabricata patena aus dem frühen 14. Jahrhundert: Wien, Österrei- recocto,/ Qua bene munierat pectus sibi chische Nationalbibliothek, Hs. 2737, fol. 104b. cautus uterque“. Erwähnt u. a. bei Blair, 26 Konrad von Würzburg, Trojanerkrieg, Vers European Armour, S. 38; Nicolle, Jaws- 39436 f., S. 560: „im dranc dur halsberc unde han, S. 208 und Dowen, Introduction, S. 19 f. platen/ der stich biz ûf die blôzen hût,/ […]“; 43 Specificazione delle armi ed armadure (ed. sowie Anm. 16 und 18. Weitere Stellen bei Angelucci), S. 8. Schultz, Leben, S. 47 f. Anm. 4. 44 Vgl. Nicolle, Jawshan, S. 210. 27 Zitiert nach der ältesten vollständig erhalte- 45 Gli statuti marittimi veneziani fino al 1255 nen Handschrift von circa 1300: München, (ed. Predelli/Sacerdoti), cap. XXVII, S. 96. Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 44, fol 59va-b: 46 Vgl. Anm. 31. „Er treip gegen mir vast uf den hurt/ ein 47 Codex Diplomaticus Austriaco-Frisingensis ſtarchez sper der biderbe fůrt/ daz er uf miner (ed. Zahn), S. 75. bruſt verstach/ daz ez mir durch die blaten 48 Codicetto militare (ed. Ricotti), S. 357: „Item brach“ (vgl. Ulrich von Liechtenstein, Frauen- quod quilibet habens equum pro Commune dienst (ed. Spechtler), Strophe 865, 1-4, S. 173). Florentiae tam civitatis quam comitatus flo- 28 Vgl. Anm. 17. rentini teneatur et debeat portare et habere in 29 Vgl. Brunner, Publikum, S. 17. praesenti exercitu sellam ad dextrarium, co- 30 Kulmer Handfeste (ed. Weinrich), S. 448: vertas equi, panceriam sive asbergum, caligas „[…] armatura, que plata vulgariter dici- sive stivelettos de ferro. Cappellum de acci- tur […]“, vgl. Demmin, Kriegswaffen (4. ario, lamerias vel coraczas, lanceam, scutum Aufl.), S. 67 f.; Köhler, Entwicklung, S. 41 und sive targiam vel tabolaccium anglum. […] S. 93. In einer Urkunde von 1246 nahm der Item quilibet pedes civitalis Florentiae tene- Bischof von Kulm vermutlich auf jene Ein- atur et debeat portare et habere in presen- teilung Bezug, als er jenen mit einer leichten ti exercitu panceriam sive corictum cum ma- Rüstung, die „platgecerre“ (Platgeschirr) nicis ferreis aut manicas ferreas cum coraczi- genannt wird, einen Dienst von drei Jahren nis, cappellum de acciario vel cervelleriam, vorschrieb, wenn sich Bauarbeiten hinziehen: gorgieriam sive collare de ferro, lanceam, Codex diplomaticus Prussicus (ed. Voigt), scutum sive tabolaccium magnum“. Dazu S. 62: „vel si edificatio protrahetur medietas Köhler, Entwicklung, S. 42. Zum Wortfeld eorum cum leuibus armis que platgescerre corrazin und corellus in Spanien und Italien dicuntur seruiet ad tres annos“. Vgl. Köhler, vgl. Nicolle, Jawshan, S. 209 f. und S. 213 f. Entwicklung, S. 41. 49 Vgl. Nicolle, Jawshan, S. 207 f. 31 Vgl. Das Stadtbuch von Augsburg (ed. Mey- 50 Dabei handelt es sich wörtlich um gekochtes er), Art. 76 § 1, S. 151: „[…] unde harnasch, Leder/gekochte Haut, vielleicht aber auch um halsperge unde hosen, schinier, banzier, gur- gekochte Rohhaut (vgl. dazu neuerdings rit, blaten, ysenhute, armbrust, cheten, wan- Cheshire, Cuir bouilli armour und ders., Cuir beis, spiezze unde bogen, spanbenche unde Bouilli: fracture). chocher unde allez geschutzde, daz ist allez 51 Vgl. Gaydon (ed. Guessard/Luce), Vers 5887, erbegut“. S. 178: „Cuirie ot bonne qui fu de cuir boil- 32 Vgl. Anm. 33, 34 und 35; Köhler, Entwick- li“. Ebenda, Vers 6487, S. 196: „Cuirie ot bon- lung, S. 41, S. 53-59, S. 93 und S. 107; Blair, ne, d’un cuir qui fu tennez“. Ebenda Vers European Armour, S. 40 sowie Lehnart, Früh- 6402, S. 193: „cuirie ot bonne, ferré large- und Hochgotik, S. 99. ment“. Vgl. auch Gay, Glossaire, S. 520; Schir- 33 Die älteren Tiroler Rechnungsbücher 3, Nr. ling, Verteidigungswaffen, S. 51; Buttin, Du F/207, S. 278: „Item pro solutione platten domini costume, S. 400 und Nicolle, Jawshan, S. 211. ducis H(einrici) lb 5“. 52 Vgl. Gay, Glossaire, S. 519; Blair, European 34 Die älteren Tiroler Rechnungsbücher 2, Nr. Armour, S. 38 und Buttin, Du costume, S. 400. E/158, S. 383: „plattis 2“. 53 Vgl. Anm. 17. 35 Vgl. Schirling, Verteidigungswaffen; Dem- 54 Vgl. Anm. 31. min, Kriegswaffen (4. Aufl.), S. 68 f.; Gay, 55 Cambridge, University Library, MS Mm.5.31, Glossaire, S. 237 und Buttin, Du costume, S. 232. fol. 139r. 64 | Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert

56 Vgl. Thordeman, Armour, S. 285 f. mit Fig. Brot zu schneiden und ein Taschenmesser 288 f.; Blair, European Armour, S. 39 f.; Nor- […]. § 141: Und [die dienenden Brüder] dür- man, Waffen, S. 14 mit Abb. 11; Nicolle, Jaw- fen haben Ringpanzer ohne Handschuhe, shan, S. 217 mit fig. XIII-28 und Krabath, Bri- und Eisenhosen ohne Füßlinge, und 1 Eisen- gantinen, S. 238 mit Abb. 10. hut […]). 57 Vgl. Blair, European Armour, S. 40. 63 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 58 Vgl. Groll/Böttcher, Farbfassung, S. 92. 23094, fol. 77v; dazu Puhle, Aufbruch, S. 201- 59 Der Eindruck von drei waagerechten Reifen 204, Kat.-Nr. V13 Psalter mit Totenoffizium bei Nicolle, Jawshan, S. 217 beruht wahr- (Beate Braun-Niehr) mit Abb. auf S. 206. scheinlich auf dem horizontalen Band, vgl. 64 Wien, Kunsthistorisches Museum, Kunst- dazu im Folgenden. kammer, Inv.-Nr. Antikensammlung XII 244: 60 Vgl. die Funde aus Küssnacht und Visby und www.khm.at/de/object/21eb663c98 einige Bildzeugnisse etwa bei Thordeman, 65 Vgl. Nicolle, Jawshan, S. 220 mit fig. XIII-43. Armour, S. 308-322 und S. 345 f., Pl. 2-9. 66 Zu weiteren Beispielen vgl. Nicolle, Jawshan, 61 Zu den Skulpturen des Heiligen Grabes vgl. S. 219 f. Hubert, Grab; zu den Wächtern auch Thorde- 67 Jena, Thüringer Universitäts- und Landes- man, Armour, S. 286; Nicolle, Jawshan, S. 217 bibliothek, MS.Bos.q.3, fol. 83v. Abgebildet mit fig. XIII-29. bei Dowen, Introduction, S. 25 fig. 8. Zur 62 Vgl. Köhler, Entwicklung, S. 89-96 und Leh- Handschrift vgl. Kratzsch, Schätze, S. 39-44. nart, Kleidung, S. 98 f. Vgl. außerdem die 68 Vgl. Thordeman, Armour, S. 359-370; Pl. 39- Heerfolgeverordnung Heinrichs II. von Eng- 72 (Typ II, Armour 8-15). land von 1181 (Assisa de armis habendis in 69 Vgl. Hartwieg, Holzskulpturen, S. 223. Anglica [1181] (ed. Stubbs): „1. Quicunque 70 Vgl. Thordeman, Armour, S. 286 mit Fig. 290; habet feodum unius militis habeat loricam et Blair, European Armour, S. 39 mit Fig. 18; cassidem, clypeum et lanceam […]. 2. Qui- Hartwieg, Holzskulpturen, S. 212-227; Nor- cunque vero liber laicus habuerit in catallo man, Waffen, S. 14, Abb. 12; Nicolle, Jawshan, vel in redditu ad valentiam de xvi. marcis, S. 217 mit fig. XIII-30 und Krabath, Briganti- habeat loricam et cassidem et clypeum et nen, S. 239 mit Abb. 34. lanceam; quicunque vero liber laicus habuerit 71 Vgl. Thordeman, Armour, S. 370-372; Pl. 73- in catallo vel redditu x. marcas, habeat au- 77 (Typ III, Armour 16). bergel et capellet ferri et lanceam. 3. Item 72 Vgl. ebenda, S. 292-294 mit Fig. 297 und Kra- omnes burgenses et tota communa liberorum bath, Brigantinen, S. 241. hominum habeant wambais et capellet ferri et 73 Vgl. Thordeman, Armour, S. 294 mit Fig. 298 f. lanceam“. 74 Heidelberg, Universitätsbibliothek, cpg 848, (1. Jeder mit dem Lehen eines Ritters habe fol. 397v. Dazu Codex Manesse (ed. Walther), Harnisch und Helm, Schild und Lanze […]. S. 263 mit Taf. 128. 2. Jeder wirklich freie Laie, der Güter oder 75 Koblenz, Landeshauptarchiv, Bestand 1 C Nr. 1, Einkommen von 16 Mark hat, habe Harnisch fol. 14r; dazu Kaiser Heinrichs Romfahrt (ed. und Helm, Schild und Lanze; jeder wirk- Heyen), S. 78 f. lich freie Laie, der Güter oder Einkommen von 76 Vgl. den Beitrag Schönauer zur Hirschsteiner 10 Mark hat, habe Ringpanzer und Eisenhut/ Rüstung in diesem Band. eisernem Hut und Lanze. 3. Und alle Bürger 77 Vgl. dazu demnächst die Dissertation von und die Gemeinschaft der freien Männer Christopher Retsch/Bamberg. haben Wämser/Gambesons und Eisenhut/ 78 Vgl. den Beitrag Schönauer zur Hirschsteiner eiserne Hüte und Lanzen.) In eine ähnliche Rüstung in diesem Band. Richtung geht die Ausrüstung der Mitglie- 79 Nach Krabath, Brigantinen, S. 249 auf der Au- der des Templerordens in einer Ergänzung ßenseite. der Ordensregel um 1200 (La règle du temple 80 Vgl. Thordeman, Armour, S. 285; Blair, Euro- (ed. de Curzon), § 138, S. 109-113: „Les freres pean Armour, S. 40 und Lehnart, Kleidung, chevaliers dou covent chascun doit avoir S. 89. […] haubers et chauces de fer, et heaume ou 81 Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. chapeau de fer, espée, escu, lance, mace tur- Nouv. Acq. Lat. 2290, fol. 106v, dazu Nicolle, quese, jupeau d’armer, espalieres, soliers Jawshan, S. 216 mit fig. XIII-25. d’armer, III cotiaus : I d’armes et l’autre de 82 Gleiches gilt für das Relief in Trogir in Kroa- pain taillier et I canivet […]“. § 141: „Et [les tien (Nicolle, Jawshan, S. 213 mit fig. XIII-22), freres sergens] puent avoir hauberjon sans das auch einen historisierten Schuppenpan- manicles, et chauces de fer sans avant-piés, zer darstellen könnte. Modena Archivo capi- et I chapeau de fer […]“. (§ 138: Die Brüder tolare, Cod. II. 11., fol. 9r (dazu Nicolle, Jaw- Ritter des Konvents dürfen jeder haben Ring- shan, S. 217 mit fig. XIII-27) zeigt lediglich ab- panzer und Eisenhosen, und Helm oder Ei- stehende Schultern, was eher auf einen Le- senhut, Schwert, Schild, Lanze, türkische derpanzer deutet, wie unten ausgeführt. Keule, Rüstwams, Spaldenier, Fußstücke, 83 So etwa Kelly, Entstehung; Blair, European 3 Messer: 1 Kampfmesser und das andere um Armour, S. 38 f.; Norman, Waffen, S. 14. Ni- Fabian Brenker: Das Aufkommen des Plattenrocks im 13. Jahrhundert | 65

colle, Jawshan, S. 217 mit fig. XIII-32 und Do- Codex Manesse. Die Miniaturen der Großen Hei- wen, Introduction, S. 23 Anm. 36 halten dies delberger Liederhandschrift, hg. von Ingo F. Wal- für eine „plate“. ther, Frankfurt a. M. 1988. 84 Vgl. auch Gamber, Bewaffnung, S. 117; Nor- man, Waffen, S. 13 f. und Dowen, Introduc- Codicetto militare, in: Ercole Ricotti, Storia delle tion, S. 23. Nicolle, Jawshan, S. 212 hält diese compagnie di Ventura in Italia 1, Turin 1847, S. 351- Erscheinung für einen Effekt der Polsterung. 358. 85 Etwa an den Fassadenfiguren in Wells (Nor- man, Waffen, S. 13 mit Abb. 9) oder auf einer Das Stadtbuch von Augsburg, insbesondere das Miniatur in Modena Archivo capitolare, Cod. Stadtrecht vom Jahre 1276, nach der Original- II. 11., fol. 9r (Nicolle, Jawshan, S. 217 mit fig. handschrift zum ersten Male hg. und erläutert von XIII-27). Christian Meyer, Augsburg 1872. 86 Etwa am Türsturz des Paradiesportals am Dom zu Münster in Westfalen (um 1225) und Der Königsspiegel. Konungsskuggsja. Fahrten in der Handschrift zu Gottfried von Straß- und Leben der alten Norweger aufgezeichnet im burgs Tristan in München, Bayerische Staats- 13. Jahrhundert. Aus dem Altnorwegischen über- bibliothek, cgm 51, fol. 10r (Bodenseeraum setzt und eingeleitet von Rudolf Meissner, Leip- um 1240/1250). zig/Weimar 21978. 87 Vgl. Prihoda, Spangenharnisch und Krabath, Brigantinen, S. 233 mit Abb. 12. Die älteren Tiroler Rechnungsbücher 2 (IC. 278, 88 Vgl. Bauer, Wilnsdorf, S. 169; Abb. 13.4-6. An IC. 279 und Belagerung von Weineck), hg. von den Originalen sind Form und Löcher deutli- Christoph Haidacher (Tiroler Geschichtsquellen cher als auf den Zeichnungen ebenda. 40), Innsbruck 1998. 89 Vgl. Thordeman, Armour, S. 288-292. 90 [Matheus Parisiensis] Ex cronicis maioribus Die älteren Tiroler Rechnungsbücher 3 (IC. 280). (ed. Liebermann), ad a. 1241, S. 211, Z. 22-24: Analyse und Edition, hg. von Christoph Haidacher „[…] cruda gestant coria bovina, asinina vel (Tiroler Geschichtsquellen 52), Innsbruck 2008. equina, insutis laminis ferreis pro armis mu- niuntur quibus hactenus usi sunt“. Dazu Die Kreuzfahrt des Landgrafen Ludwigs des Thordeman, Armour, S. 291. Frommen von Thüringen, hg. von Hans Naumann 91 Vgl. Nicolle, Jawshan. (Monumenta Germaniae Historica Deutsche 92 Vgl. Bachrach, crossbow. Chroniken 4/2), Leipzig 1923, S. 203-308. 93 Vgl. dazu Brenker, Armbrust. 94 Vgl. Richardson, Introduction, S. 43 f. Ähn- Gaydon. Chanson de geste, hg. von François lich Nicolle, Jawshan, S. 207. Guessard und Siméon Luce (Anciens poëtes de la 95 Vgl. Schultz, Leben, S. 64-68 und Masser, France 7), Paris 1862. Fresken, S. 187-195. 96 Vgl. Brenker, Waffen. Giraldi Cambrensis Expugnatio Hibernica, in: 97 Vgl. Guillaume le Breton, Gesta Philippi Au- James F. Dimock (Hg.), Giraldi Cambrensis opera gusti (ed. Delaborde) S. 278, S. 283 f. und S. 289. 5, London 1867, S. 207-411. 98 Vgl. Brenker, Armbrust. Gli statuti marittimi veneziani fino al 1255, hg. von Riccardo Predelli und Adolfo Sacerdoti, Venedig Edierte Quellen 1903.

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Tobias Schönauer Die Hirschsteiner Rüstung Ein Plattenrock oder Lendner aus der Mitte des 14. Jahrhunderts

Im Jahr 2007 gelang dem Bayerischen Ar- Vom Fundort bei Passau zum meemuseum der Ankauf eines außerge- national wertvollen Kulturgut wöhnlichen Objekts, nämlich der Reste eines Plattenrocks oder Lendners aus der Die genaue Fund- und Erwerbungsge- Zeit um 1350 (Abb. 1).1 Hierunter ver- schichte dieses Objektes ist etwas unklar. steht man eine Rüstung, bestehend aus Offenbar stieß der Sondengänger Micha- einer Reihe von Metallplatten, die über- el Zimmermann im Jahr 2003 nahe der lappend unter eine Trägerschicht aus Le- Burgruine Hirschstein bei Fürstenzell- der oder Textil genietet wurden (Abb. 2, Irsham (Landkreis Passau) auf die Reste 3, 5, 9 und 13). Einen Großteil des Brust- der Rüstung und barg diese aus dem Bo- korbs bedeckte eine Brustplatte. Somit den.4 Dieser Burgstall war 1374 zerstört stellt dieses Objekt ein Bindeglied oder und 1384 vollständig geschleift worden, eine Übergangsform vom Ringpanzer- so dass die Vermutung naheliegt, dass die hemd zum vollständigen Plattenharnisch Rüstungsteile in dieser Zeit in den Boden des 15. Jahrhunderts – umgangssprach- kamen.5 Neben den Fragmenten des Plat- lich als Ritterrüstung bezeichnet – dar. tenrocks förderte er noch weitere Funde Die Besonderheit des Plattenrocks des Ar- (Armbrustbolzen, Eisennägel, einen Steig- meemuseums liegt darin begründet, dass bügel, Schlüssel, einen Hammerkopf und viele Elemente dieser Rüstung vollständig anderes)6 zutage, die ebenfalls höchst in- auf uns gekommen sind, so die Brustplatte teressant sind. Zimmermann meldete den samt den vier Waffenketten (Mamelieres Fund den zuständigen Behörden, reinigte genannt) und etwa 33 Fragmente einzelner ihn jedoch so stark, dass auch spätere re- kleinerer Platten.2 Das Ingolstädter Exem- stauratorische Untersuchungen keinerlei plar, das auch als Hirschsteiner Rüstung Aussage über das Material zuließen, auf bezeichnet wird, ist das „möglicherweise das die Metallteile ursprünglich montiert früheste und umfangreichste Beispiel die- waren.7 ser Art“3 weltweit. Ein Vergleichsstück ist Noch im gleichen Jahr fanden mehr- bislang nicht bekannt. monatige Grabungen der zuständigen Kreisarchäologie an der Fundstelle statt und förderten neben einigen Resten der ursprünglichen Burganlage weitere Arm- brustbolzen, Tonscherben und andere Ei- senteile zutage.8 Die wenigen Überreste der Mauern eines mutmaßlichen Steinge- bäudes sollten laut Zimmermann den ge- Abb. 1 Plattenrock oder Lendner um 1350, der als Hirschsteiner Rüstung bezeichnet wird nauen Fundort des Plattenrocks und der (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0162-2007) anderen Objekte kennzeichnen. Der zu- 70 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung

Die Fundamentierung des Burgstalls Hirschstein und die Qualität der Über- reste waren derart gering, dass von einer „eher schlichten Anlage ohne große Wehr- haftigkeit und mit einer anspruchslosen Bebauung“10 ausgegangen werden muss. Die zahlreichen Funde von Spitzen von Armbrustbolzen, von denen nur zwei Ex- emplare in das Eigentum des Bayerischen Armeemuseums kamen, legen eine krie- gerische Auseinandersetzung an dieser Stelle nahe, auch wenn Armbrustbolzen auf Burgen und befestigten Plätzen häufig in großer Zahl für den Ernstfall bereitge- halten wurden.11 Der oftmals angedeutete Zusammenhang zwischen der Rüstung und dem (Raub-)Ritter Zacharias Hade- rer, der den Burgstall Hirschstein ab 1367 innehatte, ist jedoch keinesfalls belegbar.12 Es ist naheliegend, dass es sich um ein Stück handelt, das bei der Zerstörung der Burg 1374 in den Boden kam und somit mit dem Haderer in Verbindung steht. Ob es allerdings im Besitz dieses Mannes selbst war, ist völlig unklar. Somit kann nicht vom Plattenrock des Zacharias Ha- derer gesprochen werden, wie das bisher immer wieder getan wurde.13 1374 tötete Zacharias Haderer eigen- händig den bischöflichen Hofmarschall, weshalb Truppen Bischof Johanns von Scharffenberg (1381-1387) im gleichen Jahr den Hirschstein zerstörten.14 Offen- bar hatte dieser Mord aber keine größe- ren Auswirkungen, denn 1390 verkauften Abb. 2 Epitaph für Walter von Bopfingen der Haderer und seine Söhne dem neuen († 1359) in der Pfarrkirche von Bopfingen, Baden- Bischof von Passau die Burg Partenstein Württemberg Den Plattenrock, den der Abgebildete trägt, dürfte (Oberösterreich). 1384 wurden die Steine der Hirschsteiner Rüstung sehr nahe kommen. des Burgstalls Hirschstein an das Kloster Fürstenzell verkauft. Der damalige Abt Jakobus Westendorfer ließ die „Burg“ dar- ständige Kreisarchäologe wirft jedoch die aufhin vollständig abbrechen und die Stei- folgende Frage auf: „wie … die teils sper- ne als Baumaterial für Baumaßnahmen rigen Panzerteile während der seinerzeit des Klosters verwenden. [im 14. Jahrhundert] weitläufigen Materi- Nach seinem Fund erwarb Michael Zim- alentnahme unentdeckt bleiben konnten, mermann das vollständige Eigentum am ist schwer nachzuvollziehen“.9 Plattenrock und bot ihn 2007 beim Aukti- Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 71 onshaus Hermann Historica in München zum Kauf an.15 In der Fachwelt war schnell klar, was für ein außergewöhnliches Stück hier auf den Markt kam. Weltweit gab es kein vergleichbares Objekt, weshalb das Bayerische Armeemuseum zwei Gutachten über die Bedeutung und Einmaligkeit des Plattenrocks anfertigen ließ.16 Ziel war es, den Plattenrock als national wertvolles (be- wegliches) Kulturgut einstufen zu lassen, um damit den Verkauf außer Landes zu verhindern. Allein die Tatsache, dass man derartige Stücke bis dahin ausschließlich von bildlichen Darstellungen (Abb. 2 und 3) und Beschreibungen sowie von nur sehr vereinzelten und fragmentarischen Boden- funden kannte, machte diesen Fund zu etwas Außergewöhnlichem. Vergleichbar sind vor allem die in den Massengräbern der Schlacht von Visby (1361) auf Gotland (Schweden) gefundenen Rüstungen samt Skeletten, die bis heute die Wissenschaft intensiv beschäftigen.17 Daneben sind auch die Harnischfragmente von Küssnacht und von Burg Helfenstein als Vergleichs- stücke heranzuziehen.18 Aber weder in Visby noch in Küssnacht oder Helfenstein wurden vollständige Brustplatten wie die der Hirschsteiner Rüstung gefunden. Be- sonders die vier Ketten auf der Brustplat- te des Ingolstädter Stückes sind in dieser Form singulär und machen es zu einem bedeutenden Belegstück.19 Letztlich waren die gutachterliche Einschätzung und der Vorstoß des Bayerischen Armeemuseums entscheidend dafür, dass der Plattenrock vom Hirschstein schließlich als national wertvolles Kulturgut eingestuft wurde. Damit durfte er nicht mehr ins Ausland verkauft werden. Erst dieser Schritt er- möglichte es dem Armeemuseum, das intern inzwischen als „Hirschsteiner Rüs- tung“ bezeichnete Stück bei der Auktion Abb. 3 Detail des Hochaltars der Kirche St. Maria zu erwerben. Das Objekt ist von so gro- zur Wiese in Soest (unbek. Künstler), um 1350 ßer wissenschaftlicher Bedeutung, dass Der Heilige trägt einen Plattenrock oder Lendner mit drei Waffenketten. zur Auktion u.a. bereits Kollegen aus den (Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, USA angereist waren, um mitzubieten.20 In Kat.Nr. 1519) 72 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung diesem Falle wäre es wegen der zu erwar- l) ein Vorhänge(?)-Schloss tenden hohen Kaufsumme mit Sicherheit m) ein Panzerstecher (?) nicht in Deutschland verblieben. So jedoch n) ein Fragment eines Panzerstechers (?) konnte das Bayerische Armeemuseum den oder Pfriems (?) Plattenrock samt denü brigen angebotenen o) evtl. ein Teil des Gebisses einer Trense (?) Funden kaufen und in seine Sammlung aufnehmen. Heute ist er das zentrale Stück Viele dieser Metallobjekte deuten darauf der neu geschaffenen Schatzkammer.21 hin, dass sie bei einer kriegerischen Aus- einandersetzung in den Boden gelangten. Die übrigen Funde Es soll an dieser Stelle nur auf einige aus- gewählte Funde eingegangen werden, die Neben den Platten und Überresten des u.U. einer militärischen Nutzung zugeord- Plattenrocks wurden am Burgstall von net werden können. Metall war in diesen Hirschstein durch Zimmermann 2003 wei- Zeiten kostbar, so dass davon auszugehen tere Metallobjekte geborgen, von denen ist, dass eine derart große Menge nur im einige in den Besitz des Armeemuseums Zuge der Zerstörung des Burgstalls 1374 gelangten (Abb. 4). Bei diesen handelt es verloren gegangen sein dürfte. Einige Stü- sich um folgende Stücke: cke weisen jedoch eher auf eine Alltags- nutzung hin, wie der Eisennagel oder das a) ein Steigbügel Schloss.22 b) die Klinge eines Messers (?) Für unsere Fragestellung von besonderem c) ein Radsporn mit sechsspitzigem Rad Interesse ist zunächst sicherlich die Klinge d) + e) zwei Spannhaken für eine Armbrust eines Messers.23 Dieses Objekt wurde zeit- f) + g) zwei Spitzen von Armbrustbolzen weise auch für das Blatt einer Helmbarte h) ein Kopf eines Klauenhammers gehalten.24 Wäre dies zutreffend, würde i) ein Eisennagel es sich um die wohl älteste, einigermaßen j) + k) zwei Schlüssel sicher zu datierende Helmbarte handeln.

Abb. 4 Die übrigen Funde Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 73

Betrachtet man jedoch entsprechende Ver- um einen Panzerstecher handeln, viel- gleichsstücke, wie z.B. ein Metzgermesser leicht auch nur um einen Pfriem oder eine vom Konstanzer Fischmarkt25 oder ein Ahle.32 Hackmesser von den Grabungen auf der Neben dem Steigbügel33 und dem Rad- Burg Tannenberg26, lässt sich die Annah- sporn34 scheint auch das halbrunde Metall- me, es handele sich um das Blatt einer fragment35 von einer Pferdeausrüstung zu Helmbarte, nicht halten. Offenbar handelt stammen. Denkbar wäre, dass es sich hier- es sich in der Tat um eine Messerklinge, bei um den Teil des Gebisses einer Trense allerdings könnte dieses Stück als Behelfs- handelt.36 Es könnte aber auch Teil eines waffe ebenfalls zum Einsatz gekommen Beschlages vom Sattelbaum sein. Die ur- sein. Bei den zwei Bolzenspitzen27 und den sprüngliche Vermutung, hier einen Schuh- zwei Spannhaken28 ist zwar nicht sicher, absatz gefunden zu haben, ist falsch, da dass es sich um Ausrüstung für Kriegs- Absätze in der mitteleuropäischen Mode armbrüste handelt, aber die Machart der erst ab ca. 1600 verbreitet sind (auch bei Bolzen lässt vermuten, dass es Kriegsbol- Reiterstiefeln). Metallene Absatzbeschläge zen sind, die für militärische Zwecke ge- kommen erst viel später vor.37 nutzt wurden.29 Die beiden langen, dreikantigen Metall- Panzerhemd – Brigantine – Platten- fragmente sind schwer zu bestimmen. rock – Lendner. Die Entwicklung des Vielleicht kamen sie auf einen Schaft Körperschutzes im 14. Jahrhundert montiert als Panzerstecher in bewaffneten Auseinandersetzungen zum Einsatz. Ver- Das 14. Jahrhundert war in gewisser Hin- gleichsstücke haben jedoch keinen Dorn, sicht eine Phase des Experimentierens in sondern eine Tülle, die zur Befestigung der Rüstungstechnik.38 In dieser Zeit ent- am Schaft diente.30 Beim Fragment der wickelte sich der Körperschutz vom Ring- Dreikantklinge31 könnte es sich ebenfalls panzerhemd früherer Jahrhunderte zur

Abb. 5 Romance of Alexander, 1338-1344 Mindestens drei der Reiter tragen Plattenröcke. Links ist die Rückseite mit dem Verschluss der Rüstung gut zu erkennen. (Bodleian Library, MS. Bodl. 264, fol. 66r) 74 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung vollständigen Plattenrüstung. Nach Blair Schuppen-49 oder der Schienenpanzer50), dauerte der Zeitraum, in dem der Plat- blieb der Ringpanzer bis in das 14. Jahr- tenrock aufkam und wieder verschwand, hundert „im wesentlichen unverändert“51 etwa 150 Jahre: „from the middle of the im Einsatz. 13th century on … to the «white armour» Im 12. und 13. Jahrhundert tauchen in of the 15th century“.39 Er bezieht sich hier Quellen vereinzelte Hinweise auf mög- aber wohl vor allem auf bildliche Darstel- liche Plattenrüstungen auf.52 Ob es sich lungen. In literarischen Quellen ist er je- dabei aber nur um Einzelfälle handelte, doch bereits früher, wohl um 1200, fassbar aus denen sich noch keine „Norm“ ent- (vgl. Beitrag Brenker in diesem Band). wickelte, ist zumindest strittig.53 Auch in Die Einzigartigkeit der Hirschsteiner Rüs- der Forschungsliteratur ist keine einheitli- tung liegt darin, dass sie eines der wich- che Terminologie zu erkennen. So finden tigen Bindeglieder zwischen den Ring- sich u.a. die folgenden Begriffe: Platten- panzerhemden und den bislang frühesten rock, Lendner, Lamellenpanzer, Kora- bekannten Stücken von Plattenharnischen zin, Schuppenpanzer, Brigantine oder darstellt. Ein Plattenharnisch ist ein „voll- Spangenharnisch.54 Die Quellen sprechen ständiger Körperschutz aus miteinander häufig auch nur von „platen“55, „cote à verbundenen ... Eisenplatten für Krieg plates“56 oder „pair of plates“.57 Krabath und Turnier“40 und verstärkt „als additi- vermutet als Grund hierfür, „dass über ves System den Ringelpanzer.“41 Der Plat- tenrock hingegen war ursprünglich eine Abb. 6 Taufbecken des Hildesheimer Doms mit „vorne erhöhte[…] Leibbinde aus vertika- der Personifizierung des Flusses Tigris (Tugend len Eisenschienen, die in einen Waffenrock der Tapferkeit), um 1226 oder Lederrock genietet waren“.42 Aus die- Die Figur trägt Panzerbeinlinge und Fäustlinge aus Ringpanzergeflecht sem Plattenrock entwickelte sich wohl in der Mitte des 14. Jahrhunderts auch die Brigantine.43 Diese Panzerjacke bestand „aus eisernen Lamellen [oder Plättchen], die an der Innenseite des gewöhnl. lei- nernen, mit farbigem Samt überzogenen Kleidungsstücks festgenietet wurden“.44 Allgemein gesprochen könnte man sagen, dass die Brigantine aus einer größeren An- zahl kleinerer Platten bestand, wohinge- gen der Plattenrock aus einer geringeren Anzahl größerer Platten gebildet wurde.45 Die Brustplatten der Brigantine waren häufig zweigeteilt, so dass die Brigantine an der Vorderseite geöffnet werden konn- te.46 Es kommen jedoch durchaus auch einteilige Stücke vor.47 Das Ringpanzerhemd (umgangssprach- lich „Kettenhemd“) wurde im 3. Jahrhun- dert vor Christus von den Kelten erfunden und später von den Römern übernom- men.48 Obwohl zeitweise auch andere Rüs- tungsformen zum Einsatz kamen (z.B. der Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 75 das Aussehen der frühen Rüstungen nur ausnehmend wenig bekannt ist. Belege in den schriftlichen Quellen von Platten geben keinen Hinweis auf ihr Aussehen bzw. ihre Anordnung auf der Schutzklei- dung“.58 An dieser Stelle ist vor allem die Statue des hl. Mauritius im Dom zu Mag- deburg zu nennen, die als älteste Darstel- lung eines Plattenrocks in der bildenden Kunst gilt. Sie wird allgemein in die Mitte des 13. Jahrhunderts datiert (Abb. 3 und 4 im Beitrag Brenker in diesem Band).59 Aber auch andere Darstellungen wie eine Wächterfigur aus dem Zisterzienserklos- ter Wienhausen (Abb. 11 im Beitrag Bren- ker in diesem Band)im Landkreis Celle (letztes Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts) oder Epitaphien zeigen Plattenröcke in unterschiedlicher Ausführung (z.B. Abb. 2 oder 9).60 Dennoch blieb das Panzerhemd bis in das erste Viertel des 14. Jahrhunderts die wichtigste Schutzrüstung für den gehar- nischten Reiter. „The heavy cavalryman – the – wore mail armour that was still basically of a form that had remained in use since it had been adopted in the la- ter Roman Empire.”61 Man sollte hier noch anmerken, dass das Vorhandensein einer Abb. 7 Detail aus dem Codex Manesse, Rüstung nicht zwangsläufig auf einen so- ca. 1300 bis ca. 1340 zialen Rang oder einen Status hinweist.62 Der linke Reiter trägt eine Beinschiene aus Leder Auch Bürger wie z.B. Kaufleute oder oder cuir bouilli. Die Darstellung ist auf 1330/1340 zu datieren. Handwerker, Söldner und sogar Diener (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. oder einfache Soldaten trugen Rüstungen. germ. 848, fol. 397v) Um es kurz zu sagen: eine „Ritterrüstung“ wurde keineswegs nur von Rittern getra- gen. Um die Wucht von Hieben wirksam zu Im 12. Jahrhundert reichte das Panzer- bremsen, trug man mit Tierhaaren oder hemd noch bis etwa zu den Knien und Werg gefütterte und gesteppte Kleidungs- war langärmlig.63 Auch die Beine wurden stücke unter dem Panzerhemd. Panzerge- bereits geschützt, indem man Panzerge- flecht schützt aber nur gegen Schnitte und flecht um sie legte und hinten verschnür- eingeschränkt gegen Stiche. So ergänzte te.64 Teilweise handelte es sich auch schon man den Körperschutz um 1250 an eini- um strumpfartige Gebilde.65 Die Hände gen Stellen mit entsprechend geformten wiederum steckten in Fäustlingen aus Platten („shaped reinforcing plates“67), die Ringpanzergeflecht, die direkt mit dem normalerweise über dem Ringgeflecht an Panzerhemd verbunden waren (Abb. 6).66 den Knien und Ellenbogen befestigt wur- 76 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung

die Plattner darüber hinaus mit einer Rei- he weiterer Materialien wie z.B. Horn oder Messing. Gleichzeitig versuchte man auch die Schienbeine mit entsprechend geform- ten Platten zu schützen (Abb. 9).71 Bis etwa 1330 scheinen die auf Grabplatten darge- stellten Krieger nur durch Panzerhemden geschützt gewesen zu sein – lediglich an den Knien sind manchmal Platten zu er- kennen.72 Schriftliche Hinweise auf Ober- schenkelschützer mit eisernen Kniebu- ckeln oder Armschienen, die vermutlich unter dem Ringpanzer getragen wurden, gibt es seit dem frühen 13. Jahrhundert.73 Das dürfte der Grund sein, weshalb sie auf Epitaphien nicht abgebildet sind. Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts waren so- wohl Arme als auch Beine komplett mit Metallröhren geschützt.74 Ellenbogen und Knie wurden durch miteinander verbun- dene (geschobene) Kacheln bzw. Buckeln mit dem restlichen Arm- und Beinzeug verbunden. Aus Platten gebildete Schuhe tauchen erstmals um 1320 auf, in Deutsch- land jedoch erst etwas verspätet nach etwa 1340.75 Für den Schutz der Hände nutzte man aus zahlreichen Platten zusammengefügte und somit gut bewegliche Panzerhandschuhe (Abb. 8).76 Erste Hinweise hierauf finden sich ab dem Ende des 13. Jahrhunderts, später wurde der Handrücken mit einer größeren Platte bedeckt. Diese Platten- handschuhe lösten im ersten Drittel des Abb. 8 Epitaph für Albrecht von Hohenlohe 14. Jahrhunderts die Ringpanzerhand- († 1338), ehemalige Klosterkirche Schöntal (Baden-Württemberg) schuhe ab. Die frühesten bekannten Stü- Neben dem Panzerhemd ist er bereits durch Knie- cke stammen aus dem Fundkomplex von buckel und Unterarmschienen geschützt. Oben Visby (1361)77 und von der Burg Körse rechts ist ein Paar Plattenhandschuhe abgebildet. Die Finger sind aus beweglich miteinander (Landkreis Bautzen), die 1352 geschleift verbundenen kleinen Platten gebildet. wurde.78 Der Schutz der Hände durch eine Konstruktion angepasster Platten nimmt somit die Entwicklung des Plattenrocks den.68 Diese Platten waren aus Leder (teil- in gewisser Hinsicht vorweg. In der ers- weise auch als „cuir bouilli“ bezeichnet69) ten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurden oder Metall und sind in Buchillustrationen dann auch die Arme und Schultern mit und auf Grabplatten zu erkennen (Abb. 7, Schienen bedeckt und es entwickelte sich 8, 9 und 12).70 Offenbar experimentierten ein vollständiger Armschutz aus teilweise Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 77 klappbaren und entsprechend geformten material verwendet wurde. Die Nietköpfe Platten.79 haben einen Kopfdurchmesser von 8 bis 10 Schriftliche Hinweise legen die Vermu- mm und der Abstand zwischen Nietkopf tung nahe, dass bereits im 13. Jahrhundert und Plättchen beträgt etwa 2 mm.89 Somit eine Art von Platten unter dem tunikaähn- kämen Leder oder Textil in Frage. Viel- lichen Obergewand (dem so genannten leicht wurde auch ein kleines Stück Leder Gambeson) getragen wurde.80 Bildlich als eine Art von Beilagscheibe zwischen lässt sich dies jedoch nicht nachweisen, dem Nietkopf und einem Textil eingelegt, da der Stoff die Platten vollständig ver- deckte. Vor allem die Weiterentwicklung Abb. 9 Epitaph Ottos VI. (VII.) von Orlamünde der Armbrust im 12. bzw. 13. Jahrhundert († 1340) im Kloster Himmelkron (Landkreis dürfte die Entwicklung eines besseren Kulmbach, Bayern) Körperschutzes begünstigt haben.81 Die Von Außen sind nur die vier Waffenketten des Plattenrocks (eine davon über die Schulter Verwendung von Armbrustbögen, die hängend) sowie die Nietköpfe zu erkennen. aus verschiedenen Materialien (u.a. Horn, Holz und Sehnen) gefertigt wurden (Kom- positbogen) und nicht mehr nur aus Holz, erhöhte die Durchschlagskraft der Waffe erheblich.82 Zudem erfand man verschie- dene Techniken, um die Armbrüste besser spannen zu können (Gürtelhaken, Win- den etc.). Damit erhöhte man die Durch- schlagskraft dieser gefürchteten Waffe be- trächtlich. Aber erst im zweiten Viertel des 14. Jahr- hunderts83 begann man offenbar damit, den Brustkorb mit einer größeren Brust- platte zu schützen, die in einen Stoffüber- zug integriert wurde, indem man sie mit Nieten befestigte.84 Der Rest des Oberkör- pers wurde durch eingearbeitete, kleinere Platten geschützt, die leicht überlappend „in senkrechten Bahnen und horizontalen Reihen“85 angebracht waren. Dabei konn- ten auch horizontal angeordnete längere Spangen anstatt kleinerer Plättchen ver- wendet werden (Spangenharnisch).86 Im Laufe der Jahrzehnte wurde der spätere Plattenrock oder Lendner „allmählich he- rausexperimentiert“.87 Von außen waren bei diesen Rüstungen nur die Nietköpfe auf dem Trägermateri- al zu sehen (z.B. Abb. 2, 3 oder 9). Um das Ausreißen des Stoffes zu verhindern, wur- den die Nietköpfe relativ groß und plan ausgeschmiedet.88 Im Falle der Hirschstei- ner Rüstung ist unklar, welches Träger- 78 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung

Abb. 10 Die Ringösen für die Waffenketten der Hirschsteiner Rüstung sind mit Rosetten ver- ziert. Mit Nieten war die Platte von innen in das Trägermaterial eingenietet. Mehrere der Nietköpfe sind auf dem Foto zu sehen. wie es z.B. von der Brigantine von Schloss gen, dass sowohl Textil als auch Leder zum Tirol bekannt ist.90 Dies hätte verhindert, Einsatz kamen.93 Bei den Funden von Tan- dass das Textil ausreißt. Leder allein hinge- nenberg wurde Textil verwendet.94 gen hätte sich im Lauf der Zeit an den Niet- Metallurgische Untersuchungen haben er- löchern wohl stark gedehnt und die Plat- geben, dass die Nietköpfe der Hirschstei- ten damit ihren Halt verloren.91 Oder der ner Rüstung verzinnt waren, wohl um sie Plattenrock hätte sich durch die Dehnung gegen Rost zu schützen.95 Die Ringösen, an der Löcher verlängert. Die Verwendung denen die Waffenketten befestigt wurden, eines Lederstückes könnte beides verhin- waren außen gut sichtbar und deswegen dert haben. Da jedoch keine Reste zu fin- aufwändig mit Rosetten verziert. Zwei der den waren, muss dies Spekulation bleiben. ursprünglich vier Rosetten haben sich er- Angeblich durchgeführte Analysen des halten (Abb. 10).96 Metallurgische Analy- Finders vor der Restaurierung bzw. Reini- sen im Anwenderzentrum Material- und gung ergaben, dass nur eine Schicht Leder Umweltforschung der Universität Augs- verwendet wurde.92 Sowohl die untersuch- burg am 19. Januar 2016 mit einem Raster- ten organischen Materialreste als auch die elektronenmikroskop kamen außerdem Analysen selbst sind jedoch nicht verfüg- zu dem Ergebnis, dass die Rüstung aus ei- bar bzw. nicht veröffentlicht, so dass sich nem Stahl mit einem Kohlenstoffanteil von diese Behauptung nicht nachprüfen lässt. etwa 0,5 bis 0,9 % besteht, wobei denkbar Die untersuchten Objekte aus Visby zei- ist, dass die Lagerung in der Brandschicht Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 79 zu einer Veränderung des Kohlenstoffge- Fragmente gefunden.106 Berühmt sind die haltes geführt hat.97 Funde auf der Burg Otepää in Estland Ein Plattenrock war eher tonnenförmig (zerstört 1396)107 oder die Spangenharni- geschnitten und meist vollständig unter sche von Küssnacht im Kanton Schwyz, dem Waffenrock, einem Übergewand, die auf die Zeit zwischen 1340 und 1360 verborgen, so dass man ihn auf Darstel- datiert werden können.108 Auch das Ar- lungen nur schwer oder nicht eindeutig meemuseum konnte 2019 die Reste einer erkennen kann.98 Zwischen 1350 und 1370 Brigantine ankaufen, die in einem Keller wurde der Plattenrock taillierter geschnit- in Niederbayern gefunden worden wa- ten (Abb. 13), was der zivilen Mode ent- ren (Abb. 11).109 Archäologische Funde sprach, und in der Waffenkunde als Lend- einzelner Platten lassen sich jedoch nicht ner bezeichnet wird.99 immer zweifelsfrei einem bestimmten Es gibt archäologische Funde derartiger Rüstungstyp zuschreiben (Plattenrock, Rüstungstypen, jedoch sind sie weder Lendner, Brigantine…)110, unter anderem umfangreich noch zahlreich.100 Vor al- weil die organischen Reste des Trägerstof- lem die Vollständigkeit der Brustplatte, fes meist nicht mehr nachweisbar sind.111 die vier erhaltenen Waffenketten und die Die Brustplatte der Plattenröcke wurde Vielzahl noch existierender Platten ma- im Lauf der Jahrzehnte immer größer, da chen den Hirschsteiner Fund so außer- man anscheinend erkannt hatte, dass eine gewöhnlich und wichtig für die Wissen- größere Platte die Beugung des Rumpfes schaft. Bei Ausgrabungen tauchen immer nicht beeinträchtigte. Bis 1360 bedeckte wieder einzelne Platten auf, die mit gro- die Brustplatte nur die Brust bis oberhalb ßer Wahrscheinlichkeit einem Plattenrock des Zwerchfells, während der Rest des oder einer Brigantine zuzuordnen sind. So Oberkörpers mit horizontalen Metallstrei- wurden z.B. auf der Burg Tannenberg101, fen geschützt wurde.112 Erst um 1370 wur- in Treuchtlingen102, auf der Burg Schö- de die Brustplatte nach und nach sichtbar nenwerd (Schweiz)103, auf der Burgruine getragen, bis auf die Hüfte verlängert und Lichtenegg westlich von Sulzbach-Rosen- auch aufwändiger gestaltet und ausge- berg104, der Turmburg Nürings (Gemeinde führt.113 Vollständige Vergleichsstücke gibt Königstein, Hochtaunuskreis)105 oder der es nur wenige (z.B. in den Sammlungen Landeskrone bei Görlitz entsprechende der Churburg im Südtiroler Vinschgau),

Abb. 11 Rückenplatte einer unrestaurierten Brigantine (gefunden in einem Keller in Niederbayern). Reste des textilen Trägermaterials sind noch erhalten. (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0665-2019) 80 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung sie werden jedoch allgemein auf 1380/1390 um ist bereits sehr groß, jedoch noch mit datiert und sind bereits deutlich größer als rotem Samt überzogen.115 Sie scheint das die der Hirschsteiner Rüstung.114 Die auf einzige erhaltene Stück dieser Art zu sein. etwa 1380 datierte Hohenaschauer Har- Auf Grabmälern lässt sich häufig nicht sa- nischbrust im Bayerischen Nationalmuse- gen, ob es sich um einen Plattenrock oder bereits um eine derartige, größere Brust- platte handelt.116 Abb. 12 Grabmal des Günther von Schwarzburg (1349) im Dom zu Frankfurt a. M. Später wurden schließlich alle Teile des Unterarme, Beine, Knie und Ellenbogen sind Harnischs nicht mehr in ein textiles oder bereits mit Schienen und Buckeln geschützt. ledernes Übergewand eingenietet, son- dern offen zur Schau gestellt.117 Dieser Trend dürfte auch mit dem sich entwi- ckelnden Turnierwesen mit seiner Spe- zialausrüstung zusammenhängen (vgl. auch Beitrag Schönauer zur Turnierhau- be in diesem Band). Nach wie vor wurde der Rücken jedoch weiter durch kleinere Platten geschützt, die in ein Textil oder Le- der eingenietet waren.118 Erst später wird dieses „Brigantinensystem … [durch] kleinere Rückenplatten sowie zwei am Bruststück hängende Rückenhälften“119 ergänzt. Wohl erst nach 1400 wurde auch der Rücken mit einer größeren Rücken- platte bedeckt.120 Der Churburger Brustpanzer besteht aus neun auf einem Lederfutter vernieteten Platten, die zusammen bereits ein flexibles System bilden.121 Am Rücken wurden die- se Platten mit Lederstreifen zusammenge- bunden und schützten somit auch die Sei- ten gegen Treffer. Eine Rückenplatte gab es hier noch nicht. Somit ist der Churbur- ger Panzer schon eine Weiterentwicklung des Plattenrocks. In der bildenden Kunst ist an dieser Stelle die Figur des hl. Georgs auf dem Hradschin in Prag zu nennen. Sie datiert in das Jahr 1373 und zeigt sehr de- tailliert die große Brustplatte.122 Der Rest des Oberkörpers (Rücken und Vordersei- te) wird durch kleinere Platten geschützt. Die Detailliertheit der Darstellung ist au- ßergewöhnlich und lässt vermuten, dass hier „die einzelnen Platten außen auf einer Unterlage befestigt“123 sind. Zeitgleich mit der Entwicklung des Plat- tenrockes begann man damit, nicht nur Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 81

Abb. 13 Detail aus: Guiron le courtois, Mailand um 1370-1380. Ein Lendner ist auf einem Stock/Bügel aufgehängt. An der Beckenhaube ist die Helmbrünne befestigt. Der Kübelhelm auf seinem Stän- der weist an der Vorderseite eine kreuzförmige Lochung auf. (Bibliothèque nationale de France, 5243, Nouvelle acquisition francaise, fol. 26r) die Knie, sondern auch Ellenbogen, Arme Unter dem Plattenrock wurde nach wie und Beine mit Röhren oder Platten aus ge- vor ein Ringpanzerhemd getragen – auf härtetem Leder bzw. Metall zu schützen.124 einigen Epitaphien, Plastiken oder Ge- Vereinzelt gibt es schon früher gepanzerte mälden ist das erkennbar.127 Zwar gibt es Bein- und Armröhren, die mit dem Panzer- Hinweise, dass der Plattenrock auch un- hemd kombiniert wurden, aber dies setzte ter dem Ringpanzer getragen wurde128, sich jetzt offenbar immer mehr durch. Die- aber dies erscheint wenig plausibel, da die se Schutzmaßnahmen wurden schließlich Platte nicht zuletzt dazu diente, Waffen sukzessive für den gesamten Körper über- abzulenken bzw. seitlich abrutschen zu nommen. Das Panzerhemd wurde auf Ge- lassen.129 säßhöhe reduziert. Ein sehr gut erhaltenes Auch ein stark gepolstertes Untergewand Exemplar eines derartigen „German mail blieb weiterhin im Einsatz.130 Dieses schütz- shirt“ (entstanden wohl zwischen 1390 te gegen Quetschungen, Knochenbrüche, und 1450) findet sich heute in den Royal innere Verletzungen etc., die durch Hiebe Armouries (Inv. Nr. III.4675).125 Andere mit Schwertern oder Schlagwaffen entste- Panzerhemden sind nur sehr schwer oder hen konnten. Auf Bildnisgrabsteinen ist nicht genau genug zu datieren. dieses Kleidungsstück unter dem Platten- Im Laufe der Jahrzehnte wurden die ein- rock manchmal gut erkennbar. Teilweise zelnen Platten immer größer und ihre Zahl wurde es auch über der Rüstung getragen. nahm ab.126 Auf diese Weise entwickelte Ein interessantes Detail der Hirschstei- sich der vollständige Plattenharnisch des ner Rüstung sind die vier Waffenketten, 15. Jahrhunderts – umgangssprachlich als sog. Mamelieres, die mit besonders ver- „Ritterrüstung“ bezeichnet. zierten Ösen an der Brustplatte befestigt 82 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung

und geben einen Hinweis auf ihre Verwen- dung. Besonders gute Beispiele sind die Bildnisgrabsteine von Otto von Weimar- Orlamünde († 1340) im Kloster Himmel- kron (Bayern, Abb. 9), Walter von Bopfin- gen († 1336) in der Stadtkirche St. Blasius in Bopfingen (Baden-Württemberg, Abb. 2) oder Heinrich von Seinsheim († 1360) in der Domkirche Sankt Kilian in Würzburg (Bayern).136 Auch in England haben sich Epitaphien erhalten, die Plattenröcke oder Lendner (teilweise mit Mameliers) zei- gen.137 Der Sinn dieser Ketten ist jedoch zumindest zu hinterfragen.138 So kann es bei einem Schlag beispielsweise mit einem Streitkolben oder einem Streithammer durchaus vorkommen, dass sich dieser im gegnerischen Panzerhemd oder Harnisch verfängt. Beim Kampf zu Pferd würde ein Abb. 14 Beckenhaube, 1350-1370 Angeblich im „Moor beim Chiemsee“ gefunden herabfallender Gegner den Angreifer dann (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 5601) mit vom Pferd ziehen. In diesem Fall wäre die Kette gefährlich. Auch beim Schwert- kampf dürfte sie eher hinderlich als nütz- wurden (Abb. 1 und 21). „These [arming lich gewesen sein. Offenbar hielten sie sich chains] are the first surviving ones to be auch nicht lange als Ausrüstungsgegen- discovered“.131 Nur zwei der Ösen waren stand und kommen auf dem Kontinent noch vorhanden, von den beiden anderen weit häufiger vor als in England. ist nur das Nietloch erhalten. Diese Ket- Um den Kopf zu schützen, kam an der ten sind eine Besonderheit dieser Zeit. Sie Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert die dienten dazu, Schwert, Helm, Dolch, den Beckenhaube zum Einsatz, ein leichter Schild oder einen anderen Ausrüstungsge- Helm, der das Gesicht freiließ (Abb. 14).139 genstand zu sichern.132 Wurde dem Kämp- An dessen unteren Rand konnte eine so fer in der Schlacht z.B. das Schwert aus genannte Helmbrünne, ein Panzerkragen, der Hand geschlagen, so ging es auf diese befestigt werden. Dieses Geflecht wurde Weise nicht verloren. Ein Topfhelm von über die obere Brust- und Rückenpartie der Burg Madeln in der Schweiz (datiert gebreitet und war fast immer auf einem auf 1310-1320) weist am rechten unteren textilen Trägermaterial befestigt.140 Eine Rand eine kreuzförmige Lochung auf, in derartige Trageweise ist auf Epitaphien gut der die Waffenkette mit Hilfe eines Kne- zu erkennen. Vor allem das Grabmal von bels befestigt werden konnte (siehe diese Eduard Plantagenet „The Black Prince“ Lochung auch auf Abb. 13).133 Die Statuen (1330-1376) mit den im Original erhaltenen des Mainzer Kurfürstenzyklus um 1330 Waffen und Ausrüstungsgegenständen ist zeigen diese Waffenketten und ihre Ver- hier zu nennen.141 Über der Beckenhaube wendung sehr eindrücklich.134 So wurde trug man teilweise den Kübelhelm, eine der Helm bei Nichtgebrauch einfach über Weiterentwicklung des Topfhelms, wobei eine Schulter gehängt.135 Auch auf Epita- dieser sich in der zweiten Hälfte des 14. phien tauchen diese Ketten vereinzelt auf Jahrhunderts zum reinen Turnierhelm ent- Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 83 wickelte.142 Stattdessen wurde die Becken- Inneren weiter korrodiert wäre. Dies führt haube mit einem Nasal und ab den 1360er zu einer Volumenzunahme, „welche das Jahren mit einem Visier versehen.143 Bestreben hat, die äußere Brandschicht Neben dem Schwert (vgl. Beitrag Geibig zu sprengen“.153 Da die oberste Schicht zu den Schwertern in diesem Band) gehör- durch den Finder jedoch nahezu komplett te in dieser Zeit auch ein Dolch zur Aus- entfernt wurde, ist nicht sicher zu sagen, rüstung. Die Länge und Griffform variierte ob und wie stark Feuer und „Reinigung“ stark. Beliebt war der Hodendolch, „an Auswirkungen auf die Wandstärke der dessen Übergang zur Klinge zwei ballar- Platten genommen haben. tige Verdickungen ansetzen“144 sowie der Die Brustplatte weist entlang des oberen Basilarddolch mit einem quer gestellten Rands sowie der Armausschnitte und der Knaufbalken, der parallel zur Parierstan- Seiten eine Reihe von Nieten auf. Zudem ge verläuft.145 Daneben waren auch wei- verläuft eine Nietreihe etwas unterhalb tere Schlagwaffen (v.a. die Streitaxt oder der Mitte querü ber die Platte. Von den ur- der Streitkolben) verbreitet, aber auch die sprünglich wohl 29 Nieten der Brustplatte Lanze oder eine andere Stangenwaffe ka- sind heute noch 17 mit Kopf nachweisbar. men zum Einsatz.146 Plattenröcke fanden Allerdings kann die Abfolge fast aller Nie- bis etwa 1410 Verwendung, bevor sie nach ten durch die vorhandenen Nietlöcher gut und nach vom vollständig ausgebildeten rekonstruiert werden.154 Trotz der Korro- Plattenharnisch verdrängt wurden.147 sion kann davon ausgegangen werden, dass sich am unteren Rand der Brustplatte Die Hirschsteiner Rüstung und ihre keine Nieten befanden. Dies ist ein Indiz Besonderheiten für ein Überlappen der verschiedenen Platten, denn anderenfalls hätte man die Die Hirschsteiner Rüstung besteht heu- Brustplatte mit einer umlaufenden Reihe te aus der Brustplatte sowie 33 einzelnen von Nieten besser im Textil- oder Leder- Plättchen in sehr unterschiedlichem Er- überzug befestigen können, wie dies bei haltungszustand.148 Die Brustplatte ist 29,5 Brustplatten von Brigantinen in der Regel auf 21,5 cm groß und hat eine Materialstär- der Fall ist.155 ke von 1,7 bis 2,3 mm. Damit entspricht sie Auf der Rückseite der Brustplatte des In- hinsichtlich ihrer Größe den beiden in der golstädter Stücks ist eine sternförmige Burg Otepää in Estland gefundenen Brust- Marke erkennbar (Abb. 15). Ob es sich platten.149 Hier sollte jedoch bedacht wer- dabei wirklich um eine Plattnermarke im den, dass die rigiden und unprofessionel- len Reinigungsmaßnahmen des Finders150 Abb. 15 Sternmarke (?) auf der Rückseite der die Wandstärke verändert haben könnten. Brustplatte Zudem hat die fortschreitende Korrosion des Stückes sicher ihre Spuren hinterlas- sen. Die Einzelteile des Plattenrocks wur- den in einer Brandschicht entdeckt.151 So ist denkbar, dass die einzelnen Platten län- gere Zeit Feuer ausgesetzt waren. War dies der Fall, hätte dies zu einer Aufkohlung der Oberfläche und damit zu einer Art von Schutzschicht geführt.152 Diese Schicht hätte sich jedoch nur an der Oberfläche befunden, wohingegen der Metallkern im 84 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung eigentlichen Sinn, eine zufällige Einbuch- Präsentation bis 2014 tung / Ritzung oder um eine bewusst spä- ter angebrachte Marke handelt, lässt sich Kurz nach ihrer Erwerbung wurde die nicht sicher sagen.156 Sollte sie authentisch Rüstung in der Dauerausstellung im Neu- sein, was bislang angenommen werden en Schloss von Ingolstadt der Öffentlich- kann, so könnte es sich es sich hier in der keit zugänglich gemacht und auch in der Tat um die wohl älteste bekannte Plattner- Bayerischen Landesausstellung 2008 in marke überhaupt handeln. Rosenheim gezeigt.160 Unverständlicher- Am Plättchen 0162-2007.5 konnten fünf weise präsentierte man den Fund jedoch Durchlochungen in einer symmetrischen in der Montierung des Auktionshauses Anordnung identifiziert werden, bei de- Hermann Historica (Abb. 16), die natür- nen es sich ebenfalls um eine Marke han- lich darauf ausgelegt war, möglichst vie- deln könnte, jedoch ist dies aufgrund des le der größeren und deshalb vermeintlich starken Korrosionsgrades nicht mit Si- interessanteren Teilstücke zu zeigen. Nur cherheit zu sagen. 13 der insgesamt über 30 Einzelteile waren Die meisten der gefundenen Plättchen tra- hier jedoch sichtbar. Auf der Rückseite der gen eine, teilweise auch mehrere Nieten Büste hingegen waren keine Metallplatten oder Löcher, an denen die Niete saßen. Der angebracht. Zudem wurde die Büste auf unterschiedliche Erhaltungszustand der dem Rücken liegend ausgestellt und nicht Plättchen lässt eine Einteilung in Gruppen separat ausgeleuchtet. kaum zu. Die Stärke der Plättchen liegt Die Zusammenstellung der einzelnen Plat- heute bei 27 der 33 Plättchen zwischen 1,5 ten auf der Brust war wenig befriedigend, und 2 mm, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die Platten vermut- Abb. 16 Plattenrock in der Anordnung des lich 2 mm stark und damit etwas dünner Auktionshauses Hermann Historica (2007) als die Brustplatte waren. Die Vernietung wurde „wohl mit wenigen Schlägen re- alisiert“.157 Die Nietköpfe sind flach und nicht besonders verziert. Offenbar legte man nur bei der Befestigung der Waffen- ketten an der Brustplatte Wert auf eine be- sondere Ausgestaltung. Auf Grabmälern hingegen ist immer wieder zu beobachten, dass alle sichtbaren Nietköpfe aus Bronze oder Edelmetall als Zierelement gestaltet waren.158 Dies war aber ein zusätzlicher, nicht unerheblicher Kostenfaktor. Da die meisten Platten der Hirschsteiner Rüstung eine Größe von max. 11 x 6,5 cm haben und damit eher klein und querrechteckig sind, wäre es im Gegensatz zu Exemplaren mit größeren Platten leichter möglich, den Plattenrock besser an den Körper des Trä- gers anzupassen.159 Somit handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um einen tonnenförmigen, sondern um einen taillierten Plattenrock. Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 85 jedoch waren die Fundumstände nicht ge- eignet, eine Rekonstruktion aufgrund der Lage der einzelnen Teile im Boden zu ver- suchen.161 Ab 2013 begann sich der Autor intensiver wissenschaftlich mit diesem Objekt zu beschäftigen. Das Ziel war eine sinnvol- le Rekonstruktion und Präsentation. Von Anfang an war klar, dass die Verteilung und Anordnung der Platten so nicht stim- men konnte. Die Position der Nietköpfe war willkürlich, der Kragen direkt ober- halb der Brustplatte hätte ein Absenken des Kopfes unmöglich gemacht. Die Posi- tionierung der Platten auf der Büste rich- tete sich nur nach ihrer Höhe, nicht jedoch nach ihrer Breite, andere Teile, wie eine Schließe, waren weder angebracht noch ausgestellt und vieles anderes mehr. So sollte ein Versuch unternommen werden, den Plattenrock professionell auf wissen- schaftlicher Basis zu rekonstruieren.

Die Rekonstruktionen von 2014 und 2017 Abb. 17 Rekonstruktion der Hirschsteiner Rüstung im Februar 2014 (v.l.n.r.: Dr. Alfred Geibig, Dr. Tobias Capwell, Anlass hierzu war der Besuch von Dr. Dirk Dr. Tobias Schönauer, Dr. Raphael Beuing) Breiding und Dr. Tobias Capwell. Beide kannten das Stück nur aus dem Auktions- katalog und waren sehr daran interessiert. (z.B. Visby), an Epitaphien (z.B. Walter Als der Plattenrock im gleichen Jahr für von Bopfingen oder Otto von Orlamün- die Landesausstellung 2014 „Ludwig der de) oder Gemälden (z.B. eine Retabel um Bayer – Wir sind Kaiser“ angefragt wur- 1340/1350 im Bode-Museum in Berlin162). de, nahm sich der Autor als neuer Kurator Eine weitere Herangehensweise wäre eine für die Abteilung Blankwaffen am Armee- Rekonstruktion auf der Grundlage his- museum der Frage der Rekonstruktion an. torischer Kleidung und Mode gewesen, Schnell war klar, dass die Einmaligkeit des da bekannt ist, dass die Anordnung der Objekts auch erhebliche Schwierigkeiten Nietköpfe, die meist auf dem Trägerma- mit sich brachte: Es fehlte an Vergleichs- terial sichtbar waren, häufig Aufschlüsse stücken, anhand derer man eine Rekonst- über die Positionierung der Platten geben ruktion hätte angehen können. Außerdem konnte. Schließlich entschied man sich ist die Hirschsteiner Rüstung zum Teil nur dazu, alle Ansätze gemeinsam zu verfol- fragmentarisch erhalten, andere Teile feh- gen und stellte ein kleines Team von Spe- len vollständig. Daneben gab es verschie- zialisten zusammen. Am 3. und 4. Februar dene Ansätze der Wiederherstellung der 2014 gelang es, die folgenden Personen in ursprünglichen Anordnung: Sollte man Ingolstadt für dieses Arbeitstreffen zu ver- sich an anderen Bodenfunden orientieren sammeln: 86 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung

Dr. Raphael Beuing: aus einem anderen Teil der Rüstung an- Kurator für alte Waffen am Bayerischen geklebt worden, um ihn zu stabilisieren.165 Nationalmuseum München Der eigentliche Rekonstruktionsversuch Dr. Dirk Breiding: begann mit der Annahme, dass der Plat- Kurator für mittelalterliche Waffen am tenrock an der Taille endete und nicht tie- Philadelphia Museum of Art (damals noch fer reichte. Anhaltspunkte hierfür waren Metropolitan Museum of Art, New York) die Funde von Visby,166 Epitaphien der Dr. Tobias Capwell: Zeit sowie bildliche Darstellungen. Diese Kurator der Waffensammlung der Wallace Art von Schutzrüstung reichte erst ab 1370 Collection in London über die Hüfte. Die eigentliche Datierung Dr. Alfred Geibig: des Stückes ergibt sich aus der relativ klei- Kurator für historische Waffen der Kunst- nen Brustplatte.167 Zusammen mit dem Be- sammlungen der Veste Coburg leg, dass der Burgstall 1374 zerstört wur- Prof. Dr. Kerstin Merkel: de (siehe oben), lässt sich die Annahme Honorarprofessorin an der Katholischen halten, dass es sich um ein Exemplar aus Universität Eichstätt-Ingolstadt (Schwer- der Zeit um 1350 handelt. Allerdings ist punkt: Grabmäler des Mittelalters, soziale nach wie vor unklar, wie lange derartige Funktion von Kleidung und Mode im Mit- Stücke in Gebrauch waren, so dass es auch telalter) älter sein könnte.168 Offenbar verwendete Dr. Tobias Schönauer: man zunächst kleinere Brustplatten, was Kurator für Blankwaffen und Rüstungen vermutlich technische Gründe hatte. Erst am Bayerischen Armeemuseum Ingolstadt ab dem 14. Jahrhundert wurde es nämlich einfacher, größere Platten zu schmieden Nach diversen Vorüberlegungen nahm (wahrscheinlich auch durch das Aufkom- man die Stücke von der Büste des Aukti- men von Hammermühlen).169 So wurden onshauses ab. Man wollte sich nicht von die Brustplatten im Lauf der folgenden der eher willkürlichen Positionierung be- Jahrzehnte immer größer. Vielleicht nahm einflussen lassen. Für die Rekonstruktion man auch an, dass der Bereich unterhalb wurden selbstverständlich alle Teile her- der Brust mit einer kleineren Brustplatte angezogen, also auch diejenigen, die bis- flexibel blieb und sich der Träger nur mit lang nicht an der Büste zu sehen gewesen einer kleineren Platte besser bewegen – waren. Tobias Capwell formulierte den vor allem bücken – könne. Bald erkannten Versuch sehr treffend mit den folgenden Worten: „It felt very much like trying to Abb. 18 Fragment mit vermuteten Konstruk- put together a jigsaw puzzle with forty tionsmarken (rechts unten am Rand gut or fifty percent of the pieces missing, the erkennbar) available pieces having had their original (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0162-2007.21) external surfaces completely removed, and with no box cover image to work from.”163 Bei der Untersuchung der Plättchen stell- te die Gruppe fest, dass einige durch die Restaurierung sehr stark überformt waren – so waren beispielsweise einzelne Stücke teilweise mit Kunstharz überzogen und zusammengeklebt worden.164 Beim Teil- stück 0162-2007.27 war ein Blechstreifen Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 87

rungsschichten bezahlbar war und somit vermutlich auch weiter verbreitet gewesen ist als bisher angenommen.173 Der Rekonstruktionsversuch begann mit den Teilen, die klar zuzuordnen waren – also mit der Brust- und der Schulterplat- te (Abb. 19). Bei weiteren Stücken wurde anhand der Krümmung, der Anordnung der Nieten, der Beschaffenheit der Ränder etc. eine mögliche Position diskutiert. Vor allem ein ursprünglich vielleicht herzför- miges Plättchen erregte die Aufmerksam- keit und wurde zwischen den Schulter- platten platziert.174 Als Vergleich diente Abb. 19 Schulterplatte das Rückenstück der Brigantine von Burg (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0162-2007.01) Helfenstein in Württemberg, auch wenn dieses deutlich größer ist.175 Plattenröcke wurden durch die Verwendung unter- die Kämpfer jedoch, dass diese Annahme schiedlich großer und gekrümmter Platten nicht zutreffend ist. Diese und andere an die Anatomie des Trägers angepasst.176 Überlegungen dienten als Grundlage für Diese Tatsache wollte man für die Rekon- die Rekonstruktion. struktion nutzen. So wurde die erhaltene Auf den Einzelstücken sind vereinzelt Ein- Schulterplatte der Krümmung wegen auf kerbungen zu erkennen, die vom Team die linke Schulter gesetzt, wobei die zwei- als „serial marks“, also eine Art Konstruk- te, nicht überlieferte, die gleiche Form ge- tionsmarken identifiziert wurden (Abb. habt haben dürfte, also symmetrisch war, 18). Sie könnten dazu gedient haben, dem so dass auch die rechte Schulter in Frage Schmied oder Plattner170 zu zeigen, welche gekommen wäre. Den Schließmechanis- Teile zu einem bestimmten Plattenrock ge- mus, der bislang auf dem Rücken lag, setz- hörten bzw. wie die Rüstung zusammen- te das Team auf die rechte Schulter. Vorla- gesetzt werden musste. Ähnliche Vermu- gen hierzu gibt es auf historischen Abbil- tungen wurden interessanterweise 2015, dungen und auch die Form erschien hier also ein Jahr später, auch bei den Har- stimmig. Jedoch ist auch eine andere Posi- nischfragmenten von der Landeskrone tionierung durchaus denkbar und wurde bei Görlitz angestellt, bei denen ebenfalls in einer späteren Rekonstruktion erneut Kerben in einzelnen Stücken gefunden diskutiert (siehe weiter unten). Darüber wurden.171 Eine mögliche Erklärung könn- hinaus ist eine eindeutige Zuordnung die- te sein, dass die Stücke nach dem Polieren ser Schließe zur Rüstung nicht sicher. Vor als Konvolut (quasi in „einer Kiste“) vom allem die aus dem Fundkomplex von Vis- Polierer an den Handwerker (vermutlich by bekannten, verschiedenen Schnitte von einen Plattner172) geliefert wurden, der die- Plattenröcken erlauben es nicht, die Posi- se dann endmontierte. Vielleicht wurden tion des Schließmechanismus eindeutig derartige Plattenröcke auch in größerer festzulegen.177 Stückzahl gefertigt, so dass man schnell Unklar war zunächst die Überlappungs- den Überblick über die Einzelteile verlie- richtung der einzelnen Platten: überlap- ren konnte. Dies spräche dafür, dass diese pend oder unterlappend.178 Die Gruppe Art von Rüstung auch für ärmere Bevölke- hielt es für denkbar, dass die oberen bei- 88 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung den Reihen sich anders überlappten als die einig, dass dieser sicherlich bei neueren unteren beiden. Als Beispiel diente dabei Erkenntnissen überarbeitet werden müs- u.a. eine Brigantine im Depot des Musée se. Ziel des Treffens war es jedoch, nach- d’art histoire in Genf, bei der die untersten zuvollziehen, wie die Hirschsteiner Rüs- vier Reihen an Plättchen anders überlap- tung des Bayerischen Armeemuseums ur- pen als die oberen 17179 oder die Brigantine sprünglich ausgesehen haben könnte. Auf von Burg Helfenstein.180 Sicher sagen kann jeden Fall wollte man eine Interpretation, man jedoch auch dies nicht, da entspre- die korrekter war als diejenige des Aukti- chende Abnützungsspuren aufgrund der onshauses und deren Genese auch nach- starken Korrosion nicht nachweisbar sind. vollziehbar sein sollte. Dies ist auch der Dennoch wurden diese Überlegungen an- Grund, weshalb nicht alle Teile montiert gestellt, da beim Beugen des Oberkörpers wurden. Teilstücke, die zu stark korrodiert hierbei eine größere Flexibilität entstan- waren oder aufgrund ihrer Form nicht den wäre. sinnvoll an der Figurine angebracht wer- Letztlich entschied man sich bei der Mon- den konnten, sollten zwar zusammen mit tierung der Einzelstücke auf der Büste der Rekonstruktion präsentiert werden, je- dazu, eine Überlappung der Platten zu un- doch neben der Figurine und nicht an ihr terlassen (siehe S. 92). Dies sollte bei einer beliebig befestigt werden. Dieses Vorge- zukünftigen Präsentation mit Hilfe von hen erschien der Gruppe „ehrlicher“. Zeichnungen, Fotos der Funde von Visby Bereits drei Jahre später, im Januar und und evtl. auch einem Nachbau der Rüs- im November 2017 erfolgten zwei weite- tung veranschaulicht werden. Der Hirsch- re Rekonstruktionen in Zusammenarbeit steiner Fund erschien der Gruppe jedoch mit Maximilian Sebald, der sich im Rah- als so einzigartig, dass man Spezialisten men seiner Zulassungsarbeit intensiv mit und interessierten Besuchern die Mög- diesem Plattenrock und seinem möglichen lichkeit eröffnen wollte, jedes Einzelstück Aussehen beschäftigt hatte.181 Durch die vollständig zu zeigen, was bei einer Über- inzwischen weitergeführten wissenschaft- lappung der Platten nicht möglich wäre. lichen Untersuchungen wusste man in- Von dieser Idee rückte man jedoch bei ei- zwischen viel mehr über die Hirschsteiner nem späteren Rekonstruktionsversuch im Rüstung. Hinsichtlich der Krümmung der Museum wieder ab. Platten und der stärkeren Einbeziehung Diese Rekonstruktion stellte selbstver- der Funde von Visby und Helfenstein in ständlich nur einen ersten Versuch dar die Überlegungen kamen wir zu dem Er- und die Gruppenmitglieder waren sich gebnis, dass die Rekonstruktion von 2014

Abb. 20 Die bei der Rekonstruk- tion von 2017 nicht an der Figurine befestigte Stücke der Hirschsteiner Rüstung Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 89 verbessert werden könnte. Auch jetzt ori- entierten wir uns an den Nietköpfen der einzelnen Plättchen, da die bislang bekann- ten Darstellungen eine ebenmäßige Vertei- lung auf dem Trägermaterial nahelegen. So führte die Anordnung entsprechend geformter Platten dazu, dass sich eine na- türliche Krümmung unter den Achseln in den Nackenbereich ergab, was absolut stimmig zu sein scheint. Jetzt kann man gut erkennen, dass die auf das Trägerma- terial aufgenieteten Plättchen am Rücken entlang des Rückgrats zusammenstoßen bzw. überlappen.182 Das heißt, der Platten- rock wurde nach unserer Hypothese auf dem Rücken verschlossen. Beispiele hier- für gibt es im Fundkomplex von Visby183 oder auf Darstellungen wie der Holzfigur in der Kathedrale von Verden (zweites Viertel 14. Jahrhundert). Diese zeigt einen Ritter mit Plattenrock, dessen Rüstung am Rücken mit Schnallen geschlossen wird.184 Obwohl einiges dafür spricht, dass die er- haltene Schließe am Rücken gesessen ha- Abb. 21 Umzeichnung der Brustplatte ben könnte, wurde sie dort nicht platziert, da uns dies zu spekulativ erschien.185 Die unterschiedlich geformten Plättchen ordnen, die nachvollziehbar positioniert passen sich jetzt ideal an die Körperform werden konnten. Die restlichen Stücke (12 an. Ein halbrundes und in sich gekrümm- Plattenfragmente und drei Teile einer Waf- tes Plättchen186 wurde teilweise unter die fenkette, Abb. 20) wurden vor der Büste Brustplatte geschoben. Diese Konstrukti- platziert. on schließt bei Armbewegungen den Spalt Nach dem Abschluss dieser Rekonstrukti- zwischen Brustplatte und Achselhöhle on ergab sich ein neues Bild der Hirsch- besser. Derartig geformte Platten sind steiner Rüstung, das in der Erkenntnis gip- auch auf einigen Epitaphien zu erken- felte, dass sich vom ursprünglichen Kör- nen (z.B. Walter von Bopfingen, Abb. 2 perpanzer vermutlich nicht mehr als 20 oder Otto von Orlamünde, Abb. 9). Auf bis 25 % erhalten haben (siehe S. 93).187 Die diesem Stück sind jedoch keine Nieten zu Einzigartigkeit dieses Plattenrocks macht identifizieren und es fehlt das Gegenstück, das Stück zu einem wichtigen Referenzob- so dass diese Positionierung nicht sicher jekt der Forschung zum Verständnis der ist. Anders als bei der Rekonstruktion 2014 Entwicklung mittelalterlicher Rüstungsty- kam man überein, die Plättchen nun über- pen, auch wenn die Forschungen an ihm lappend zu befestigen, um dem Besucher noch lange nicht abgeschlossen sind. Das eine bessere Vorstellung von der Funkti- außergewöhnliche und bislang einzigarti- onsweise der Rüstung zu ermöglichen. ge Stück bildet deshalb zu Recht den Mit- Wie schon zuvor blieben wir jedoch bei telpunkt der neu gestalteten Schatzkam- der Entscheidung, nur die Plättchen anzu- mer des Bayerischen Armeemuseums. 90 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung

Plattenrock Inv.-Nr. 0162-2007

Datierung und Restaurierungen Süddeutsch, Passau (?), um 1350 Grobe Reinigung durch Finder um 2003 Restaurierung März 2014 Rekonstruktionen am 3. Februar 2014, am 18. Januar und am 2. November 2017

Material Stahl (Kohlenstoffanteil 0,5 bis 0,9%)

Maße Länge (Brustplatte): 28 cm Breite (Brustplatte): 24 cm Stärke (Brustplatte): ca. 1,7 bis 2,3 mm

Beschreibung Reste eines Plattenrocks, heute bestehend aus einer Brustplatte, vier Waffenketten (Mameliers) sowie 33 (teils stark fragmen- tierten) Plättchen in sehr unterschiedli- chem Erhaltungszustand.

An einzelnen Plättchen sind Marken (ver- mutlich Konstruktionsmarken) zu erken- nen, auf der Rückseite der Brustplatte ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine Marke in Form eines Sterns erhalten.

Zum Plattenrock gehören noch weitere 15 Fundstücke (u.a. Armbrustbolzen sowie Teile von Pferdeausrüstung). Abb. 22 Seitenansicht der Hirschsteiner Provenienz und Erwerbungsgeschichte Rüstung in der Rekonstruktion von 2017 Bodenfund am ehemaligen Burstall Hirschstein bei Passau Am 5. Mai 2007 im Kunsthandel vom ur- Literatur (Auswahl) sprünglichen Finder erworben Boshof, Grenzenlos, S. 89; Kern, Rüstung; Inventare Paggiarino/Schönauer, The Bavarian Army Inventarbuch 2007 (Bayerisches Armee- Museum, S. 71 f. und S. 253; museum, Inv.-Nr. HA.05.01.114): „Rüs- Schönauer, Plattenrock; tung, Deutschld. u 1350, Plattenrock; An- Ders., Schatzkammer und Inszenierung; kauf Hermann Historica PF 201009, 80010 Wandling, Ausgrabungen; München, 21.05.2007“ Ders., Ein Harnisch. Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 91

Abb. 24 Zeichnerische Rekonstruktion der Rüstung (Rückenansicht) Abb. 23 Zeichnerische Rekonstruktion der Die Schnallen zum Schließen der Rüstung Rüstung (Brustansicht) als Annäherung an das sind nicht erhalten, stellen jedoch tatsächliche Aussehen des Lendners eine mögliche Option dar. (nach Sebald, Passauer Rüstung, S. 43) (nach Sebald, Passauer Rüstung, S. 43)

Ausstellungshistorie Abb. 25 Entnahme einer Materialprobe der Rüstung zur Untersuchung mit einem Raster- 2008 bis 31. August 2014 elektronenmikroskops am Anwenderzentrum Dauerausstellung des Bayerischen Material- und Umweltforschung der Universität Armeemuseums in Ingolstadt Augsburg

26. April bis 5. Oktober 2008 Bayerische Landesausstellung „Adel in Bayern. Ritter, Grafen, Industriebarone“ in Rosenheim und Aschau im Chiemgau

16. Mai bis 2. November 2014 Bayerische Landesausstellung „Ludwig der Bayer. Wir sind Kaiser!“ in Regensburg seit 3. Juni 2019 Ständige Ausstellung „Schatzkammer“ des Bayerischen Armeemuseums in Ingolstadt 92 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung

Rekonstruktion 2014 Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 93

Rekonstruktion 2017 94 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung

Anmerkungen meemuseum sieben Fragmente von „Panzer- zeug“ aus den Massengräbern von Visby als 1 Zur Terminologie siehe weiter unten ausführ- Geschenk vom „Hist. Museum Stockholm“. licher den Abschnitt „Panzerhemd – Briganti- Vier dieser Stücke gingen im Zweiten Welt- ne – Plattenrock – Lendner. Die Entwicklung krieg verloren. Die anderen drei sind heute des Körperschutzes im 14. Jahrhundert“. Der leider nicht mehr zu identifizieren (sie Einfachheit halber wird hier durchgängig tragen die Inv.-Nrn. A 7321, A 7326 und von einem Plattenrock gesprochen. A 7327). 2 Die genaue Anzahl lässt sich aufgrund des 18 Vgl. zu Küssnacht Geßler, Spangenharnische; teilweise stark korrodierten Zustandes nicht Leutenegger, Brigantinen, S. 93-96 oder Kra- mehr feststellen. Zudem ist die Zugehörig- bath, Brigantinen, S. 234 sowie für Helfen- keit einzelner Fragmente zur Rüstung nicht stein Fleischhauer, Spangenharnischfund und eindeutig (siehe weiter unten den Ab- Post, Panzerfragment. schnitt „Die Rekonstruktionen von 2014 und 19 Vgl. u.a. Capwell, The Puzzle Armour. 2017“). 20 Herrn Dr. Dirk Breiding (Philadelphia Muse- 3 Breiding, Harnisch und Waffen, S. 134. um of Art, zuvor The Metropolitan Museum 4 Dies wurde von der Kreisarchäologie Passau of Art, New York) danke ich für diese Aus- so auch bestätigt. Vgl. Wandling, Ausgrabun- kunft. gen, Nr. 64, S. 245. Vgl. auch die Internetseite 21 Vgl. zur Schatzkammer Schönauer, Schatz- des Finders www.mesa-online.de sowie kammer und Inszenierung, S. 267-272. www.sondengaenger-deutschland.de/higr/ 22 Vgl. allgemein zur Stadt und archäologischen supr/ fundritterruestung/plattenrock.html Funden in Städten Flüeler, Stadtluft. (beide abgerufen am 16.06.2020). 23 Inv.-Nr. 0162-2007.b 5 Vgl. Wandling, Ein Harnisch, S. 15 und Kern, 24 Vgl. Wandling, Ausgrabungen, Nr. 64, S. 245. Rüstung, S. 40. 25 Vgl. Oexle, Metallfunde, S. 433 mit Abb. (für 6 Vgl. hier und im folgenden Wandling, Aus- diesen Hinweis danke ich Herrn Fabian Bren- grabungen, Nr. 64, S. 245. ker). 7 Vgl. Restaurierungsbericht von Ernst Biele- 26 Vgl. Hefner, Tannenberg, Tafel VI, Abb. S und feld im Bayerischen Armeemuseum sowie Schmitt, Burg Tannenberg, S. 187 f., Taf. 52, 1. physikalische Untersuchungen am Innova- 27 Inv.-Nr. 0162-2007.f und 0162-2007.g tionszentrum der Universität Augsburg 28 Inv.-Nr. 0162-2007.d+e durch Herrn Alexander Hartwig. 29 Vgl. beispielsweise ähnliche Objekte im Deut- 8 Vgl. Wandling, Ausgrabungen, Nr. 64, S. 245. schen Historischen Museum, Berlin (Lüken/ 9 Wandling, Ein Harnisch, S. 58 f., hier S. 58. An Sensfelder, Armbrust, Kat. Nr. 85, S. 301 f. All- dieser Stelle darf ich Herrn Wandling für die gemein auch bei Bizer, Oberflächenfunde, Bereitstellung des Manuskripts und seine S. 55-58 oder Schmitt, Burg Tannenberg, Auskünfte danken. S. 152-157. 10 Wandling, Ein Harnisch, S. 59. 30 Vgl. Kaufmann, Burgstall Warberg, S. 75 (Taf. 11 Vgl. ebenda und Bizer, Oberflächenfunde, 39). Es könnte sich um eine Art von Stilett S. 55-58. handeln, wobei sich diese Form von Stichwaf- 12 Vgl. Kern, Rüstung, S. 40. fe erst seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts 13 Zuletzt ebenda, S. 39 f. oder im Wikipedia- nachweisen lässt (vgl. u.a. Capwell, Messer, Artikel „Plattenrock des Zacharias Haderer“, S. 44 f.). https://de.wikipedia.org/wiki/Plattenrock_des_ 31 Inv.-Nr. 0162-2007.n Zacharias_Haderer (abgerufen am 22.10.2020). 32 Mein Dank bei der Bestimmung der Funde gilt 14 Vgl. hier und im folgenden Kern, Rüstung, Herrn Dr. Gerd Riedel (Stadtmuseum Ingol- S. 40; Veit, Passau, S. 188 und Wandling, Ein stadt) sowie Herrn Andreas Franzkowiak und Harnisch, S. 58. Frau Chris Wenzel. 15 Vgl. 52. Auktion, Hermann Historica (4. und 33 Inv.-Nr. 0162-2007.a 5. Mai 2007), hier Los Nr. 3641. 34 Inv.-Nr. 0162-2007.c 16 Die Gutachten stammen vom anerkannten 35 Inv.-Nr. 0162-2007.o Militärhistoriker und Spezialisten für histo- 36 Vgl. Clark, The Medieval Horse, S. 47, Abb. rische Waffen Dr. Marcus Junkelmann und 30 c bzw. S. 48, Abb. 33 oder auch Kock/Roes- vom damaligen Direktor der Hofjagd- und dahl, Boringholm, S. 153, Fig. 8.99 (Abb. 608). Rüstkammer des Kunsthistorischen Museums 37 Für diese Einschätzungen danke ich Herrn in Wien, Dr. Matthias Pfaffenbichler. Andreas Franzkowiak und Frau Chris Wenzel. 17 Vgl. Thordeman, Armour. Die Bedeutung die- 38 Vgl. Lehnart, Spätgotik II, S. 83 und Blair, Euro- ses Fundes liegt darin, „dass die Panzer im pean Armour, S. 54. lagegenauen Fundkontext wissenschaftlich 39 Thordeman, Armour I, S. 285. Mit white ar- geborgen worden sind, so dass die ursprüng- mour ist der blankpolierte Stahlharnisch liche Gestalt verschiedener Typen anschau- gemeint. Blair, European Armour, S. 54 spricht lich rekonstruierbar ist.“ (Krabath, Briganti- davon, dass „throughout the last three-quar- nen, S. 249). 1927 erhielt das Bayerische Ar- ters of the 14th century the coat of plates Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 95

was the main body-defence”. Allerdings ver- 58 Krabath, Brigantinen, S. 248. weist er auch darauf, dass „a version 59 Vgl. Thordeman, Zur Entstehung, S. 56 f.; of coat-of-plates construction made of small Krabath, Brigantinen, S. 238 mit Abb. 10 auf overlapping scales seems also to have re- S. 229 oder Blair, European Armour, S. 39 f. mained in constant use“ (S. 19). Weiterführende Literatur im Beitrag Brenker 40 Quaas, Eisenkleider, S. 123. in diesem Band. 41 Krabath, Brigantinen, S. 228. 60 Vgl. Krabath, Brigantinen, S. 239 mit Abb. 16- 42 Gamber, Plattenrock, Sp. 15. 18 bzw. Abb. 34. Dort findet sich auf S. 237- 43 Vgl. Capwell, Armour, S. 113 und Starley, Bri- 248 eine hervorragende Aufstellung von Dar- gandine and Jack Plates, S. 1. stellungen von Plattenröcken in der bildenden 44 Gamber, Brigantine, Sp. 688. Kunst. Allgemein ist die Datierung von Epi- 45 Vgl. Capwell, Armour, S. 113. Zum Unter- taphien und den darauf dargestellten Rüstun- schied zwischen Brigantine und „Jack of Pla- gen nicht immer eindeutig. Zur Quellenkritik tes“ vgl. Starley, Brigandine and Jack Plates. siehe allgemein Dinzelbacher, Quellenpro- Ein erhaltenes Beispiel im Germanischen bleme sowie sehr anschaulich Capwell, Ar- Nationalmuseum Nürnberg siehe bei Eser, mour, S. 50-52. Im Augsburger Erbrecht von Gepanzertes Wams. 1276 ist nachzulesen, dass neben Waffen auch 46 Vgl. ebenda, S. 113 f. Beispiele im Kunsthisto- Rüstungsteile vererbt werden konnten und rischen Museum Wien, Inv.-Nrn. A 190 und wurden. Das zeigt, dass Rüstungsteile teil- A 229 (vgl. Angermann/Poyer, Bestandsauf- weise über den Tod des Besitzers hinaus im nahme, S. 148-157) oder im Metropolitan Mu- Gebrauch waren. Vgl. hierzu und zur wei- seum of Art, New York, Inv.-Nr. 29.15.101-2. teren Quellenkritik den Beitrag Brenker in 47 Vgl. beispielsweise die Brustplatten von der diesem Band). Burg Otepää in Estland (Mäesalu, Briganti- 61 Blair, Arms and Armour, S. 169. nenfunde, v.a. Abb. auf S. 109) oder das Exem- 62 Vgl. hier und im folgenden Breiding, Arms plar des Bayerischen Armeemuseums (Inv.- and Amour: a Farewell, S. 170-173 und ders., Nr. 0665-2019 – siehe Abb. 11). Arms and Armour – Common Misconcep- 48 Vgl. Lehnart, Spätgotik II, S. 84; Krabath, Bri- tions. gantinen, S. 248; ders., Untersuchungen, S. 96; 63 Vgl. Breiding, Harnisch und Waffen, S. 130 Schuckelt, Harnische, S. 40 und Gut, Flechttech- und Schuckelt, Harnische, S. 40. niken, S. 68. 64 Schon im Teppich von Bayeux aus dem 11. 49 Vgl. die Darstellungen auf der Trajanssäule Jahrhundert ist ein derartiger Beinschutz zu in Rom. Dies wurde schon bei Demmin, erkennen, wenn er auch nur bis zu den Knö- Kriegswaffen I, S. 200, S. 218 oder S. 233-234 cheln reichte und die Füße nicht umschloss. beschrieben. Vgl. allgemein Blair, European Vgl. La , Notes, S. 69 f. Allgemein zum Armour, S. 19 und S. 37; Schuckelt, Harnische, Teppich siehe Bouet/Neveux, Teppich. S. 40 sowie zu Vergleichsfunden Krabath, Bri- 65 Vgl. Breiding, Harnisch und Waffen, S. 130 gantinen, S. 231-237. und allgemein zu den so genannten Panzer- 50 Vgl. beispielsweise den kürzlich in Kalkriese strümpfen (englisch: chausses) La Rocca, Notes. freigelegten vollständigen römischen Schie- 66 Vgl. Breiding, Harnisch und Waffen, S. 130 f.; nenpanzer aus der Zeit um Christi Geburt Blair, European Armour, S. 29-32; Lehnart, (https://www.kalkriese-varusschlacht.de/ Spätgotik I, S. 78; Krabath, Brigantinen, S. 222 forschung/fund-schienenpanzer; abgerufen und Schuckelt, Harnische, S. 40-42. am 12.10.2020) oder allgemein Blair, European 67 Blair, Arms and Armour, S. 169. Vgl. auch Armour, S. 19 und S. 37 und Schuckelt, Harni- ders., European Armour, S. 37. sche, S. 40. 68 Reichten die Panzerärmel nicht bis zum Hand- 51 Lehnart, Spätgotik II, S. 84; Blair, European gelenk, sind manchmal auch unter dem Pan- Armour, S. 19-24 und Gut, Flechttechniken. zergeflecht Armschienen zu erkennen (vgl. 52 Vgl. Beitrag Brenker in diesem Band sowie Lehnart, Spätgotik I, S. 78). Die Entwicklung Richardson, Introduction, S. 41. in Frankreich, Italien, Deutschland und Eng- 53 Vgl. Richardson, Introduction, S. 41. Allge- land war zeitlich etwas unterschiedlich, wor- mein zu Vergleichsfunden vgl. Krabath, Bri- auf hier im Detail jedoch nicht eingegangen gantinen, S. 231-237. werden soll. Ausführlicher hierzu Lehnart, 54 Vgl. Leutenegger, Brigantinen, S. 101 f. oder Früh- und Hochgotik, Spätgotik I und II. Krabath, Brigantinen, S. 248. Auch Blair, Euro- 69 Es gibt nur sehr wenige erhaltene Exemplare pean Armour, S. 59 oder Capwell, Armour, so z.B. eine rechte Oberarmschiene im British S. 113 f. können keine exakte Unterscheidung Museum (Inv.-Nr. MLA 56, 7-1, 1665, vgl. zwischen „brigandine“ und „coat of plates“ Alexander/Binski, Age of Chivalry, Kat. Nr. treffen. 171, S. 261 f.), eine weitere Oberarmschie- 55 Siehe Beitrag Brenker in diesem Band. ne gefunden in der Unteren Burg von Vil- 56 Blair, European Armour, S. 40. nius (Blaževičius/Bugys, Reikšmingas XIV), 57 Vgl. Capwell, Armour, S. 113. ein Armschutz aus der Roomburg in Leiden 96 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung

(Brandenburgh, Eeen zeldzame leren armbe- lange Zeit hinsichtlich ihrer Reichweite und schermer), eine Unterarmschiene aus Dor- Durchschlagskraft nicht effektiver als die drecht in den Niederlanden (Rijkelijkhuizen, Armbrust (vgl. Breiding, A Deadly Art, S. 3 A rediscovered leather vambrace) oder zwei und S. 7). Auch die Langbögen waren bereits Unterarmschienen aus Tartu in Estland (Mä- lange vor dem 13. Jahrhundert bekannt esalu/Haiba, Nahast küünarvarrekaitsmed). (Richardson, Introduction, S. 42). Brenker Was genau cuir bouilli ist, ist nicht ganz klar. setzt das Aufkommen der verbesserten Arm- Bislang glaubte man, es handele sich um brüste bereits in das 12. Jahrhundert (vgl. Bei- Leder, das in heißes Wachs getaucht wurde trag Breiding in diesem Band) (vgl. Blair, European Armour, S. 19 und Lehn- 82 Vgl. hier und im folgenden Richardson, Intro- art, Spätgotik I, S. 114, Anm. 122). Neueste duction, S. 43 f. und Breiding, A Deadly Art, Untersuchungen gehen jedoch davon aus, S. 16 f. dass es sich hierbei um gekochtes Rohleder 83 In Westeuropa scheint dies schon früher statt- („boiled rawhide“) handelt. Vgl. zu cuir gefunden zu haben, zumindest legen dies die bouilli Cheshire, Cuir bouilli armour; ders., deutschen Darstellungen aus dieser Epoche Cuir Bouilli: fracture sowie Brandenburgh, nahe (vgl. Breiding, Harnisch und Waffen, Eeen zeldzame leren armbeschermer, S. 127). S. 134). Allgemein zu Rüstungsteilen aus Leder Ri- 84 Vgl. Capwell, Armour, S. 113; Breiding, Har- jkelijkhuizen/Volken, A poor man’s armour. nisch und Waffen, S. 134 und Schuckelt, Har- 70 Vgl. hier und im folgenden Blair, Arms and nische, S. 44. Zuvor war der Oberkörper von Armour, S. 41 und S. 169. kleineren Platten bedeckt; erst ab 1340 ist die 71 Vgl. Breiding, Harnisch und Waffen, S. 132 Tendenz erkennbar, die Platten, welche die oder Lehnart, Spätgotik I, S. 87. Beispiele im Brust schützten, in „a rudimentary breastpla- Codex Manesse (Cod. Pal. germ. 848, Uni- te“ zu vereinigen (Blair, European Armour, versitätsbibliothek Heidelberg), fol. 192v und S. 56). Im Fundkomplex von Visby waren nur fol. 397v. bei zwei Stücken die Platten von außen auf das 72 Vgl. Blair, Arms and Armour, S. 169. Beispiele Trägermaterial aufgenietet. Und in diesen Fäl- in Alexander/Binski, Age of Chivalry, Kat. len waren es „minor ones on the shoulders, Nr. 234 und 235, S. 293-295 sowie in Coales, which formed the transition to free shoulder- The Earliest English Brasses, S. 95, Fig. 88. plates” (Thordeman, Armour I, S. 210). 73 Vgl. Lehnart, Früh- und Hochgotik, S. 90 und 85 Krabath, Brigantinen, S. 229. Blair, Arms and Armour, S. 169. 86 Vgl. allgemein zum Spangenharnisch Thorde- 74 Vgl. hier und im folgenden Breiding, Harnisch man, Zur Entstehung und ders., Armour I, und Waffen, S. 135-137 und Schuckelt, Harni- S. 312 f., Fig. 318-323. Auch Steeger, Ritterli- sche, S. 45-48. che Schutzwaffen, S. 70 f. und Lehnart, Spät- 75 Vgl. Blair, European Armour, S. 43 und Lehn- gotik I, S. 80-85. art, Spätgotik I, S. 87. 87 Thordeman, Zur Entstehung, S. 59. 76 Vgl. hier und im folgenden Krabath, Briganti- 88 Vgl. Krabath, Brigantinen, S. 229. nen, S. 222 f.; Blair, European Armour, S. 41 89 Auch bei den Brustplatten von Otepää ist ein und S. 46 sowie Capwell, Armour, S. 158 f. und Abstand von 2 mm nachzuweisen (vgl. Mäe- Abb. auf S. 163. salu, Brigantinenfunde, 108). 77 Vgl. Thordeman, Armour I, S. 230-244 und 90 Vgl. Stadler, Brigantine, S. 22. S. 414-434. 91 Vgl. Lehnart, Spätgotik I, S. 82. 78 Vgl. Krabath, Brigantinen, S. 221-224 und 92 Vgl. Sebald, Passauer Rüstung, S. 38. Schmitt, Burg Tannenberg, S. 165. Dort wird 93 Vgl. Thordeman, Armour I, S. 210. auch auf den in Tannenberg gefundenen 94 Vgl. Schmitt, Burg Tannenberg, S. 164. Plattenhandschuh hingewiesen, der wohl je- 95 Vgl. Sebald, Passauer Rüstung, S. 26. Ähn- doch auf die Wende vom 14. zum 15. Jahrhun- liches ist auch bei anderen Stücken zu finden, dert datiert werden muss (S. 166). Die Frag- wie z.B. den Brigantinen aus Basel, Bern und mente eines Handschuhs von der Burgrui- Genf sowie bei den Funden aus der Bibenten- ne Hünenberg im Kanton Zug (Schweiz) wer- burg oder von der Burg Alt-Wädenswil (Leu- den von Frey, Neufund, S. 100 in das dritte tenegger, Brigantinen, S. 98 und S. 101), wo- Viertel des 14. Jahrhundert datiert. Einen gu- bei hier sogar die ganzen Plättchen verzinnt ten Überblick bietet Lehnart, Spätgotik I, waren (Geßler, Plättchenharnisch, S. 58). Vgl. S. 89-92 mit Tafel XII. hierzu auch Blair, European Armour, S. 41. 79 Vgl. Blair, European Armour, S. 45. 96 Detailaufnahme in Paggiarino/Schönauer, The 80 Vgl. Blair, Arms and Armour, S. 169. Bavarian Army Museum, S. 71-73. 81 Vgl. Lehnart, Spätgotik II, S. 85; Richard- 97 Vgl. Sebald, Passauer Rüstung, 24-26. Auch son, Introduction, S. 43 und Lüken/Sensfelder, die unsachgemäße Reinigung des Stückes Armbrust, S. 34. Die in diesem Zusammen- mit Schleifpapier, Schleifscheiben und wohl hang manchmal angeführten Feuerwaffen einer Drahtbürste durch den Finder, führte verdrängten die Armbrust erst in der zweiten ebenfalls zu erheblichen Verunreinigungen Hälfte des 15. Jahrhunderts. Sie waren auch der Proben u.a. mit Aluminium oder Chrom. Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 97

Zum Problem der Aufkohlung siehe Peine, Ein 114 Vgl. Thomas/Gamber, Kriegskleid, S. 357 f. Blick in die Waffenkammer, S. 51, Anm. 9 (de- sowie Detailaufnahmen in Paggiarino, Chur- taillierter in Anm. 152). burg Armoury, S. 38, S. 40 f. und S. 44 f. Schu- 98 Vgl. Lehnart, Spätgotik I, S. 78; ders., Spätgo- ckelt, Harnische, S. 44 f. datiert dieses Stück tik II, S. 86; Breiding, Harnisch und Waffen, auf die Zeit zwischen 1360 und 1370. S. 134; Blair, European Armour, S. 28 und S. 53; 115 Bayerisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. W 195. Schuckelt, Harnische, S. 43 sowie Richardson, Vgl. u.a. Peine, Ein Blick in die Waffenkam- Introduction, S. 40 und Capwell, Armour, mer, S. 54 f. und Detailaufnahmen bei Paggia- S. 115. rino/Beuing, Bavarian National Museum, 99 Vgl. Lehnart, Spätgotik II, S. 86, Breiding, Har- S. 46-53 sowie Beschreibungen auf S. 355. nisch und Waffen, S. 134 und Krabath, Bri- Auch Capwell, Armour, S. 113 f. und Schu- gantinen, S. 228. Diese taillierte Form blieb bis ckelt, Harnische, S. 45. um 1420 in Mode (vgl. Capwell, Armour, 116 Vgl. Capwell, Armour, S. 115. S. 114). 117 Vgl. hier und im folgenden Blair, Arms and 100 Die Funde von Visby sind wohl auch etwas Armour, S. 170. jünger zu datieren. 118 Vgl. Peine, Ein Blick in die Waffenkammer, 101 Vgl. Schmitt, Burg Tannenberg, S. 164-166, S. 62. Kat. Nrn. 2643-2677, Taf. 37, 1-23. 119 Ebenda, S. 62. 102 Vgl. Steeger, Ritterliche Schutzwaffen, S. 70- 120 Vgl. auch Blair, European Armour, S. 61. 73. 121 Vgl. hier und im folgenden Paggiarino, Chur- 103 Vgl. Geßler, Spangenharnischfund. burg Armoury, S. 44 f. und S. 281 sowie Schu- 104 Vgl. Conrad, Fund. ckelt, Harnische, S. 48. 105 Vgl. Müller, Turmburg, S. 153 und Abb. 2 auf 122 Vgl. Krabath, Brigantinen, S. 244-246; Thorde- S. 156. man, Armour I, S. 317-319 (Fig. 331-333) sowie 106 Vgl. Krabath, Brigantinen, S. 225-228. Eine die Darstellung bei Wagner, Tracht, Tafel 2 – Aufstellung weiterer Vergleichsfunde ebenda, Teil II. S. 231-237. Im Bestand des Bayerischen Ar- 123 Krabath, Brigantinen, S. 246. meemuseums befinden sich zudem histori- 124 Vgl. hier und im folgenden Breiding, Har- sche Fotoaufnahmen von Funden von der nisch und Waffen, S. 134 f.; Lehnart, Spätgotik Burg Hohfenfels (Pfalz), die durch den da- II, S. 86 und Blair, Arms and Armour, S. 170 maligen Direktor des Historischen Muse- 125 Vgl. Richardson, The Archibald hauberk, ums der Pfalz in Speyer, Dr. Friedrich Spra- S. 29-31. ter, 1932/1933 ausgegraben wurden (Bayeri- 126 Vgl. hier und im folgenden Blair, Arms and sches Armeemuseum, Inv.-Nr. GP.V.244a Armour, S. 170. und b). 127 Vgl. Breiding, Harnisch und Waffen, S. 132 107 Vgl. Mäesalu, Brigantinenfunde. sowie Blair, European Armour, S. 40 und 108 Vgl. Geßler, Spangenharnische; Leutenegger, S. 74. Brigantinen, S. 93-96 oder Krabath, Briganti- 128 Vgl. den Hinweis bei Brenker, dass im „Liet nen, S. 234. von Troye“ ein Speer erst durch den Ring- 109 Inv.-Nr. 0665-2019. panzer drang, die darunter getragenen 110 Vgl. exemplarisch den Fund eines Plättchen- „platen“ jedoch Stand hielten (vgl. den Bei- verbundes aus Kempten und die Schwierig- trag von Brenker in diesem Band, Anm. 20). keiten bei dessen Zuordnung bei Atzbach/ Dies könnte aber auch eine literarische Aus- Elser, Fragmente. Auch die Plättchen, die schmückung sein, um die Situation dramati- bei Schönenwerd im Limmattal (Schweiz) ge- scher erscheinen zu lassen. funden wurden oder aus der Burg Alt-Wä- 129 Vgl. Paggiarino, Churburg Armoury, S. 280. denswil stammen, sind nicht eindeutig einer 130 Vgl. Breiding, Harnisch und Waffen, S. 134 Körperpanzerung zuzuordnen (vgl. Leuten- und Blair, European Armour, S. 53. egger, Brigantinen, S. 96-98 und S. 100 f.). 131 Capwell, The Puzzle Armour. In anderen Gleiches gilt für Einzelfunde von Burgen der Fällen wird immer wieder vermutet, dass nicht Schwäbischen Alb (vgl. Bizer, Oberflächen- mehr erhaltene Ketten an der Brustplatte an- funde, S. 58, Anm. 358 mit Verweisen auf Ka- gebracht waren wie im Fall der mit Samt talogteil). überzogenen Brustplatte im Bayerischen Na- 111 Vgl. Krabath, Brigantinen, S. 228 und S. 231. tionalmuseum (Inv.-Nr. W 195). Vgl. Paggi- Letztlich ließe sich in Einzelfällen vielleicht arino/Beuing, The Bavarian National Muse- sogar darüber streiten, ob es sich überhaupt um, S. 355. wirklich immer um Reste eines Körperschut- 132 Vgl. u.a. Breiding, Harnisch und Waffen, zes handelt. S. 134; Capwell, The Puzzle Armour und Blair, 112 Vgl. Blair, European Armour, S. 56. European Armour, S. 48. Stone, A Glossary, 113 Vgl. Breiding, Harnisch und Waffen, S. 134; S. 433 bezieht den Begriff noch auf die runden Peine, Ein Blick in die Waffenkammer, S. 57; Platten „fastened to the breast of a knight’s Blair, European Armour, S. 56 und Capwell, surcoat in the 14th century“. Armour, S. 114. 98 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung

133 Vgl. Blair, European Armour, S. 48 und zu- 144 Breiding, Harnisch und Waffen, S. 143. letzt auch Breiding, Some Notes, S. 2. Auch 145 Vgl. Schönauer, Plattenrock, S. 117 und Cap- der zweite Helm von Madeln, das Exemplar well, Messer, S. 28-30. der Royal Armouries (Inv.-Nr. IV.600), der 146 Vgl. Blair, Arms and Armour, S. 170. auf die Zeit zwischen 1331 und 1370 da- 147 Vgl. ders., European Armour, S. 75. tiert wird und der Helm von Sir Richard 148 Die mir im Mai 2014 von Herrn Walter Wand- Pembridge (National Museum of Scotland, ling (Kreisarchäologie Passau) zur Verfügung Inv.-Nr. A.1905.489) weisen derartige Lo- gestellten Umzeichnungen verzeichnen je- chungen auf. doch neben der Brustplatte 36 weitere Platten 134 Landesmuseum Mainz (Inv.-Nrn. S 3099 bis bzw. Fragmente. Die Fragmente mit den S 3106). Vgl. Wolf, Ludwig der Bayer, S. 220. Nummern 34 bis 36 befinden sich nicht im Be- 135 Vgl. Blair, European Armour, S. 48. Lehnart, sitz des Bayerischen Armeemuseums. Spätgotik I, S. 93 nimmt das Vorhandensein 149 Vgl. Mäesalu, Brigantinenfunde, S. 108 f. einer dritten Waffenkette als Indiz dafür, dass 150 Siehe Anm. 97. der Plattenrock dann nicht für das Turnier, 151 Vgl. Sebald, Passauer Rüstung, S. 15. sondern für den Kampf verwendet wurde, da 152 „Eine Aufkohlung der Oberfläche bewirkt bei Turnieren der Helm einem Helfer direkt … eine Einlagerung von Kohlenstoff. Hier- übergeben werden konnte, wenn er nicht ge- aus resultiert eine höhere Härte und eine hö- braucht wurde. Das würde bedeuten, dass here Korrosionsbeständigkeit als bei reinem der ältere Helm von Madeln wegen der Metall“. Anmerkung des zuständigen Res- kreuzförmigen Lochung nicht für das Turnier taurators Andreas Weisgerber beim Westfäli- gebraucht wurde und widerspräche damit schen Museum für Archäologie zu Waffen- Breiding, Some Notes, S. 2. funden im Haus Herbede an der Ruhr (Zitiert 136 Vgl. Hefner-Alteneck, Waffen, hier Tafeln 20, bei Peine, Ein Blick in die Waffenkammer, 23 und 24, wobei die Darstellung Walter von S. 51, Anm. 9). Bopfingens (Tafel 23) bei Hefner-Alteneck 153 Peine, Ein Blick in die Waffenkammer, S. 51, falsch ist, da er nur drei der eigentlich vier Anm. 9. Mameliers wiedergibt. Auch auf der Grab- 154 Vgl. Sebald, Passauer Rüstung, A 18. platte des Rezzo von Bächlingen († 1320) in 155 Vgl. hierzu beispielsweise die Funde von der evangelisch-lutherischen Johanneskirche Otepää (Mäesalu, Brigantinenfunde, S. 109, in Bächlingen sind die Ketten gut zu erken- Abb. 4.1), die Fragmente einer Brigantine mit nen, allerdings scheint hier die Brustplatte der Inv.-Nr. A 229 im Kunsthistorischen Mu- über dem restlichen Plattenrock zu liegen. seum Wien, Hofjagd- und Rüstkammer 137 Dass sich auf englischen Rüstungen keine (Angermann/Poyer, Bestandsaufnahme, S. 155, Waffenketten finden lassen (vgl. Lehnart, Abb. 6) sowie die Brigantine des Bayerischen Spätgotik I, S. 87), ist falsch. So sind am Helm Armeemuseum mit der Inv.-Nr. 0665-2019. des Schwarzen Prinzen sogar noch Reste Bei den Funden aus dem Haus Herbede greift der Waffenkette vorhanden (vgl. Blair, Euro- der fragmentarisch erhaltene „oberste Bauch- pean Armour, S. 48) und die Epitaphien von reif … eines kurzen, den Unterleib bedecken- Sir Roger de Salaman in Horley (Surrey) oder den Schoßes“ über den unteren Rand der von Ralph de Knevynton in Aveley (Essex) Brustplatte (Peine, Ein Blick in die Waffen- zeigen eindeutig Waffenketten. kammer, S. 53). Außerdem sind Fragmente ei- 138 Herrn Fabian Brenker danke ich für diesen nes oder mehrerer Bauchreifen vorhanden, Hinweis. die an beiden Längsseiten eine Nietreihe auf- 139 Vgl. Schönauer, Plattenrock, S. 117; Blair, Eu- weisen und deshalb einen Hinweis auf den ropean Armour, S. 30, S. 51 f. und S. 67 f.; untersten Schoßreifen geben (Peine, Ein Blick Lehnart, Spätgotik I, S. 93 und Capwell, Ar- in die Waffenkammer, S. 58 sowie Abb. 10 auf mour, S. 66-78. S. 56; darüber hinaus auch Peine/Breiding, An 140 Vgl. Schönauer, Plattenrock, S. 117; Blair, Eu- important find, v.a. S. 7 f.). ropean Armour, S. 68; Lehnart, Spätgotik I, 156 Auch das Team von 2014 (siehe weiter unten S. 94 und Capwell, Armour, S. 66-78, den Abschnitt „Die Rekonstruktionen von 141 Vgl. Alexander/Binski, Age of Chivalry, Kat. 2014 und 2017“) wollte sich hier nicht festle- Nr. 626-633. Weitere Beispiele sind die Epita- gen, hält die Marke aber für authentisch. phien von Walter von Bopfingen oder Rudolf 157 Sebald, Passauer Rüstung, S. 37. von Hürnheim (ehemals in der Klosterkirche 158 Vgl. Lehnart, Spätgotik I, S. 80. in Klosterzimmern). 159 Lediglich die Platten 0162-2007.6 (14 x 5,5 cm) 142 Vgl. Breiding, Harnisch und Waffen, S. 137; und 0162-2005.7 (15,3 x 5,5) sind größer. Zu- Blair, Arms and Armour, S. 170; ders., Euro- mindest bei Nr. 6 könnte es sich um einen pean Armour, S. 47; Peine, Ein Blick in die Achselschutz handeln. So wurde dieses Plätt- Waffenkammer, S. 66 und Lehnart, Spätgotik chen auch bei der Rekonstruktion 2017 (siehe I, S. 93. weiter unten) auch verbaut. Vgl. zur Begriff- 143 Vgl. Lehnart, Spätgotik I, S. 93-95; Capwell, Ar- lichkeit weiter oben den Abschnitt „Panzer- mour, S. 80-84 und Schuckelt, Harnische, S. 47. hemd – Brigantine – Plattenrock – Lendner. Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung | 99

Die Entwicklung des Körperschutzes im 14. te keine Nieten aufweist und auch Rüstungen Jahrhundert“ sowie den Überblick bei Lehn- aus Visby mit kleineren Platten eindeutig art, Spätgotik I, S. 80-87. überlappend konstruiert waren (vgl. Thorde- 160 Vgl. Kern, Rüstung, S. 39 f. man, Armour II, z.B. Armour 24 und 25, 161 Eine ausführlichere Funddokumentation exis- Taf. 117-145 ). Vgl. als Beispiele auch die tiert angeblich beim Finder, ist jedoch bislang Brigantine von Schloss Tirol (Stadler, Brigan- nicht veröffentlicht worden. Vgl. Sebald, Pas- tine, Abb. 3), zwei Exemplare in der Dresdner sauer Rüstung, S. 15 ff. Rüstkammer (Schuckelt, Harnische, S. 130 f., 162 Bode-Museum, Gemäldegalerie Kat.Nr. 1519. Inv.-Nrn. M 0155.01-.05 und M 0153.01.-.05) 163 Capwell, The Puzzle Armour. oder eine Brigantine im Kunsthistorischen 164 Inv.-Nr. 0162-2007.27. Vgl. auch Sebald, Pas- Museum Wien, Hofjagd- und Rüstkammer, sauer Rüstung, S. 21 sowie A 40. Inv.-Nr. A 338 (beschrieben bei Angermann/ 165 Vgl. hierzu auch Sebald, Passauer Rüstung, Poyer, Bestandsaufnahme, S. 158-163). S. 21. 179 Vgl. Leutenegger, Brigantinen, S. 84-86 (gut 166 Vgl. Thordeman, Armour. erkennbar auf S. 85, Abb. 6). 167 Vgl. hierzu Gamber, Harnischstudien, S. 45 f., 180 Vgl. Fleischhauer, Spangenharnischfund und Thordeman, Armour I, S. 308-320 oder Mäe- Post, Panzerfragment, S. 226 mit Abb. 1 a und b. salu, Brigantinenfunde, S. 111. 181 Vgl. Sebald, Passauer Rüstung. 168 Vgl. hierzu auch Scalini, Plattenpanzer, S. 120. 182 Vgl. hierzu auch Scalini, Plattenpanzer, S. 120. 169 Vgl. Sebald, Passauer Rüstung, S. 24. 183 Vgl. Thordeman, Armour I, S. 210 ff. Darstel- 170 Vermutlich entwickelte sich mit der Verstär- lungen in ders., Armour II (z.B. Armour 9,11 kung einzelner Körperpartien mit Platten oder 24). Ein guter Überblick über die ver- auch das Handwerk des Plattners aus den schiedenen Typen der unterschiedlichen in Sarwürkern (Panzermachern) und Helm- Visby gefundenen Rüstungstypen bei Kra- schmieden. Diese Bezeichnung erscheint an bath, Brigantinen, S. 240, Abb. 23. dieser Stelle deshalb als sinnvoll (vgl. Reit- 184 Vgl. u.a. Thordeman, Armour I, S. 311, ders., zenstein, Waffenschmied, S. 34-36). Entwicklung, S. 58 f. oder Krabath, Briganti- 171 Vgl. Krabath, Brigantinen, S. 228. nen, S. 235.a 172 Das Handwerk des Plattners entwickelte sich 185 So ist auf einer Grabplatte in der Kirche von wohl zusammen mit dem Harnisch im 12. Pershore (Grafschaft Worcestershire, Eng- oder 13. Jahrhundert (vgl. Reitzenstein, Waf- land) zu erkennen, dass die unter dem Waf- fenschmied, S. 36). Es ist jedoch nicht aus- fenrock getragenen Platten seitlich mit zuschließen, dass die Endmontage von einem Schnallen zusammengehalten wurden (Blair, anderen Handwerker (z.B. einem Sattler) European Armour, S. 39 und Detail in Abb. 17), durchgeführt wurde. wobei davon ausgegangen werden muss, 173 In einer Quelle von 1390 im Archiv von Turin dass es sich hier um eine Leder- oder Cuir- ist von einem arbeitsteiligen Prozess die bouilli-Rüstung handeln dürfte. Rede, bei dem ein Plattner aus Mailand das 186 Inv.-Nr. 0162-2007.6 Leder zuschneidet und entsprechend vorbe- 187 2014 ging man noch von 50 bis 60 % aus (vgl. reitet. Anschließend nagelt er auch die ein- Capwell, The Puzzle Armour). zelnen Metallteile auf das Leder. Ein anderer Handwerker befestigte dann ein Panzerge- flecht – offenbar zur Verstärkung einzelner Stellen – am Harnisch (Quelle zitiert bei But- tin, Du costume, S. 239). Angeblich konnten sich auch Bauernsöhne derartige Rüstungen leisten (vgl. hierzu den Beitrag Brenker in diesem Band). 174 Inv.-Nr. 0162-2007.23. 175 Vgl. Stadler, Brigantine, S. 25 f. (auch S. 25, Abb. 4) mit Bezug auf Post, Panzerfragment, v.a. S. 229 f., Abb. 8. Allgemein zum Helfen- steiner Fund auch Fleischhauer, Spangenhar- nischfund. Bei der folgenden Rekonstruktion 2017 entschied man sich jedoch dazu, dieses Stück nicht mehr auf den Rücken zu setzen. 176 Vgl. hierzu auch Krabath, Brigantinen, S. 229. 177 Lehnart, Spätgotik I, S. 81-85 mit Tafeln IX- XI gibt zu den verschiedenen Schnitten und Verschlüssen einen guten Überblick. 178 Eine Überlappung wurde als gegeben ange- nommen, da die Brustplatte an der Unterkan- 100 | Tobias Schönauer: Die Hirschsteiner Rüstung

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Alfred Geibig Drei Schwerter aus der Sammlung des Bayerischen Armeemuseums

Drei Schwerter, und jedes steht in seiner wohl aus einem ein- oder zweiteiligen, Funktion und Gestalt für bestimmte Epo- formgebenden Holzkörper, der ursprüng- chen; in einem Fall für die Karolingerzeit lich mit Leder oder Textil ummantelt ge- im zweiten für die Romanik/frühere Gotik wesen war (Abb. 4).1 Dieser war über die und im dritten Fall für die spätere Gotik. Angel bis auf die Parierstange geschoben So lassen sich über Maße, konstruktiven und durch den bündig ebenfalls nachge- Aufbau und Morphologie sowohl unter- schobenen und vernieteten zweiteiligen schiedliche Anwendungsformen als auch Knauf fest fixiert (Abb. 4). unterschiedliche Moden erkennen. Vor allem die dachförmige Form der Das älteste der drei Stücke, ein Schwert Knaufkrone mit ihren leicht konvexen aus der Karolingerzeit (Inv. Nr. A 3621) Seitenlinien in der Seitenansicht ist signi- ist, gemessen an vergleichbaren Exempla- fikant2 und für die chronologische Einord- ren und angesichts seines Alters von mehr nung von recht großer Bedeutung. als 1200 Jahren, recht gut erhalten und Bezüglich der Frage nach Aussehen und hat nur geringe korrosionsbedingte, seine Aufbau der verloren gegangenen Schei- Form und Erscheinung verhältnismäßig de lässt sich für diese Art von Schwertern wenig beeinträchtigende Substanzverlus- auf zahlreiche zuverlässige Befunde von te hinnehmen müssen (Abb. 1). Es dürfte Scheiden und Scheidenresten, vor allem das interessanteste und auch das wissen- aus dem norddeutschen Raum, zurück- schaftlich wertvollste Stück dieser Dreier- greifen.3 So dürfte der Scheidenkörper aus gruppe sein. zwei hölzernen, der Klinge entsprechend Lediglich die organischen Elemente der ausgearbeiteten Halbschalen bestanden Handhabe und die wahrscheinlich aus ver- haben. Diese waren entweder flach mitei- gleichbaren Materialien gefertigte Scheide nander verleimt und verstiftet oder waren sind wohl vergangen und nicht mehr vor- mit einem Falz versehen und wurden le- handen. Die Handhabe, in der Fachtermi- diglich durch die straffe Bindung der fol- nologie auch als Hilze bezeichnet, bestand genden Textilummantelung gehalten. Vor dem Zusammenfügen wurden die den Scheidenhohlkörper bildenden Holzele- Abb. 1 (links) Schwert aus der Karolingerzeit (gefunden bei Deggendorf, Bayern), um 750-800 mente mit Fell ausgekleidet. Dieses soll- (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 3621) te zum einen der eingeschobenen Klinge Halt geben und sie zum anderen durch Abb. 2 (mitte) Schwert „zu anderthalb Hand“, um 1250-1400 ihren Eigengehalt an Talg vor Feuchtigkeit (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 11136) schützen. Nach dem Zusammenfügen der beiden ausgefütterten Körperhälften hat Abb. 3 (rechts) Schwert zu „anderthalb Hand“, frühes 14. Jahrhundert man diese nun mit organischem Material, (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 3940) am häufigsten lässt sich Textil nachweisen, 106 | Alfred Geibig: Drei Schwerter

ummantelt. Dabei wurden über die Länge des Scheidenkörpers größere, sich leicht überlappende, horizontal orientierte Bän- der aufgelegt (Abb. 5). Lediglich an seinem vorderen Ende, dem Ortbereich, wurde eine Verstärkung in Form schmaler, wahrscheinlich umge- schlagener und sich eng überlappender Bänder aufgebracht (Abb. 5 und 6). Tragevorrichtungen und Aufhängungen sind kaum überliefert, weshalb man sich hier an zeitgenössischen Bildquellen ori- entieren muss.4 Beispielhaft sei hier der um 820 datierte Stuttgarter Bilderpsalter erwähnt (Abb. 7 a und b). So lassen sich dort die breiten Segmente, die feingewi- ckelte Ortverstärkung sowie dekorative Kreuzbindungen und ein Schlaufendurch- zug für den schmalen Tragegurt feststel- Abb. 4 Möglicher Aufbau einer aus Holz und Textilien bestehenden Hilze (nach Geibig, Beiträge, S. 101, Abb. 26) Abb. 6 Fragment eines Schwertes aus Cleverns (Niedersachsen), Grab 179. Gut erhaltene organische Bestandteile der Scheide erlauben eine grundsätzliche Rekonstruktion der Scheide. Erkennbar ist die „Feinwicklung“ aus schmalen Textilstreifen im Bereich des Ortes. (aus Geibig, Beiträge, S. 328, Kat. Nr. 189) Abb. 5 Grafik zum Aufbau karolingischer Schwertscheiden auf der Basis untersuchter archäologischer Befunde. 1 Schema der Feinwicklung, 2 Feinwicklungsband mit umgeschlagenem Rand, 3 Feinwicklungsband einfach gelegt, 4 Schichtenabfolge innerhalb des Scheidenkörpers: Fell – Holz –Textil (nach Geibig, Beiträge, S. 105, Abb. 28) Alfred Geibig: Drei Schwerter | 107

Abb. 7 b Umzeichnung des Befundes aus dem Stuttgarter Bilderpsalter von Abb. 7a (aus Geibig, Beiträge, S. 109, Nr. 7)

hin durch die separat montierte Knaufkro- ne, die ihrerseits mit der Angel vernietet gewesen war, fixiert (Abb. 9). Dieser kon- struktive Befund ist auch für die Datie- rung von erheblicher Bedeutung. Das zweite wichtige Hauptelement eines Schwertes ist die Klinge. Obwohl es beim Abb. 7 a Auf dem Bildausschnitt aus dem Stuttgarter Bilderpsalter (um 820) ist deutlich die vorliegenden Stück korrosionsbedingt zu Scheide mit breiten Wicklungssegmenten sowie gewissen Substanzverlusten, vor allem im der „Feinwicklung im Ortbereich erkennbar. (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Schneidenbereich, gekommen ist, lässt Cod. bibl. fol. 23, fol. 58v) sich die ursprüngliche Form noch gut nachvollziehen. Es handelt sich um eine zweischneidige, symmetrische Klinge mit len. Auf ähnliche Weise könnte auch die annähernd parallel verlaufenden Schnei- Scheide des hier zu behandelnden Schwer- den, die erst im vordersten Bereich in ei- tes gestaltet gewesen sein. nem konvexen Schwung zu einer ver- Während wir uns sowohl bei der Handha- gleichsweise kurzen Spitze (Ort / Ortbe- be als auch bei der Scheide lediglich auf reich) zusammenlaufen. Ca. 55 cm unter- wohl vergleichbare archäologische Funde halb der Parierstange ist sie zerbrochen; und ikonografische Abbildungen berufen die Bruchteile lassen sich aber gut anein- können, sind die beiden anderen Haupt- anderfügen, so dass nicht mit größerem elemente des Schwertes, nämlich das Ge- substantiellem Längenverlust zu rechnen fäß (Griffteil) und die Klinge leidlich gut und deshalb die heute feststellbare Länge überliefert.5 Die in der Aufsicht spitzovale von ca. 77 cm wohl authentisch ist. Die Parierstange ist über die Angel auf die Klinge zeigt eine extrem flache, aber den- Klingenschulter geschoben und sitzt dort noch erkennbare Kehlung von ca. 1,9 cm in (heute) fester Bindung mit ausgesparter Breite. Passung auf den Klingenschultern auf Der Mittelteil der Klinge besteht aus ei- (Abb. 8). Die Knaufstange ist in etwas klei- nem zweibahnigen Winkeldamast mit der nerer Ausführung, ansonsten aber ver- Torsionsfolge SZ. Die Gesamtbreite der gleichbarer Formgebung wie die Parier- beiden recht unregelmäßigen Damastbah- stange, heute lose auf der Angel schiebbar. nen liegt zwischen 2,4 und 3,0 cm. Wenige Im ursprünglichen Zustand war sie zur Zentimeter unterhalb der Klingenwurzel Parierstange hin durch die Hilze, das or- streben die Seitenlinien des zweibahnigen ganische Griffstück, und zum oberen Ende Damastbandes in konvexem Schwung 108 | Alfred Geibig: Drei Schwerter

Im vorliegenden Fall scheint es sich um ei- nen Kerndamast zu handeln. Dieser hat, im Gegensatz zu jüngeren beidseitig auf- geschweißten („auffurnierten“) dünnen Platten aus Damaststahl nicht nur eine de- korative, sondern durchaus eine konstruk- tive Funktion. Versuche, Klingen durch Damaszierung qualitativ zu verbessern, reichen bis in die Zeiten vor Christi Geburt zurück. Ab dem dritten Jahrhundert nach Christus scheint das klassische Damaszie- rungsverfahren aufzukommen, bei dem abwechselnd Lagen aus zähem, aber wei- chem Eisen und harte, aber spröde Schich- ten aus kohlenstoffreichem Stahl zusam- mengeschweißt werden.6 Diese werden Abb. 8 Ansicht der Gefäßelemente von schräg dann zu Stangen ausgeschmiedet, an- unten. Deutlich sichtbar ist die Auflagerausspa- schließend tordiert (also verdreht) und er- rung in der Parierstangenunterseite (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 3621) neut ausgeschmiedet. In einem weiteren Schritt werden mehrere derartiger Stäbe, in der Regel zwei bis fünf, miteinander aufeinander zu und lassen so den damas- verschweißt und so der Klingenkern gebil- zierten Mittelteil der Klinge ca. 2,0 cm un- det. Auf diese Weise wurden die positiven terhalb der Parierstange spitz auslaufen. Eigenschaften des zähen Eisens mit denen Dieser Befund liegt auf beiden Seiten der des harten Stahls in einem Produkt ver- Klinge vor. Die Damaszierung lässt sich in bunden. An diesen Kern wurden dann in der Korrosionsstruktur der Klinge in ihrer einem separaten Schritt die besonders har- ganzen Ausbreitung erkennen. ten, aber auch spröden Schneiden aufge- schweißt („aufgesohlt“), die ihrerseits durch den flexibleren Kern vor Bruch ge- Abb. 9 Konstruktiver Aufbau vor allem früher karolingischer Gefäße schützt werden. Durch Abschleifen des (nach Geibig, Beiträge, S. 91, Abb. 24) rohen Klingenkörpers wird dieser in Form gebracht und die Oberflächen poliert („ge- fegt“). Anschließendes Ätzen mit Säure

Abb. 10 (gegenüberliegende Seite oben) Klinge des Schwertes A 3621 Deutlich erkennbar die beiden tordierten Damast- bahnen als Klingenkern und daran angeschweißt die separaten Schneiden aus hartem Kohlenstoff- stahl. Bei dem hier zu behandelnden Schwert liegt der Damastkern aus zwei tordierten Stäben in ei- ner SZ Konfiguration vor. Dass bedeutet, dass der eine Stab nach rechts und der andere nach links tordiert (verdreht) ist.

Abb. 11 (gegenüberliegende Seite unten) Schematische Darstellung der Arbeitsgänge bei der Herstellung von Klingen mit Torsionsdamast. (Nach Ypey, Europäische Waffen, Abb. 7) Alfred Geibig: Drei Schwerter | 109 110 | Alfred Geibig: Drei Schwerter lässt die innig mit einander verbundenen den gleichen zeitlichen Rahmen spricht. Stahl- und Eisenschichten entsprechend Damaszierte Klingen werden im neunten ihrer Verschweißung in unterschiedlichen Jahrhundert in den deutschen Regionen Formen und Mustern erscheinen (Abb. 10 nur noch in Einzelfällen gefertigt worden und 11).7 sein, ihre Fertigungshöhepunkte dürften Mit dem Aufkommen neuerer Schmiede- zeitlich davor liegen. Eher wuchtige Klin- verfahren klingt die Sitte, Klingen aus gen in der vorliegenden Form mit ihrem funktionalen Gründen zu damaszieren, fast parallelen Schneidenverlauf, der erst gegen Ende des achten bzw. in den frühen kurz vor dem vorderen Ende eine ver- Jahrzehnten des neunten Jahrhunderts gleichbar kurze, dachförmige Spitze formt, langsam aus.8 Nur wenige Beispiele jünge- dürften wohl bis in das zehnte Jahrhun- rer Zeitstellung9 lassen sich belegen.10 Da- dert, aber auch schon in der zweiten Hälf- mit haben wir neben dem konstruktiven te des achten Jahrhunderts hergestellt Aufbau des Gefäßes und seiner Morpholo- worden sein. Konzentriert man sich nun gie auch über die Klinge wichtige Anhalts- auf den Überschneidungsbereich all die- punkte für die endgültige zeitliche Ein- ser chronologisch aussagekräftigen As- ordnung des Schwertes. pekte, so ist mit großer Wahrscheinlichkeit Will man nun zu einer Einschätzung der eine Entstehung des Deggendorfer Schwer- Entstehungszeit des bei Deggendorf ge- tes in der zweiten Hälfte des achten Jahr- fundenen Schwertes kommen, so müssen hunderts zu erwarten. alle chronologisch relevanten Elemente Das zweite Exemplar unserer Dreischwer- zusammengebracht werden. Da ist zum tergruppe (Inv.-Nr. A 11136) lässt auch einen das Gefäß, das aufgrund seiner Mor- den ungeübten Betrachter deutliche mor- phologie kaum jünger als in die zweite phologische, aber auch evidente metrische Hälfte des achten Jahrhunderts anzusetzen Unterschiede (Abb. 12) zu dem oben be- ist. Unterstützt wird diese Einschätzung handelten karolingischen Stück erken- durch den konstruktiven Aufbau des Ge- nen.11 fäßes, der ebenfalls für eine Einordnung in So übertrifft letzteres mit einer Klingen- länge von 84,8 cm und einer Gefäßlänge von 23,9 cm die Abmessungen des karo- Abb. 12 Radnabenknauf mit Nietköpfchen und kreuzförmigen Aushebungen für eine Bunt-/Edel- lingischen Exemplars (71,1 / 16,9 cm) deut- metalltauschierung im Zentrum lich. (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 11136) Auch die Länge der Parierstangen unter- scheidet sich mit 17,3 cm und 8,5 cm er- heblich. In der durch Korrosionsverluste etwas verwaschenen Klingenoberfläche lässt sich beidseitig je eine schmale Keh- lung feststellen, die von der Spitze aus ge- sehen in etwa auf halber Länge einsetzt und sich bis in den unteren Bereich der Angel zieht. In der Seitensicht läßt sich nur eine geringe Verjüngung feststellen. Den unteren Abschluss, den Ort, bildet eine relativ gestreckte, in konvexem Schwung der Seitenlinie ausgeformte Spitze. Im Gegensatz zu dem karolingi- schen Schwert ist die Klinge offensichtlich Alfred Geibig: Drei Schwerter | 111 nicht mehr aus einem Damastkern mit aufgesohlten Schneiden, sondern aus ei- nem mehr oder weniger homogenen Mo- nostahl gefertigt. In der Klingenoberfläche lassen sich zumindest an einer Stelle sche- menhaft scharfkantige Ausbrüche in der Korrosionsstruktur feststellen, die sich mit aller Vorsicht eventuell als Indiz für eine ehemalige vertikale Eiseneinlage deuten lassen.12 Die Längsseiten der recht kräftigen und breiten Angel verlaufen auf den parier- stangenseitigen drei Vierteln annähernd parallel, um sich durch entsprechende Ausschmiedung zum Knauf hin erheblich zu verjüngen. Das ausgezogenene, zuge- spitzte Angelende durchläuft den schei- benförmigen Knauf und ist auf dessen Scheitel mit einem untergesetzten zusätzli- chen kegelförmigen Nietköpfchen vernie- tet (Abb. 12). Bis auf einen kleinen kreis- förmigen Mittelbereich sind die Seiten des Knaufes konkav ausgefasst. Der so ausge- formte Mittelbereich erinnert an eine Rad- nabe, was für diese Knaufform namensge- bend ist. Derartig ausgeformte Scheiben- knäufe werden deshalb auch Radnaben- knäufe genannt. Im Mittelbereich finden sich noch Riefenreste in Form eines Kreu- zes, die auf eine ehemalige Bunt- oder Edel- metalltauschierung hinweisen (Abb. 12). Die Parierstange ist in der Seitenansicht gerade; in der Aufsicht weist sie einen ver- breiterten Mittelbereich und schlanke, sich zu den geraden äußeren Abschlüssen hin leicht verbreiternde Arme auf. Um nun zu einer zeitlichen Einordnung des Stückes zu kommen, ist mangels wei- Abb. 13 a und b Schwert zu anderthalb Hand terer datierender Elemente vor allem eine „Ars Gladii“ – Schnittdemonstration im Rahmen Konzentration auf die morphologischen der Zeitreise auf der Veste Coburg 2009 und metrischen Details notwendig. Die Kehlung der Klinge scheint schmal, ist aber aufgrund der verwaschenen Oberflä- ihrer Länge und Breite, ist sie am ehesten che in ihrer Breite nicht mehr exakt zu in das Umfeld von Typ 7 nach Geibig13 zu messen. Mit großer Wahrscheinlichkeit verorten. Bei diesem Typ ist mit einer Ent- liegt diese aber in einem Bereich zwischen stehung vom Ende des 11. bis in die Mitte 1,5 und 1,8 mm. Damit, mit ihrem Umriss, des 12. Jahrhunderts zu rechnen.14 Diese 112 | Alfred Geibig: Drei Schwerter zeitliche Einschätzung lässt sich durch gel eine Längung vorgenommen worden vergleichbare Klingen, die der große zu sein, die eine Ausdünnung des knauf- Schwertkenner seiner Zeit, Ronald Ewart nahen Drittels zur Folge hatte. Oakeshott, seinem Schwerttyp XI zuweist, Grund für eine solche Verlängerung könn- verfestigen.15 te der Wunsch gewesen sein, aus einem Radnabenkäufe seines Typs J datiert er in Einhandschwert, ein „moderneres“ zu den Zeitraum von 1250-1400.16 Ein recht „anderthalb Hand“ zu machen. Diese An- ähnlicher Knauf findet sich auch am sprache bzw. Benamung deutet auf ver- Schwert des Grafen Ekkehard von Naum- schiedene Handhabungsoptionen hin. burg, dessen vollplastische Statue in das Zum einen konnte das vergleichsweise Jahr 1260 datiert wird (Abb. 18).17 Vor al- leichte Schwert mit recht weit zum Gefäß lem in der Zeit zwischen 1200 und 1350 ist hin gelagertem Drehpunkt einhändig ge- nach Oakeshott18 mit der Fertigung dieser handhabt werden. Zum anderen konnte Parierstangenform zu rechnen.19 Bei der bei Bedarf aber auch die zweite Hand zur zeitlichen Einordnung des Gefäßes lässt Führung hinzugenommen werden (Abb. sich ein breiter Überschneidungsbereich 13). der einzelnen Elemente feststellen, der Das dritte Exemplar aus dem Bayerischen von ca. 1250-1350 reicht. Innerhalb dieses Armeemuseum (Inv.-Nr. A 3940, Abb. 3) zeitlichen Rahmens dürfte demnach auch hat zwar mehr Ähnlichkeit mit dem zwei- mit der Fertigung der Gefäßteile zu rech- ten Schwert als mit dem karolingischen nen sein. Damit haben wir zwischen Klin- Stück, unterscheidet sich aber dennoch in ge und Gefäß eine zeitliche Diskrepanz seiner Morphologie deutlich von diesem. von ca. 100 Jahren, die aber durchaus er- So präsentiert sich die Klinge mit Blick auf klärbar sein dürfte. So ist es denkbar, dass ihre Flachseite als gestreckt triangulär, mit nach längerer Gebrauchszeit Teile des Ge- lang auslaufendem, ausgesprochen spit- fäßes oder dieses auch zur Gänze neu zem Ort und einer maximalen Breite von montiert worden sind.20 Als Gründe wä- lediglich 2,5 cm. Im Querschnitt ist die ren hier Abnutzung oder Anpassung auf 82,3 cm lange Klinge im parierstangensei- modernere modische, funktionale oder tigen Drittel sechseckig; auf den beiden handhabungstechnische Ansprüche denk- vorderen Dritteln ist sie rautenförmig. Das bar. Schaut man sich nun die überlieferten Gefäß ist mit 21,2 cm recht lang, was auch Gefäßelemente an, so scheint bei der An- für eine beidhändige Führungsmöglich- keit sprechen dürfte. Die schlanke Angel läuft durch einen Abb. 14 Detail der Klinge schweren oktogonalen „Scheibenknauf“ Links die in Buntmetall ausgeführte Wolfsmarke, rechts die Reste einer Bischofskrümme aus Eisen hindurch und ist an dessen (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 3940) Alfred Geibig: Drei Schwerter | 113

Abb. 15 Schwertführung durch die Jahrhunderte Seite aus: Makkabäer Handschrift, um 925, Kloster St. Gallen (Universitätsbibliothek Leiden, F 17, fol. 9v) 114 | Alfred Geibig: Drei Schwerter

Abb. 16 Schwertführung durch die Jahrhunderte Das so genannte „Tower Fechtbuch”, Ursprung fränkisch, möglicherweise Würzburg, um 1300 (Tower Fechtbuch, Royal Armouries, I.33, fol. 31v) Alfred Geibig: Drei Schwerter | 115

Abb. 17 Schwertführung durch die Jahrhunderte Thalhofer Fechtbuch, 1467 (Bayerische Staatsbibliothek, Cod. icon. 394a, fol. 9v) Wolfsmarke in Verbindung zu bringen sind. Des Weiteren finden sich nur wenige Zentimeter weiter in Richtung des Ortes Oberseite verhämmert. Den Abschluss zur die Reste einer zweiten Buntmetalleinlage Klinge hin bildet eine schlanke, zum Ort (Abb. 14), die mit gebotener Vorsicht als hin leicht konkav gebogene und mit ca. das eingerollte Ende eines Bischofstabes 22,5 cm recht lange Parierstange. Im Zent- gedeutet werden könnten.22 rum der Knaufscheibe findet sich eine Meist charakterisiert sich die Passauer leicht abgetiefte Kreisfläche mit den Res- „Wolfsmarke“ durch quer in die Linien ten eines heute etwas verwaschenen erha- gesetzte kurze Striche, was aber nicht benen Kreuzes (Abb. 21). zwingend notwendig ist.23 Allerdings Symbole auf Scheibenknäufen ritterlicher scheint diese Signatur, quasi als verkaufs- Schwerter findet man in vielfältiger Form. förderndes Qualitätszeichen, von unter- Sie können graviert, tauschiert oder ge- schiedlichsten Werkstätten und Städten schnitten, eingetieft oder erhaben sein. Bei kopiert bzw. übernommen worden zu Knäufen aus Buntmetall sind sie auch als sein.24 Eine zeitliche Einordnung des Teil der Gussform angelegt.21 Schwertes gestaltet sich wegen der chro- In die Mittelfacette der Klinge, in etwa sie- nologisch relativ wenig korrespondieren- ben Zentimeter von der Klingenwurzel den Einzelelemente als vergleichsweise bzw. von der Parierstange entfernt, ist in schwierig. Da ist zum einen die Form des Buntmetall ein Zeichen oder eine Marke Knaufes, die schon ab dem 13. Jahrhun- eintauschiert (Abb. 14) Sie besteht aus ein- dert nachzuweisen ist,25 zum anderen die zelnen, meist kürzeren Linienabschnitten, Marke ohne die charakteristischen Quer- die wahrscheinlich mit der Passauer striche. Ihr Fehlen ist vor allem erst für 116 | Alfred Geibig: Drei Schwerter jüngere Zeiten anzunehmen. Gleichzeitig sprechen auch Metrik und Form der Klin- ge für einen deutlich späteren Ansatz. Der- art schlanke und spitze Klingen ohne Keh- lung werden üblicherweise in das 14., eher noch in das 15. Jahrhundert datiert.26 Da nun die Nutzungszeit der ab dem 13. Jahr- hundert nachzuweisenden profilierten Scheiben als recht lange anzusetzen ist,27 ist eine Orientierung an dem jüngeren Schwertelement, der Klinge, angezeigt, so dass mit einer Entstehung des Schwertes wahrscheinlich erst im früheren 14. Jahr- hundert zu rechnen ist. Wenn man die hier behandelten drei Schwerter nach Form und Metrik ver- gleicht, dann werden sofort klare Unter- schiede erkennbar. Auch hier darf man, genauso wie bei den Schrobenhausener Haken (vgl. Beitrag Geibig zur Haken- büchse in diesem Band), den Merksatz „Form folgt Funktion“ anwenden und die Stücke danach einschätzen. So wirkt sich die Masseverteilung bei der Klinge und die Gestaltung ihres Gefäßes auf ihre Handha- bung aus. Das karolingische Schwert (Abb. 1), geeignet sowohl für Schlag als auch für Stich28 (Abb. 16), steht dabei am Anfang ei- ner im Laufe der kommenden Jahrhunder- te aufblühenden, sich immer feiner entwi- ckelnden Fechtkunst, die ihren gefühlten Höhepunkt wohl im 17. und 18. Jahrhun- dert erreicht haben dürfte. Das zweite Schwert mit seiner verlänger- ten Handhabe und dem schweren Radna- benknauf (Abb. 12) deutet an, dass sich die Ansprüche in Bezug auf Griffvariation und damit auf die Nutzung im Rahmen Abb. 18 Statue des Ekkehard II. von Naumburg einer ausgefeilteren Fechttechnik deutlich († 1046), Statue im Naumburger Dom Gut erkennbar ist der „Scheibenknauf“ des vergrößert haben. Schwertes Das letzte Stück (Abb. 3) der Dreiergruppe erscheint am stärksten spezialisiert. Es stammt aus der beginnenden Hochzeit der Fechtkünste und ist speziell auf geschultes und feines Führen der Klinge ausgelegt (Abb. 17).29

Alfred Geibig: Drei Schwerter | 117

Schwert Inv.-Nr. A 3621

Datierung Deutsch (?), um 750-800

Material Eisen

Maße Oberes Bruchstück mit Griff: Länge 57 cm / Breite 8,5 cm / Höhe 1,8 cm Bruchstück der Klinge: Länge 37 cm / Breite 4 cm

Abb. 19 Knaufunterseite Beschreibung (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 3621) Für sein Alter recht gut erhaltenes, annä- hernd komplettes Schwert. Bis auf die orga- nischen Teile von Handhabe und Scheide ist Sammlungsbelege 1921 (Bayerisches Ar- das Stück vollständig erhalten, die Klinge je- meemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01.62), Beleg doch gebrochen. Scheide und Handhabe be- Nr. 39: „Verzeichnis der an das Armee- standen mit größter Wahrscheinlichkeit aus museum am 14.5.1921 leihweise abgege- je einem hölzernen Grundkörper, der mit benen Gegenstände“: Nr. 4838 „Schwert Textil ummantelt war. Die korrosionsbedin- (Z.B.IV, p. 212)“ gten Substanzverluste beeinträchtigen die morphologische Aussagekraft des Stückes Lokalbestandsbuch (A-Buch, 1. Band, Baye- nur geringfügig. Charakteristisch und ty- risches Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01. penrelevant bzw. besonders aussagekräftig 27a-c), Eintrag Nr. 3621: „ein Schwert mit sind der in der Seitenansicht dachförmige damaszierter Klinge. deutsch 9. Jhdt. Län- Knauf und die breite Klinge mit annähernd ge 93. cmt“ parallel verlaufenden Schneiden, einem kur- zen dachförmigen Ort, einer breiten, flachen Literatur (Auswahl) Kehlung und einem damaszierten Mittelteil Geibig, Beiträge, Kat. 4, S. 213, Taf. 3; mit separat aufgeschweißten Schneiden. Paggiarino/Schönauer, The Bavarian Army Museum, S. 33-35 und S. 250. Provenienz und Erwerbungsgeschichte am 14. Mai 1921 als Leihgabe vom Bayeri- Ausstellungshistorie schen Nationalmuseum erhalten 1921 bis 1942/43 am 14. November 1935 dauerhaft an das Dauerausstellung des Bayerischen Ar- Bayerische Armeemuseum überwiesen meemuseums im alten Museumsgebäude im Hofgarten in München (siehe Abb. 6 Inventare im Beitrag Reiß in diesem Band) Zugangsbuch 3 (Bayerisches Armeemuse- um, Inv.-Nr. HA.05.01.93), Eintrag 21045: „1 seit 3. Juni 2019 Schwert. 9. Jahrh., 1.6.21, vom National= Ständige Ausstellung „Schatzkammer“ Museum (vorerst leihweise) 14.11.1935 des Bayerischen Armeemuseums überlassen“ in Ingolstadt 118 | Alfred Geibig: Drei Schwerter

Schwert Inv.-Nr. A 11136

Datierung Deutsch (?), um 1250-1400

Material Eisen

Maße Länge 108,5 cm / Breite 17,3 cm Höhe (Knauf) 4,8 cm

Beschreibung Abb. 20 Knauf, Hilze und Parierstange Bis auf die organischen Elemente von (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 11136) Handhabe und Scheide ist das Schwert an- nähernd komplett erhalten. Korrosionsbe- dingte Substanzverluste beeinträchtigen deutsch, um 1400, Preis bzw. Schätzwert 150, die morphologische Aussagekraft kaum. 5.8.1936, Geschenk der Armee=Mus. Freunde“ Charakteristisch ist der deutlich profilierte Radnabenknauf, die schlanke Parierstan- Sammlungsbelege 1936 (Bayerisches Ar- ge sowie die gelängte Angel, die für ein meemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01.73), Be- Schwert zu „Anderthalb Hand“ spricht. leg Nr. 100: „München, 5. August 1936. Im Spiegel des Knaufs deuten Riefenreste Eingetragen unter Samml. Zug. Buch Nr. auf eine ehemalige kreuzförmige Einla- 2020/1936. Den Sammlungen des Armee- ge aus Buntmetall hin. Die Klinge ist aus Museums, Abteilung Aeltere Zeit wird einem homogenen Monostahl gefertigt. überwiesen: A 11136, 1 Schwert, deutsch, Schwach erkennbare scharfe Strukturkan- um 1400, Erwerbungsart: Geschenk des ten in der korrodierten Klingenoberfläche Vereins der Freunde des Bay. Armee-Mu- lassen eine ehemalige Einlage aus Eisen seums in München, Wert bzw. Preis: 150.- oder Buntmentall denkbar erscheinen. Mit RM, Schriftwechsel: ohne“ ihrer schlanken, gestreckten Form sowie mit ihrer schmalen Kehlung stellt die Klin- Lokalbestandsbuch (A-Buch, 3. Band, Bay- ge im Vergleich zum Gefäß das deutlich erisches Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01. ältere Element dar. Bei letzterem ist mit 29), Eintrag Nr. 11136: „1 Schwert, deutsch einer ca. 100 Jahre späteren sekundären um 1400, Länge 108,5 cm Wert 150 M, Ge- Montage zu rechnen. schenk Verein der Freunde des A.M.“

Provenienz und Erwerbungsgeschichte Literatur (Auswahl) am 5. August 1936 als Schenkung des alten Paggiarino/Schönauer, The Bavarian Vereins der Freunde des Bayerischen Ar- Army Museum, S. 78 f. und S. 253. meemuseums erhalten Ausstellungshistorie Inventare seit 3. Juni 2019 Zugangsbuch 1935-1941 (Bayerisches Ar- Ständige Ausstellung „Schatzkammer“ meemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01.96), Eintrag des Bayerischen Armeemuseums 202 im Abschnitt zum Jahr 1936: „1 Schwert, in Ingolstadt Alfred Geibig: Drei Schwerter | 119

Schwert Inv.-Nr. A 3940

Datierung Bayern (Passau) (?), frühes 14. Jahrhundert

Material Eisen, Holz

Maße Länge 103,5 cm / Breite 22,5 cm / Höhe 2,5 cm

Beschreibung Gut erhaltenes, kaum korrodiertes Schwert mit feingliedrigem Gefäß und einem in der Abb. 21 Knauf mit abgetiefter Kreisfläche mit Seitensicht typologisch charakteristischen Resten eines erhabenen Kreuzes oktogonalen Knauf. Im abgetieften kreis- (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 3940) förmigen Zentrum sind Reste eines erhabe- nen Kreuzes erkennbar. Die im Querschnitt überwiegend rautenförmige Klinge ist ge- sches Schwert, Erwerbungsart: Ankauf bei streckt triangulär mit langem spitzem Ort. Ernst Schmidt, München, Pfandhausstr. 5, In der Klinge sind noch recht gut Reste einer Preis: 3892 m 50 d, Ankauf genehmigt mit feinen Einlage aus Buntmetall in Form ei- Min. Entsch. v. 28.7.1921 No. 32963 s. b. No. nes stilisierten Wolfes zu erkennen. Wenige 448/21“ Zentimeter weiter in Richtung Ort ist eine zweite Einlage festzustellen, die sich wahr- Lokalbestandsbuch (A-Buch, 1. Band, Baye- scheinlich als die eingerollte Spitze eines Bi- risches Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01. schofsstabes deuten lässt. Dies spräche für 27a-c), Eintrag Nr. 3940: „ein Schwert; eine Enstehung des Schwertes in Passau. Griffschallen[!] aus Holz, deutsch, 14. Jhd. Länge [kein Eintrag] cm“ Provenienz und Erwerbungsgeschichte am 3. August 1921 im Kunsthandel erwor- Literatur (Auswahl) ben (Ernst Schmidt, München) Glaser, Wittelsbach, S. 171, Kat. 244; Paggiarino/Schönauer, The Bavarian Inventare Army Museum, S. 63-65 und S. 252. Zugangsbuch 3 (Bayerisches Armeemuse- um, Inv.-Nr. HA.05.01.93), Eintrag 21086: Ausstellungshistorie „1 frühgotisches Schwert Preis 3892,50 M; 14. Juni bis 5. Oktober 1980 3.8.1921 Ankauf von Ernst Schmidt Mün- Ausstellung „Wittelsbach und Bayern. chen, Pfandhausstr. [heute Pacellistraße] 5“ Die Zeit der frühen Herzöge von Otto I. zu Ludwig dem Bayern“ auf der Burg Traus- Sammlungsbelege 1921 (Bayerisches Ar- nitz in Landshut meemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01.62), Beleg Nr. 63: „Eingetragen unter Inv.Nr. 21086; seit 3. Juni 2019 München, 3. August 1921. Den Sammlun- Ständige Ausstellung „Schatzkammer“ gen des Bayer. Armee-Museums. Abteilung: des Bayerischen Armeemuseums Aeltere Zeit, wird überwiesen: 1 frühgoti- in Ingolstadt 120 | Alfred Geibig: Drei Schwerter

Anmerkungen 18 Vgl. ebenda, S. 232. 19 Dergestalte Parierstangen entsprechen wohl 1 Vgl. Geibig, Beiträge, S. 100-102. Oakeshotts Typ 2. Für diese nimmt er eine 2 Vgl. dazu auch Szameit, Karolingische Waf- Entstehung zwischen 1200 und 1350 an (Oa- fenfunde, S. 385-412 und dort vor allem die keshott, Archaeology, S. 232 f., Abb.113). Der Schwerter von Tauchendorf, St. Georgen, Verfasser erwartet derartige Stücke vor allem Sierninghofen und Hainbuch. im 13. Jahrhundert. Allerdings spricht die ge- 3 Bei karolingischen Schwertern scheinen die ringe Länge des hier vorliegenden Stückes Scheiden, soweit derzeit beurteilbar, im für einen besonders frühen Fertigungszeit- deutschsprachigen Raum alle annähernd punkt (Geibig, Beiträge, S. 158), so dass eine gleichartig aufgebaut und gestaltet gewesen Entstehung des Stückes im letzten Viertel des zu sein. Dabei erlauben Scheidenbefunde bei 12. Jahrhunderts nicht ausgeschlossen wer- typologisch eng verwandten nordrhein-west- den sollte. fälischen und niedersächsischen Stücken, vor 20 Vgl. Geibig Beiträge, S. 152. allem aus Schortens, Cleverns, Aurich, Zetel, 21 Vgl. beispielhaft die Schwertknäufe mit Buxtehude und Lankern, eine recht zuverläs- Kreuzsymbolen bei Oakeshott, Archaeology, sige Rekonstruktion. Deshalb erscheint auch S. 322, S. 324, Abb.164; Wagner, Hieb- und bei dem hier zu behandelnden Stück, das Stichwaffen, S. 56; Müller, Europäische Hieb- ebenfalls dieser Typenfamilie zugehörig ist, und Stichwaffen, S. 28 f., S. 164, Abb. 21, ein entsprechender Aufbau durchaus wahr- S. 167, Abb. 23 und Aleksic, Medieval Swords, scheinlich. Zum Aufbau von karolingischen S. 55, Abb. 18, Pl. 3, Abb. 2, Pl. 11, Abb. 3 u. 4. und auch späteren mittelalterlichen Scheiden Daneben finden sich diverse weitere dekora- vgl. Geibig, Beiträge, S. 104-111. tive Dekore, häufig in kreisförmigen Eintie- 4 Vgl. ebenda, S. 109, Abb. 29. fungen innerhalb der Flachseiten von Schei- 5 Maße: Gesamtlänge Gefäß: 16,1 cm, Griffwei- benknäufen. Besonders oft lassen sich dabei te: 9,8 cm, max. Angelbreite: 3,0 cm, Knauf- heraldische Symbole bzw. Wappenschilder krone: 6,9 cm Länge, 1,21 cm Höhe; Knauf- feststellen Vgl. dazu beispielhaft Seitz, Blank- stange: 7,8 cm Länge, 1,8 cm Höhe; Parier- waffen, S. 148, Abb. 88 und Müller, Europäi- stange: 8,5 cm Länge, 1,7/1,9 cm Höhe. sche Hieb- und Stichwaffen, S. 159, Abb. 9. 6 Vgl. Ypey, Europäische Waffen, S. 381. 22 Vgl. beispielhaft die teilweise sehr reduzier- 7 Vgl. dazu Geibig, Beiträge, S. 112 f. mit weite- ten Einlagen, die als Bischofskrümme gedeu- ren Erläuterungen und Literaturhinweisen. tet werden könnten: Müller, Europäische 8 Vgl. dazu Jahnkuhn, Ulfberht-Schwert, S. 224 f; Hieb- und Stichwaffen, S. 381, Nr. 155; Glo- Kirpicnikov, Connections , S. 63; Emmerling, sek, Miecze, Kat. Nr. 319, 330 und 348, Tabl. Zur Technologie, S. 120 f. und Menghin, In- XIV, Kat. Nr. 437 und 439, Tabl. XVII. schriftenschwerter, S. 266-168. 23 Vgl. vor allem Huther, Passauer Wolfsklin- 9 Vor allem im 19. Jahrhundert wurde Furnier- gen. In dieser Arbeit setzt sich Huther inten- damast als dekoratives Element dünnschich- siv und umfassend mit den Passauer Wolfs- tig für die Laufaußenflächen von wertigen klingen (Wolfsmarken) auseinander. Schwer- jagdlichen Feuerwaffen, Büchsen und Flin- punkte dieser Arbeit liegen vor allem auf der ten, wieder entdeckt und erneut eingesetzt. Geschichte und der Entstehung der Passauer Läufe aus Volldamast fanden vor allem bei Marke, der handwerklichen Diversifizierung der Herstellung von osmanischen und weite- und dem mit dieser berühmten Marke ver- ren außereuropäischen Büchsen Verwendung. bundenen Legendenbildung. 10 Vgl. Ypey, Europäische Waffen, S. 387. 24 Vgl. Huther, Passauer Wolfsklingen, S. 44 f. 11 Gesamtlänge Gefäß: 24,5 cm, Parier- 25 Vgl. Oakeshott, Archaeology, S. 320 ff., Abb. stangenlänge 17,1 cm , derzeitiges Gewicht 161 und Scalini, A Bon Droyt, S. 122, Nr.17. 1150 g; Klinge: Länge 84,6 cm, max. Breite ca. 26 Vgl. dazu beispielhaft Oakeshott, Archaeolo- 4,7 cm. gy, S. 184, Abb. 6c und 7a. 12 Zu eisernen Einlagen in Form von vertikalen 27 Vgl. beispielhaft Seitz, Blankwaffen, S. 137; Balkenbündeln vgl. Geibig, Beiträge, S. 155. Wagner, Hieb- und Stichwaffen, S. 58 f.; Ko- 13 Vgl. ebenda, S. 87. vac, Le spade, S. 22, Nr. 15 und Aleksic, Me- 14 Vgl. ebenda, S. 153 f., Abb. 40. dieval Swords, S. 54-58. 15 Oakeshott, Archaeology, S. 184. Vgl. dort 28 Die überwältigende Mehrheit aller zeitgenös- auch die Abbildungen 6 c, d und 7a. Für diese sischen Kampfdarstellungen zeigen die Klingen nimmt Oakeshott eine Entstehung Schwerter in schlagender Funktion. Zwei eher zwischen 1130 und 1200 an. Zur Parallelisie- seltene Darstellungen, die möglicherweise rung mit der Typologie Oakeshotts vgl. Gei- eine Griffposition für den Stich zeigen, finden big, Beiträge, S. 146. Zum Vergleich der Ty- sich in der Makkabäer Handschrift Kloster St. pologien Geibig und Oakeshott siehe auch Gallen, um 925, heute Universitätsbibliothek Aleksic, Medieval Swords, S. 19-22, 29 und 82. Leiden, PER F 17, fol. 9r und 15v. 16 Vgl. Oakeshott, Archaeology, S. 224 f. 29 Für eine umfassende Beschäftigung mit den 17 Vgl. ebenda, S. 244, Abb. 121. historischen Fechttechniken und Schulen so Alfred Geibig: Drei Schwerter | 121

wie mit den funktionalen Geheimnissen und ken und Altbayern (Erlanger Forschungen A 26), morphologischen Vorgaben vgl. die ausführ- Erlangen 1980, S. 227-272. lichen Arbeiten von Johnsson, Schwert, S. 13- 15; ebenda S. 16-27; ebenda S. 28-40 und War- Müller, Heinrich u.a., Europäische Hieb- und zecha, Greif zu!, S. 27-46. Stichwaffen aus der Sammlung des Museums für Deutsche Geschichte, Berlin 1981.

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Alfred Geibig Von Hakenbüchsen und Prellhölzern Eine besondere Hakenbüchse vom Markt Schrobenhausen

Unter den zahlreichen Sammlungsstü- Stufe zu denen der deutlich längeren ers- cken des Bayerischen Armeemuseums ten Stufe um 45° verdreht sind. gibt es einige Objekte, die mehr sind als Die Mündung ist gestaucht, d.h. wulstar- einfache Zeitzeugen. Aufgrund ihrer spe- tig verstärkt. Die Laufseele ist auf ein Kali- ziellen morphologischen, technischen und ber von 22,5 mm gebohrt.1 Der Lauf selbst gebrauchsbedingten Merkmale können besitzt noch keine Schwanzschraube, was sie Geschichten erzählen, die über beson- zusammen mit der fehlenden angesetz- dere technische Kniffe, besondere Eigen- ten Zündpfanne und der relativ groben schaften und spezielle Verwendungswei- Endbearbeitung der Laufaußenflächen sen dieser Waffen Aufschluss geben. In für eine frühe Zeitstellung in die beiden einzelnen Fällen berichten sie aber auch letzten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts über tragische und vielleicht gar erschre- spricht. ckende Ereignisse, die ihren für uns an- Im Kammerbereich, direkt unter dem sonsten anonym bleibenden Besitzern Zündloch, findet sich ein langer, weit auf- oder Bedienern widerfahren sind. Um klaffender, waagerechter Riss, der von einer ein solch außergewöhnliches, besonderes kapitalen Laufsprengung zeugt (Abb. 2). Stück scheint es sich bei der hier zu behan- An der unteren Kante des Risses ist auf delnden Hakenbüchse zu handeln, einer Höhe der Zündloches ein nach außen schweren Handfeuerwaffe, die wohl aus gekehrter lippenartiger Rand festzustel- den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhun- len, der für eine abgesprengte, aus dem derts stammt (Abb.1). Material gearbeitete kleine Zündmuschel Doch bevor diese Schusswaffe ihre Ge- sprechen könnte, was den oben angenom- schichte zu erzählen beginnt, folgt zuerst menen zeitlichen Ansatz zu bestätigen eine sachliche und technische Beschrei- scheint. bung des Stückes. An der Endkante des hinteren Laufendes, Die Waffe besteht aus zwei Hauptkompo- auf die obere Facette gesetzt, findet sich nenten, einem schmiedeeisernen Lauf und eine massive Kimme mit leicht abfallen- einem hölzernen Schaft. Der zweistufige den Flanken und mit vertikalem Visie- Lauf ist achtfach facettiert, wobei die Flä- rungsschlitz. Ein Korn am Mündungsende chen der kammernahen kurzen hinteren des Rohres scheint nicht angelegt zu sein. Der Lauf ist in einen Schaft, möglicherwei- se aus Eichenholz,2 gebettet und an seinem Abb. 1 a und b Hakenbüchse aus vorderen Ende durch eine bandförmige Ei- Schrobenhausen (rechte und linke Seite) mit verkürztem Kolben, wohl Ende 15. Jahrhundert senzwinge mit ihm fest verbunden. Hier- (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 172) bei scheint es sich um eine „provisorische“ 124 | Alfred Geibig: Von Hakenbüchsen und Prellhölzern

Abb. 2 Detailaufnahme des Kammerrisses (Inv.-Nr. A 172)

Reparatur zu handeln, denn im Schaft ist bei um Reste eines altertümlichen me- eine Bohrung angelegt, die auf einer Seite chanischen Zündmechanismus handelt, allerdings weggebrochen ist (Abb. 3). dessen sehr simple Bügelmechanik außen Eine korrespondierende Bohrung in der an den Schaft montiert war. Dabei wur- Basis des massiven angeschweißten Ha- de ein starr mit dem Bügel verbundener kens auf der Laufunterseite ermöglichte oder auch integraler einfacher Hahn zur es ehemals, beide Elemente mittels eines Aufnahme einer Lunte oder eines Zünd- Stiftes miteinander zu verbinden. schwammes lediglich über einen auf der Der sich verjüngende Bügel zeigt eine ver- Achse gelagerten ein- oder mehrteiligen tikale kammerseitige Linienführung, wäh- Bügel angesteuert (Abb. 4). Durch diese rend sich die vordere Vertikallinie in einer damals recht neuartige Zündhilfe konnte doppelten Bogung hinunterzieht. ein Schuss vom Hakenbediener gegebe- Eingelassen in den Schaft, hinter und nenfalls selbstständig ausgelöst werden. unterhalb des Zündloches, finden sich Da der ins Prellholz eingehängte Haken möglicherweise Reste einer Drehbasis den Rückstoß kompensierte, war ein fes- (Abb.1). Es ist denkbar, dass es sich hier- ter beidhändiger Griff durch den Schüt-

Abb. 3 Mündung links. Am vorderen Ende des Schaftholzes deutlich sichtbar der Ausbruch und die damit in Verbindung stehende Reparatur in Form einer eisernen Bandzwinge (Inv.Nr. A 172) Alfred Geibig: Von Hakenbüchsen und Prellhölzern | 125

Abb. 4 Einfache Zünd- mechanik an einer maximilianischen Hakenbüchse (Bayerische Staatsbibliothek, Cgm. 599, fol. 10r) zen nicht notwendig. Einen speziellen chen ohne weitere heraldische Symbole Zündassistenten dürfte es deshalb wahr- darstellen könnte (Abb. 7). scheinlich nicht gebraucht haben, ein sol- Als Herstellermarke ist diese zumindest cher könnte aber im Sinne eines besseren nicht bekannt. Mit der Stadt selbst ist das Ablaufes dennoch eingesetzt worden sein „Wappen“ ebenfalls nicht direkt in Ver- (Abb. 5). bindung zu bringen. Das Stadtsymbol von Vergleicht man nun die zwei weiteren Ha- Schrobenhausen setzt sich nämlich aus ei- kenbüchsen aus Schrobenhausen mit den nem Bärenkopf und den bayerischen Rau- Inventarnummern A 173 und A 174, die im gleichen Jahr in das Bayerische Armee- Abb. 5 Hakenbüchsenschütze mit Zündassistent museum gelangt sind, so lassen sich dort (Zeitreise auf der Veste Coburg 2005) keine Spuren einer etwaigen Zündmecha- nik feststellen (Abb. 6). Diese haben ihr eingetieftes Zündloch im oberen Scheitel des Rohres und benötigten zur Zündung der Ladung zumindest eine weitere Hand bzw. eine zweite Person als Assistenten (Abb. 5). Der Schaft unseres Stückes wiederum ist an seinem hinteren Ende stark verkürzt und weist statt eines gestreckten Kolbens oder einer „Stange“ (Abb. 1) lediglich eine horn- oder hakenartige, spitz zulaufende kurze Achselrast auf. Ähnlich verhält es sich bei den beiden anderen Hakenbüch- sen aus Schrobenhausen (Abb. 6). Mit 11,6 kg ist die an dieser Stelle zu be- handelnde Büchse vergleichsweise leicht und damit von einem einzelnen Mann trag- und handhabbar. Mit einer Länge von „nur“ 108 cm ist sie für eine solche Waffe zudem relativ kurz. In die obere Facette des Rohres ist eine Marke geschlagen, die einen nach links schreitenden, wohl feuerspeienden Dra- 126 | Alfred Geibig: Von Hakenbüchsen und Prellhölzern

Abb. 6 a und b Zwei weitere Hakenbüchsen ten zusammen. Vielleicht lässt sich die Si- aus Schrobenhausen mit stark verkürzten Kolben (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nrn. A 173 und gnatur ja mit einer im Umfeld oder in der A 174) Stadt ansässigen Adelsfamilie in Verbin- dung bringen.3 Zieht man die morpholo- gisch sehr ähnlichen weiteren Stücke aus Schrobenhausen hinzu, so lässt sich auf Inv.-Nr. A 174 die „Wiederkreuzmarke der Büchsenmacherfamilie Pögel feststel- len (Abb. 8).

Zwei weitere Hakenbüchsen

Stilistisch wie auch zeitlich liegt die Ha- kenbüchsengruppe aus dem Markt Schro- benhausen zwischen den Tüllenhaken von 1485 (Peter Pögel) und den maximiliani- schen Kurzhaken von 1498/1500 ff. (Sebald 4 Abb. 7 In das Rohr geschlagene Marke der Pögel). Dabei handelt es sich um ein ge- Hakenbüchse mit der Inv.-Nr. A 172 schmiedetes Rohr, das in einer integralen Tülle endet, in die ein kräftiger Holzstock zur Handhabung eingeschoben ist. Ein Abb. 8 Wiederkreuzmarke der Familie Pögel (Steiermark) auf der Hakenbüchse aus maximilianischer Kurzhaken ist ein ver- Schrobenhausen (Inv.-Nr. A 174) gleichsweises kurzes Rohr, das in einen Schaft mit anhängendem Kolben eingebet- tet ist. Damit wäre bei diesen Waffen und damit auch bei dem hier zu behandelnden Stück eine steiermärkische Provenienz denkbar. Eine Produktion dort und eine Lieferung nach Schrobenhausen ist bei einer Entfernung von ca. 350 km Luftlinie durchaus denkbar. Was kann uns die Büchse nun erzählen? Da ist zum einen das Gewicht der Waffe von 11,6 kg, das darauf hindeutet, dass Alfred Geibig: Von Hakenbüchsen und Prellhölzern | 127 damit wohl kaum frei aus dem Stand ge- Für das Schießen mit Hakenbüchsen6 gab schossen wurde. Ein wichtiges Detail ist es zum einen sogenannte Schießladen, ein- der Haken an der Unterseite der Waffe, fache, halbwegs mobile Holzgestelle zum der wohl zum „Einhaken“ in ein Auflager Einlegen der Waffe (Abb. 9), vergleichbar diente, das als sichere Auflage des schwe- einer Lafette für Geschütze, zum anderen ren Gerätes diente und so das Zielen ver- aber vor allem sogenannte Prellhölzer, die einfachte. Zum anderen übertrug der Ha- in entsprechende Aussparungen in den ken den sicherlich nicht unbeträchtlichen Seitenwangen von Schießscharten einge- Rückstoß der Waffe auf ein Prellelement, legt, eingeklemmt oder eingemörtelt wa- das letztlich die für den Schützen unange- ren (Abb. 10). nehme schlagende Rückwärtsbewegung Die meisten dieser Prellhölzer sind in- kompensierte.5 zwischen verschwunden, wurden im

Abb. 9 Schwere Handbüchse mit Schütze und Zündassistenten (Bayerische Staats- bibliothek, Cod. icon. 222, fol. 72r) 128 | Alfred Geibig: Von Hakenbüchsen und Prellhölzern

Abb. 11 Glurns (Meran, Südtirol) Eingemörteltes Prellholz in einer Mauerscharte der Stadtbefestigung

ten9 oder unterschiedlich großen recht- eckigen Ausschussfenstern mit und ohne hölzerne Laden, die vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit nachzuweisen sind.10 So findet sich ein eindrucksvolles Bei- spiel für eingemörtelte Prellhölzer u.a. in Glurns (Südtirol) (Abb. 11). Dabei ist das ursprünglich ungefähr mittig in die Schar- tenöffnung gesetzte, wohl originale Prell- Abb. 10 Schnittdarstellung des Hakenbüchsen- 11 turms der Burgruine Lichtenstein (Bayern) holz untermauert. Ob die Untermaue- (Ausführung: Roger Mayrock nach Vorgaben und rung zeitgenössisch ist, lässt sich derzeit Aufmaßen von Joachim Zeune) nicht klären. In das Prellholz gearbeitet ist eine eckige Aussparung, in die eine Ha- kenbüchse mit unten am Schaft herausste- Zuge von Umbauten oder späteren Res- hendem eisernen Haken eingelegt werden taurierungen entfernt bzw. durch even- konnte. Die Aussparung ermöglichte es tuell angelegte Lager überformt. Einige wenige sind allerdings überliefert; auch Abb. 12 Glurns (Meran, Südtirol) einige der Einlegführungen haben sich In derselben Mauer wie Abb. 11 ein lediglich in der noch bis in unsere Zeit erhalten. So kann Mörtelung erhaltener Abdruck eines vergangenen der aufmerksame Beobachter bisweilen oder herausgenommenen Prellholzes beim Besuch von Burgruinen oder städ- tischen Befestigungsanlagen organische Reste und Spuren von Lagern und Füh- rungsrinnen erkennen. Man findet sie als nachträgliche Modifikation bei mittelal- terlichen Schlitzscharten (Abb. 10)7, die ehemals für den Gebrauch von Armbrust oder Bögen konzipiert waren, bei soge- nannten hussitischen Senkfußscharten, typisch für das 15. Jahrhundert,8 oder aber in Verbindung mit Schlüsselschar- Alfred Geibig: Von Hakenbüchsen und Prellhölzern | 129 zudem, die Waffe depressiv abzufeuern, das heißt, in einem steilen Winkel nach unten. Dies konnte bei ganz bestimmten Bedingungen, z. B. zur Bestreichung des an die Mauer anschließenden Grabens, notwendig gewesen sein. In einer weiteren Scharte der gleichen Stadtbefestigung finden sich nur noch die Einbauabdrücke des ehemaligen Prellhol- zes (Abb. 12). Als weitere Variante zu nennen sind in der Regel rechteckig ausgearbeitete, mehr Abb. 13 Burg Augstein (Wachau, Österreich) oder minder tiefe Aussparungen in den Aussparungen in den Seitenwangen ermöglichen Seitenwangen der Scharten, in die Hölzer das Einschieben loser Hölzer. lose eingeschoben und wohl meist auch verkeilt worden sind (Abb. 13). Derarti- ge Prellhölzer waren bei Bedarf schnell einzubauen und ggf. auch wieder zu ent- fernen. Diese Art der Einlage ist die am häufigsten nachweisbare.12 Unter diesen Befunden mögen sich allerdings auch sol- che verbergen, bei denen das Prellholz ursprünglich eingemörtelt war, dann aber verloren gegangen ist und deshalb eine rechteckige Vertiefung hinterlassen hat. Zur gleichen Lagerfamilie gehörig, aber aufwändiger und raffinierter gearbei- Abb. 14 Schlüsselscharte auf der Burganlage tet sind Prellhölzer, die über eine in die von Ottrott (Elsass) Schartenwangen gearbeitete Führung in Deutlich sichtbar ist die exakt ausgearbeitete ihr Lager geschoben werden konnten. Führungsrinne zum sicheren Einlegen eines Prellholzes. (Abb. 14). Bei diesen ist eine Zwangsfi- xierung in ihrem Lager gegeben, so dass eine eventuelle Verkeilung und Einmörte- Abb. 15 Veste Coburg, Erster Mauerturm, lung entfallen kann. Sie sind sehr schnell unteres Geschoss mit eingesetztem Balkenschirm ein- und auszubauen. Eine der eindrucks- mit Schartenausschnitten (1420er Jahre) vollsten Ausführungen lässt sich auf einer ursprünglich staufischen Burganlage bei Ottrott (Elsass) feststellen.13 Die markant ausgearbeiteten „zwangsgeführten“ Lager lassen sich dort in den Schartenwangen einer Schlüsselscharte, ideal zum Einsatz von Feuerwaffen, besonders von Haken- büchsen, beobachten. Zu sehen ist auf der linken Seite ein ungefähr kreisrundes Loch, in welches das in der Länge für die eigentliche Schartenbreite übermaßige Prellholz eingesteckt wird. Dann dürf- 130 | Alfred Geibig: Von Hakenbüchsen und Prellhölzern

Abb. 16 Schwere, proviso- risch auf eine spätere Radlafette montierte Büchse, die durch eine massive Kammeraussprengung irreparabel beschädigt wurde. (NordJURA-Museum Weismain, Bayern) te das Holz in einer schräg verlaufenden Büchsen geschoben werden, die ihren Wi- Rinne bis zu dem sackartigen eigentlichen derhalt mittels des Hakens an der Außen- Lager geführt und dort ausweichsicher kante des darunterliegenden Balkens fan- eingelegt worden sein. den. Nur sehr wenige Balkenschirme sind Die mit Sicherheit aufwändigste Form ei- bis heute überliefert; etwas häufiger sind nes hölzernen „Scharteneinbaus“ waren ihre Einbauspuren in Form senkrechter sogenannte Balkenschirme. Mit ihnen, balkenbreiter Nuten in den Seitenwangen bestehend aus übereinander gesetzten von Scharten und Schießkammern.14 Balken, konnten größere Scharten bzw. Diese hier aufgeführten Beispiele sollten Schießfenster in ihren Öffnungen begrenzt für die Beschreibung der möglichen Ein- werden. Wohl einer der besterhaltenen satzumgebung des Schrobenhausener Ha- Balkenschirme (möglicherweise sogar der kens genügen. Wenden wir uns jetzt sei- beste überhaupt) findet sich in einem der nen äußeren Eigenheiten zu: Auffällig ist südlichen Mauertürme des äußeren Be- der stark eingekürzte Kolben. Nach dem rings der Veste Coburg. Dendrochronolo- Merksatz „Form folgt Funktion“ scheint gisch datiert dieser in die 20er Jahre des 15. es sich bei diesem Stück, und das gilt Jahrhunderts (Abb. 15). Diese Schutzblen- auch für die beiden anderen Exemplare, de besteht aus fünf waagrecht überein- um eine „handhabungsoptimierte“ Feu- andergelegten Balken unterschiedlicher erwaffe für den Gebrauch in engen Akti- Höhe, die zu beiden Seiten in vertikale onsräumen wie gedeckten Wehrgängen Mauernuten greifen. oder ähnlichem zu handeln. Der zu einer Eine waagrechte Aussparung von 11 x 82 kurzen spitzen Nase verkürzte Kolbenbe- cm in der Unterseite des dritten Balkens reich lässt sich sehr gut auch für Depres- von oben bildet einen langen rechteckigen sionsschüsse verwenden. Für das steile Schlitz, der eine im Vergleich zur Schar- „Nach-unten-Schießen“ gibt es vor allem tenöffnung stark reduzierte Ausschuss- für das 15. Jahrhundert entsprechende öffnung bildet. Durch diese konnten u.a. Scharten, aus denen man recht steil ab- Alfred Geibig: Von Hakenbüchsen und Prellhölzern | 131 wärts schießen und somit etwaige Tot- rung des Kammerdruckes bewirkt hätte.16 winkel verkürzen konnte. Gleiches gilt für Da Büchsen von Pögel, und zumindest Streichwehren und die Frontalscharten in eine der drei Schrobenhausener Büchsen Mauerberingen, die innenseitig zu Cont- weist sich als eines seiner Produkte aus,17 rescarpen gebaut waren. Entsprechende mit geschmiedeten Eisenkugeln geschos- Scharten werden bildhaft als „Hussitische sen wurden, ist von einer geringeren Mas- Senkscharten“ bezeichnet, ein Begriff, den se als bei dem Gebrauch von Bleiprojekti- Achim Zeune schon seit einigen Jahren len auszugehen.18 Schon aus Nachschub- gebraucht.15 Derartige Scharten datieren gründen oder auch einfach wegen der wohl in die Zeit der ersten Hälfte 15. Jahr- leichteren und üblicheren Eigenprodukti- hunderts und gehen einigermaßen mit on von Bleikugeln ist der Einsatz von Blei- dem Alter der ab 1392 zur ringförmigen projektilen als üblicheres Verfahren anzu- Festung wieder aufgebauten Stadt Schro- sehen. Mit ihrer deutlich höheren Masse benhausen konform. Aber auch nachfol- und damit höherer Beharrung und in der gende vertikale Schlitzscharten und ihre Konsequenz auch wahrscheinlich höhe- alten Vorgänger, die langen vertikalen rem Druckaufbau in der Kammer ist dies und in der Folge für Feuerwaffen modifi- als vierte Unfallursache ebenfalls denkbar. zierten ursprünglichen Bogenscharten mit Interessanterweise hat man das Stück eingesetzten Prellhölzern ermöglichen ein nicht recyclet, sondern aufbewahrt. War- steiles Schießen, bei dem das hintere Ende um? Andenken an einen Unfall oder Ma- des Hakens erheblich gelupft werden terialreserve? musste (Abb. 10). Im Prinzip konnte der Haken vom Schüt- Da sicherlich nicht jede Scharte und Kam- zen über eine simple Drückermechanik, mer mit Feuerwaffen bestückt werden die einen Zündschwammhalter bewegte, konnte, und dies gilt im Besonderen für und diese schien zumindest ursprünglich kleinere Wehrarchitekturen, war eine hohe angelegt gewesen zu sein, alleine bedient Mobilität eine gute Kompromisslösung. werden. Da der ins Prellholz eingehängte Deutlich mehr Energie konnte nur mit grö- Haken den Rückstoß kompensierte, war ßerkalibrigen Lege- und Tarrasbüchsen an ein fester beidhändiger Griff durch den den Gegner gebracht werden, wobei hier Schützen ebenfalls nicht notwendig. Dies eine deutliche Reduktion der Mobilität in gilt vor allem bei händischer Zündung mit Kauf genommen werden musste Loseisen oder Lunte. Wahrscheinlich führ- Dann ist da die Kammersprengung, die te die Sprengung zumindest zu erhebli- zur Beendigung der aktiven Verwendung chen Verletzungen des Zündarms und des des Schrobenhausener Hakens der Samm- Gesichtes des Schützen. Hatte es vielleicht lung des Armeemuseums führte (Abb. 2). zur Sicherheit noch einen zusätzlichen Hierbei handelt es sich um ein Ereignis, Zündassistenten gegeben, was zu jener dass in damaliger Zeit nicht allzu selten Zeit und bei einem depressiven Einsatz, vorkam (Abb. 16). also einem stark nach unten gerichteten Nach Meinung des Verfassers kommen Rohr, nicht auszuschließen ist, so wäre vor allem drei Gründe für den Schaden auch bei diesem mit erheblichen, vielleicht in Frage: Erstens eine Materialschwäche gar tödlichen Verletzungen zu rechnen. (Lunker oder Schmiede-/Schweißfehler), Damit ist die Schrobenhausener Haken- zweitens eine (unbeabsichtigte) Mehrfach- büchse vielleicht das gruselige Zeugnis ladung, und drittens eine beabsichtigte eines für die Betroffenen schrecklichen oder auch eine unbeabsichtigte Ladung Unfalls in alter Zeit. mit Leerraum, die eine erhebliche Steige- 132 | Alfred Geibig: Von Hakenbüchsen und Prellhölzern

Hakenbüchse Inv.-Nr. A 172

Datierung Süddeutsch / Steiermark (?) , Ende 15. Jahrhundert

Material Eisen, Holz

Maße Höhe 15 cm / Breite 10,5 cm / Länge 108 cm Bohrung (Durchmesser) 2,25 cm Gewicht 11,6 kg Abb. 17 Mündung der Hakenbüchse Kaliber 22,5 mm (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 172)

Beschreibung Hakenbüchse mit schmiedeeisernem, acht- Im Schaft, hinter und unterhalb des Zünd- fach facettiertem zweistufigem Lauf. Die loches, möglicherweise Reste einer Dreh- beiden Stufen sind im 45°-Winkel zu ei- basis für einen Zündmechanismus in Form nander verdreht. Gestauchte und wulstar- einer einfachen Bügelmechanik zur Auf- tig verstärkte Mündung. nahme einer Lunte oder eines Zünd- Gebohrter Lauf mit einem Kaliber von 22,5 schwamms. mm. Eine Schwanzschraube ist noch nicht angelegt. Die Mündung ist gestaucht, d.h. Provenienz und Erwerbungsgeschichte wulstartig verstärkt. Massive Kimme mit am 2. November 1904 durch Tausch mit leicht abfallenden Flanken und mit verti- dem Markt Schrobenhausen in das Bay- kalem Visierungsschlitz. erische Armeemuseum übernommen, da An den Unterlauf geschweißter massiver die Schäftung in der Geschichte der Ent- Haken mit gerader kammerseitiger Hin- wicklung der Feuerwaffen eine bestimmte ter- und gebogter Vorderkante. Stufe darstellt, die in der Sammlung noch Im Kammerbereich, direkt unter dem nicht vertreten war. Zündloch, ein langer, weit aufklaffender, waagrechter Riss, der von einer kapitalen Inventare Laufsprengung zeugt. Zugangsbuch 1 (Bayerisches Armeemu- In der Laufoberseite eine derzeit nicht seum, Inv.-Nr. HA.05.01.91), Eintrag 172: deutbare Marke, die einen nach links „eine Hakenbüchse, 2.11.04 Tausch Ma- schreitenden, wohl feuerspeienden Dra- gist. Schrobenhausen“ chen oder auch einen Löwen, Leoparden oder Panther darstellen könnte. Sammlungsbelege 1902-1904 (Bayerisches Provisorisch mit einer eisernen Bandzwin- Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01.57), Be- ge reparierter Schaft, möglicherweise aus leg Nr. 81 (für das Jahr 1904): „Verzeichnis Eichenholz. Das speziell zugerichtete sehr der mit Genehmigung des K. Gen. Stabes kurze konische Kolbenende spricht für No. 1711/04 abgeschlossenen Täusche“: den mobilen Gebrauch in beengten Räu- Nr. 6810 „3 geschäftete Hakenbüchsen, men wie Schießkammern und Wehrgän- vom Stadtmag. Schrobenhausen“ gen. Alfred Geibig: Von Hakenbüchsen und Prellhölzern | 133

Lokalbestandsbuch (A-Buch, 1. Band, Baye- Ausstellungshistorie risches Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01. 1905 bis 1942/43 27a-c), Eintrag Nr. 172: „Hakenbüchse, 8 Dauerausstellung des Bayerischen Ar- kantiger 88 cm langer Lauf aus Schmiede- meemuseums im alten Museumsgebäude eisen, gekerbter Mündungsbund, seitliche im Hofgarten in München Zündung, rohgeschnittener Schaft aus Ei- chenholz, Kaliber 25 mm, Marke“ Mai 1972 bis 31. August 2014 Dauerausstellung des Bayerischen Literatur (Auswahl) Armeemuseums in Ingolstadt Vizthum, Von Feuerwaffen; Fahrmbacher, Führer, S. 37. seit 3. Juni 2019 Ständige Ausstellung „Schatzkammer“ des Bayerischen Armeemuseums in Ingolstadt

Abb. 18 Eintrag der drei Hakenbüchsen im Lokalbestandsbuch (A-Buch, 1. Band, Bayerisches Armeemuseum HA.05.01.27a-c) 134 | Alfred Geibig: Von Hakenbüchsen und Prellhölzern

Anmerkungen Zur Problematik rezenter Prellhölzer vgl. besonders Geibig/Zeune, Wider die ver- 1 Dieses und weitere technische Details ver- dampten keczr, Anm. 21. danke ich Herrn Dr. Wilfried Tittmann, der 12 Derartige Spuren (mindestens in drei Fällen) sich in seiner Dissertation „Die Nürnberger finden sich auf der Burg in Wertheim (Baden- Handfeuerwaffen vom Spätmittelalter bis Württemberg), auf der Burg in Burghausen zum Frühbarock“ ausführlich und kenntnis- (Bayern), einer nicht benennbaren Burgruine reich mit Feuerwaffen dieser Zeitstellung be in der fränkischen Schweiz, auf der Burg See- schäftigt hat. benstein (Niederösterreich), auf Burg Agg- 2 Die Holzart ist über ihre verwaschene Ober- stein (Niederösterreich), Burg Falkenstein fläche nur sehr schwer bestimmbar. Unter (Oberpfalz), auf der Marksburg am Mittel- den in Frage kommenden Gebrauchshölzern rhein (Rheinland-Pfalz), in der Festung Zavas- spricht die Struktur am ehesten für Eiche. din (Kroatien) sowie eventuell in Sesslach Diese Einschätzung verdanke ich Herrn Ans- (Oberfranken). gar Geibig. 13 Als weitere im funktionalen Sinne vergleich- 3 Denkbar wäre auch das Stadtwappen von bare Prellholzlager lassen sich Vertikalnuten Ingolstadt, ein feuerspeiender, blauer Pan- in Schartenwangen in der Stadtmauer von ther auf silbernem Grund. Allerdings ist dies Dinkelsbühl anführen. Hier wurden die Bal- eine ausschließlich visuelle Verbindung, die ken lose eingelegt. Technisch ist es aber auch sich mit Quellen nicht belegen lässt. möglich, dass zur kompletten Schließung der 4 Vgl. dazu vor allem Tittmann, Nürnberger Scharte hier mehrere Balken übereinander Handfeuerwaffen, S. 95 ff., der sich einge- eingelegt werden konnten (vgl. Anm. 6). hend mit der Büchsenmacherfamilie Pögel 14 Neben dem komplett erhaltenen Balken- und der Steiermark als Herstellungsort frü- schirm lassen sich auf der Veste Coburg in her eiserner Hakenbüchsen auseinandersetzt. zwei weiteren Türmen noch Spuren von Bal- 5 Vgl. Geibig/Zeune, Wider die verdampten kenschirmeinrichtungen in Form vertikaler keczr, S. 185 ff. Nuten in den Seitenwangen von zwei Schieß- 6 Zum Einsatzort und Gebrauch vgl. Geibig, fenstern feststellen (vgl. Geibig/Zeune, Wider Waffen im Alltag, S. 189 f. und auch Geibig/ die verdampten keczr, S. 198-201, Abb. 19-21 Zeune, Wider die verdampten keczr. und Geibig, Waffen im Alltag, S. 189, Abb. 13). 7 Vgl. ebenda, Abb. 1. Deutlich schmalere Nuten, die aber auch zum 8 Vgl. ebenda, Abb. 8. schichtigen Einlegen von Balken geeignet 9 Vgl. ebenda, Abb. 10-11. sind, finden sich in Scharten der Stadtmauer 10 Vgl. ebenda, Abb. 15. von Dinkelsbühl. Weitere vertikale Einlege- 11 In ähnlicher Weise eingesetzte Prellhölzer las- nuten sind bei einer Scharte auf der Rhein- sen sich beispielhaft noch weitere Male in pfalz bei Kaub erhalten. Dort scheint es sich Glurns (Südtirol) feststellen. Auf Burg Plesse um eine Teilbeschirmung gehandelt zu ha- (Niedersachsen), findet sich, tief in der Boden- ben. Zumindest eine in einer Führung zu fläche einer rechteckigen Scharte der Burg- schiebende Schirmblende in Form eines kräf- anlage, ein im Querschnitt gerundetes Holz, tigen, breiten Holzbalkens lässt sich hinter das eventuell ein vermauertes Prellholz sein einer Scharte in der Standbefestigung von könnte. Etwas überformte Spuren in min- Glurns (Meran, Südtirol) feststellen. Ein recht destens einer, wahrscheinlich aber zwei wei- großer, auf der Außenseite mit Eisen beschla- teren Scharten, sprechen zusätzlich für den gener Balkenschirm mit Ausschussöffnungen grundsätzlichen Einsatz von Prellhölzern. scheint sich auf der Burg Breuberg (Hessen), Weitere eingemörtelte Stücke finden sich auf erhalten zu haben. Eine persönliche Autopsie Burg Seebenstein (Niederösterreich). Auch steht dort noch aus. auf der Veste Coburg (Bayern) lassen sich di- 15 Vgl. Geibig/Zeune, Wider die verdampten verse in Scharten installierte Prellhölzer fest- keczr, S. 192-194. stellen. In einigen Fällen ist es aber nicht aus- 16 Zum Laden mit intentionellem Leerraum zuschließen, dass sie im Zuge der Restaurie- zwischen Treibmittel und Projektil in der rung der Anlage durch Professor Bodo Absicht einer Leistungsteigerung vgl. Titt- Ebhard in den ersten Jahrzehnten des 20. mann, Eltzer Büchsenpfeile, S. 60 und ders., Jahrhunderts (wieder-) eingebaut wurden. Büchsenwerk, besonders S. 155-157. Den Weitere, teilweise mit ausgesparten Rohr- Ausführungen Tittmanns folgend, wurde bzw. Schaftlagern versehene Prellhölzer in den Kunstsammlungen der Veste Co- lassen sich in der Stadtmauer von Bacha- burg das Laden von langsamen Mehlpul- rach am Rhein sowie in der Rheinpfalz bei ver mit entsprechendem Leerraum expe- Kaub nachweisen. Gleiches gilt für die Stadt- rimentell nachgestellt. Tatsächlich konnte mauer in Rothenburg o.d.T. Für die Befunde eine erhebliche Leistungssteigerung festge- auf der Veste Courg und Glurns vgl. Geibig, stellt bzw. nachgewiesen werden. Das Expe- Waffen im Alltag, S. 189, Abb. 3, 8- 11 und 12. riment ist beliebig reproduzierbar. Alfred Geibig: Von Hakenbüchsen und Prellhölzern | 135

17 Vgl. Tittmann, Nürnberger Handfeuerwaf- fen, S. 97. 18 Eisen hat ein Massegewicht von ca. 7,8 g, Blei dagegen von mehr als 11 g. Mit einem Ge- wicht von ca. 55 Gramm konnte mit dem Blei- projektil theoretisch eine beträchtliche kineti- sche Energie auf das Ziel einwirken. Eine Ku- gel gleichen Kalibers aus Eisen bringt es da- gegen nur auf ca. 38 Gramm.

Literatur

Essenwein, August von, Quellen zur Geschichte der Feuerwaffen, Leipzig 1877.

Hans Fahrmbacher, Führer durch das K. Bayer. Armeemuseum, 1905.

Geibig, Alfred, Waffen im Alltag auf Burgen im 15. und 16. Jahrhundert, in: Joachim Zeune (Hg.), All- tag auf Burgen im Mittelalter (Veröffentlichungen der deutschen Burgenvereinigung, Reihe B, Schrif- ten 10), Braubach 2006, S. 187-192.

Ders. / Zeune, Joachim, Wider die verdampten keczr. Hussitenzeitliche Schießscharten an Burgen des Coburger Landes und ihre Effizienz, in: Rein- hardt Butz und Gert Melville (Hg.), Coburg 1353. Stadt und Land Coburg im Spätmittelalter (Schrif- tenreihe der Historischen Gesellschaft Coburg e.V. 17), Coburg 2003, S. 179-205.

Hassenstein, Wilhelm, Das Feuerwerkbuch von 1420. Vonn Büchsen, Geschoß, Pulver, Fewer- werck... 600 Jahre deutsche Pulverwaffen und Büchsenmeisterei, München 1941.

Tittmann, Wilfried, Die Eltzer Büchsenpfeile von 1331/3 Teil 2, in: Waffen- und Kostümkunde 37 (1995), S. 53-64.

Ders., „Büchsenwerk“ – die Kunst, aus Büchsen zu schießen, in: Waffen- und Kostümkunde 42 (2000), S. 141-182.

Ders., Die Nürnberger Handfeuerwaffen vom Spätmittelalter bis zum Frühbarock. Der Beitrag Nürnbergs zur Militärischen Revolution der frü- hen Neuzeit, Graz 2018.

Vizthum, Werner, Von Feuerwaffen in der „guten“ alten Zeit, in: Heimat-Blätter der Schrobenhause- ner Zeitung (1996), S. 1-4.

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Tobias Schönauer Holz, Leder und Leinwand Eine Pavese mit dem Münchner Kindl

Schilde zählen mit zu den ältesten Ver- vesen eingelagert, 1449 in Nürnberg 209.8 teidigungswaffen der Menschheit.1 Im Die Beispiele zeigen, dass diese Schild- Laufe des Mittelalters entwickelte sich form im 15. Jahrhundert in Mitteleuropa eine Vielzahl an unterschiedlichen Arten, in großer Zahl verbreitet war. Im Verhält- die in Größe, Stärke, Gewicht und Form nis zu diesen einstigen Mengen sind nur stark variierten.2 Die stete Weiterentwick- wenige Exemplare erhalten geblieben. Sie lung der Körperpanzerung ging immer finden sich heute über die ganze Welt ver- mit einer entsprechenden Anpassung des streut. Vor allem Pavesen aus den Städten Schildes einher. Er wurde kleiner, hand- Klausen, Konstanz, Winterthur, Zwickau, licher und immer spezialisierter. So ver- Schongau oder Wien sind weltweit be- wendeten Berittene andere Formen und wahrt worden.9 Auch in der Sammlung Größen als Fußsoldaten. Ab dem 14. Jahr- des Bayerischen Armeemuseums sind Ex- hundert widmete man sich verstärkt auch emplare aus Wien und Schongau zu fin- dem Schutz der Infanterie, die bis dahin den.10 die gleichen Schilde wie die Reiterei ver- Namensgeber der Pavese war wohl die wendet hatte.3 In dieser Zeit kamen die so Stadt Pavia, deren militärische Bedeutung genannten Pavesen (früher auch als Tart- im 13. und 14. Jahrhundert ausschlagge- schen oder Handtartschen bezeichnet) wie bend gewesen sein könnte.11 Sicher ist dies die hier gezeigte in Gebrauch. jedoch nicht, denn es gibt weder größere Sie waren in den Städten des Mittelalters Bestände an Schilden aus dieser Stadt, weit verbreitet und finden sich auch heu- noch ist Pavia in archivalischen Quellen te noch in zahlreichen Museen.4 Erhaltene als Produktionsort für Schilde besonders Inventare zeigen, dass sie zu hunderten hervorgehoben.12 in Privathaushalten oder Zeughäusern für den Verteidigungsfall bereitgehalten Verwendung im Kampf, Form, wurden. So entfiel im Jahr 1466 „auf fast Aufbau und Funktion jedes Haus in Leipzig … mindestens eine Pavese“.5 Insgesamt wurden allein in die- Im 14. und 15. Jahrhundert kam es zu gro- ser Stadt 854 Stücke gezählt. In 319 der zu- ßen Veränderungen im Kriegswesen. Söld- gehörigen Dörfern fanden sich über 2000 nerheere, aber auch städtische und ländli- Pavesen.6 Das Wiener Zeughausinventar che Aufgebote gewannen gegenüber der spricht 1444 von „300 Tartschen (kleine Reiterei immer größere Bedeutung.13 Vor Schilde) rot grab (grau) vnd swarz vnd allem die Städte konnten innerhalb kurzer gelb“ sowie weiteren „111 gemalten Tart- Zeit größere Kontingente wehrhafter Bür- schen“.7 1462 waren in Augsburg 152 Pa- ger aufstellen. Alle männlichen Anwohner mussten sich auf eigene Kosten mit Waffen und Ausrüstung versehen, die im Falle ei- Abb. 1 Pavese mit dem Münchner Kindl, 14 Bayern (München), 1463 ner Musterung auch vorzuweisen waren. (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0009-2000) Später wurden auch städtische Zeughäu- 138 | Tobias Schönauer: Eine Pavese mit dem Münchner Kindl ser errichtet, in denen vor allem schwere Landeszeughaus Graz15 und das kürzlich Geschütze, aber auch Stangen- und Seiten- wiederhergestellte fürstliche Zeughaus waffen, Harnischteile, Schilde und ande- von Schwarzburg.16 Mit der Verbreitung res gelagert waren und in kürzester Zeit der Armbrust und später der Handfeuer- bereitgestellt werden konnten. Nur weni- waffen veränderte sich die Kriegsführung ge derartige Zeughäuser haben sich samt immer mehr.17 größeren Teilen ihres Inhaltes bis heute Die Schilde hatten sich seit dem beginnen- erhalten und geben einen Eindruck da- den 13. Jahrhundert immer mehr verklei- von, welche Masse hier verwahrt wurde. nert. Reiter und Fußsoldaten verwende- Genannt werden sollen stellvertretend das ten bis damals die gleichen Schildtypen.18 Durch die zunehmende Bedeutung der städtischen Aufgebote und der Söldner- Abb. 2 Belagerung einer Stadt, Detail aus: Rudolf von Ems, Alexander, 1. Hälfte des heere im Kampf entwickelten sich spezi- 15. Jahrhunderts elle Schilde für den Kampf zu Fuß. Zu- Der Armbrustschütze (unten Mitte) nutzt beim sammen mit Armbrustschützen tauchen Spannen der Waffe den Schild auf dem Rücken als Schutz vor gegnerischen Armbrustbolzen. Pavesenträger in Italien bereits im 14. Jahr- (Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 203, fol. 1v) hundert auf. Pavesen haben eine charakteristische Form und tragen häufig eine aufwändi- ge Bemalung mit dem jeweiligen (Stadt-) Wappen oder anderen Motiven.19 Dieser Schildtyp hat üblicherweise eine weitge- hend rechteckige Grundform, manchmal in Form eines Parallelogramms, mit einer bogenförmigen Oberkante. Zudem sind die meisten Exemplare gewölbt. Das im wahrsten Sinne des Wortes hervorste- chendste Merkmal ist jedoch der hohl aus- geformte Mittelholm oder Mittelgrat. Die Handhabe (also der Griff) auf der Rücksei- te hatte meist die Form eines großen T. Da- mit war es möglich, die Pavese direkt vor den Oberkörper zu halten. In diesem Fall nahm die Ausbuchtung den Arm des Trä- gers auf. Darstellungen zeigen auch, dass derartige Schilde über den Kopf gehalten wurden, wenn man sich z.B. bei einer Be- lagerung einer Mauer annäherte. So konn- te man sich wirksam vor Beschuss von oben schützen (Abb. 2). Aber auch als Wall kamen Pavesen zum Einsatz, wenn sich Fußsoldaten hinter einer Reihe derartiger Schilde vor dem anstürmenden Gegner schützten (Abb. 3).20 Zumindest aus der Zeit Kaiser Maximilians sind Abbildun- gen bekannt, in denen Kämpfer auch zum anderthalbhändigen Schwert eine Pavese Tobias Schönauer: Eine Pavese mit dem Münchner Kindl | 139

Abb. 3 Schildwall, Detail aus: Andreas Zainer, Chronik des Landshuter Erbfolgekrieges, 1. Viertel des 16. Jahrhunderts (Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 1598, fol. 138r) 140 | Tobias Schönauer: Eine Pavese mit dem Münchner Kindl

Um der Wucht eines abgeschossenen Armbrustpfeils standhalten zu können, reicht ein einfacher Holzschild jedoch nicht aus. So wurde bei Pavesen und an- deren Kampfschilden dieser Zeit eine Art von Komposittechnik verwendet. Man überzog den eigentlichen Holzkörper mit einem oder mehreren Materialien, was ihn widerstandsfähiger machte. Hierfür kamen „verschiedenste Materialien wie Sehnen, Rohhaut, Pergament, Leder oder Textilien zum Einsatz“.24 Bei großen Setz- schilden dieser Zeit, die in der Regel (fast) mannshoch waren, wurde hingegen eine Reihe verschiedenster Materialien – vor al- lem Tiersehnen – bis hin zu Glas verwen- det, was zu einer extrem starken Belastbar- Abb. 4 Unterer rechter Rand des Schildes. Hier 25 sind die einzelnen Schichten, aus denen sich die keit führte. Allerdings wird der Schild Pavese aufbaut, gut erkennbar dadurch sehr schwer. Bei Pavesen wurden deshalb vorwiegend nur Rohhaut, Perga- ment oder Leder sowie Textilien verwen- tragen.21 Es wäre also denkbar, dass die- det; und aus Gründen der Gewichts- und se Schildform auch mit einer Blankwaffe Kostenersparnis meist auch nicht alle Ma- zum Fechten im Kampf benutzt wurde. terialien gleichzeitig.26 Damit sind Pavesen Der Kern dieses Schildtyps besteht aus ei- leicht genug, um sie mit einer Hand gut nem Holzkorpus, der aus einem Stück he- führen zu können, aber stark genug, um rausgearbeitet oder aus mehreren Planken Beschuss standzuhalten. Beschädigungen zusammengesetzt wurde.22 Dabei konnten an Pavesen in anderen Sammlungen (z.B. die Bretter einfach Stoß auf Stoß verleimt, in Coburg) zeigen, dass diese Pavesen verdübelt, verblattet oder durch über- durchaus mit Armbrustbolzen beschossen blattete Leisten verbunden sein. Als Leim worden sind. Andere sind durch Stichwaf- schlug Teophilus Presbyter bereits im 12. fen oder Pfeile in Mitleidenschaft gezogen Jahrhundert für diesen Zweck witterungs- worden.27 Nur in einem Fall wurde der beständigen Kaseinleim vor.23 Schildkörper von einem Bolzen durch-

Abb. 5 Unterkante der Pavese, an der die drei miteinander verleimten Holzplanken zu sehen sind. Tobias Schönauer: Eine Pavese mit dem Münchner Kindl | 141 schlagen. Natürlich ist es denk- bar, dass Pavesen zerstört oder so stark beschädigt wurden, dass man sie aufgab. Aber die erhaltenen Stücke zeigen, dass sie eine Schutzwirkung gegen Pfeile und Armbrustbolzen hatten.

Der Schild mit dem Münchner Stadtwappen

Das Exemplar des Bayerischen Armeemuseums besteht aus einem rechteckigen gewölbten Holzkorpus, dessen Seiten sich nach unten leicht verjüngen (Abb. 1). Der vertikal verlau- fende, wulstförmige Mittelsteg wurde wohl aus einem dicke- ren Stück Holz herausgearbeitet und läuft im unteren Bereich kantig aus. Der Holzkorpus be- steht aus drei miteinander ver- leimten Holzplanken (Abb. 5), wobei nicht erkennbar ist, mit welcher Technik sie verbunden wurden.28 Die Rückseite ist mit Leder bespannt, das nach vorne am Rand umgeschlagen wurde. In feuchtem Zustand aufgezogen, behielt das Leder dadurch beim Trocknen seine Form. Zwei Nägel, Abb. 6 Rückseite des Ingolstädter Exemplars mit denen die Bespannung vermutlich beim Trockenvorgang fixiert wurde, sind auf der Rückseite zu erkennen. Diese weißen Kreidegrund auf, der farbig be- Technik wird auch häufiger beschrieben.29 malt wurde (Abb. 4). Die Handhabe auf Die grobe Tierhaut wurde dunkelbraun der Rückseite besteht aus Ochsenziemern, oder schwarz eingefärbt. Eine Fehlstelle die mit Lederstreifen umwickelt wurden bzw. ein Riss oder Schnitt wurde mit sehr (Abb. 6). Zur Befestigung wurden die drei groben Stichen und einem Lederstreifen Enden der Handhabe nach vorne durch – vermutlich zeitgenössisch – repariert alle Schichten des Schildes gezogen und (Abb. 6 und 8). Die Vorderseite wurde an- dort verknotet. Diese grobe Befestigung schließend mit einem groben Sackleinen spricht für eine kostengünstige Anschaf- bezogen. Auch dieses wurde umgeschla- fung. gen – in diesem Fall auf die Rückseite. Die Vorderseite der Pavese zeigt das Wap- Auf diese „Leinwand“ brachte man einen pen der Stadt München (Abb. 1, 9 und 10). 142 | Tobias Schönauer: Eine Pavese mit dem Münchner Kindl

Seit 1304 ist der Mönch das Symbol für Hierbei handelte es sich um die erste der München, als so genanntes „redendes genannten Lieferungen, denn Zainmach Sinnbild für den Ortsnamen (München wurde am gleichen Tag bezahlt wie Hans = bei den Mönchen)“.30 Die rechte Hand von Siebenbürgen. Offenbar wurden zu- zum Schwur erhoben, hält die Figur, die in mindest diese Schilde ohne die Beriemung einem weißen (eigentlich silbernen) Wap- geliefert. penschild steht, in ihrer Linken das in Rot Von den insgesamt wohl ursprünglich gehaltene Eidbuch der Stadt.31 Der Mönch 99 kleinen Tartschen konnten bislang le- trägt eine goldgeränderte schwarze Kutte, diglich drei Stücke mit dem Münchener rote Schuhe und hat einen gelben (eigent- Stadtwappen identifiziert werden: zwei lich goldenen) Nimbus. Die Figur nahm befinden sich im Münchner Stadtmuseum schon im 15. Jahrhundert kindliche Züge (Abb. 11 und 12)36 und eine im Bayerischen an, aber erst 1727 ist die Bezeichnung Armeemuseum. Eine weitere Pavese im „Münchner Kindl“ nachgewiesen, die sich Stadtmuseum München wurde Ende des bis heute gehalten hat. Das Stadtwappen 19. Jahrhunderts für die Ratstrinkstube selbst wurde auf dieser Pavese auf einem im Neuen Rathaus angefertigt. Für die mit Ranken und Streifen gemusterten, Dekoration dieses Raumes war ursprüng- in Braun- und Schwarztönen gehaltenen lich ein originaler Schild vorgesehen, aber Grund aufgemalt. Umrahmt wird die Darstellung von einem Bogen- und Za- ckenband mit Blatt-Rankenmuster und Abb. 7 Die Pavese des Bayerischen einem Wolkenfries. 1940 sah die Pavese Armeemuseums vor der Entfernung der nachträglichen Übermalung im Auktionskatalog noch völlig anders aus. Die Frontseite war der Firma E. Kahlert & Sohn (1940) übermalt worden, wohl um die ursprüng- liche Darstellung klarer in Erscheinung treten zu lassen. Mitte der 1940er Jahre wurde diese Übermalung entfernt, so dass sich dem Betrachter heute wieder die ur- sprüngliche Darstellung des Münchner Kindls zeigt.32 Die Münchner Pavesen lassen sich alle bis in das Jahr 1463 zurückverfolgen. Damals zahlte die Stadt am „Suntag letare [20. März] maister Hannsen von Sibenpürgen umb xxiii klain tarschen und iii pafesen“33 je einen rheinischen Gulden. Am „Santz- tag vor Bartolomei“ (20. August) kaufte man ihm weitere 76 „klain tarschen“34 ab. Bei der zweiten Lieferung bekam die Stadt aber zwei „klain tarschen“ für einen rheinischen Gulden, wobei nicht ersicht- lich ist, weshalb die zweite Lieferung so viel billiger war. Ein weiteres Detail aus den Kammerrechnungen ist besonders in- teressant. Demnach bezahlte man einem „Ludwigen Zainmach umb [das] geriem [für] die benannten tartschen zu fassen“.35 Tobias Schönauer: Eine Pavese mit dem Münchner Kindl | 143

Das Exemplar, das heute in der Schatz- kammer gezeigt wird, kam 1999 über eine Auktion41 in die Sammlung des Bayeri- schen Armeemuseums, stammt aber ur- sprünglich aus den Zeughausbeständen der Stadt München. Bereits am 17. Juni 1940 wurde dieses Stück in Berlin bei Hans W. Lange aus der Waffensammlung der Firma E. Kahlert & Sohn versteigert, die sich „in Liquidation“ befand.42 Unter der Losnummer 231 kam eine „Reitertartsche“ zum Aufruf, die wie folgt beschrieben wurde: „Lederbezogener, bemalter Holz- schild; auf dem Mittelfeld das Münchener Stadtwappen, die Ränder von einem Wol- kenfries eingefaßt. Deutsch, München, 2. Hälfte 15. Jahrh. Höhe 66 cm“.43 Die Abbil- dung zeigt einen auf den ersten Blick nicht identischen, aber sehr ähnlichen Schild (Abb. 7), allerdings trug die Pavese zu die- sem Zeitpunkt noch die vermutlich aus dem 19. Jahrhundert stammende Überma- lung. Aufgrund der Maßangabe, einzelner Beschädigungen und vor allem wegen der markanten Form der auf der Vorderseite Abb. 8 Rückseite des Ingolstädter Exemplars verknoteten Handhabe lässt sich jedoch mit dem grob reparierten Riss oder Schnitt eindeutig erkennen, dass es sich um die heute im Besitz des Bayerischen Armee- museums befindliche Pavese handelt. vermutlich konnten die Direktoren des Offenbar wurde das Stück bei der Aukti- Bayerischen Nationalmuseums und des on 1940 jedoch nicht versteigert, denn in Münchner Stadtmuseums die Ratsherren der Zeitschrift für historische Waffen- und davon überzeugen, dass dieser für eine Kostümkunde aus dem gleichen Jahr fin- Präsentation in der Stube zu wertvoll sei. det sich der Hinweis: „Eine gotische Tart- So fertigte der Kunstrestaurator Karl Jo- sche mit Münchner Kindl als Wappen ver- seph Zwerschina 1898 eine aufwändige diente kaum den Preis von RM 1250.- ging Nachbildung auf der Grundlage eines dennoch zurück“.44 der Exemplare an.37 Die zwei originalen Wer das Objekt später erwarb, ist leider Pavesen hingegen waren seit 1873 lang- nicht bekannt. Auch der letzte Besitzer fristig an das Bayerische Nationalmuseum bzw. der Einlieferer des vom Bayerischen verliehen,38 wobei 1922 von dort eines der Armeemuseum ersteigerten Exemplars Stücke in das Bayerische Armeemuseum war bislang leider nicht zu ermitteln.45 kam.39 1977 begannen im Münchner Stadt- museum Planungen zur Präsentation der alten Münchner Zeughausbestände,40 so dass der Schild im Dezember dieses Jahres wieder zurückgegeben wurde. 144 | Tobias Schönauer: Eine Pavese mit dem Münchner Kindl

Pavese Inv.-Nr. 0009-2000

Datierung und Restaurierungen Bayern (München), 1463 Übermalung (wahrscheinlich 19. Jahrhun- dert) Mitte der 1940er Jahre entfernt

Material Holz, Leder, Sackleinen, Kreidegrund, Ochsenziemer, Metall

Maße Höhe 66,5 cm / Breite 38 cm / Tiefe 12 cm

Beschreibung Gewölbter Holzkorpus mit hohl ausge- formtem Mittelholm, Vorderseite mit grober Sackleinwand bezogen und auf Kreidegrund farbig bemalt. Im Zentrum Wappen der Stadt München („Münchner Kindl“). Rückseite mit Rohhaut bezogen, die T-förmige Handhabe aus mit Leder- Abb. 9 Detail der Vorderseite streifen umwickeltem Ochsenziemer, des- (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0009-2000) sen drei Enden durch die Tartsche gezogen und auf der Vorderseite verknotet sind.

Provenienz und Erwerbungsgeschichte Literatur (Auswahl) 1463 ursprünglich für die Stadt München Baumeister, Handtartsche; von einem Hans von Siebenbürgen gefer- Kern/Steiner, Handtartsche tigt Paggiarino/Schönauer, The Bavarian am 17. Juni 1940 bei der Versteigerung der Army Museum, S. 108 f. und S. 256; Waffenbestände der Firma E. Kahlert & Schedelmann, Waffenbestände, S. 33, Los Sohn nachgewiesen, aber offenbar nicht Nr. 231, und Tafel 18. verkauft am 28. Oktober 1999 bei der 38. Auktion Ausstellungshistorie von Hermann Historica vom Bayerischen 23. November 2002 bis 2. März 2003 Armeemuseum erworben Sonderausstellung „Der Mohr kann gehen. «der Mohr von Freising»“ im Diözesan- Inventare museum Freising Inventarbuch 2000 (Bayerisches Armee- museum, Inv.-Nr. HA.05.01.111): „Mün- 8. September 2013 bis 2. März 2014 chener Handtartsche; Ankauf Hermann Sonderausstellung „Die Wittelsbacher Historica, Linprunstr. 16, 80335 München, am Rhein. Die Kurpfalz und Europa“ in Nr. 38, 10.11.1999“ Mannheim Tobias Schönauer: Eine Pavese mit dem Münchner Kindl | 145

13. November 2014 bis 1. März 2015 Sonderausstellung „Das goldene Jahrhun- dert der reichen Herzöge“ der Museen der Stadt Landshut seit 3. Juni 2019 Ständige Ausstellung „Schatzkammer“ des Bayerischen Armeemuseums in Ingolstadt

Abb. 10 (rechts) Das Ingolstädter Stück (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0009-2000)

Abb. 11 (unten links) Pavese des Münchner Stadtmuseums (Inv.-Nr. Z-XIV/1)

Abb. 12 (unten rechts) Pavese des Münchner Stadtmuseums (Inv.-Nr. Z-XIV/2) 146 | Tobias Schönauer: Eine Pavese mit dem Münchner Kindl

Anmerkungen 23 Vgl. hier und im folgenden Scholtka, Teophi- lus, S. 13 und Alt, Zwei mittelalterliche Schil- 1 Vgl. Breiding, Late medieval shields, S. 69. de, S. 75-77. 2 Ein sehr guter Überblick findet sich bei Beu- 24 Karl, Aufbau, S. 179. Vgl. zum unterschiedli- ing, Schilde, Formen, Verwendung – dort chen Aufbau von Pavesen auch Geibig, Un- auch weiterführende Literatur. Natürlich gibt tersuchungen. es bereits in der Antike eine große Variation an 25 Vgl. vor allem die Untersuchung von Sien- Schilden, die hier jedoch ausgespart werden. nicki, Setzschild, S. 131-138 zu einem Kauf- 3 Vgl. ebenda, S. 4. beurer Setzschild im Bayerischen National- 4 In Bayern sind hier vor allem das Bayerische museum. Ein identisches Stück befindet sich Nationalmuseum, das Bayerische Armeemu- auch in der Sammlung des Bayerischen Ar- seum und die Kunstsammlungen der Veste meemuseums und ist in der neuen Daueraus- Coburg zu nennen. Vgl. hierzu Beuing, Schil- stellung zu sehen (Inv.-Nr. A 5616). de im Bayerischen Nationalmuseum; Paggia- 26 Vgl. Karl, Aufbau, S. 179 sowie Geibig, Unter- rino/Schönauer, The Bavarian Army Museum suchungen und Bösenberg/Wosnitza, Restau- und Geibig, Untersuchungen. Aber auch in rierung, hier v.a. S. 205-218. außereuropäischen Sammlungen, v.a. in den 27 Vgl. Geibig, Untersuchungen, S. 239-241 mit USA sind sie zu finden (vgl. für Philadelphia Abb. 15-17. Breiding, Late Medieval Shields, v.a. S. 79-90 28 Vgl. zu den verschiedenen Techniken (Stoß und für das Metropolitan Museum of Art in auf Stoß verleimt, verdübelt, verblattet oder New York Kienbusch/Grancsay, Bashford durch überblattete Leisten verbunden) Alt, Dean sowie www.metmuseum.org; aufgeru- Zwei mittelalterliche Schilde, S. 77. fen am 2.12.2020). 29 Vgl. Karl, Aufbau, S. 179. 5 Herzer, Kriegsgerät, S. 243. 30 Morenz, Wappen, S. 141 und Kern/Steiner, 6 Vgl. ebenda, S. 244. Handtartsche, S. 91. 7 Quelle zitiert bei Schlager, Wiener Skizzen, 31 Vgl. hier und im folgenden ebenda, S. 141. S. 123. Vgl. auch Siennicki, Untersuchung, S. 25 f. 32 Vgl. Beschreibung im Auktionskatalog von 8 Vgl. Siennicki, Untersuchung, S. 25. Hermann Historica München, 38. Auktion am 9 Vgl. Beuing, Schilde, Formen, Verwendung, 28. Oktober 1999, Los. Nr. 720, S. 130. S. 4 f.; ders., Schongauer Pavesen; 33 Stadtarchiv München, Kaem-001-72-1463, 10 Inv.-Nrn. A 7200 und A 197. fol. 117r. Herrn Klaus Peitzmeier vom Münch- 11 Vgl. Beuing, Schilde, Formen, Verwendung, ner Stadtmuseum darf ich für diesen Quellen- S. 6. Schon Boeheim, Handbuch, S.180 ver- fund herzlich danken. mutet das und verweist auf eine dort befind- 34 Ebenda, fol. 117r. liche „nachweislich schon in antiker Zeit 35 Ebenda, fol. 117r. weitberühmte Schildfabrik“. Er bleibt den 36 Inv.-Nrn. Z-XIV/1 und Z-XIV/2 (derzeit aus- Nach weis jedoch schuldig. gestellt). 12 Vgl. Beuing, Schilde, Formen, Verwendung, 37 Inv.-Nr. Z-2014/1. Diese Hinweise finden sich S. 6. auf einem Etikett, das sich auf diesem Stück 13 Vgl. Kroener, Kriegswesen, S. 4-6; Fiedler, erhalten hat. Als Vorlage diente die Pavese Taktik, S. 7-9; Staudinger, Geschichte, S. 2-8 mit der Inv.-Nr. XIV/2. oder Beuing, Schilde, Formen, Verwendung, 38 Vgl. Dokumentation im Münchner Stadtmu- S. 4. seum. Die Abbildung einer Pavese findet sich 14 Vgl. Siennicki, Untersuchung, S. 27 f. z.B. bei Haenel, Alte Waffen, S. 43. 15 Vgl. Habsburg-Lothringen, Landeszeughaus. 39 Hier trug es drei Inv.-Nrn. Zunächst die 16 Vgl. Henkel/Kessler, Fürstliches Zeughaus. L 3066, dann die L 4109 und schließlich die 17 Vgl. Siennicki, Untersuchung, S. 28 f. A 5615 (vgl. Bayerisches Armeemuseum, 18 Vgl. hier und im folgenden Beuing, Schilde, Inv.-Nrn. HA.05.01.54 und HA.05.01.28a-b). Formen, Verwendung S. 4-6 oder Siennicki, 40 Vgl. Wackernagel, Zeughaus, S. 7. Untersuchung, S. 31. 41 Hermann Historica München, 38. Auktion am 19 Vgl. hier und im folgenden Boeheim, Hand- 28. Oktober 1999, Los. Nr. 720. buch, S. 180. 42 Vgl. Schedelmann, Waffenbestände. 20 Vgl. Andreas Zainer, Chronik des Landshut- 43 Ebenda, Los Nr. 231, S. 33 und Tafel 18. er Erbfolgekrieges, 1. Viertel 16. Jahrhundert 44 Vgl. Post, Versteigerung, S. 67 f. (Bay. Staatsbibliothek München, Cgm 1598, 45 Nach Auskunft des Auktionshauses Hermann fol. 144r). Historica wurden „in den letzten Jahren 21 Vgl. Beuing, Schilde, Formen, Verwendung, mehrfach … [die] Datensysteme“ gewechselt. S. 6 f. „Zu so alten Transaktionen“ seien keine In- 22 Vgl. hier und im folgenden Karl, Aufbau, formationen mehr vorhanden (Mail vom S. 177 f. und Alt, Zwei mittelalterliche Schil- 9.7.2020). de, S. 76 f. Tobias Schönauer: Eine Pavese mit dem Münchner Kindl | 147

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Tobias Schönauer Von Innsbruck nach Bayern Ein Buckler aus Schloss Ambras als Kriegsbeute

Die ältesten Schilde des Bayerischen Ar- oder „bucklier“ (Christian Egenolff, 1531) meemuseums stammen aus dem 15. Jahr- bezeichnet – um nur einige Schreibweisen hundert, aber obwohl es eine große Zahl anzuführen.5 Aber auch in Großbritannien an derartigen Verteidigungswaffen in den („buckler“), Italien („brocchiero“) und Spa- Sammlungen gibt, sind nur zwei davon so nien („broquel“), sogar im Altisländischen genannte Buckler.1 Besonders das Stück („buklari“), taucht diese Bezeichnung auf.6 mit der Inv.-Nr. A 8460 stellt sowohl hin- So könnte die Benennung vielleicht auf das sichtlich seiner Gestalt als auch seiner Ge- lateinische Wort buccula für Schildbuckel schichte eine Besonderheit dar, weshalb es zurückzuführen sein, hinter dem die Hand sogar Eingang in die Schatzkammer des des Kämpfers den Schild greift.7 Museums gefunden hat (Abb. 1).2 Diese Art von Schild scheint auf jeden Fall in nahezu allen Zivilisationen und auf al- Was ist ein Buckler? len Kontinenten vorzukommen, keines- falls nur in Mitteleuropa.8 So finden sich Die Frage, bei welcher Schildart es sich um solche Schilde in vielen musealen Samm- einen Buckler handelt, ist nicht leicht zu lungen weltweit wieder.9 In Europa ist der beantworten. Es gibt eine Reihe von De- Buckler bereits seit der Bronzezeit fassbar finitionen, die von Form, Größe und/oder und „the earliest documented form of the der Position des Griffes ausgehen. Schon art of defence“.10 Die frühesten mittelalter- die Bezeichnung ist etwas irreführend. lichen Quellen, die Fechttechniken darstel- So nannte man im 19. Jahrhundert diese len, stammen aus dem 13. Jahrhundert und Schildform auch Handtartsche, Fausttart- zeigen interessanterweise Kämpfer mit sche oder Faustschild.3 In den alten Inven- Schwert und Buckler.11 Nach Capwell war taren des Bayerischen Armeemuseums aus das Fechten mit Schwert und Buckler auf dem Ende des 19. bzw. dem Beginn des den Schlachtfeldern des 15. und 16. Jahr- 20. Jahrhunderts werden sie als „Parier- hunderts „the most prominent non-noble schild“ bezeichnet, ein Begriff, der auch form of swordfighting“.12 Dem Ritter bzw. immer wieder in historischen Quellen dem mit einem Vollharnisch ausgestatte- des 16. bis 19. Jahrhunderts auftaucht.4 In ten Kämpfer hingegen blieben die größe- älteren Quellen hingegen wird diese Art ren und schwereren Schwertarten (u.a. das von Schild als „pucklär“ (Andre Lignitzer, Langschwert oder das Schwert zu andert- 15. Jahrhundert), „bügkeler“ (Paulus Kal, halb Hand) vorbehalten. Dennoch finden 1470), „buckeller“ (Hans Talhoffer, 1467) sich in mittelalterlichen Handschriften auch Darstellungen von Bucklern in Kom- bination mit einem ritterlichen Schwert Abb. 1 Buckler aus Schloss Ambras mit rotem Samt ausgekleidet, Ende 15. Jahrhundert (Abb. 2 und 10 sowie Abb. 16 im Beitrag (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 8460) Geibig zu den Schwertern in diesem Band). 152 | Tobias Schönauer: Ein Buckler aus Schloss Ambras

Abb. 2 Rudolf von Ems, Weltchronik, um 1300 (St. Gallen, Kantonsbibliothek, Vadianische Sammlung VadSlg Ms. 302, fol. 109r)

Im zivilen Bereich fand der Buckler vor al- ting“.15 Sie waren in gewisser Hinsicht die lem im urbanen Raum große Verbreitung. „Wunderkammer of fighting”.16 Dennoch Bei Handwerkerlehrlingen und Studenten sind sie eine wichtige Quelle für die Frage, war er sehr populär, da es immer wieder wie der Buckler im Kampf genutzt wurde. zu Bandenkämpfen und Duellen kam.13 In Diese Schilde tauchen aber keineswegs in den engen Gassen und Straßen der Städte allen Fechtbüchern auf. Nach 1320 sind hatte der kleine Schild große Vorteile und sie nur noch in einer Handvoll deutscher konnte zudem gut mitgeführt werden. Fechtbücher nachweisbar und auch nur Fechtschulen lehrten die Kunst des Fech- in untergeordneter Form.17 Interessant ist tens mit Schwert und Buckler. Fechtbü- in diesem Zusammenhang, dass die meis- cher v.a. des 14. bis 16. Jahrhunderts ge- ten erhaltenen Buckler hingegen in das 15. ben einen guten Eindruck vom Kampf mit oder 16. Jahrhundert datierbar sind.18 Schwert bzw. Rapier und Buckler, wobei Diese Schildform ist in verschiedenen die Interpretation dieser Quellengattung Formen, Größen und Materialien erhal- noch weitgehend in den Kinderschuhen ten, weshalb es zunächst wichtig ist zu steckt.14 Zudem darf man nicht davon definieren, was man unter einem Buckler ausgehen, dass Fechtbücher dazu gedacht versteht. Blair beschreibt diesen Schild mit waren, „[to] teach the reader, how to fight, folgenden Worten: „The buckler, small and but how to think and feel about figh- equipped with a cross-bar inside by me- Tobias Schönauer: Ein Buckler aus Schloss Ambras | 153 ans of which it was gripped. It was often Ein Buckler mit einer sehr concave towards the front and equipped ungewöhnlichen Form? with a hollow spiked boss in the centre”.19 Unter diese „Definition” könnte man zwar Die meisten Buckler sind rund. In der den Schild des Armeemuseums subsum- Antike scheinen sie nur in dieser Form mieren, jedoch kaum eine Reihe weiterer vorzukommen und auch später domi- erhaltener Exemplare, die unzweifelhaft niert dieser Typ.22 Aber sie sind auch Buckler sind. Die wohl aktuellste und wohl in einer Vielzahl anderer Formen bekannt: auch kürzeste Definition lieferte 2015 Her- Trapezförmig, rechteckig, oval etc., dabei bert Schmidt. Für ihn ist ein Buckler ein gewellt, flach, konvex oder konkav. Gera- Schild, welcher die folgenden Charakteris- de der Buckler des Bayerischen Armeemu- tika erfüllt: Er hat eine zentrale Handha- seums lässt sich jedoch aufgrund seiner be („centre gripped“) und eine maximale ungewöhnlichen Form kaum kategori- Ausdehnung („diameter / dimension) von sieren, so dass Schmidt von einem „very ungefähr 45 cm.20 Beides ist wichtig, um unusual Type“23 spricht. Bislang konnten diese Art von Schild so führen zu können, keine vergleichbaren Stücke in anderen wie es Fechtbücher und andere Quellen Sammlungen nachgewiesen werden.24 zeigen. Zudem kommt der Buckler in so Der außergewöhnlich schön gearbeite- vielen verschiedenen Ausprägungen und te Schild stammt vermutlich aus Süd- Formen vor und ist so vielseitig, dass es deutschland oder Italien und wiegt le- nahezu unmöglich erscheint, ihn mit einer diglich 0,46 kg. Besonders hervorzuhe- spezielleren Definition zu erfassen.21 Den- ben sind die aufwändige Gestaltung des noch ist sie in ihrer Kürze ausreichend, da durchbrochenen Mittelsporns und der sie sowohl die Größe als auch die Verwen- vier hochgewölbten Seiten, die in vier dung – beides wichtig für die Bestimmung Spitzen auslaufen (Abb. 7). Von diesen dieser Schildform – definiert. vier Spitzen waren ursprünglich zwei mit

Abb. 3 Auch bei Trägern von Stangenwaffen (hier eine Gleve) war der Buckler beliebt. Detail aus: Roman de Guiron le Courtois, 1420 (Bibliothèque nationale de France, Français 357, fol. 47r) 154 | Tobias Schönauer: Ein Buckler aus Schloss Ambras herzförmigen Ösen (Abb. 4) verziert, von denen eine verloren ist. Die beiden ande- ren sind von zwei geschmiedeten Blumen bekrönt (Abb. 5). Obwohl es nicht unüb- lich war, zusätzliche Elemente an Bucklern anzubringen (z.B. zur Verschönerung oder zur „strukturellen Verstärkung“25), so ist dieses Exemplar doch ungewöhnlich. Vor allem der Überzug mit rotem Samt spricht dafür, dass dieser Buckler dazu gedacht war, besonders repräsentativ zu wirken.26 Der Corpus selbst ist oval und wird von einem umlaufenden Metallband einge- fasst. Er ist sowohl in der Längs- auch in der Querachse konkav gewölbt. Mit einer Größe von 20,5 auf 14 cm ist er nicht be- sonders groß, wirkt jedoch durch den mit- tig auf der Vorderseite gesetzten, mehrfach Abb. 4 Erhaltene herzförmige Öse durchbrochenen Hauptsporn viel massiver und schwerer als er ist. Dieser Sporn läuft in acht Bändern aus. Auf jedem zweiten Band keine Kampfspuren auf, was ebenfalls ge- sitzt eine kleinere Spitze, so dass sich diese gen diese Annahme spricht. Auch konnten vier Spitzen kreisförmig um den Haupt- professionelle Fechter hierin keinen wirk- sporn gruppieren. Weitere 12 Spitzen – je lichen Nutzen erkennen. Auf einer Tagung drei zwischen einer Öse und einer Blume in München,27 bei der dieses Stück im – vervollständigen die Frontseite. Ob all Original präsentiert wurde, spekulierten diese Spitzen und Ösen auch die Funkti- die Teilnehmer, ob dieser Schild vielleicht on von Parierhilfen haben sollten, ist eher deshalb so aufwändig verziert und gestal- unwahrscheinlich, wobei es durchaus ver- tet wurde, um den Träger bei einem An- mutet werden kann. Viele sind aber zu griff davor zu schützen, getötet zu wer- klein bzw. zu eng, um eine Klin- den.28 Diese These wäre denk- ge zu binden oder abzu- bar, da zumindest im 16. wehren. Der Buck- Jahrhundert das ler weist Rapier

Abb. 5 Blume als Krönung einer der Spitzen Tobias Schönauer: Ein Buckler aus Schloss Ambras | 155

„part of the mainstream of the male dress”29 wurde. Gemälde dieser Epoche zeigen Schwerter, deren Verzierung und Gehänge eng auf die Kleidung abge- stimmt waren.30 Somit wäre ein passend aufwändig gestalteter Buckler durchaus denkbar gewesen. Man muss jedoch da- von ausgehen, dass in diesem Fall nicht nur der Schild, sondern das gesamte Er- scheinungsbild des Mannes (Kleidung, Bewaffnung etc.) so kostbar gestaltet war, dass es möglichen Angreifern die Gefan- gennahme des offenbar wohlhabenden Trägers schmackhaft gemacht hätte, denn hier konnte ein Lösegeld erpresst werden. Damit wäre der Eigentümer des Buck- lers lebend wertvoller gewesen als tot. So filigran die Vorderseite des Schildes gestaltet wurde, so robust, fast schon grob sind Griff und Rückseite ausgearbeitet (Abb. 7). Beide sind komplett mit dunkel- braunem Leder bezogen. Der Holzgriff ist jedoch sehr plump ausgefallen und steht weit vom Schildkörper ab. Damit hätte man ihn gut über Griff und Knauf eines Schwertes stülpen können, eine Tragewei- se, die aus Gemälden bekannt ist (Abb. 6). Eine weitere Möglichkeit war, den Schild mit einem Haken an den Gürtel zu hängen oder mit einer Schlaufe, die über den Griff des Schwertes oder über den Scheiden- mund gelegt wurde, zu befestigen.31 Abb. 6 Ausschnitt aus: Die Kreuzigung Christi, Der Buckler des Armeemuseums dürf- 1502/1503, von Gerard David Der Soldat ganz rechts hat seinen Buckler über te mit diesem groben Griff aber nur sehr den Schwertgriff geschoben. schwer zu handhaben gewesen sein. Die (Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Ausführung kunstvoller Bewegungen war Kat. Nr. 573) mit ihm kaum möglich.32 Die Gestaltung des Griffes könnte auch dafür sprechen, dass der Schild eher wie eine Art von Einsatz war, gab „es kein klar abgegrenztes Schlagring genutzt wurde. Die spitzenbe- Einsatzgebiet“.33 Abbildungen zeigen den setzte Front wäre in diesem Fall von Vor- Buckler in Schlachten (Abb. 2), bei Zwei- teil. kämpfen (Abb. 10), in Gerichtskämpfen Buckler werden heute vor allem mit dem und auf Reisen.34 Es ist somit naheliegend, Fechten in Verbindung gebracht. Ihre Ver- dass der Buckler sowohl im militärischen wendung geht aber weit darüber hinaus. als auch im zivilen Bereich zum Einsatz Da diese Schildform während des gesam- kam. Da er leicht und handlich war, konn- ten Mittelalters und in ganz Europa im te er gut mitgeführt werden und wurde 156 | Tobias Schönauer: Ein Buckler aus Schloss Ambras wohl deshalb auch häufiger bei Streitig- Das Exemplar des Bayerischen Armeemu- keiten eingesetzt. Im militärischen Bereich seums lässt sich mit großer Wahrschein- war er besonders bei Bogenschützen oder lichkeit im zivilen Sektor verorten, da die bei Trägern von Stangenwaffen (Abb. 3) aufwändige Gestaltung für einen rein mi- beliebt. Auch andere Bewaffnete von nie- litärisch genutzten Schild zu kostspielig dererem Stand schätzten diese leichten gewesen wäre. Dennoch tauchen Schilde, und auf verschiedene Weise zu nutzenden die dem Ingolstädter Exemplar sehr ähn- Schilde, da das Schwert nicht ihre primäre lich sind, in einem Fechtbuch des Hans Waffe war. Dieses kam bei ihnen nur zum Talhoffer im Jahr 1467 auf (Abb. 9).35 Die Einsatz, wenn die Pfeile aufgebraucht wa- dort abgebildeten Buckler in einem Kapi- ren oder es zum Nahkampf Mann gegen tel über das Fechten „mit dem buckeller Mann kam. In diesen Situationen war ein und mit dem Messer [Schwert]“36 sind leicht zu transportierender Buckler von dem Schild im Armeemuseum sehr ähn- immensem Vorteil. Dennoch sind Fecht- lich. Das Buch von Talhoffer zeigt sehr an- bücher eine wichtige Quelle, um zeigen schaulich verschiedenste Einsatzmöglich- zu können, wie diese Art von Schild im keiten dieser Schildart. Der Buckler wird Kampf verwendet werden konnte. Oft- verwendet, um den Gegner zu blocken, mals wurde er mit dem linken Arm weit die Klinge zu binden, sie vom eigenen vom Körper weggestreckt, während das Körper wegzuführen, zur Deckung einzel- Schwert über den Kopf erhoben wurde. In ner Körperpartien oder um den Schwert- anderen Abbildungen ist zu erkennen, wie arm des Kontrahenten in eine bestimmte der Buckler die Schwerthand deckt (Abb. Richtung zu zwingen oder umzulenken. 9) oder dazu genutzt wird, einen Gegner Interessant ist auch, dass dieser Schild kei- auf Abstand zu halten. neswegs nur mit einem Schwert oder ei-

Abb. 7 Der eher grob gestaltete Griff ist in dieser Aufnahme gut erkennbar Tobias Schönauer: Ein Buckler aus Schloss Ambras | 157 nem Dolch bzw. Messer zum Einsatz kam. fing, abbrach oder aus der Hand wend. Fechtbücher und Buchmalereien zeigen 1480-1520“.39 In Bayern taucht das Stück die Verwendung von Bucklern in Kombi- jedoch erstmals im „Inventarium der kö- nation mit Stangenwaffen ebenso wie mit niglichen Gewehrkammer 1838“ auf. Hier Schleudern und Wurfspeeren.37 heißt es: „Ein eisernes Parier, inwendig mit rothem Sammet gefüttert und mit 5 Spitzen „aus dem Kunstkabinet zu Ambras versehen“ und weiter „1819 Nov. 17. Ist auf in Tyrol“ Allerhöchsten Befehl Sr. Königl. Majestät aus dem Kunstkabinet zu Ambras in Tyrol Der Buckler des Bayerischen Armeemuse- durch den damaligen Büchsenmeister Wolf- ums hat eine wechselvolle Geschichte hin- gang Riegel am 15. July 1808 übernommen ter sich. Am 1. April 1932 kam das Stück worden, und dann erst nach getroffnener als „Überweisung“ (also als Schenkung) Auswahl zur Gewehrkammer übernommen aus dem Bayerischen Nationalmuseum in am 17. Nov. 1819“.40 Bereits 1805 war die das Armeemuseum.38 Im Nationalmuseum Ambraser Sammlung durch französische war er im maßgeblichen Saalbuch um 1890 und bayerische Truppen geplündert wor- folgendermaßen verzeichnet: „Schwertbre- den.41 Ein Großteil der Sammlungen wurde cher, kleiner Faustschild in Leder u. Eisen, 1806 nach Wien in Sicherheit gebracht und mit Handhabe, Stacheln u. Widerhaken, später im Unteren Belvedere gezeigt.42 Of- vermit man das Schwert des Gegners auf- fenbar kam der Schild in dieser Zeit, ob 1805 oder 1808 ist unklar, in bayerischen Besitz. Und in der Tat kann dieser Buckler bereits Abb. 8 Matthäus Merian, Das fürstliche Schloß Ambras, um 1650 im 16. Jahrhundert in der Ambraser Samm- (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0393-2020) 158 | Tobias Schönauer: Ein Buckler aus Schloss Ambras

Abb. 9 Fechtbuch des Hans Thalhofer, 1467 (Bayerische Staatsbibliothek, Cod. icon. 394a, fol. 117v) 1571 als „Musaeum“.48 Sie beherbergten die „Grosse Kunstcamer“ und die „Rust- camer“, 1589 kam noch die „Heldenrüst- lung nachgewiesen werden, denn in einem kammer“ hinzu, in der die Harnische be- „Inventari über das fürstlich gschlosz Om- rühmter Feldherren und Fürsten gesam- bras sambt den rüst- und kunstcämern“43 melt wurden (Abb. 8).49 von 1596 findet sich folgender Eintrag: In der Zeit, in der die Kunst- und Wunder- „Ain pragier [Parierschild], inwendig mit kammer von Ambras entstand, wurden in rotem sammet und mit spüczen, in der mit- derartigen Einrichtungen eigentlich keine te ain hohen spicz“.44 Es ist als nahezu si- alten Gegenstände zusammengetragen cher anzunehmen, dass es sich hierbei um – einzige Ausnahme bildeten nur antike den Schild handelt, der sich heute im Ar- Kunstwerke.50 Man sammelte hingegen, meemuseum befindet. um eine „‹Enzyklopädie› alles Wissbaren“51 „Schloss Ambras gilt als das erste bzw. zu schaffen. Idealerweise bildete man mit älteste Museum der Welt“.45 Aufgestellt der Sammlung den gesamten Kosmos wurde die heute als Kunst- und Wunder- ab.52 Weshalb gerade dieser Schild dort kammer bekannte Sammlung von Erzher- verwahrt wurde, ist unklar. Vielleicht kam zog Ferdinand II. (1529-1595), der bereits er aufgrund seiner außergewöhnlichen in Böhmen (1547 bis 1567) mit seiner Sam- Form und Ausführung in die Kunstkam- meltätigkeit begann.46 Er baute die Burg mer. „zum prächtigen der Renais- 1847 erscheint der Buckler in der Waffen- sance“.47 Die nur für diesen Zweck erbau- sammlung, die als Teil der „vereinigten ten eigenen Gebäudetrakte entstanden ab Sammlungen“ im Saal VII. im ehemali- Tobias Schönauer: Ein Buckler aus Schloss Ambras | 159

Abb. 10 Detail aus dem Codex Manesse, ca. 1300 bis ca. 1340 Kampf mit Schwert und Buckler (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol. 190v) gen Galeriegebäude des Hofgartens in war er jedoch Teil der Mittelalterabteilung München ausgestellt war. Im zugehörigen im Neuen Schloss von Ingolstadt und fand Katalog wird der Buckler als „ein eiser- jetzt auch Eingang in die neu eingerichtete nes Parier, inwendig mit rotem Sammet Schatzkammer des Museums. gefüttert und mit 5 Spießen versehen“53 beschrieben. Da er erst 1932 vom Natio- nalmuseum an das Bayerische Armeemu- seum überwiesen wurde, ist es leider un- klar, ob dieser außergewöhnliche Buckler im alten Gebäude des Armeemuseums im Hofgarten ausgestellt wurde. Bislang konnte dies nicht nachgewiesen werden – entsprechende Unterlagen oder Fotos fehlen. Auch Hinweise auf Sonderausstel- lungen, in denen dieses außergewöhnliche Stück gezeigt wurde, gibt es nicht. Ab 1972 160 | Tobias Schönauer: Ein Buckler aus Schloss Ambras

Buckler Inv.-Nr. A 8460

Datierung Süddeutschland(?) oder Italien(?), Ende 15. Jahrhundert

Material Eisen, Samt, Leder

Maße Höhe 13 cm / Breite 13,8 cm / Tiefe 20,5 cm

Beschreibung Schild (oval) in Längs- als auch Querachse konkav gewölbt. Auf Vorderseite mehrfach durchbrochener, achtkantiger Hauptsporn (in Bändern auslaufend) sowie vier klei- nere Spitzen auf Bändern (kreisförmig um Hauptsporn angeordnet). Zwölf Spitzen auf umlaufendem Hauptband, das sich an den vier Eckpunkten hochwölbt, dort in zwei herzförmige Ösen (eine verloren) und zwei Abb. 11 Aufsicht auf den Buckler Blüten auslaufend. Frontseite zwischen den Eisenbändern mit rotem Samt ausgekleidet. Großer, unförmiger Holzgriff mit dunkel- braunem bzw. schwarzem Leder bezogen. Inventarium der königlichen Gewehrkam- mer 1838 (Bayerische Schlösserverwaltung, Provenienz und Erwerbungsgeschichte BSV.Inv0129.01), fol. 321v und fol. 322r: ursprünglich aus dem Kunstkabinett von „Ein eisernes Parier, inwendig mit rothem Schloss Ambras (erstmals nachweisbar Sammet gefüttert und mit 5 Spitzen verse- 1596), seit spätestens 1808 in Bayern hen“ 1819 in die Königliche Gewehrkammer übernommen Catalog der vereinigten Sammlungen Nro. vor 1890 Übernahme in das Bayerische 6. Waffen-Sammlung, S. 18, Nr. 106: „Ein Nationalmuseum (Inv.-Nr. W 1481) eisernes Parier, inwendig mit rotem Sam- am 1. April 1932 von dort an das Bayeri- met gefüttert und mit 5 Spießen versehen“ sche Armeemuseum abgegeben Saalbuch des Bayerischen Nationalmuse- Inventare ums von 1890 (BNM Dokumentation, Saal- Inventari über das fürstlich gschlosz Om- buch, Maximilianstraße, 1. Obergeschoss, bras sambt den rüst- und kunstcämern Saal V), S. 213: „Schwertbrecher, kleiner von 1596 (publiziert bei Boeheim, Urkun- Faustschild in Leder u. Eisen, mit Hand- den, S. CCLVIII-CCCXIII, Regest 5556): habe, Stacheln u. Widerhaken, vermit man „Ain pragier [Parierschild], inwendig mit das Schwert des Gegners auffing, abbrach rotem sammet und mit spüczen, in der oder aus der Hand wend. 1480-1520. Gegen mitte ain hohen spicz“ die Mitte des XVI. Jahrh.“ Tobias Schönauer: Ein Buckler aus Schloss Ambras | 161

Zugangsbuch 1928-1934 (Bayerisches Ar- Ausstellungshistorie meemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01.95), Ein- 1847 im Katalog der vereinigten Sammlun- trag 162 im Abschnitt zum Jahr 1932: „1 gen im VII. Saal des ehemaligen Gallerie- Parierschild, Ende 15. Jh.; Preis bzw. Schätz- gebäudes im Hofgarten nachweisbar wert 500 [Reichsmark], 1.4.32 Überweisung von bayer. National=Museum in München“ 1890 in der Dauerausstellung des Bayeri- schen Nationalmuseums nachweisbar Sammlungsbelege Jahrgang 1932 (Bayeri- sches Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01.69), Mai 1972 bis 31. August 2014 Beleg Nr. 15: „gem. Min. Entschl. v. 23.3.32 Dauerausstellung des Bayerischen Nr VII 10904 an das Bayer. Armee-Museum Armeemuseums in Ingolstadt abgegebenen Waffen [...] Schwertbrecher 8. September 2018 bis Juni 2019 Lokalbestandsbuch (A-Buch, 2. Band, Baye- Sonderausstellung „Im Visier des Foto- risches Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01. grafen. Alte Waffen in neuem Licht“ 28a-b), Eintrag Nr. 8460: „Parierschild Deutsch Ende 15. Jh. Länge 20,5 cm“ seit 3. Juni 2019 Ständige Ausstellung „Schatzkammer“ Literatur (Auswahl) des Bayerischen Armeemuseums Bassermann-Jordan, Faustschilde; in Ingolstadt Paggiarino/Schönauer, The Bavarian Army Museum, S. 140-143 und S. 259; Abb. 12 Inventarkarte des Ambraser Bucklers Schmidt, Book, S. 208-211; (hier als Parierschild bezeichnet), verfasst und Schönauer, Ein Buckler. gezeichnet von Hans Stöcklein (Bayerisches Armeemuseum) 162 | Tobias Schönauer: Ein Buckler aus Schloss Ambras

Anmerkungen 22 Vgl. Schmidt, Buckler, S. 366. Vgl. z.B. auch spezielle Schilde für römische Gladiatoren 1 Inv.-Nrn. A 8460 und A 6584. Ein dritter bei Junkelmann, Spiel, S. 79 f. Buckler mit der Inventarnummer A 9704 ist 23 Schmidt, Book, S. 26. eine Dauerleihgabe des Stadtmuseums Mün- 24 Ein immer wieder angeführter, angeblich auf chen (dort Inv. Nr. St.M.XIV/4). Schloss Sigmaringen existierender Buckler 2 Vgl. zur Schatzkammer Schönauer, Schatz- ähnlicher Art, existiert nicht. Alle dort befind- kammer und Inszenierung, S. 265-270 und lichen Stücke weisen eine völlig andere Form allgemein zu Schilden dieser Epoche Beuing/ und Machart auf. An dieser Stelle herzlichen Augustyn, Schilde. Dank für die Bereitstellung entsprechenden 3 Vgl. Demmin, Kriegswaffen I, S. 557 mit Ab- Bildmaterials durch die Schlossverwaltung bildungen auf S. 569 f.; Bassermann-Jordan, Sigmaringen. Faustschilde oder Boeheim, Handbuch, 25 Schmidt, Buckler, S. 366. S. 190 f. Nach Schmidt, Buckler, S. 365 ist der 26 Vgl. ders., Book, S. 208. Begriff neueren Datums, also nicht in Quellen 27 4. und 5. März 2016 im Bayerischen National- vor dem 19. Jahrhundert fassbar. museum (siehe Beuing/Augustyn, Schilde). 4 Vgl. Boeheim, Urkunden, S. CCCVI, Regest 28 Vgl. Schönauer, Buckler, S. 373. 5556, fol. 455r und Catalog Nro. 6, S. 18, 29 Capwell, Noble Art, S. 46. Nr. 106. 30 Vgl. ebenda, S. 46-48. 5 Zitiert bei Schmidt, Buckler, S. 365. 31 Vgl. Schmidt, Buckler, S. 368. 6 Vgl. hier und im folgenden Schmidt, Buckler, 32 Vgl. ders., Book, S. 208. S. 365 f. 33 Ders., Buckler, S. 369. 7 Vgl. Beuing, Schilde, Formen und Verwen- 34 Vgl. hier und im folgenden ders., Buckler, dung, S. 19. Hier auch der Hinweis auf das S. 369 und Capwell, Noble Art, S. 11. Oxford English Dictionary 17, S. 640 f. 35 Bayerische Staatsbibliothek, Cod. icon. 394a. 8 Vgl. Schmidt, Book, S. 13 und S. 16. 36 Ebenda, fol. 117r. Vgl. auch, fol. 117v-122r. 9 Vgl. die derzeit wohl umfangreichste Aufstel- 37 Vgl. Schmidt, Book, S. 32-34. lung ebenda. 38 Inv.-Nr. des Bayerischen Nationalmuseums 10 Capwell, Noble Art, S. 11. Vgl. auch Schmidt, war W 1481. Book, S. 16. 39 Neben dem Eintrag findet sich der Vermerk von 11 Beispielsweise die Holkham Bibel, ca. 1320- Ernst von Bassermann-Jordan: „gegen die 1330 (British Library, MS. Add. 47682), das Mitte des XVI. Jahrh.“. Für die Bereitstel- so genannte Tower-Fechtbuch (Royal Ar- lung der Unterlagen aus dem Bayerischen mouries I.33) oder der Codex Manesse, ca. Nationalmuseum danke ich Herrn Dr. Ra- 1300-1340 (Universitätsbibliothek Heidelberg, phael Beuing. Cod. Pal. germ. 848). Siehe auch Darstellun- 40 Inventarium der königlichen Gewehrkam- gen bei Capwell, Noble Art, S. 12 und S. 15 f., mer 1838 (Bayerische Schlösserverwaltung, Kat. 1.03. BSV.Inv0129.01, fol. 321v und fol. 322r). 12 Capwell, Noble Art, S. 11. 41 Vgl. Sandbichler, „souil schönen“, S. 186 und 13 Vgl. hier und im folgenden ebenda, S. 13 und Primisser, Ambraser Sammlung, S. 24 f. Zur S. 35 Besetzung Tirols vgl. Junkelmann, Napoleon, 14 Vgl. Berthold/Petri, Passiv, S. 33 und S. 35-37 hier v.a. S. 127-133 und S. 167-168 oder sowie zu den deutschen Fechtbüchern For- Hamm, Napoleon und Bayern, v.a. S. 215-226. geng, Owning the Art, für unsere Thematik 42 Vgl. Primisser, Ambraser Sammlung, S. 24 f. v.a. S. 165-167. 43 Zitiert nach Boeheim, Urkunden, S. CCLVIII, 15 Forgeng, Owning the Art, S. 170. Regest 5556, fol. 247r. 16 Ebenda, S. 174. 44 Zitiert nach Boeheim, Urkunden, S. CCCVI, 17 Vgl. ebenda, S. 166. So tauchen Schwert und Regest 5556, fol. 455 r. Buckler etwa bei André Lignitzer, Hans Tal- 45 Sandbichler, „souil schönen“, S. 172 und hoffer, Paulus Kal, Paulus Hector Mair aber dies., Welt und Gegenwelt, S. 432. auch in den Gladiatoria Handschriften wie 46 Vgl. dies., Welt und Gegenwelt, S. 432 f. im Wolfenbüttler Skizzenbuch auf (für diese 47 Dies., „souil schönen“, S. 168. Zum Ausbau Hinweise danke ich Herrn Helmut Schmidt). der Gebäude im Einzelnen vergleiche auch 18 Vgl. die Aufstellung bei Schmidt, Book, S. 171 f. S. 248-255. 48 Dies., „souil schönen“, S. 168. Vgl. dies., 19 Blair, European Armour, S. 182. Welt und Gegenwelt, S. 434. 20 Schmidt, Book, S. 13 und ders., Buckler, 49 Vgl. dies., Welt und Gegenwelt, S. 434; S. 363. dies., „souil schönen“, S. 174 und Fiedler, 21 Auch Beuing, Schilde, Formen, Verwendung, Relationen, S. 360. S. 19 f. verwendet diese Definition. Vgl. all- 50 Blom, Schafft die Museen ab! gemein zu den verschiedenen Formen 51 Sandbichler, Welt und Gegenwelt, S. 433. Schmidt, Book und ders., Buckler, S. 363-365. 52 Vgl. dies., „souil schönen“, S. 173. 53 Catalog Nro. 6, S. 18, Nr. 106. Tobias Schönauer: Ein Buckler aus Schloss Ambras | 163

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Tobias Schönauer und Dieter Storz Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich Ein Radschlossgewehr mit wechselvoller Geschichte

Die Ottheinrichsbüchse ist nicht die älteste Neuburg (Abb. 2).3 Dieses Territorium war Schusswaffe des Bayerischen Armeemuse- erst 1505 nach dem Ende des Landshuter ums, wohl aber die älteste, von der wir das Erbfolgekrieges gebildet worden. In die- genaue Anfertigungsdatum kennen. Das sem Konflikt war es um das Erbe des 1503 Gewehr ist aber nicht nur wegen seines verstorbenen Landshuter Herzogs Georg Alters von besonderem Interesse, sondern gegangen. Die Münchner Linie hatte die auch wegen seines ursprünglichen Besit- von Georg vorgenommene Erbregelung zers sowie seiner durchaus wechselvollen nicht akzeptiert, was zu einem weiträu- Geschichte. migen, den süddeutschen Raum von der Auf der linken Seite des Kolbens besitzt Pfalz bis in den Osten Bayerns erfassen- die Jagdwaffe zwei Beineinlagen. Eine den Krieg zur Folge hatte. Der Münchner zeigt das bayerische Rautenwappen, bei Herzog Albrecht konnte sich in diesem dem die blauen Wecken schwarz gehal- „Landshuter Erbfolgekrieg“ durchsetzen, ten sind. Darüber ist ein geschwungenes musste aber sowohl Gebietsabtretungen Schriftband in den Kolben eingelassen: an Österreich wie auch die Schaffung eines „● H OTTH ● P ● 1533 ●“, also: „H[erzog] neuen Fürstentums für die Enkel Herzog Otth[einrich] P[falzgraf] 1533“ (Abb. 4). Georgs, Ottheinrich und Philipp, zulassen. Die Waffe besitzt eine gewisse Prominenz. 1522 übernahmen die Brüder die Regie- In Standardwerken der historischen Waf- rung des Fürstentums Pfalz-Neuburg, fenkunde wird sie erwähnt und abgebil- wobei es Philipp nie gelang, aus dem det.1 Einmal wird sie sogar als „das frü- Schatten seines ein Jahr älteren Bruders heste Beispiel für einen Schulterkolben bei herauszutreten. Ottheinrich gilt als typi- einem deutschen Radschloß“2 bezeichnet. scher Vertreter seiner Epoche, der Renais- sance. 1532/33 begann er mit dem Umbau Ottheinrich von der Pfalz und die der alten Neuburger Veste zu einem mo- Jagd dernen Residenzschloss.4 Der Pfalzgraf liebte wie viele große Herren seiner Zeit Der 1502 in Amberg geborene und 1559 in die Prachtentfaltung, und das Neuburger Heidelberg verstorbene Wittelsbacher war Schloss ist das bedeutendste Zeugnis sei- sicherlich die schillernste Herrschergestalt ner Freude an fürstlicher Repräsentation. in der Geschichte des Fürstentums Pfalz- Damals entstand auch dieses Gewehr. Mit vielen seiner Standesgenossen teilte Ottheinrich die Lust an der Jagd. In Schloss Abb. 1a und b Radschlossbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich, 1533 Grünau, etwa eine Wegstunde östlich von (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 11918) Neuburg, besaß er dafür einen reizvollen 166 | Tobias Schönauer/Dieter Storz: Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich

Gewehre wie die Ottheinrichsbüchse wur- den im 16. Jahrhundert vor allem für die Pirschjagd auf Hirsche, Rehe und, mit ge- wissen Einschränkungen, auch Schwarz- wild verwendet.7 Eine beliebte Jagdform vom 16. bis zum 18. Jahrhundert waren „eingestellte“ Jagden. Dabei wurde das Wild einige Tage vor dem eigentlichen Ereignis mit Hilfe von Netzen und gro- ßen Tüchern zusammengetrieben und bereitgehalten.8 Am Tag selbst hetzte man die Tiere zum eigentlichen Abschießplatz. Dort wurde das Wild aus einem Zelt oder Pavillon heraus von den hohen Herrschaf- ten bequem aus kurzer Distanz abgeschos- sen. Bei der Wasserjagd erlegte man die ins Wasser getriebenen und dort langsam schwimmenden Tiere vom Ufer oder von Booten aus.

Abb. 3 Vogeljagd mit Luntenschlossbüchse Detail aus: Martin Löffelholz (zugeschrieben), Fragment eines Büchsenmeisterbuches, Nürnberg um 1500 (Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart, Cod.milit.qt.31, fol. 12r)

Abb. 2 Porträtteppich mit dem Bildnis des Pfalzgrafen Ottheinrich, Brüssel 1535, heute im Schlossmuseum Neuburg (Historischer Verein Neuburg a. d. Donau e.V.)

Stützpunkt.5 Den deutschen Landesfürs- ten war zu dieser Zeit die so genannte „Hohe Jagd“ vorbehalten, also das Jagen und Erlegen besonders wertvoller Tierar- ten wie Rotwild, Bär, Luchs, Schwarzwild, aber auch Auerwild, Trappen oder Fasan.6 Für die Jagd war auch unsere Büchse be- stimmt. Die Bezeichnung dieses Gewehrs als „Büchse“ ist dabei der Tradition ge- schuldet. In der Waffenkunde versteht man unter Büchsen für gewöhnlich Lang- waffen mit gezogenem Lauf, während die „Ottheinrichsbüchse“ einen glatten Lauf besitzt. Die Gebrauchsreichweite einer sol- chen Waffe wird kaum mehr als 50 Meter betragen haben. Tobias Schönauer/Dieter Storz: Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich 167

Schusswaffen setzten sich bei der Jagd nur meemuseum von 1931 bis zu seinem Tod zögerlich durch.9 Derartige damals noch im Jahr 1936 leitete, hatte sich intensiv mit neue und ungewöhnliche Waffen wurden den erhaltenen Inventarverzeichnissen bei höfischen Jagden aber dennoch gerne der Neuburger Sammlung befasst, in der gezeigt.10 auch dieses Stück beschrieben wurde. So erscheint es 1628 mit folgendem Eintrag: Eine wechselvolle Erwerbungs- „Nr. 64. Item ein kurze dicke Pürsch- geschichte büchsen mit einer großen Kugel, Schloß und Rohr gefirnist und hat einen brau- Die Neuburger Rüstkammer, in dem auch nen Schaft, auf den Ecken mit schwar- die Ottheinrichsbüchse aufbewahrt wur- zem Horn eingelegt, hinten am Anschlag de, ging im Jahr 1800 unter, als die Stadt das Bayrisch Wappen mit einem Zettel [= von französischen Truppen geplündert Schriftzug] von Beinwerk eingelegt, wor- wurde.11 Neben vielem anderen wurden auf Herzog Ott Heinrichs Namen ist, am 14 Radschlossgewehre nach Augsburg Anschlag geschift [= geschäftet], wie ein transportiert, zu denen auch diese Büchse Hacken [= Hakenbüchse]“.14 gehört haben dürfte.12 Hier verliert sich für Und 1654 ist unter der Nummer 93 zu le- die nächsten knapp 100 Jahre die Spur des sen: Gewehrs. Einige französische Offiziere „Item ein kurze Büchsen, außen gefirnist, hatten sich für private Zwecke Stücke aus mit vier gereiften Bünden, wie auch das dem Bestand genommen. Vielleicht war Schloß mitsamt einem geblankten Buckel darunter auch die Pirschbüchse. Schließ- gefirnist, der Schaft braun, hinten beim lich erreichte man, dass die Restbestände, Anschlag des Herzog Ott Heinrich Hoch- die immer noch erheblich waren, nach sel. Gedächtnus Wappen mit der Jahr Zahl München gebracht wurden. Aber auch 1533.“15 hier schmolz der Bestand weiter dahin.13 1912 fand Stöcklein diese Büchse in ei- Hans Stöcklein, der das Bayerische Ar- nem Auktionskatalog des Auktionshau-

Abb. 4 Beineinlage an der linken Kolbenseite mit dem Wappen Ottheinrichs 168 | Tobias Schönauer/Dieter Storz: Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich

her. Für die Kleinteile besaß die Waffe ein Kolbenfach, das mit einem Schieber ver- schließbar war (Abb. 5). Davon ist heute leider nur noch der hölzerne Ladestock (dieser wurde vorher als Wischstock be- zeichnet) erhalten (Abb. 16).21 Der Rest des Zubehörs ging wohl vor dem Tausch 1951 verloren oder konnte nicht mehr zugeord- net werden.

Das Radschloss als technische Innovation Abb. 5 Geöffnetes Kolbenfach Die einfachste Form einer Schusswaffe ist der Vorderlader. Dabei besteht der Lauf ses Dorotheum in Wien, doch leider erst aus einer an einem Ende verschlossenen nach der Auktion.16 Später gelang es ihm, Röhre, die von der Mündung her, also den Erwerber der Büchse auf Schloss Sig- „von vorne“, geladen wird. Pulver und hartstein ausfindig zu machen.17 Das Mu- Geschoss („Kugel“) werden von dort ein- seum verfügte aber nicht über die Mittel geführt, in dieser Reihenfolge, und zwar für einen Ankauf. Nachdem die Waffe getrennt. Zur Schussauslösung muss das jedoch von besonderer Bedeutung für Pulver entzündet werden. Das geschieht die Geschichte Bayerns war, stellte der dadurch, dass der Lauf im Bereich des Pul- damalige bayerische Ministerpräsident Held (1868-1938) die für den Ankauf nö- Abb. 6 Büchsenschütze mit glimmender tigen Gelder zur Verfügung. Das war im Lunte in der rechten Hand, Detail aus: Diebold Jahr 1928. Zehn Jahre später musste das Schilling, Amtliche Berner Chronik, 1478-1483 Gewehr aber an das Münchner Jagdmu- (Burgerbibliothek, Bern, Mss. hist. helv. I. 1, p. 156) seum abgegeben werden. Es ist unklar, ob die neue Leitung auf den Besitz einer dy- nastischen, jedenfalls nicht militärischen Waffe weniger Wert legte als Stöcklein, der 1937 überraschend verstorben war,18 oder ob dafür der Druck von Christian Weber ausschlaggebend war. Weber war eine ein- flussreiche Münchner NS-Größe und hatte die Gründung eines Jagdmuseums in der „Hauptstadt der Bewegung“ nach 1933 erfolgreich vorangetrieben.19 Das war aber nicht das letzte Wort. 1951 gelangte die Jagdbüchse des Pfalzgrafen durch einen Tausch wieder ins Armeemuseum zurück. Statt der alten Inventarnummer (A 7411) erhielt sie eine neue: A 11918. Beim An- kauf im Jahr 1928 war noch Zubehör vorhanden: „Wischstock, 1 Kugelzieher, 1 Pfropfwischer“20 und ein Schraubenzie- Tobias Schönauer/Dieter Storz: Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich 169 vers eine kleine Bohrung besitzt. Neben gebrauch absehbar war – also vor einem dieser Bohrung ist ein kleiner Erker mit Gefecht oder bei einem Posten auf Wache einer Mulde angebracht, die sogenannte (Abb. 6). Als Pirschwaffe waren solche Ge- Pulverpfanne. Sie nimmt eine kleine Men- wehre kaum brauchbar, da das Wild den ge feinen Pulvers auf, das „Zündkraut“. Abbrand der Lunte wittern konnte („Lun- Zum Schuss wird dieses Pulver entzündet, te riechen“). die Flamme schlägt durch das Zündloch Wenn es gelang, das Zündkraut durch ei- ins Innere des Laufes, entzündet dort das nen Funken schlagenden, federgetriebe- Pulver, und der Schuss „bricht“. nen Mechanismus zu entzünden, würde Das übliche Mittel zur Entflammung des eine Waffe entstehen, die, einmal geladen, Zündkrauts war im 16. und 17. Jahrhun- ohne weitere Manipulationen dauerhaft dert eine Lunte. Das war eine Schnur, die schussbereit sein würde. Das Radschloss mit Chemikalien imprägniert war, welche löste dieses Problem. Im ersten Jahrzehnt ein langsames Abbrennen bewirkten. Zur des 16. Jahrhunderts lag es in ausgereif- Schussauslösung wurde die glimmende ter Form vor. Unser Gewehr ist für seine Spitze in die Pulverpfanne gesenkt. Dieser Entstehungszeit also eine sehr moderne Vorgang wurde dadurch erleichtert, dass Waffe. die Lunte in einen gekrümmten Arm, den Bis heute ist umstritten, wann genau das „Hahn“, gespannt wurde, der durch den Radschloss erfunden wurde. Leonardo da Abzug über eine Hebelverbindung in die Vinci wird ebenso genannt wie der Nürn- Pulverpfanne gesenkt wurde. So konn- berger Johann Kiefuß.22 Beide Männer wer- te die rechte Hand den Schuss auslösen, den jedoch als Erfinder inzwischen stark ohne das Gewehr loszulassen. Die mecha- angezweifelt. Auch der Eintrag „malslot“ nischen Vorrichtungen zur Schussauslö- in den so genannten Tafelamtsrechnun- sung wurden traditionell als „Schloss“ be- gen aus Goslar aus dem Jahr 1447 wurde zeichnet. Das Luntenschloss war einfach schon als Reibeschloss (von mahlen im aufgebaut und zuverlässig; indes hatte Sinne von reiben), also als Radschloss, in- die Luntenzündung eine Reihe von Nach- terpretiert. Jedoch wurde diese Identifizie- teilen. Solche Gewehre waren nur dann rung schnell widerlegt.23 Nach heutigem schussfertig, wenn eine glimmende Lunte Forschungsstand kann man wohl davon vorhanden war. Das Anzünden der Lun- ausgehen, dass das Radschloss vermut- te geschah nur dann, wenn der Waffen- lich nach mehreren Verbesserungen und

Abb. 7 Außenansicht des Radschlosses, gut erkennbar ist das vorstehende Gehäuse für das Rad 170 | Tobias Schönauer/Dieter Storz: Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich

Abb. 8 Wandfeuerzeug, Detail aus: Löffelholz Kodex, Nürnberg 1505 (Biblioteka Jagiellońska, Krakau, Ms. Berol. Germ. Qu. 132, fol. 27v)

Anpassungen aus dem Feuerzeug, wie es Um diese rasche Umdrehung zu bewir- z.B. aus der berühmten Löffelholz-Hand- ken, muss das Rad aufgezogen werden: schrift24 von 1505 bekannt ist, entstanden Der im Schlossinneren liegende Teil der ist (Abb. 8). Achse ist durch die sogenannte Kette mit Das Herz des Radschlosses ist eine stäh- dem Schenkel einer kräftigen V-förmigen lerne Scheibe, deren Rand umlaufend Spannfeder verbunden (Abb. 10). Die gerillt ist – eben das Rad. Es steckt auf ei- Bauart der Kette erinnert an eine Fahrrad- ner Achse bzw. Welle, die quer durch das kette. So kann sie sich nicht verdrehen. ebenfalls stählerne Schlossblech geht. Die Beim Aufziehen wickelt sie sich um die Oberseite des Rades bildet den unteren Radachse (Abb. 11), deren außen liegen- Abschluss der Pulverpfanne, die dafür der Teil ein vierkantiges Profil hat. Zum einen Ausschnitt besitzt (Abb. 9). Das Rad Aufziehen benötigt der Schütze einen pas- kann innen oder außen am Schlossblech angebracht sein. Bei unserer Büchse besitzt Abb. 9 Blick durch den Ausschnitt der das Schlossblech ein vorstehendes Gehäu- Pulverpfanne auf das gerillte Rad se, in dem das Rad läuft (Abb. 7). So ist es gut gegen äußere Einflüsse geschützt. Um es zu reinigen, muss man allerdings das Schloss aus dem Gewehr nehmen. Vorne am Schlossblech ist der Hahn ange- bracht, dessen Klauen („Hahnlippen“) ein Stück Pyrit (Schwefelkies) halten. Schon die Römer sollen dieses Mineral benutzt haben, um rasch Feuer zu erzeugen.25 Zum Schuss wird der Hahn nach hinten geklappt, so dass der Pyrit auf dem Rad aufliegt. Bei dessen rascher Umdrehung entstehen Funken, die das Pulver auf der Pfanne entzünden. Der Hahn dieser Waffe stammt nicht aus der Entstehungszeit des Schlosses, sondern wurde um 1600 erneu- ert.26 Tobias Schönauer/Dieter Storz: Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich 171

Abb. 10 Innenseite des Schlosses Rechts ist die V-förmige Spannfeder zu sehen, die mit der Kette verbunden ist. Die Kette ist hier durch den so genannten Radbügel verdeckt. ge beim Spannen einrastet. Bei Betätigung des Abzugs wird der hintere Teil der Ab- zugsstange zur Schlossseite hin bewegt, so senden Schlüssel. Das Rad der Otthein- dass der vordere Teil – die Nase – frei wird richsbüchse dreht sich dabei um ca. 260°. und das Rad, getrieben von der Spannfe- Im gespannten Zustand wird das Rad von der, abläuft und mit dem Pyrit Funken der Abzugsstange festgehalten, einem in- schlägt. nen liegenden stählernen Stab, der um Dieser mechanische Aufwand ist nötig, eine senkrechte Achse drehbar ist. Sie ist damit die Waffe im geladenen Zustand am ihren hinteren Ende mit dem eigentli- längere Zeit schussfertig gehalten werden chen Abzug verbunden und besitzt vorne kann. Sie benötigt daher auch eine Vor- eine Nase. Eine Feder bewirkt, dass der richtung, die sicherstellt, dass das Zünd- rückwärtige Teil der Abzugsstange nach pulver („Zündkraut“) auf der Pfanne außen und die vorn liegende Nase ent- verbleibt und gegen Witterungseinflüsse sprechend an das Rad gedrückt wird. Zur (Wind, Nässe) geschützt ist. Dafür sorgt Arretierung in der Gespannt-Stellung hat der verschiebbare und mit zwei Federn das Rad eine kleine trichterförmige Boh- ausgestattete Pfanndeckel. Zum Schließen rung, in welche die Nase der Abzugsstan- kann ihn der Schütze an einem kleinen

Abb. 11 Die um die Radachse gewickelte Kette. Sie ähnelt in ihrer Machart einer heutigen Fahrradkette. 172 | Tobias Schönauer/Dieter Storz: Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich

Abb. 12 Durch Druck auf den rosettenförmigen Knopf kann der Deckel der Pfanne geöffnet werden.

Handgriff zurückziehen oder von außen Erneuerung des Hahns zeigen, dass die auf einen kleinen, rosettenartig gezierten Waffe intensiv benutzt, aber auch für repa- Knopf drücken, der die Wirkung einer raturwürdig gehalten wurde. Zur Verbin- innen liegenden Feder aufhebt und den dung mit dem Schaft besitzt der Lauf an Pfanndeckel nach hinten springen lässt seiner Unterseite Ösen für Stifte, die durch (Abb. 12). Wenn der Schütze die Waffe den Schaft gesteckt wurden. Die Stifte und schussfertig machen will, muss er den Schrauben sind am Schaft mit beinernen Hahn nach rückwärts klappen, so dass Einlagen verstärkt, die das Schaftholz vor der Pyrit auf dem Rad aufliegt. Dabei öff- Ausbrechungen schützen sollen (Abb. 15 net sich der Pfanndeckel zur Hälfte (Abb. und 16). Die Bohrung des glatten Laufs hat 13). Zur Gänze tut er das, wenn der Abzug einen Durchmesser von 19 mm. betätigt wird. Dazu besitzt die Radachse Der dreifach gefingerte Abzugsbügel kor- einen Nocken, welche den innen liegen- respondiert mit einem Daumeneinschnitt den, nach unten zeigenden Finger der Pul- auf dem Kolbenrücken, was typisch für verpfanne zurückschlägt. Diese Teilung die so genannten deutschen Kolben ist.27 der Pfannenöffnung sollte den Schutz Der Abzug selbst ist vierkantig ausgeführt des Zündpulvers bis zum Augenblick der und endet in einer tropfenförmigen Spitze Schussabgabe gewährleisten. (Abb. 5 und 7). Erhalten ist noch der höl- Um eine versehentliche Schussabgabe zu zerne Ladestock, dessen Spitze aus hel- verhindern, wurde in das Schloss dieser lem Bein besteht und der in einer langen Büchse eine Sicherung eingebaut. Sie fi- xiert die Abzugsstange im gespannten Abb. 13 Der auf das Rad herabgesenkte Hahn, Zustand so, dass der Abzug sie nicht be- in dessen Hahnlippen ein Pyrit (Schwefelkies) wegen kann. geklemmt wurde (fehlt hier). Der Lauf der Waffe ist rund und durch vier Bünde gegliedert. An der Mündung sowie am Stoßboden sind diese verstärkt. Kimme und Korn (auf dem Mündungs- wulst) bilden eine einfache Visierung. Weil das ursprüngliche Zündloch ausge- brannt war, wurde der Lauf an dieser Stel- le aufgebohrt und ein neues Zündlochfut- ter eingearbeitet (Abb. 14). Dies und die Tobias Schönauer/Dieter Storz: Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich 173

Abb. 14 Rechte Laufseite mit neu eingearbeitetem Zündlochfutter

Eisenhülse an der Unterseite des Schaftes Die Büchse Ottheinrichs ist eine der we- geführt wird (Abb. 16). nigen Schusswaffen des Bayerischen Ar- Wo die Pirschbüchse von 1533 angefer- meemuseums, die eindeutig einem bay- tigt wurde, ist nicht sicher zu sagen. Lei- erischen Herrscher zugewiesen werden der sind keine Marken von Büchsen- oder können. Das macht diese Waffe, zusam- Schaftmachern auf der Waffe zu finden. men mit ihrer wechselvollen Geschichte, Die Ähnlichkeit mit Augsburger Exempla- dem guten Erhaltungszustand und der ren wie z.B. einer kurzen Radschlossbüch- frühen Radschlosskonstruktion, zu einer se (erworben 1530 von Kaiser Karl V.) in Rarität innerhalb der alten Sammlung des der Real Armería in Madrid (Inv.-Nr. K. Museums. 32) legt die Vermutung nahe, dass es sich hier auch um ein Augsburger Stück han- deln könnte, vielleicht von Bartholomäus Markwart.28 Dies würde unter Umständen auch das Fehlen von Marken erklären, da bei Aufträgen für den Hof häufiger keine Marken geschlagen wurden.29

Abb. 15 Linke Seite des Schaftes mit Verstärkungen an einem Stift und einer Schraube 174 | Tobias Schönauer/Dieter Storz: Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich

Radschlossgewehr schraube zur Verstärkung mit Bein einge- Inv.-Nr. A 11918 (früher A 7411) fasst. Auf der linken Kolbenseite Rauten- wappen und Schriftband mit der Inschrift Datierung und Restaurierung „● H OTTH ● P ● 1533 ●“. Gefingerter Ab- Augsburg(?), 1533 zugsbügel und gerader, vierkantiger Ab- Hahn des Schlosses erneuert (Ende des 16. zugsstift. Der hölzerne Ladestock mit einer Jahrhunderts) Spitze aus hellem Bein und einer Eisenhülse November 1972: Entrostung und Schutz- ist noch erhalten. Schlosskonstruktion mit anstrich; Reinigung; Holzschaft partiell er- innenliegendem Schloss, Abzugssicherung gänzt, lose Einlagen befestigt; am Schloss und einem mit einer Sprungfeder versehe- die bereits erneuerte Studel, die die Rad- nen Pfanndeckel. Der Hahn wurde um 1600 achse in schräger Lage hielt, geändert, um erneuert. gerade Lagerung der Achse zu erreichen Provenienz und Erwerbungsgeschichte Material 1628 im Inventar der fürstlichen Zeug- und Eisen, Holz (Obst), Bein Rüstkammer in Neuburg nachweisbar Am 28. Januar 1928 vom Vorbesitzer (da- Maße mals auf Schloss Sighartstein) mit Sonder- Gesamtlänge 86 cm; Lauflänge 55,4 cm mitteln des bayerischen Ministerpräsiden- Höhe 20,5 cm; Breite 8 cm ten Held angekauft Am 12. Dezember 1938 Abgabe der Waffe Beschreibung an das Jagdmuseum München Radschlossgewehr, als Pirschbüchse des 1951 Rücktausch der Pirschbüchse vom Pfalzgrafen Ottheinrich bezeichnet. Run- Jagdmuseum München der Lauf (Kaliber 19 mm) vorne und hinten bundartig verstärkt und durch zwei Reihen Inventare Querriefen gegliedert. Einfaches Kimmen- Inventarium über das fürstliche Zeug und visier mit Korn an wulstartig verstärkter Rüsthauss alhier zur Neuburg Anno 1628 Mündung. Kantiger, so genannter deut- (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Dreißig- scher Schaft aus Obstholz mit Einlegear- jähriger Krieg XXIV Fasc. 222 – zitiert bei beiten aus dunklem Bein, die vor allem die Stöcklein, Leibjagdbüchse, S. 364): „Nr. 64. Kanten und den vorderen Schaftabschluss Item ein kurze dicke Pürschbüchsen mit einfassen. Darüber hinaus sind auch die einer großen Kugel, Schloß und Rohr ge- Laufhaltestifte und die vordere Schloss- firnist und hat einen braunen Schaft, auf

Abb. 16 Rechte Seite des Gewehrs mit entnommenem Ladestock Tobias Schönauer/Dieter Storz: Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich 175 den Ecken mit schwarzem Horn eingelegt, weise gestrichen): „Radschloß-Büchse hinten am Anschlag das Bayrisch Wappen Deutsch 1533 Länge 87. cm. dazu 1. Kugel- mit einem Zettel von Beinwerk eingelegt, zieher 1 Pfropfen. 1. Schraubenzieher u. 1. worauf Herzog Ott Heinrichs Namen ist, Wischer; 12.12.1938 abgegeben an Jagd- am Anschlag geschift, wie ein Hacken“ museum Mü; s. A 11918“

Inventarium über daß fürstl. Zeug: und Lokalbestandsbuch (A-Buch, 3. Band, Rüsthauss alhie Anno 1654 (Bayerisches Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. Hauptstaatsarchiv, Pfalz-Neuburg Nr. HA.05.01.29), Eintrag Nr. 11918: „Jagd- 128 – zitiert bei Stöcklein, Leibjagdbüchse, büchse des Pfalzgrafen Ottheinrich - s. A S. 364): „Item ein kurze Büchsen, außen 7411; Tausch mit Jagdmuseum München Gefirnist, mit vier gereiften Bünden, wie 1951; Beleg 7/1950 [Beleg nicht vorhanden]“ auch das Schloß mitsamt einem geblank- ten Buckel gefirnist, der Schaft braun, hin- Literatur (Auswahl) ten beim Anschlag des Herzog Ott Hein- Aichner, Führer, S. 36 f.; rich Hochsel. Gedächtnus Wappen mit der Blackmore, Guns and Rifles of the World, Jahr Zahl 1533 Abb. 77 (dort als Stück des Bayerischen Nationalmuseums gelistet); Zugangsbuch 1922-1927 (Bayerisches Hayward, Kunst der alten Büchsenma- Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01.94), cher 1, S. 58 und Abb. 13; Eintrag 534 im Abschnitt zum Jahr 1927 Hoff, Feuerwaffen I, S. 60 f.; (teilweise gestrichen): „1 Radschlossbüch- Morin, Armi antiche, Nr. 29; se. Zeit: 1533 (Leibbüchse des Pfalzgrafen Reitzenstein, Feuerwaffen, S. 95; Ottheinrich von Neuburg, späterer Kur- Schalkhaußer, Alte Abteilung, S. 15 f.; fürst von der Pfalz). Mit Zubehör; 21.1.28; Ders., Peter Peck, S. 24; Beleg Nr. 159/27; Ankauf durch H. Dr. Stöcklein, Leibjagdbüchse, S. 364 f.; Stöcklein aus bes. Mitteln des bay. Minis- Ders., Neuerwerbungen; terpräsidenten; 12.12.38; Beleg Nr. 113; Ders., Zwei Radschloßbüchsen; Abgabe an Jagdmuseum München“ Tittmann, Handfeuerwaffen, S. 339.

Sammlungsbelege Jahrgang 1927 (Bay- Ausstellungshistorie erisches Armeemuseum, Inv.-Nr. Mai 1972 bis 31. August 2014 HA.05.01.65), Beleg Nr. 159: „Den Samm- Dauerausstellung des Bayerischen lungen des Armee-Museums, Abteilung Armeemuseums in Ingolstadt Ältere Zeit wird überwiesen: 1 Radschloß- büchse 1533 (Leibbüchse des Pfalzgrafen seit 3. Juni 2019 Ott Heinrich von Neuburg); Mit Zubehör: Ständige Ausstellung „Schatzkammer“ 1 Wischstock, 1 Kugelzieher, 1 Pfropfwi- des Bayerischen Armeemuseums scher, 1 Schraubenzieher; Erwerbungsart: in Ingolstadt Ankauf von Scheurer, Wien (durch Dr. Stöcklein) aus besond. Mitteln des bay. Ministerpräsidenten); Preis: 400.- RM; Schriftwechsel: 740/27, 45/28“

Lokalbestandsbuch (A-Buch, 2. Band, Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01.28a-b), Eintrag Nr. 7411 (teil- 176 | Tobias Schönauer/Dieter Storz: Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich

Anmerkungen Peck, S. 24 und Catálogo de la Real Armería, S. 306. Ein Foto des Stücks aus der Real Ar- 1 Vgl. Hayward, Kunst der alten Büchsenma- mería findet sich bei Tittmann, Handfeuer- cher 1, S. 58 und Abb. 13 sowie Hoff, Feuer- waffen, S. 338, Abb. 217. waffen I, S. 60 f. 29 Vgl. Schalkhaußer, Peter Peck, S. 24. 2 Hayward, Kunst der alten Büchsenmacher 1, S. 58. 3 Zu Ottheinrich vgl. Reichold, Himmelsstür- mer und Bäumler, Von Kaisers Gnaden. Literatur 4 Vgl. Langer, Schloss Neuburg, S. 20. 5 Reichold, Himmelsstürmer, S. 120-123. Aichner, Ernst (Hg.), Führer durch das Bayerische 6 Vgl. Geibig, Der Herzöge Lust, S. 31. Armeemuseum Ingolstadt I Neues Schloß, Ingol- 7 Vgl. Pfaffenbichler, Höfische Jagdwaffen, stadt 1998. S. 84. Danke für diese Hinweise auch Herrn Dr. Alfred Geibig. Bäumler, Suzanne u.a. (Hg.), Von Kaisers Gnaden. 8 Vgl. hier und im folgenden Geibig, Der Her- 500 Jahre Pfalz-Neuburg (Veröffentlichungen zur zöge Lust, S. 103. Bayerischen Geschichte und Kultur 50), Regens- 9 Vgl. Sälzle, Eröffnungs-Katalog, S. 75 und burg 2005. S. 82 sowie Ergert, Jagd, S. 59 f. 10 Vgl. Geibig, Der Herzöge Lust, S. 103. Bezzel, Oskar, Dr. Hans Stöcklein und die Welt- 11 Vgl. Reitzenstein, Harnische, S. 41 f. kriegsabteilung des Armeemuseums. Ein Nach- 12 Die Aufstellungen sind jedoch zu summa- ruf, in: Das Bayerland 48 (1937), S. 33 f. risch, um dieses Stück eindeutig zu identifi- zieren. Catálogo Histórico-Descriptivo de la Real Armería 13 Vgl. Reitzenstein, Harnische, S. 42 f. de Madrid, Madrid 1898. 14 Inventarium über das fürstliche Zeug und Rüsthauss alhier zur Neuburg Anno 1628 Ergert, Bernd E., Die Jagd in Bayern. Von der Vor- (Bay. Hauptstaatsarchiv, Dreißigjähriger zeit bis zur Gegenwart, Rosenheim 1984. Krieg XXIV Fasc. 222). Auszüge zitiert bei Stöcklein, Leibjagdbüchse, S. 364. Hayward, John F., Die Kunst der alten Büchsen- 15 Inventarium über daß fürstl. Zeug: und Rüst- macher, Bd. 1: 1500-1600, Hamburg, Berlin 1969. hauss alhie Anno 1654 (Bay. Hauptstaatsar- chiv, Pfalz-Neuburg Nr. 128). Auszüge zitiert Hoff, Arne, Feuerwaffen I (Bibliothek für Kunst- bei Stöcklein, Leibjagdbüchse, S. 364. und Antiquitätenfreunde 9), Braunschweig 1969. 16 Vgl. hier und im folgenden Stöcklein, Leib- jagdbüchse, S. 364. Ders., Stammt das Radschloß aus Braunschweig?, 17 Vgl. Stöcklein, Neuerwerbungen, S. 604 in: Zeitschrift für historische Waffen- und Kostüm- Sammlungsbelege Jahrgang 1927 (Bayeri- kunde 30 (1988), S. 61-67. sches Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01.65), Nr. 159. Langer, Brigitte, Schloss Neuburg an der Donau und 18 Vgl. Bezzel, Dr. Hans Stöcklein. seine Kunstschätze. Von der Nebenresidenz Lud- 19 http://www.jagd-fischerei-museum.de/muse- wigs des Bärtigen zum Residenzschloss Otthein- um/geschichte (abgerufen am 14.10.2020). richs, in: Dies. und Thomas Rainer (Hg.), Kunst & 20 Sammlungsbelege 1927 (Bayerisches Armee- Glaube. Ottheinrichs Prachtbibel und die Schloss- museum, Inv.-Nr. HA.05.01.65), Nr. 159. kapelle Neuburg, Regensburg 2016, S. 14-31. 21 Vgl. ebenda. 22 Vgl. hier und im folgenden Sälzle, Eröff- Morin, Marco, Armi antiche, Mailand 1982. nungs-Katalog, S. 77. Zur Diskussion um die Erfindung des Radschlosses zuletzt ausführli- Pfaffenbichler, Matthias, Höfische Jagdwaffen, in: cher Tittmann, Handfeuerwaffen, S. 163-224. Wilfried Seipel (Hg.), Herrlich Wild. Höfische Jagd 23 Vgl. Hoff, Radschloss, S. 61 f. in Tirol, Innsbruck 2004, S. 83-85. 24 Vgl. Biblioteka Jagiellońska, Ms. Berol. Germ. Qu. 132, fol. 27v (früher Staatsbibliothek zu Reichold, Klaus, Der Himmelsstürmer. Otthein- Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. rich von Pfalz-Neuburg, Regensburg 2004. qu. 132, fol. 27v) 25 Thierbach, Geschichtliche Entwickelung, Reitzenstein, Alexander Freiherr von, Die Feuer- S. 27. waffen in der Rüstkammer von Pfalz-Neuburg 26 Vgl. Schalkhaußer, Alte Abteilung, S. 16 und 1628 und 1654, in: Zeitschrift für historische Waf- Tittmann, Handfeuerwaffen, Bd. 1, S. 339. fen- und Kostümkunde 40 (1981), S. 87-100. 27 Vgl. Pfaffenbichler, Höfische Jagdwaffen, S. 84. Ders., Die Harnische der Neuburger Rüstkammer, 28 Vgl. Stöcklein, Leibjagdbüchse, S. 365; Schalk- in: Zeitschrift für historische Waffen- und Kostüm- haußer, Alte Abteilung, S. 16; ders., Peter kunde 16 (1940-1942), S. 41-51. Tobias Schönauer/Dieter Storz: Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich 177

Sälzle, Karl, Deutsches Jagdmuseum München. Eröffnungs-Katalog 1966, München 1966.

Schalkhaußer, Erwin, Die „Alte Abteilung“ des bayerischen Armeemuseums, in: Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde 40 (1981), S. 5-26.

Ders., Peter Peck, ein Münchner Büchsenmacher des 16. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde 33 (1974), S. 21-40.

Stöcklein, Hans, Die Leibjagdbüchse des Kurfürs- ten Ott-Heinrich von der Pfalz, in: Pantheon. In- ternationale Jahreszeitschrift für Kunst 5 (1932), S. 364 f.

Ders., Neuerwerbungen der alten Abteilung des Armeemuseums, in: Das Bayerland 40 (1929), S. 603-605.

Ders., Zwei Radschloßbüchsen, in: Das schwäbi- sche Museum 2 (1929), S.165 ff.

Thierbach, Moritz, Die geschichtliche Entwicklung der Handfeuerwaffen, Dresden 1899.

Tittmann, Wilfried, Die Nürnberger Handfeuer- waffen vom Spätmittelalter bis zum Frühbarock. Der Beitrag Nürnbergs zur Militärischen Revoluti- on der frühen Neuzeit, 2 Bände, Graz 2018.

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Tobias Schönauer Das Innere eines Turnierhelms Eine Helmhaube für einen Stechhelm

Turniere erfreuten sich im ausgehenden Schon im 14. Jahrhundert entwickelte sich Mittelalter großer Beliebtheit. Dabei ent- eine Turnierart, bei welcher die Kämpfer wickelte sich eine große Zahl an unter- gegeneinander anritten und versuchten, schiedlichsten Turnierformen.1 Vor allem den Gegner mit der Lanze gezielt auf den während der Regierungszeit Kaiser Ma- Schild oder den Helm zu treffen.6 Dabei ximilians I. (1459-1519) erlebte das Tur- sollte der Kontrahent aus dem Sattel ge- nierwesen eine Blütezeit. „Als einer der hoben oder zumindest die Lanze gebro- eifrigsten und besten Turnierreiter seiner chen werden (Abb. 4).7 Im 15. Jahrhundert Zeit widmete er diesem elitären Sport be- entstand hieraus das so genannte Gestech sondere Aufmerksamkeit“.2 oder Stechen (abgeleitet vom „aus dem Sattel stechen“). Durch den Einsatz eines Eine Spezialausrüstung für das Spezialsattels, der den Reiter etwa 10 bis Turnier 20 cm über den Pferderücken anhob und auch fixierte, war es jetzt fast unmöglich, Die ersten Hinweise auf Turniere lassen den Gegner aus dem Sattel zu heben.8 Die- sich bereits im 11. und 12. Jahrhundert se Form des Turnierens nannte man nach nachweisen, wobei man damals noch die diesem Sattel das Stechen im hohen Zeug gleiche Ausrüstung wie im Krieg verwen- oder Hohenzeuggestech.9 Zum Einsatz dete.3 Erst in den folgenden Jahrhunderten kam hierfür eine 3,5 bis 4,5 m lange Lanze entstand eine spezialisierte Ausrüstung aus Fichten- oder Kiefernholz.10 Allerdings für diesen Sport.4 Beim Turnierkampf wir- ist eine Länge von 3,5 m wahrscheinlicher, ken massive Kräfte auf die Rüstung und da sie besser zu handhaben ist.11 Um diese somit auch indirekt auf den Körper des gefährliche Waffe zu entschärfen, wurde Kämpfers ein. Gerade die Nachstellung sie mit einer dreifach gespaltenen Spitze, historischer Turnierkämpfe auf wissen- dem Krönlein, versehen.12 Als Handschutz schaftlicher Basis hat hier in den letzten schob man eine trichterförmige Brech- Jahrzehnten große Erkenntnisse gebracht.5 scheibe auf die Lanze.13 Trennte eine Plan- Beim Turnier ist wie auch heute bei vielen ke die Bahn der Pferde, so spricht man modernen Sportarten vor allem der Kopf vom „welschen Gestech“, das „deutsche besonders gefährdet. Er musste somit spe- Gestech“ hingegen verzichtete auf die ziell geschützt werden. Planke.14 Die Beschleunigung der beiden galoppierenden Pferde sowie das Gewicht von Tier und Reiter führten dazu, dass der der Stoß mit großer Wucht geführt wurde. Abb. 1 Helmhaube für einen Stechhelm vermutlich süddeutsch, 1480-1530 Besonders die Hals- und Kinnpartie, die (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0402-2008) Brust sowie die linke Schulter und beide 180 | Tobias Schönauer: Eine Helmhaube für einen Stechhelm

Hände mussten besonders geschützt wer- den, weshalb man eine Spezialausrüstung benötigte.15 Dieser Spezialharnisch, das so genannte Stechzeug, war an die 40 bis 45 kg schwer und wog somit etwa doppelt so viel wie ein Feldharnisch.16 Für den Kopf kam ein speziell entwickelter Stechhelm zum Einsatz (Abb. 3), der verstellbar auf Brust und Rücken festgeschraubt wur- de.17 „Dieses Fixieren des Stechhelms ver- hinderte, dass sich der Turnierer durch die Wucht des gegnerischen Stoßes das Genick brach“.18 Die Front dieser Helme bildete eine schiffsbugartige, bis zu 6 mm dicke Stahlplatte (etwa viermal stärker als bei den meisten Helmen für den Kampf), was ihn extrem schwer machte.19 Ein Ex- emplar in der Hofjagd- und Rüstkammer in Wien wiegt allein 9,6 kg,20 ein anderes Abb. 2 Schematische Darstellung einer (etwas korrodiertes) in der Wallace Collec- Helmhaube, eingebunden in einem Stechhelm tion in London 7,4 kg.21 (Metropolitan Museum of Art) Wie bei einem heutigen Sturzhelm hätte sich der Turnierkämpfer jedoch bei ei- nem Aufprall der Lanze oder beim Sturz tigt. Durch Schlitze in den Seitenwänden vom Pferd erhebliche Verletzungen zuzie- führen breitere Lederriemen, die an der hen können, wenn der Kopf ungeschützt Rückseite des Helmes mit Schnallen fest- gegen die harte Helmschale geschlagen gezurrt sind. Erst dank Dürers Zeichnung wäre. Von einer Gehirnerschütterung bis ist es möglich, eine detaillierte Vorstellung zu einem Schädelbasisbruch wäre alles der Befestigung der Haube im Helm zu denkbar gewesen. So wurde der Kopf von gewinnen, wie es ansonsten kaum mög- einer gepolsterten Helmhaube aus Leinen lich wäre. umschlossen (Abb. 1). Üblicherweise wa- ren derartige Hauben mit Werg gefüttert Ein Fund im Hühnerstall und und wurden mit angenähten Bändern dessen Restaurierung oder Riemen so in den Helm eingebun- den, „dass sie den Kopf praktisch frei Die Helmhaube des Bayerischen Armee- schwebend innerhalb des Helmes festhiel- museums wurde im September 2005 bei ten, so dass er nicht direkt an die Helm- einer Auktion im Kunsthandel erworben. wand anstoßen konnte“ (Abb. 2).22 Eine Über die Herkunft des Stückes ist wenig aquarellierte Federzeichnung Albrecht bekannt. Sie stammt aus der Sammlung ei- Dürers zeigt diese Befestigung (Abb. 3).23 nes inzwischen verstorbenen langjährigen Gut erkennbar sind hier die durch Schlit- Sammlers alter antiker Waffen und Rüs- ze im Helm gezogenen Bänder und ihre tungen in Österreich, die verkauft wurde. Befestigung mit Knoten und Schnallen an Dieser wiederum hatte sie „aus einer auf- der Außenseite. So wurde die Helmhaube gelösten Schlosssammlung in Südtirol“24 offenbar am Scheitel an drei Stellen und an erworben. Genaueres ließ sich leider nicht den Seiten je zweimal mit Knoten befes- in Erfahrung bringen. Es wurde zwar im- Tobias Schönauer: Eine Helmhaube für einen Stechhelm | 181

Abb. 3 Albrecht Dürer, Stechhelme in drei Ansich- ten (aquarellierte Federzeichnung), um 1498/1500 (Musée du Louvre, Paris, Département des arts graphiques, RF 5640r) 182 | Tobias Schönauer: Eine Helmhaube für einen Stechhelm

Abb. 4 Ausschnitt aus: Hans Suess von Kulm- bach (Umkreis), Nürnberger Gesellenstechen 27 (Aquarell über Feder in Braun auf handgeschöpf- in Innsbruck. Diese Hauben wurden teil- tem Büttenpapier), um 1500 weise mit einem ledernen Stirn- und Kinn- (Staatliche Graphische Sammlung München, riemen verstärkt, die beim Ingolstädter Inv.-Nr. 41464 Z) Stück fehlen.28 Das außergewöhnliche der Wiener und Innsbrucker Stücke ist jedoch mer wieder auf die Nähe zur bekannten nicht nur deren Erhaltung, sondern auch, Sammlung auf der Churburg25 hingewie- dass man sie zum Teil einzelnen Stechhel- sen, aber anzunehmen, dass dieses Stück men zuordnen kann.29 Helmhauben wur- wirklich aus diesem Umfeld stammt, wäre den vermutlich mit dem Stechzeug indivi- reine Spekulation. duell für den Träger angefertigt und vom Derartige Helmhauben sind äußerst selten. Hofschneider, Seidensticker oder Tapezie- Zum einen hielt man sie vermutlich früher rer hergestellt.30 „Diese Handwerker wer- für nicht wichtig genug, um sie aufzube- den nämlich häufig im Zusammenhang wahren. Zum anderen sind textile Objekte mit Aufträgen für Turniergerätschaften“31 äußerst anfällig für Schädlingsbefall und in Rechnungsbüchern genannt. haben sich deshalb häufig nicht erhalten. Neben den österreichischen Exemplaren Die weltweit größte Sammlung derartiger findet sich im deutschsprachigen Raum Stücke befindet sich in der Hofjagd- und nur noch eine Helmhaube im Deutschen Rüstkammer des Kunsthistorischen Mu- Historischen Museum in Berlin, die auf seums in Wien. Dort werden acht Helm- das Ende des 15. Jahrhundert datiert hauben aus dem Besitz von Erzherzog wird.32 Dieses Stück ist aus Leinen gefertigt Sigmund von Tirol (1427-1496) verwahrt.26 und mit Wolle gepolstert.33 Die ledernen Eine weitere findet sich in Schloss Ambras Schnürungsbänder sind noch erhalten. Tobias Schönauer: Eine Helmhaube für einen Stechhelm | 183

Die Haube des Bayerischen Armeemuse- Abb. 5 Vergleich der Ingolstädter Helmhaube ums wurde offenbar im Fehlboden eines mit Stücken des Kunsthistorischen Museums Wien (Oktober 2016) Hühnerstalls gefunden. Dies erklärt auch den katastrophalen Gestank, der von ihr ausging. Da sie in diesem Zustand nicht ausstellbar war, musste sie zunächst auf- wändig dekontaminiert und restauriert werden. Der Geruch wurde mittels einer vierwöchigen Vakuumdesorption in einer Spezialkammer reduziert.34 Weitere zwei Jahre lag das Stück im Digestorium des Bayerischen Nationalmuseums.35 Insge- samt nahm das Vorhaben über vier Jahre in Anspruch.36 Bei diesem Exponat handelt es sich um eine Helmhaube aus genähtem Leinen mit einem v-förmigen Brust- und einem Na- ckenlatz, der mit Lederriemen verschlossen werden konnte: Von diesen Riemen sind noch Teile vorhanden (Abb. 7). Die Haube war starkem Insektenbefall ausgesetzt, der Restaurierungsbericht formuliert es recht drastisch: „die Haube war übersät mit Pup- 184 | Tobias Schönauer: Eine Helmhaube für einen Stechhelm

Von Kopftreffern und Belastungstests

Derartige Hauben mussten großen Be- lastungen standhalten. Die Kräfte, die im Falle eines Treffers auf den Helm und so- mit auf die Lederriemen und die Haube ausgeübt wurden, waren extrem. Detail- aufnahmen der Ösenlöcher zeigen, wie massiv diese verstärkt wurden, um diesen Abb. 6 Puppenhüllen werden während der Kräften standhalten zu können (Abb. 7). Restaurierung entfernt Verlässliche Daten lieferten Messungen auf einem Prüfstand des TÜV Süd im Jahr 2013.41 Mit rekonstruierten Rüstun- penhüllen von Motten und deren Exkre- gen wurden verschiedene Aufprallsitu- menten“ (Abb. 6).37 Die ursprünglich vor- ationen simuliert. Reiter und Harnisch handene Wattierung mit Wolle wurde fast wogen bei diesen Versuchen zusammen vollständig aufgefressen. Das Stück selbst 120 kg, die Aufprallgeschwindigkeit lag ist wegen der Fraßspuren auch in einem bei 60 km/h.42 Die Erkenntnisse waren fragilen und teilweise löchrigen Zustand.38 höchst interessant, denn die potentielle Die Haube war ursprünglich naturweiß, Verletzungsschwere liegt entgegen den ist heute jedoch dunkel verfärbt. Vor allem Vermutungen weit unterhalb des Limits. das Futter des Nackenbereiches ist stark Die Werte werden mit dem so genannten verschmutzt – vermutlich durch Schweiß. Head Injury Criterion (kurz HIC) gemes- An der Eidgenössischen Technischen sen, mit dem die „Verletzungsschwere“ Hochschule Zürich wurde die Haube mit Hilfe der Radiokarbonmethode auf die Zeit zwischen 1680 und 1800 datiert.39 Mündlich Abb. 7 Verstärkte Ösenlöcher (rechte Seite) mit Resten der Lederriemen wurde jedoch bereits bei der Übermittlung der Ergebnisse durch das Labor mitgeteilt, dass die starke Verunreinigung der Probe falsche Ergebnisse hervorgerufen haben könnte. So wurde entschieden, das Stück vor Ort in Wien mit den dort verwahrten Originalstücken zu vergleichen, um eine gesichertere Datierung zu gewährleisten (Abb. 5). Der Vergleich von Form, Ausfüh- rung und Material, der im Oktober 2016 im Kunsthistorischen Museum stattfand, ließ keinen anderen Schluss zu, als dass es sich um eine Helmhaube aus der Zeit um 1480- 1530 handeln muss.40 Zudem ist die Art der Hauben aufgrund der technischen Vorga- ben (Form des Helmes, Fixierungsmöglich- keiten etc.) weitgehend determiniert, so dass auch ein rein stilistischer Vergleich die Datierung „vor 1530“ stützt. Tobias Schönauer: Eine Helmhaube für einen Stechhelm | 185 beurteilt werden kann. Das Limit43 liegt chen dem Aufprall standhalten würden bei 650, erreicht wurden bei einem Kopf- und wie groß der Rückstoß war.47 Konkret treffer jedoch „nur“ 141. Auch die Nacken- wurden Kräfte von über 600 Newton ge- werte liegen außerhalb eines gefährlichen messen. Mit einem Rüsthaken erreichte Wertes.44 Beim Gestech sollte normaler- man bei jedem Treffer über 200 Joule (J), weise ein Brusttreffer erzielt werden. Dort teilweise sogar 250 J.48 Dies sollte man mit bricht die Lanze erheblich früher als am der Energie eines Schwertschlages oder Helm und hier wurden auch die höchs- eines Axthiebes vergleichen, die zwischen ten Kräfte gemessen. Die Rüstung leitet 60 und 130 J liegen, oder mit der eines ab- jedoch an dieser Stelle den größten Teil geschossenen Pfeils (90-100 J). des Stoßes ab. Trifft die Lanze den Helm, Diese gemessenen Werte zeigen, dass die „so sind die auf den Harnisch einwirken- Helmhauben für die Sicherheit des Tur- den Kräfte am größten, aber immer noch nierers von essentieller Bedeutung waren. unter den Grenzwerten für ein starkes Jeder Kämpfer hatte mindestens ein Ex- Gefährdungspotential bei Unfällen“.45 Be- emplar. Sie waren weitverbreite Ausrüs- reits 2011 hatte man die Kräfte untersucht, tungsstücke, die jedoch in Museen kaum „die auf und durch die Lanze“46 wirken. überlebt haben. Umso bedeutender ist Die wissenschaftliche Auswertung mit der dieses zunächst unscheinbar erscheinende Wallace Collection London sollte zeigen, Objekt für die Mittelalter-Sammlung des ob rekonstruierte Rüstungen beim Ste- Bayerischen Armeemuseums.

Abb. 8 Über den Kopfteil verlaufende Nähte 186 | Tobias Schönauer: Eine Helmhaube für einen Stechhelm

Helmhaube für einen Turnierhelm Inv.-Nr. 0402-2005

Datierung und Restaurierung Süddeutsch(?), 1480-1530 letzte Restaurierung von November 2007 bis Februar 2012 (v.a. Dekontamination)

Material Leinen (genäht), Leder

Maße Höhe ca. 60 cm / Breite ca. 34 cm (exakte Maße aufgrund der Materialität nicht möglich)

Beschreibung Haube aus naturfarbenem Leinen (stark veschmutzt, ursprünglich weiß) mit Brust- und Nackenlatz; mit Wolle wattiert; Le- derriemen zum Teil erhalten

Provenienz und Erwerbungsgeschichte angeblich stammt das Stück aus einer aufgelösten Schlosssammlung in Südtirol (Auskunft des Auktionshauses), wo es im Fehlboden eines Hühnerstalls gefunden wurde Abb. 9 Rückseite am 12. September 2005 im Kunsthandel (Auktionshaus Landshuter Rüstkammer) erworben Ausstellungshistorie seit 3. Juni 2019 Inventare Ständige Ausstellung „Schatzkammer“ Inventarbuch 2005 (Bayerisches Armee- des Bayerischen Armeemuseums museum, Inv.-Nr. HA.05.01.113: „Kopf- in Ingolstadt haube für Turnierhelme, Innsbruck, um 1500; Ankauf Landshuter Rüstkam- mer, Bodenklang 8, 84184 Tiefenbach, 12.09.2005“)

Literatur Paggiarino/Schönauer, The Bavarian Army Museum, S. 16 f. und S. 258. Tobias Schönauer: Eine Helmhaube für einen Stechhelm | 187

Abb. 10 Seitenansicht links Abb. 11 Seitenansicht rechts

Abb. 12 Schemazeichnungen 188 | Tobias Schönauer: Eine Helmhaube für einen Stechhelm

Anmerkungen 21 Inv.-Nr. A 186 (vgl. Capwell, Masterpieces, S. 38 f.). 1 Vgl. u.a. Jezler, Ritterturnier; Krause, Turnier; 22 Pfaffenbichler, „wie der jung […] kunig“, Capwell, Medieval Joust. S. 135. Vgl. auch ders., Kaiser, S. 101. Vgl. 2 Pfaffenbichler, Kaiser, S. 93. auch Haag, Ritter!, S. 154. 3 Vgl. ders., Anfänge, S. 15-18. 23 Vgl. hier und im folgenden Müller, Dürer, 4 Vgl. zur Entwicklung dieser Spezialausrüs- S. 117-120. tung Breiding, Turniere und Turnierausrüs- 24 Auskunft des Auktionshauses Landshuter tung. Rüstkammer oHG vom 19.10.2016. 5 Einen guten Überblick bietet hier Capwell, 25 Vgl. hierzu zuletzt eindrücklich Paggiarino, Ritter des 21. Jahrhunderts. Darüber hinaus Churburg Armoury. auch Koets, Bericht. 26 Inv.-Nrn. Hofjagd- und Rüstkammer B 44, 6 Vgl. Jezler, Ritterturnier, Kat. Nr. 7, S. 154 B 45, B 46, B 47, B 112, B 113, B 114, B 115. und Breiding, Rennen, S. 64. Vgl. zu den Stücken teilweise Thomas/ 7 Vgl. Breiding, Rennen, S. 64 und Pfaffenbich- Gamber, Katalog, S. 152 f. oder Haag, Kaiser ler, Kaiser, S. 98. Maximilian, S. 146 f. 8 Vgl. Jezler, Ritterturnier, Kat. Nr. 7, S. 154 27 Inv.-Nrn. Schloss Ambras Innsbruck WA 1687 und Breiding, Rennen, S. 64 f. (vgl. Haag, Ritter!, S. 154 f.) 9 Vgl. Pfaffenbichler, Kaiser, S. 98 und Brei- 28 Vgl. Müller, Dürer, S. 117. ding, Rennen, S. 64 f. 29 Vgl. Jezler, Ritterturnier, Kat. 8, S. 146 und 10 Vgl. Jezler, Ritterturnier, Kat. Nr. 16, S. 159 Thomas/Gamber, Katalog, S. 153. oder Koets, Bericht, S. 393. Capwell, Ritter 30 Vgl. Haag, Ritter!, S. 154. des 21. Jahrhunderts, S. 371 verwendet Pini- 31 Ebenda, S. 154. enholz, wobei das auch eine nicht ganz kor- 32 Inv.-Nr. W 2000/1. Vgl. Atzbach, Burg, Kat. rekte Übersetzung des englischen „pine“ sein Nr. 10.8, S. 195 f. könnte, denn woher hätte man zu dieser Zeit 33 Vgl. hier und im folgenden ebenda, Kat. Nr. in England Pinienholz in ausreichender Men- 10.8, S. 195. ge bekommen sollen (vgl. auch Williams u.a., 34 Fa. Consolidas in Scheßlitz/Bamberg. Experimental investigation, S. 4). 35 Vgl. Restaurierungsbericht zu 0402-2005 im 11 Vgl. Williams u.a., Experimental investigati- Bayerischen Armeemuseum, S. 4. on, S. 4. 36 Siehe ebenda. Die beteiligten Restauratoren 12 Vgl. Atzbach, Burg, S. 195; Breiding, Rennen, waren Frau Dagmar Drinkler und Herr S. 66 oder Williams u.a., Experimental inves- Martin Pacher (Fa. Consolidas in Scheßlitz/ tigation, S. 5. Es gibt kaum erhaltene originale Bamberg). Turnierlanzen, ein Beispiel in Jezler, Ritter- 37 Ebenda, S. 3. turnier, Kat. 16, S. 159. Einige haben sich in 38 Vgl. hier und im folgenden ebenda, S. 3. der Hofjagd- und Rüstkammer des Kunsthis- 39 Vgl. Messung im Restaurierungsbericht, S. 25. torischen Museums in Wien erhalten (Inv.- 40 Herrn Dr. Matthias Pfaffenbichler und Herrn Nrn. B 1, B 8, B 13, B 15, B 50, B 84, B 130, vgl. Dr. Stefan Krause sei an dieser Stelle herz- Williams u.a., Experimental investigation, S. 4). lich für ihre Unterstützung bei der Datierung 13 Vgl. Breiding, Rennen, S. 65. Zum Sinn von im Kunsthistorischen Museum gedankt. Brechscheiben eindrücklich Capwell, Ritter 41 Vgl. Pöschl, Crashtest. des 21. Jahrhunderts, S. 371-374. 42 Vgl. ebenda, S. 352. 14 Vgl. Pfaffenbichler, Kaiser, S. 98 oder Brei- 43 Dieses Limit wird von der Economic Com- ding, Rennen, S. 65 f. mission for Europe und dem European New 15 Vgl. Pfaffenbichler, Kaiser, S. 100. Car Assessment Programme definiert (vgl. 16 Vgl. ebenda, S. 99 f. und Jezler, Ritterturnier, Pöschl, Crasthest, S. 352). Kat. Nr. 7, S. 114. 44 Vgl. Pöschl, Crasthest, S. 352. 17 Vgl. Pfaffenbichler, „wie der jung [ ] kunig“, 45 Ebenda, S. 353. S. 135 und Breiding, Rennen, S. 64. Allgemein 46 Koets, Bericht, S. 394. Jezler, Ritterturnier, S. 20-23 sowie Kat. Nrn. 47 Vgl. hier und im folgenden ebenda, S. 394. 7 bis 11 auf S. 144-154. Diese Helmform geht 48 Vgl. hier und im folgenden Williams u.a., Ex- wohl auf den aus mehreren Platten zusam- perimental investigation, S. 7 f. mengesetzten Topfhelm des 13. Jahrhunderts zurück (vgl. Peine, Herbede, S. 66 und Peine/ Breiding, Important find, S. 6). 18 Pfaffenbichler, Kaiser, S. 100 f. 19 Vgl. Capwell, Armour, S. 82 und S. 89. Vgl. auch ein frühes Beispiel bei Peine, Herbede, S. 64-66 mit Abb. 14 oder Peine/Breiding, Im- portant find, S. 5 f. 20 Inv.-Nr. Hofjagd- und Rüstkammer, S VI (für diese Auskunft danke ich Herrn Dr. Stefan Krause, Wien). Tobias Schönauer: Eine Helmhaube für einen Stechhelm | 189

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191

Christopher Retsch Die Panzerhose im Bayerischen Armeemuseum Hosen als Rüstungsteile im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit

Die sogenannte Panzerhose (Abb. 1) des 1900 schließlich die Nummer 208.4 1922 Bayerischen Armeemuseums stellt ein wurde die Hose vom Bayerischen Natio- zwar nicht ganz einmaliges, aber doch nalmuseum an das Bayerische Armeemu- äußerst rares Objekt unter den erhalte- seum abgegeben und erhielt die Inventar- nen Kleidungs- und Rüstungsstücken des Nummer A 6147.5 Zwar wurde von ihr in Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit den 1930er Jahren erneut eine Aufnahme dar. Die spezielle Art der Befestigung angefertigt (Abb. 3), jedoch geriet sie dar- von Metallplättchen zwischen zwei Lagen aufhin in dessen Depot in Vergessenheit. Stoff ist bislang nur noch von einem weite- Erst 2014/2015 stellte Martin Siennicki ren Exemplar in England bekannt.1 während seiner Zeit am Bayerischen Na- Noch bis vor wenigen Jahren war die In- tionalmuseum6 aufgrund der Kenntnis golstädter Hose so gut wie unbekannt, der beiden alten Schwarzweißfotografien beziehungsweise lediglich durch zwei alte Nachforschungen zum Verbleib des Ob- Schwarzweißfotografien vermutlich vom jektes an. Diese führten an das Bayerische Anfang des 20. Jahrhunderts in der Foto- Armeemuseum, wo es am 20. Februar 2015 datenbank des „Deutschen Dokumentati- zu einer ersten Begutachtung der dortigen onszentrums für Kunstgeschichte – Bild- Hose kam.7 Am 6. Mai 2015 folgte eine in- archiv Foto Marburg“ (Abb. 2).2 Diese tensivere zweite Untersuchung, die auch wurden angefertigt, als sich die Hose noch zur Erstellung eines Schnittmusters führte im Bestand des Bayerischen National- (Abb. 4).8 Schließlich wurden am 13. April museums in München befand. Das Mu- 2016 im Bayerischen Nationalmuseum 45 seum kaufte das Stück im Jahr 1863 oder Röntgenaufnahmen erstellt, die später von 1864 vom Münchner Kunsthändler Aron Tobias Schönauer zu einer Gesamtansicht Schmaya Drey (1813-1891).3 Wo dieser zusammengefügt werden konnten (Abb. die Hose zuvor erworben hatte, ist jedoch 5). Die schnell erkannte Rarität der Hose nicht bekannt. Im Nationalmuseum er- prädestinierte sie als Exponat für die 2019 hielt sie wohl zunächst die Inventarnum- neu eingerichtete sogenannte Schatzkam- mer 229, etwas später die Nummer 212, mer im Bayerischen Armeemuseum.9 beim Umzug des Museums von der Ma- ximilianstraße in das neue Museumsge- Beschreibung der Panzerhose bäude an der Prinzregentenstraße im Jahr Die Hose besteht aus zwei Lagen Leinen- stoff in Leinwandbindung mit etwa 18 Abb. 1 Gesamtansicht der sogenannten Panzer- hose, ca. 1490/1500 bis Mitte des 16. Jahrhunderts bis 22 Fäden pro Zentimeter. Die beiden (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. A 6147) Hosenbeine folgen dem üblichen Schnitt- 192 | Christopher Retsch: Die Panzerhose

Abb. 2 Rückseite der Hose Abb. 3 Vorderseite der Hose (Aufnahme vor 1914, im Bildarchiv Foto Marburg) (Aufnahme um 1930, Bayerisches Armeemuseum) muster einteiliger Hosen.10 Die Nähte der senbund an. Dieser ist nicht lediglich als eng sitzenden Hosenbeine liegen auf den Verstärkung über den Stoff der Hosen- Beinrückseiten und laufen bis zum oberen beine gelegt, sondern als doppelt gelegter Hosenbund durch. Die beiden Beinröhren Stoffstreifen an die Hosenbeine angesetzt, sind mit einer weiteren senkrechten kur- womit er die Hose nach oben verlängert. zen Naht in der Gesäßmitte zusammenge- Dies ist auf der Röntgenaufnahme eindeu- näht. Dadurch ergeben sich am Gesäß drei tig erkennbar, da sich die drei senkrechten annähernd parallel verlaufende Nähte Nähte nicht innerhalb des Hosenbundes (Abb. 6). Denkbar wäre, dass im Zwickel fortsetzen (Abb. 5). In diesem den Ho- zwischen beiden Beinröhren ehemals ein senbund bildenden Stoffstreifen befinden Schamlatz eingenäht war. Da sich jedoch sich acht paarweise gesetzte Nestellöcher keinerlei Hinweise darauf finden lassen, sowie jeweils an den vorderen Enden des etwa in Form eines noch in Resten vor- Hosenbundes zwei einzelne Nestellö- handenen Nähfadens oder dessen Ein- cher, insgesamt also 18 Nestellöcher. Im stichlöchern, ist davon auszugehen, dass Gegensatz zu der oft auf Bildquellen an- die Hose schon zur Nutzungszeit keinen zutreffenden Anordnung dieser Nestel- Schamlatz aufwies. Oberhalb der Hosenbeine und der drei Abb. 4 (gegenüberliegende Seite) senkrechten Nähte schließt sich ein Ho- Schnitt des linken Hosenbeins Christopher Retsch: Die Panzerhose | 193 194 | Christopher Retsch: Die Panzerhose

Sohlenteil (Abb. 7). Das Sohlenteil ist nach hinten spitz zulaufend, so dass sich die seitlichen Keile unter die Ferse ziehen und sich damit unter der Fußsohle eine zentra- le Stelle ergibt, an der insgesamt fünf Näh- te zusammenlaufen (Abb. 8).11 Abweichend vom idealen Schnittmuster sind einige Stoffteile der Hose aus meh- reren Stücken zusammengesetzt, da der verfügbare Stoff anscheinend zu knapp war, um die kompletten Teile des idealen Schnittmusters aus diesem auszuschnei- den. So bestehen die je zwei Stofflagen der beiden Beinröhren aus je drei oder vier einzelnen Teilen. Der Stoff wurde mit den Kett- und Schussfäden im 45°-Winkel zur Senkrechten des Schnittmusters zuge- schnitten. Gleichzeitig wurde er bis an die Webkante ausgenutzt, die als diagonale Li- nie von den Außenseiten der Hüfte in den Schritt hineinläuft.12 An diese Webkanten wurden die drei (beziehungsweise auf der Innenseite des rechten Hosenbeins ledig- lich zwei) Stoffteile zur Komplettierung des Schnittmusters angenäht. Dies ergibt an den Außen- beziehungsweise Vorder- seiten der Hüfte je zwei angestückte Drei- ecke sowie je einen angesetzten annähernd Abb. 5 Röntgenaufnahme der Hose keilförmigen Streifen vom Schritt übers (zusammengesetzt aus 45 Einzelaufnahmen), die Gesäß zur hinteren Mitte des Hosenbun- nebeneinander liegenden Metallplättchen sind 13 besonders gut zu erkennen des. Der Stoffstreifen des Hosenbundes ist am rechten vorderen Ende angestückt. Die Hose wurde somit aus 25 einzelnen lochpaare mit einem hinten mittigen Paar, Stoffteilen zusammengenäht. ist die hintere Mitte hier ohne ein solches Eine außergewöhnliche Besonderheit im ausgeführt und wird stattdessen von zwei Schnittmuster der Panzerhose sind die bei- Nestellochpaaren in wenigen Zentimetern den an den Unterschenkeln befindlichen Abstand flankiert. Alle Nestellöcher sind senkrechten Schlitze. Diese liegen nicht im mit einem doppelt genommenen Faden Verlauf der Nähte an den Beinrückseiten, umnäht (Abb. 20). sondern an den Beininnenseiten, wurden Die Fußteile bestehen neben den Fortsät- also in die beiden Stofflagen hineinge- zen der Hosenbeine, welche die Fersen schnitten. Beide Schlitze sind 30 bezie- umschließen, aus je vier weiteren Stoff- hungsweise 31 Zentimeter lang und von stücken. Diese sind ein oben auf dem Fuß- je 20 einzelnen Nestellöchern begleitet.14 rücken aufliegendes Stoffstück vom An- Letztere sind leicht versetzt angebracht satz des Schienbeins bis zur Vorderkante (oder durch die Nutzung in eine solche der Fußzehen, zwei seitliche Keile und ein Position gebracht worden), so dass sich Christopher Retsch: Die Panzerhose | 195 eine im Zick-Zack geführte Nestelschnü- rung rekonstruieren lässt. Am linken Bein befindet sich im untersten hinteren Ne- stelloch noch ein kleiner Rest eines Nest- elbands (Abb. 9). Hierbei handelt es sich um ein flaches, circa 0,5 Zentimeter breites und insgesamt noch 2 Zentimeter langes, möglicherweise brettchengewebtes Stoff- band.15 Es hat sich in diesem Nestelloch erhalten können, da die beiden (heutigen) Enden mit wenigen Stichen miteinander Abb. 6 Die drei Nähte am Gesäß (Außenseite): vernäht sind. Die beiden Schlitze sind als die mittlere Naht verbindet die beiden außergewöhnlich anzusehen, da derartige Beinröhren, die danebenliegenden Nähte reichen von den Fersen über die Beinrückseiten bis zum Schlitze an rein textilen spätmittelalterli- Hosenbund chen und frühneuzeitlichen Hosen nicht vorhanden waren. Die enge Passform an den Unterschenkeln ließ sich an gewöhn- lichen Hosen allein über den Zuschnitt erreichen und benötigte keine zusätzliche Schnürung.16 Die verwendeten Stoffe müs- sen daher elastisch genug gewesen sein, damit die Ferse durch die engste Stelle der Beinröhre hindurch passte. Obwohl der Zuschnitt der Panzerhose im 45°-Winkel zum Fadenlauf erfolgte, scheint diese Ela- stizität nicht vorhanden gewesen zu sein. Sicherlich verhinderten die eingenähten Abb. 7 Fußteil des linken Fußes aus vier an die Beinröhre angenähten Einzelteilen Metallplättchen eine Dehnung der Bein- röhren an den Unterschenkeln, so dass mit Hilfe der beiden Schlitze die zum Anzie- hen notwendige Weite erreicht wurde. Zwischen die beiden Lagen aus Leinen- stoff sind sowohl an den Oberschenkeln, als auch an den Unterschenkeln hunder- te kleine Metallplättchen eingenäht. Von den wohl ursprünglich etwa 1050 bis 1100 Abb. 8 Sohle des linken Fußes, zentral unter Plättchen haben sich circa 950 erhalten. Sie der Fußwölbung laufen fünf Nähte in einem sind zumeist längsrechteckig, etwas über Punkt zusammen zwei Zentimeter lang und einen Zentime- Abb. 9 Rest eines flachen, wohl brettchengeweb- ter breit. Zusätzlich befinden sich jedoch ten Nestelbandes in einem Nestelloch am linken auch einige eher quadratische Plättchen Bein an den Ober- und Unterkanten der mit Plättchen geschützten Flächen, da die ne- beneinanderliegenden Reihen um eine halbe Plättchenlänge versetzt angeordnet sind, und daher kleinere Ausgleichsplätt- chen nötig waren (Abb. 5). Die Ecken die- 196 | Christopher Retsch: Die Panzerhose

Da die senkrechten Reihen aus Metallplätt- chen eine Beugung des Kniegelenks nicht ermöglichen würden, sind die Bereiche der beiden Knie ausgespart. Diese sind, beziehungsweise waren, statt mit Metall- plättchen mit je vier Streifen aus Ringpan- zergeflecht geschützt, je zwei Streifen auf der Vorder- und zwei auf der Rückseite. Von diesen haben sich am rechten Knie drei, am linken Knie noch zwei Streifen er- halten (Abb. 12). Ihre Länge reicht von 13 bis zu 16 Zentimetern, ihre Breite beträgt 4 Zentimeter. Die vernieteten Ringe haben einen Innendurchmesser von etwa fünf bis sechs Millimetern.

Zur Benennung der Hose Abb. 10 Mittels eines doppelt genommenen Fadens wurden kleine Täschchen zur Aufnahme Die Hose ist gegenwärtig vor allem unter der Metallplättchen zwischen die zwei Lagen dem Begriff Panzerhose bekannt. Schon aus Leinen genäht. Die Ansicht der Nähte unterscheidet sich von Außen und Innen deutlich im Inventar des Bayerischen Nationalmu- (linkes Hosenbein) seums wurde sie als „Panzerstrumpfho- se“ bezeichnet.20 Auf den oben erwähnten beiden Fotografien (Abb. 2) aus der Zeit ser Metallplättchen sind entweder abge- im Bayerischen Nationalmuseum ist sie rundet oder unregelmäßig gefast. Sie sind jeweils als „Panzerhose, 14.-15. Jh.“ be- zwischen den beiden Stofflagen fixiert, schriftet. Auf der Inventar-Karteikarte des indem mittels eines doppelt genommenen Bayerischen Armeemuseums wurde dann Fadens um die Plättchen herumgenäht „Leinwandhose“ eingetragen (Abb. 21), wurde, so dass sich kleine Täschchen zur und im aktuellen digitalen Inventar des Aufnahme der Metallplättchen ergaben. Museums wird sie als „Leinwandhose / Das heißt, die einzelnen Plättchen liegen Panzerhose“ geführt. mit etwas Spielraum lose in ihren Täsch- Alle diese Begriffe sind jedoch nicht auf chen ohne sich zu überlappen (Abb. 10).17 Quellen aus der Nutzungszeit der Hose An einigen Stellen haben sich die (gefasten zurückzuführen, sind also keine zeitge- oder abgerundeten) Ecken der Plättchen nössischen Bezeichnungen des Objektes. durch den Stoff hindurch gebohrt und sind Als sicher kann lediglich gelten, dass zu- sichtbar (Abb. 11). Diese Befestigungstech- meist textile Bekleidungsstücke für die nik unterscheidet sich damit deutlich von Beine im Spätmittelalter und in der Frühen überlappenden Befestigungsweisen etwa Neuzeit als „Hosen“ bezeichnet wurden.21 in Brigantinen, bei denen Metallplätt- Dies galt sowohl für die zweiteiligen, ge- chen auf ein Trägermaterial aufgenietet trennten Hosenbeine,22 als auch für die wurden,18 oder etwa in Jack of Plates, bei ab dem 14. Jahrhundert getragenen ein- denen die Metallplättchen zwar ebenfalls teiligen „Hosen“ (die jedoch, obwohl ein- mittels Fäden fixiert wurden, allerdings teilig, weiterhin mit dem Plural „Hosen“, eine zentrale Lochung aufweisen, durch quasi für beide Hosenbeine, bezeichnet die die Fäden geführt sind.19 wurden).23 Daher ist es wahrscheinlich, Christopher Retsch: Die Panzerhose | 197

Abb. 11 Beschädigungen durch die Metallplättchen und Reparaturstelle auf der Innenseite des rechten Hosenbeines

dass die sogenannte Panzerhose während Abb. 12 Da eine Beugung der Knie bei durch- ihrer Nutzungszeit unter anderem auch gehender Anordnung der Metallplättchen nicht möglich gewesen wäre, wurden die Knie statt- mit dem Begriff „Hosen“ bezeichnet wur- dessen von Ringpanzerstreifen geschützt (zwei de, wenn auch aufgrund der speziellen der drei erhaltenen Streifen am rechten Knie) Machart sicherlich zumeist noch ein wei- terer beschreibender Terminus beigefügt wurde, um sie von gewöhnlichen zivilen der Hosen gedient hätten. Falls es den Be- Hosen zu unterscheiden. Welcher weitere griff gegeben haben sollte, hätte man un- Begriff dies jedoch gewesen sein könn- ter Panzerhosen vom Hochmittelalter bis te, ist unbekannt. Dass es Panzer war, ist in die Frühe Neuzeit sicherlich eher zwei jedoch sehr unwahrscheinlich. „Panzer“ getrennte Hosen (Hosenbeine) oder eintei- war nämlich im Spätmittelalter die gän- lige Hosen verstanden, die komplett aus gige Bezeichnung für aus Ringpanzer- Ringpanzergeflecht bestanden hätten.26 geflecht gefertigte Rüstungsstücke. So Wenn die vorherrschende Schutztechnik stand der Begriff alleine zumeist für das der Hose mittels der Metallplättchen zur Ringpanzerhemd, das also schlicht „das Namensgebung herangezogen werden Panzer“ genannt wurde.24 In zusammen- sollte, wäre neben dem zwar schon ein- gesetzten Substantiven oder als Adjektiv geführten aber missverständlichen Begriff beschrieb er auch die Materialität weiterer Panzerhose auch die Bezeichnung Plätt- Rüstungsteile.25 Zwar weist die heutige In- chenhose denkbar. Allerdings wäre dies golstädter Hose an den Knien Streifen aus ebenfalls kein Quellenbegriff, und somit Ringpanzergeflecht auf, jedoch sind diese würde lediglich ein moderner Fachtermi- im Vergleich zu den eingenähten Metall- nus gegen einen anderen ausgetauscht. plättchen eindeutig zweitrangig, so dass Daher kann, solange die Künstlichkeit des es verwunderlich wäre, wenn ausgerech- Begriffs bewusst ist, auch die Bezeichnung net diese als namensgebender Bestandteil Panzerhose weiterverwendet werden. 198 | Christopher Retsch: Die Panzerhose

Mögliche Datierung und Verwen- dung der sogenannten Panzerhose

Die unbekannte Provenienz der Hose bis 1863/1864 macht Aussagen zur ursprüng- lichen Region ihrer Verwendung und so- mit auch zu einem in derselben Region zu vermutenden Herstellungsort nahezu unmöglich.27 Einige Details der Verarbei- tung ermöglichen jedoch zumindest eine grobe Datierung. Im Inventarverzeichnis des Bayerischen Nationalmuseums von 1890 findet sich folgender Hinweis zur zeitlichen Einordnung: „Sie wurde getra- gen vor Erfindung der vollständigen Plat- tenrüstung. 1320–1380. Um 1500.“28 Die Hose wurde also zunächst in das 14. Jahr- hundert datiert, diese Datierung dann je- Abb. 14 Der Scherge links trägt an Armen und doch durchgestrichen und auf „Um 1500“ Beinen Rüstungsteile, die wahrscheinlich als zwi- korrigiert. Die Grundlage für die Neube- schen zwei Lagen Leinenstoff genähte Metallplätt- wertung scheint von Wendelin Boeheim chen zu interpretieren sind, seinen Kopf schützt eine Ringpanzerkapuze, Detail aus: De Lisle Psal- (1832-1900) zu stammen, da ebenfalls im ter, Miniatur mit Christus vor Herodes, um 1310 genannten Inventarverzeichnis folgende (London, British Library, Arundel MS 83 II, fol. 125r) Anmerkung vorhanden ist: „Böheim setzt die Hose in die Zeit des Kaisers Max I. [1459-1519] (mündliche Mittheilung 8. oben genannten, vor 1914 angefertigten April 1891.“ Auch wenn der Grund für Fotos findet sich gewissermaßen ein Kom- Boeheims Einschätzung hier nicht mit- promiss beider Datierungen, da hier ledig- geteilt ist und somit unbekannt bleiben lich „14.-15. Jh.“ angegeben ist (Abb. 2). muss, könnte er dennoch die richtige be- Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei ziehungsweise eine zumindest gut mög- dem Stück um eine einteilige Hose han- liche Datierung getroffen haben. Auf den delt, da die beiden Beinröhren am Gesäß

Abb. 13 Eine weitere sogenannte Panzerhose als kurze Hose, jedoch ohne Nestellöcher im Hosenbund, ca. 1490/1500 bis Mitte oder Ende des 16. Jahrhunderts(?) (Pitt Rivers Museum, Oxford, Inv.-Nr. 1884.31.42) Christopher Retsch: Die Panzerhose | 199 verbunden sind (Abb. 6). Derartige das Gesäß komplett umschließende Hosen lassen sich tatsächlich seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts nachweisen, spätestens ab etwa 1360.29 Die konkrete Ausführung der Zusammenfügung am Gesäß gibt einen weiteren wichtigen Hin- weis zur Datierung, auch wenn diese Stel- le mit den drei nebeneinander annähernd senkrecht bis zum Hosenbund verlaufen- den Nähten hier recht kurz ausfällt (etwa zwei Zentimeter lang). Einteilige Hosen mit einem solchen Schnittmuster sind im deutschsprachigen Raum ab den späten 1490er Jahren nachweisbar. Zunächst noch parallel zu einem älteren Schnittmuster in Abb. 15 Geharnischte Reiter tragen unter ein- Gebrauch, verdrängen sie dieses ältere fachen Beinzeugen vermutlich Leinenhosen mit eingenähten Metallplättchen, Detail aus: Titus Hosenschnittmuster im Verlauf der 1510er Livius, Römische Geschichte (Ab urbe condita), Jahre nahezu vollständig.30 Sollte die Hose um 1370, französische Übersetzung von Pierre vom Kunsthändler Drey also im deutsch- Bersuire, Miniatur mit der Entrückung Romulus’ in den Himmel während einer Heerschau auf dem sprachigen Raum erworben worden sein, Marsfeld (Paris, Bibliothèque Sainte-Geneviève, würde sich eine wahrscheinliche Zeitstel- MS. 777, fol. 7r) lung in das letzte Jahrzehnt des 15. Jahr- hunderts bis weit in das 16. Jahrhundert ergeben.31 Insofern ist Wendelin Boeheims den im deutschsprachigen Raum ab etwa Datierung in die Regierungszeit Maximi- 1490 beziehungsweise den 1490er Jahren lians I. als Kaiser (von 1508 bis 1519) zwar getragen, und zwar während der ersten nicht falsch, aber doch etwas zu eng ange- Jahrzehnte wohl nahezu ausschließlich setzt. Die Datierung der Panzerhose in die von Kriegsknechten beziehungsweise Zeit ab den 1490er Jahren wird zusätzlich Landsknechten.33 Sie wurden sogar als von derjenigen einer anderen hier zu nen- kennzeichnend für den Kampf zu Fuß nenden Hose unterstützt. Wie eingangs angesehen, was vor allem dann deutlich schon erwähnt, existiert in England noch wird, wenn Berittene in den Fußkampf eine weitere Hose, die ebenfalls aus zwei wechselten und dazu ihre Hosenbeine Lagen Leinenstoff mit dazwischen auf die abschnitten. So berichtet beispielsweise gleiche Art und Weise befestigten klei- Götz von Berlichingen (um 1480-1562) in nen Metallplättchen besteht. Auch an ihr seiner Autobiographie „Mein Fehd und befinden sich am Gesäß die drei bis zum Handlungen“, wie er 1499 im Schwaben- Hosenbund reichenden Nähte des jünge- Schweizer-Krieg in Thayngen bei Schaff- ren Schnittmusters einteiliger Hosen, so hausen sein Pferd verlor und zu Fuß wei- dass sich aufgrund dessen dieselben Da- terkämpfte: „Vnnd nachdem mir mein tierungskriterien ergeben. Darüber hinaus gaull darauff ich vf den marggrauen wart, handelt es sich bei der zweiten Hose um gestorbenn wahr, lieff ich alls ein boser eine kurze Hose, deren Beinröhren (ver- bub zu fueß mit denn knechten hinein zu mutlich knapp) über den Knien enden der kirchenn, erwischett ein allts scheffel- (Abb. 13).32 Daraus ergibt sich ein weiteres lin, vnnd hett mein tegenn auch vff denn Datierungskriterium. Kurze Hosen wur- bordt gebundenn, vnnd die hossenn ab- 200 | Christopher Retsch: Die Panzerhose geschnittenn.“34 Hier lässt sich kein prak- Dennoch war die ursprüngliche Datierung tischer Grund erkennen, aus dem er die in das 14. Jahrhundert36 nicht vollkommen Hosenbeine abschnitt, weswegen es als abwegig, da die Technik der Befestigung bewusstes Zeichen anzusehen ist, dass kleiner Metallplättchen in zwischen zwei er sich auch äußerlich zum Fußkämpfer Stofflagen genähten Täschchen sich mögli- wandeln wollte. Solche kurzen Hosen cherweise auf einigen spätmittelalterlichen konnten zeitgenössisch „Halbhosen“ ge- Abbildungen findet, die unter anderem in nannt werden. Dieser Begriff findet sich das 14. Jahrhundert datieren.37 In einer um in der dritten Strophe eines Landsknechts- 1310 entstandenen englischen Handschrift lieds von Jörg Graff (um 1475/1480-1542), sind in einem ganzseitigen Passionszyklus das um 1530 von Kunigunde Hergotin mit acht Bildfeldern zwei Schergen mit († 1547) in Nürnberg als Liedflugschrift Spießen zu sehen.38 Einer trägt eine textile gedruckt wurde: „In wammes und halb- Gugel, der andere eine Ringpanzerkapu- hosen můß er springe“.35 ze, die zeitgenössisch auf deutsch wohl Die Hose im Oxforder Pitt Rivers Muse- als „Hundsgugel“ und „Hundskappe“ um ist also aufgrund gleich zweier Krite- bezeichnet wurde (Abb. 14).39 Unter ihren rien (Nahtverlauf am Gesäß sowie kurze (Waffen-)Röcken tragen beide sowohl an Hose) auf die Zeit ab den 1490er Jahren be- Armen und Händen wie auch an Beinen ziehungsweise in das 16. Jahrhundert zu und Füßen weiße Rüstungsteile mit einer datieren. Dadurch wird eine ebensolche überwiegend backstein-mauerwerksarti- zeitliche Einordnung der in gleicher Tech- gen Struktur. Die Vermutung liegt nahe, nik hergestellten Hose in Ingolstadt stark dass hier weißer Leinenstoff gemeint sein unterstützt. soll. Die mauerwerksartigen Strukturen wären dann keine rechteckigen Schuppen, sondern die sichtbaren Nähte der versetzt Abb. 16 Goliath trägt an Armen und Beinen wohl aus Leinen bestehende Rüstungsteile mit in Täschchen angeordneten Metallplätt- eingenähten Metallplättchen, an Knien und Füßen chen. Bei den kreisförmigen Strukturen an zudem aufgenähte Ringpanzerstücke, Detail aus: den Gelenken (auch den Finger- und Ze- Psalter und Stundenbuch Alfons V., 1436-1443, Mi- niatur mit dem Kampf Davids gegen Goliath hengelenken) ist nicht eindeutig genug zu (London, British Library, Add MS 28962, fol. 81v) erkennen, ob diese lediglich eine an den Gelenken andere Anordnung der Metall- plättchen darstellen sollen, oder ob es sich hier um außen aufliegende Verstärkungs- stücke handeln könnte. Weitere mögliche Abbildungen derartiger Rüstungsteile finden sich in einer Hand- schrift, die um 1370 für König Karl V. von Frankreich (1338-1380) gefertigt wurde. In dieser französischen Übersetzung der „Rö- mischen Geschichte“ des Titus Livius (um 59 v. Chr. bis um 17 n. Chr.) sind mehrere Reiter und ein Kaiser (historisch genauer ein Konsul) zu Fuß mit entsprechenden Hosen mit Metallplättchen ausgestattet. Während der von einem Schiff an Land gehende Kaiser über der Hose lediglich noch vergoldete Kniekacheln trägt,40 tra- Christopher Retsch: Die Panzerhose | 201 gen die Reiter zusätzlich Beinzeuge, die in Form halber Röhren jeweils die Vorder- seiten von Unter- und Oberschenkeln be- decken (Abb. 15),41 während zwei weitere Reiter wiederum lediglich Panzerhosen in Kombination mit Kniekacheln tragen.42 Ein ebenfalls französisches Stundenbuch von etwa 1375 bis 1380 zeigt in Passions- szenen zwei Schergen, die jeweils Christus am Arm führen. Sie tragen offenbar Hosen aus Leinen mit eingenähten Metallplätt- chen.43 Die Interpretation dieser Darstel- lungen ist hier jedoch nicht so eindeutig wie in den vorgenannten beiden Hand- schriften, da sich bei einem der Schergen die Struktur und Farbe zwischen Ober- und Unterschenkeln unterscheidet und bei dem anderen, welcher komplette Bein- 44 Abb. 17 Nur anhand der Struktur sind die Rüs- röhren mit Kniekacheln (aber kein Ober- tungsteile an Malchus’ Armen und Beinen als ver- beinzeug) trägt, sich die Farbe der Hose mutlich aus Leinen und eingenähten Metallplätt- auch an den Ärmeln findet, wo die Struk- chen bestehend zu erkennen, Detail aus: Psalter und Stundenbuch Alfons V., 1436-1443, Miniatur tur aber eher an Schuppen und gestepptes mit der Gefangennahme Christi Leinen denken lässt. (London, British Library, Add MS 28962, fol. 361v) Zu diesen drei englischen und französi- schen Abbildungen mutmaßlicher Hosen mit eingenähten Metallplättchen aus dem Kniekehlen und auf den Fußoberseiten. 14. Jahrhundert kommen noch zwei bezie- In der Szene der Gefangennahme Chri- hungsweise drei spanische Abbildungen sti (Abb. 17) trägt Malchus ebenfalls eine des 15. Jahrhunderts hinzu. Im 1436 bis derartige Rüstung an Beinen und Armen, 1443 in Valencia angefertigten Gebetsbuch dem Petrus mit einem Messer das Ohr ab- König Alfons V. von Aragon (1396-1458; zuhauen im Begriff ist.46 Allerdings ist die als König von Neapel und Sizilien Alfons Farbe der eigentlich leinenen Stoffe hier I.) zeigt eine Miniatur den Kampf zwischen eher grau wiedergeben, so dass die Art David und Goliath (Abb. 16).45 Letzterer, der Rüstung hier nur anhand der charak- schon am Boden liegend, trägt sowohl an teristischen Oberflächenstruktur erkenn- den Armen als auch an den Beinen weiße bar ist. Rüstungsteile mit besagter Struktur, wes- Die andere spanische Abbildung einer halb diese als aus Leinen mit eingenähten vermutlich derartigen Hose findet sich auf Metallplättchen bestehend interpretiert einem Tafelgemälde des Malers Juan de werden können. Auf den Knien findet sich la Abadía d. Ä. (aktiv von 1469-1498), das wiederum eine kreisförmige Anordnung den Erzengel Michael beim Seelenwiegen der Plättchen, ohne dass zweifelsfrei zu er- zeigt (Abb. 18).47 Dieser trägt zu seiner teil- kennen ist, ob diese als integraler Bestand- weise sehr phantastischen Rüstung kein teil der Hose oder als aufgesetzte Verstär- Beinzeug, sondern scheinbar lediglich eine kungstücke zu verstehen sind. Auf der leinene Hose mit eingenähten Metallplätt- Oberfläche der Hose angebracht sind mit chen, was anhand der Struktur aus den in Sicherheit die Ringpanzerelemente in den versetzten Reihen angeordneten senkrech- 202 | Christopher Retsch: Die Panzerhose

panzerstreifen an den Knien auf einigen Kunstwerken des Spätmittelalters wie- dergegeben. Sie finden sich beispielsweise auf dem um 1480 entstandenen Schlüs- selfelder Hochaltarretabel von Wolfgang Katzheimer (um 1430/1440-1508) und des- sen Werkstatt aus Bamberg. Dort trägt ein Scherge in der Gefangennahme Christi eine rote Hose, entlang deren Außenseite von oben bis unten ein langer Streifen aus Ringpanzergeflecht befestigt ist.48 Etwa zehn Jahre jünger ist die Darstellung ei- nes solchen Streifens an der ebenfalls ro- ten Hose eines geharnischten Reiters im großformatigen Babenberger Stammbaum in Klosterneuburg (Abb. 19).49 Die bekann- teste Abbildung einer solchen Hose dürfte diejenige Albrecht Dürers (1471-1528) am Paumgartner Altar von etwa 1498 sein. Auf dem rechten Flügel des Altars aus der ehemaligen Nürnberger Dominikanerin- nenkirche St. Katharina ist der Stifter Lu- kas Paumgartner (um 1478-1546) als hei- liger Eustachius in einem reduzierten Rei- terharnisch dargestellt.50 An seiner roten Abb. 18 Die Hose des Erzengels Michael zeigt Hose befinden sich seitliche Streifen aus die typische Struktur eingenähter Metallplätt- 51 chen, die Knie werden von rundum gehenden Ringpanzergeflecht. Diese Ringpanzer- Ringpanzerstulpen geschützt, Juan de la Abadía streifen stellte Albrecht Dürer 1505 auch d. Ä., Heiliger Michael die Seelen wiegend, auf dem Kupferstich des heiligen Georg 1480-1495, Tafelgemälde (Barcelona, Museu Nacional d’Art de Catalunya, zu Pferd an dessen rechtem Hosenbein Inv.-Nr. 005082-000) dar.52 Seltener kamen derartige Ringpan- zerstreifen auch an Ärmeln vor. So zeigt beispielsweise ein Holzschnitt eines mar- ten Rechtecken erkenntlich ist. Dazu trägt schierenden Heeres in der 1505 in Mainz er an den Knien Ringpanzerteile, welche gedruckten „ROmische[n] Historie vß Tito diese komplett großflächig umschließen. liuio gezogen“ diese am Arm eines gehar- Vermutlich sind sie an ihrer Oberkante auf nischten Fußknechtes.53 die Hose aufgenäht. Im Gegensatz zu der Die genannten Bildquellen zeigen, dass Hose in Ingolstadt und einem Teil der Ho- leinene Hosen mit eingenähten Metall- sen auf den vorgenannten Bildquellen be- plättchen sowohl im 14. wie auch im sitzt die Hose des heiligen Michael keine 15. Jahrhundert bekannt waren und als Fußteile, sondern lediglich einfache Stege, durchaus gebräuchliche Rüstungsteile für die allerdings bis hinunter zur Ferse eben- den ernsten Kampf dienten. Sie wurden falls mit Metallplättchen verstärkt sind. entweder als alleiniges Rüstungsteil ge- Neben den vermutlichen Rüstungen mit tragen, oder zusätzlich mit Kniekacheln zwischen zwei Stofflagen eingenähten oder einfachen Beinzeugen kombiniert. Metallplättchen wurden auch die Ring- Da die Kniegelenke besonders in der Keh- Christopher Retsch: Die Panzerhose | 203 le nicht mit eingenähten Metallplättchen den Hosen stammt. Auch stammen im geschützt werden konnten, wurden sie Gegenzug die wiederum sehr wenigen entweder durch einzeln getragene Knie- bisher bekannten Abbildungen streifen- kacheln oder durch aufgenähte Ringpan- förmiger Ringpanzerstücke an Hosen alle zerstücke geschützt. Solche aufgenähten aus dem deutschsprachigen Raum und Ringpanzerstücke in Form von Streifen würden daher einen Ankauf der heutigen sind, wenn auch in deutlich längerer Ingolstädter Hose durch den Münchner Form, vor allem in den letzten Jahrzehn- Kunsthändler im deutschen Sprachraum ten des 15. Jahrhunderts und im frühen plausibel erscheinen lassen. 16. Jahrhundert auf Bildquellen zu finden. Dies könnte als zusätzliche Bestätigung Abb. 19 An der roten Hose des Reiters der Datierung der Ingolstädter Panzerho- ist an der Außenseite ein Streifen aus se ab den 1490er Jahren zu verstehen sein. Ringpanzergeflecht angebracht, Hans Part, Weiterhin zeigen die Bildquellen nicht nur Babenberger Stammbaum, 1489-1492, Ausschnitt des Medaillons mit Adalbert dem Siegreichen die Kombinationsmöglichkeiten derarti- (um 990-1055) ger Hosen mit anderen Rüstungsteilen, (Klosterneuburg, Stiftsmuseum, Inv.-Nr. GM 86) sondern auch die Verwendung sowohl bei Fußkämpfern („Fußknechten“) als auch bei Berittenen („Reisigen“).54 Da sowohl der Hose („Hosen“) in Ingolstadt, als auch der kurzen Hose („Halbhosen“) in Oxford ein Schamlatz („Latz“) fehlt, erscheint es unwahrscheinlich, dass diese direkt über der Unterhose („Bruche“) getragen wur- den. Wahrscheinlicher wurden beide Pan- zerhosen beziehungsweise Plättchenhosen über herkömmlichen textilen Hosen (im Falle des Oxforder Exemplars eventuell auch „Halbhosen“) getragen. Selbstver- ständlich boten sie nicht so viel Schutz, wie ihn Beinzeuge eines Plattenharnischs („Blechharnisch“55) geboten hätten, doch scheint er zumindest gegen Hiebe aus- reichend gewesen zu sein, um sie ledig- lich textilen Hosen vorzuziehen.56 Unklar muss die Herkunft der beiden Panzer- be- ziehungsweise Plättchenhosen bleiben, da deren Provenienzen nicht mehr über das 19. Jahrhundert hinaus zurückzuverfolgen sind. Die Verortung über die Bildquellen (also nach England, Frankreich oder Spa- nien) erscheint bei den bisher sehr weni- gen bekannten Abbildungen möglicher derartiger Rüstungsteile als voreilig, ins- besondere da lediglich eine dieser Dar- stellungen auch aus der zu vermutenden Herstellungs- und Nutzungszeit der bei- 204 | Christopher Retsch: Die Panzerhose

Panzerhose Inv.-Nr. A 6147

Datierung Deutsch(?), ca. 1490/1500 bis Mitte des 16. Jahrhunderts

Material Leinen, Metall (Eisen?)

Maße Länge 118 cm / Breite 71 cm

Beschreibung Hose aus zwei Lagen Leinenstoff in Lein- wandbindung, Fadenverlauf im 45°-Win- kel diagonal zur Senkrechten, zusam- Abb. 20 Nestelloch, mit doppelt genommenem mengesetzt aus insgesamt 25 einzelnen Faden umnäht (am Schlitz des linken Hosenbeins, Stoffteilen. Zwischen den Lagen sind hinteres fünftes Loch von unten) noch etwa 950 eingenähte Metallplättchen vorhanden. An den Knien noch fünf auf- genähte Streifen aus Ringpanzergeflecht. ge u. 1 cm breite an den Ecken abgerunde- An den Innenseiten der Unterschenkel te Stahlplättchen der Art eingenäht sind, ehemals mittels Nestelbändern zu ver- daß eines an dem andern doppelt umnäht schließende Schlitze, in einem Nestelloch anliegt. Die Plättchen reichen vom Un- noch geringfügiger Rest des Nestelbands terleib bis zum Knöchel (der Fuß wurde vorhanden durch einen Lederschuh gedeckt), jedoch ist ihre Reihe am Knie unterbrochen, das Provenienz und Erwerbungsgeschichte außen der Beweglichkeit wegen mit 2. 15- 1863/1864 Ankauf durch das Bayerische 17 cm langen u. 1 7 cm breiten [spätere Nationalmuseum vom Münchner Kunst- Einfügung in den Text, durchgestrichene händler Aron Schmaya Drey Textstellen im Original dieser Einfügung] 1922 zunächst als Leihgabe vom Bayeri- Streifen von Kettengeflecht besetzt ist. schen Nationalmuseum an das Bayerische An der In[n]enseite der Unterschenkel ist Armeemuseum übergeben vom Knöchel aufwärts ein 32 cm. langer 1935 Umwandlung der Leihgabe in eine Schlitz angebracht, welcher mit Schnür- dauerhafte Überweisung löchern versehen ist. Sie wurde getragen vor Erfindung der vollständigen Platten- Inventare rüstung. 1320-1380. Um 1500. / L. 1,14 Inventarverzeichnis des Bayerischen Na- cm. Gew. 1,660 kg / Gekauft vom Händ- tionalmuseum von 1890 (BNM Doku- ler Drey 1863/64 um 99 fl. / Böheim setzt mentation, Saalbuch [Maximilianstraße], diese Hose in die Zeit des Kaisers Max I. 1. Obergeschoss, Saal V), Nr. 212: „(229) (mündliche Mittheilung 8 April 1891. / 21. 208 [Stempel], Panzerstrumpfhose, reicht VI 22. A Mus. abgeg.“ von den Hüften bis zum Vorfuß u. be- steht aus zwei Lagen ziemlich feiner Inventarverzeichnis des Bayerischen Nati- Leinwand, zwischen welchen 2,3 cm lan- onalmuseums aus den späten 1890er Jah- Christopher Retsch: Die Panzerhose | 205 ren (BNM Dokumentation, Renner Waf- Sammlungsbelege Jahrgang 1935 (Bayeri- fen), Alte No. 212: „Strumpfhose / gekauft sches Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01. v. Händler Drey 1863/64 / 21. VI 22. a. d. 72), Beleg Nr. 214/1935: „Mit Beleg No. Armee Mus. abgeg.“ 214/1935 in das Eigentum des Armee- Museums übergegangen“ (zitiert in Sammlungsbelege Jahrgang 1922-1923 HA.02.02.09) (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01.63), Beleg Nr. 141/1922: „Zur Er- Lokalbestandsbuch (A-Buch, 2. Band, Baye- gänzung der Sammlung des Armeemuse- risches Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01. ums sind aus der Sammlung des National- 28a-b), Eintrag Nr. 6147: „eine Leinwand- museums weiter noch benötigt & werden hose mit Panzerbelag. Deutsch 14. Jhdt. erbeten [...] 1 Leinwandjacke und =hose, Länge 113 cm“ 198, 208 (?)“ Literatur (Auswahl) Bestandsbuch mit Vorbehalt (L-Buch, 2. Paggiarino/Schönauer, The Bavarian Band, Bayerisches Armeemuseum, Inv.- Army Museum, S. 167-169 und S. 261; Nr. HA.05.01.54), Eintrag Nr. 3428: „A Retsch, Hose, Teil 2, S. 124 f. 6147, 1 Leinwandhose, 14. Jahrh., 21.6.22, Beleg 141/22, 14.11.1935, Beleg 214, S. Z. B. Ausstellungshistorie No. 809/1935“ um 1890 in der Dauerausstellung des Bay- erischen Nationalmuseums nachweisbar Zugangsbuch 1935-1941 (Bayerisches Ar- meemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01.96), Ein- seit 3. Juni 2019 trag 809 im Abschnitt zum Jahr 1935: „A Ständige Ausstellung „Schatzkammer“ 6147, 1 Leinwandhose, 14. Jahrh. (bisher des Bayerischen Armeemuseums Leihg. Buch No. 3428)“ in Ingolstadt

Abb. 21 Inventarkarte der Panzerhose, hier als Leinwandhose bezeichnet, verfasst und gezeichnet von Hans Stöcklein (Bayerisches Armeemuseum) 206 | Christopher Retsch: Die Panzerhose

Anmerkungen erstellt (Abb. 4). Ein weiteres Schnittmuster wurde von Frau Dagmar Schrade (Schneide- 1 Hierbei handelt es sich um eine kurze Hose, rin am Bayerischen Armeemuseum) am Oxford, Pitt Rivers Museum, Inv.-Nr. 17.03.2021 erstellt. 1884.31.42. Siehe unten ausführlicher zu die- 9 Vgl. zur Schatzkammer Schönauer, Schatz- ser Hose. Für den Hinweis auf diese habe ich kammer. Tobias Schönauer herzlich zu danken. 10 Retsch, Hose, Teil 1, S. 13-20. 2 Beide Fotografien sind beschriftet mit „Aufn. 11 Eine von Dagmar Schrade angefertigte Re- vor 1914“. konstruktion eines Fußteils mit diesem 3 In einem Inventarverzeichnis des Bayeri- Schnittmuster ergab, dass der Punkt an dem schen Nationalmuseum von 1890 (BNM Do- sich die fünf Nähte treffen, keinen störenden kumentation, Saalbuch [Maximilianstraße], Druckpunkt ergibt, da er genau in der Fuß- 1. Obergeschoss, Saal V) wurde in die Spalte wölbung liegt. Anders als man auf den ersten „Erwerbsart und Datum“ folgendes eingetra- Blick meinen könnte, ist der Tragekomfort gen „Gekauft vom Händler Drey 1863/64 um daher nicht eingeschränkt. 99 fl.“. Zu Aron Schmaya Drey und dessen 12 Die Webkante konnte auf der Außenseite Kunsthandlug sowie Familie siehe Hage- des rechten Hosenbeins (an einer aufgegan- dorn, Islamische Kunst, S. 88-90. genen Naht) eindeutig erkannt werden, ist an 4 Im Inventarverzeichnis des Bayerischen Na- den drei anderen Stoffteilen an den entspre- tionalmuseums von 1890 (BNM Dokumen- chenden Stellen aber ebenfalls zu vermuten. tation, Saalbuch [Maximilianstraße], 1. Ober- 13 Da die Beinröhren aus zwei Stofflagen be- geschoss, Saal V) finden sich alle drei Num- stehen, ergeben sich also insgesamt 15 Ein- mern, handschriftlich: „212. (229)“, und mit zelteile, aus denen die Beinröhren genäht einem Stempel darunter: „208“. wurden. Zu diesen Teilen sind dann noch 5 Im schon genannten Inventarverzeichnis ist zwei Teile für den Hosenbund und acht für mit rot „21. VI 22. A Mus abgeg.“ eingetragen die beiden Füße hinzuzuzählen. und der Objekttext durchgestrichen (BNM Do- 14 Eventuell befand sich an den beiden unte- kumentation, Saalbuch [Maximilianstraße], 1. ren, stark beschädigten Stellen der Schlitze Obergeschoss, Saal V). In der Inventar-Kar- ebenfalls je ein einzelnes Nestelloch. Dies ist teikarte des Bayerischen Armeemuseums fin- nicht eindeutig zu erkennen, da die einge- det sich der folgende Eintrag in schwarzer Tin- rissenen Stellen zwar an ihren Enden rund- te „1922 Leihgabe vom Nat. Mus. München“, lich erscheinen, aber andererseits keinerlei der von anscheinend derselben Handschrift Reste der Nähfäden erkennbar sind. Da mit blauer Tinte abgeändert wurde in „21. VI. sich solche an eingerissenen Nestellöchern 1922 vom Nat. Mus. München überwiesen“. des Hosenbundes sehr wohl erhalten haben, 6 Martin Siennicki restaurierte am Bayerischen scheint es wahrscheinlicher, dass sich an Nationalmuseum den Kaufbeurer Setzschild, diesen Stellen an den unteren Enden der bei- Inv.-Nr. W 1, und fertigte eine Replik dessel- den Schlitze, keine Nestellöcher befanden, ben für seine Diplomarbeit an der Akademie sondern es sich lediglich um Risse im Stoff der bildenden Künste Wien; siehe hierzu: handelt. Siennicki, Setzschild. Ihm habe ich für alle 15 Die Identifizierung des Gewebes als Brett- Informationen und Fotos der sogenannten chengewebe stammt von Melanie Braun, En- Panzerhose herzlich zu danken, so dass ich schede (Niederlande), der ich für diese Aus- schon im zweiten Teil meines Aufsatzes kunft herzlich danke. über spätmittelalterliche Hosen eine Erwäh- 16 Retsch, Hose, Teil 2, S. 125. Als vermeintli- nung der Ingolstädter Hose integrieren konn- cher Beleg einer Schnürung an den Unter- te, siehe Retsch, Hose, Teil 2, S. 124 f. schenkeln wird oft auf eine Abbildung eines 7 Daran beteiligt waren vom Bayerischen Na- Schergen in einer Kölner Passionszene von tionalmuseum Dipl.-Rest. Martin Siennicki, etwa 1465 verwiesen. Diese zeigt jedoch nur Dr. Raphael Beuing (Kurator für Waffen, die an der Wade aufgegangene Naht der Uhren, wissenschaftliche Instrumente und Beinrückseite und keine Nestelschnürung unedle Metalle), Dr. Johannes Pietsch (Kura- (um 1464-1466, Meister der Lyversberg-Pas- tor Textilien, Kostüme, Leder und Trachten), sion, tätig in Köln um 1460-1490, zwei Flügel Dipl.-Rest. (Univ.) Dagmar Drinkler sowie eines Triptychons; Köln, Wallraf-Richartz- vom Bayerischen Armeemuseum Dr. Tobias Museum, Inv.-Nr. WRM 0143-0150). Schönauer (Kurator für Blankwaffen und 17 Für die anschauliche Beschreibung der Befes- Rüstungen). tigungstechnik mit dem Begriff Täschchen 8 An dieser Untersuchung waren von der Lon- danke ich Melanie Braun. Meine eigene ältere doner School of Historical Dress Jenny Tira- Beschreibung in Retsch, Hose, Teil 2, S. 125 mani und Melanie Braun beteiligt sowie wie- („mit einem über die Ecken geführten Faden derum Martin Siennicki, Dr. Johannes Pietsch fixiert“) ist falsch, da zwar an einem Teil der und Dr. Tobias Schönauer. Das Schnittmuster Ecken der Täschchen schräge Fadenverläufe wurde von Frau Braun und Frau Tiramani vorhanden sind, diese jedoch erstens zu weni- Christopher Retsch: Die Panzerhose | 207

ge sind und zweitens bei abgerundeten bezie- heiligdomsvaarten_Maastricht,_Aken_%26_ hungsweise gefasten Ecken nicht funktionieren. Kornelim%C3%BCnster_(Midden-Rijn, 18 Siehe hierzu Stadler, Brigantinen-Symposium _1468).jpg (abgerufen am 15.02.2021). Zum sowie Krabath, Brigantinen. Die Abbildung ei- Holzschnitt siehe auch Feßl, Heiltumsbuch, ner Hose mit möglicherweise in der Art einer S. 175 f. Josef de Coo erwähnt auch noch Brigantine eingenieteten Metallplättchen könn- eine bis in die Gegenwart oder zumindest te eine Miniatur in einer Brügger Handschrift jüngste Vergangenheit reichende Verwen von etwa 1470 bis 1475 zeigen (Retsch, Hose, dung des Begriffs Hosen als Bezeichnung für Teil 2, S. 125). In der Szene einer Stadtplünde- zweiteilige Beinbekleidung, nämlich für rung trägt ein Fußknecht mit einem Sack auf Strümpfe im Aachener beziehungsweise dem Rücken und einem Korb am Gürtel eine Öcher Platt (eine hoss), im Ost-Limburgi- Hose und zusätzliche Kniekacheln. Die Hose schen (kousen) und im Friesischen (hoazzen), zeigt an ihrer Außenseite Punktreihen, welche De Coo, Josephs Hosen, S. 153 und ders, Ad- als Nietköpfe einer Konstruktion analog einer denda, S. 249. Der Begriff „Hosen“ bezog sich im Brigantine gedeutet werden könnten. Wäh- Spätmittelalter auch auf die zweiteilige Bein- rend die Unterschenkel komplett gepanzert bekleidung von Frauen, siehe hierzu mit zwei sind, sind die Oberschenkel auf der Innensei- Beispielen Retsch, Hose, Teil 1, S. 1 (Anm. 4). te ungeschützt (um 1470-1475, Brügge, Chro- 23 Abbildungen einteiliger Hosen mit dazuge- niques sire Jehan Froissart; Paris, Biblio- höriger Beschriftung dieser als „Hosen“ fin- thèque Nationale de France, Ms. Fr. 2644, fol. den sich beispielsweise mehrfach im „klai- 135r). Jedoch könnte es sich bei der Abbil- dungsbuechlin“ des Augsburgers Matthäus dung dieser Hose auch um dem Illuminator Schwarz. Dieser ließ sich ab 1520, auch rück- nicht ganz eindeutig gelungene Rüstungsteile wirkend bis zu seiner Geburt 1497, für jedes aus Cuir bouillie handeln, die ebenfalls häufig Jahr in mindestens einem Kleiderensemble an ihren Außenseiten mit Metallnieten verse- malen. Siehe dazu jetzt Minning, Dressed hen waren (siehe hierzu Cheshire, Cuir bouil- for Success sowie Emmendörfer / Trepesch, li armour sowie Cheshire, Cuir Bouilli: frac- Dressed for Success. So heißt es etwa in der ture toughness). Beschriftung zur Kleidung vom März 1523 19 Ein erhaltenes Exemplar u. a. in Nürnberg, „den weisen vberzŭg mocht man über all Germanisches Nationalmuseum, W 2175, sie- hosen anlegen“ (Braunschweig, Herzog An- he dazu Eser, Gepanzertes Wams, 2015, S. 93 f. ton Ulrich-Museum, Inv.-Nr. H 27:67a, fol. 20 Inventarverzeichnis des Bayerischen Natio- 59r), womit ein andernorts auch „Gesäß“ oder nalmuseum von 1890 (BNM Dokumentation, „Gesäßhosen“ genannter Überzug gemeint Saalbuch [Maximilianstraße], 1. Obergeschoss, war, der das Schlitzmuster der Oberschenkel Saal V). In einem vermutlich jüngeren, knap- darstellte und zu verschiedenen (ungeschlitz- per gefassten Inventarband des Nationalmu- ten) Hosen kombinierbar war (siehe hierzu seums ist sie lediglich als „Strumpfhose“ be- knapp Retsch, Hose, Teil 2, S. 114 und aus- zeichnet (BNM Dokumentation, Renner Waf- führlicher Zander-Seidel, Hausrat, S. 185 f.). fen). Die einteiligen Hosen entstanden in der Mitte 21 Siehe hierzu Retsch, Hose, Teil 1, S. 1. Zur oder spätestens der zweiten Hälfte des 14. Materialität, die gelegentlich auch Leder Jahrhunderts. Zu den von mir angeführten umfasste, siehe knapp zusammengefasst Bildquellen mit eindeutig einteiligen Hosen Retsch, Hose, Teil 2, S. 126. von ca. 1380, 1383 und 1387 (Retsch, Hose, 22 In der Forschungsliteratur werden solche Teil 1, S. 4-8 mit Abb. 4, 5 und 7) lassen sich zweiteiligen Hosen zumeist mit dem moder- noch etwa zwei Jahrzehnte ältere Abbildun- nen Begriff Beinlinge bezeichnet. Zum spät- gen eindeutig einteiliger Hosen hinzufügen: mittelalterlichen Begriff „Hosen“ für zweitei- In einer auf 1362 datierten elsässischen Hand- lige Beinbekleidung siehe De Coo, Josephs schrift mit der Übersetzung der „Legenda Hosen, S. 152-154. Beispielsweise findet sich sanctorum aurea“ des Jacobus de Voragine auf einem Holzschnitt mit den wichtigsten (wohl 1226-1298) ins Deutsche finden sich Reliquien aus Maastricht, Aachen und Kor- mehrfach Miniaturen die solche Hosen zei- nelimünster, gedruckt 1468 oder 1475 anläss- gen, etwa bei den Martyrien des hl. Stepha- lich der alle sieben Jahre stattfindenden nus, des hl. Thomas von Canterbury, des hl. Heiltumsfahrt, eine Abbildung der beiden Felix in Pincis, des hl. Urban und des hl. Beinlinge beziehungsweise Hosen, die Josef Apollinaris von Ravenna (München, Bayeri- als Windeln für den kleinen Jesus verwen- sche Staatsbibliothek, Cgm 6, fol. 17r, 21v, det haben soll. Diese sind beschriftet als 35v, 97v und 119v). „Ite[m] Josephs hosen do jhesus in gewonde[n] 24 Siehe hierzu ausführlich Retsch, Sprechendes wart vnd in die krippen geleit wart.“ (Unikat Metall, im Kapitel „Rüstungs- und Waffen- in München, Staatliche Graphische Samm- terminologie der Quellen“, Unterkapitel lung, Inv.-Nr. 118 308). Eine Abbildung des „Panzer, Halsberge, Lorica“ (Typoskript Holzschnitts findet sich auch auf https://en. S. 55-58). Eine Kombination aus Begriff und wikipedia.org/wiki/File:Toningsformulier_ Abbildung findet sich beispielsweise am Be- 208 | Christopher Retsch: Die Panzerhose

ginn des „xvii. Ca[pitel] von dez pantzer“ im ters im deutschsprachigen Raum / nördlich 1494 gedruckten „Der fůszpfadt tzů der ewi- der Alpen stammen von 1498. Sie finden gen seligkeyt“ (Anonym, fůszpfadt, fol. 21v; sich an insgesamt sechs von hinten abge- der Text legt das Reitzubehör und die Waffen bildeten Schergen auf einem Johannesaltar von des Ritters christlich aus, um den Leser zu ei- Rueland Frueauf d. J. (Klosterneuburg, Stifts- nem frommen Leben anzuleiten). museum, Inv-Nr. IN GM 75, IN GM 76, IN 25 Als beschreibender Bestandteil findet sich der GM 78 und IN GM 79), siehe hierzu (und Begriff beispielsweise in einer Anordnung zu einer evtl. früheren Abbildung) ausführli- König Maximilians I. zur Aufstellung und cher Retsch, Hose, Teil 1, S. 19 (mit Abb. 27 Ausrüstung einer Truppe von 100 Reitern mit und Anm. 62). Im Online-Katalog des Stifts- zugehörigen weiteren Berittenen, Fußknech- museums z. B.: https://www.stift-klosterneu- ten und Dienstknechten von 1498. Dort heißt burg.at/collection/enthauptung-johannes- es unter anderem: „under der üchsen ain des-taeufers-rueland-frueauf-d-j/ (abgerufen pantzerfleck auf die juppen geneet [= genäht] am 22.03.2021). Beim vorhergehenden, älte- und ain beheng von pantzerringen wie an ren Schnittmuster vereinigten sich die Nähte einem kyris, doch um drey finger lenger“ der Beinrückseiten am Gesäß mit der senk- (Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Kriegs- rechten Mittelnaht, so dass nur letztere bis archiv, Alte Feldakten I/1, 1498/13, fol. 4-6, zum oberen Hosenbund durchlief und sich in zitiert nach Wiesflecker-Friedhuber, Quellen der Rückansicht ein umgedreht-V-förmiger Maximilians I., S. 92). Nahtverlauf zeigte (siehe hierzu ausführlich 26 Ob der Begriff Panzerhosen ein tatsächlicher Retsch, Hose, Teil 1, S. 13-18). Quellenbegriff ist, wäre noch zu überprüfen. 31 Allerdings war das Schnittmuster mit den Die Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank drei bis zum Hosenbund durchgehenden kennt ihn jedenfalls nicht, verzeichnet jedoch Nähten in Italien vermutlich schon früher be- 24 Treffer für „Eisenhosen“ beziehungsweise kannt (zu einer Abbildung aus einer italieni- „Isenhosen“ (http://mhdbdb.sbg.ac.at/mhdbdb/ schen Handschrift von 1460 siehe ebenfalls App?action=TextQueryModule&string=eise Retsch, Hose, Teil 1, S. 19, Anm. 62). Sollte nhosen&filter=&texts=%21&startButton=Su die Hose also aus Italien stammen, was ohne che+starten&contextSelectListSize=1&conte eine naturwissenschaftliche Untersuchung xtUnit=1&verticalDetail=3&maxTableSize=10 der verwendeten Materialien nicht ausge- 0&horizontalDetail=3&nrTextLines=3 [abge- schlossen werden kann, dann könnte sie so- rufen am 16.02.2021]). So heißt es etwa in gar drei bis vier Jahrzehnte älter sein. Wolframs von Eschenbach (1170/75-nach 32 Oxford, Pitt Rivers Museum, Inv.-Nr. 1220) Willehalm: „Diu iserhose sanc uf den 1884.31.42. Für Auskünfte über diese Hose sporn: des wart sin blankez bein verlorn“ danke ich Melanie Braun, Enschede (Nieder- (Schröder, Wolfram von Eschenbach, Wille- lande). Ausführlich zur Hose im Online-Ka- halm, S. 78, Verse 1 f.). Das Deutsche Wörter- talog des Museums: objects.prm.ox.ac.uk/ buch von Jacob und Wilhelm Grimm kennt pages/PRMUID126756.html (abgerufen am lediglich einen einzelnen Beleg aus dem 18. 22.03.2021). Jahrhundert für „Panzerhosen“ (www.woerter- 33 Zur eher seltenen Verwendung des Begriffs buchnetz.de/DWB/panzerhosen [abgerufen „Landsknechte“ in zeitgenössischen archivali- am 16.02.2021]). schen Quellen und der häufigeren Bezeich- 27 Aufgrund der eher einfachen Herstellungs- nung der zu Fuß Kämpfenden als „Knechte“ technik der Hose ist zu vermuten, dass sie we- und „Kriegsknechte“ siehe Xenakis, Gewalt, niger ein Produkt spezialisierter Handwer- S. 53-57. Auf den zeitgenössischen Abbildun- ker mit großem Exportradius ist, als vielmehr gen sind die Träger kurzer Hosen aufgrund ein Objekt lokaler Herstellung und Nutzung. ihrer Tätigkeit als Folterer von Christus oder Einen gewissen Erkenntnisgewinn könnten Heiligen auch als „Schergen“ anzusprechen. allenfalls naturwissenschaftliche Untersu- Zur Verwendung dieses Begriffs im Spät- chungen der verwendeten Materialien (Lei- mittelalter siehe Retsch, Sprechendes Metall, nen und Metalle) ermöglichen. Derartige Un- im Kapitel „Rüstungs- und Waffenterminolo- tersuchungen waren jedoch für die vorliegen- gie der Quellen“, Unterkapitel „Scherge“ (Ty- de Arbeit nicht vorgesehen. poskript S. 105-107). 28 Inventarverzeichnis des Bayerischen Natio- 34 Ulmschneider, Götz von Berlichingen, Fehd nalmuseums von 1890 (BNM Dokumentation, und Handlungen, S. 11. Übersetzung: „Und Saalbuch [Maximilianstraße], 1. Obergeschoss, nachdem mir mein Gaul, auf welchem ich Saal V). auf den Markgrafen wartete, gestorben war, 29 Siehe hierzu Retsch, Hose, Teil 1, S. 4-8 sowie lief ich als ein geringer Bube zu Fuß mit den zusätzlich den oben bereits gegebenen Hin- Knechten hinein in die Kirche, erwischte ein weis auf Bildquellen mit der Darstellung ein- altes Schefflin, und hatte meinen Degen [nicht teiliger Hosen schon von 1362. näher definierbare Waffe mit möglichen Ab- 30 Die mir bisher ältesten bekannten eindeuti- messungen von Dolchgröße bis zum Ein- gen Abbildungen eines solchen Schnittmus- handschwert] auch auf den Gürtel [oder Ho- Christopher Retsch: Die Panzerhose | 209

senbund?] gebunden, und die Hosen abge- 42 Um 1370, ebenda, fol. 316r. Die Kniekacheln schnitten.“ Zur von Götz von Berlichingen können als Knie-Goll-Typ-II (knee-type-II) verwendeten Waffe, dem Schefflin, siehe eingeordnet werden (Goll, Iron documents, beispielsweise zwei erhaltene originale Eisen S. 48 f. und 64 f.). im Bamberger Domschatz, Retsch, Waffen der 43 1375-1380, Jean Le Noir, Petites Heures de Heiligen, S. 108-112. Ausführlicher zu dieser Jean de France, Duc de Berry (Paris, Biblio- Waffe sowie deren Fehlinterpretation als thèque National de France, Ms. Lat.18014, Wurfspeere (auch von mir in vorgenannter fol, 76r und 79v). Ausführlich zur Handschrift: Literatur) korrigierend: Seeburger, Schefflin, https://archivesetmanuscrits.bnf.fr/ dort auch ebenfalls die hier zitierte Stelle auf ark:/12148/cc784809 und https://gallica.bnf.fr/ S. 167 f. ark:/12148/btv1b8449684q/f159.item. 35 Übersetzung: „Im Wams und Halbhosen r=Petites%20heures%20de%20Jean%20 muss er springen“. Zur Liedflugschrift de%20Berry# (abgerufen am 21.03.2021). siehe https://gams.uni-graz.at/o:ldr.lieddrucke 44 Das Unterbeinzeug besteht aus Unterschen- #LDR.1453 (abgerufen am 15.03.2021). Das kel-Goll-Typ-III und Knie-Goll-Typ-II (lower- Lied ist mit 15 Strophen in der Sammlung leg-type-III und knee-type-II; Goll, Iron docu- Ludwig Uhlands abgedruckt als Lied Nr. 188 ments, S. 48 f. und 64 f.). unter dem Titel „Landsknechtorden“ (Uhland, 45 1436-1443, Werkstatt des Domingo Crespí, Volkslieder, Band 1, S. 516-519, das Zitat auf Valencia, Psalter und Stundenbuch (Prayer- S. 517, die Quellenangabe dazu im Band 2, book of Alphonso V of Aragon; London, S. 1020). Der Titel der Liedflugschrift lautet British Library, Add MS 28962, fol. 81v). Aus- „Ein new Lied, von dem || Lantzknecht auff führlich zur Handschrift siehe: http://www. der steltzen, Jn || des Schůttensamen thon.|| bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx? Ein anders, von der kriegßleut orden.|| Jm ref=Add_MS_28962 (abgerufen am 21.03.2021). thon, Wöl wir das korn scheyden.||“, der An- 46 Ebenda, fol. 361v. fang der ersten Strophe lautet „Gott gnad 47 1480-1495, Juan de la Abadía d. Ä., Hl. Mi- dem großmechtigen keiser frumme“. chael die Seelen wiegend, Tafelgemälde, 36 BNM Dokumentation, Saalbuch (Maximilian- 127,7 cm x 76 cm, vermutlich ehemals Mittel- straße), 1. Obergeschoss, Saal V. tafel eines Altars aus Liesa in der Provinz 37 Die Kenntnis nachfolgender Abbildungen Huesca (Barcelona, Museu Nacional d’Art de verdanke ich zum überwiegenden Teil ver- Catalunya, Inv.-Nr. 005082-000). Ausführ- schiedenen Online-Foren und Blogs der licher zu diesem Tafelgemälde siehe im Living-History-Szene. Stellvertretend, da die Online-Katalog des Museums: https:// weit verstreuten Hinweise gut zusam- www.museunacional.cat/en/colleccio/saint- menfassend, sei hier McLean, Panzerhose ge- michael-weighing-souls/juan-de-la-abadia-el- nannt. Für Hilfe bei der Recherche zu den vell/005082-000 (abgerufen am 21.03.2021). online zumeist ohne brauchbare Quellenan- 48 Um 1480, Wolfgang Katzheimer und Werk- gaben veröffentlichten Abbildungen aus statt, Gefangennahme Christi, Schlüsselfelder Handschriften danke ich Fabian Brenker Hochaltarretabel (Würzburg, Museum für (Wien), Fabian Maier (Konstanz) und Jona- Franken; ehemals Mainfränkisches Museum; than Frey (Olten). Leihgabe des Bayerischen Nationalmuseums). 38 Um 1310, De Lisle Psalter (London, British Zum Schlüsselfelder Hochaltarretabel siehe Library, Arundel MS 83 II, fol. 125r). Ein Suckale, Erneuerung, Band 1, S. 314-327, weiteres Bein mit Fuß in einer entsprechen- Band 2, S. 176-187. Siehe auch Retsch, Hose, den Rüstung findet sich auf fol. 124v (Sze- Teil 2, S. 124 f. und Abb. 58. ne der Gefangennahme Christi). Ausführlich 49 1489-1492, Hans Part, Babenberger Stamm- zur Handschrift: http://www.bl.uk/manus baum in Klosterneuburg, Medaillon zu cripts/FullDisplay.aspx?ref=Arundel_MS_83 Adalbert dem Sieghaften (Klosterneuburg, (abgerufen am 21.03.2021). Stiftsmuseum, Inv.-Nr. GM 86). Den Hinweis 39 Siehe hierzu ausführlich Retsch, Hundsgugel, auf diese Darstellung verdanke ich Mar- S. 190-194. cel Schultz, Aschaffenburg, der diese unter 40 Um 1370, Tite-Live, Histoire romaine, version dem Thema „Ringpanzerstreifen an Hosen- française par Pierre Bersuire (Paris, Biblio- beinen“ in einem Online-Forum vorstellte thèque Sainte-Geneviève, MS. 777, fol. 316r). (https://www.mittelalterforum.com/index. Ausführlich zur Handschrift: http://www. php/Thread/25854-Ringpanzerstreifen-an- calames.abes.fr/pub/#details?id=BSGA12181 Hosenbeinen/ [abgerufen am 21.03.2021]). (abgerufen am 21.03.2021). 50 Zu derartigen reduzierten Harnischen siehe 41 Um 1370, ebenda, fol. 7r. Die Einzelteile der Retsch, Sprechendes Metall, im Kapitel „Ad- Beinzeuge sind als Oberschenkel-Goll-Typ-I, lige Stifter in reduzierten Rüstungen“ (Typo- (vermutlich) Knie-Goll-Typ-II und Unter- skript S. 231-235). Dort auch ausführlicher zu schenkel-Goll-Typ-I zu bezeichnen (upper- den dargestellten Harnischen dieses Altars. leg-type-I, knee-type-II und lower-leg-type-I), 51 1498, Albrecht Dürer, Paumgartner Altar siehe Goll, Iron documents, S. 48 f. und 64 f. (Alte Pinakothek, München, Inv.-Nr. 702). 210 | Christopher Retsch: Die Panzerhose

Zum Altar siehe https://www.sammlung.pi- Quellen nakothek.de/de/artwork/W6kLay7L8V und http://www.hdbg.de/portraitgalerie/gemael- Anonym, Der fůszpfadt tzů der ewigen seligkeyt de-706.php (abgerufen am 22.03.2021). / diß büchlein genant ist / Der vns gewysen wirt 52 1505, Albrecht Dürer, Der heilige Georg zu durch einen geystlichen ritter/ mit außlegung vnd Pferd (z. B. in Amsterdam, Rijksmuseum, beteutunge[n] ritterlichs gewere vnd wapen, Inv.-Nr. RP-P-OB-1214). Die inschriftliche Da- Heidelberg (Heinrich Knoblochtzer für Jakob Kö- tierung der Kupferstichplatte wurde nach- bel) 1494 (GW 10429). träglich von 1505 auf 1508 geändert. 53 Schöfferlin, ROmische Historie, fol. CCCXXX; Schöfferlin, Bernhard / Wittich, Ivo (Bearb.), Livi- z. B. in München, Bayerische Staatsbibliothek, us, Titus, ROmische Historie vß Tito Liuio gezo- Rar. 2086: urn:nbn:de:bvb:12-bsb00004902-8 gen, Mainz (Johann Schöffer) 1505 (VD16 L 2102). (abgerufen am 23.03.2021). 54 Dies gilt auch für die Hosen mit seitlichen Schröder, Werner (Hg.), Wolfram von Eschenbach: Ringpanzerstreifen von der Hüfte bis zu den Willehalm. Nach der gesamten Überlieferung kri- Knöcheln. tisch herausgegeben, Berlin / New York 1978. 55 Zur zeitgenössischen Bezeichnung des Plat- tenharnischs als „Blechharnisch“ siehe Retsch, Uhland, Ludwig (Hg.), Alte hoch- und niederdeut- Sprechendes Metall, im Kapitel „Rüstungs- sche Volkslieder mit Abhandlung und Anmerkun- und Waffenterminologie der Quellen“, Un- gen, 2 Bände, Stuttgart / Tübingen 1844 und 1845. terkapitel „Harnisch“ (Typoskript S. 49-51). 56 Auch dies gilt ebenfalls für die Hosen mit Ulmschneider, Helgard (Hg.), Götz von Berlichin- seitlichen Ringpanzerstreifen, wenngleich gen: Mein Fehd und Handlungen (Text der soge- hier der Schutz nochmals geringer ausfällt. nannten Rossacher Handschrift im Freiherrlich von Berlichingenschen Archiv Jagsthausen, vor 1567), Sigmaringen 1981; https://de.wikisource. org/wiki/Mein_Fehd_und_Handlungen (abgeru- fen am 15.03.2021).

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Johannes Pietsch Rock und Hose eines Conquistadoren Ein außergewöhnlicher Fund aus Peru

Kleidung aus dem 16. Jahrhundert – zu- ein solches Loch ist noch am linken vor- mal solche der einfachen Bevölkerung deren, angeschnittenen Schoßteil vorhan- – hat sich nur vereinzelt erhalten. Noch den (Abb. 4). Das Vorderteil besitzt einen seltener sind europäisch geprägte vesti- kurzen, in das Gewebe eingeschnittenen mentäre Zeugnisse aus frühkolonialer Halsschlitz und einen 6 cm hohen, ange- Zeit in Südamerika. Der Forscher Heinrich setzten Stehkragen. Hinten ist der Kragen Ubbelohde-Doering (1889-1972) entdeckte an das Rückenteil angeschnitten. Von den die beiden Kleidungsstücke im Juni 1932 Ärmeln haben sich nur die Oberarmpuf- auf einem alten Gräberfeld am Fuße der fen so weit erhalten, dass ihr Schnitt voll- Pyramide von Cao im nördlichen Küsten- ständig rekonstruierbar ist. Sie bestehen gebiet von Peru (Abb. 17) und übergab sie jeweils aus vier längsrechteckigen Ober- wenige Monate später dem Bayerischen armteilen mit dazwischen offen gelasse- Armeemuseum.1 Dr. Ubbelohde-Doering nen Schlitzen, die an einen 7 cm breiten, war einer der bedeutendsten deutschen eng anliegenden Bund ansetzen (Abb. 16). Wissenschaftler auf dem Gebiet der altpe- Daran ist ein enger Ärmel genäht, von ruanischen Kultur. Ab 1930 wirkte er als dem nur noch Fragmente zeugen, so dass Konservator am Staatlichen Museum für seine ursprüngliche Länge nicht mehr zu Völkerkunde in München und war von ermitteln ist. Vermutlich reichte er jedoch 1936 bis 1956 Direktor dieser Institution. nach unten bis zum Handgelenk. Die Gewänder aus Peru geben Auskunft An die oben mit einem Faden zusammen- über einen Kleidungsstil, der nur in we- geraffte Hose (Abb. 1) setzt ein ca. 2,8 cm nigen Bildzeugnissen überliefert ist. Der hoher Bund an. Beide Hosenbeine, die oberschenkellange Rock (Abb. 1) besteht nach unten etwas über die Knie reichen, aus einem Vorder- und einem Rückenteil sind viertelkreisförmig geschnitten und (Abb. 5).2 Die Seitennähte sind leicht tail- verjüngen sich deshalb zu einem runden liert, nach unten ist das Kleidungsstück Beinausschnitt ohne Bund (Abb. 6). In etwas ausgestellt und besitzt rechts eine der vorderen Mitte befindet sich ein Ver- kurze seitliche Öffnung. An der linken Sei- schlussschlitz. te befand sich ursprünglich wohl ein lan- Bereits die Materialien, aus denen die bei- ger Verschlussschlitz, der mit umstoche- den Kleidungsstücke gefertigt sind, geben nen Bindelöchern zu schließen war. Nur Hinweise auf ihre Geschichte. Beim Rock dient als Oberstoff ein hell naturfarbenes Baumwollgewebe in Leinwandbindung Abb. 1 Rock und Hose aus dem dritten Viertel mit zweifädiger Kette.3 Das Besondere ist des 16. Jahrhunderts (Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nrn. A 9236 hier, dass gewöhnlich jeder vierte Schuss und A 9237) ebenfalls zweifädig ist, wodurch sich 214 | Johannes Pietsch: Rock und Hose eines Conquistadoren

Abb. 2 und 3 Aufnahmen der Vorder- und Rückseite des Rocks (1930er Jahre) ein Querstreifenmuster ergibt (Abb. 7).4 felsfrei darstellen.5 Gefüttert ist der Rock Durch Unregelmäßigkeiten im Gewebe mit drei unterschiedlichen, jedoch einan- ließ sich bei der neuesten Restaurierung der sehr ähnlichen Baumwollgeweben in sogar die ursprüngliche Position des Leinwandbindung mit leichter Querrip- Schoßteils, die bisher falsch interpretiert penstruktur6 und einem leinwandbindi- worden war (Abb. 2 und 3), exakt rekon- gen Baumwollgewebe mit geringfügiger struieren und so der Gewandschnitt zwei- Längsrippenstruktur,7 alle ebenfalls mit Johannes Pietsch: Rock und Hose eines Conquistadoren | 215 zweifädiger Kette. Das Material sowie die länglichen Loch am Bund steckt (Abb. 9). Webtechnik legen nahe, dass diese Stoffe So zeigen bereits die Gewebe eine faszi- im Norden Perus produziert wurden, und nierende Mischung aus europäischen und zwar in der Tradition der dortigen Chimú- südamerikanischen Traditionen und legen Kultur. Dieses Gebiet war seit den 1460er- Zeugnis davon ab, woraus die Kleidung ei- Jahren von den Inkas besetzt, die Chimú- nes Spaniers in Peru gemacht sein konnte. Textilien wurden aber weiter hergestellt.8 Die Seltenheit der beiden Gewandstücke Charakteristisch für diese Gewebe sind rechtfertigt eine detaillierte Darstellung die paarweise eingezogenen Kettfäden der Herstellungstechniken, die ebenfalls sowie monochrome Baumwollgewebe, äußerst aufschlussreich für Verortung und deren Schussstreifung durch zweifädige Datierung sind. Die fragmentarische Er- Schusseinträge geschah.9 Nachdem Fran- haltung des Rocks lässt keine lückenlose cisco Pizarro 1532 im Norden Perus an Rekonstruktion seines Entstehens zu, aber Land gegangen war, dauerte es noch etwa die wichtigsten Fertigungsschritte sind er- vierzig Jahre, um die Macht der Inka zu kennbar. brechen. Ab dieser Zeit richteten die Spa- Zum Schließen der Seiten- und Schul- nier eigene Textilwerkstätten ein, die so- ternähte wurden die beiden Oberstoffe genannten obrajes. Die dort hergestellten rechts auf rechts aufeinandergelegt, darü- Gewebe erreichten jedoch nicht mehr die ber kam am Rückenteil der Futterstoff. Die Qualität der vorkolonialen Zeit.10 Solche drei Lagen wurden mit Vorstichen ver- Textilien könnten hier vorliegen. bunden, die Nahtzugaben nach einer Seite Als Krageneinlage dient ein leinwandbin- diges Gewebe aus Leinen oder Hanf (Abb. 11 Abb. 4 Linkes vorderes Schoßteil mit 10). Dieses Material musste damals aus umstochenen Bindeloch Europa eingeführt werden. Gleiches gilt für das wollene Doppelköper- gewebe mit ehemals flauschiger Oberflä- chenstruktur,12 aus dem die Hose besteht (Abb. 8). Hier handelt es sich mit einiger Sicherheit um den in England unter dem Namen kersey hergestellten Wollstoff von eher grober Qualität und geringer Web- breite, der auch für einfachere Männer- kleidung Verwendung fand.13 Dieses Ge- webe wurde sicher nicht in einem obraje gefertigt, sondern aus Europa, wohl aus England, importiert. In Spanien führte es die Bezeichnung carisea.14 Für den Taschenbeutel der Hose (Abb. 14) benutzte der Schneider dagegen ein dreibindiges Köpergewebe mit dem einen Fadensystem aus dunkelbraunem Kameli- denhaar und dem anderen aus hellbrauner Wolle. Dieser Stoff dürfte in Peru gewebt worden sein, ebenso das schwarze Band aus Kamelidenhaar, das wohl zum Befes- tigen der Hose diente und noch im linken 216 | Johannes Pietsch: Rock und Hose eines Conquistadoren

Abb. 5 Schnittzeichnung des Rocks mit noch vorhandenen Teilen umgebogen. Dann folgte das Ansäumen bunds am unteren Ärmelteil, nur wurde des Futterstoffs am Vorderteil mit einge- abschließend der Unterärmel mit Saum- schlagener Nahtzugabe über der Naht stichen von innen am Oberarmbund fi- (Abb. 11). xiert. Schließlich wurden am Armloch alle Auch das Zusammen- und Ansetzen der Ober- und Futterstofflagen zusammen mit Ärmel lässt sich zu großen Teilen nach- einem zwischengefassten, längsgefalteten vollziehen. Ober- und Futterstoff des Un- Vorstoßstreifen in einer Naht mit Vorsti- terärmels wurden mit gegeneinander ein- chen verbunden. Diese erhielten dann eine geschlagenen Nahtzugaben durch Vorsti- Umkleidung aus einem beidseitig einge- che zusammengenäht. Am Oberarmbund schlagenen, mit Saumstichen befestigten und am Puffärmel wurden die Ober- und Futterstreifen. Futterstofflagen mit einem zwischenge- Am Kragen wurde zusätzlich zur Hanf(?)- fassten Vorstoßstreifen in einer Naht ver- Einlage zwischen Ober- und Futterstoff bunden. Dazu wurde die länger gelassene ein Vorstoßstreifen mitgefasst. Die Ränder Nahtzugabe des Futteroberarmbundes der Puffärmelstreifen, die untere Kante über die anderen gelegt und mit Saum- des Schoßes sowie der Halsausschnitt er- stichen angenäht (Abb. 12). In gleicher hielten an den Kanten eine Einfassung Weise erfolgte das Annähen des Oberarm- aus Oberstoffstreifen. Die Zierwülste – Johannes Pietsch: Rock und Hose eines Conquistadoren | 217

Abb. 6 Schnittzeichnung der Hose 218 | Johannes Pietsch: Rock und Hose eines Conquistadoren

Abb. 8 Oberstoff der Hose (Detail) Abb. 7 Oberstoff des Rocks (Detail) mit eingewebtem Querstreifenmuster das Schließen des linken Hosenbeins samt Einnähen des Zwickels. Diese Nähte wei- ebenfalls aus Oberstoff – wurden auf den sen alle die gleiche Technik auf: Nach dem Stehkragen und auf den Puffärmelstreifen Zusammennähen der Stoffteile rechts auf sowie am Schoß verstürzt aufgenäht. rechts mit Rückstichen wurden die Naht- Die Einzelschritte beim Zusammensetzen zugaben nach einer Seite umgelegt und der Hose lassen sich genau rekonstruie- mit Saumstichen fixiert (Abb. 13). Dage- ren. Hier wurden zunächst die Ansatznäh- gen wurden die Säume der Hosenbeine te der großen Teile ausgeführt. Dann wur- einfach eingeschlagen und durch Saum- de das rechte Hosenbein zusammenge- stiche befestigt. Das rechte Hosenbein näht, der Zwickel rechts vorn angebracht erhielt seitlich einen Einschnitt für den und die vordere Mittelnaht vom Zwickel Tascheneingriff, die Kanten wurden nach bis zum Hosenschlitz verbunden. Es folgte hinten umgeschlagen und mit Vorstichen

Abb. 9 Der Hosenbund mit umstochenen Löchern und Bindeband Johannes Pietsch: Rock und Hose eines Conquistadoren | 219 festgeheftet (Abb. 14). Das Annähen des Taschenbeutels mit offenen Schnittkanten an den Schlitzeinfassungen geschah mit Rückstichen, das Annähen der Ränder mit Saumstichen. Am vorderen Hosenschlitz wurden die Kanten nach hinten umgebo- gen und ebenfalls angesäumt. Am oberen Rand wurde die Hose mit Rückstichen zusammengerafft, also ge- smokt. Der Bund wurde rechts auf rechts mit Rückstichen angenäht, nach hinten Abb. 10 umgeschlagen und mit Saumstichen be- Einlagegewebe des Kragens (Detail) festigt. Überwendlichstiche sichern die Vorderkanten des Hosenbundes. Im vor- deren Bereich des Bundes wurden links benutzt.16 Die Hose ist sogar vollständig und rechts je ein kleines rundes und ein mit Baumwolle genäht.17 Dieses Material längliches umstochenes Loch eingearbei- wurde sicher am Ort produziert, denn in tet (Abb. 9). Europa kannte man bis ins späte 18. Jahr- Insgesamt entspricht die Ausführung der hundert hinein keine Nähfäden aus Baum- Nähte den zu dieser Zeit in Europa übli- wolle.18 chen Stichen und Techniken.15 Doch als An der Hose sind mehrere Flickstellen mit Nähfaden wurde beim Rock neben dem dem Oberstoff oder einem sehr ähnlichen üblichen Leinen- auch Baumwollzwirn Gewebe unterlegt. Das beweist, dass das

Abb. 11 Schemazeichnung der Seitennaht, vom Futter her gesehen

Abb. 12 Schemazeichnung der Naht, die den Puffärmel mit dem Oberarmbund verbindet, vom Futter her gesehen 220 | Johannes Pietsch: Rock und Hose eines Conquistadoren

körper anliegendes Gewand, das vorn der Länge nach zu knöpfen war. Es besaß ei- nen Stehkragen, lange glatte Ärmel und angesetzte Schoßteile. Als weiteres cha- rakteristisches Detail war am Wams eine Vorrichtung angebracht, um die Hose zu befestigen.23 Dabei konnte es sich um mit Nestellöchern oder Ösen versehene Laschen oder Leisten handeln. Fast alle diese typischen Merkmale fehlen hier. So wird bei genauerer Betrachtung klar, dass es sich um eine Sonderform der ropilla (Röckchen) handelt, die als Obergewand zunächst in Spanien und dann auch in Abb. 13 Längsnaht am rechten Hosenbein, ganz Europa getragen wurde. Sie war eng von der Innenseite gesehen anliegend, vorn mit Knöpfen zu schließen und mit kurzen angesetzten Schoßteilen ausgestattet. In der Zeit zwischen 1540 Kleidungsstück über einen längeren Zeit- und 1570 hatten ihre Ärmel kleine Ober- raum getragen wurde. armpuffen, die in einen engen Bund mün- Weite, knielange Hosen, die sich nach un- deten. Die Soldaten in der Neuen Welt ten verjüngten, waren in Spanien Bestand- machten daraus ein lockeres Obergewand teil der Soldatenkleidung und wurden um mit angeschnittenen Schößen, das man in 1560 auch in die Mode übernommen. Man Kuba und anderen Teilen Südamerikas nannte sie greguescos.19 Die wohl schöns- wegen seines kittelartigen Schnitts tref- te Darstellung eines derartigen Beinkleids fend als saco (Sack) bezeichnete.24 verdanken wir Paolo Veronese in einem Ein solcher Rock liegt hier vor. Er trägt zu- Fresko in der Villa Barbaro in Maser, das dem Züge der saltambarca, eines weiten, er 1560-1561 geschaffen hat (Abb. 15). Hier geschlossenen Kleidungsstücks, das man zeigt er vermutlich sich selbst als Jäger. über den Kopf zog. Der Name bezieht In Italien hießen diese Hosen calzoni. Die sich darauf, dass Seeleute solchermaßen Kirche San Domenico Maggiore in Neapel verwahrt noch heute eine Hose in diesem Abb. 14 Tascheneingriff mit darunter liegen- Schnitt aus dem Jahr 1581, die Kardinal dem Taschenbeutel an der rechten Hosenseite Flavio Orsini in seinem Grab trug.20 Eine weitere sehr ähnliche Wollhose hat sich bei der Kleidung eines baskischen Matro- sen aus dem 16. Jahrhundert in der Uni- versität von Montreal erhalten.21 Die Form des zur Hose getragenen Rocks lässt sich dagegen nicht so leicht einord- nen. Er entspricht eigentlich keinem zu dieser Zeit in Europa getragenen Gewand. Sigrid Flamand Christensen bezeichnete ihn in der ersten Publikation der beiden Kleidungsstücke 1935 als Wams.22 Dieses war im 16. Jahrhundert ein eng am Ober- Johannes Pietsch: Rock und Hose eines Conquistadoren | 221 gekleidet leicht in ein Boot springen konn- ten.25 So finden sich unter den Gewandstü- cken eines weiteren baskischen Matrosen aus dem 16. Jahrhundert zwei übereinan- der getragene, hemdartig geschnittene Rö- cke mit Halsschlitz und langen Ärmeln.26 Ein anderes Ensemble eines Seemanns aus Leinengeweben, bestehend aus weitem, über den Kopf zu ziehendem Oberteil und faltenreicher, knielanger Hose, die sich nach unten verjüngt, besitzt das Museum of London.27 Es stammt aus England und ist etwa in die Zeit zwischen 1590 und 1650 zu datieren. Allerdings sind die bei- den Gewandteile viel weiter geschnitten als jene des Mannes aus Peru. Ob letzte- rer tatsächlich ein Soldat war oder viel- leicht einen anderen Beruf ausgeübt hat, können wir heute nicht mehr feststellen, weil Heinrich Ubbelohde-Doering nur die beiden Kleidungsstücke zusammen mit altperuanischen Textilien auf der Erde Abb. 15 Paolo Veronese, Selbstbildnis (?) als verstreut vorfand. Sie waren von Schatz- Jäger, 1560/1561, Maser, Villa Barbaro suchern dort zurückgelassen worden.28 Somit fehlt der historische Kontext. Die dunklen Flecken, die auf den ersten Blick Hosen sind noch eng und lang. Damit be- wie Blut aussehen, sind wohl eher Alte- stätigt sich die Datierung der beiden origi- rungs- und Korrosionsspuren des Gewe- nalen Gewandteile durch Sigrid Flamand bes29 und geben daher ebenfalls keinen Christensen in das dritte Viertel des 16. Aufschluss über den Träger. Jahrhunderts.33 Darstellungen von Conquistadoren aus Obwohl nicht mehr nachvollziehbar ist, dem 16. Jahrhundert sind äußerst selten. wer der Träger der beiden Kleidungsstü- Annähernd vergleichbar ist die Kleidung, cke war, konnten technologische Untersu- die in der Geschichte der Stadt Tlaxcala, chungen zusammen mit der Auswertung im zentralen mexikanischen Hochland von Bild- und Schriftquellen zeigen, dass gelegen, erscheint. Von diesem Codex der Rock und die Hose aus der Zeit um aus dem Jahr 1552 hat sich leider nur eine 1560/1580 stammen und in Peru herge- Kopie von 1773 erhalten.30 Hier tragen die stellt wurden. Dabei wurden sowohl ein- Spanier Röcke mit kurzen Schößen und heimisch produzierte als auch aus Europa geschlitzten Puffärmeln mit breitem Bund importierte Gewebe verwendet. Dass sich am Oberarm, jedoch noch ausnahmslos dieses außergewöhnliche Ensemble bis kurze spanische Hosen (calzas).31 Zusätz- heute erhalten hat, ist ein großer Glücks- lich gibt es aber ein Fragment eines illus- fall. trierten Originaltextes aus den 1530er- Jahren, das ebenfalls Szenen aus der Stadt Tlaxcala zeigt.32 Hier sind die Röcke mit Puffärmeln besser zu erkennen, aber die 222 | Johannes Pietsch: Rock und Hose eines Conquistadoren

Rock und Hose Beschreibung Inv.-Nrn. A 9236 (Rock) und A 9237 (Hose) Rock Oberschenkellanger Rock aus einem Vor- Datierung und Restaurierungen der- und einem Rückenteil (fragmenta- Peru, um 1560/1580 risch erhalten), leicht tailliert, kurzer in Restaurierung März bis Juli 2019 das Gewebe eingeschnittener Halsschlitz durch Frau Magdalena Verenkotte (vorne) mit angesetztem Stehkragen, ge- zusammen mit Frau Ursula Hofmann schlitzte Oberarmpuffen an beiden Är- (mit Unterstützung der Ernst von meln erhalten, Unterarme großteils verlo- Siemens Kunststiftung) ren. Hose Material Geraffte Hose mit Bund, Hosenbeine bis Rock: Baumwoll- und Leinengewebe etwas über die Knie reichend, verjüngen Hose: Woll- und Kamelidenhaargewebe, sich zu einem runden Beinausschnitt ohne Kamelidenhaarband Bund, vorne mittig ein Verschlussschlitz.

Maße Provenienz und Erwerbungsgeschichte Rock: Länge 71 cm / Breite (Rücken) 43 cm Hose und Rock wurden von Dr. Hein- Länge (Ärmel) ca. 27 cm rich Ubbelohde-Doering im Juni 1932 auf Hose: Länge ca. 65,5 cm / Umfang (Taille) einem alten Gräberfeld „nahe dem Fuss 94,4 cm der Pyramide von Cao gefunden“, die an der Nordküste Perus, im Tal von Chica- ma liegt. „Die beiden Stücke waren von Schatzsuchern (Huaqueros) ausgegraben

Abb. 16 Rechter Puffärmel mit Oberarmbund Johannes Pietsch: Rock und Hose eines Conquistadoren | 223 und auf dem Gräberfeld mit anderen alt- peruanischen Geweben gemischt zurück- gelassen worden“ (aus dem Bericht von Ubbelohde-Doering im Bayerischen Ar- meemuseum). Am 24. November 1932 wurden beide Stü- cke dem Bayerischen Armeemuseum vom Museum für Völkerkunde überwiesen. Peru

Fundort

Inventare Discovery site Zugangsbuch 1928-1934 (Bayerisches Ar- meemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01.95), Ein- trag 934 im Abschnitt zum Jahr 1932: „1 Landsknechts=Wams, um 1520, 24.11.1932, Überweisung vom Museum f. Völker- kunde in München“, und Eintrag 935 im Abschnitt zum Jahr 1932: „1 Landsknechts=Hose, um 1520, Überwei- sung vom Museum f. Völkerkunde in München“

Sammlungsbelege Jahrgang 1932 (Bayeri- Abb. 17 Fundort der Kleidungsstücke sches Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05.01. 69), Beleg Nr. 139: „München 24. Novem- ber 1932. Den Sammlungen des Armee- Ausstellungshistorie Museums, Sammlung Aeltere Zeit wird seit 3. Juni 2019 überwiesen: ... 1 Landsknechtswams, um Ständige Ausstellung „Schatzkammer“ 1520, Wert 300.- RM ... 1 Landsknechtsho- des Bayerischen Armeemuseums se, um 1520, Wert 200.- RM; Überweisung in Ingolstadt vom Museum für Völkerkunde in Mün- chen ... Schriftwechsel: ohne“

Lokalbestandsbuch (A-Buch, 3. Band, Baye- risches Armeemuseum, Inv.-Nr. HA.05. 01.29), Eintrag Nr. 9236: „Landsknechts- wams, um 1520, Länge 50 cm. Wert 300 M.“, Eintrag Nr. 9237: „Landsknechtshose, um 1520, Länge 68 cm. Wert 200 M.“

Literatur (Auswahl) Flamand Christensen, Männerkleidung; Paggiarino/Schönauer, The Bavarian Army Museum, S. 210-213 und S. 264 f. 224 | Johannes Pietsch: Rock und Hose eines Conquistadoren

Anmerkungen 7 Futterstoff 4: Kette: Baumwolle, Z-Drehung, 2 Fäden in einem Fach (Webkante ca. 8 Fäden 1 Vgl. Flamand Christensen, Männerkleidung, in einem Fach), 14-16 Fäden/cm. Schuss: S. 55. Baumwolle, Z-Drehung, 2 Fäden in einem 2 Alle technischen Angaben zum Rock sind Fach, 20-22 Fäden/cm. Webbreite: nicht er- dem Bericht der Textilrestauratorinnen Mag- mittelbar. dalena Verenkotte und Ursula Hofmann, 8 Vgl. Rowe, Costumes, S. 14 und S. 31. Nürnberg, entnommen (Original im Bayeri- 9 Vgl. ebenda, S. 24 f., S. 100 f. und S. 104. Vgl. schen Armeemuseum). auch Calonder / Rickenbach, Textilien, S. 412 f. 3 Kette: Baumwolle, S-Drehung, 2 Fäden in ei- 10 Vgl. Calonder / Rickenbach, Textilien, S. 453 f. nem Fach, 56-64 Fäden/cm. Schuss: Baum- 11 Kette: Bastfaser, Z-Drehung, 14 Fäden / cm. wolle, S-Drehung, ein- oder zweifädig, 12 Schuss: Bastfaser, Z-Drehung, 11 Fäden/cm. Fäden/cm. Webbreite: mindestens 52 cm (an Webbreite: nicht ermittelbar. der linken Seite des angeschnittenen Schoß- 12 Köperbindung 2/2, Z-Grat. Kette: Wolle, star- teils ist der Oberstoff bei einer Breite von ke Z-Drehung, 12 Fäden/cm. Schuss: Wolle, 52 cm mit einem weiteren Stück des Oberstof- S-Drehung, 8 Fäden/cm. Webbreite: 89,0 cm. fes, Webkante an Webkante zusammen ge- Oberfläche des Gewebes vorn und hinten näht). stark aufgeraut. 4 Vereinzelt folgt erst nach fünf einfachen 13 Vgl. Justi, Manufacturen, Sp. 41 und Montgo- Schussfäden bzw. schon nach einem Schuss- mery, Textiles, S. 272 f. faden ein zweifädiger Eintrag. 14 Vgl. Covarrubias, Tesoro, fol. 2020v. 5 In der früheren Montierung war nicht nur 15 Vgl. Niekamp / Woś Jucker, Prunkkleid, S. 65, das angeschnittene, nun aber lose Schoßteil S. 127 f. und S. 138-141. falsch platziert; der Rock war sogar von in- 16 Leinen, Zwirn S aus 2 Fäden Z-Drehung; nen nach außen gekehrt worden (siehe Fla- Baumwolle, Zwirn Z aus 4 Fäden S-Drehung. mand Christensen, Männerkleidung, S. 56 f.) 17 Baumwolle, Zwirn Z aus 4 Fäden S-Drehung. Diese Fehlinterpretationen konnten die bei- 18 Vgl. Sykas, Re-Threading, S. 129. den Textilrestauratorinnen korrigieren. 19 Vgl. Herrero García, Estudios, S. 47-49. 6 Futterstoff 1: Kette: Baumwolle, S- oder Z- 20 Vgl. Orsi Landini, Moda, S. 86. Drehung, 2 Fäden in einem Fach, 26-30 Fä- 21 Vgl. Dubuc, Costumes, S. 133, S. 135 und S. 141. den/cm. Schuss: Baumwolle, S- oder Z-Dre- 22 Vgl. Flamand Christensen, Männerkleidung, hung, 2 Fäden in einem Fach, 14-18 Fäden/cm. S. 55. Webbreite: mindestens 52 cm (an der linken 23 Vgl. Herrero García, Estudios, S. 89 Seite des angeschnittenen Schoßteils ist der 24 Vgl. ebenda, S. 107. Futterstoff 1 bei einer Breite von 52 cm mit 25 Vgl. ebenda, S. 127 f. dem Futterstoff 4 Webkante an Webkante zu- 26 Vgl. Dubuc, Costumes, S. 137 und S. 140. sammen genäht). Besonderheit: In einem 27 Vgl. Cooper, Elizabeth I, S. 202 f. schmalen Streifen auf der rechten Seite des 28 Vgl. Bericht von Dr. Heinrich Ubbelohde- Gewebes sind die Kettfäden Z-gedreht, alle Doering, München, 16. November 1932, heu- Kettfäden links davon sind S-gedreht. Die te im Bayerischen Armeemuseum, Ingolstadt. Schussfäden sind über größere Abschnitte S- 29 Diesen Hinweis verdanke ich Magdalena gedreht, in anderen Abschnitten Z-gedreht, Verenkotte, Nürnberg. und in wieder anderen gemischt, d. h. ein Z- 30 México, Biblioteca Nacional de Antropología gedrehter und ein S-gedrehter Schussfaden e Historia. liegen in einem Fach. 31 Vgl. Herrero García, Estudios, S. 56 f. Futterstoff 2: Kette: Baumwolle, S- oder Z- 32 Austin, Benson Library at the University of Drehung, 2 Fäden in einem Fach, 24-28 Fä- Texas. den/cm. Schuss: Baumwolle, S- oder Z-Dre- 33 Vgl. Flamand Christensen, Männerkleidung, hung, 2 Fäden in einem Fach, 14-18 Fäden/cm. S. 57. Webbreite: nicht ermittelbar. Besonderheit: In einem Bereich des Gewebes sind die Kett- fäden Z-gedreht, alle Kettfäden rechts davon sind gemischt, d.h. es sind jeweils ein S-ge- drehter und ein Z-gedrehter Kettfaden in ei- nem Fach, dieser Bereich ist ca. 4,5 cm breit, dann folgen S-gedrehte Kettfäden. Die Schussfäden sind über größere Abschnitte S- gedreht, in anderen Abschnitten Z-gedreht. Futterstoff 3: Kette: Baumwolle, S-Drehung, 2 Fäden in einem Fach, 40-48 Fäden/cm. Schuss: Baumwolle, S-Drehung, 1 Faden in einem Fach, 8-12 Fäden/cm. Webbreite: nicht ermittelbar. Johannes Pietsch: Rock und Hose eines Conquistadoren | 225

Literatur

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Sykas, Philip A., Re-threading. Notes Towards a History of Sewing Thread in Britain, in: Mary M. Brooks (Hg.), Textiles Revealed, Object Lessons in Historic Textile and Costume Research, London 2000, S. 123-135. 226 Bildnachweis

Cover Fabian Brenker Erich Reisinger (Frontseite) Das Aufkommen des Plattenrocks Gert Schmidbauer (†) (Rückseite) im 13. Jahrhundert 1, 12: Løgumkloster Kirke (Denmark) 2: Cambridge University Library 3: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Dom Ansgar Reiß Magdeburg, Hl. Mauritius DMD0056 Museumsgeschichte, Objekt- (Aufnahme T. Groll) geschichte, Geschichte Europas 4: Kulturhistorisches Museum Magdeburg 1, 2, 3: Erich Reisinger (Foto: Charlen Christoph) 4: Luise Wagener, Berlin 5, 6, 9, 15: Fabian Brenker 5: Ludwig Wacker: Das Königlich Bayeri- 7: Bayerische Staatsbibliothek, München sche Armee-Museum in 50 Kunstblättern, 8: KHM-Museumsverband Pasing 1913, Blatt I (c) 10: Thüringer Universitäts- und Landes- 6: Bayerisches Armeemuseum bibliothek, Jena 7, 8: Friedrich Freksa, Das Bayerische 11: Kloster Wienhausen Armeemuseum, Velhagen und Klasings 13: Landeshauptarchiv Koblenz Monatshefte 39 (1924/25), S. 423 und S. 420 14: Bibliothèque nationale de France 9, 10: Helmut Bauer, Ingolstadt

Tobias Schönauer Die Hirschsteiner Rüstung Kerstin Merkel 1, 11, 22: Erich Reisinger Genäht und geschmiedet 2: Raphael Beuing 1, 9 und 11: Roschnik, Wien / FWF 3: Staatliche Museen zu Berlin, Gemälde- 2-4, 12: Kerstin Merkel galerie (Foto: Fabian Brenker) 5-8: Wien Museum 4, 14, 20, Rekonstruktion 2017 (S. 93): 10: Institut für Kunstgeschichte der Gert Schmidbauer (†) Universität Wien, Foto: Karl Pani, 2009 5: Bodlein Libraries, University of Oxford 13, 14: Bibliothèque nationale de France 6: Wolfgang Gülcker 15: Bayerische Staatsbibliothek, München 7: Universitätsbibliothek Heidelberg 16: Ernst Lau 8, 9: Christopher Retsch 17: Johann Jaritz (https://commons.wi- 10: Carlo Paggiarino (hansprunner.com) kimedia.org unter Creative-Commons- 12: Kunsthistorischer Bilderbogen II. Die Lizenz) Kunst des Mittelalters, Leipzig 1886 18: Roland Meinecke (https:// 13: Bibliothèque nationale de France de.wikipedia.org unter GNU-Lizenz für 15, 25: Tobias Schönauer freie Dokumentation) 16, Rekonstruktion 2014 (S. 92): Christian Stoye 17: Ansgar Reiß 18, 19, 21: Kreisarchäologie Passau 23, 24: Tobias Schönauer (nach Maximili- an Sebald) 25: Tobias Schönauer 227

Alfred Geibig Tobias Schönauer Drei mittelalterliche Schwerter Ein Buckler aus Schloss Ambras 1-3, 8, 10, 12, 14, 19, 20, 21: Erich Reisinger 1, 4, 5, 7: Gert Schmidbauer (†) 4, 5, 7b, 9: Geibig, Beiträge 2: St. Gallen, Kantonsbibliothek 6, 13: Alfred Geibig 3: Bibliothèque nationale de France 7a: Württembergische Landesbibliothek 6: Staatliche Museen zu Berlin, Gemälde- Stuttgart galerie (Foto: Christoph Schmidt) 11: Ypey, Europäische Waffen, Abb. 7 8, 12: Bayerisches Armeemuseum 15: Universitätsbibliothek Leiden 9: Bayerische Staatsbibliothek, München 16: Board of Trustees of the Royal 10: Universitätsbibliothek Heidelberg Armouries 11: Christian Stoye 17: Bayerische Staatsbibliothek, München 18: Linsengericht (https://commons. wikimedia.org unter Creative-Commons- Lizenz) Tobias Schönauer und Dieter Storz Die Pirschbüchse des Pfalzgrafen Ottheinrich 1, 4, 5, 7, 9-16: Erich Reisinger Alfred Geibig 2: Historischer Verein Neuburg / Donau Die Schrobenhausener Hakenbüchse (Foto: Bayerische Schlösserverwaltung) 1-3, 6-8, 17: Erich Reisinger 3: Württembergische Landesbibliothek 4, 9: Bayerische Staatsbibliothek, Stuttgart München 6: Burgerbibliothek, Bern 5, 11-16: Alfred Geibig 8: Biblioteka Jagiellońska, Krakau 10: Roger Mayrock nach Vorgaben und Aufmaßen von Joachim Zeune 18: Bayerisches Armeemuseum Tobias Schönauer Das Innere eines Turnierhelms 1, 7-11: Gert Schmidbauer (†) Tobias Schönauer 2: Metropolitan Museum of Art, New Pavese mit dem Münchner Kindl York 1, 4-6, 8-10: Gert Schmidbauer (†) 3: Musée du Louvre 2, 3: Bayerische Staatsbibliothek, 4: Staatliche Graphische Sammlung München München 7: Schedelmann, Waffenbestände, Tafel 18 5: Tobias Schönauer 11, 12: Münchner Stadtmuseum, 6, 12: Dagmar Drinkler (Bayerisches Sammlung Stadtkultur Nationalmuseum) 228

Christopher Retsch Ganzseitige Abbildungen Die „Panzerhose“ im Bayerischen S. 11, 12: Luise Wagener, Berlin Armeemuseum S. 19: Ausstellungsbüro Janet Görner, 1, 6-12, 20: Erich Reisinger Berlin 2: Bildarchiv Foto Marburg (Carl Teufel/ S. 230, 231: Erich Reisinger Benno Filser) 3, 21: Bayerisches Armeemuseum 4: Melanie Braun / Jenny Tiramani (The School of Historical Dress, London) 5: Tobias Schönauer 13: Pitt Rivers Museum, Oxford 14, 16, 17: British Library 15: Bibliothèque Sainte-Geneviève, Paris 18: https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Juan_de_la_Abad%C3%ADa,_%27 The_Elder%27_-_Saint_Michael_ Weighing_Souls_-_Google_Art_Project. jpg?uselang=de (unter Creative-Commons-Lizenz) 19: Peter Böttcher – Institut für Realien- kunde – Universität Salzburg 21: Bayerisches Armeemuseum

Johannes Pietsch Rock und Hose eines Conquistadoren 1, 4, 7-9, 13, 14, 16: Erich Reisinger 2, 3: Bayerisches Armeemuseum 5, 10, 11, 12: Magdalena Verenkotte, Nürnberg 6: Johannes Pietsch (Bayerisches National- museum) 15: Web Gallery of Art 17: Luise Wagener, Berlin 229 Autoren

Dr. Fabian Brenker Dr. Ansgar Reiß Kurator an der Hofjagd- und Rüstkammer Leitender Museumsdirektor Kunsthistorisches Museum Wien Bayerisches Armeemuseum Burgring 5, 1010 Wien Paradeplatz 4, 85049 Ingolstadt [email protected] [email protected]

Dr. Alfred Geibig Christopher Retsch M. A. ehemaliger Kurator Historische Waffen- Otto-Friedrich-Universität Bamberg sammlung Zentrum für Mittelalterstudien Kunstsammlungen der Veste Coburg Am Kranen 10, 96045 Bamberg Veste Coburg, 96450 Coburg [email protected] [email protected]

Dr. Tobias Schönauer Prof. Dr. Kerstin Merkel Kurator für Blankwaffen und Rüstungen Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt Bayerisches Armeemuseum Ostenstr. 26, 85072 Eichstätt Paradeplatz 4, 85049 Ingolstadt [email protected] [email protected]

Dr. Johannes Pietsch Dr. Dieter Storz Wissenschaftlicher Referent für Textilien, Kurator für Feuerwaffen Kostüme, Leder und Trachten Bayerisches Armeemuseum Bayerisches Nationalmuseum Paradeplatz 4, 85049 Ingolstadt Prinzregentenstraße 3, 80538 München [email protected] [email protected]