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I Intervalle 15 n SchriftenIntervalle zur Kulturforschung15 t IntervalleSchriften zur Kulturforschung 15 e Schriften zur Kulturforschung r Kein Ende des Gerüchts Wie die jüngsten Anschläge auf jüdische Einrichtungen und Personen v KeinAntisemitismusIntervalle Ende in Kulturdes 15 Gerüchtsund Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts zeigen, grassiert in Deutschland immer noch und sogar verstärkt das a SchriftenKein Ende zur des Kulturforschung Gerüchts unsägliche ‚Gerücht über die Juden‘, die vermeintlich den Untergang des l Antisemitismus in Kultur undin LiteraturKultur des und 20. und Literatur 21. Jahrhunderts des 20. und 21. Jahrhunderts Abendlandes heraufbeschwören und die Weltherrschaft an sich reißen l Kein Ende des Gerüchts wollen. Verbreitet werden solche Hassbotschaften unter anderem mittels e AntisemitismusHerausgegeben invon Kultur und Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts rechter Verschwörungstheorien, die eine dumpfe Wut auf vermeintlich Herausgegeben von 15 dunkle Machenschaften demokratischer Staaten schüren, gleichzeitig aber Stefan Greif auch eine Angstkommunikation reaktivieren, die nach autoritärer Führung Turgay Kurultay HerausgegebenStefan Greif von verlangt. Von der These ausgehend, dass der aktuelle Judenhass nicht nur Herausgegeben von TurgayNikola Roßbach Kurultay uralte Vorurteile tradiert, sondern aggressiv die aufklärenden Antworten Nikola Roßbach auf antisemitische Stereotype zu widerlegen versucht, widmen sich die Stefan Greif K e i n E d s G r ü c h t Turgay Kurultay hier versammelten Aufsätze aus Literaturwissenschaft, Philosophie und Stefan Greif Geschichtswissenschaft der Frage, wie sich die Diffamierung des ‚Jüdischen‘ Nikola Roßbach historisch entwickeln konnte, wie antisemitische Verfolgung literarisch Turgay Kurultay bezeugt wurde und mit welchen Argumenten die neuen Sagbarkeitsdebatten im Kontext des Antisemitismus geführt werden. Das Spektrum des Nikola Roßbach untersuchten Materials reicht dabei von den berüchtigten Protokollen der Weisen von Zion über die literarische Gestaltung von Zeitzeugenschaft im Angesicht der Schoah bis hin zu Antisemitismus und Antisemitismuskritik in Kultur, Medien und Musik der Gegenwart. ISBN 978-3-7376-0907-4 kassel 9 783737 609074 university Titelbild von Stephen John Nolan press Intervalle 15 Schriften zur Kulturforschung Begründet vom Wissenschaftlichen Zentrum für Kulturforschung der Universität Kassel Herausgegeben von Hubertus Büschel und Stefan Greif Kein Ende des Gerüchts Antisemitismus in Kultur und Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts Herausgegeben von Stefan Greif, Turgay Kurultay und Nikola Roßbach Diese Veröffentlichung – ausgenommen Zitate und anderweitig gekennzeichnete Teile – ist unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen International (CC BY-SA 4.0: https://creativecommons.org/licenses/by- sa/4.0/deed.de) lizenziert. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Intervalle 15 Schriften zur Kulturforschung Begründet vom Wissenschaftlichen Zentrum für Kulturforschung der Universität Kassel Herausgegeben von Prof. Dr. Hubertus Büschel und Prof. Dr. Stefan Greif ISBN 978-3-7376-0907-4 DOI: https://doi.org/doi:10.17170/kobra-202010262006 © 2020, kassel university press, Kassel https://kup.uni-kassel.de Printed in Germany Inhalt Stefan Greif, Turgay Kurultay, Nikola Roßbach: Einleitung ............................................................................................................................................. 7 Julian Timm: Die düstere Romantik der Jüdischen Weltverschwörung als Motiv des literarischen Antisemitismus ..................................................................................................... 20 Paola Paumgardhen: Schriftraum Diaspora: Die moderne Ästhetik der ewigen Wanderschaft bei Stefan Zweig ............................................................................................................................ 39 Eriberto Russo: „Ich bin der Regen, und ich geh’ barfuß einher von Land zu Land“. Selma Meerbaum-Eisingers identitätsfindende Sehnsuchtsfigurationen ............. 68 Christine Pflüger: Die Erfahrung antisemitischer Verfolgung und des französischen Widerstands im Spiegel der Selbstzeugnisse von Hélène Berr und Herbert Herz ..................... 87 Georg-Michael Schulz: George Tabori und die Shoah ............................................................................................... 110 Manuel Pelz: Jüdischer Rap und die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus ............... 124 Dirk Stederoth: Braune Blasen – Gläserne Zwinger. Digitalisierung zwischen Neuer Rechte und Plattform-Totalitarismus .................................................................................................. 150 Stefan Greif: „Zeig deinen Hass, zeig deine Wut“: Antisemitismus und Gehorsam im Rechtsrock .............................................................. 172 Turgay Kurultay: Antisemitismus: Ein transkulturelles Phänomen? Neue Herausforderungen für die Erinnerungskultur in Deutschland mit eigener muslimischer Bevölkerung .............................................................................. 204 Nikola Roßbach: Dynamiken von Antisemitismus und Zensur. Alte Repressionspolitiken, neue Sagbarkeitsdebatten ...................................................................................................... 232 6 Stefan Greif, Turgay Kurultay, Nikola Roßbach Stefan Greif, Turgay Kurultay, Nikola Roßbach Einleitung Obwohl Gerüchte auf ungesicherten Informationen basieren, verbreiten sie sich oft schneller als lautere Wahrheiten. Sollen sie Feindseligkeiten gegen Mitmenschen verbreiten, werden da- für soziale Unsicherheit und existentielle Ängste geschürt. In der politischen Agitation dienen besonders aggressive Verleumdun- gen dazu, eine vermeintlich von außen bedrohte Gemeinschaft vor ‚allmächtigen‘ Gegnern zu schützen.1 Da diese „Angstkom- munikation“ in komplexeren Gesellschaften nach „autoritärer Führung“2 verlangt, hat Adorno den nationalsozialistischen Ju- denhass in seinen 1951 erschienenen Minima Moralia mit dieser Diffamierungspraxis gleichgesetzt: „Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden.“3 Mit dieser Formulierung charakterisiert Adorno eine ‚moderne‘ Judenfeindschaft, die auf jahrhunderteal- ten Stereotypen und Vorurteilen beruht, unter dem Naziterror jedoch zu einem quasimythologischen, im Anderen verkörperten Bild des Bösen weiterentwickelt wird, mit dem sich die Dringlich- keit kultureller Selbstbehauptung und ethischer Überlegenheit rechtfertigen lässt. Im Anschluss an diese Generierung des Jüdi- schen kolportieren die Nazis eine Verschwörungstheorie, derzu- folge ein längst international agierendes Finanzimperium die Weltherrschaft an sich reißen und damit den Untergang des Abendlandes heraufbeschwören soll. Dass solch ein populisti- sches Allmachtsszenario „die peinlichen Erinnerungsmale der Beherrschung durch andere“4 sichtbar machen kann, wird 1 Vgl. Angst. Ein interdisziplinäres Handbuch, hrsg. v. Lars Koch, Stuttgart, Weimar 2013, 199. 2 Ebd. 3 Theodor W. Adorno, „Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben“, in: Ders., Gesammelte Schriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M. 1997, Bd. 4, 125. 4 Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, „Dialektik der Aufklärung. Philosophi- sche Fragmente“, in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, hrsg. v. Gunze- 8 Stefan Greif, Turgay Kurultay, Nikola Roßbach Adorno zufolge insofern in Kauf genommen, als sich mit seiner Hilfe die Hellsichtigkeit und Verantwortungsbereitschaft der Nazi- Führung proklamieren lässt. Wie Adorno bereits gemeinsam mit Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung gezeigt hat, lässt sich mit dem Gerücht über den auch in Zukunft erfolgreich wuchern- den Juden darüber hinaus ein besonders perfides Implement des nationalsozialistischen Antisemitismus legitimieren. Denn aus der rechten Hassperspektive zeichnen Juden nicht nur für das „ökonomische Unrecht“5 des Kapitalismus verantwortlich, son- dern provozieren damit auch die ihnen zugedachte ‚Strafe‘: Die Juden sind heute die Gruppe, die praktisch wie theoretisch den Vernichtungswillen auf sich zieht, den die falsche gesell- schaftliche Ordnung aus sich heraus produziert. Sie werden vom absolut Bösen als das absolut Böse gebrandmarkt. So sind sie in der Tat das auserwählte Volk. Während es der Herrschaft öko- nomisch nicht mehr bedürfte, werden die Juden als deren abso- lutes Objekt bestimmt, mit dem bloß noch verfahren werden soll […], und im Herzen aller prospektiven Faschisten aller Länder findet der Ruf, sie wie Ungeziefer zu vertilgen, Widerhall. Im Bild des Juden, das die Völkischen vor der Welt aufrichten, drücken sie ihr eigenes Wesen aus. Ihr Gelüste ist ausschließlicher Be- sitz, Aneignung, Macht ohne Grenzen, um jeden Preis. Den Ju- den, mit dieser ihrer Schuld beladen, als Herrscher verhöhnt, schlagen sie ans Kreuz, endlos das Opfer wiederholend, an des- sen Kraft sie nicht glauben können.6 Diesem Freibrief für die Schoah wohnt bereits eine Umkehr der Täter-Opfer-Beziehung inne, die sich nach 1945 weiter entwi- ckeln und bis heute in unterschiedlichsten politischen und bür- gerlichen Lagern behaupten wird.7 Ohne sich dabei auf rechtsra- dikale oder rassistische Ressentiments zu berufen, basiert dieser strukturelle Antisemitismus auf einer eher flachen Kapitalismus- lin Schmid