THEMA EUROPA
EU-Erweiterung und Agrarpolitik Probleme bewältigen – Chancen nutzen Von Willi Görlach MdEP, Heinz Kindermann MdEP, Wolfgang Kreissl-Dörfler MdEP 11/2002 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik i NFO
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2 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik 11/2002
INHALT
VORWORT EU-ERWEITERUNG UND AGRARPOLITIK – ZENTRALE AUFGABEN FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT 5
1. EIN KONTINENT WÄCHST ZUSAMMEN – VON DER GEMEINSCHAFT FÜR KOHLE UND STAHL ZUR ERWEITERTEN UNION 7
2. DIE LANDWIRTSCHAFT IN DEN BEITRITTSSTAATEN – AUF EINEM GUTEN WEG 11
3. DER ERWEITERUNGSPROZESS – VON DER KOOPERATION ZUM BEITRITT IN DIE EUROPÄISCHE UNION 15 Beitrittshilfen und Prüfungsverfahren 15 Beitrittsverfahren 15 Beitrittsverhandlungen 16 Beitrittsabschluss und die Rolle des Europäischen Parlaments 17
4. SAPARD UND CO – DIE VORBEITRITTSHILFEN 19 4.1 Das SAPARD-Programm 21 4.2 Das PHARE-Programm 26
5. STAND DER VERHANDLUNGEN – ZIELE SCHRITT FÜR SCHRITT ERREICHEN 28
6. LEBENSMITTELSICHERHEIT – VERBRAUCHERVERTRAUEN ERHALTEN 33
7. DER LÄNDLICHE RAUM – DIE STRUKTUREN BEWAHREN 37 Die Entwicklung der Landwirtschaft: Eine große Herausforderung für den ländlichen Raum 41 Die Zukunft des Agrarsektors 42 Strukturmaßnahmen zur Förderung des ländlichen Raums 42 SAPARD und der ländliche Raum 45
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8. AUSBLICK: PROBLEME BEWÄLTIGEN – CHANCEN NUTZEN 46
9. DIE LANDWIRTSCHAFT IN EINEM ERWEITERTEN EUROPA – 10 POSITIONEN 48
ANHANG 49 Abkürzungen 49 Weiterführende Informationen 50
ERGÄNZUNG AUS AKTUELLEM ANLASS 49 Zu den Beschlüssen von Kopenhagen wurde eine zweiseitige Erläuterung nachgeliefert; sie finden diese auf Seite 48a und 48b.
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EU-ERWEITERUNG UND AGRARPOLITIK – DIE ZENTRALEN AUFGABEN FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT
„Die fünfte Erweite- rungsrunde wird das Erscheinungsbild der Europäischen Union grundlegend verän- dern“
von links: Heinz Kindermann, MdEP Willi Görlach, MdEP Wolfgang Kreissl-Dörfler, MdEP
Liebe Leserinnen und Leser, die Europäische Union steht zu Beginn des heit in Europa zu stärken und die noch jun- 21. Jahrhunderts vor der größten und poli- gen Demokratien im Osten Europas dauer- tisch bedeutendsten Herausforderung seit haft zu verankern. Durch die Integration ihrem Bestehen: Der Erweiterung um bis der Kandidatenländer in unser Europa der zu 13 Staaten. Am 12./13. Dezember 2002 Wirtschafts- und Wertegemeinschaft haben sollen auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen wir die einmalige Chance, gemeinsam die Nägel mit Köpfen gemacht und die Bedin- Rolle und das Ansehen der Union in der gungen des Beitritts mit den am weitesten Welt zu stärken und die Grundlagen für fortgeschrittenen Staaten endgültig festge- mehr Sicherheit und Stabilität – als Garan- legt werden, damit diese 2004 der EU bei- ten für wirtschaftlichen Wohlstand und treten können. soziale Gerechtigkeit – zu schaffen.
Diese fünfte Erweiterungsrunde wird das Natürlich sind mit der Erweiterung auch Erscheinungsbild der Europäischen Union viele Probleme institutioneller, logistischer grundlegend verändern. Wegen ihres Um- und finanzieller Natur verbunden. Die wirt- fangs und den noch bestehenden Entwick- schaftlichen und politischen Realitäten der lungsunterschieden zwischen Beitritts- und beitrittswilligen Länder sind sehr unter- Mitgliedsländern ist sie nur bedingt mit den schiedlich. Dies stellt die Europäische zurückliegenden Erweiterungsrunden ver- Union vor noch nie dagewesene politische gleichbar. Herausforderungen.
Wir Sozialdemokraten begreifen diese Er- Dies gilt insbesondere für die Regional- und weiterung als Aufgabe, die soziale Sicher- Agrarpolitik. Beide Bereiche bilden auf
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Grund ihrer politischen und wirtschaftli- forderungen und Reformvorhaben gerecht chen Bedeutung in den 13 beitrittswilligen werden kann. Ländern wie auch in den EU-Mitglied- staaten ein Schlüsselelement im Beitritts- Unser Anliegen ist es, Ihnen, liebe Bürge- verfahren. Bereits jetzt unternimmt die rinnen und Bürger, mit dieser Broschüre die Europäische Union große Anstrengungen in aktuelle Diskussion über die Erweiterung, den Kandidatenstaaten, um ihnen bei der im Besonderen die zentralen Fragen der Übernahme des gemeinschaftlichen Be- Landwirtschaft, näher zu bringen. Im Rah- sitzstandes unter die Arme zu greifen. men der hierin verfassten Beiträge sollen Sie die Möglichkeit erhalten, detaillierte Wir treten dafür ein, dass vor allem im land- Informationen über Ziele und Konsequen- wirtschaftlichen Sektor politisch und wirt- zen der Erweiterung zu gewinnen und sich schaftlich ausgeglichene Lösungswege be- mit der von uns vertretenen Politik vertraut schritten werden. Durch eine flexible und zu machen. handlungsfähige Politik wollen wir dazu beitragen, dass die GAP auch nach der Er- weiterung den bevorstehenden großen An- Herzlichst,
Willi Görlach
Heinz Kindermann
Wolfgang Kreissl-Dörfler
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1. EIN KONTINENT WÄCHST ZUSAMMEN – VON DER GEMEINSCHAFT FÜR KOHLE UND STAHL ZUR ERWEITERTEN UNION
Mit der Europäischen Gemein- tom) zu den "Europäischen Ge- schaft für Kohle und Stahl (EGKS) meinschaften" ergänzt. Innerhalb – oft auch "Montanunion" genannt der EWG wurde der Landwirt- – begann 1952 die Erfolgsgeschichte schaft auf Grund der Nahrungs- des europäischen Einigungspro- mittelknappheit während des Zwei- zesses. Sechs Staaten (Frankreich, ten Weltkriegs und in der Nach- Belgien, Niederlande, Luxemburg, kriegszeit besondere Bedeutung Italien und Deutschland) vereinbar- beigemessen: Der Gründungsver- ten, ihre Kohle- und Stahlindustrie trag sah die Schaffung einer Ge- gemeinsamen Regeln zu unter- meinsamen Agrarpolitik (GAP) vor, werfen, die im Rahmen gemein- die erste und für lange Zeit auch schaftlicher Beratungen beschlos- einzige gemeinsame Politik der sen werden sollten. Dies war bisher EWG. Man definierte gemeinsame einzigartig in der Geschichte Eu- Ziele für die Agrarpolitik und ent- ropas: Nach Jahren des Krieges und wickelte Instrumente, um diese der Zerstörung sollten die Staaten Ziele zu erreichen. Europas, so der EG-Vertrag, "durch die Errichtung einer wirtschaftli- Dieses Modell der Zusammen- chen Gemeinschaft den ersten arbeit war so erfolgreich, dass sich Grundstein für eine weitere und Frankreichs Außenmi- schon bald weitere europäische nister Robert Schumann vertiefte Gemeinschaft unter Völ- und Bundeskanzler Kon- Staaten daran beteiligen wollten: kern legen, die lange Zeit durch rad Adenauer sahen in Großbritannien, Irland und Däne- blutige Auseinandersetzungen ent- der Montanunion den mark stellten 1961 ihre Anträge auf zweit waren". „Kristallisationspunkt Mitgliedschaft. Für Dänemark für Europa“. stellte die Gemeinsame Agrarpo- 1957 wurde die Montanunion durch die litik einen der Hauptgründe für den Bei- Römischen Verträge um die Europäische trittsantrag dar, da die Situation in der däni- Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die schen Landwirtschaft immer schlechter Europäische Atom-Gemeinschaft (Eura- wurde und man sich von der GAP
Mit der Montanunion bekommt das Europa der sechs ein gemein- sames Dach. Aber es bleibt noch viel zu tun (links). 1957 schaffen die Römischen Verträ- ge die Europäische Wirschaftsgemein- schaft. Die Gemeinsa- me Agrarpolitik (GAP) ist für lange Zeit die wichtigste und schwie- rigste Aufgabe des neuen Bündnisses. Zeichnungen: H. E. Köhler
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Besserung er- hoffte. Frankreich sprach sich je- doch unter Prä- sident De Gaulle gegen den Bei- tritt von Großbri- tannien aus, da es der Auffassung „Herzlich willkommen im einigen Europa“ Zeichnung: Walter Hanel war, ein Land mit engen Verbindun- Mit der Unterzeichnung des Vertrages über gen zu den USA die Assoziierung Griechenlands im Juli könne kein Mit- 1961 zeichnete sich bereits die Erweiterung glied der EG wer- der EG nach Süden ab. Dieser Vertrag legte Die Brücke am Quai den. Die Verhan- eine Wirtschafts- und Zollunion der EG mit (d´Orsay): Das Ziel ist dlungen wurden daher 1963 abgebrochen. Griechenland fest, wurde aber zwischen klar – der dritte Später, in Verbindung mit besonderen 1967-1974 wegen der dortigen Militärdik- Wagen hinter der Lok. Zeichnung: Jupp Wolter Zugeständnissen an Frankreich, vor allem tatur von Seiten der Gemeinschaft faktisch im Bereich der Agrarpolitik, stimmte es ausgesetzt. Nach der Wiederherstellung der jedoch der Erweiterung um Großbritannien Demokratie stellte Griechenland 1975 den und damit auch der übrigen Staaten zu. Auf Beitrittsantrag. Schwierigkeiten ergaben Grund ähnlicher Agrarstrukturen warf der sich bei den Verhandlungen vor allem auch Bereich Landwirtschaft im Rahmen der im Agrarbereich. Die Probleme waren dabei Verhandlungen allerdings keine besonderen ähnlicher Natur wie bei Spanien und Por- Probleme auf. Die Landwirtschaft in Groß- tugal, die bereits im März bzw. Juni 1977 britannien zeichnete sich sogar im Ver- den Antrag auf Beitritt gestellt hatten und gleich zu den EG-Mitgliedstaaten bereits sich durch ihre Mitgliedschaft in der durch eine sehr wettbewerbsfähige Struktur Gemeinschaft die Sicherung der gerade erst aus. Die erste Erweiterung um diese drei wiederhergestellten Demokratie erhofften. Zeichnung: Staaten konnte somit 1973 erfolgen. Die EG-Mitgliedstaaten hielten die Inte- Horst Haitzinger gration der beiden Staaten zwar für poli- tisch notwendig, befürchteten jedoch, dass durch deren Beitritt die Arbeitslosigkeit in den eigenen Ländern durch eine Welle von Gastarbeitern aus den Beitrittsstaaten stei- gen könnte.
Außerdem wurde vor allem in der Land- wirtschaft eine verstärkte Konkurrenz und eine zunehmende Überproduktion befürch- tet, da alle drei Staaten sehr stark von der Landwirtschaft geprägt waren und ihre Produktion auf Wein, Südfrüchte, Olivenöl, Weizen und Schafzucht ausgerichtet war. Vor allem Frankreich und Italien, die eine ähnliche Produktion hatten, befürchteten
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negative Auswirkungen auf ihren eigenen einem Beitritt zum 1. Januar 1995 nichts Sektor. Denn bereits vor der Süderwei- mehr im Wege stand. terung (1981) produzierten die Staaten der EG etwa 120 % ihres Verbrauchs an Wein, Südfrüchten und Getreide. Diese Überpro- duktion musste aus Steuergeldern aufge- kauft und gelagert werden. Andere Mit- gliedstaaten fürchteten daher vor allem die steigenden Kosten des Agrarhaushalts.
Obwohl zahlreiche praktische Probleme nicht gelöst waren, wurde dem griechischen Beitrittsantrag aus politischen Gründen stattgegeben. Nachdem am 28. Mai 1979 der Beitrittsvertrag unterzeichnet worden war, wurde Griechenland am 1. Januar 1981 EG-Mitgliedstaat. Spanien und Portugal dagegen mussten sich länger gedulden. Erst der Gipfel in Fontainebleau (im Juni 1984) Auf nach Europa! Die Schweden kommen! kann als Durchbruch für die Erweiterung um Spanien und Portugal angesehen wer- Nach der Überwindung der Teilung Europas den, bei dem die durch eine dramatische bietet die Erweiterung der Europäischen Überproduktion hervorgerufene Krise der Union nach Osten heute die einmalige europäischen Agrarpolitik durch eine Be- Chance, auch jene Staaten am Erfolg der schränkung der Garantiemengen vor allem Europäischen Einigung zu beteiligen, die für Milch und Getreide abgemildert wurde. bisher keinen Anteil daran haben konnten. Nach langen Verhandlungen konnten Spa- Die Verhandlungen mit Zypern, der Tsche- nien und Portugal somit am 1. Januar 1986 chischen Republik, Estland, Ungarn, Lett- der EG beitreten. land, Litauen, Malta, Polen, der Slowaki- Zeichnungen: schen Republik und Slowenien sind nun in Klaus Pielert (o.), Die Einbeziehung Österreichs, Finnlands die entscheidende Phase getreten und wer- Gerhard Mester (u.) und Schwedens in die Gemeinsame Agrar- politik stellte weder die EG, noch die bei- trittswilligen Staaten vor größere Probleme, da es sich um Staaten mit einem Lebens- standard handelte, der mit dem in den wohlhabendsten Mitgliedstaaten vergleich- bar war. Alle drei Länder sind geprägt von Berglandschaften und einem schwierigen Klima, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft sehr stark einschränkt. Anpassungen waren daher vor allem im Bereich der (Agrar-) Strukturpolitik not- wendig. Diese konnten aber ohne wesentli- che Mehraufwendungen für den EG- Haushalt durchgeführt werden, so dass
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den voraussichtlich bis Ende des Jahres Trotz schwieriger Beitrittsverhandlungen 2002 abgeschlossen sein, damit diese 2004 im Bereich der Landwirtschaft sollte das Mitglied der EU werden können. Der Bei- übergeordnete Ziel der bevorstehenden tritt Bulgariens und Rumäniens wird für Erweiterung, nämlich die Vollendung der das Jahr 2007 angestrebt. Mit der Türkei Vereinigung Europas, nicht aus den Augen wird bisher nicht verhandelt, da sie wesent- verloren werden. Die vorhergehenden Er- liche Bedingungen für die Aufnahme von weiterungsrunden haben außerdem gezeigt, Verhandlungen noch nicht erfüllt. Aus die- dass, auch wenn die Integration der Land- sem Grund wird im Rahmen dieser Bro- wirtschaften mancher Beitrittsländer große schüre auf die Türkei nicht näher eingegan- Probleme bereitet hat, diese mit vereinten gen. Kräften stets gemeistert werden konnten.
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2. DIE LANDWIRTSCHAFT IN DEN BEITRITTS- STAATEN – AUF EINEM GUTEN WEG
Ähnlich wie dies bereits bei den Süder- Anteil der Landwirtschaft an der Gesamt- weiterungen der EG 1981 und 1986 der Fall beschäftigung ist in diesen beiden Ländern, war, so sind auch in den meisten der jetzi- aber auch in Polen, Litauen und Lettland gen Kandidatenstaaten die Unterschiede besonders groß. Die Gesamtzahl von insge- zur EU sehr groß. Was die Fläche, den samt knapp 9 Mio. Beschäftigten in der Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Pro- Landwirtschaft in den zehn MOEL ist hoch, duktion und insbesondere den Anteil an der verglichen mit den nur 6,8 Mio. in der EU. Gesamtbeschäftigung betrifft, hat die Land- Die an der Wertschöpfung pro Arbeitskraft wirtschaft in den meisten Kandidaten- gemessene Produktivität der Landwirt- staaten nach wie vor eine größere Bedeu- schaft erreicht jedoch nur knapp 10 % des tung als in der EU. EU-Niveaus.
Die folgenden Zahlen machen diese Unter- schiede deutlich: Bei einem Beitritt aller 12 Staaten, mit denen derzeit verhandelt wird, würde sich die landwirtschaftliche Nutz- fläche um rund 60 Mio. Hektar auf insge- samt fast 200 Mio. Hektar vergrößern. Der Anteil der in der Landwirtschaft tätigen Erwerbsbevölkerung würde sich sogar ver- doppeln. Sie beträgt derzeit in der EU rund 6,8 Mio. (4,3 %) und in den mittel- und ost- europäischen Ländern (MOEL) 9,5 Mio. (etwa 21 %). Der Anteil der Bruttowert- Ähnlich wie in schöpfung der Landwirtschaft am BIP den anderen macht in der EU derzeit nur rund 2 % aus, MOE-Ländern ist auch in Polen in den MOEL im Durchschnitt jedoch der Anteil der im 4,6 %. Malta und Zypern sind hier mit 2 Agrarbereich bzw. 3,5 % bereits sehr nahe am EU- Tätigen besonders Durchschnitt. hoch: Polnischer Bauer beim Düngen seines Diese pauschalen Zahlen müssen aber diffe- Kartoffelackers. renziert betrachtet werden, da die Land- wirtschaftsstruktur auch unter den Kandi- In den meisten MOEL scheint sich bei der datenstaaten sehr verschieden ist. Diese Agrarproduktion nach einem deutlichen Unterschiede werden in der Tabelle auf den Rückgang in den ersten Jahren der Über- Seiten 12/13 deutlich. gangsphase seit geraumer Zeit eine gewisse Stabilisierung abzuzeichnen. Lediglich in In einigen Beitrittsstaaten ist die Anzahl der Rumänien und Slowenien liegt die Produk- in der Landwirtschaft Beschäftigten in den tion über oder auf dem Niveau vor dem letzten Jahren absolut und relativ gesehen Übergang zur Marktwirtschaft. In den mei- gestiegen, und zwar vor allem in jenen sten anderen Ländern führten Preis- und Ländern, in denen die Landwirtschaft als Handelsliberalisierung, Privatisierung, Ab- Puffer für eine generelle Verschlechterung schaffung von Verbrauchsbeihilfen und der der Wirtschaftslage wirkte, wie zum Bei- Verlust traditioneller Märkte zu einem stei- spiel in Rumänien oder Bulgarien. Der genden Druck auf die Landwirtschaft. Die
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Die Landwirtschaft in den EU-Mitgliedstaaten und in
Landwirtschaftlich genutzte Fläche Landwirtschaftlic Produktion in 1000 ha in % der Gesamtfläche Bruttowertschöpfung in Mio. Euro Bulgarien 5 582 50,3 2 054 Estland 891,3 (c) 21,8 (c) 254 Lettland 2 450 39,3 306 Litauen 3 489 53,4 836 Malta 12 38,1 78 Polen 18 220 58,3 4 965 (b) Rumänien 14 811 62,1 4 564 Slowakei 2 444 49,8 560 Slowenien 491 24,2 847 Tschechische Republik 4 282 54,3 1 846 Türkei 41 488 53,5 24 265 (b) Ungarn 5 854 62,9 1 913 (b) Zypern 134 14,5 329 (b) MOEL-10 58 662 54,4 18 145* Kandidatenländer 13 100 296 53,8 42 816* EU-15 130 443 40,6 146 426 Belgien 1 396 45,7 2 674 Dänemark 2 666 61,9 3 534 Deutschland 17 067 47,8 18 979 Finnland 2 211 6,5 1 188 Frankreich 29 865 54,4 31 720 Griechenland 3 901 38,7 8 216 Irland 4 418 (b) 62,8 2 702 Italien 15 401 (b) 51,1 28 341 Luxemburg 135 49,2 131 Niederlande 1 976 47,0 8 762 Österreich 3 399 40,5 2 432 Portugal 3 881 42,2 2 713 Schweden 2 980 6,6 1 675 Spanien 25 425 50,2 22 665 Vereinigtes Königreich GBR 15 722 64,4 10 695
(a) = 1998 (b) = 1999 (c) = 2001 * = geschätzt : = nicht vorhanden
12 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik 11/2002 den Kandidatenländern in Zahlen (Zahlen für 2000) he Beschäftigung in der Anzahl der durchschnittl. Landwirtschaft Betriebe Betriebsgröße in % in 1000 Beschäftigte in % der in 1000 Betrieben in ha des BIP Erwerbstätigen 13,8 795 (a) 26,7 760,700 4,7 5,8 (c) 32 7,1 (c) 85,300 20,1 4,7 (c) 118 15,1 (c) 124,9 18 7 (c) 262 16,5 (c) 477,808 7,05 2,4 (c) 3 1,9 0,984 1 3,4 (c) 2 698 19,2 (c) 1 880,9 7,2 14,6 (c) 4 861 44,4 (c) 3 946,63 2,67 4,6 (c) 119 6,3 (c) 6,724 306 3,1 (c) 81 9,9 (c) 90,675 5,1 4,2 (c) 208 4,6 (c) 34,748 123,2 12,1 (c) 9 149* 35,4 (c) : : 4,3 227 6,1 (c) 966,916 6,7 3,9 (c) 14 4,9 (c) 52,089 3,6 4,6* 8 933* 20,7* : : 6,9* 18 082* 27,8* : : 1,7 6 770 4,3 6,988 18,1 1,1 79 1,9 67 20,1 2,0 99 3,7 63 42,6 0,9 958 2,6 534 32,1 0,9 147 6,2 91 23,7 2,3 971 4,2 680 41,7 6,8 671 17,0 821 4,3 2,6 131 7,9 148 29,4 2,4 1 095 5,2 2 315 6,4 0,6 4 2,4 3 42,5 2,2 242 3,3 108 18,6 1,2 223 6,1 210 16,3 2,4 614 12,5 417 9,2 0,7 120 2,9 90 34,7 3,7 992 6,9 1 208 21,2 0,7 424 1,5 233 69,3
Quelle: Europäische Kommission / Eurostat
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tionskosten und Erlösen, was eine höhere Produktion zur Folge hat.
Ein weiterer interessanter Punkt ist die Entwicklung der Struktur der landwirt- schaftlichen Betriebe in den MOEL. Beim Übergang zur Marktwirtschaft bestand das vorrangige Ziel in der Privatisierung bzw. der privaten Bewirtschaftung der landwirt- schaftlichen Betriebe. Dieser Prozess verlief jedoch in den einzelnen Staaten sehr unter- schiedlich und bewirkte damit auch eine unterschiedlich starke Aufsplitterung der Eigentumsrechte und Betriebe. Der für ehe- mals kommunistische Staaten typische Im „Tal der Rosen“ enorme Unterschied zwischen sehr großen bei Kazanlak (Bul- Kollektiv- und Staatsbetrieben einerseits garien) wird der und sehr kleinen Privat- oder Einzel- Rohstoff für betrieben andererseits, verliert dagegen Rosenöl geerntet immer mehr an Bedeutung. Die Durch- (oben). Frühjahrs- putz in den schnittsgröße der ehemals staatlich geführ- Hopfenfeldern ten Betriebe ist erheblich zurückgegangen, im tschechischen während die Privatbetriebe stetig größer Velka Bystrice werden. In Polen und Slowenien, wo es (Mitte). Pferde- bereits vor dem Übergang zur Marktwirt- zucht in der ungarischen schaft einen großen Anteil privater Betriebe Hortobagy-Puszta gab, waren die Strukturanpassungen nicht (unten). Die Land- so bedeutend. In Polen stellen daher die wirtschaft hat in geringe Betriebsgröße und die Aufsplitte- den meisten rung der privaten Betriebe nach wie vor ein Beitrittsländern eine größere strukturelles Problem dar. Bedeutung als in der EU. Die im Rahmen des Umbaus des Agrarsek- tors entstandenen privaten Genossenschaf- Produktionskosten stiegen, da sich zum ten oder Erzeugervereinigungen werden Beispiel die Preise für Energie und Dünge- aber wohl auch in Zukunft eine große Be- mittel den Weltmarktpreisen annäherten, deutung in der landwirtschaftlichen Pro- während die Erlöse für Agrarerzeugnisse duktion haben. Die Kleinbetriebe werden eher stagnierten oder auf Grund der zurück- hingegen auch weiterhin ihren Schwer- gehenden Nachfrage weit weniger anstie- punkt auf die Erzeugung für den Eigen- gen. Die Viehhaltung war hiervon am bedarf und den lokalen Markt legen. Die schwersten betroffen, und so hält in vielen Geschwindigkeit der weiteren Struktur- MOEL der Abbau der Bestände an oder ist reform wird jedoch auch von der endgülti- erst vor kurzem zum Stillstand gekommen. gen Klärung von Eigentumsfragen und der Im Pflanzenbau stabilisierte sich in den Beseitigung existierender Beschränkungen letzten Jahren das Verhältnis von Produk- beim Landerwerb abhängen.
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3. DER ERWEITERUNGSPROZESS – VON DER KOOPERATION ZUM BEITRITT IN DIE EUROPÄISCHE UNION
Die Aufnahme eines Bewerberlandes in die Als Vorstufen der Erweiterung, die bereits bestehende Union muss, insbesondere auf zu Beginn der neunziger Jahre eingeleitet rechtlicher und politischer Ebene, gut vor- wurde, gelten die so genannten Europa- bereitet sein. Um dies zu gewährleisten, Abkommen. Hierbei handelt es sich um As- geht dem eigentlichen Beitritt ein viel- soziierungsabkommen, die zwischen der EU schichtiger und komplizierter Prozess vor- und einzelnen Ländern geschlossen werden. aus. Hierzu ein kurzer Überblick: Sie umfassen u.a. handelspolitische Fragen und Maßnahmen des politischen Dialogs und dienen dem Ziel, langfristig eine Beitrittskriterien und Prüfungsverfahren Freihandelszone zu schaffen. Zwischen 1992 und 1996 wurden mit allen Kandida- Voraussetzung für die Aufnahme in die tenländern Europa-Abkommen unterzeich- Europäische Union ist die Erfüllung von net, die daraufhin ihre Anträge zum Beitritt bestimmten wirtschaftlichen und politi- in die Union stellen konnten. Nach einer schen Kriterien durch die Bewerberländer. Stellungnahme durch die Kommission be- Diese Mitgliedschaftskriterien wurden 1993 schloss der Europäische Rat auf dem Gipfel auf dem Kopenhagener Gipfel definiert und in Luxemburg 1997, die Verhandlungen mit werden häufig als "Kopenhagener Kriterien" der ersten Gruppe von Staaten 1998 zu bezeichnet (siehe Kasten). Sie dienen als eröffnen1. Im Jahr 2000 begannen die Ver- Bewertungsgrundlage für die Beitrittsreife handlungen mit der sogenannten Helsinki- der Bewerberländer und müssen – abgese- Gruppe2. hen von der Gewährung von Übergangsfri- sten wie z.B. im Bereich der Arbeitnehmer- freizügigkeit – ausnahmslos erfüllt werden. Beitrittsverfahren Regelmäßige Stellungnahmen sowie ein jährlich aktualisierter Fortschrittsbericht Obwohl der Rat der Europäischen Union der Kommission dienen hierbei als Beurtei- offiziell im Namen der Mitgliedstaaten die lungsinstrumente. Verhandlungen führt, stellt die Europäische Kommission den zentralen Akteur im DIE KOPENHAGENER KRITERIEN Verhandlungsprozess mit den Kandidaten- ländern dar: sie schlägt die gemeinsame 1. Politisches Kriterium: Gewährleistung von Verhandlungspositionen vor und steht auf stabilen Institutionen, die Demokratie Arbeitsebene in direktem Kontakt mit den und Rechtsstaatlichkeit garantieren und Bewerberländern. über die Einhaltung der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes wachen. Bevor es zur Aufnahme von konkreten Ver- 2. Wirtschaftliches Kriterium: Existenz einer handlungen kommt, werden die Bewerber- funktionsfähigen, stabilen Marktwirtschaft. länder Stück für Stück in das geltende 3. Gemeinschaftskriterium: Zustimmung zur Gemeinschaftsrecht, den "Acquis Commu- Übernahme der Pflichten der Union; nautaire", eingeführt. Zur Erleichterung Identifikation mit den Zielen der politi- 1 So genannte Luxemburg-Gruppe: Estland, Polen, Slowenien, schen- wie auch der Wirtschafts- und Tschechien, Ungarn, Zypern. Währungsunion. 2 Helsinki-Gruppe: Bulgarien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien, Slowakei.
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wurde dieser in 31 Kapitel (siehe unten) bleiben i.d.R. Ministern und Regierungs- unterteilt, in welche die Anwärterstaaten chefs vorbehalten. rund ein Jahr lang mittels eines analyti- schen Verfahrens, dem "Acquis Screening", Die formale Aufnahme eines Bewerber- eingeführt werden. landes kann erst dann erfolgen, wenn aus- nahmslos alle Kapitel des "gemeinschaftli- Der "Screeningprozess" ist als Hilfestellung chen Besitzstandes" abgeglichen und die für die Beitrittsländer gedacht, mit den darin enthaltenen Rechtsvorschriften über- Regeln und Rechtsnormen der Union ver- nommen worden sind. Allerdings werden traut zu werden. Zugleich wird geprüft, in den Ländern hierbei zeitlich befristete welchen Bereichen das betreffende Land Übergangsregelungen eingeräumt, die sie in noch Defizite aufweist und spezifischer Positionspapieren beantragen können. Im Unterstützung zur vollständigen Übernah- Auftrag der EU entwirft die Kommission me des Acquis bedarf. dann eine gemeinsame Antwort. Falls es zu keiner Einigung kommt, wird dem Be- werber ein Alternativvorschlag unterbreitet. Beitrittsverhandlungen Natürlich besitzt auch die EU das Recht Übergangsbestimmungen festzulegen. Er- Die eigentlichen Verhandlungen finden im zielte Einigungen werden am Ende des Rahmen von bilateralen Beitrittskonfe- Verhandlungsprozesses innerhalb eines renzen zwischen Vertretern der Bewerber- Gesamtpakets verabschiedet. Nach Art. 49 länder und Arbeitsgruppen des Rats statt. (2) EU-Vertrag (EUV) wird hierzu ein Politisch sensible Themen, wie Arbeitneh- Abkommen zwischen den Mitgliedsstaaten merfreizügigkeit oder Bereiche der GAP, und dem antragstellenden Land geschlos-
DIE KAPITEL DES ACQUIS COMMUNAUTAIRE
KAPITEL 1: Freier Warenverkehr KAPITEL 18: Aus- und Weiterbildung KAPITEL 2: Personenfreizügigkeit KAPITEL 19: Telekommunikation und KAPITEL 3: Freier Dienstleistungsverkehr Informationstechnologien KAPITEL 4: Freier Kapitalverkehr KAPITEL 20: Kultur und audiovisuelle Medien KAPITEL 5: Firmenrecht KAPITEL 21: Regionalpolitik u. Koordinierung KAPITEL 6: Wettbewerbspolitik KAPITEL 22: Umwelt KAPITEL 7: Landwirtschaft KAPITEL 23: Verbraucherpolitik und KAPITEL 8: Fischerei Gesundheitsschutz KAPITEL 9: Verkehrspolitik KAPITEL 24: Zusammenarbeit im Bereich KAPITEL 10: Freier Warenverkehr Inneres und Justiz KAPITEL 11: Wirtschafts- u. Währungsunion KAPITEL 25: Zollunion KAPITEL 12: Statistik KAPITEL 26: Außenbeziehungen KAPITEL 13: Sozialpolitik u. Beschäftigung KAPITEL 27: GASP KAPITEL 14: Energie KAPITEL 28: Finanzkontrolle KAPITEL 15: Wissenschaftliche Forschung KAPITEL 29: Finanz- u. Haushaltsbestimmungen KAPITEL 16: Kleine u. mittlere Unternehmen KAPITEL 30: Institutionen KAPITEL 17: Wissenschaft u. Forschung KAPITEL 31: Sonstiges
16 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik 11/2002
sen, in dem die konkreten Beitritts- Parlaments in regelmäßigen Abständen bedingungen hinsichtlich der Übergangs- über den aktuellen Verhandlungsstand und modalitäten zwischen den Vertragspartnern die Empfehlungen der Kommission. festgeschrieben werden.
Beitrittsabschluss und die Rolle des Eu- ropäischen Parlaments
Nach Abschluss der Verhandlungen kann der formale Aufnahmeprozess gemäß Art. 49 (1) EUV eingeleitet werden. In einem ersten Schritt wird die Kommission zu ihrer Meinung zum Beitritt des jeweiligen Landes befragt. Ihre Stellungnahme ist jedoch nicht bindend, so dass der Rat gegen einen even- tuellen Einwand entscheiden kann – wie dies beispielsweise bei der Aufnahme Grie- chenlands geschehen ist. Bindend ist jedoch das Votum des Europäischen Parlaments (EP), das der Aufnahme jedes Beitritts- kandidaten mit absoluter Mehrheit seiner Mitglieder zustimmen muss. Als letztes Organ muss der Rat selbst über den ausge- handelten Beitrittsvertrag in Einstimmig- keit entscheiden. Sobald Rat und Europäi- sches Parlament dem Vertragswerk zuge- stimmt haben, erfolgt die Unterzeichnung durch die Staats- und Regierungschefs. Danach beginnt der Ratifikationsprozess in allen Mitgliedstaaten. Erst wenn diese dann den Beitrittsvertrag ratifiziert haben, ist das Verfahren abgeschlossen und der betreffen- de Staat völkerrechtlich als Vertragspartei anerkannt.
Das EP besitzt zwar nur begrenzte Einfluss- möglichkeiten auf die Beitrittsverhandlun- gen und die Ausgestaltung des Vertrags, ver- folgt den Beitrittsprozess jedoch mit großer Aufmerksamkeit. Vertreter der Kommis- sion, wie z.B. der für Erweiterung zuständi- ge Kommissar Günter Verheugen oder auch Das Europäische Parlament (hier das Louise-Weiss-Gebäude in Straßburg) muss der Aufnahme jedes Beitrittskandidaten mit absoluter Mehrheit zustimmen. Bei Franz Fischler, Kommissar für Landwirt- der nächsten Erweiterung der EU (2004) sollen 147 Parlamentarier aus Estland, schaft und die Entwicklung des ländlichen Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakischen Republik, Slowenien, der Raums, informieren die Mitglieder des Tschechischen Republik, Ungarn und Zypern hier einziehen.
17 11/2002 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik
Außerdem wurden in informellen Verhand- Die parlamentarischen Beziehungen werden lungen zwischen dem EP, der Ratspräsi- in der Schlussphase des Beitrittsprozesses dentschaft und der Kommission verschiede- eine neue Qualität erreichen. Parlaments- ne Probleme der Heranführungsstrategie, mitglieder der Kandidatenländer sind einge- der GAP, der Strukturfonds und des zukünf- laden worden, im Rahmen der EP-Plenarta- tigen Finanzrahmens erörtert. Bereits seit gung Ende November an einer Debatte über den 80er Jahren gibt es im Rahmen der die Erweiterung teilzunehmen. Ab April 2003 interparlamentarischen Delegationen regel- werden dann Beobachter aus den nationa- mäßige Kontakte zwischen dem Euro- len Parlamenten der Kandidatenstaaten an päischen Parlament und den Parlamenten den Plenartagungen und anderen Tätigkei- der jetzigen Bewerberländer. Seit dem ten des EP teilnehmen. Darüber hinaus wer- Inkrafttreten der Europa-Abkommen kom- den in unregelmäßigen Abständen Vertreter men Mitglieder des Europäischen Parla- der MOE-Länder nach Brüssel eingeladen. ments in sogenannten "Gemischten Parla- mentarischen Ausschüssen" zweimal im Der Ausschuss für Landwirtschaft und länd- Jahr mit ihren Kollegen aus den Beitritts- liche Entwicklung des Europäischen Parla- staaten zusammen, um die parlamentari- ments veranstaltete zuletzt im Februar 2002 sche Überwachung aller bilateralen Bezie- eine Konferenz zum Bereich der Landwirt- hungen sicherzustellen und die Fortschritte schaft. Eingeladen waren die Agrarminister bei den Beitrittsvorbereitungen und -ver- der Beitrittsstaaten. Die Veranstaltung hatte handlungen genauer zu untersuchen. Als zum Ziel, in direkten Austausch mit den Ergebnis jeder Sitzung werden gemeinsame zuständigen Verantwortlichen zu treten, um Erklärungen und Empfehlungen angenom- gemeinsam über Probleme der anstehenden men, welche die erzielten Fortschritte und Erweiterung und ihrer konkreten Umset- die Verpflichtungen im Hinblick auf die zung im Bereich der Gemeinsamen Agrar- künftige Arbeit herausstellen. politik zu diskutieren.
Günter Verheugen (SPE), zuständiger EU-Kommissar für die Fragen der Erweiterung der Union, informiert das Europäische Parlament regel- mäßig über den aktuellen Stand der Verhandlungen.
18 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik 11/2002
4. SAPARD UND CO – DIE VORBEITRITTSHILFEN
Bereits 1989 hat die Europäische Gemein- Ausbau der Europa-Abkommen; schaft ein Programm PHARE (siehe Seite 26) zur finanziellen Unterstützung der mit- Anpassung der finanziellen Unterstüt- tel- und osteuropäischen Länder aufgelegt, zung durch PHARE; um ihnen die wirtschaftliche und politische Umstellung zu erleichtern. 1991 wurden die Vorbereitung auf die Integration in den ersten Assoziierungsabkommen (die so ge- Binnenmarkt. nannten Europa-Abkom- men) zwischen der Gemein- schaft und den mittel- und osteuropäischen Ländern unterzeichnet.
Inzwischen ist der freie Warenverkehr im Europa der 26 Realität, auch wenn der Handel mit landwirt- schaftlichen Erzeugnissen sowie Eisen- und Stahler- zeugnissen nach wie vor gewissen Einschränkungen unterliegt.
Gestützt auf die Europa-Ab- kommen hat die Kommis- sion einen "strukturierten Dialog", d. h. regelmäßige Konsultationen zwischen den assoziierten Staaten und den EU-Organen vor- geschlagen. Im Dezember 1994 hat der Europäische Rat von Essen eine Heran- führungsstrategie mit fol- genden Schwerpunkten an- genommen: