THEMA EUROPA

EU-Erweiterung und Agrarpolitik Probleme bewältigen – Chancen nutzen Von Willi Görlach MdEP, Heinz Kindermann MdEP, Wolfgang Kreissl-Dörfler MdEP 11/2002 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik i NFO

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Willi Görlach Europabüro Europäisches Parlament Fischerfeldstraße 7-11 Rue Wiertz, ASP 12 G 209 D-60311 Frankfurt/Main B-1047 Brüssel Tel.: 069-299 88 85 10 Tel.: 0032-2-28 47 174 Fax: 069-299 88 85 11 Fax: 0032-2-28 49 174 [email protected] [email protected] www.willigoerlach.de

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2 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik 11/2002

INHALT

VORWORT EU-ERWEITERUNG UND AGRARPOLITIK – ZENTRALE AUFGABEN FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT 5

1. EIN KONTINENT WÄCHST ZUSAMMEN – VON DER GEMEINSCHAFT FÜR KOHLE UND STAHL ZUR ERWEITERTEN UNION 7

2. DIE LANDWIRTSCHAFT IN DEN BEITRITTSSTAATEN – AUF EINEM GUTEN WEG 11

3. DER ERWEITERUNGSPROZESS – VON DER KOOPERATION ZUM BEITRITT IN DIE EUROPÄISCHE UNION 15 Beitrittshilfen und Prüfungsverfahren 15 Beitrittsverfahren 15 Beitrittsverhandlungen 16 Beitrittsabschluss und die Rolle des Europäischen Parlaments 17

4. SAPARD UND CO – DIE VORBEITRITTSHILFEN 19 4.1 Das SAPARD-Programm 21 4.2 Das PHARE-Programm 26

5. STAND DER VERHANDLUNGEN – ZIELE SCHRITT FÜR SCHRITT ERREICHEN 28

6. LEBENSMITTELSICHERHEIT – VERBRAUCHERVERTRAUEN ERHALTEN 33

7. DER LÄNDLICHE RAUM – DIE STRUKTUREN BEWAHREN 37 Die Entwicklung der Landwirtschaft: Eine große Herausforderung für den ländlichen Raum 41 Die Zukunft des Agrarsektors 42 Strukturmaßnahmen zur Förderung des ländlichen Raums 42 SAPARD und der ländliche Raum 45

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8. AUSBLICK: PROBLEME BEWÄLTIGEN – CHANCEN NUTZEN 46

9. DIE LANDWIRTSCHAFT IN EINEM ERWEITERTEN EUROPA – 10 POSITIONEN 48

ANHANG 49 Abkürzungen 49 Weiterführende Informationen 50

ERGÄNZUNG AUS AKTUELLEM ANLASS 49 Zu den Beschlüssen von Kopenhagen wurde eine zweiseitige Erläuterung nachgeliefert; sie finden diese auf Seite 48a und 48b.

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EU-ERWEITERUNG UND AGRARPOLITIK – DIE ZENTRALEN AUFGABEN FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT

„Die fünfte Erweite- rungsrunde wird das Erscheinungsbild der Europäischen Union grundlegend verän- dern“

von links: Heinz Kindermann, MdEP Willi Görlach, MdEP Wolfgang Kreissl-Dörfler, MdEP

Liebe Leserinnen und Leser, die Europäische Union steht zu Beginn des heit in Europa zu stärken und die noch jun- 21. Jahrhunderts vor der größten und poli- gen Demokratien im Osten Europas dauer- tisch bedeutendsten Herausforderung seit haft zu verankern. Durch die Integration ihrem Bestehen: Der Erweiterung um bis der Kandidatenländer in unser Europa der zu 13 Staaten. Am 12./13. Dezember 2002 Wirtschafts- und Wertegemeinschaft haben sollen auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen wir die einmalige Chance, gemeinsam die Nägel mit Köpfen gemacht und die Bedin- Rolle und das Ansehen der Union in der gungen des Beitritts mit den am weitesten Welt zu stärken und die Grundlagen für fortgeschrittenen Staaten endgültig festge- mehr Sicherheit und Stabilität – als Garan- legt werden, damit diese 2004 der EU bei- ten für wirtschaftlichen Wohlstand und treten können. soziale Gerechtigkeit – zu schaffen.

Diese fünfte Erweiterungsrunde wird das Natürlich sind mit der Erweiterung auch Erscheinungsbild der Europäischen Union viele Probleme institutioneller, logistischer grundlegend verändern. Wegen ihres Um- und finanzieller Natur verbunden. Die wirt- fangs und den noch bestehenden Entwick- schaftlichen und politischen Realitäten der lungsunterschieden zwischen Beitritts- und beitrittswilligen Länder sind sehr unter- Mitgliedsländern ist sie nur bedingt mit den schiedlich. Dies stellt die Europäische zurückliegenden Erweiterungsrunden ver- Union vor noch nie dagewesene politische gleichbar. Herausforderungen.

Wir Sozialdemokraten begreifen diese Er- Dies gilt insbesondere für die Regional- und weiterung als Aufgabe, die soziale Sicher- Agrarpolitik. Beide Bereiche bilden auf

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Grund ihrer politischen und wirtschaftli- forderungen und Reformvorhaben gerecht chen Bedeutung in den 13 beitrittswilligen werden kann. Ländern wie auch in den EU-Mitglied- staaten ein Schlüsselelement im Beitritts- Unser Anliegen ist es, Ihnen, liebe Bürge- verfahren. Bereits jetzt unternimmt die rinnen und Bürger, mit dieser Broschüre die Europäische Union große Anstrengungen in aktuelle Diskussion über die Erweiterung, den Kandidatenstaaten, um ihnen bei der im Besonderen die zentralen Fragen der Übernahme des gemeinschaftlichen Be- Landwirtschaft, näher zu bringen. Im Rah- sitzstandes unter die Arme zu greifen. men der hierin verfassten Beiträge sollen Sie die Möglichkeit erhalten, detaillierte Wir treten dafür ein, dass vor allem im land- Informationen über Ziele und Konsequen- wirtschaftlichen Sektor politisch und wirt- zen der Erweiterung zu gewinnen und sich schaftlich ausgeglichene Lösungswege be- mit der von uns vertretenen Politik vertraut schritten werden. Durch eine flexible und zu machen. handlungsfähige Politik wollen wir dazu beitragen, dass die GAP auch nach der Er- weiterung den bevorstehenden großen An- Herzlichst,

Willi Görlach

Heinz Kindermann

Wolfgang Kreissl-Dörfler

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1. EIN KONTINENT WÄCHST ZUSAMMEN – VON DER GEMEINSCHAFT FÜR KOHLE UND STAHL ZUR ERWEITERTEN UNION

Mit der Europäischen Gemein- tom) zu den "Europäischen Ge- schaft für Kohle und Stahl (EGKS) meinschaften" ergänzt. Innerhalb – oft auch "Montanunion" genannt der EWG wurde der Landwirt- – begann 1952 die Erfolgsgeschichte schaft auf Grund der Nahrungs- des europäischen Einigungspro- mittelknappheit während des Zwei- zesses. Sechs Staaten (Frankreich, ten Weltkriegs und in der Nach- Belgien, Niederlande, Luxemburg, kriegszeit besondere Bedeutung Italien und Deutschland) vereinbar- beigemessen: Der Gründungsver- ten, ihre Kohle- und Stahlindustrie trag sah die Schaffung einer Ge- gemeinsamen Regeln zu unter- meinsamen Agrarpolitik (GAP) vor, werfen, die im Rahmen gemein- die erste und für lange Zeit auch schaftlicher Beratungen beschlos- einzige gemeinsame Politik der sen werden sollten. Dies war bisher EWG. Man definierte gemeinsame einzigartig in der Geschichte Eu- Ziele für die Agrarpolitik und ent- ropas: Nach Jahren des Krieges und wickelte Instrumente, um diese der Zerstörung sollten die Staaten Ziele zu erreichen. Europas, so der EG-Vertrag, "durch die Errichtung einer wirtschaftli- Dieses Modell der Zusammen- chen Gemeinschaft den ersten arbeit war so erfolgreich, dass sich Grundstein für eine weitere und Frankreichs Außenmi- schon bald weitere europäische nister Robert Schumann vertiefte Gemeinschaft unter Völ- und Bundeskanzler Kon- Staaten daran beteiligen wollten: kern legen, die lange Zeit durch rad Adenauer sahen in Großbritannien, Irland und Däne- blutige Auseinandersetzungen ent- der Montanunion den mark stellten 1961 ihre Anträge auf zweit waren". „Kristallisationspunkt Mitgliedschaft. Für Dänemark für Europa“. stellte die Gemeinsame Agrarpo- 1957 wurde die Montanunion durch die litik einen der Hauptgründe für den Bei- Römischen Verträge um die Europäische trittsantrag dar, da die Situation in der däni- Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die schen Landwirtschaft immer schlechter Europäische Atom-Gemeinschaft (Eura- wurde und man sich von der GAP

Mit der Montanunion bekommt das Europa der sechs ein gemein- sames Dach. Aber es bleibt noch viel zu tun (links). 1957 schaffen die Römischen Verträ- ge die Europäische Wirschaftsgemein- schaft. Die Gemeinsa- me Agrarpolitik (GAP) ist für lange Zeit die wichtigste und schwie- rigste Aufgabe des neuen Bündnisses. Zeichnungen: H. E. Köhler

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Besserung er- hoffte. Frankreich sprach sich je- doch unter Prä- sident De Gaulle gegen den Bei- tritt von Großbri- tannien aus, da es der Auffassung „Herzlich willkommen im einigen Europa“ Zeichnung: Walter Hanel war, ein Land mit engen Verbindun- Mit der Unterzeichnung des Vertrages über gen zu den USA die Assoziierung Griechenlands im Juli könne kein Mit- 1961 zeichnete sich bereits die Erweiterung glied der EG wer- der EG nach Süden ab. Dieser Vertrag legte Die Brücke am Quai den. Die Verhan- eine Wirtschafts- und Zollunion der EG mit (d´Orsay): Das Ziel ist dlungen wurden daher 1963 abgebrochen. Griechenland fest, wurde aber zwischen klar – der dritte Später, in Verbindung mit besonderen 1967-1974 wegen der dortigen Militärdik- Wagen hinter der Lok. Zeichnung: Jupp Wolter Zugeständnissen an Frankreich, vor allem tatur von Seiten der Gemeinschaft faktisch im Bereich der Agrarpolitik, stimmte es ausgesetzt. Nach der Wiederherstellung der jedoch der Erweiterung um Großbritannien Demokratie stellte Griechenland 1975 den und damit auch der übrigen Staaten zu. Auf Beitrittsantrag. Schwierigkeiten ergaben Grund ähnlicher Agrarstrukturen warf der sich bei den Verhandlungen vor allem auch Bereich Landwirtschaft im Rahmen der im Agrarbereich. Die Probleme waren dabei Verhandlungen allerdings keine besonderen ähnlicher Natur wie bei Spanien und Por- Probleme auf. Die Landwirtschaft in Groß- tugal, die bereits im März bzw. Juni 1977 britannien zeichnete sich sogar im Ver- den Antrag auf Beitritt gestellt hatten und gleich zu den EG-Mitgliedstaaten bereits sich durch ihre Mitgliedschaft in der durch eine sehr wettbewerbsfähige Struktur Gemeinschaft die Sicherung der gerade erst aus. Die erste Erweiterung um diese drei wiederhergestellten Demokratie erhofften. Zeichnung: Staaten konnte somit 1973 erfolgen. Die EG-Mitgliedstaaten hielten die Inte- Horst Haitzinger gration der beiden Staaten zwar für poli- tisch notwendig, befürchteten jedoch, dass durch deren Beitritt die Arbeitslosigkeit in den eigenen Ländern durch eine Welle von Gastarbeitern aus den Beitrittsstaaten stei- gen könnte.

Außerdem wurde vor allem in der Land- wirtschaft eine verstärkte Konkurrenz und eine zunehmende Überproduktion befürch- tet, da alle drei Staaten sehr stark von der Landwirtschaft geprägt waren und ihre Produktion auf Wein, Südfrüchte, Olivenöl, Weizen und Schafzucht ausgerichtet war. Vor allem Frankreich und Italien, die eine ähnliche Produktion hatten, befürchteten

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negative Auswirkungen auf ihren eigenen einem Beitritt zum 1. Januar 1995 nichts Sektor. Denn bereits vor der Süderwei- mehr im Wege stand. terung (1981) produzierten die Staaten der EG etwa 120 % ihres Verbrauchs an Wein, Südfrüchten und Getreide. Diese Überpro- duktion musste aus Steuergeldern aufge- kauft und gelagert werden. Andere Mit- gliedstaaten fürchteten daher vor allem die steigenden Kosten des Agrarhaushalts.

Obwohl zahlreiche praktische Probleme nicht gelöst waren, wurde dem griechischen Beitrittsantrag aus politischen Gründen stattgegeben. Nachdem am 28. Mai 1979 der Beitrittsvertrag unterzeichnet worden war, wurde Griechenland am 1. Januar 1981 EG-Mitgliedstaat. Spanien und Portugal dagegen mussten sich länger gedulden. Erst der Gipfel in Fontainebleau (im Juni 1984) Auf nach Europa! Die Schweden kommen! kann als Durchbruch für die Erweiterung um Spanien und Portugal angesehen wer- Nach der Überwindung der Teilung Europas den, bei dem die durch eine dramatische bietet die Erweiterung der Europäischen Überproduktion hervorgerufene Krise der Union nach Osten heute die einmalige europäischen Agrarpolitik durch eine Be- Chance, auch jene Staaten am Erfolg der schränkung der Garantiemengen vor allem Europäischen Einigung zu beteiligen, die für Milch und Getreide abgemildert wurde. bisher keinen Anteil daran haben konnten. Nach langen Verhandlungen konnten Spa- Die Verhandlungen mit Zypern, der Tsche- nien und Portugal somit am 1. Januar 1986 chischen Republik, Estland, Ungarn, Lett- der EG beitreten. land, Litauen, Malta, Polen, der Slowaki- Zeichnungen: schen Republik und Slowenien sind nun in Klaus Pielert (o.), Die Einbeziehung Österreichs, Finnlands die entscheidende Phase getreten und wer- Gerhard Mester (u.) und Schwedens in die Gemeinsame Agrar- politik stellte weder die EG, noch die bei- trittswilligen Staaten vor größere Probleme, da es sich um Staaten mit einem Lebens- standard handelte, der mit dem in den wohlhabendsten Mitgliedstaaten vergleich- bar war. Alle drei Länder sind geprägt von Berglandschaften und einem schwierigen Klima, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft sehr stark einschränkt. Anpassungen waren daher vor allem im Bereich der (Agrar-) Strukturpolitik not- wendig. Diese konnten aber ohne wesentli- che Mehraufwendungen für den EG- Haushalt durchgeführt werden, so dass

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den voraussichtlich bis Ende des Jahres Trotz schwieriger Beitrittsverhandlungen 2002 abgeschlossen sein, damit diese 2004 im Bereich der Landwirtschaft sollte das Mitglied der EU werden können. Der Bei- übergeordnete Ziel der bevorstehenden tritt Bulgariens und Rumäniens wird für Erweiterung, nämlich die Vollendung der das Jahr 2007 angestrebt. Mit der Türkei Vereinigung Europas, nicht aus den Augen wird bisher nicht verhandelt, da sie wesent- verloren werden. Die vorhergehenden Er- liche Bedingungen für die Aufnahme von weiterungsrunden haben außerdem gezeigt, Verhandlungen noch nicht erfüllt. Aus die- dass, auch wenn die Integration der Land- sem Grund wird im Rahmen dieser Bro- wirtschaften mancher Beitrittsländer große schüre auf die Türkei nicht näher eingegan- Probleme bereitet hat, diese mit vereinten gen. Kräften stets gemeistert werden konnten.

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2. DIE LANDWIRTSCHAFT IN DEN BEITRITTS- STAATEN – AUF EINEM GUTEN WEG

Ähnlich wie dies bereits bei den Süder- Anteil der Landwirtschaft an der Gesamt- weiterungen der EG 1981 und 1986 der Fall beschäftigung ist in diesen beiden Ländern, war, so sind auch in den meisten der jetzi- aber auch in Polen, Litauen und Lettland gen Kandidatenstaaten die Unterschiede besonders groß. Die Gesamtzahl von insge- zur EU sehr groß. Was die Fläche, den samt knapp 9 Mio. Beschäftigten in der Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Pro- Landwirtschaft in den zehn MOEL ist hoch, duktion und insbesondere den Anteil an der verglichen mit den nur 6,8 Mio. in der EU. Gesamtbeschäftigung betrifft, hat die Land- Die an der Wertschöpfung pro Arbeitskraft wirtschaft in den meisten Kandidaten- gemessene Produktivität der Landwirt- staaten nach wie vor eine größere Bedeu- schaft erreicht jedoch nur knapp 10 % des tung als in der EU. EU-Niveaus.

Die folgenden Zahlen machen diese Unter- schiede deutlich: Bei einem Beitritt aller 12 Staaten, mit denen derzeit verhandelt wird, würde sich die landwirtschaftliche Nutz- fläche um rund 60 Mio. Hektar auf insge- samt fast 200 Mio. Hektar vergrößern. Der Anteil der in der Landwirtschaft tätigen Erwerbsbevölkerung würde sich sogar ver- doppeln. Sie beträgt derzeit in der EU rund 6,8 Mio. (4,3 %) und in den mittel- und ost- europäischen Ländern (MOEL) 9,5 Mio. (etwa 21 %). Der Anteil der Bruttowert- Ähnlich wie in schöpfung der Landwirtschaft am BIP den anderen macht in der EU derzeit nur rund 2 % aus, MOE-Ländern ist auch in Polen in den MOEL im Durchschnitt jedoch der Anteil der im 4,6 %. Malta und Zypern sind hier mit 2 Agrarbereich bzw. 3,5 % bereits sehr nahe am EU- Tätigen besonders Durchschnitt. hoch: Polnischer Bauer beim Düngen seines Diese pauschalen Zahlen müssen aber diffe- Kartoffelackers. renziert betrachtet werden, da die Land- wirtschaftsstruktur auch unter den Kandi- In den meisten MOEL scheint sich bei der datenstaaten sehr verschieden ist. Diese Agrarproduktion nach einem deutlichen Unterschiede werden in der Tabelle auf den Rückgang in den ersten Jahren der Über- Seiten 12/13 deutlich. gangsphase seit geraumer Zeit eine gewisse Stabilisierung abzuzeichnen. Lediglich in In einigen Beitrittsstaaten ist die Anzahl der Rumänien und Slowenien liegt die Produk- in der Landwirtschaft Beschäftigten in den tion über oder auf dem Niveau vor dem letzten Jahren absolut und relativ gesehen Übergang zur Marktwirtschaft. In den mei- gestiegen, und zwar vor allem in jenen sten anderen Ländern führten Preis- und Ländern, in denen die Landwirtschaft als Handelsliberalisierung, Privatisierung, Ab- Puffer für eine generelle Verschlechterung schaffung von Verbrauchsbeihilfen und der der Wirtschaftslage wirkte, wie zum Bei- Verlust traditioneller Märkte zu einem stei- spiel in Rumänien oder Bulgarien. Der genden Druck auf die Landwirtschaft. Die

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Die Landwirtschaft in den EU-Mitgliedstaaten und in

Landwirtschaftlich genutzte Fläche Landwirtschaftlic Produktion in 1000 ha in % der Gesamtfläche Bruttowertschöpfung in Mio. Euro Bulgarien 5 582 50,3 2 054 Estland 891,3 (c) 21,8 (c) 254 Lettland 2 450 39,3 306 Litauen 3 489 53,4 836 Malta 12 38,1 78 Polen 18 220 58,3 4 965 (b) Rumänien 14 811 62,1 4 564 Slowakei 2 444 49,8 560 Slowenien 491 24,2 847 Tschechische Republik 4 282 54,3 1 846 Türkei 41 488 53,5 24 265 (b) Ungarn 5 854 62,9 1 913 (b) Zypern 134 14,5 329 (b) MOEL-10 58 662 54,4 18 145* Kandidatenländer 13 100 296 53,8 42 816* EU-15 130 443 40,6 146 426 Belgien 1 396 45,7 2 674 Dänemark 2 666 61,9 3 534 Deutschland 17 067 47,8 18 979 Finnland 2 211 6,5 1 188 Frankreich 29 865 54,4 31 720 Griechenland 3 901 38,7 8 216 Irland 4 418 (b) 62,8 2 702 Italien 15 401 (b) 51,1 28 341 Luxemburg 135 49,2 131 Niederlande 1 976 47,0 8 762 Österreich 3 399 40,5 2 432 Portugal 3 881 42,2 2 713 Schweden 2 980 6,6 1 675 Spanien 25 425 50,2 22 665 Vereinigtes Königreich GBR 15 722 64,4 10 695

(a) = 1998 (b) = 1999 (c) = 2001 * = geschätzt : = nicht vorhanden

12 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik 11/2002 den Kandidatenländern in Zahlen (Zahlen für 2000) he Beschäftigung in der Anzahl der durchschnittl. Landwirtschaft Betriebe Betriebsgröße in % in 1000 Beschäftigte in % der in 1000 Betrieben in ha des BIP Erwerbstätigen 13,8 795 (a) 26,7 760,700 4,7 5,8 (c) 32 7,1 (c) 85,300 20,1 4,7 (c) 118 15,1 (c) 124,9 18 7 (c) 262 16,5 (c) 477,808 7,05 2,4 (c) 3 1,9 0,984 1 3,4 (c) 2 698 19,2 (c) 1 880,9 7,2 14,6 (c) 4 861 44,4 (c) 3 946,63 2,67 4,6 (c) 119 6,3 (c) 6,724 306 3,1 (c) 81 9,9 (c) 90,675 5,1 4,2 (c) 208 4,6 (c) 34,748 123,2 12,1 (c) 9 149* 35,4 (c) : : 4,3 227 6,1 (c) 966,916 6,7 3,9 (c) 14 4,9 (c) 52,089 3,6 4,6* 8 933* 20,7* : : 6,9* 18 082* 27,8* : : 1,7 6 770 4,3 6,988 18,1 1,1 79 1,9 67 20,1 2,0 99 3,7 63 42,6 0,9 958 2,6 534 32,1 0,9 147 6,2 91 23,7 2,3 971 4,2 680 41,7 6,8 671 17,0 821 4,3 2,6 131 7,9 148 29,4 2,4 1 095 5,2 2 315 6,4 0,6 4 2,4 3 42,5 2,2 242 3,3 108 18,6 1,2 223 6,1 210 16,3 2,4 614 12,5 417 9,2 0,7 120 2,9 90 34,7 3,7 992 6,9 1 208 21,2 0,7 424 1,5 233 69,3

Quelle: Europäische Kommission / Eurostat

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tionskosten und Erlösen, was eine höhere Produktion zur Folge hat.

Ein weiterer interessanter Punkt ist die Entwicklung der Struktur der landwirt- schaftlichen Betriebe in den MOEL. Beim Übergang zur Marktwirtschaft bestand das vorrangige Ziel in der Privatisierung bzw. der privaten Bewirtschaftung der landwirt- schaftlichen Betriebe. Dieser Prozess verlief jedoch in den einzelnen Staaten sehr unter- schiedlich und bewirkte damit auch eine unterschiedlich starke Aufsplitterung der Eigentumsrechte und Betriebe. Der für ehe- mals kommunistische Staaten typische Im „Tal der Rosen“ enorme Unterschied zwischen sehr großen bei Kazanlak (Bul- Kollektiv- und Staatsbetrieben einerseits garien) wird der und sehr kleinen Privat- oder Einzel- Rohstoff für betrieben andererseits, verliert dagegen Rosenöl geerntet immer mehr an Bedeutung. Die Durch- (oben). Frühjahrs- putz in den schnittsgröße der ehemals staatlich geführ- Hopfenfeldern ten Betriebe ist erheblich zurückgegangen, im tschechischen während die Privatbetriebe stetig größer Velka Bystrice werden. In Polen und Slowenien, wo es (Mitte). Pferde- bereits vor dem Übergang zur Marktwirt- zucht in der ungarischen schaft einen großen Anteil privater Betriebe Hortobagy-Puszta gab, waren die Strukturanpassungen nicht (unten). Die Land- so bedeutend. In Polen stellen daher die wirtschaft hat in geringe Betriebsgröße und die Aufsplitte- den meisten rung der privaten Betriebe nach wie vor ein Beitrittsländern eine größere strukturelles Problem dar. Bedeutung als in der EU. Die im Rahmen des Umbaus des Agrarsek- tors entstandenen privaten Genossenschaf- Produktionskosten stiegen, da sich zum ten oder Erzeugervereinigungen werden Beispiel die Preise für Energie und Dünge- aber wohl auch in Zukunft eine große Be- mittel den Weltmarktpreisen annäherten, deutung in der landwirtschaftlichen Pro- während die Erlöse für Agrarerzeugnisse duktion haben. Die Kleinbetriebe werden eher stagnierten oder auf Grund der zurück- hingegen auch weiterhin ihren Schwer- gehenden Nachfrage weit weniger anstie- punkt auf die Erzeugung für den Eigen- gen. Die Viehhaltung war hiervon am bedarf und den lokalen Markt legen. Die schwersten betroffen, und so hält in vielen Geschwindigkeit der weiteren Struktur- MOEL der Abbau der Bestände an oder ist reform wird jedoch auch von der endgülti- erst vor kurzem zum Stillstand gekommen. gen Klärung von Eigentumsfragen und der Im Pflanzenbau stabilisierte sich in den Beseitigung existierender Beschränkungen letzten Jahren das Verhältnis von Produk- beim Landerwerb abhängen.

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3. DER ERWEITERUNGSPROZESS – VON DER KOOPERATION ZUM BEITRITT IN DIE EUROPÄISCHE UNION

Die Aufnahme eines Bewerberlandes in die Als Vorstufen der Erweiterung, die bereits bestehende Union muss, insbesondere auf zu Beginn der neunziger Jahre eingeleitet rechtlicher und politischer Ebene, gut vor- wurde, gelten die so genannten Europa- bereitet sein. Um dies zu gewährleisten, Abkommen. Hierbei handelt es sich um As- geht dem eigentlichen Beitritt ein viel- soziierungsabkommen, die zwischen der EU schichtiger und komplizierter Prozess vor- und einzelnen Ländern geschlossen werden. aus. Hierzu ein kurzer Überblick: Sie umfassen u.a. handelspolitische Fragen und Maßnahmen des politischen Dialogs und dienen dem Ziel, langfristig eine Beitrittskriterien und Prüfungsverfahren Freihandelszone zu schaffen. Zwischen 1992 und 1996 wurden mit allen Kandida- Voraussetzung für die Aufnahme in die tenländern Europa-Abkommen unterzeich- Europäische Union ist die Erfüllung von net, die daraufhin ihre Anträge zum Beitritt bestimmten wirtschaftlichen und politi- in die Union stellen konnten. Nach einer schen Kriterien durch die Bewerberländer. Stellungnahme durch die Kommission be- Diese Mitgliedschaftskriterien wurden 1993 schloss der Europäische Rat auf dem Gipfel auf dem Kopenhagener Gipfel definiert und in Luxemburg 1997, die Verhandlungen mit werden häufig als "Kopenhagener Kriterien" der ersten Gruppe von Staaten 1998 zu bezeichnet (siehe Kasten). Sie dienen als eröffnen1. Im Jahr 2000 begannen die Ver- Bewertungsgrundlage für die Beitrittsreife handlungen mit der sogenannten Helsinki- der Bewerberländer und müssen – abgese- Gruppe2. hen von der Gewährung von Übergangsfri- sten wie z.B. im Bereich der Arbeitnehmer- freizügigkeit – ausnahmslos erfüllt werden. Beitrittsverfahren Regelmäßige Stellungnahmen sowie ein jährlich aktualisierter Fortschrittsbericht Obwohl der Rat der Europäischen Union der Kommission dienen hierbei als Beurtei- offiziell im Namen der Mitgliedstaaten die lungsinstrumente. Verhandlungen führt, stellt die Europäische Kommission den zentralen Akteur im DIE KOPENHAGENER KRITERIEN Verhandlungsprozess mit den Kandidaten- ländern dar: sie schlägt die gemeinsame 1. Politisches Kriterium: Gewährleistung von Verhandlungspositionen vor und steht auf stabilen Institutionen, die Demokratie Arbeitsebene in direktem Kontakt mit den und Rechtsstaatlichkeit garantieren und Bewerberländern. über die Einhaltung der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes wachen. Bevor es zur Aufnahme von konkreten Ver- 2. Wirtschaftliches Kriterium: Existenz einer handlungen kommt, werden die Bewerber- funktionsfähigen, stabilen Marktwirtschaft. länder Stück für Stück in das geltende 3. Gemeinschaftskriterium: Zustimmung zur Gemeinschaftsrecht, den "Acquis Commu- Übernahme der Pflichten der Union; nautaire", eingeführt. Zur Erleichterung Identifikation mit den Zielen der politi- 1 So genannte Luxemburg-Gruppe: Estland, Polen, Slowenien, schen- wie auch der Wirtschafts- und Tschechien, Ungarn, Zypern. Währungsunion. 2 Helsinki-Gruppe: Bulgarien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien, Slowakei.

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wurde dieser in 31 Kapitel (siehe unten) bleiben i.d.R. Ministern und Regierungs- unterteilt, in welche die Anwärterstaaten chefs vorbehalten. rund ein Jahr lang mittels eines analyti- schen Verfahrens, dem "Acquis Screening", Die formale Aufnahme eines Bewerber- eingeführt werden. landes kann erst dann erfolgen, wenn aus- nahmslos alle Kapitel des "gemeinschaftli- Der "Screeningprozess" ist als Hilfestellung chen Besitzstandes" abgeglichen und die für die Beitrittsländer gedacht, mit den darin enthaltenen Rechtsvorschriften über- Regeln und Rechtsnormen der Union ver- nommen worden sind. Allerdings werden traut zu werden. Zugleich wird geprüft, in den Ländern hierbei zeitlich befristete welchen Bereichen das betreffende Land Übergangsregelungen eingeräumt, die sie in noch Defizite aufweist und spezifischer Positionspapieren beantragen können. Im Unterstützung zur vollständigen Übernah- Auftrag der EU entwirft die Kommission me des Acquis bedarf. dann eine gemeinsame Antwort. Falls es zu keiner Einigung kommt, wird dem Be- werber ein Alternativvorschlag unterbreitet. Beitrittsverhandlungen Natürlich besitzt auch die EU das Recht Übergangsbestimmungen festzulegen. Er- Die eigentlichen Verhandlungen finden im zielte Einigungen werden am Ende des Rahmen von bilateralen Beitrittskonfe- Verhandlungsprozesses innerhalb eines renzen zwischen Vertretern der Bewerber- Gesamtpakets verabschiedet. Nach Art. 49 länder und Arbeitsgruppen des Rats statt. (2) EU-Vertrag (EUV) wird hierzu ein Politisch sensible Themen, wie Arbeitneh- Abkommen zwischen den Mitgliedsstaaten merfreizügigkeit oder Bereiche der GAP, und dem antragstellenden Land geschlos-

DIE KAPITEL DES ACQUIS COMMUNAUTAIRE

KAPITEL 1: Freier Warenverkehr KAPITEL 18: Aus- und Weiterbildung KAPITEL 2: Personenfreizügigkeit KAPITEL 19: Telekommunikation und KAPITEL 3: Freier Dienstleistungsverkehr Informationstechnologien KAPITEL 4: Freier Kapitalverkehr KAPITEL 20: Kultur und audiovisuelle Medien KAPITEL 5: Firmenrecht KAPITEL 21: Regionalpolitik u. Koordinierung KAPITEL 6: Wettbewerbspolitik KAPITEL 22: Umwelt KAPITEL 7: Landwirtschaft KAPITEL 23: Verbraucherpolitik und KAPITEL 8: Fischerei Gesundheitsschutz KAPITEL 9: Verkehrspolitik KAPITEL 24: Zusammenarbeit im Bereich KAPITEL 10: Freier Warenverkehr Inneres und Justiz KAPITEL 11: Wirtschafts- u. Währungsunion KAPITEL 25: Zollunion KAPITEL 12: Statistik KAPITEL 26: Außenbeziehungen KAPITEL 13: Sozialpolitik u. Beschäftigung KAPITEL 27: GASP KAPITEL 14: Energie KAPITEL 28: Finanzkontrolle KAPITEL 15: Wissenschaftliche Forschung KAPITEL 29: Finanz- u. Haushaltsbestimmungen KAPITEL 16: Kleine u. mittlere Unternehmen KAPITEL 30: Institutionen KAPITEL 17: Wissenschaft u. Forschung KAPITEL 31: Sonstiges

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sen, in dem die konkreten Beitritts- Parlaments in regelmäßigen Abständen bedingungen hinsichtlich der Übergangs- über den aktuellen Verhandlungsstand und modalitäten zwischen den Vertragspartnern die Empfehlungen der Kommission. festgeschrieben werden.

Beitrittsabschluss und die Rolle des Eu- ropäischen Parlaments

Nach Abschluss der Verhandlungen kann der formale Aufnahmeprozess gemäß Art. 49 (1) EUV eingeleitet werden. In einem ersten Schritt wird die Kommission zu ihrer Meinung zum Beitritt des jeweiligen Landes befragt. Ihre Stellungnahme ist jedoch nicht bindend, so dass der Rat gegen einen even- tuellen Einwand entscheiden kann – wie dies beispielsweise bei der Aufnahme Grie- chenlands geschehen ist. Bindend ist jedoch das Votum des Europäischen Parlaments (EP), das der Aufnahme jedes Beitritts- kandidaten mit absoluter Mehrheit seiner Mitglieder zustimmen muss. Als letztes Organ muss der Rat selbst über den ausge- handelten Beitrittsvertrag in Einstimmig- keit entscheiden. Sobald Rat und Europäi- sches Parlament dem Vertragswerk zuge- stimmt haben, erfolgt die Unterzeichnung durch die Staats- und Regierungschefs. Danach beginnt der Ratifikationsprozess in allen Mitgliedstaaten. Erst wenn diese dann den Beitrittsvertrag ratifiziert haben, ist das Verfahren abgeschlossen und der betreffen- de Staat völkerrechtlich als Vertragspartei anerkannt.

Das EP besitzt zwar nur begrenzte Einfluss- möglichkeiten auf die Beitrittsverhandlun- gen und die Ausgestaltung des Vertrags, ver- folgt den Beitrittsprozess jedoch mit großer Aufmerksamkeit. Vertreter der Kommis- sion, wie z.B. der für Erweiterung zuständi- ge Kommissar Günter Verheugen oder auch Das Europäische Parlament (hier das Louise-Weiss-Gebäude in Straßburg) muss der Aufnahme jedes Beitrittskandidaten mit absoluter Mehrheit zustimmen. Bei Franz Fischler, Kommissar für Landwirt- der nächsten Erweiterung der EU (2004) sollen 147 Parlamentarier aus Estland, schaft und die Entwicklung des ländlichen Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakischen Republik, Slowenien, der Raums, informieren die Mitglieder des Tschechischen Republik, Ungarn und Zypern hier einziehen.

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Außerdem wurden in informellen Verhand- Die parlamentarischen Beziehungen werden lungen zwischen dem EP, der Ratspräsi- in der Schlussphase des Beitrittsprozesses dentschaft und der Kommission verschiede- eine neue Qualität erreichen. Parlaments- ne Probleme der Heranführungsstrategie, mitglieder der Kandidatenländer sind einge- der GAP, der Strukturfonds und des zukünf- laden worden, im Rahmen der EP-Plenarta- tigen Finanzrahmens erörtert. Bereits seit gung Ende November an einer Debatte über den 80er Jahren gibt es im Rahmen der die Erweiterung teilzunehmen. Ab April 2003 interparlamentarischen Delegationen regel- werden dann Beobachter aus den nationa- mäßige Kontakte zwischen dem Euro- len Parlamenten der Kandidatenstaaten an päischen Parlament und den Parlamenten den Plenartagungen und anderen Tätigkei- der jetzigen Bewerberländer. Seit dem ten des EP teilnehmen. Darüber hinaus wer- Inkrafttreten der Europa-Abkommen kom- den in unregelmäßigen Abständen Vertreter men Mitglieder des Europäischen Parla- der MOE-Länder nach Brüssel eingeladen. ments in sogenannten "Gemischten Parla- mentarischen Ausschüssen" zweimal im Der Ausschuss für Landwirtschaft und länd- Jahr mit ihren Kollegen aus den Beitritts- liche Entwicklung des Europäischen Parla- staaten zusammen, um die parlamentari- ments veranstaltete zuletzt im Februar 2002 sche Überwachung aller bilateralen Bezie- eine Konferenz zum Bereich der Landwirt- hungen sicherzustellen und die Fortschritte schaft. Eingeladen waren die Agrarminister bei den Beitrittsvorbereitungen und -ver- der Beitrittsstaaten. Die Veranstaltung hatte handlungen genauer zu untersuchen. Als zum Ziel, in direkten Austausch mit den Ergebnis jeder Sitzung werden gemeinsame zuständigen Verantwortlichen zu treten, um Erklärungen und Empfehlungen angenom- gemeinsam über Probleme der anstehenden men, welche die erzielten Fortschritte und Erweiterung und ihrer konkreten Umset- die Verpflichtungen im Hinblick auf die zung im Bereich der Gemeinsamen Agrar- künftige Arbeit herausstellen. politik zu diskutieren.

Günter Verheugen (SPE), zuständiger EU-Kommissar für die Fragen der Erweiterung der Union, informiert das Europäische Parlament regel- mäßig über den aktuellen Stand der Verhandlungen.

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4. SAPARD UND CO – DIE VORBEITRITTSHILFEN

Bereits 1989 hat die Europäische Gemein- Ausbau der Europa-Abkommen; schaft ein Programm PHARE (siehe Seite 26) zur finanziellen Unterstützung der mit- Anpassung der finanziellen Unterstüt- tel- und osteuropäischen Länder aufgelegt, zung durch PHARE; um ihnen die wirtschaftliche und politische Umstellung zu erleichtern. 1991 wurden die Vorbereitung auf die Integration in den ersten Assoziierungsabkommen (die so ge- Binnenmarkt. nannten Europa-Abkom- men) zwischen der Gemein- schaft und den mittel- und osteuropäischen Ländern unterzeichnet.

Inzwischen ist der freie Warenverkehr im Europa der 26 Realität, auch wenn der Handel mit landwirt- schaftlichen Erzeugnissen sowie Eisen- und Stahler- zeugnissen nach wie vor gewissen Einschränkungen unterliegt.

Gestützt auf die Europa-Ab- kommen hat die Kommis- sion einen "strukturierten Dialog", d. h. regelmäßige Konsultationen zwischen den assoziierten Staaten und den EU-Organen vor- geschlagen. Im Dezember 1994 hat der Europäische Rat von Essen eine Heran- führungsstrategie mit fol- genden Schwerpunkten an- genommen:

Vertiefung der Bezie- hungen zwischen den assoziierten Ländern und den Organen der Union (Ausweitung der strukturierten Beziehun- gen auf die Parlamente und Regierungen);

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Auf der Tagung des Europäischen Rates von von der Europäischen Union. In vier auf- Madrid (Dezember 1995) wurde erstmals einanderfolgenden Finanzprotokollen wur- die Frage nach den Auswirkungen der Er- den zwischen 1978 und 1999 insgesamt 130 weiterung auf die Gemeinschaftspolitiken, Mio. Euro gezahlt, wobei jedoch hier auch insbesondere die Gemeinsame Agrarpolitik Darlehen und Risikokapital miteingerech- und die Strukturpolitik, sowie auf die net sind, die zurückbezahlt werden müssen. Finanzierung der Union nach 1999 aufge- Seit 2000 gibt es eine spezifische finanzielle worfen. In diesen für die Zukunft der Union Vorbeitrittshilfe für diese beiden Staaten zentralen Bereichen hat die Kommission im für den Zeitraum 2000-2004 mit einer Ge- Juli 1997 mit ihrem Strategieinstrument samthöhe von 95 Mio. Euro, wovon Malta AGENDA 2000 Reformen vorgeschlagen. 38 Mio. Euro und Zypern 57 Mio. Euro Des Weiteren wurden neue Instrumente geschaffen, um die beitrittswilligen Länder finanziell und in rechtlicher Hinsicht zu TWINNING unterstützen. Im Jahre 1998 wurden mit zehn mittel- und osteuropäischen Ländern Twinning (=Zwilling) als Instrument der EU; Beitrittspartnerschaften geschlossen, wel- steht für Beitrittspartnerschaften zwischen che die Prioritäten für kurz- und mittelfri- Verwaltungen der EU-Mitgliedsländer und stige Reformen sowie die finanzielle Unter- der EU-Beitrittsländer. stützung durch die EU festlegen. Zielsetzung ist die Unterstützung der Bei- PHARE wurde zu Beginn 2000 um die spe- trittsländer: zifischen Programme ISPA (Instrument for Structural Policies for Preaccession) und beim Aufbau effektiver Verwaltungs- SAPARD (Special Accession Programme for strukturen (institution building), d.h. Agriculture and Rural Development) er- Aufbau bzw. Stärkung von Ministerien, gänzt. Kernpunkt der Reform war seinerzeit Verwaltungen, Regulierungsbehörden; die Vereinheitlichung des Finanzmanage- ments unter der Regie der Finanzminis- bei der vollständigen Übernahme, Um- terien der jeweiligen MOEL. setzung und Durchsetzung des gemein- schaftlichen Besitzstandes. Bis 1999 waren die jeweiligen Fachminis- terien für das Finanzmanagement zustän- Erwünschter Nebeneffekt dieser Koopera- dig, die damit jedoch oft überfordert waren. tion ist ein verbessertes Verständnis in der Ferner gelang es, die Projektanbahnung und EU für die Probleme der Beitrittsstaaten -umsetzung stark zu dezentralisieren und – mit stärkerer Unterstützung der EU-De- etwa bei den Arbeitsbedingungen oder in legationen vor Ort – in die Hände von der Bürotechnik. Insgesamt gibt es 123 Fachbehörden zu legen. Seither dominieren Twinningprojekte mit einem Gesamtumfang nicht mehr ständig wechselnde Berater, von 147 Mio. Euro. Daran sind auch viele sondern die "Methode Twinning" (siehe deutsche Bundes- und Landesministerien Kasten). beteiligt. Verwaltungsexperten verstärken für ein Jahr oder länger das Partnermi- Zypern und Malta, die nicht im Rahmen nisterium, um mit ihrem praktischem Wissen von PHARE oder SAPARD unterstützt wer- die Verwaltungsreform zu unterstützen. den, erhalten bereits seit 1978 Finanzhilfen

20 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik 11/2002

erhalten werden, um die Umsetzung des Einführung der beitretenden Länder abhän- Besitzstandes zu unterstützen. gig gemacht werden.

Im Beitrittsvertrag muss die Verwaltung und das Auslaufen der Heranführungshilfe gere- 4.1 Das SAPARD-Programm gelt werden. Im Rahmen der Programme ISPA, SAPARD und PHARE werden für die Die Vorbeitrittshilfe SAPARD (Special neuen Mitgliedstaaten bis Ende 2003 ins- Accession Programme for Agriculture and gesamt etwa 5 Mrd. Euro an Haushalts- Rural Development)1 unterstützt die mittel- mitteln gebunden. Voraussichtlich werden und osteuropäischen Bewerberländer im sich die entsprechenden Vertragsabschlüsse Heranführungszeitraum bei der Vorberei- bzw. die Auszahlung dieser Mittel bis Ende tung auf ihre Teilnahme an der Gemein- 2006 hinziehen. ISPA und SAPARD werden samen Agrarpolitik und am Binnenmarkt. im Rahmen des Kohäsionsfonds und des Un- Dieses Instrument dient der Finanzierung terstützungsfonds für den ländlichen Raum der Maßnahmen im Rahmen der Hilfe für unter ähnlichen Bedingungen weiterlaufen. die Landwirtschaft und für die Entwicklung Im Gegensatz dazu muss die Vergabe von des ländlichen Raums gemäß Artikel 2 der PHARE-Mitteln bis 2006 abgeschlossen sein. VO (EG) Nr. 1268/99. Dabei handelt es sich um Maßnahmen wie die Verbesserung der Der Beitrittsvertrag wird auch bestimmte Strukturen der landwirtschaftlichen Betrie- Übergangsregeln vorzusehen haben, so z.B. be, der Verarbeitung und des Vertriebes von Bestimmungen darüber, wie die Verwaltung Agrar- und Fischereierzeugnissen oder der Heranführungshilfe im Rahmen eines Maßnahmen zur Entwicklung des ländli- "Erweiterten dezentralen Durchführungs- chen Raums (siehe Seite 22/23). Die jüng- systems" (EDIS) auf die Mitgliedstaaten sten Flutkatastrophen in Mitteleuropa übergehen soll (auch bezugnehmend auf haben außerdem dafür gesorgt, dass ab Ok- Personalmittel und Bedingungen für die tober 2002 auch Maßnahmen zur Behebung Mittelfreigabe). Außerdem sollte die Frei- der Folgen von Naturkatastrophen aus Seit Oktober 2002 gabe von PHARE-Mitteln von der EDIS- SAPARD finanziert werden können. hilft SAPARD auch bei der Behebung 1 Siehe auch Verordnung (EG) Nr. 1268/1999 des Rates vom 21.6.1999 über eine gemeinschaftliche Förderung für Maßnahmen in den Bereichen Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raumes zur Vorbereitung des Beitritts der Bewerberländer in von Schäden durch Mittel- und Osteuropa während des Heranführungszeitraums. Naturkatastrophen.

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SAPARD – Übertragung der Maßnahmen, die in den Kommissionsentscheidungen genannt sind, mit denen Maßnahmen für welche die nationale Zulassung erteilt wurde (B) (Angaben in Prozent der Gemeinschaftsmittel, die für die Programme (2000-2006)

Bulgarien Tschechi- Estland Ungarn sche Rep. Maßnahmen nach Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 1268/1999 (1)

Investitionen in landwirtschaftliche Betriebe 31% A 16% A 43% A 28% B Verarbeitung und Vermarktung von 24% A 17% A 18% A 21% B Agrar- und Fischereierzeugnissen

Qualitäts- und Veterinärkontrollen, 9% A Lebensmittelqualität, Verbraucherschutz

Landwirtschaftliche Produktionsverfahren, 2% 3% 2% 4% die dem Umweltschutz dienen

Diversifizierung der Tätigkeiten zur 6% A 16% A 18% A 16% Schaffung von Einkommensalternativen

Aufbau von Vertretungs- und Betriebs- führungsdiensten für die Landwirtschaft

Gründung von Erzeugervereinigungen 1% 7% Dorferneuerung und -entwicklung, 8% 11% A (2) 4% 9% Schutz und Erhaltung des ländlichen Erbes

Bodenmelioration und Flurbereinigung 20% A Erstellen v. Grundbüchern u. Aktualisierung berufliche Bildung 4% 2% 2% ländliche Infrastrukturen 6% 5% A (2) 12% A 12% B Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen 6% 5% Wasserressourcen

Forstwirtschaft, Aufforstung, Investitionen, 8% 1% Verarbeitung/Vermarktung Technische Hilfe 4% 1% A 2% 1% B Programme, insgesamt 100% 11 100% 9(2) 100% 8 100% 9 Maßnahmen, die der Zulassung unterliegen, 61% 3 95% 7(2) 91% 4 62% 4 insgesamt

Zugang des Zulassungspakets 18.12.2000 13.11.2001 05.02.2001 01.10.2002 Datum d. Erlasses d. Entscheidung d. Kommis- 14.05.2001 15.04.2002 15.06.2001 sion z . Übertragung d. Verwaltung d. Finanzhilfe

(1) Die genaue Bezeichnung der Maßnahme in dem betreffenden Programm kann von derjenigen abweichen, die hier angeführt ist (2) In der Tschechischen Republik sind beide Maßnahmen (Dorferneuerung + ländliche Infrastruktur) unter derern Maßnahme 2.1 „Erneuerung von Dörfern und ländlicher Infrastruktur“ erfasst. Die Entscheidung zur Übertragung der Verwaltung der Finanzhilfe sieht beide Maßnahmen vor.

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Verwaltung der Finanzhilfe die Verwaltung der Finanzhilfe an die Bewerberländer übertragen wurde (A) bereitgestellt wurden, zu Preisen des Jahres 2000), Stand 01.10.2002

Lettland Litauen Polen Rumänien Slowakei Slowe- nien

23% A 47% A 18% A 15% 28% A 35% A 26% A 21% A 38% A 17% A 26% A 40% A

3%

4% 1% 2% 2% 3%

24% A 8% A 11% 10% 11% A (3) 14% A

2% 5%

2% 10% A

4% A 2% A 2% A 5% 2% 12% A 16% A 28% A 28% A 4% -3 10% A 3%

3% A 3% 10% 8% A

2% 2% 1% A 5% A 3% 1% 100% 9 100% 8 100% 7 100% 11 100% 9(3) 100% 5 92% 6 94% 5 87% 5 50% 3 83% 5(3) 99% 4

27.06.2001 24.07.2001 20.09.200112.06.2002 07.01.2002 28.09.2001

06.12.2001 26.11.200102.07.2002 31.07.2002 15.04.2002 19.11.2001

(3) In der Slowakischen Republik sind beide Maßnahmen (Diversifizierung + Infrastruktur) unter der Maßnahme 4 „Diversifizierung der Tätigkeiten in ländlichen Gebieten“ erfasst. Die Entscheidung zur Übertragung der Verwaltung der Finanzhilfe bezieht sich lediglich auf die Diversifizierung.

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Das Programm ist während seiner sieben- legislative und administrative Anstrengun- jährigen Laufzeit (2000-2006) mit jährlich gen auf beiden Seiten notwendig. Damit über 500 Mio. Euro ausgestattet, beginnend das SAPARD-Programm in dieser grund- ab 2000 mit 520 Mio. Euro (zu Preisen von legend neuen Situation ordnungsgemäß 1999). Siehe zur aktuellen Finanzausstat- durchgeführt werden kann, wurde ein tung für 2002 auch folgende Übersicht Rechtsrahmen geschaffen, der für die ein- über die jährliche Finanzierungsverein- zelnen Bewerberländer wie auch für die barung): Gemeinschaft bindend ist.

Nach der Entscheidung der Kommission Jährliche Finanzierungs- über die Zuteilung der Mittel konnten die Bewerberländer Ende 1999 / Anfang 2000 vereinbarung ihre SAPARD-Programmpläne zur Förde- (in Tausend Euro) rung der Landwirtschaft und der Entwick- lung des ländlichen Raums vorlegen. In Bulgarien 55 582 einer ersten Stufe musste die Gemeinschaft daher einen jeweiligen nationalen Plan für Estland 12 942 Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, in dem die Kandidatenstaaten aus dem obi- Lettland 23 298 gen Maßnahmenbündel ihre Prioritäten auswählen konnten, genehmigen. Litauen 31 808 Nach erfolgter Genehmigung der Program- Polen 179 874 me durch die EU-Kommission im Oktober / November 2000 konnten zunächst die soge- Rumänien 160 630 nannten mehrjährigen Finanzierungsver- einbarungen mit allen MOEL Ende 2000 / Slowakei 19 502 Anfang 2001 abgeschlossen werden. Diese regeln die Verwaltung und Kontrolle des Slowenien 6 757 SAPARD-Programms durch die Gemein- schaft für die gesamte Programmdauer Tschechien 23 527 2000-2006. Dabei waren drei Grundsätze zu beachten: Ungarn 40 579 1. volle Dezentralisierung der Programm- Insgesamt 554 500 verwaltung an die unter der Zuständig- keit der einzelnen Länder eingerichteten Stellen; 2. Finanzierungsvereinbarungen mit diffe- Funktionsweise und bisherige Entwick- renzierter Mittelzuteilung; lung 3. Anwendung des geltenden Rechnungs- abschlussverfahrens des EAGFL, Abtei- Zum ersten Mal seit Bestehen der EU wurde lung Garantie. die Verwaltung einer Außenhilfe den Be- werberländern auf vollständig dezentrali- Neben den mehrjährigen gibt es auch noch sierter Grundlage übertragen. Hierzu waren eine jährliche Finanzierungsvereinbarung.

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Diese wird mit jedem Bewerberland für erscheint auf den ersten Blick richtig ge- jedes Programmjahr erstellt und ausgehan- wesen zu sein: Auf lange Sicht wurden delt. In ihr wird die jährliche Mittelzuwei- durch Investitionen in neue Systeme si- sung der Gemeinschaft festgelegt, und mit cherlich Kompetenzen aufgebaut, die sich ihr werden gegebenenfalls Bestimmungen nach erfolgter EU-Mitgliedschaft für die der mehrjährigen Finanzierungsvereinba- Verwaltung anderer Gemeinschaftsmittel rung geändert. Erst vor kurzem (10/2002) nutzen lassen. Leider ist durch die Anfor- wurde die jährliche Finanzierungsvereinba- derungen wertvolle Zeit in der Vorbeitritts- rung zwischen der Kommission und den phase verloren gegangen, die bereits für die MOEL über die Mittelzuweisung 2002 abge- Umstrukturierung der Landwirtschaft in schlossen. den Erweiterungsstaaten hätte genutzt wer- den können.Viele MOEL hatten sowohl bei Schließlich mussten die Bewerberländer der Programmerstellung wie auch bei der eine jeweilige nationale SAPARD-Stelle potenziellen Abwicklung von SAPARD zulassen, die für die Zahlungen und die anfangs Schwierigkeiten. Durchführung der im Rahmen des Pro- gramms genehmigten Maßnahmen zustän- Bereits Ende 2000, kurz nach der Einrei- dig ist. Im letzten Schritt hat die EU-Kom- chung der Programme durch die MOEL bei mission dann diese nationale Zulassung der Kommission, wurde deutlich, dass die überprüft und bei entsprechendem Er- Programme aufgrund inhaltlicher Mängel gebnis dieser Stelle die Verwaltung des überarbeitet werden mussten. Dies war dar- SAPARD-Programms übertragen. auf zurückführen, dass die zu beachtenden Bestimmungen sehr komplex sind und die Im Anschluss daran konnte mit der MOEL mit der Aufgabe, ihre Programme Auszahlung der SAPARD-Mittel begonnen selbst zu entwickeln, politisches Neuland werden. Nach mittlerweile überwundenen betreten haben. Schwierigkeiten insbesondere bei der Im- plementierung der Zahlstellen, sind inzwi- Auch die ursprüngliche SAPARD-Verord- schen neben Bulgarien (05/2001), Estland nung selbst (VO 1268/99) war nicht ge- (06/2001), Slowenien (11/2001), Litauen schickt formuliert, da viele Fragen juristisch (11/2001), Lettland (12/01), Rumänien nicht genau genug beschrieben waren. (07/2002), Slowakei (04/2002), Tschechien Einige Maßnahmen wie z.B. die Vorruhe- (04/2002) und Polen (07/2002) die Verwal- standsförderung, die besonders in den MOEL tung der SAPARD-Mittel übertragen wor- zielführend einsetzbar gewesen wäre, fehlte den. In Ungarn soll die Anpassung der in den SAPARD-Angeboten. Einrichtungen und Verfahren kurz vor dem Abschluss stehen. Eine Klarstellung der Anforderungen erfolg- te zu einem späteren Zeitpunkt durch die Durchführungs-VO (EG) Nr. 2759/99 sowie Einschätzung und Ausblick den Durchführungsvorschriften zur Finanz- verwaltung (Verordnung (EG) Nr. 2222/ Der Grundansatz, den MOEL mit der 2000), die im Jahre 2000 erstellt wurden. Verwaltung des Programms eine Möglich- Dies führte zu zusätzlichen Verzögerungen, keit einzuräumen, Erfahrungen bei der die dazu beitrugen, dass die jeweiligen Anwendung der Mechanismen für die Programme der MOEL erst Ende 2000 Verwaltung von EU-Mitteln zu sammeln, abschließend erstellt und von der

25 11/2002 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik

Europäischen Kommission genehmigt wer- Diese vor dem Beitritt geleistete Unter- den konnten. stützung bei der Übernahme des gemein- schaftlichen Besitzstandes im Bereich der Gerade die Notwendigkeit für die MOEL, GAP und die damit verbundenen Maß- die programmatischen, juristischen und nahmen werden sowohl den MOEL und den administrativen Voraussetzungen für die jetzigen EU-15-Staaten als auch der zukünf- Erstellung und Durchführung des SAPARD- tig erweiterten Europäischen Union zu Gute Programms gemäß der genannten Verord- kommen. nungen zu erfüllen, hat im weiteren Verlauf leider zu zusätzlichen beträchtlichen Ver- zögerungen geführt. In administrativer Hin- 4.2 Das PHARE-Programm sicht stellten das Konzept zur Übernahme der Verantwortung für die direkte Ver- Das Programm PHARE wurde 1989 nach waltung der Gemeinschaftshilfen durch die dem Zusammenbruch der kommunisti- MOEL, die Projektauswahl, das Ausschrei- schen Regime in den mittel- und osteu- bungsverfahren und die Auftragsvergabe ropäischen Ländern eingerichtet, um diese Anforderungen dar, die für diese Staaten Länder beim Wiederaufbau ihrer Wirt- einen schwierigen Abschied von der ge- schaften zu unterstützen. Anfänglich war wohnten Praxis zentralistischer Agrarpo- das Programm auf Ungarn und Polen litik bedeutete. begrenzt, wurde dann aber schrittweise auf dreizehn mittel- und osteuropäische Län- Diese Zeitverluste hätten vermieden werden der ausgedehnt (Albanien, Bosnien-Herze- können, wenn bestimmte Finanzierungs- gowina, Bulgarien, Ehemalige Jugoslawi- bereiche und Programminhalte zwischen sche Republik Mazedonien, Estland, Lett- den MOEL und der Kommission schon im land, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Vorfeld aufgeteilt worden wären und man Slowenien, Tschechische Republik und die Abwicklung von SAPARD, vor allem in Ungarn). Für den Zeitraum 1995-1999 der Anfangsphase, direkt von der EU-Kom- betrug das Finanzierungsvolumen dieses mission in Brüssel aus betrieben hätte. Programms ca. 6,7 Mrd. Euro. Gefördert Leider wurden diese Schwachstellen von wurden Maßnahmen in fünfzehn Be- SAPARD zu spät erkannt. Durch Verpassen reichen, insbesondere jedoch auf den des richtigen Ansatzes ist wichtige Zeit für Gebieten: eine echte "Vorbeitrittshilfe" verloren ge- gangen. Infrastruktur (Energie, Verkehr, Tele- kommunikation); Jedoch darf SAPARD nicht ausschließlich negativ beurteilt werden. Wir sind uns Entwicklung der privaten Wirtschaft und sicher, dass die nun – wenn auch nur lang- Unterstützung von Unternehmen; sam – auf breiter Front anlaufenden SA- PARD-Programme der MOEL mit dafür allgemeine und berufliche Bildung und sorgen, dass die wichtigen Ziele im Agrar- Forschung; sektor, wie die Strukturverbesserung der dortigen Landwirtschaft sowie eine nach- Umweltschutz und Strahlensicherheit; haltige Entwicklung des ländlichen Raums, bereits während des Heranführungs- Umstrukturierung der Landwirtschaft. zeitraums in Angriff genommen werden.

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Rund 30 % der Mittel flossen in die Ver- Aufbau der öffentlichen Verwaltung waltungsreform während die übrigen 70 % (institutional building); der Vorbereitung von Investitionen und Projekten zur regionalen und sozialen Finanzierung von Investitionen. Angleichung zu Gute kamen. Die MOEL werden auf diese Weise an die Regional- Die EU und die PHARE-Staaten erarbeiten /Sozialfonds der EU herangeführt. PHARE jährlich Richtprogramme mit den grundle- ist auch das wichtigste Finanzinstrument genden Förderzielen und -schwerpunkten. der Heranführungsstrategie für die zehn Die Durchführung der Programme obliegt in beitrittswilligen Länder Mittel- und Ost- der Regel den PHARE-Staaten. Es herrscht europas. Seit 1994 wurden die PHARE- das Grundprinzip, dass die Hilfsmaßnah- Aufgaben an die landesspezifischen Priori- men vor allem der Privatwirtschaft zu Gute täten und Bedürfnisse angepasst. Das er- kommen. PHARE ist ein wichtiger Baustein neuerte PHARE-Programm mit einem im Rahmen der Heranführungsstrategie und Budget von über 10 Mrd. Euro für den der Beitrittspartnerschaften für Mittel- und Zeitraum 2000-2006 stellt bislang vor allem Osteuropa. Im Jahre 2001 verfügte PHARE auf folgende Maßnahmen ab: über einen Etat von 1,62 Mrd. Euro.

ISPA

Die Verordnung (EG) Nr. 1267/1999 des Rates vom 21. Juni 1999 sieht ein strukturpolitisches Instrument (ISPA) zur Vorbereitung auf den Beitritt vor.1 Diese Verordnung geht auf die Mitteilung der Kommission "Agenda 2000" zurück, in der diese eine Intensivierung der Heranführungsstrategie zugunsten aller beitrittswilligen Länder Mittel- und Osteuropas emp- fohlen hat. Zu diesem Zweck wird mit der vorliegenden Verordnung ergänzend zum PHARE-Programm und zu den Heranführungshilfen für die Landwirtschaft ein strukturpo- litisches Finanzierungsinstrument eingerichtet. Es ist für den Zeitraum 2000-2006 mit 1 Mrd. Euro ausgestattet.

ISPA hat die finanzielle Unterstützung der beitrittswilligen Länder Mittel- und Osteuropas bei der Vorbereitung auf den Beitritt im Bereich des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, insbesondere der Umwelt- und Verkehrspolitik zum Ziel. Grundlage für die Auswahl und die Genehmigung der Projekte sind die nationalen Programme in den Bereichen Verkehr und Umwelt, die in dem nationalen Programm zur Übernahme des ge- meinschaftlichen Besitzstandes aufgeführt sind. Die Gemeinschaftsunterstützung im Rahmen von ISPA wird im Zeitraum 2000-2006 gewährt.

Die Kommission nimmt anhand der Kriterien Bevölkerung, Pro-Kopf-BIP sowie Landesfläche eine indikative Aufteilung der im Rahmen von ISPA insgesamt zur Verfügung stehende Mittel zwischen den begünstigten Ländern vor. Für die Durchführung der Vorhaben sind die bei- trittswilligen Länder unter der Aufsicht der Kommission zuständig und müssen alle hierfür erforderlichen Verwaltungs- und Kontrollsysteme einführen.

1 Amtsblatt L 161 vom 26.6.1999

27 11/2002 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik

5. STAND DER VERHANDLUNGEN – ZIELE SCHRITT FÜR SCHRITT ERREICHEN

Das umfangreichste Kapitel im Rahmen der ständigen Besitzstand in nationales Recht Beitrittsverhandlungen stellt ohne Zweifel umzusetzen. das Landwirtschaftskapitel (Kapitel 7) dar. Mit Ausnahme der Veterinär- und Pflanzen- Die Verhandlungen über das Landwirt- schutzgesetzgebung handelt es sich meist schafts-Kapitel wurden im Juni 2000 zu- um Verordnungen, die unmittelbar mit dem nächst mit den sechs Ländern der Luxem- Beitritt wirksam werden und keiner Um- burg-Gruppe (Estland, Polen, Slowenien, setzung in die nationale Gesetzgebung der Tschechische Republik, Ungarn und Zy- Beitrittsstaaten bedürfen. Der Schwerpunkt pern) eröffnet. Mit den ersten Ländern in der Vorbereitungsphase wird in diesem der Helsinki-Gruppe (Lettland, Litauen und Bereich daher auf die Fähigkeit der Bei- Slowakei) begannen die Verhandlungen trittsstaaten gelegt, den gemeinschaftlichen im Juni 2001, mit Malta im Dezember Besitzstand korrekt und vollständig anzu- 2001. Mit Bulgarien und Rumänien wird wenden. derzeit noch nicht verhandelt. Beide Län- der haben zwar ihre Verhandlungspo- In der Veterinär- und Pflanzenschutzgesetz- sitionen bereits vorgelegt, die EU hat sich gebung dagegen besteht die gemeinschaft- aber noch nicht auf einen Gemeinsamen liche Gesetzgebung hauptsächlich aus Standpunkt für die Agrarverhandlungen Richtlinien. Hier geht also darum, den voll- geeinigt.

28 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik 11/2002

Trotz intensiver Verhandlungen konnte das bezeichnete das EP als "eine angemessene Kapitel "Landwirtschaft" bisher mit keinem Regelung", da es der Auffassung ist, dass der Bewerberstaaten abgeschlossen werden. "eine sofortige Anwendung des gemein- Im Dezember 2001 konnten sich die EU und schaftlichen Beihilfeniveaus zu einem Un- Slowenien bezüglich der Veterinär- und gleichgewicht zwischen den landwirtschaft- Pflanzenschutzbestimmungen einigen. Ver- lichen und außerlandwirtschaftlichen Ein- einbarungen folgten in diesen beiden kommen in den ländlichen Gebieten der Bereichen auch mit Ungarn und Estland im Beitrittsländer führen könnte". Insgesamt März 2002, mit der Tschechischen Repu- wird die Kommission aufgefordert, den un- blik, Litauen und der Slowakei im Juni und terschiedlichen Situationen der einzelnen mit Zypern und Lettland im Juli 2002. Mit Beitrittsstaaten stärker Rechnung zu tra- Polen wird darüber noch verhandelt. gen. So forderte das EP, dass Länder, die ihre Landwirtschaft bereits stark auf den Eine Einigung bezüglich einzelner Fragen Markt orientiert und dabei ihre Produktion im Veterinärbereich, zum Beispiel über reduziert und eine hohe Wettbewerbsfähig- Grenzkontrollen und die Identifizierung und keit erreicht haben, langfristig keine relativ Rückverfolgbarkeit von Tieren, sowie im Be- geringeren Produktionsrechte erhalten als reich Tierschutz steht aber nach wie vor aus. Länder, die eine weniger wettbewerbsfähige Landwirtschaft unterstützt haben". Darüber hinaus wurden bisher die Frage der Direktzahlungen, die Festlegung von Referenzmengen (Produktionsquoten, na- EU-Erweiterung – tionale Höchstmengen und Basiserträge) Agrarproduktion 2000 im Vergleich zu 1990 und finanzielle Aspekte aus den Verhand- lungen ausgeklammert. Die Europäische Produktionsniveau „1990“ 0 100 Kommission hat dazu am 30. Januar 2002 ihre Vorschläge für eine gemeinsame Ver- Bulgarien 45 handlungsposition der EU vorgelegt. Dieser Estland 46 Vorschlag sieht eine stufenweise Einfüh- Lettland 47 rung der Direktzahlungen bei erhöhter Litauen 63 Finanzierung der Entwicklung des ländli- Polen 85 chen Raums vor (siehe Kasten S. 32-33). Rumänien 88 Slowakei 70 Das Europäische Parlament hat zu diesen Slowenien 92 Vorschlägen in seiner Entschließung vom Tschechien 13. Juni 2002, die wir Sozialdemokraten 70 Ungarn nachdrücklich unterstützen, Stellung ge- 68 nommen. Es bezeichnete die Vorschläge der Kommission als "realistisch", forderte aber gleichzeitig die Kommission auf, bei der Integration der Beitrittsländer in die GAP Auch die EU-Mitgliedstaaten haben diese auch die spezifischen gesamtwirtschaftli- Vorschläge intensiv beraten und auf der chen Entwicklungen der Länder zu beach- außerordentlichen Tagung des Europäi- ten und sozialpolitischen Erfordernissen schen Rats am 24./25. Oktober 2002 in besonders Rechnung zu tragen. Die stufen- Brüssel die Grundlinien der gemeinsamen weise Einführung der Direktzahlungen Verhandlungspositionen der EU beschlossen.

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ERWEITERUNG UND LANDWIRTSCHAFT: Die erfolgreiche Integration der neuen Mitgliedstaaten in die GAP – Diskussionspapier der EU-Kommission [SEK(2002) 95 endgültig vom 31.1.2002]

Für die zehn künftigen Mitgliedstaaten vorgesehenen Agrarausgaben

Mittelbindungen (in Mio.Euro zu Preisen von 1999)

2004 2005 2006 Direktzahlungen insgesamt z.E. 1173 1418 Marktstützungsmaßnahmen 516 749 734 Ländliche Entwicklung 1532 1674 1781 insgesamt 2048 3596 3933

Voraussichtliche Agrarausgaben für die zehn neuen Mitgliedstaaten (in Mio. Euro zu Preisen von 1999)

2004 2005 2006 Direktzahlungen insgesamt z.E. 1173 1418 Marktstützungsmaßnahmen 516 749 734 Ländliche Entwicklung 748 1187 1730 insgesamt 1264 3109 3882

Direktzahlungen Die Gewährung von Direktzahlungen im Jahre 2004 soll auf einem Niveau festgesetzt werden, das 25% des derzeitigen Systems entspricht. Eine Anhebung auf 30% im Jahre 2005 sowie auf 35% im Jahre 2006 ist vorzunehmen. In einer zweiten Phase ab 2006 sollen die Direktzahlungen prozentual so angehoben werden, dass die neuen Mitgliedstaaten im Jahre 2013 das dann gültige Förderniveau erreicht haben werden.

Nationale Kofinanzierung Die neuen Mitgliedstaaten sollen die Möglichkeit erhalten, die Direktbeihilfen bis zu der vor dem Beitritt gezahlten Höhe aufzustocken, damit wirtschaftliche Probleme für die betroffenen Landwirte weitestge- hend vermieden werden. Die Gesamthöhe der Fördermittel darf jedoch die Höhe der in den bisherigen EU-Mitgliedstaaten ge- währten Direktzahlungen nicht übersteigen.

Vereinfachte Durchführung der Direktzahlungsregelung Direktbeihilfen sollen befristet in Form flächenbezogener Zahlungen gewährt werden, die produktions- unabhängig sind und für die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche gezahlt werden. Auf der Grundlage eines vorgegebenen Direktbeihilfen-Gesamtrahmens und ausgehend von der bewirt- schafteten landwirtschaftlichen Nutzfläche soll für jedes Land ein Durchschnittsbetrag für die flächenbe- zogene Zahlung berechnet werden. Die Zahlungen könnten für alle Arten von Landwirtschaftsflächen gewährt werden. Die Mindestgröße der förderfähigen Flächen würde auf 0,3 ha festgesetzt.

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Die Regelung sollte zeitlich befristet und freiwillig sein. Die vereinfachte Regelung soll drei Jahre gelten und zweimal um je ein Jahr verlängerbar sein. Die Kontrolle der Zahlungen soll durch eine einfache physische Kontrolle der Flächen vorgenommen wer- den, die im Prinzip durch das Integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem (InVeKoS) durchzuführen ist. Am Ende des Übergangszeitraums sollen die neuen Mitgliedstaaten in das reguläre System der direkten Einkommensstützung in der dann geltenden Form voll einbezogen werden.

Produktionsquoten Instrumente zur Steuerung des Angebots an Agrarerzeugnissen, also zum Beispiel die Produktionsquoten, werden anhand der jüngsten historischen Referenzzeiträume 1995 bis 1999 festgelegt. Dieser Fünfjahreszeitraum wird jedoch nicht in allen Fällen einheitlich herangezogen, sondern ist als Zeitrahmen zu verstehen, innerhalb dessen nach Möglichkeit die geeignetsten Referenzzeiträume für die einzelnen Regelungen festgelegt werden sollen. Bei Milchquoten sollen die Produktionszahlen der Jahre 1997-1999 zugrunde gelegt werden. Gegebenenfalls kann die Möglichkeit geprüft werden, außergewöhnliche Umstände wie Naturkatastro- phen oder schwere Marktstörungen zu berücksichtigen.

Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums Vom Tag des Beitritts an sollen eine Reihe von Maßnahmen zur Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums von der EU zum Höchstsatz von 80% kofinanziert werden: 1. Vorruhestandsregelungen für Landwirte, 2. Fördermaßnahmen für benachteiligte Gebiete und Gebiete mit umweltspezifischen Einschränkungen, 3. Agrarumweltmaßnahmen, 4. Aufforstung landwirtschaftlicher Flächen, 5. spezifische Maßnahmen für semi-subsistenzwirtschaftliche Betriebe, 6. Gründung von Erzeugervereinigungen, 7. technische Hilfe. Weitere Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung sollen aus den Strukturfonds (EAGFL, Abteilung Ausrichtung) finanziert werden: 1. Investitionen in landwirtschaftlichen Betrieben, 2. Unterstützung von Junglandwirten, 3. Berufsbildung und sonstige forstwirtschaftliche Maßnahmen, 4. Verarbeitung und Vermarktung, Anpassung und Entwicklung ländlicher Gebiete.

Sondermaßnahme für semi-subsistenzwirtschaftliche Betriebe Um den Betrieben zu helfen, die zwar in gewissem Umfang für den Eigenbedarf erzeugen, jedoch den größeren Teil ihrer Produktion auf dem Markt absetzen, wird eine Pauschalbeihilfe von höchstens 750 Euro für diese semi-subsistenzwirtschaftlichen Betriebe vorgeschlagen. Die Gewährung der Beihilfe soll an die Bedingung geknüpft sein, dass ein Betriebsverbesserungsplan vor gelegt wird, der die künftige Rentabilität des landwirtschaftlichen Unternehmens nachweist.

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Die Vorschläge der Kommission werden über die zukünftige Entwicklung der Betrie- bezüglich der stufenweisen Einführung der be vorgelegt werden. Direktzahlungen unterstützt, jedoch wurde der Haushalt für marktbezogene Ausgaben Bereits am 9. Oktober 2002 hatte die Euro- und Direktzahlungen für die Union der 25 päische Kommission die jährlichen Fort- im Zeitraum von 2007 - 2013 begrenzt: Er schrittsberichte zu den einzelnen Kandida- wird demnach die kombinierten tenländern vorgelegt. Insgesamt wird ein Höchstbeträge aus EU-15 und den 10 Neu- Beitritt aller Kandidatenstaaten im Jahr Mitgliedern im Jahr 2006 in nominalen 2004 befürwortet, mit Ausnahme Bulga- Werten umfassen, die dann jedes Jahr nur riens und Rumäniens, für die ein Beitritt noch um 1 % erhöht werden. Es ist also zu erst für 2007 ins Auge gefasst wird. Dies erwarten, dass die Ausgaben real zurückge- wurde auch vom Europäischen Rat in hen werden, da die Inflationsrate in der Brüssel bekräftigt. Im Bereich Landwirt- Regel über 1 % liegt. schaft stellen alle Länderberichte Fort- schritte der betreffenden Staaten fest, wenn In den Detailfragen hat der Europäische Rat auch in unterschiedlicher Ausprägung. Bis im Vergleich zum Vorschlag der Kommis- zu ihrem Beitritt müssen aber – nach sion nur geringfügige Anpassungen vorge- Ausführungen der Kommission – in allen nommen: so wurde zum Beispiel der Staaten noch Anstrengungen unternommen Höchstbetrag für die Anwendung der Klein- werden, damit ihre Eingliederung in die erzeugerregelung von 750 Euro auf 1000 Gemeinsame Agrarpolitik ohne Schwierig- Euro erhöht, wenn entsprechende Pläne keiten vonstatten gehen kann.

Nach der geplanten Erweiterung der EU 2004 um die MOEL (außer Bulgarien und Rumänien) sowie Malta und Zypern wird die landwirt- schaftliche Nutzfläche der EU von derzeit 135 Mio. Hektar um fast 40 Mio (29 %) auf 175 Mio. Hektar an- steigen. 2007 sollen mit Bulgarien und Rumänien weitere 21 Mio. Hektar hinzukommen.

32 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik 11/2002

6. LEBENSMITTELSICHERHEIT – VERBRAUCHERVERTRAUEN ERHALTEN

Die Lebensmittelsicherheit ist ein zentrales heit von Futtermitteln und Zusatzstoffen, Element der EU-Politik im Bereich Gesund- Kennzeichnung, Schadstoffen in Futter- heit und Verbraucherschutz. Im Rahmen mitteln, Kontrollen und Inspektionen) wer- des Weißbuchs zur Lebensmittelsicherheit den dagegen im Kapitel 7 "Landwirtschaft" wurde hier der neue Ansatz "vom Stall bis verhandelt. auf den Tisch" eingeführt. Dieser umfasst die gesamte Lebensmittelkette, und über- trägt – auf der Grundlage des Vorsorgeprin- zips – die Verantwortung für die Unbedenk- lichkeit und die lückenlose Rückverfolg- barkeit aller Nahrungsmittel in erster Linie den Akteuren der Lebensmittelwirtschaft. Den Behörden der EU-Mitgliedstaaten kommt dagegen die Aufgabe zu, die Ein- haltung der Bestimmungen zu überwachen. Die EU-Kommission kontrolliert schließ- lich, ob und wie die Mitgliedstaaten ihrer Aufsichtspflicht nachkommen. Dieser neue Ansatz muss auch von den Beitrittsstaaten übernommen werden, die dadurch vor eine große Herausforderung gestellt sind. Es wurden in den letzten Jahren dabei bereits viele Fortschritte erzielt, bis zum Beitritt 2004 bleibt aber nach wie vor einiges zu tun.

Im Rahmen der Beitrittsverhandlungen kommen Fragen der Lebensmittelsicherheit in zwei verschiedenen Kapiteln zur Spra- che: Im Kapitel 1 "Freier Warenverkehr" „Vom Stall bis auf den wird das Lebensmittelrecht im engen Sinne Die Verhandlungen über Lebensmittel- Tisch“ – Sichere Le- behandelt. Hierunter fallen allgemeine Be- sicherheit sind mit allen Beitrittsländern bensmittel, so lautet stimmungen über Lebensmittelhygiene und mit Ausnahme Rumäniens bereits vorläufig die Forderung der EU Kontrollen, Lebensmittelkennzeichnung, abgeschlossen. Keines der Beitrittsländer auch an die Beitritts- länder. Katastrophen Lebensmittelzusätze, Verpackung und gen- hat Übergangsfristen im Bereich des Le- wie der BSE-Skandal technisch veränderte Lebensmittel. Vor- bensmittelrechts beantragt. Über die Aspek- sollen in der erweiter- schriften des Veterinärrechts (Tiergesund- te Veterinärmedizin, Pflanzenschutz und ten EU weitgehend heit, artgerechte Tierhaltung, Kennzeich- Tierernährung wurde bereits mit acht Bei- ausgeschlossen wer- nung und Registrierung von Tieren, trittsländern, die 2004 beitreten sollen, eine den: Rinderhaltung in Dusejov (Tschechien). Kontrollsysteme im Binnenmarkt, Kontrol- Vereinbarung geschlossen. Mit Polen und Im Juni 2001 mussten len an den Außengrenzen und Gesundheits- Malta dauern die Verhandlungen noch an. diese Rinder (insge- schutzanforderungen an Betriebe in Bezug Wichtige Fragen, die bis zum Beitritt noch samt 139) aus dem auf tierische Erzeugnisse), des Pflanzen- zu klären sind, betreffen die Fähigkeit der BSE-betroffenen Stall schutzes (Schadorganismen, Schädlings- Beitrittsländer, ausreichende Kontrollen der vernichtet werden. bekämpfungsmittel, Saatgut und Pflanzen- Importe an den zukünftigen EU-Außen- hygiene) sowie der Tierernährung (Sicher- grenzen zu gewährleisten. Hinzu kommen

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die Einhaltung der strengen Vorschriften ne Betrieb auf den neuesten Stand gebracht der EU in Bezug auf BSE, die Anpassung wird. Außerdem muss jährlich ein Bericht von Lebensmittelbetrieben an EU-Stan- über die Entwicklungen vorgelegt werden, dards und die Einhaltung der EU-Tier- um die Fortschritte überprüfen zu können. schutzbestimmungen. Für einige der Beitrittsländer hat die EU Für die Umstellung von Lebensmittelverar- bereits Übergangsbestimmungen für eine beitungsbetrieben haben zum Beispiel fast begrenzte Anzahl von Betrieben angenom- alle Beitrittsländer Übergangsfristen von men. Allerdings wurden im Gegenzug stren- durchschnittlich drei Jahren ab dem Beitritt ge Auflagen bezüglich der besonderen beantragt. Um die Anwendung der Über- Kennzeichnung der dort hergestellten Er- gangsfristen so gut wie möglich organisie- zeugnisse erteilt. Diese Produkte dürfen ren zu können, fordert die Europäische nicht EU-weit vermarktet werden, sondern Kommission von den Beitrittsländern die müssen auf dem Markt des betreffenden Vorlage ausführlicher Informationen über Beitrittsstaats verbleiben. Deshalb müssen die Situation in den betreffenden Lebens- sie eindeutig von denjenigen unterschieden mittelverarbeitungsbetrieben und eines ver- werden können, die im gesamten EU- bindlichen Zeitplans, nach dem jeder einzel- Binnenmarkt verkauft werden dürfen.

TAIEX

Die Einrichtung des Amtes für den Informationsaustausch über technische Hilfe (Technical Assistance Information Exchange Office - TAIEX) war im Weißbuch über die Vorbereitung der assoziierten mitteleuropäischen Länder auf ihre Integration in den Binnenmarkt (Mai 1995) vorgeschlagen worden. Das von der Kommission verwaltete Amt sollte ursprünglich lediglich die mittel- und osteuropäischen Länder unterstützen und über die binnenmarktrelevante Gesetzgebung informieren, um so die Entstehung des Binnenmarktes zu fördern. Der Euro- päische Rat von Luxemburg (Dezember 1997) hat jedoch beschlossen, dass alle beitrittswilli- gen Länder unterstützt werden sollen. Ansprechpartner von TAIEX sind die Verwaltungen der beitrittswilligen Ländern und der Mitgliedstaaten. Das Amt stellt die Rechtsakte zur Verfü- gung, die den gemeinschaftlichen Besitzstand bilden und organisiert Schulungen und Besuche von Sachverständigen in den interessierten Ländern.

TAIEX hilft besonders bei der Umsetzung und Anwendung der umfangreichen EU- Gesetzgebung im Bereich der Landwirtschaft. Weitere Schwerpunkte sind die Gebiete Justiz und Inneres sowie Finanzdienstleistungen. Besondere Programme werden für die Parlamente der Kandidatenländer entwickelt sowie für die regionalen Behörden, die ebenfalls über den für sie relevanten Teil des "aquis communautaire" informiert werden müssen. TAIEX spielt auch eine zentrale Rolle im Rahmen des "Screening", bei dem geprüft wird, inwieweit die Gesetzgebung der beitrittswilligen Länder mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften vereinbar ist. Obwohl das Amt unabhängig vom Programm PHARE ist, sind seine Tätigkeiten damit verknüpft, da bestimmte von ihm angebotene Dienste aus PHARE finanziert werden können.

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Diejenigen Betriebe, die den strengen EU- Vorschriften zum Beitrittsdatum nicht entsprechen und keinen Übergangsregelun- gen unterliegen, müssten dann geschlossen werden. Viele kleine Lebensmittelverar- beitungsbetriebe oder Schlachthöfe, welche die Standards nicht erfüllen können, wer- den allerdings bereits vor dem Beitritt durch den anhaltenden Rationalisierungs- Ein zentrales Element prozess ihre Tätigkeit einstellen. der EU-Politik im Bereich Gesundheit und Verbraucher- Bei allen diesen drängenden Problemen schutz ist die Lebens- unterstützt die EU die notwendigen An- mittelsicherheit. Dies passungen in den Beitrittsländern mit ih- wird auch in allen ren Finanzinstrumenten PHARE und Beitrittsländern so gesehen: Sterillabor SAPARD: Die zur Umstellung von Grenz- bei der Höchst AG in kontrollstellen benötigten Investitionen wie Frankfurt. auch Zuschüsse zur Deckung der Kosten von BSE-Tests werden aus dem Programm In Ergänzung zu den laufenden Beitritts- PHARE finanziert. SAPARD leistet dage- verhandlungen hat der für Lebensmittel- gen in zahlreichen Fällen finanzielle Hilfe, sicherheit zuständige Kommissar David um Betriebe, die Fleisch, Milchprodukte, Byrne alle Bewerberländer aufgefordert, Fisch oder sonstige landwirtschaftliche Strategien für die Lebensmittelsicherheit Erzeugnisse verarbeiten und vermarkten, auszuarbeiten. In diesem Dokument sollte auf den neuesten Stand zu bringen, das darlegt werden, welche Maßnahmen zur heißt anzupassen, umzubauen oder neu ein- Umsetzung und Durchführung geplant sind, zurichten. Allein hierfür sind fast eine und wie die für Lebensmittelsicherheit ver- Milliarde Euro vorgesehen. Darüber hinaus antwortlichen Verwaltungs- und Kon- unterstützt die EU die Anpassungsbe- trollbehörden koordiniert werden sollen. mühungen der Kandidatenstaaten auch Alle 12 Bewerberländer sind dieser Auffor- durch TAIEX, das Amt für den Informa- derung gefolgt. Diese Strategie soll den tionsaustausch über technische Hilfe (siehe Beitrittsstaaten dabei helfen, die Anpas- Kasten links). sungsmaßnahmen zu planen und zu koordi- nieren. Eine besondere Schwierigkeit im Rahmen der Beitrittsverhandlungen besteht darin, Eine der wichtigsten Aufgaben der Euro- dass die Rechtsvorschriften auf diesem päischen Kommission in der Vorbeitritts- Gebiet derzeit laufend aktualisiert werden. phase ist es, die Umsetzung der entspre- Denn die im Weißbuch zur Lebensmit- chenden Bestimmungen in nationales Recht telsicherheit vorgestellten 84 Einzelmaß- zu überprüfen. Zunächst konzentrierte sich nahmen zur Verbesserung und Vereinfa- diese Überwachung vor allem auf die Fort- chung des EU-Lebensmittelrechts werden schritte bei der Umsetzung der Rechts- erst nach und nach durch die Kommission vorschriften. Nachdem hier große Fort- vorgeschlagen und von EU-Ministerrat und schritte erzielt worden sind, wird nun Europäischem Parlament als Gesetzgeber schwerpunktmäßig die Anwendung der verabschiedet. neuen Vorschriften vor Ort kontrolliert.

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Hier spielt das Europäische Lebensmittel- der Lebensmittelhygiene in der Europäi- und Veterinäramt in Dublin, das für die schen Union zuständig ist, eine zentrale Überwachung der Rechtsvorschriften im Rolle. Im laufenden Jahr 2002 haben In- Veterinär- und Pflanzenschutzbereich und spektionsbesuche in den Beitrittsländern höchste Priorität: etwa 25 % der Mittel des EU-Erweiterung – Landwirtschaftlicher Lebensmittel- und Veterinäramts werden Produktionswert der EU-Bewerberländer* dafür aufgewendet, um in jedem der 10 Beitrittsstaaten 4 bis 5 Inspektionsreisen durchführen zu können. In Milliarden Euro, 1999

Ungarn Die Lebensmittelsicherheit ist ein äußerst Bulgarien (13%) wichtiger Aspekt im Erweiterungsprozess, (11%) bei dem sich die EU auf keine Kompromisse einlassen kann. Die Beitrittsstaaten müssen 4,4 Tschechien 3,4 daher zur Kenntnis nehmen, dass die (7%) Einhaltung der EU-Bestimmungen zur Rumänien 2,5 Baltische Länder Lebensmittelsicherheit unabdingbar ist und (23%) 1,7 7,8 (5%) es hier zu keinerlei Übergangsregelungen 1,4 Slowakei (4%) kommen kann, die zu einer Senkung der Sicherheitsstandards oder zu Risiken für 1,1 Slowenien (3%) die europäischen Verbraucher führen könn- 0,7 Zypern/Malta (13%) ten. Vor einem Beitritt im Jahr 2004 bleibt 10,9 also noch viel zu tun. Die EU wird die Kandidatenländer weiterhin bei ihren An- strengungen unterstützen und alles in ihrer Polen (32%) Macht stehende tun, damit die Erweiterung *) ohne Türkei auch für den Bereich der Lebensmittel- sicherheit ein voller Erfolg wird.

Artgerechte Tierhaltung ist eine Voraussetzung für Lebensmittelsicherheit und Verbrauchervertrauen: Gänsezucht in Ungarn. Die Verhandlungen über Lebensmittelsicherheit mit den Beitrittsstaaten sind so gut wie abgeschlossen.

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7. DER LÄNDLICHE RAUM – DIE STRUKTUREN BEWAHREN

Wenn wir heute vom "ländlichen Raum" in der Landwirtschaft bei der Abgrenzung von Europa sprechen, müssen wir uns bewusst städtischen und ländlichen Gebieten heran- sein, dass es eine Vielzahl von ländlichen gezogen. Die "OECD" (Organisation for Eco- Gebieten mit den unterschiedlichsten Struk- nomic Cooperation and Development) z.B. turen gibt. Die Definition des "Ländlichen bezeichnet ein Gebiet als ländlich, wenn Raums" bleibt daher oft unscharf. Meist seine Bevölkerungsdichte weniger als 150 werden Kriterien wie Bevölkerung und Be- Einwohner pro qkm aufweist. Hierin spielt völkerungsanstieg, aber auch sozioökono- die Landwirtschaft eine wesentliche Rolle. mische Aspekte, wie beispielsweise Brutto- Ungefähr die Hälfte der Flächen Europas inlandsprodukt und Arbeitslosenquote in wird von Landwirten bewirtschaftet.

EU-Erweiterung: Landwirtschaftlich genutzte Flächen

Landwirtschaftliche Nutzfläche Ackerland in 1000 in Prozent der Hektar je Hektar je Hektar Gesamtfläche Kopf der Kopf der Bevölkerung Bevölkerung

Bulgarien 5.582 50,3 0,74 0,51

Estland 891,3 21,8 0,98 0,77

Lettland 2.450 39,3 1,02 0,76

Litauen 3.489 53,4 0,91 0,79

Polen 18.220 58,3 0,48 0,36

Rumänien 14.811 62,1 0,66 0,41

Slowakei 2.444 49,8 0,45 0,27

Slowenien 491 24,2 0,25 0,09

Tschechien 4.282 54,3 0,42 0,30

Ungarn 5.854 62,9 0,61 0,48

MOEL-10 58.662 54,4 0,58 0,41

Malta 12 38,1 0,03 0,03

Türkei 41.488 53,5 0,46 0,37

Zypern 134 14,5 0,18 0,12

EU-15 130.443 40,6 0,36 0,20

Quelle: EU-Kommission und Eurostat

37 11/2002 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik

Mit der Politik zur Entwicklung des ländli- chen Raums2, die im Rahmen der Agenda 2000 im Jahre 1999 in Berlin als 2. Säule der GAP neben den Marktausgaben eingeführt wurde, begann die EU mit ersten Schritten, einen solchen multifunktionalen und inte- Die Modernisierung In diesem Zusammenhang betrachten wir grierten Ansatz zu verfolgen. Die Verordnung der landwirtschaft- die Entschließung der Konferenz von Cork selbst bedeutet eine erhebliche Vereinfa- lichen Betriebe gehört 1 chung der gemeinschaftlichen Rechtsvor- zu den wichtigsten zum ländlichen Raum aus dem Jahre 1996 Maßnahmen in den als eine Richtschnur für die Aufgaben der schriften: Die vor 1999 geltenden neun Ziel-1-Regionen Zukunft in einer erweiterten Union. Wichtig Verordnungen wurden durch einen einzigen (Regionen mit ist die Entwicklung einer umfassenden Rechtstext ersetzt. Außerhalb der sogenann- Entwicklungsrück- Strategie für den ländlichen Raum. Diese ten Ziel-1-Regionen (Regionen mit Entwick- stand): sanierungs- lungsrückstand) werden die Maßnahmen zur bedürftiger Hof im sollte das Ergebnis eines integrierten Kon- westböhmischen zepts sein, welches die Anpassung und Förderung der ländlichen Entwicklung nur Grenzgebiet. Entwicklung der Landwirtschaft, die wirt- noch aus dem EAGFL3-Abteilung Garantie, schaftliche Diversifizierung, die Bewirt- d. h. aus einer einzigen Quelle, finanziert. schaftung natürlicher Ressourcen, die Stär- kung der Umweltfunktionen und die Wichtigste Maßnahmen sind die Förderung Förderung von Kultur und Freizeitak- der Modernisierung der landwirtschaftli- tivitäten zum Ziel hat. Diesen integrierten chen Betriebe und die Verarbeitung und Ansatz müssen wir auch in denjenigen Vermarktung qualitativ hochwertiger land- Ländern Mittel- und Osteuropas fördern, wirtschaftlicher Erzeugnisse. Außerdem die ab 2004 als neue Mitglieder der Union kann die Rentabilität der landwirtschaftli- beitreten sollen. chen Betriebe durch Förderung der Nieder- lassung von Junglandwirten und eine ver- Die Förderung des ländlichen Raums in besserte Vorruhestandsregelung erhöht einer erweiterten EU muss sowohl einen werden. Überdies wurden Maßnahmen zur Impuls zur Aufrechterhaltung der landwirt- Förderung der Forstwirtschaft und zur schaftlichen Produktion als auch zur Schaf- Verbesserung der Lebensqualität in den fung von Alternativen geben. Diese müssen ländlichen Gemeinden und zur Diversifi- nicht zwangsläufig Teil der landwirtschaftli- zierung in neue Tätigkeiten eingeführt. chen Produktion sein. Eine solche Diversi- fizierung, die Flexibilität und neue Produk- Durch Agrarumweltmaßnahmen werden um- tionsziele verlangt, muss insbesondere in weltfreundliche landwirtschaftliche Produk- den MOEL gründlich vorbereitet werden. tionsverfahren gefördert. Um die GAP noch Dazu gehört auch, dass sich im nachgela- stärker an Umweltbelangen auszurichten, gerten Bereich Strukturen entwickeln, die werden Ausgleichszahlungen, die vor 1999 für Produktinnovationen offen sind. Dies nur den Landwirten in den benachteiligten hilft den ländlichen Raum zu stärken und Gebieten zugute kamen, auch in jenen ge- verbindet die Agrarpolitik mit der Regional- währt, in denen die Landwirtschaft "umwelt- und Strukturpolitik. spezifischen Einschränkungen" unterliegt.

1 Die Erklärung von Cork; Die Europäische Konferenz über ländliche Entwicklung von 7. bis 9. November 1996 in Cork, Irland; LEADER Magazin Nr. 13 – Winter, 1997 2 Verordnung (EG) Nr. 1257/1999 des Rates v. 17.5.1999 über die Förderung u. Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAFGEL) u. zur Änderung bzw. Aufhebung bestimmter Verordnungen. 3 Europäischer Ausgleichs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft.

38 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik 11/2002

Im Rahmen der geltenden Regelungen ist sen in allen Programmen enthalten sein. es nun Sache der Mitgliedstaaten, ihre Dieses erfolgreiche Modell, welches im Rah- erarbeiteten und von Brüssel genehmigten men der Mid-Term-Review (MTR) der Agen- Programme durchzuführen. In Deutsch- da 2000 auf Vorschlag der EU-Kommission land konnten unsere Bundesländer aus der (siehe auch Kasten) noch um den Tier- Palette von Maßnahmen, die in der Verord- schutz, die Lebensmittelsicherheit sowie die nung zur Entwicklung des ländlichen Qualitätserzeugung erweitert werden soll, Raums vorgesehen sind, diejenigen aus- wird gerade den strukturschwächeren Re- wählen, die ihren Erfordernissen und gionen in den mittel- und osteuropäischen Prioritäten am genauesten entsprechen. Staaten nach erfolgtem Beitritt helfen, ihre Einzig die Agrarumweltmaßnahmen müs- Probleme schneller zu überwinden.

EU-Erweiterung: Bedeutung der Agrar- und Ernährungswirtschaft

Anteil der Landwirtschaft Agrarhandel Nahrungsmit- einschl. Forstwirtschaft und (1990) telausgaben in Fischerei in Prozent Prozent des Bruttowert- Erwerbs- %-Anteil %-Anteil Haushalts- schöpfung tätige am Ge- am Ge- einkommens (2000) (2000) samtimport samtexport

Bulgarien 13,8 26,7 5,8 15,4 50

Estland 5,8 7,1 13,8 8,9 39

Lettland 4,7 15,1 22,8 8,6 44

Litauen 7 16,5 11,6 12,7 48

Malta 2,4 1,9 11,4 2,7 *

Polen 3,4 19,2 7,2 9,2 34

Rumänien 14,6 44,4 8,0 5,7 59

Slowakei 4,6 6,3 7,2 4,1 21

Slowenien 3,1 9,9 7,5 3,3 20

Tschechien 4,2 4,6 6,5 4,4 20

Türkei 12,1 35,4 * * *

Ungarn 4,3 6,1 3,5 9,0 19

Zypern 3,9 4,9 26,4 59,3 *

EU-15 1,7 4,3 6,1 5,8 17 * keine Angaben Quelle: EU-Kommission und ZMP

39 11/2002 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik

MID-TERM-REVIEW

Die Europäische Kommission hat im Juli 2002 eine Halbzeitbewertung des Agrarteils der 1999 im Rahmen des EU-Gipfels von Berlin beschlossenen Agenda 2000 vorgelegt1. Sie vertritt darin die Auffassung, dass die öffentlichen Ausgaben für den Agrarsektor besser gerechtfer- tigt werden müssen. Neben der Stützung der landwirtschaftlichen Einkommen müssen diesen Leistungen Gegenleistungen gegenüberstehen – in Form von sicheren Lebensmitteln, einer intakten Umwelt, der Einhaltung von Tierschutzauflagen, der Landschaftspflege, der Erhaltung des kulturellen Erbes oder in Form von mehr sozialer Ausgewogenheit und Gerechtigkeit. Um diese Ziele zu erreichen, schlägt die Kommission vor,

die Direktzahlungen (= direkte Einkommensbeihilfen von Seiten der EU) von der Produk- tion zu entkoppeln, diese Zahlungen an die Einhaltung von Mindeststandards in den Bereichen Umwelt, Lebensmittelsicherheit, Tierschutz und Betriebssicherheit zu binden, die EU-Mittel für die Entwicklung des ländlichen Raums durch eine obligatorische Modulation (= Kürzung der Direktzahlungen an die Landwirte und Umwidmungsmöglich- keit für Maßnahmen der Strukturförderung) deutlich aufzustocken. Kleinerzeuger sollen davon allerdings ausgenommen sein, eine obligatorische Flächenstilllegung in Höhe von 10%, verbunden mit der Möglichkeit der Produktion von Energie- und Industriepflanzen einzuführen, in der Landwirtschaft ein System betriebsbezogener Audits (= systematische, unabhängi- ge Untersuchung einer Aktivität und ihrer Ergebnisse) aufzubauen und im Rahmen der Entwicklung des ländlichen Raums neue Maßnahmen vorzusehen, um die Erzeugung von Qualitätslebensmitteln, die Lebensmittelsicherheit und den Tierschutz zu fördern und die Kosten der betriebs-bezogenen Audits decken zu können.

Für den Bereich der Marktpolitik schlägt die Kommission vor,

den Prozess der Reformen im Getreidesektor zu beenden, speziell durch eine ab- schließende Senkung des Interventionspreises (= Preis, den die EU bezahlt, wenn sie landwirtschaftliche Überschüsse aufkauft und als Vorrat einlagert) um 5% und eine Neuregelung des Außenschutzes, Abschaffung der Roggenintervention, den spezifischen Zuschlag für Hartweizen abzusenken und eine Qualitätsprämie einzuführen, den Interventionspreis für Reis zu senken und dafür einen Ausgleich zu gewähren und die Regelungen für Trockenfutter, Eiweißpflanzen und Schalenfrüchte zu ändern.

1 Halbzeitbewertung der Gemeinsamen Agrarpolitik - KOM(2002) 394 endg.

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Die Entwicklung der Landwirtschaft: Maßnahmen zur Stabilisierung des Agrar- Eine große Herausforderung für den sektors ebenso wie die Umsetzung der EU- ländlichen Raum Gesetzgebung vor dem Beitritt nun be- schleunigt statt, nachdem die ersten Jahre Im Zuge des Übergangs zur Marktwirtschaft des Überganges Störungen mit sich ge- kam es in den ländlichen Räumen der bracht hatten. Dies zeigen uns auch die im MOEL zu einer weitreichenden Umstruktu- Oktober 2002 veröffentlichten Fortschritts- rierung der Landwirtschaft, beginnend mit berichte der Europäischen Kommission2 der Privatisierung von Boden und Anlagen. zur Erweiterung sehr deutlich. Da die herkömmlichen Vertriebswege zum großen Teil wegfielen, kamen die landwirt- Von großer Bedeutung sind insbesondere die schaftlichen Produkte nur noch mit Schwie- administrativen Herausforderungen, die auf rigkeiten zu den Endverbrauchern. die Kandidatenländer zukommen. Maßnah- men im Rahmen von SAPARD, PHARE oder Durch den Zusammenbruch der Handels- TAIEX tragen jedoch bereits dazu bei, die beziehungen zwischen den einzelnen Län- Verwaltungsstrukturen den Anforderungen dern des COMECON1 sind gerade den MOE- der EU anzupassen. Ländern wichtige Einkommensquellen abhanden gekommen, die nur langsam wie- Weitere Fortschritte werden aber nicht nur der zurückgewonnen werden können. In von den zukünftig am Verhandlungstisch den meisten Kandidatenstaaten finden eingegangenen Verpflichtungen abhängen.

In den EU-Mitglied- staaten liegt die Quote der in der Landwirtschaft Beschäftigten weit unter dem Durch- schnitt der Beitritts- länder (s. S. 39). Spitzenreiter sind Griechenland (17%), Portugal (12,5%) gefolgt von Irland (7,9%) und Frankreich (6,9%).

1 Council for Mutual Economic Assistance 2 AUF DEM WEG ZUR ERWEITERTEN UNION – Strategiepapier und Bericht der Europäischen Kommission über die Fort- schritte jedes Bewerberlandes auf dem Weg zum Beitritt (SEK (2000) 1400-1412).

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Entscheidend wird der Nachweis darüber mittelsektor die Effizienzkriterien der EU- sein, wann und wie die Beitrittskandidaten 15 gelten und die kleinsten Betriebe auf- den gemeinschaftlichen Besitzstand an geben müssen. In den hochentwickelten Rechtsregelungen voll in ihr nationales Industriestaaten hat sich dieser Prozess Recht integriert haben und wie in den schon vollzogen. Folgejahren nach dem für 10 Staaten avi- sierten Beitritt 2004 die praktische Um- Die Mitgliedstaaten der EU hatten jedoch setzung erfolgt. Jahrzehnte Zeit und erhielten eine entspre- chende Förderung, um diesen Umstellungs- Dies erfordert in den MOEL die Schaffung prozess zu lenken und abzumildern. Die Be- notwendiger Verwaltungskapazitäten und triebe in den MOEL müssen dies dagegen in die Einführung wirksamer Kontrollmecha- kürzester Zeit und unter schlechteren kon- nismen im Bereich Landwirtschaft und junkturellen Bedingungen vollziehen. In der ländlicher Raum. EU konnte dieser Wechsel sozial verträglich gestaltet werden, weil die Aufgabe der land- wirtschaftlichen Betätigung über den Ge- Die Zukunft des Agrarsektors nerationswechsel verlief und Arbeitskräfte in anderen Bereichen benötigt wurden. Welche Szenarien sind nun in näherer In den Kandidatenstaaten besteht somit die Wichtige Maßnahmen Zukunft im Agrarsektor in den Beitritts- ernste Gefahr, dass es nach dem Beitritt zu im Rahmen der staaten zu erwarten? Sicher ist: Die Kon- einer schnellen und massiven Arbeits- Strukturförderung kurrenzverhältnisse im ländlichen Raum losigkeit im ländlichen Raum kommt. Der sind Hilfen für eine moderne Vermarktung: werden zunehmend dafür sorgen, dass in Grund liegt auf der Hand: Viele der land- Bauernmarkt in Polen der Landwirtschaft und im Nahrungs- wirtschaftlichen Betriebe in den Beitritts- staaten werden nach einem erfolgten Bei- tritt nicht mehr wettbewerbsfähig sein und aufgeben müssen. Für die aus der Landwirt- schaft kommenden Arbeitskräfte besteht derzeit kaum eine Möglichkeit, innerhalb kurzer Zeit in anderen Sektoren in den länd- lichen Räumen Arbeit zu finden. Diese Problematik könnte zu erheblichen sozialen und politischen Spannungen führen. Dies gilt auch und gerade für die Grenzregionen (siehe Kasten Seite 43).

Strukturmaßnahmen zur Förderung des ländlichen Raums

Die Kapazität zur Aufnahme von Arbeits- kräften dürfte sich durch die fortgesetzte Umstrukturierung in der Landwirtschaft stark verringern. Um nun zu vermeiden,

1 „Erweiterung und Landwirtschaft: Die erfolgreiche Integration der neuen Mitgliedstaaten in die GAP“ – Diskussionspapier (SEK (2002) 95 endgültig vom 31.1.2002).

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GRENZREGIONEN

Das wirtschaftliche Gefälle zwischen den Mitgliedstaaten und den Beitrittsländern wird in den Grenzregionen besonders deutlich. Die Grenzregionen werden zwar auf lange Sicht von der Er- weiterung und der damit verbundenen Integration der Volkswirtschaften der Nachbarländer profi- tieren. Zunächst müssen sie jedoch einen umfassenden Anpassungsprozess meistern.

Ein "soziales Projekt" Die Erweiterung kann nur gelingen, wenn sie ein "soziales Projekt" ist. Die Bevölkerung in den Grenzregionen sind dabei am unmittelbarsten von der Erweiterung betroffen. Für einen erfolgrei- chen Erweiterungsprozess kommt es deshalb wesentlich darauf an, grenzüberschreitende Kooperationspotenziale in diesen Regionen für eine nachhaltige Entwicklung in ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht zu erschließen. Dies erfordert zum einen, im Beitrittsvertrag Übergangsregeln für die sensiblen Bereiche wie Arbeitnehmerfreizügigkeit und Teile der Dienst- leistungsfreiheit zu verankern, um mit einer schrittweisen und flexiblen Öffnung die Arbeits- marktentwicklung nicht zu gefährden. Zum anderen erfordert dies aber auch, die Bevölkerung und die regionalen Akteure in den besonders betroffenen Grenzräumen bestmöglich auf die bevor- stehenden strukturellen Änderungen vorzubereiten und flankierende Maßnahmen zur sozialen Abfederung zu ergreifen. Die Kommission gibt an, dass bis 2006 146 Mio. Euro an INTERREG-Mitteln für die Grenzregionen von EU-Mitgliedstaaten zu den Beitrittstaaten zur Verfügung stehen, aber nur rund 109 Mio. Euro an komplementären Mitteln für die Grenzregionen der Beitrittsstaaten zur EU. Für Grenzregionen in den Beitrittsstaaten soll die Gemeinschaftsaktion lediglich 50 Mio. Euro für die Bereiche Umwelt und Verkehr zur Verfügung stellen. Die Grenzregionen der Beitrittsstaaten erreichen mehrheitlich nicht einmal die Hälfte des BIP pro Kopf ihrer Partner-Grenzregionen aus den Mitgliedstaaten. Uns erscheint jedoch diese Förderung der Grenzregionen in den Beitrittsstaaten als unzureichend. Ohne eine mittelfristige Annäherung der Wohlstandsniveaus kann die Erweiterung für die betrof- fenen Grenzregionen jedoch kaum zu jenem "sozialen Projekt" werden, dass auch von der Kommission angestrebt wird.

Ist ein Zustrom von Arbeitskräften aus den Beitrittsländern zu befürchten? Die Europäische Union hat beschlossen, dass die nationalen Beschränkungen, die für den Zugang von Arbeitskräften aus einem Beitrittsstaat gelten, nach der Erweiterung noch zwei Jahre lang bestehen bleiben können. Darüber hinaus kann eine Verlängerung um maximal fünf Jahre verein- bart werden. Diese Fristen, die das Ergebnis eines Kompromisses sind, sollen eine mögliche Bela- stung des Arbeitsmarktes in bestimmten Branchen vermeiden. Diese Übergangsregelungen soll- ten nur nach reiflicher Überlegung angewendet werden, um die Glaubwürdigkeit der EU als Rechtsgemeinschaft und als Binnenmarkt nicht zu untergraben. Nach unserer Auffassung sollten die "Grenzregionen", die als erste mit den Folgen der Grenzöffnung konfrontiert werden, gezielte finanzielle Hilfe erhalten. Über den Zuzug von Arbeitskräften aus den Beitrittsländern in die Grenz- regionen der EU gibt es unterschiedliche Prognosen. Aus dem EU-Beitritt Spaniens und Portugals im Jahre 1986 kann man jedoch folgende Erkenntnis ableiten: trotz eines erheblichen wirtschaftli- chen Gefälles ist es nicht zu einer wesentlich erhöhten Wanderungsbewegung von Arbeitskräften in der EU gekommen.

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dass soziale Spannungen innerhalb der jun- chen Räumen an, und dies zusätzlich zu gen Demokratien Osteuropas auftreten, einer gleichzeitigen Stärkung und Aus- wird es erforderlich sein, dass die daraus weitung der zweiten Säule der GAP, der resultierenden sozialen Folgen mit entspre- oben beschriebenen Förderung des ländli- chenden strukturpolitischen Maßnahmen chen Raums. Die Kommission geht hier mit abgefedert werden. Hier bieten sich, neben ihren Vorschlägen1 in die richtige Richtung. einer Diversifizierung der ländlichen Wirt- Vom Tag des Beitritts an sollen eine Reihe schaft, die Einführung entsprechender Vor- von Maßnahmen zur Förderung der Ent- ruhestandsregelungen an. wicklung des ländlichen Raums von der EU zum Höchstsatz von 80% kofinanziert wer- Welche Strukturmaßnahmen sind noch den. Diese Maßnahmen sollen derzeit Vor- sinnvoll? Für den ländlichen Raum in den ruhestandsregelungen, Aufforstung, der Beitrittsländern bleibt die Landwirtschaft Aufbau von Erzeugerorganisationen, In- für lange Zeit ein zentraler Wirtschaftsfak- vestitionen, Vermarktung, technische Hilfe tor. Entzieht man der Landwirtschaft die sowie eine neue Maßnahme für Kleinbe- ökonomischen Chancen, hat dies die Ver- triebe (sog. semi-subsistenzwirtschaftliche armung ganzer Landstriche und Landflucht Betriebe) umfassen. Außerdem werden die zur Folge. Das kann und darf nicht unser neuen Mitgliedstaaten aus dem Europäi- Ziel sein. Als Lösung bietet sich in den schen Fonds für regionale Entwicklung MOEL eine verstärkte Konzentration auf (EFRE) und dem Europäischen Sozialfonds Strukturfördermaßnahmen in den ländli- (ESF) Unterstützung für die Wirtschafts- förderung in ländlichen Gebieten sowie für Die Landschaftspflege Ausbildungs- und Arbeitsförderungsmaß- rückt immer mehr in den Vordergrund nahmen erhalten. landwirtschaftlicher Tätigkeit und rechtfer- Dieser Ansatz ist richtig, um den Struk- tigt neben vielen turanpassungsprozeß und die ländliche anderen Leistungen Entwicklung insgesamt, auch angesichts die öffentlichen Ausgaben für den des wirtschaftlichen und sozialen Bedarfs in Agrarsektor: Land- den ländlichen Gebieten, voranzutreiben. schaft im tschechi- Aber Erhaltung der Landwirtschaft heißt – schen Westböhmen insbesondere in den MOEL – Erhaltung der ökonomischen Aktivitäten überhaupt. Die Landwirtschaft ist das Fundament für die weiteren ökonomischen Aktivitäten. Um eine erfolgreiche Integration zu erreichen, dürfen dabei nicht jegliche Strukturen zer- schlagen werden. Vielmehr sind überlebens- fähige Strukturen zu schaffen, die sich am multifunktionalen und nachhaltigen euro- päischen Agrarmodell orientieren müssen.

Kurz-, mittel- und langfristig ist eine Umorientierung der GAP hin zu einem ge- ringeren Gewicht auf Preisstützung und stärkerer Ausrichtung auf eine preis- und

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mengenunabhängige Förderung der ländli- tigen Grundstücksmarkt im ländlichen chen Entwicklung sinnvoll. In diese Rich- Raum damit negativ beeinflussen. Um dies tung geht auch die Kommission, wenn sie zu verhindern, fordern einige der Beitritts- nun vorschlägt, die Direktzahlungen (= di- staaten wie etwa Bulgarien, Rumänien und rekte Einkommensbeihilfen von Seiten der Polen lange Übergangsfristen in Bezug auf EU) von der Produktion zu entkoppeln und den Bodenerwerb. Hier gilt es, den jeweili- als flächenorientierte Betriebsbeihilfe aus- gen Einzelfall zu betrachten und für beide zugestalten. Seiten angemessene Lösungen zu finden. Wichtig ist ebenfalls, dass alle kommenden Es scheint angeraten, diese Reform Mitglieder ein funktionierendes Bodenrecht schnellstmöglich auf den Weg zu bringen. in den ländlichen Räumen einführen, um Durch Reduzierung des Preisgefälles und Investitionen und Planungssicherheit für Unterstützung der Strukturanpassung wird die Landwirte zu ermöglichen. eine solche neue Orientierung der GAP auch und gerade den Bedürfnissen der Bei- trittsländer entgegenkommen. Sie benöti- SAPARD und der ländliche Raum gen Strukturverbesserungsprogramme für die Landwirtschaft und die unmittelbar Wichtig ist weiterhin, dass die EU-Vor- nachgelagerten Bereiche, um noch immer beitrittshilfe SAPARD in den MOEL jetzt bestehende unbewältigte strukturelle Hin- erfolgreich greift (siehe weiter oben). Die dernisse zu beseitigen. Wir regen an, eine Überwindung der Anfangsschwierigkeiten, regionale Produktion und Direktvermark- was die Programminhalte und die Einrich- tung stärker als bislang zu fördern und tung von Zahlstellen angeht, ist absehbar. joint-ventures zwischen Unternehmen aus Dies wird dazu beitragen, vorhandene EU- der EU und aus den Beitrittskandidaten in Mittel so produktiv wie möglich einzuset- den jeweiligen ländlichen Regionen eine zen, um die Agrarsektoren in den ländlichen spezielle Unterstützung zukommen zu las- Räumen bereits vor einem Beitritt bei der sen. Anpassung an das künftige wirtschaftliche Umfeld zu unterstützen. Am Beispiel von Dies darf jedoch nicht Übernahme der dor- SAPARD wird deutlich, dass bislang in der tigen Betriebe durch Investoren aus dem Vorbeitrittsphase Zeit verschenkt worden Westen bedeuten. Denn: In den Kandi- ist, um die Landwirtschaft der MOEL und datenstaaten herrscht ohnehin die Befürch- die ländlichen Räume strukturell zu unter- tung, dass ausländische Investoren in stützen. Diese verlorene Zeit müssen wir großem Stil Land aufkaufen und den dor- jetzt aufholen.

Für die MOE-Länder bleibt die Landwirt- schaft ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Dies gilt vor allem für Polen, das mit 18,435 Mio. Hektar die dritt- größte landwirtschaft- lich genutzte Fläche in Europa aufweist: Seenlandschaft in Nordpolen.

45 11/2002 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik

8. AUSBLICK: PROBLEME BEWÄLTIGEN – CHANCEN NUTZEN

Wir befürworten, schneller erfolgen als die Beschäftigungsfra- dass vom ersten ge sozial vertretbar gelöst werden kann. Tage des Beitritts Viele Menschen wohnen in ländlichen Ge- an eine Reihe von bieten, in denen sie mehr oder weniger auf Maßnahmen zur der Grundlage einer Selbstversorgungsland- Entwicklung des wirtschaft leben. Diese Kleinstruktur hat ländlichen Raums jedoch seine Qualitäten und bedeutet keine von der EU mit bis größere Belastung für die Gesellschaft. Wir zu 80% kofinan- bejahen deshalb besondere Hilfen für ziert werden sol- Selbstversorgungsbetriebe. Denn gerade die len, verbunden mit vielen kleinen Einheiten stellen eine Res- einer besonderen source für Wohn- und Lebensqualität dar. Unterstützung für Selbstversor- Es ist dennoch notwendig, einen lebenskräf- gungsbetriebe. Die tigen ländlichen Raum mit diversifiziertem Maßnahmen zur Wirtschaftsleben in einer modernen Infor- Entwicklung des mations- und Dienstleistungsgesellschaft zu ländlichen Raums schaffen. Wir stellen uns eine parallele Ent- müssen ausgewei- wicklung von effektiven, größeren Betrieben tet und auf den Er- und kleineren Selbstversorgungsbetrieben fahrungen der EU vor, die in Verbindung mit Freizeit- und mit der zweiten Erholungsaktivitäten wie Öko- und ländli- Säule der GAP sowie der Beitrittsländer mit chem Tourismus für ergänzende Einkünfte dem SAPARD-Programm basieren. sorgen können. Jenen Betrieben, die expan- dieren möchten, sollten gute Voraussetzun- Da die EU-Mitgliedschaft eine große Um- gen geboten werden, doch ist weder eine stellung in den MOE-Ländern bedeutet, ist große noch eine kleine Produktion ein es wichtig, dass die Veränderungen nicht Selbstzweck für sich.

46 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik 11/2002

Die Regionalbeihilfen der EU müssen die Wir treten dafür ein, dass die Agrarpolitik Entwicklung einer wettbewerbsfähigen in der erweiterten EU ihre Multifunktiona- Landwirtschaft mit der Schaffung zusätz- lität, die sich auf dem so genannten euro- licher Arbeitsplätze im ländlichen Raum päischen Modell gründet, bewahren soll. kombinieren. Wir sind der Auffassung, dass Als Ecksteine der neuen Politik gilt es, die es ratsam wäre, auf dem SAPARD-Pro- Ressourcen des ländlichen Raums zur gramm aufzubauen. Dessen dezentrale Aus- Erzeugung von Lebensmitteln, Brenn- und richtung sollte weiter entwickelt werden. Faserstoffen und die Erhaltung einer Erleb- niswelt in den ländlichen Räumen Europas Eine Erweiterung der EU beinhaltet die zu nutzen, die biologische Vielfalt zu er- Notwendigkeit von Veränderungen, auch in halten sowie die natürliche und die kul- der Landwirtschaftspolitik der jetzigen turelle Umwelt zu schützen. Eine erweiter- Mitgliedstaaten. Die Lebensmittel- und te EU wird Lebensmittel weit über den Futtermittelskandale der letzten Jahre, der Selbstversorgungsgrad hinaus erzeugen Ausbruch von Tierseuchen und die Auf- können. deckung von Tierquälereien haben dazu geführt, dass die europäischen Verbraucher Auf Grund der großen Bedeutung der zum Teil ihr Vertrauen in die Lebensmittel Landwirtschaft für die EU-15 wie auch für verloren haben. Die jetzige Politik konzen- die Kandidatenstaaten bilden der landwirt- triert sich auf den Landwirt und die Pro- schaftliche Sektor und die Interessen der duktionsmengen. Doch ist es gerade in einer ländlichen Bevölkerung ein zentrales Ele- erweiterten Union an der Zeit, den Verbrau- ment. Daher ist gerade dort eine politisch, cher und die Qualität in den Mittelpunkt sozial und wirtschaftlich ausgeglichene zu stellen, und dabei den ländlichen Raum Lösung der Erweiterung anzustreben, ohne zu erhalten und eine nachhaltige Erzeugung dass die mit ihr verbundenen Kosten auf mit erneuerbaren Ressourcen sicherzu- den Schultern der Schwächsten abgeladen stellen. werden.

47 11/2002 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik

9. DIE LANDWIRTSCHAFT IN EINEM ER- WEITERTEN EUROPA – 10 POSITIONEN

Wir Sozialdemokraten sehen die Notwen- mit wichtigen Akteuren aus Wirtschaft, digkeit zur strukturellen und eigenständi- Gesellschaft und Politik eine neue Alli- gen Weiterentwicklung der Landwirtschaft anz eingehen; und der ländlichen Räume in einer erwei- terten EU. Unsere Positionen dazu lauten: Wir treten dafür ein, dass die Hand- lungsfelder, die den ländlichen Raum in Wir sind der Ansicht, dass die bisherigen einer erweiterten EU neben der Land- Erweiterungen der EU maßgeblich zu wirtschaft tragen, also die Sport- und einem Europa des Friedens, der Sicher- Kulturförderung, naturgemäße Wald- heit und des Wohlstands beigetragen wirtschaft, Bildungspolitik, Tourismus- haben. Die dabei gemachten Erfahrun- förderung, Dorf- und Regionalentwick- gen können auch bei der anstehenden lung und Förderung des Mittelstands im Erweiterungsrunde nach Osten und Handwerks-, Dienstleistungs- und Ge- Südosten als Vorbild dienen; werbesektor, vernetzt und gebündelt werden; Wir bejahen daher die kommende Erwei- terung um bis zu 13 Staaten und treten Wir sehen die Notwendigkeit, individuel- dafür ein, dass vor allem im landwirt- le Entwicklungspotentiale zu fördern, um schaftlichen Sektor politisch und wirt- die Wohn-, Arbeits- und Lebensverhält- schaftlich ausgeglichene Lösungswege nisse in den ländlichen Räumen Europas beschritten werden; insgesamt zu verbessern;

Wir wollen, dass der anvisierte Fahrplan Wir setzen uns dafür ein, dass der für die Erweiterung eingehalten wird, Bereich Lebensmittelsicherheit auch damit die am weitesten fortgeschrittenen nach der nächsten Erweiterungsrunde Kandidatenstaaten der EU im Jahre 2004 zentrale Bedeutung behält und keinerlei beitreten und an der Wahl zum Europä- Übergangsregelungen vereinbart wer- ischen Parlament teilnehmen können; den, die zu einer Senkung der geltenden Sicherheitsstandards oder zu Risiken für Wir wollen die Instrumente der Agrar-, die europäischen Verbraucher führen Regional- und Strukturförderung in einer könnten; erweiterten EU sinnvoll einsetzen, um die multifunktionale und nachhaltige Land- Wir sind der Ansicht, dass in ei- wirtschaft zu erhalten und auszubauen; nigen Bereichen Übergangsregelungen für einen begrenzten Zeitraum notwen- Wir wünschen, dass die von der EU dig sind, um den Anpassungsprozess zu angebotene Vorbeitrittshilfe für die erleichtern: Dazu zählen insbesondere Landwirtschaft SAPARD nach überwun- die Gewährung von Direktzahlungen für denen Anfangsschwierigkeiten einen po- die Kandidatenstaaten durch eine stu- sitiven Beitrag zu einer nachhaltigen fenweise Einführung, wie auch Regelun- Entwicklung in den ländlichen Räumen gen im Bereich des Bodenerwerbs für die der Kandidatenstaaten leistet; Bürger der EU-15 in den MOEL. Aller- dings darf es nicht dazu kommen, dass Wir möchten in ganz Europa eine aktive wir auf lange Sicht zwei unterschiedliche Dorf- und Regionalpolitik mit den Men- Agrarpolitiken innerhalb einer erweiter- schen vor Ort verwirklichen und dazu ten EU erhalten.

48 THEMA EUROPA

DER EUROPÄISCHE RAT IN KOPENHAGEN

Der Europäische Rat in Kopenhagen hat am 12. technische Hilfe und 13. Dezember die Beitrittsverhandlungen eine besondere Unterstützung zur Erfüllung mit Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der EU-Normen Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern abgeschlossen. Damit diese Weitere Maßnahmen zur ländlichen Entwick- 10 Staaten wie geplant zum 1. Mai 2004 beitre- lung werden aus den Strukturfonds (EAGFL, ten können, sind nun zunächst die Beitrittsver- Abteilung Ausrichtung) finanziert. träge auszuarbeiten und diese dann der Kom- mission zur Stellungnahme sowie dem Europä- Sondermaßnahme für semi-subsistenzwirt- ischen Parlament zur Zustimmung vorzulegen schaftliche Betriebe Die Unterzeichnung des Beitrittsvertrages soll Für die zahlreichen "semi-subsistenzwirtschaft- am 16. April 2003 in Athen stattfinden. Gerade lichen Betriebe" in den Beitrittsländern, die ei- im Bereich der Landwirtschaft wurden in der gentlich für den Eigenbedarf erzeugen, aber letzten Verhandlungsrunde noch wesentliche auch einen Teil ihrer Erzeugung auf dem Markt Hindernisse aus dem Weg geräumt absetzen, wurden spezifische Maßnahmen be- schlossen. Um diesen Betrieben zu helfen, sich zu rentablen Erwerbsbetrieben weiterzuentwik- Die Beschlüsse von Kopenhagen zur Land- keln, wird eine zusätzliche Einkommensstüt- wirtschaft im Einzelnen1 zung während dieser Ausbauphase bereitgestellt.

Eine verbesserte Politik zur Entwicklung des Stufenweise Anhebung der Direktzahlungen ländlichen Raums Durch eine sofortige Einführung der Direkt- Um die Strukturprobleme in den ländlichen zahlungen in voller Höhe würden die derzeiti- Gebieten der neuen Mitgliedstaaten zu lösen, gen Strukturen unverändert aufrechterhalten vereinbarte der Gipfel eine verbesserte Politik und Modernisierungsmaßnahmen behindert., zur Entwicklung des ländlichen Raums. Diese Daher einigten sich die EU-Regierungschefs ist breiter angelegt und verfügt über eine besse- darauf, die Fördermittel auf die Maßnahmen re Mittelausstattung als die vergleichbaren zur Entwicklung des ländlichen Raums zu kon- Maßnahmen für die derzeitigen Mitgliedstaaten, zentrieren und die Direktzahlungen stufenweise nämlich 5,1 Milliarden Euro für den Zeitraum während eines Übergangszeitraumes von zehn 2004-2006. Vom Tag des Beitritts an soll eine Jahren einzuführen. Das Anfangsniveau im Jahr breite Palette von Maßnahmen zur Förderung 2004 wird einem Anteil von 25 % der derzeitigen des ländlichen Raums von der EU bis zu einem Direktzahlungen in der EU entsprechen. Die Höchstsatz von 80 % kofinanziert werden: Zahlungen werden im Jahr 2005 auf 30 % und im Jahr 2006 auf 35 % angehoben. Vorruhestandregelungen für Landwirte Fördermaßnahmen für benachteiligte Ge- In einer zweiten Phase nach dem Jahr 2006 wer- biete und Gebiete mit umweltspezifischen den die Direktzahlungen weiterhin jährlich Einschränkungen angehoben, bis 2013 in den neuen Mitglied- Agrarumweltmaßnahmen staaten die dann in der EU geltende Förderung Aufforstung landwirtschaftlicher Flächen voll erreicht wird. Diese gekürzten Direkt- spezifische Maßnahmen für semi-subsistenz- zahlungen können jedoch aus Mitteln für die wirtschaftliche Betriebe ländliche Entwicklung und aus einzelstaatlichen Gründung von Erzeugervereinigungen Mitteln ergänzt werden.

1 [Quelle: Europäische Kommission] 12/2002 THEMA EUROPA: Der Europäische Rat in Kopenhagen

Die Möglichkeit nationaler Zusatzfinanzie- werden. Die Kontrolle der Zahlungen soll durch rungen eine einfache Vor-Ort-Kontrolle der Flächen vor- Die neuen Mitgliedstaaten haben die Möglich- genommen werden, die im Prinzip mittels des keit, die an einen Landwirt geleisteten Direkt- Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems zahlungen mit vorheriger Zustimmung der Kom- (INVEKOS) durchzuführen ist. Am Ende des mission in folgendem Umfang aufzustocken: Übergangszeitraums sollen die neuen Mitglied- staaten in das reguläre System der direkten 1. um 30 % aus den Mitteln für die ländliche Einkommensstützung in der dann geltenden Entwicklung und aus einzelstaatlichen Mitteln Form voll einbezogen werden. bis auf 55, 60 bzw. 65 % in den Jahren 2004, 2005 und 2006.Ab 2007 ist eine weitere Auf- Festlegung von Produktionsquoten anhand stockung um 30 % über dem dann geltenden aktueller Referenzzeiträume Niveau möglich, jedoch ausschließlich aus ein- Der Rat beschloss, Produktionsquoten auf der zelstaatlichen Mitteln; Grundlage der neuesten historischen Referenz- zeiträume festzulegen, für die entsprechende oder Daten zur Verfügung stehen. Außerdem wurden besondere Problemlagen wie die Krise in Russ- 2. bis zur vollständigen Höhe der Direktzahlun- land oder der künftige Übergang vom Eigen- gen für bestimmte Agrarprodukte, die der Land- verbrauch zur Vermarktung von Milch berück- wirt vor dem Beitritt (also 2003) in dem be- sichtigt. treffenden Beitrittsland im Rahmen einer ver- gleichbaren nationalen Regelung erhalten hätte, zuzüglich 10 %. Für Zypern und Slowenien gel- Bewertung ten Sonderbestimmungen . Wir Sozialdemokraten im Europäischen Parla- Dabei dürfen die Direktzahlungen, die ein Land- ment begrüßen die getroffenen Vereinbarungen, wirt nach dem Beitritt einschließlich aller zu- da sie ausgewogen sind und den Schwerpunkt sätzlichen nationalen Zahlungen erhält, keines- an der richtigen Stelle legen: Maßnahmen im falls höher sein, als die Direktzahlungen für das Bereich der ländlichen Entwicklung sollen in betreffende Produkt in einem der derzeitigen den zehn neuen Mitgliedstaaten eine besonders EU-Mitgliedstaaten. wichtige Rolle spielen und erhalten deshalb eine größere finanzielle Unterstützung als in den der- Vereinfachte Durchführung der Direktzah- zeitigen Mitgliedstaaten. Dabei wurde insbeson- lungsregelung dere auch die Fähigkeit der Kandidatenstaaten Nach dem vereinfachten System sollen die berücksichtigt, die bereitgestellten Gelder auch neuen Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten, abzurufen und sachgerecht zu verteilen. Wichtig Direktzahlungen befristet in Form flächenbezo- ist, dass die neuen Mitglieder die Planung für gener Zahlungen zu gewähren, die produktions- ihre Programme zum ländlichen Raum nun unabhängig sind und für die gesamte land- beschleunigt angehen, damit die bereitgestellten wirtschaftliche Nutzfläche gezahlt werden. Auf Mittel bereits 2004 in voller Höhe fließen kön- der Grundlage eines Direktbeihilfen-Gesamtrah- nen. mens und ausgehend von der bewirtschafteten landwirtschaftlichen Nutzfläche soll für jedes Daneben sind vor allem die besonderen Maß- Land ein Durchschnittsbetrag für die flächenbe- nahmen für semi-subsistenzwirtschaftliche Be- zogenen Zahlungen berechnet werden. Die triebe und die vereinfachten Regeln für die Zahlungen können für alle Arten von landwirt- Direktzahlungen zu begrüßen, die ganz spezi- schaftlichen Flächen gewährt werden. fisch an die Situation der Landwirtschaft in den neuen Mitgliedstaaten angepasst sind. Diese Regelung ist zeitlich befristet und freiwil- lig. Die vereinfachte Regelung gilt für drei Jahre Mit Kopenhagen sind nun die Weichen für eine und kann zweimal um je ein Jahr verlängert erfolgreiche Erweiterung gestellt worden! THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik 11/2002

ANHANG

ABKÜRZUNGEN

Acquis Communautaire Gemeinschaftlicher Rechtsbestand EAGFL Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft EFRE Europäischer Fonds für regionale Entwicklung EG Europäische Gemeinschaft(en) EP Europäisches Parlament EU Europäische Union EUV Vertrag über die Europäische Union EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft GAP Gemeinsame Agrarpolitik INTERREG Gemeinschaftsinitiative für internationale Zusammenarbeit ISPA Instrument for Structural Policies for Pre-Accession Strukturpolitisches Instrument zur Vorbereitung auf die Erweiterung LEADER Liaison entre actions de développement de l´économie rurale (Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft) Gemeinschaftsinitiative zur Förderung des ländlichen Raums MOEL Mittel- und Osteuropäische Länder OECD Organization for Economic Cooperation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) PHARE Poland and Hungary: Action for the Restructuring of the Economy Finanzinstrument der Heranführungsstrategie für die Beitritts- kandidaten, ursprünglich nur für Polen und Ungarn SAPARD Special Accession Programme for Agriculture and Rural Development Beitrittssonderprogramm für die Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung zur Vorbereitung des Beitritts der Bewerberländer in Mittel- und Osteuropa während des Heranführungszeitraums TAIEX Technical Assistance Information Exchange Office Amt für den Informationsaustausch über technische Hilfe für die Vorbereitung der assoziierten mitteleuropäischen Länder auf ihre Integration in den Binnenmarkt

49 11/2002 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik

WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN

Europäische Kommission Generaldirektion Erweiterung http://www.europa.eu.int/comm/enlargement/index_de.html http://wwGeneraldirektion Landwirtschaft http://www.europa.eu.int/comm/agriculture/index_de.htm Generaldirektion Regionalpolitik http://europa.eu.int/comm/dgs/regional_policy/index_de.htm Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz http://www.europa.eu.int/comm/dgs/health_consumer/enlargement/index_de.html Programm PHARE opa.dehttp://europa.eu.int/comm/secretariat_general/sgc/aides/forms/elarg01_de.htm ht Programm SAPARD http://europa.eu.int/comm/secretariat_general/sgc/aides/forms/agri02_de.htm Heranführungsprogramm für Malta http://europa.eu.int/comm/secretariat_general/sgc/aides/forms/elarg02_de.htm Erweiterung und Landwirtschaft http://www.europa.eu.int/comm/agriculture/external/enlarge/index_de.htm Glossar zu EU-Fragen spd-europahttp://europa.eu.int/scadplus/leg/decig/g4000.htm

Der Rat der Europäischen Union http://ue.eu.int/de/Info/eurocouncil/index.htm

Europäisches Parlament Erweiterung 15+ http://www.europarl.eu.int/enlargement //www.spdAusschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung http://www.europarl.eu.int/committees/agri_home.htm

Nationale Landwirtschaftsministerien - Erweiterungskandidaten Bulgarien http://www.mzgar.government.bg/mz_eng/default.asp Estland http://wwhttp://www.agri.ee/eng/

50 THEMA EUROPA: EU-Erweiterung und Agrarpolitik 11/2002

Lettland http://www.zm.gov.lv/index.php/eng Litauen http://terra.zum.lt/min/index.cfm?langparam=EN Malta ww.spd-eurhttp://www.maf.gov.mt Polen http://www.minrol.gov.pl/glowna-eng.html Rumänien http://www.maap.ro/index_ro.htm Slowakei http://www.mpsr.sk/english/index.htm Slowenien ttp://www.http://www.sigov.si/mkgp/eng/index.htm Tschechische Republik http://www.mze.cz/eng/ Türkei http://www.tarim.gov.tr/english/english.htm Ungarn http://www.fvm.hu/english/english.html a.deZypern http: http://www.ari.gov.cy/

Die SPD im Internet Deutschland - Bundespartei http://www.spd.de Bayern d-eurpa.dehttp://www.spdbayern.de Hessen http://www.spd-hessen.de Mecklenburg-Vorpommern http://www.spd-landesverband-mv.de Deutsche Delegation der SPE-Fraktion im Europäischen Parlament http://www.spd-europa.de Europäische Sozialisten - die PSE-Gruppe im Europäischen Parlament ww.spd-eurhttp://www.socialistgroup.org/gpes/htm/de/default.htm

51 ZULETZT IN DIESER REIHE ERSCHIENEN:

Europa bildet sich EU-Fördermöglichkeiten im Jugend- und Bildungsbereich

von Lissy Gröner MdEP

Europa fördert EU-Fördermöglichkeiten

von MdEP

Unser Geld – unser Euro Der Euro ist mehr als nur neues Geld

von Christa Randzio-Plath MdEP

Im Mittelpunkt der Mensch Lösungsansätze für die Daseinsvorsorge in der Europäischen Union

von MdEP

Verkehr und Umwelt Strategien für ein nachhaltiges Verkehrssystem in Europa

von MdEP, MdEP, MdEP

Europas Weg in die Zukunft – Erneuerbare Energien

von Mechthild Rothe MdEP

Nachbestellungen siehe Versandadresse auf Seite 2