Der Verrat Die Attentäter Kamen Getarnt Als Gute Freunde, Sie Brachten Rosen Mit: Kein Anschlag Der RAF Löste Größere Entrüstung Aus Als Der Mord an Jürgen Ponto
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Serie (VI): „Offensive 77“ FRANZ RUCH FRANZ RAF-Frau Albrecht (Fahndungsfoto von 1977), Bankier Ponto bei einer Pressekonferenz (1974), Witwe Ponto bei der Beerdigung ihres Ehemanns (1977)*: Der Verrat Die Attentäter kamen getarnt als gute Freunde, sie brachten Rosen mit: Kein Anschlag der RAF löste größere Entrüstung aus als der Mord an Jürgen Ponto. Die Schüsse auf den Bankier zerstörten auch die langjährige Freundschaft von zwei Hamburger Bürgerfamilien. Von Bruno Schrep ie hat nie auf einen Menschen ge- RAF-Untergrundkämpfern Brigitte Mohn- Die Tat sprengte auch die lange Freund- schossen. Sie hat nie mitgeholfen, haupt und Christian Klar Zugang zum Pri- schaft zweier Hamburger Großbürgerfami- S Bomben zu bauen oder Sprengfallen vathaus des Dresdner-Bank-Chefs Jürgen lien. Innerhalb weniger Sekunden wurde zu installieren. Und sie hat, entschiedener Ponto. zerstört, was in Jahrzehnten gewachsen war. als andere, der Gewalt abgeschworen. Eingelassen wird sie als gute Bekannte, Jürgen Ponto und Hans-Christian Al- Dennoch: Ihr persönlicher Beitrag zum als Tochter von Pontos engem Freund, dem brecht lernen sich kurz nach dem Krieg an Terrorismus der RAF gilt bis heute als un- Hamburger Rechtsanwalt Hans-Christian der Hamburger Universität kennen. Ponto erreicht infam, als unerreicht verwerflich. Albrecht. Zur Tür hinaus flieht sie als Ver- war als Panzerjäger beim Russland-Feld- Er gilt als ein Anschlag auf Werte, deren brecherin, als Gejagte, die sich fortan stän- zug von einem Granatsplitter in den Kopf Verletzung beim Miteinander zivilisierter dig verbergen muss. getroffen worden, hatte nur knapp über- Menschen tabu ist: Anstand, Vertrauen, Warum sie den unerhörten Verrat be- lebt. Albrecht wiederum ist mit Schimpf Gastfreundschaft. ging, ist rätselhaft bis heute. Stand sie wirk- und Schande aus Hitlers Armee gejagt Die Rede ist von Susanne Albrecht, An- lich unter so enormem Druck, wie sie worden, weil er von einer jüdischen Groß- waltstochter aus Hamburg, gelernte Päd- selbst früher behauptete? Oder war sie mutter abstammt. agogin, verurteilt wegen Mordes. doch so fanatisiert, so von ihrer Mission Am 30. Juli 1977, einem heißen Som- überzeugt, dass sie den Tabubruch einfach * Mit Sohn Stefan (l.) und Tochter Corinna auf dem Wald- mertag, erschleicht sie sich und den beiden in Kauf nahm? friedhof Sensbachtal. 98 der spiegel 42/2007 immer wieder ein Name: Susanne, in der Familie „Susi“ genannt. Das Mädchen, ge- boren im März 1951, ist das Sorgenkind der Familie. Groß, in ihren Bewegungen etwas lin- kisch, in ihrem Körper noch nicht richtig zu Hause, grübelt die 16-Jährige oft tage- lang in ihrem Zimmer, starrt vor sich hin, spricht kaum, gibt auf Fragen keine Ant- wort. Wenn Besuch kommt, verdrückt sie sich demonstrativ in die hinterste Ecke. Besonders die Mutter, oft sehr streng, dann wieder liebevoll, mit ihrer Hausfrau- enrolle nicht uneingeschränkt glücklich, findet immer seltener Zugang zur Tochter, der Vater nimmt sich viel zu wenig Zeit. Bringt Susanne eine Schulfreundin mit nach Hause, fragt er höchstens: „Was ist denn der Papa von Beruf?“ – eine Reak- tion, die seine Tochter empört. „So geht das mit dir nicht mehr weiter“, schimpft die Mutter, als Susanne auf dem Gymnasium immer tiefer absackt. Die Halbwüchsige wird auf ein Internat in Holzminden geschickt. Als sie nach zwei Jahren zurückkehrt, das Abitur hat sie ge- rade so geschafft, wirkt sie auf die Eltern fremder denn je – und aggressiver. Zorn, manchmal sogar Verachtung rich- tet sich jetzt gegen das eigene Elternhaus, vor allem gegen den Vater, in ihren Augen ein etablierter Spießer. Ihm wirft sie seine CDU-Mitgliedschaft vor, seinen Erfolg, sein Geld, seine Freunde. „Meine Herkunft war mir peinlich“, erklärt sie später bei einer Vernehmung – für die Zeit zwischen 1968 und 1971 nicht ungewöhnlich. Zehn- HEINZ WIESELER / PICTURE-ALLIANCE / DPA / PICTURE-ALLIANCE HEINZ WIESELER DPA tausende rebellieren gegen ihre Elternhäu- Ein Anschlag auf Werte, deren Verletzung tabu ist ser, gegen autoritäre Universitätsprofes- soren, gegen ehemalige Nazi-Funktionäre Aber jetzt herrscht Aufbruchstimmung. mann in Sachen Seerecht. Er kauft ein gro- in der Politik, gegen den kapitalistischen Beide Männer eint die Überzeugung, dass ßes Haus im vornehmen Stadtteil Blanke- Staat. Aus gutem Hause zu stammen gilt alles anders werden muss, das prägt auch nese, setzt ein Schwimmbad in den Garten. als Makel. ihre Freundschaft. Ein neues Land, ein bes- Der Aufstieg von Ponto verläuft noch Die inzwischen 21-Jährige zieht aus, stu- seres Land soll entstehen, und sie wollen rasanter. Der Kaufmannssohn, eigentlich diert Pädagogik und Soziologie. Organisiert ihren Teil dazu beitragen. Sie helfen mit, eher ein musisch begabter Mensch, arbei- nebenbei Spielnachmittage für milieuge- an der zerstörten Universität den Schutt tet sich in der Dresdner Bank vom Refe- schädigte Vorschulkinder einer Hochhaus- wegzuräumen. Hans-Christian Albrecht renten in der Rechtsabteilung bis zum Vor- siedlung, wäscht verdreckte Fünfjährige, engagiert sich im Studentenausschuss, tritt standsmitglied hoch. Er gilt als brillanter will unbedingt etwas tun gegen die Unge- in die neugegründete CDU ein, wird als Redner und glänzender Repräsentant. rechtigkeit der Welt. Und gerät über neue erster Student in die Hamburgische Bür- 1969, mit 46 Jahren, wird er zum Vor- Freunde – mit den alten hat sie gebrochen gerschaft entsandt. Jürgen Ponto, ein Nef- standssprecher der Bank befördert. – in die linksradikale Szene. fe des Schauspielers Erich Ponto, spielt auf Die Freundschaft erstreckt sich da längst Bei der Räumung eines besetzten Hau- Studentenbühnen mit, verfasst kritische auch auf die Familien. Die vier Kinder der ses – die Studentin hat sich aus Solidarität Artikel für die „Hamburger Akademische Albrechts, drei Töchter und ein Sohn, sind zu den Besetzern gesellt – wird sie vorläu- Rundschau“. bekannt mit Corinna und Stefan, den beiden fig festgenommen, erstmals von der Polizei Nahezu im Gleichschritt schließen die en- Kindern der Pontos. Anwalt Albrecht ist als auffällig registriert. Die grobe Behand- gen Freunde ihr Jurastudium ab, heiraten, Pate von Pontos Tochter Corinna, Bankier lung – sie muss sich auf den Bauch legen, machen Karriere. Albrecht wird Sozius in Ponto ist Pate von Albrechts jüngster Toch- ihre Hände werden rüde auf dem Rücken einer Hamburger Anwaltskanzlei, die sich ter Julia. Seit die Pontos 1966 von Hamburg gefesselt, und dann wird sie abgeführt – schnell zur bevorzugten Adresse der han- in die Nähe von Frankfurt gezogen sind, bestärkt sie im Glauben, dass ihre neuen seatischen Gesellschaft entwickelt. Der char- dem Hauptsitz der Dresdner Bank, besu- Freunde recht haben, wenn sie die Bun- mant wirkende Advokat mit den guten Ma- chen sich die Familien gegenseitig. desrepublik als Polizeistaat schmähen, der nieren, sicher im Auftreten, fachlich top, Wenn dabei über die Kinder gesprochen reiche Spekulanten schützt und Anders- avanciert zum international gefragten Fach- wird, fällt seitens Mutter Christa Albrecht denkende misshandelt. Da liegt es nahe, dass auch die Propa- ganda von der „Folterung der politischen Susanne Albrecht, geboren im März 1951, Gefangenen“ bei ihr verfängt. Sie schließt ist das Sorgenkind der Familie. sich einem von linken Anwälten gegrün- der spiegel 42/2007 99 stands mystifizierten Männern und Frauen will auch sie gehören. Ponto entspricht zudem allen Klischees, die sich Linksradikale von einem erfolg- reichen Kapitalisten machen: Unter seiner Führung hat sich die Bilanzsumme der Dresdner Bank mehr als verdoppelt, er sitzt in zahlreichen Aufsichtsräten, Bun- deskanzler Helmut Schmidt erwägt gar, ihn zum Bundesfinanzminister zu machen. Auch als Bundesbankpräsident ist er im Gespräch. Bei so einem Opfer, kalkulie- ren die Terroristen, werde die Regierung bestimmt schwach. Dass sich hinter diesem Klischee ein Mensch verbirgt, weltoffen, humorvoll, liberal, bereit auch für den Dialog mit An- dersdenkenden – dies alles können und wollen seine Feinde nicht wissen. Ihnen genügt das Zerrbild vom skrupellosen Großbankier. Susanne Albrecht soll bei der geplanten Entführung Pontos die Türöffnerin spie- len. „Sie stand mächtig unter Druck“, hat ein ehemaliger Genosse später ausgesagt. Sie selbst erinnert sich an den Satz: „Tust du das nicht, bist du ein Schwein.“ PICTURE-ALLIANCE / DPA PICTURE-ALLIANCE Sie habe weder den Mut noch die Kraft Ehepaar Ponto in seiner Jagdhütte in Mölln: Kontaktaufnahme zu „Onkel Jürgen“ gehabt, „mich diesem Ansinnen zu wider- setzen“, wird Susanne Albrecht später den deten Komitee an, das Demonstrationen deshalb in der Szene als „bürgerliches Ermittlern erklären – doch für eine Wei- organisiert, Flugblätter verteilt und ein Schwein“ beschimpft. Bei den Besuchen gerung fehlt es ihr wohl auch am Willen. Infosystem zwischen den RAF-Häftlingen kommt es regelmäßig zu Schreiereien, Vor- „Dem fanatischen Wunsch, die Häftlinge in den verschiedenen Gefängnissen instal- würfen, Tränen. Die Eltern fühlen sich hilf- rauszuholen, hat sie alles untergeordnet“, liert. Zwar hat sie sich bisher für die RAF los. Schon Auftreten und Äußeres der glaubt eine enge Bezugsperson, „einfach nicht sonderlich interessiert. Doch plötzlich Tochter provozieren sie. alles. Die Beziehung zur Familie, das Prin- verschlingt sie Berichte über Kontaktsper- Das Mädchen, früher meist mit Rock zip von Treu und Glauben, alles.“ re, Isolation, Besuchsverbote. und Bluse bekleidet, trägt nur noch zer- Tatsache ist: Ein Gewissenskonflikt ist schlissene Jeans und ausgeleierte Pullover, an ihren