Günter Grass * 16.10.1927, Deutschland
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Günter Grass * 16.10.1927, Deutschland Biogramm 01 Günter Grass, geboren am 16. 10. 1927 in Danzig im Vorort Langfuhr. Die Eltern führten eine Kolonialwarenhandlung. Besuch des Danziger Gymnasiums Conradinum ab 1937. 1944 zunächst Flakhelfer und Arbeitsdienst, danach Kriegsdienst als Panzerschütze. Wie erst 2006 anlässlich der Publikation des biografischen Werks “Beim Häuten der Zwiebel” öffentlich bekannt wurde, wurde Grass, der sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hatte und zu den U-Booten wollte, einer Einheit der Waffen-SS, der 10. SS-Panzerdivision Frundsberg, zugeteilt. 1945 leichte Verwundung und amerikanische Kriegsgefangenschaft. 1946/47 Arbeit bei Bauern und in einem Kalibergwerk. 1947 Beginn einer Steinmetzlehre in Düsseldorf. 1948–1952 Studium der Bildhauerei und Grafik an der Kunstakademie Düsseldorf bei Sepp Mages und Otto Pankok, 1953–1956 Bildhauerstudium an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin bei Karl Hartung. 1954 Heirat mit der Schweizer Ballettstudentin Anna Schwarz. Ab 1955 regelmäßige Teilnahme an den Tagungen der Gruppe 47. 1956–1959 Aufenthalt in Paris, Aufgabe der bildhauerischen Arbeit. 1957 Geburt der Zwillinge Franz und Raoul. Grass schreibt an “Die Blechtrommel”, aus der er 1958 vor der Gruppe 47 liest. 1960 Rückkehr nach Berlin. 1961 Geburt der Tochter Laura, Begegnung mit Willy Brandt. Im Wahlkampf 1961 erstes persönliches Eintreten für Brandt, in den Bundestagswahlkämpfen bis 1972 zahlreiche Wahlveranstaltungen für die SPD, später häufig Reden bei Landtagswahlkämpfen. 1963 Berufung an die Berliner Akademie der Künste. 1965 Geburt des Sohnes Bruno. 1966 Reisen in die USA, in die Tschechoslowakei und nach Ungarn. 1972 Umzug nach Wewelsfleth, Schleswig-Holstein. 1974 Geburt der Tochter Helene. 1975 Indienreise. 1976 Gründung der Zeitschrift “L'76” (später “L'80”) gemeinsam mit Heinrich Böll und Carola Stern, Ehrendoktorwürde der Harvard University. 1978 Stiftung des “Alfred-Döblin-Preises”, Scheidung von Anna Grass. 1979 Verfilmung von “Die Blechtrommel” durch Volker Schlöndorff, Heirat mit der Organistin Ute Grunert. 1982 Eintritt in die SPD. 1983–1986 Präsident der Akademie der Künste Berlin. 1986 Übersiedlung nach Böhlendorf bei Mölln. August 1986 bis Januar 1987 Aufenthalt in Kalkutta. 1989 Austritt aus der Berliner Akademie der Künste, Rede vor dem Club of Rome. 1990 Ehrendoktortitel der Universität Poznán. 1992 Stiftung des Daniel-Chodowiecki- Preises, Austritt aus der SPD aus Protest gegen die Asylpolitik. 1993 Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt Gdańsk. 1997 Gründung der “Stiftung zugunsten des Roma-Volkes”. 1998 Wiedereintritt in die Akademie der Künste Berlin. 2000 Gründung der Wolfgang- Koeppen-Stiftung zusammen mit Peter Rühmkorf. 2002 erste Jemen-Reise. 2003 Ehrendoktorwürde der Universität Lübeck. 2004 zweite Jemen-Reise. 2005 Gründung des Autorenzirkels “Lübeck 05”, Ehrendoktortitel der Freien Universität Berlin, Indienreise. Im August 2006 entbrannte eine heftige Debatte um Grass' Mitgliedschaft in der Waffen-SS, wobei vor allem sein langes Verschweigen dieses biografischen Details kritisiert und der Glaubwürdigkeitsverlust des Autors konstatiert wurde, der mit großer moralischer Rigorosität stets die Aufarbeitung der Verstrickungen anderer in die NS-Zeit angemahnt hatte. Ebenfalls im August 2006 lehnte Grass die Annahme des Internationalen Brückepreises der Stadt Görlitz ab, weil CDU-Kommunalpolitiker vor dem Hintergrund der Debatte die Entscheidung der unabhängigen deutsch-polnischen Jury infrage gestellt hatten. Grass ist Mitglied des PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland. Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur - KLG Letzte Aktualisierung vom 01.06.2008 © edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG Günter Grass Preise Preise: Preis der Gruppe 47 (1958); Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen (1960) (nicht vergeben, da der Senat der Entscheidung der Jury die formal erforderliche Zustimmung versagte); Kritikerpreis (1960); Le meilleur livre étranger (1962, für “Die Blechtrommel”); Georg-Büchner-Preis (1965); Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte (1968); Fontane-Preis (1968); Theodor-Heuss-Preis (1969); Premio Internazionale Mondello (1977); Premio Letterario Viareggio (1978); Alexander-Majakowski-Medaille, Danzig (1979); Weinpreis für Literatur (1980); Antonio-Feltrinelli-Preis (1982); Leonhard-Frank-Ring der Stadt Würzburg (1988); “Der kleine Studentennobelpreis” des Germanistischen Instituts der Universität Szczezin (1988); Premio Grinzane Cavour, Italien (1992); Plakette der Freien Akademie der Künste Hamburg (1992); Hidalgo-Preis der spanischen Zigeunervereinigung (1993); Premio Comites, Italien (Verleihung in Berlin) (1993); Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (1994); Medaille der Universidad Complutense, Madrid (1994); Karel-Capek-Preis (1994) zusammen mit Philip Roth; Hermann-Kesten-Medaille (1995); Hans-Fallada-Preis (1995); Sonning-Preis der Universität Kopenhagen (1995); Thomas-Mann-Preis (1996); Samuel-Bogumil-Linde-Preis (1996); Fritz-Bauer-Preis (1997); Premio Principe de Asturias (1999); Nobelpreis für Literatur (1999); Viadrina-Preis der Europa-Universität Frankfurt an der Oder (2001); Literaturpreis der Stadt Budapest (2004); Hans-Christian-Andersen-Preis (2005); Ernst-Toller-Preis (2007). Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur - KLG Letzte Aktualisierung vom 01.06.2008 © edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG Günter Grass Essay 02 Wie kein anderer Schriftsteller der Bundesrepublik steht Günter Grass stellvertretend für die deutsche Nachkriegsliteratur. Die Verleihung des Literaturnobelpreises 1999 war deshalb eine in der literarischen Öffentlichkeit als selbstverständlich empfundene Bestätigung dieser Bedeutung. In der Begründung der Schwedischen Akademie wurde hervorgehoben, dass Grass, als er 1959 “Die Blechtrommel” veröffentlichte, “der deutschen Literatur nach Jahrzehnten sprachlicher und moralischer Zerstörung einen neuen Anfang vergönnt” hätte. Die Akademie ging davon aus, dass dieser Roman “zu den bleibenden literarischen Werken des zwanzigsten Jahrhunderts gehören wird”. Was schon 1968 von Hans Magnus Enzensberger konstatiert worden war, dass nämlich “das Bedürfnis, wenigstens ästhetisch auf der Höhe der Zeit zu sein, der Wunsch, das Klassenziel der Weltkultur zu erreichen”, durch das Erscheinen der “Blechtrommel” erfüllt worden sei, wurde 1999 noch einmal bestätigt. Die beiden Leistungen, für die Grass in dieser Begründung ausgezeichnet wird, sind erstens der sprachliche und moralische Neuanfang, der ihm gelungen war, und zweitens die herausragende Stellung, die er vor allen anderen im Kunstbetrieb eingenommen hat. Zu Beginn des Jahres, das mit dieser Ehrung schließen sollte, konnte man in einem großen Interview mit Harro Zimmermann lesen, wie stark Grass sich von anderen zu Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit hatte leiten lassen und wie hilflos er sich angesichts der nach dem Krieg plötzlich zugänglichen Weltkunst gefühlt hatte: “Alles war schon gemacht. Alles war besetzt. (…) Und dennoch meinte ich, etwas sagen zu müssen, etwas erzählen zu müssen, etwas darstellen zu müssen.” Das Credo, an das er sich damals hielt, das einzige, das für ihn feststand – “Ich will ein Künstler werden” –, lässt sich als Antrieb und Inhalt des gesamten Werks vom ersten Gedichtband “Die Vorzüge der Windhühner” bis zur Erzählung “Im Krebsgang” verstehen, als Grund für die Bewunderung, die Günter Grass erfährt, aber auch für die Ablehnung, auf die er genauso oft stößt. Seine Herkunft kann einiges erklären, die Kindheit im Danziger Vorort Langfuhr, der “so groß und so klein (war), daß alles, was sich auf dieser Welt ereignete oder ereignen könnte, sich auch in Langfuhr ereignete oder hätte ereignen können”, wie es in “Hundejahre” heißt. Aber nicht nur das, es gab auch die ganz spezielle Situation in dieser seit dem Versailler Vertrag 1920 Freien Stadt unter dem Mandat des Völkerbundes. Keinem Land zugehörig, wünschten sich die Deutschen ‘heim ins Reich’, während die Polen bemüht waren, ihre Kultur in der Stadt zu etablieren, und die Juden ihre Existenz behaupten mussten. Wie kaum eine andere Stadt wurde Danzig zum Modell für den Nationalsozialismus, seiner Verwurzelung im Minderwertigkeitskomplex des Kleinbürgertums, seiner Blut-und-Boden-Ideologie. “Die Vorbereitung des allgemeinen Verbrechens begann an vielen Orten gleichzeitig, wenn auch nicht gleichmäßig schnell; in Danzig, das vor Kriegsbeginn nicht zum Deutschen Reich gehörte, verzögerten sich die Vorgänge: zum Mit 03 schreiben für später”, bemerkte Grass im “Tagebuch einer Schnecke” dazu. Die Deutschen in Danzig nach dem Ersten Weltkrieg hatten immer schon das Gefühl, die eigene Heimat würde ihnen nicht ganz gehören; als sie diese Heimat dann durch einen Krieg verloren, der auch aus diesen Gründen geführt wurde, war das nur eine Bestätigung dieses Gefühls. So sind große Teile von Günter Grass' Werk der Versuch, die verlorene Heimat in der Schrift zu bewahren, insbesondere die “Danziger Trilogie”, aber auch entsprechende Passagen in den anderen Texten von “örtlich betäubt” über “Der Butt” bis zu “Im Krebsgang”. In diesem Nachzeichnen eines Erinnerungsraums steht Grass in der großen europäischen Tradition von Schriftstellern wie James Joyce, Thomas Mann und Marcel Proust. Der Kolonialwarenhandel seiner Eltern und die Zweizimmerwohnung im Langfuhrer Labesweg 13, wo Günter Grass und seine Schwester aufwuchsen, wurden zum Modell für den Haushalt, in