Nº 1 — Februar 2019

Warum sich dieses Kleid lohnt, auch wenn es sich nie rechnet

EDITORIAL

Die Magie einer Marke

Chanel ist . Und Karl Lager- feld ist . Selten sind ein Designer und ein Modehaus eine derart innige Symbiose eingegangen. Aber was wird aus Chanel, wenn Lagerfeld irgendwann abtritt? Die Frage mag schmerzhaft prag- matisch klingen, wird aber immer lauter gestellt, seit der 85-Jährige im Januar am Ende seiner Haute-Couture-Schauen erst- mals nicht persönlich die Huldigungen von Fans, Medien und Branche entgegen- nahm. Er fühle sich müde, hieß es. Andererseits schafft es der gebürtige Deutsche noch immer, die Marke mit Be- deutung und Kraft aufzuladen. Wie das geht, wie in sechs Wochen eine neue Cha- nel-Kollektion entsteht und aus einer Mo- denschau ein Weltereignis werden kann, das verfolgten meine Kolleginnen Stepha- nie Füssenich, Katharina Kort, Tanja Ku- chenbecker und ich im Herbst in Paris und New York. Wir konnten ein Kleid von Lagerfelds erster Skizze bis auf den Laufsteg begleiten – und lernten dabei viel über eine immer atemlosere Branche, aber auch über cleveres Marketing, den Mythos Mo- de und ein paar ihrer Erfolgsgeheimnisse (Seite 18). Da kann man übrigens auch viel von Birken- stock lernen, dessen Chef Oliver Reichert die traditi- onsreiche Sandalenmarke derzeit auf High Fashion trimmt. Jüngst konnte das Unternehmen aus Neu- stadt (Wied) sogar eine Kollaboration mit Valentino verkünden. Mein Kollege Peter Brors war fasziniert von Schlappen, Chef und Strategie (Seite 32). In Mauensee bei Luzern schließlich besuchte ich mit unserer Kunstexpertin Susanne Schreiber den berühmten Sammler Uli Sigg, den wohl größten Kenner der zeitgenössischen Kunst Chinas. Es wur- de ein Tag, an dem wir über das Wesen des Milliar- Foto oben: Unsere Chanel-Einladung zur denvolkes noch weit mehr erfuhren als über seine großen Schau in New York. Seite 18 Künstler (Seite 42). Man würde sich wünschen, dass Foto unten: Der Kunstsammler Uli Sigg (M.) Sigg nicht nur für Galeristen, sondern auch für den mit Susanne Schreiber und Thomas Tuma US-Präsidenten oder EU-Lenker zum Gesprächspart- in seinem Wasserschloss in Mauensee. ner wird. Die Welt wäre ein verständnisvollerer Ort. Seite 42

Ihr Thomas Tuma, Chefredakteur

Fotos: Andreas Chudowski für Handelsblatt Magazin, Michael Englert Michael für Handelsblatt Magazin, Andreas Chudowski für Handelsblatt Magazin Fotos: Unsere nächste Ausgabe erscheint am 22. März.

5 INHALT Nº 1 ― Februar 2019

18 Wie aus diesem Lagerfeld-Entwurf eine 40 000-Euro-Robe wird.

32 Profilschärfe: Warum Birkenstock plötzlich cool ist.

05 Editorial 08 Weltmarkt Israelisches Modedesign aus dem 3D-Drucker / Große Vasarely-Schau in Paris / Neue Transparenz für Schwindelfreie in Bangkok

12 Sechs Richtige Termine im März 14 Kantinenkritik Voestalpine 16 Blick-Wechsel Was war, was ist, was kommt, was bleibt? Vier Kolumnistinnen führen Buch.

18 Titel Mythos Chanel oder: Wie sich die Pariser Weltmarke immer wieder neu mit Bedeutung auflädt

32 Report Plötzlich cool – die Erfolgsgeschichte der Sandalengröße Birkenstock

38 Warenkorb Die große Logomania 40 Das Prinzip Oscar-Verleihung 42 Nahaufnahme Macht und Ohnmacht des berühmten Schweizer Kunstsammlers und Chinakenners Uli Sigg

52 Ortstermin Tel Aviv

54 Na Logo Celine Die andere Grafik Warum man Kindern Smartphones erlaubt Impressum 42 57 Ruhe bitte! Der Rettungssanitäter Florian Flück Chinakenner: Ein Besuch bei dem Kunstsammler Uli Sigg.

Fotos: Markus Burke für Handelsblatt Magazin, Michael Englert für Handelsblatt Magazin, Stephanie Füssenich für Handelsblatt Magazin für Handelsblatt Magazin Englert Füssenich Michael für Handelsblatt Magazin, Stephanie für Handelsblatt Magazin, Burke Markus Fotos: für Handelsblatt Magazin Füssenich Stephanie Titelbild: 58 Das letzte Wort von Richard David Precht

7 WELTMARKT

Blaues Wunder Nur wenige Kleidungsstücke haben die Welt verändert. Die Jeans gehört definitiv dazu. Am 26. Februar wäre ihr Erfinder Levi Strauss 190 Jahre alt geworden. 1847 wandert er von Buttenheim in Oberfranken nach New York aus. Er folgte dem Goldrausch nach San Francisco und eröffnete ein Geschäft für Zelte und Tuchwaren. Als ein Goldschürfer nach einer robusten Hose fragte, brachte der 29-jährige Strauss seine Zeltplane zum Schneider und ließ aus ihr eine Hose fertigen. Später verwendete er indigo- Kerridgeʼs Bar & Grill in London: blauen Stoff aus Nîmes und verstärkte die Klassisches britisches Essen – Hosen taschen mit Nieten – eine Idee von nur besser. Jacob Davis, der zu seinem Geschäfts- partner wird. Gemeinsam meldeten sie die Jeans 1873 zum Patent an. Der Rest Fish & Chips – neu interpretiert ist Modegeschichte. Norman Kietzmann Britisches Essen hat keinen guten Ruf. Doch einige Briten kämpfen kochend gegen dieses Klischee an. Einer von ihnen ist Tom Kerridge, der auf der Insel wegen seiner Bücher und TV-Sendungen den Status eines Starkochs hat. Seine beiden Pubs wurden bereits mit Michelin-Sternen ausgezeichnet. Allerdings liegen die Etablissements in Marlow, rund eine Stunde Fahrt von London entfernt und sind damit für eine Stippvisite schlecht zu erreichen. Seit Kurzem hat der 45-Jährige aber auch ein Restaurant im prächtigen Londoner Corinthia- Wie gedruckt Hotel, wenige Schritte von Trafalgar Square entfernt. Serviert werden britische Klassiker Kleider, die wie Musik gestreamt werden? So sieht die Kunst der israelischen wie Schweinebauch und Fisch & Chips, modern interpretiert und mit einem Preis von Designerin Danit Peleg aus. Erste internationale Erfolge lassen aufhorchen. unter 30 Euro für ein zweigängiges Lunch-Menü für Londoner Verhältnisse geradezu günstig. Wer also sehen will, ob britisches Essen wirklich noch immer fad und fett ist, BUTTENHEIM sollte einen Tisch im „Kerridgeʼs Bar & Grill“ reservieren. Kerridge dürfte zwar noch etwas Die 30-jährige Danit Peleg gilt in der Anschließend absolvierte sie ein Praktikum Arbeit vor sich haben, bis auch hier am Eingang die Modebranche bereits als Trendsetterin. in einem Modestudio in New York. Ihr begehrte Michelin-Plakette klebt, aber das Restau- Statt ihre Kleider in Boutiquen oder im Gesellenstück war eine eigene Kollektion rant im Gentleman-Club-Ambiente ist trotzdem Internet anzubieten, fertigt sie die Roben aus dem Drucker, mit der sie ihr Studium schon einen Besuch wert. Kerstin Leitel mit 3D-Druckern. Mit Links, die übers abschloss. Der Druck ihrer ersten Kollekti- Das Levi-Strauss-Museum in Buttenheim feiert Internet verschickt werden können. Garde- on dauerte schließlich 2 000 Stunden. den berühmtesten Sohn der Stadt. robe von der Stange findet sie öde. Zugleich Inzwischen setzt Peleg eine Vielzahl von weiß sie, dass maßgeschneiderte Kleider Druckern ein und hofft, dass sie in ein LONDON die Budgets der meisten Kundinnen über- paar Jahren Kleider in wenigen Minuten steigen. Was lag da näher, als Design und drucken kann. Ersten internationalen Erfolg Bewohnte Welle die Herstellung von Kleidern und Blusen feierte sie vor drei Jahren. Für die Eröff- Alles im strengen Raster, immerzu im rech- gleichmäßigen Bögen mäandert das Ge- sich mit bodentiefen Fenstern und großen mit den neuesten technischen Möglich - nungsfeier der Paralympischen Spiele in ten Winkel? Von wegen: Architektur kann bäude mit mehr als einhundert Wohnungen Balkons zur Umgebung. „Das Gebäude keiten zu kombinieren? Rio durfte sie das Kleid für die Tänzerin sehr viel mehr als das. Ein ungewöhnlicher am Ufer des Vejle-Fjords entlang. Das ge- spielt mit den umliegenden Hügeln, der Die Israelin ist nicht die Erste, die das und Medaillengewinnerin Amy Purdy an - Apartmentbau ist an der dänischen Ost- schwungene Dach ist mit weiß glasierten Architektur der Vejle-Brücke und den Spie- Modegeschäft mit 3D beleben will. Die fertigen, für das sie mit dem ersten Preis küste in der Hafenstadt Vejle zu bestaunen. Ziegeln gedeckt, die von schmalen Fens- gelungen auf der Wasseroberfläche des Holländerin Iris van Herpen gehört zu den der „Paramundus Challenge“ ausgezeichnet Seinen Namen Bølgen, zu Deutsch „die teröffnungen durchbrochen werden. Die Fjords“, erklärt Søren Øllgaard, Partner Pionierinnen, ebenso die Österreicherin wurde. Nicht nur elegant und raffiniert Welle“, trägt er nicht ohne Grund. In fünf Fassaden an der Vor- und Rückseite öffnen und Designdirektor im Kopenhagener Marina Hoermanseder, und selbst bei sollte es sein, meinte Peleg damals, es Architekturbüro Henning Larsen, das die Victoriaʼs Secret kommt 3D-Fashion zum sollte ihrer Trägerin bei der Präsentation Vor dem Wellenhaus entstand eine Häuserwelle entworfen hat. Der Bau er- Einsatz. Im Gegensatz zu diesen Konkur- auf der Bühne auch großen Bewegungs- belebte Uferpromenade. folgte in zwei Abschnitten. 2007 bis 2011 renten, die auf industrielle Großdrucker spielraum ermöglichen. Als ihre größte sind die ersten beiden Wellenberge ent- setzen, verwendet Peleg indes Desktop - Herausforderung bezeichnet sie die Suche standen, 2015 bis Dezember 2018 folgten maschinen, die sich jeder Haushalt leisten nach Materialien, die geschmeidiger und die übrigen drei. Trotz seiner Größe wirkt könne, meint die junge Unternehmerin. weicher sind als Plastik. Denn künftig, ist der Bau nicht dominant. Er lässt die Blicke 3D-Fashion begeisterte sie erstmals als Peleg überzeugt, werde das Modegeschäft durch die Wellentäler wandern und gilt mit Studentin an der Modeschule Shenkar, die überwiegend digital sein: „Kleider werden seiner suggestiven Silhouette bereits als sich in einem Vorort von Tel Aviv befindet. dann wie Musik gestreamt.“ Pierre Heumann Wahrzeichen der Stadt. Norman Kietzmann

Die Entwürfe der Israelin Danit Peleg TEL AVIV entstehen mithilfe von 3D-Druckern. Daria Ratiner Cristian Images, Barnett, Akg Images, Jacob Due, Getty Fotos: VEJLE

8 9 10 können Schwindelfreie eine63Quadratmeter Terrasse große mitGlasbodenbetreten – Er hatdashöchste GebäudederMetropole, denMahanakhon-Turm, AmDach entworfen. Scheeren. Ole Architekten deutschen Bangkokdem Hauptstadt die verdankt porträts Selbst- atemberaubende für Schauplatz neuen populären Den Selbstläufer. ein Angebot dieses ist Thailand Instagram-verrückten im – Boden dem über Meter 310 Selfie Ein Wolkenkratzer mitDurchblick PARIS benutzte sogar einesseinerGemäldefür seinerZeit.David Bowie Mode undGrafik Erprägteseine Spezialität. dieKultur, dabeiwarenFormen, optische Effekte berühmt war, spielte mitgeometrischen rely, inden1970er-Jahren derbesonders zusehensein.Vasa- Meisters derOp-Art mälde, Skulpturen undDokumente des Kunst Eswerden 300Ge- berühmtwurde. spektive Vasarelys, derdurchoptische zu sehenunddieersteRetro- französische geborenenUngarn Künstlers bis6.Mai ist tive desinParis gestorbenen in undeinst Hauptstadt.französischen DieRetrospek- Ausstellung Pompidou imCentre inder (1906 – 1997) steht imMittelpunkt einer Der MalerundGrafiker Victor Vasarely Vom Meister derOp-Art BANGKOK optische Illusionen. geometrischen Formen in seinenWerken mit Vasarely erzeugte Tanja Kuchenbecker auch Paul Klee. Piet oder Mondrian Werke von Kandinsky, sich sehrfürdie ressierte befreundet undinte-Prévert Breton André undJacques Schriftstellern Im Zweiten Weltkrieg war Vasarely mitden hauses biszuseinenletzten Erfindungen. den Anfängen desBau aufdenSpuren - des Künstlers chronologisch gezeigt, von Pompidou werden imLeben dieEtappen Oddity“. BeiderAusstellung imCentre das Cover seiner Schallplatte „Space Transparenz-Kick inBangkok. Für Schwindelfreie: Derneue vorsichtig genug sein. Fallfreien kann trennt, mannicht Wenn einennureine Scheibe vom aus, sollaberdasGlasschützen. treten. Dassiehtnicht immergut überdenSchuhen be Stofftüte - odermit mannurbarfuß darf form Stock abereinenHaken: DiePlatt- im77. Selbstdarsteller hatderOrt schweben. Fürmodebewusste sie überdemChaosderMetropole und sich soablichten, alswürden Mathias Peer

struiert keinestruiert falschen DenFoto- Idyllen. Erkon-oder hässlicher“, sagtWillmann. die Dinge schöner zeigen, alssiesind, dem Zeitgefühl voraus sein.Ich möchte und „2018/2017“zusehen.„Ich möchte Werkgruppen Blitz&Enzianblau(2005) sindaberauch seinejüngsten Albertina „Das Land“(ab1981)beweist. Inder seineepochalewie bereits Werkgruppe kömmlichen Darstellungskonventionen, mitdenher- bricht Willmann sehen ist. sende Werkschau, dienunbis26.Maizu eineumfas- 66-jährigen erstmals Grazer widmet inWien dem reich. DieAlbertina der zeitgenössischen Fotografie inÖster- in einerderGroßen ist Willmann Manfred und hässlich Zwischen schön WIEN Hans-Peter Siebenhaar eine BühnefürvieleseinerKollegen. Austria“ bot „Camera erauch Zeitschrift Gründer undHerausgeber der Fotografie- Als Graz. Heimat seiner Fotokunst die für sich engagiert und Kunstgattung langjähriger ist selbst Botschafter seiner bekannterrepublik zumachen. Willmann die zeitgenössische Fotografie derAlpen- jetzt einwichtiger der Albertina, Beitrag AusstellungAnna Hanreich kuratierte ist Ausstellunggrafischen zusehen.Dievon mono einer in Secession Wiener der - lebt,warmark zuletzt vor in 16Jahren undderSüdsteier- derinGraz Willmann, WeiseBlitzlicht auffaszinierende neu. Ausschnitten, Nähe großer undhartem ermitengenSeine Realität interpretiert seiner eigenen Lebenswirklichkeit an. pionier ziehenvielmehrdieGegensätze schön“, 1981bis1983. Willmann,ausderSerieManfred „DieWelt ist

Redaktion: Norman Kietzmann; Fotos: Adagp Paris 2018/Centre Pompidou/Philippe Migeat/Fabrice Lepeltier/Victor Vasarely/VG Bild-Kunst Bonn 2019, Picture Alliance/dpa, Manfred Wittmann SECHS RICHTIGE Termine im März

Von heute für morgen Keine Designmesse ist so jung und zeitgenössisch wie die „Collectible“ in Belgiens Hauptstadt. Mehr als 100 Galerien, Designer und Studios versprechen Einsichten in exklusive High-End-Produkte aus dem 21. Jahrhundert. So ist der „Melting Chair“ von Philipp Aduatz (Foto) bei Tools Galerie zu sehen. Ziel der zweiten Ausgabe im Van- derborght-Gebäude (bis 17.3.) ist es, die Grenzen des Möglichen zu verschieben. www.collectible.design

14.3. BRÜSSEL Der Blender Der Film besticht durch seine Hauptfigur. 22.3. BERLIN Oscar-Preisträger Robert Redford spielt den Helden in „Ein Gauner und Gentle- man“ mit Lässigkeit, Chuzpe und viel Charme. Die von David Lowery inszenierte Kriminalkomödie beruht auf der wahren Geschichte des Ausbrecherkönigs Forrest Tucker. Wenn der 82-jährige Redford als 1.3. LONDON Tucker im eleganten Anzug eine Bank überfällt, bleibt den Angestellten nur im Schmeichelnd Gedächtnis, wie zuvorkommend und höf- lich der Räuber war. Angeblich soll die Christian Dior (1905 bis 1957) liebte Paraderolle Redfords Abschied von der England. Das Victoria and Albert Museum Leinwand sein. www.dcmworld.com feiert das vielleicht einflussreichste Mode haus des 20. Jahrhunderts mit einer Von Künstlerhand opulenten Schau. Zu sehen sind Entwürfe Wie gehen in Berlin lebende internationale von 1947 bis heute (bis 14.7.). Unser Foto Künstlerinnen und Künstler mit Handwerk, zeigt den Franzosen mit Model Sylvie, wie Dekor und Materialität um? Das fragt die er 1948 ein Abendkleid drapiert. Luxus, Ausstellung „And Berlin Will Always Need glänzende Stoffe und eine betonte Taille You“ im Gropius-Bau. Das prachtvolle ließen in den Nachkriegsjahren lange Haus wurde 1881 als erstes Kunstgewer- verdrängte Träume wahr werden. Die bemuseum in Deutschland eröffnet und Modeausstellung berücksichtigt auch die zur Lehr- und Produktionsstätte ausge- späteren großen Designer nach Diors baut. Bis 16. Juni trifft der Kunstfreund frühem Tod: Yves Saint Laurent, John dort unter anderem auf Werke von Nevin Galliano, Raf Simons und Maria Grazia Aladağ (Foto), Olaf Holzapfel, Willem de Chiuri. Alle zeigen: Das Erbe von Dior Rooij, Chiharu Shiota und Haegue Yang. heißt Üppigkeit. www.vam.ac.uk 28.3. www.gropiusbau.de Glanz aus Abfall Berühmt ist El Anatsui für seine riesigen Wand - 4.3. teppiche aus verflochtenen Kronkorken. Die Ver- wandlung von Abfall in glänzende Kunstwerke Bella Figura gelingt, weil der ghanaische Künstler Scharen von Wer ohne Kompass Orientierung sucht entlohnten Müllsammlern beschäftigt. Das Haus der und als stilbewusste Führungskraft Kunst in München richtet dem Bildhauer die bislang knitterfrei reisen möchte, lässt sich von Charlie Burtons größte Übersichtsausstellung aus (bis 28.7.). Dort „GQ Gentlemanʼs Guide“ updaten. Das „Handbuch für sind auch die wenig bekannten Holzskulpturen und alle Lebenslagen“ erklärt auch, wie der Herr von Welt Keramiken zu entdecken. www.hausderkunst.de raffinierter flirtet oder ein Flugzeug mit Maschinenscha- den sicher landet. Burton ist Chefredakteur des Männer- magazins „GQ“. 224 Seiten, 300 Illustrationen im Retro- 8.3. MÜNCHEN stil für 20 Euro im Prestel Verlag. www.randomhouse.de Susanne Schreiber Redaktion: Agnes Usill Collection London/CourtesyGallery & Andrew October London Bonn/2019, Georg Molterer, Bild-Kunst Good/Courtesy Berlin/VG Aladag und Wentrup, Nevin Trevor Courtesy of Christian Dior, Fotos:

12 KANTINENKRITIK Voestalpine

Torte und Heavy Metal Beim Technologiekonzern Voestalpine ist alles etwas größer – auch die Kantine, die hier längst ein eigener Geschäftszweig ist.

Die Kantine beim österreichischen Technologiekon- halb ist es nicht verwunderlich, dass die Konzerntoch- zern Voestalpine ist so ausufernd wie ein Fußballfeld. ter Catering Service Linz GmbH, kurz Caseli, der hei- 25 Köche gibt es hier am Stadtrand von Linz, dazu mischen Küche huldigt. Das dreigängige Menü offe- kommen 110 weitere Beschäftigte. Allein in der Patis- riert etwa eine Grießnockerlsuppe, als Hauptgericht serie werkeln fünf Konditoren und zwei Lehrlinge, die würziges Gulasch mit Nockerln und Kaisersemmel, täglich rund 1 500 Eier verarbeiten. „Zu uns kommen zum Nachtisch eine Mohnschnitte. Für das Menü samt alle, vom Hochofenarbeiter bis zum Manager“, sagt Wasser-Begleitung zahlen die Beschäftigten rund fünf Küchenchef Thomas Hilgert. Der 52-jährige Rheinlän- Euro. Den Rest der Kosten trägt der Konzern. der bekocht mit seinem Team im Gästehaus, zwischen Caseli ist für Voestalpine inzwischen ein eigener Gasometern und Konzernzentrale, täglich 10 000 Mit- Geschäftszweig. Die Gastro-Tochter versorgt Dutzende arbeiter in 14 Speisesälen. Größer gehtʼs kaum. externe Firmen, auch Kindergärten zählen zu den Dem langjährigen Firmenchef Wolfgang Eder liegt Kunden. Zudem wird für die „Nachtschichtler“ am dabei die österreichische Küche sehr am Herzen. Des- Hochofen und in anderen Sektoren der Stahlherstel- lung eigens Tiefkühlkost produziert, die an mehr als 20 Automaten auf dem Firmengelände erworben wer- den kann. Rund 28 Millionen Euro Umsatz machte Ca- DAS MENÜ seli zuletzt. Man schreibt schwarze Zahlen. Vorspeise: Grießnockerlsuppe In der obersten Etage des konzerneigenen Muse- ums „Stahlwelten“ steht auch externen Besuchern zu- Würziges Hauptgang: dem ein Panorama-Café offen. Dort darf natürlich die Gulasch mit Nockerln Linzer Torte nicht fehlen, jenes Gebäck mit roter Jo- und Kaisersemmel hannisbeermarmelade und Teiggitter – quasi das kuli- Dessert: Mohnschnitte narische Aushängeschild der Donaustadt. Zu Tausen- Essen: HHH den wird sie bei Caseli hergestellt, rund um den Glo- Ambiente: HHH bus an Geschäftspartner verschenkt – und für 22 Euro Service: HHH pro Torte auch an Firmenfremde verkauft. n

Hans-Peter Siebenhaar Andreas Jakwerth für Handelsblatt Magazin Fotos:

14 BLICK-WECHSEL Vier gewinnt Was war, was ist, was kommt, was bleibt? Unsere vier Kolumnistinnen verraten uns, was für sie in Kunst, Mode und Lebensart gerade wichtig ist.

BARBARA VINKEN DELIA FISCHER JULIA STOSCHEK TIFFANY HSU Stilsichere Professorin für Literatur- Co-Gründerin und Chief Creative Officer Kunstsammlerin und Miteigentümerin Chefeinkäuferin des Modeportals wissenschaften aus München des Onlineportals Westwing der Unternehmensgruppe Brose Mytheresa und Instagram-Ikone

Zweites Zuhause Montreal! Gar nicht so einfach, das Der Januar war für mich geprägt von Leben zwischen zwei Konti- Die Kammerspiele in München mit mehreren Wochen in Los Angeles. Ich Weihnachten in London war für mich nenten aufzuteilen, deshalb Lilienthal. Da bin ich viel zu wenig habe viele Künstler in ihren Ateliers etwas ganz Besonderes. Gerade das war es mir sehr wichtig, hingegangen, aber im Januar habe besucht wie Kahlil Joseph, Catherine mit seinen opulenten dass mein Verlobter und ich Annabel’s Mayfair ich versucht, kompakt nachzuholen. Opie, Andrea Zittel, Stan Douglas, Paul Dekorationen macht es zu einem der auch hier in Montreal eine

WAS WAR Faszinierende Körperbilder in McCarthy oder (r.), magischsten Orte in der Weihnachtszeit. Toshiki Homebase haben, in der wir Jordan Wolfson etwa. Das Theater, der gerade eine spektakuläre Arbeit Mein Tipp: Immer ein Selfie im prunk - Okadas „No Sex“ uns richtig zu Hause fühlen. ein Raum, in dem alle ohne jede mit Künstlicher Intelligenz entwickelt. vollen Puderraum machen. Virtualität wirklich da sind. Darauf darf man sich schon freuen!

Modernism Week in Palm Springs HYPER! A JOURNEY INTO ART AND MUSIC (bis 24. Februar). Hier wird Mid - in den Deichtorhallen in Hamburg (bis 4. Au- century-Architektur und -Design gust). Was passiert, wenn Musiker*innen sich Zurzeit bin ich in Mailand für die Herbst- Sehen wir uns in die Augen, egal wie tief, egal ob im Schnee zelebriert! Es öffnen sensationelle an der Kunstwelt orientieren? Und was für schauen, und am meisten freue ich mich WAS IST oder im Wasser, dann zeigen uns die jetzt immer und überall Midcentury-Häuser ihre Türen, und Bilder entstehen, wenn Maler*innen sich von auf die Prada-Präsentation. Das Neunzi- getragenen Sonnenbrillen nicht etwa die Seele unseres es gibt zahlreiche Architectural Musik treiben lassen? Ausstellung und musi- gerjahre-Prada-Nylon erlebt gerade seine Gegenübers. Wir spiegeln uns selbst im Himmel Kaliforniens. Tours. Inspiration pur! kalisches Rahmenprogramm HYPER! SOUNDS Wiedergeburt, speziell in Kombination mit Jetzt meistens im Katzendesign. www.modernismweek.com in der Elbphilharmonie. modernem Tailoring ist es definitiv tragbar.

Die Dame – ja, auch die Zeit- Eine weitere Empfehlung für In Paris werden wir ein persönliches Dinner schrift als glänzende Neuauf lage Contemporary-Art-Fans: die mit dem amerikanischen Designer-Traum- der 20er. Vor allem aber taucht Animalprints: Ob Zebra-, Tiger- oder Ausstellung der Filmemacherin paar von Brock Collection haben. Wir nach all den Girls der Typus Leopardenfelloptik – nicht nur in der und Autorin Hito Steyerl in der haben zusammen mit den Gewinnern des Dame wieder auf. Das Leben Mode, sondern immer öfter auch auf Londoner Serpentine Gallery. CFDA Fashion Awards eine romantische hat es gut mit ihr gemeint und Kissen, Decken und Teppichen. Achten Steyerl gilt als kritische Beob- Capsule Collection entworfen, die es sie auf Händen getragen, und Sie darauf, sie genau auf die Farben achterin unserer globalisierten exklusiv auf Mytheresa geben wird. souverän konnte sie schon im- und Stile des restlichen Raums abzu- Welt im digitalen Zeitalter. Für WAS KOMMT mer ihren Mann stehen. Heiter stimmen, sonst wird’s unruhig. mich eine der spannendsten erheitert sie alle und alles. Künstlerinnen unserer Zeit!

Marmor(-Optik): Marmor wird immer vielfältiger ver- wendet und kombiniert. Im Zusammenspiel mit Holz, Galonstreifen näht sich in Georg Kreislers Beton und Metallen verliert Militärschmäh ein General – „da ist der der Marmor seine Schwere Schaden schon total“ – an die Hosen. Beim und wirkt stilvoll, sophisticated Militär hießen die Ziernähte Lampassen. und cool! Übrigens: Es muss Das Soho Farm House in Oxford - WAS BLEIBT Neuerdings finden sie sich auch auf Damen - nicht immer echter Marmor Die Thomas-Mann-Villa in Los Angeles! Ein Kleinod postmoderner shire ist das perfekte „Country mode. Und da das Militär in der Mode die sein. Optik tut’s auch. Architektur, das bis vor Kurzem vom Abriss bedroht war und dank Get-away“. Genau das, was ich Mutter fast aller Dinge ist, bleiben sie ver- der Zuwendung der Bundesregierung im Juni 2018 als „trans - brauche nach drei Monaten non-

mutlich noch ein bisschen. Julian Baumann, Phil Collins, Getty Fotos: Sreyerl/Courtesy of the Laif, Hito Images, Artist Kreps Gallery/New & Andrew York atlantische Begegnungsstätte“ wiedereröffnet wurde. stop in der Fashionwelt.

16 17 TITEL Chanel

CHANEL N⁰74 Sechs Wochen dauert es, bis aus einem ersten Entwurf Karl Lagerfelds diese Robe entsteht – und am Ende bei einem gigantischen Fashion-Spektakel in New York präsentiert wird. Der Weg dahin verrät viele Geheimnisse der Marke wie auch ihres kreativen Kopfes.

Text: Katharina Kort, Tanja Kuchenbecker, Thomas Tuma; Fotos: Stephanie Füssenich

Stickkunst bei Lesage: Hier wird die Lagerfeld- Zeichnung mit der durchlaufenden Nummer 61775 all seiner Prêt-à-porter-Entwürfe seit 1992 zum Leben erweckt. Rechts: Am Ende wird das Kleid auf einer Holzpuppe in den Pariser Chanel-Ateliers drappiert. Danach tritt Look 74 seine Reise zur Modenschau nach New York an.

18 TITEL Chanel

m Anfang ist das Wort. Und das Wort ist bei Karl. Und Karl ist das Wort: „Bratlagn band do levclere.“ Und heißt es darunter „Hasse au los brants“? Karl Lagerfeld hat aber auch eine schreckli- che Handschrift! Zumindest für Außen- stehende. Vielleicht ist es sein reifes Alter, er ist ja auch schon 85. AVielleicht ist es das pure Genie des Chanel-Chefkreati- ven. Aber wir müssen ihn ja auch nicht verstehen, wie er da Mitte Oktober 2018 in seinem Pariser Zuhause sitzt und in kürzester Zeit rund 80 neue Kreationen auf das dicke Zeichenpapier huscht und krakelt. Weitgehend allein. Streift dann Choupette, seine Birmakatze, um ihn herum? Arbeitet er womöglich nur eine Nacht durch, und dann ist alles fertig? Am Anfang geht alles in kleinstem Rahmen ganz schnell. Paris, ein Stapel DIN-A4-Zeichenpapier, Stifte. Da noch ein Strich, hier eine pastellene Andeutung, die später reicht, um komplette Manufakturen in Marsch zu setzen. Mehr ist das nicht. Am Ende geht in gewaltigstem Bombast auch wieder alles sehr schnell. Dann werden sich Lagerfelds Ideen im Multi-Millionen-Spektakel einer 16-Minuten-Moden- schau auflösen wie ein Feuerwerk im Nachthimmel über dem Hudson. New York, Metropolitan Museum of Art, tausend superwichtige Gäste und Millionen Zeugen via Instagram und Youtube weltweit. Weniger ist das nicht. Die maximal sechs Wochen zwischen Lagerfelds Ent- würfen Mitte Oktober und der großen Schau am 4. De- zember gehören dagegen kleinen und großen Dramen, Glückstränen, Angstzuständen, Nachtschichten und ganz viel Handwerk. Und weil das alles so atemlos und schnelllebig geworden ist, geschaffen für den Augen- blick wie für die Ewigkeit gleichermaßen, weil dieser Prozess auch viel verrät über das Modegeschäft an sich, haben wir für diesen Report die Geburt eines Looks be- gleitet – von Lagerfelds erster Zeichnung bis ins New Yorker Blitzlichtgewitter. Und am Ende verstehen wir vielleicht sogar, warum es all den Aufwand lohnt, ein Kleid zu fertigen, das vielleicht nie eine Frau tragen wird außer dem Model in New York. Und das dennoch jeden Euro seiner Entstehung zigfach wert sein wird. Es ist Look 74, fortlaufende Nummer 61775 aller Prêt-à-porter-Entwürfe, die der gebürtige Deutsche seit 1992 für Chanel erdacht hat. So aufwendig und teuer ge- arbeitet, dass man mit dem Geld auch einen schönen Mittelklassewagen kaufen könnte. Alle zwei Monate muss Chanel heute eine neue Kollektion liefern: im Ja- nuar und Juli die Haute-Couture-Schauen im Pariser Grand Palais, im März und Oktober Prêt-à-porter, im Mai die sogenannte Cruise-Collection und im Dezember schließlich die Métiers d’Art, die den zu Chanel gehören- den Manufakturen und deren Handwerkskunst ein wan- SCHÄTZE IN SCHACHTELN delndes Denkmal setzen soll. Das Lesage-Studio im Pariser Vorort Pantin: Hier werden Jedes Jahr findet die Métiers d’Art woanders statt. 75 000 Muster von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis zur Man war schon in Salzburg und Rom, in Schanghai, Gegenwart aufbewahrt, auch jene von Chanel seit 1984. Dazu kommen Millionen von Perlen – nach Farben geordnet. Tokio und Edinburgh. Im Jahr vor New York eroberte Chanel die Hamburger Elbphilharmonie, was einer Heimkehr Lagerfelds gleichkam. Nicht wenige hatten Tränen in den Augen, als Starmodels wie Anna Ewers ó

21 TITEL Chanel

HAND-ARBEIT Mit einem kleinen Beutel aus Filz wird die Farbe durch die perforierte Zeichnung auf den Stoff gepaust. Staubsauger entfernen den feinen Staub bei der Übertragung der Farbpigmente.

MUSTER-GÜLTIG Wo Handwerk zur Kunst wird: Die Stickprobe zu Lagerfelds Look Nummer 74 wird in eine codierte technische Zeichnung übersetzt, die der Form der Stickerei auf dem Kleid angepasst wird. Mit einer Maschine, die einem Tätowiergerät ähnelt, werden kleine Löcher in die Zeichnung gestochen. Der Schritt wird „Piquage“ genannt, eine Art Absteppen.

22 23 TITEL Chanel

in Bouclé-Jäckchen und Prinz-Heinrich-Mützen die Rän- in New York einen kompletten Hallenflügel ihrer ägyp - ge des Konzertsaals herabschwebten unter den melan- tischen Sammlung gewidmet haben. Lagerfeld will’s cholischen Kammerorchester-Klängen von „La Paloma“, ägyptisch. Und mehr altes Ägypten wären wohl nur noch bevor der gebürtige Hamburger „KL“ die Huldigungen die Pyramiden von Gizeh gewesen. entgegennahm. , Tilda Swinton, Tatjana Das Met hat durchaus Erfahrung mit dem Showbusi- Patitz – alle standen sie auf und applaudierten ihm. ness. Es diente schon als Kulisse des Hollywoodfilms 26 Manufakturen hat Chanel mittlerweile gesam- „Ocean’s 8“ mit Diven wie Rihanna und Sandra Bullock. melt. Große Handwerksbetriebe wie Desrues (Mode- Manchmal mieten sich Konzerne einzelne Räume zu schmuck), Massaro (Schuhe) oder der Gold- und Silber- abendlichen Empfängen. Und jedes Jahr im Mai findet schmied Goossens gehören nun zwar unter dem Dach hier eine Charity-Gala statt, die es an Glanz mit jeder der Holding zu Chanel, dürfen und sollen Oscar-Verleihung aufnehmen kann. Die Plätze kosten aber auch anderen Unternehmen und Modemarken dann 30 000 Dollar. zuarbeiten. Sie sind Experten für Hüte und Federn, Handschuhe, Spitze und Schmuck. Chanel ist nur einer ihrer Kunden, aber wenn Lagerfeld im Herbst ruft, 292 STUNDEN ARBEIT stehen natürlich auch die Stickerei-Experten des Maison Lesage im Pariser Stadtteil Pantin stramm, wo der INVESTIEREN ALLEIN DIE LESAGE- Entwurf zu Look 74 als Nächstes landet. Bis ins Jahr 1858 reicht die Lesage-Geschichte ATELIERS IN LOOK 74. zurück, auch wenn das heutige Zuhause der Firma die Tradition nicht unbedingt widerspiegelt: Der Fabrik- Den Größenwahn zu glauben, so ein Ereignis noch top- Flachbau, in dem noch andere Chanel-Manufakturen pen zu können, mag sich nur das Duo Chanel/Lagerfeld untergebracht sind, liegt im Schatten eines Güterbahn- leisten. Und der Designer hat sich eben nicht nur Ägyp- hofes. Seit 2002 gehört Lesage zu Chanel. Bis unter die ten als ästhetische Idee in den Kopf gesetzt, sondern Decken haben sie hier in schwarzen Kartons 75 000 auch New York, das Gabrielle „“ Chanel 1931 zum Stoff- und Stickereimuster gesammelt – als Selbstverge- ersten Mal besuchte. Damals kam die Pariserin mit zwei wisserung wie als Inspirationsquelle für Lagerfeld. Assistentinnen, drei Dienstmädchen und 35 Koffern. Natürlich können sie seinen Entwurf 61775 für Derart karger Aufwand reicht 2018 nicht mehr. Look 74 lesen wie ein Stickmuster. „Bande de borderie Die Metiérs d’Art sei sogar für eines der größten Mu- passe sur les bouts des seins“, steht da rechts oben, seen der Welt „ein außergewöhnlich großer und komple- „Streifen-Stickerei geht über die Spitze der Brüste“. xer Event“, räumt Met-Sprecher Ken Weine ein. Über Hubert Barrère, der künstlerische Direktor von Lesage, Mietpreise schweigt er lieber. Es geht ja um mehr als schickt dem Meister und dessen Studiodirektorin Virgi- nur den Raum: Sicherheitsschleusen, Wachpersonal, den nie Viard ständig Muster und Stoffe. Und wenn sich Bau einer Art Publikumsforum rund um den Dendur- Lagerfeld wie jetzt für eine Variante entschieden hat, Tempel für etwa tausend Gäste. Und es geht um rund wird zunächst ein 20 mal 20 Zentimeter großes Quadrat 300 Helfer, die jetzt in der Hochphase bauen, werkeln, produziert, das man im nächsten Schritt in eine techni- schrauben, rennen und verköstigt werden wollen. sche Zeichnung verwandeln kann, die schon den späte- Und alles, um rund 80 Roben einmalig zu inszenie- ren Stickeinsätzen auf dem Kleid entspricht. ren, obwohl auch Look 74 zu diesem Zeitpunkt noch In einem anderen Raum werden die Muster auf wei- längst nicht fertig ist. Wenn die Lesage-Expertinnen ihre ßen Stoff übertragen. Röhren über den Arbeiterinnen Stickereien beendet haben, kommen die Einzelteile aus saugen die Reste der Farbe ab, die hier per Hand auf - dem Vorort Pantin ins Herz der Stadt: In der Rue getragen wird, bevor es im Stickatelier an die eigentliche Duphot, gleich hinter dem Chanel-Mutterhaus, liegen die Arbeit geht. Die 31-jährige Britin Flett hat das Handwerk Ateliers des Unternehmens. Dort erst wird in den drei fünf Jahre lang gelernt. Ihre Bühne: ein Holzrahmen, auf Prêt-à-porter-Abteilungen alles zusammengeführt, was den sie Steine, Perlen und Pailletten nähen darf. die Manufakturen an Einzelteilen erschaffen haben in Eine Expertin wie sie kann das fertige Kleid schon den vergangenen Tagen. jetzt sehen: die Skarabäen aus Gold und Lapislazuli, die Die 55-jährige Flore ist Direktorin des Ateliers, das RAHMEN-GENÄHT 40 000 Goldplättchen und 50 000 Pailletten, die es am intern nur „flou“ genannt wird, weil es für die besonders Stickerin Flett arbeitet bei Lesage an dem Entwurf. Der Stoff mit der Stickerei wurde in Ende brauchen wird, um aus der Zeichnung einen chan- fließenden Stoffe von Kleidern und Blusen zuständig ist. einen Holzrahmen gespannt. Auf der Puppe (l.) gierenden Traum zu machen. 292 Stunden Arbeit ste- Seit vier Jahren führt sie den Bereich, seit 27 Jahren ist wird Look Nummer 74 allmählich sichtbar. cken allein die Lesage-Ateliers in Look 74. Goossens sie schon bei Chanel. 80 Profis arbeiten allein in den Stoffe und Stickerei-Teile werden später bei wird noch ein paar Knöpfe beisteuern, unter anderem drei Prêt-à-porter-Studios. Flore kann nichts mehr er- Chanel im Herzen von Paris zusammen gesetzt. für die Schulterpartien. schrecken, sie war vorher in der Haute Couture, wo es Und während in Paris genäht, geschnitten, gestickt noch opulenter zugeht. Haute Couture bedeutet noch und gebügelt wird, beginnen im Metropolitan Museum mehr Aufwand für noch weniger Kundinnen. Allenfalls of Art (kurz: Met) am 19. November die finalen Vorberei- ein paar Hundert Frauen weltweit können oder wollen tungen. Schon im Juni fragte die Chanel-Zentrale in sich die aufwendigsten Roben des Hauses leisten – man- Paris an, ob man das Museum bespielen dürfe. Jetzt sind che dann so teuer wie Einfamilienhäuser. es noch drei Wochen bis zur Schau rund um den über Dagegen wäre Look 74 fast ein Schnäppchen mit sei- 2 000 Jahre alten Tempel von Dendur, dem die Kuratoren nem fünfstelligen Preis, den er vielleicht irgendwann ó

24 25 TITEL Chanel

VOR DER SHOW Das Metropolitan Museum of Art in New York als Chanel- Bühne: Gäste aus aller Welt war- ten auf die Show. Schauspiele- rinnen, Models und Fashion- Blogger lassen sich vor dem Chanel-Logo ablichten, bevor es vorbei an Mumien und Vasen zum Tempel von Dendur geht.

26 TITEL Chanel

einmal haben wird. Vielleicht auch nicht. Vielleicht unternehmen im Sommer 2018 eine Art Bilanz, wonach bleibt er auf immer ein Unikat. Unbezahlbar. Das weiß man zuletzt 8,3 Milliarden Euro Umsatz erzielt hat. Bei jetzt noch niemand. Bei Flore werden gerade die Einzel- einem Gewinn von 1,8 Milliarden. teile erwartet. Es ist stets zu wenig Zeit. Immer werden In Frankreich mag wirtschaftlich gerade nicht allzu sie dann doch irgendwie fertig. Und oft ist am Ende viel klappen. Aber Luxus ist mehr denn je der beste Ex- irgendwas anders als geplant. portschlager der Grande Nation. Die einstige „Kultur der Aus dem schwarzen Musselin, den sich Lagerfeld für Diskretion“ sei wohl nicht mehr zeitgemäß, hieß es bei WALK LIKE AN EGYPTIAN Look 74 gewünscht hat, wird bei Flore in Abstimmung Chanel. Die neue Transparenz soll sicher auch die inne- Look Nummer 74 hat seinen großen Auftritt in New York. Präsentiert wird das kostbare Kleid mit Virginie Viard am Ende Organza. Wieder und wieder re Stärke des Unternehmens demonstrieren – gerade von dem 18-jährigen Model Naomi Chin Wing muss ein sogenanntes „model de cabine“ reinschlüpfen. den Konkurrenten in den alles dominierenden Konglo- aus Trinidad (u.). Nach nur 16 Minuten ist die Das sind Frauen, die nur in den Ateliers zum Einsatz meraten LVMH und Kering. Und man will offenbar auch Show vorbei. Karl Lagerfeld nimmt die Huldigun- kommen, um Passform, Optik oder Fall des Stoffes am den Fake News da draußen etwas entgegensetzen, die gen seiner Fans entgegen, begleitet von seiner lebenden Körper in der hier standardmäßig vorgegebe- Chanel zuletzt Absatzprobleme unterstellten. Vertrauten Virginie Viard und seinem Patensohn Hudson Kroenig (u. r.). nen Kleidergröße 36 zu prüfen. Eigentümer von Chanel sind die Brüder Alain und Wenn alles fertig ist, bringt ein Spezialunternehmen Gérard Wertheimer, die fast noch zurückgezogener leben die Roben schließlich von Paris nach New York. Es sind als der Aldi-Clan. Seit über 40 Jahren führen sie das Un- Millionenwerte, die da auf die Reise geschickt werden. ternehmen, das ihr Großvater Pierre einst Am 3. Dezember findet im „The Mercer“ in Downtown abgekauft hat. Und in all diesen Jahren großer Bestän- Manhattan das finale Fitting statt. Lagerfeld scannt mit digkeit gönnten sie sich vor allem eine Revolution: die Virginie Viard jedes Detail seiner Roben. Passen die gol- Verpflichtung von Karl Lagerfeld, der das damals koma- denen Lederstiefel von Massaro zu Look Nummer 74? töse Dornröschen Chanel seit Mitte der 80er-Jahre in Das ganze Hotel ist von Chanel okkupiert. Auf eine be- eine sich ständig neu erfindende Pop-Diva verwandelte. nachbarte Hauswand wurde im XXXL-Format Lagerfelds Mode ist seither ein immer schneller drehendes Ka- Zeichnung einer Coco Chanel als Freiheitsstatue gemalt, russell geworden. Es geht um E-Commerce-Strategien, wie sie auch die Einladungen zur Métiers d’Art krönt. digitale Geschäftsfelder, Onlineshops. Es geht auch um Überall in der Stadt findet man nun die Reklame mit eine wachsende asiatische Kundschaft, die man bis in Markenbotschafterin Penelope Cruz. Das doppelte „C“ die Influencer-Einladungslisten und die Wahl der des Logos kann es mit amerikanischen Markenmythen Models bei der Métiers d’Art hinein ansprechen will und wie Coca-Cola oder Disney aufnehmen. Aber selbst die muss. Weltmarke Chanel hat es in einer Stadt wie New York Bislang hat das Trio der drei Chanel-Herren nicht er- schwer, gegen all den Entertainment-Lärm anzukom- kennen lassen, wie die Zukunft des Hauses aussehen men. Und es geht um mehr als diese eine Kollektion. könnte. Wer wird auf Lagerfeld folgen? Würde das Brü- Gerade sickert durch, dass das Unternehmen künftig derpaar Wertheimer jemals an den Pariser Riesen auf Pelze und exotische Leder, etwa Krokodil, Schlangen LVMH verkaufen? Und müsste man nicht doch endlich oder Rochen, verzichten wolle, wie das viele Marken von stärker in den E-Commerce einsteigen? Chanel-Mode- Stella McCartney bis Gucci bereits vormachten. Oben in chef Pavlovsky, der vierte mächtige Chanel-Mann, unter- einer der „Mercer“-Suiten sitzt Chanel-Modechef Bruno streicht am Montag im „The Mercer“ einmal mehr, dass sein Haus keinen Onlineshop starten werde. Sie wollen ihre Mode in den eigenen Boutiquen verkaufen. Nir- MODE-IMPERIEN DÜRFEN gendwo sonst. So, wie sie weiterhin diese Mode als Ereignis präsentieren wollen wie jetzt hier in New York. ÄRGER PROVOZIEREN WIE AUCH Nur noch eine Nacht bis zur großen Schau. Am Dienstag, 4. Dezember, präsentiert sich die Me- LEIDENSCHAFT. NUR LANGWEILIG tropole klirrend kalt. Nicht alle Gäste, die abends in ih- DÜRFEN SIE NIE WERDEN. ren besten Chanel-Roben vor dem Met aus Taxi, Limo oder Vip-Shuttle steigen, haben an einen Mantel ge- dacht. Aber vor Punkt 19 Uhr darf niemand rein. Von Pavlovsky und erklärt die Entscheidung. Dass man ja der Millionärsgattin aus der Park Avenue bis zum zit- gar nicht mehr sicherstellen könne, woher solche Tier- ternden Mode-Blogger aus Tokio friert sich die Fashion- produkte überhaupt kämen. Dass gerade für jüngere Welt draußen fest, bevor es drinnen endlich Champag - Kunden Tierschutz und Nachhaltigkeit immer wichtiger ner gibt. Die Schauspielerinnen Julianne Moore und würden. Und dass Chanel sich dieser „ethischen Kompo- Marion Cotillard sind da, Jerry Seinfeld und Sofia Cop- nente“ schon lange bewusst sei. pola lächeln. Dutzende Fotografen stehen Spalier für die Nun ja. Einst lästerte Karl Lagerfeld zum Thema wichtigsten und chaneligsten Gäste, bevor alle hinein - Tierschutz, „die Bestien würden uns ja auch töten, wenn gesogen werden in den Nordflügel, an Mumien, Sarko- sie es könnten“. Noch vor wenigen Jahren provozierte er phagen und antiken Vasen eines untergegangenen Rei- die Gemüter mit einer Pelzkollektion für das italienische ches vorbei bis in die Halle des Tempels von Dendur. Haus Fendi, für das er ebenfalls arbeitet. Times they are Das Ereignis wird zum Hashtag: Allein #CHANEL- a-changing. Auch bei Chanel, das im vergangenen Jahr MetiersdArt wird 27 400-mal bei Instagram gepostet, noch einen anderen Mythos abräumte: Erstmals veröf- wo das Unternehmen 32,2 Millionen Follower hat. Bei fentlichte das sonst unfassbar verschwiegene Familien- Facebook sind es 21,7 Millionen, bei Twitter 13,2 ó

28 29 TITEL Chanel

Millionen. Man weiß natürlich nie, wie viele dieser „Fol- weiß man zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wird er zum lower“ wirklich existieren oder gerade vorbeischauen. ersten Mal in der Chanel-Geschichte nicht die Honneurs Aber es geht selbst für das High-End-Superfashion- entgegennehmen. Er fühle sich müde, wird es dann Premium- Geschäft einer Luxusmarke wie Chanel heute heißen. Dass Chanel ein moderner Mythos geworden ist, auch um schiere Masse. Um Awareness. verdankt die Marke vor allem ihm. Mythen sind schwer Die Modenschauen sind dabei in all ihrer fast schon zu erklären. Wann fängt Liebe und Verehrung an? Wie frivolen Archaik – junge Frauen laufen in Kleidern über bewahrt man sie? Es ist ein steter Kampf, in dem auch einen Laufsteg – Produkt und Schaufenster zugleich. Ein Look 74 eine kleine Rolle spielt. Ereignis, das gar nicht pompös genug inszeniert sein Als in den Morgenstunden des 4. Dezember die letz- kann, um eine möglichst gewaltige Breitenwirkung zu ten Models, noch immer erkennbar an der Pharaonen- erzielen. Mascara um ihre müden Augen, die große Party in New Um exakt 20.15 Uhr beginnt die Schau rund um den York verlassen, fangen sie in Paris schon an, den Tempel von Dendur. Es ist viel Gold auf der Bühne. Gol- Werbewert des Abends zu beziffern. „Die Arbeit an dene Roben, goldene Schuhe. Auch andere Designer Mode ist unglaublich schnell und auf die jeweilige haben in diesem Herbst mit Gold experimentiert. Look nächste Präsentation ausgerichtet. Die ganze kreative 74 wird von der 18-jährigen Naomi Chin Wing aus Trini- Energie entlädt sich orgasmusartig anlässlich der dad getragen. Sie ist vorher unter anderem schon für Fashion Show“, beobachtete der Basler Stararchitekt Dior gelaufen, Alexander McQueen, Givenchy und Saint Jacques Herzog, Mitgründer des legendären Büros Laurent. Herzog & de Meuron, als er für seine Freundin Miuccia An diesem Abend sind unter den 79 Models noch Prada selbst mal Mode entwarf. „Das Team ist zwar noch weit bekanntere am Start. Kaia Gerber etwa, Tochter von erschöpft und verkatert, aber die nächste Kollektion Supermodel Cindy Crawford. Der Musikstar Pharrell muss schon wieder geplant werden.“ Williams läuft auf wie ein vergoldeter Pharaonensohn. In New York starten die Manager der Chanel-Bou- Der Boden vibriert unter Ägypto-Pop. tiquen sofort nach der Show mit ihrer Order. Im Hotel „The Mark“ gibt es für Topkundinnen und Verkäufer ab 13 Uhr ein „Re-See“. Erst ab Juni werden des Kaisers DAS EREIGNIS WIRD ZUM HASH TAG: neue Kleider von der Métiers d’Art in den konzerneige- nen Boutiquen sein – oder eben nicht. Anders als in ALLEIN #CHANELMETIERSDART WIRD Hans Christian Andersens Märchen ist Look 74 ja immerhin existent, mit großem Aufwand erschaffen, 27 400-MAL BEI INSTAGRAM GEPOSTET. mit noch größerem in Szene gesetzt. Am Ende wird die Robe nur viermal bestellt: Zwei 16 Minuten später, um 20.31 Uhr, ist Schluss. Lagerfeld Exemplare gehen nach Frankreich, zwei nach Groß - lässt sich von Virginie Viard und seinem Patensohn britannien. Damit sind sie noch immer nicht verkauft, Hudson Kroenig durch die Arena führen. „Vogue“-Chefin aber immerhin hat Look 74 jetzt ein Preisschild: Anna Wintour sitzt in der ersten Reihe und bewegt die 39.540 Euro. Hände auf eine Weise, dass man nicht weiß, ob es müder Und auch wenn das Kleid nur von ein paar Frauen Applaus oder nur ein Hinweis auf die zu schlecht be- jemals getragen wird, hat es mit all den anderen Roben heizte Museumshalle sein soll. Es wird weder an ihrer von New York seine Aufgabe erfüllt: Es hat die Leute fas- überschaubaren Euphorie noch an dem vielen Gold ziniert und ihren Glauben an den Mythos Chanel frisch liegen, dass die Medien die Kollektion tags darauf allen- befeuert. All der Aufwand und die Perfektion, das kost- falls höflich aufnehmen. Die deutsche „Vogue“ wird bare Handwerk und der große Auftritt – das sorgt am schreiben, dass Chanel an einem „turning point“ sei und Ende eben auch und vor allem dafür, dass sich Frauen in sich gerade „auf sehr moderne Art und Weise“ verände- Guangdong oder Paderborn, Tallinn oder Albuquerque re. Die „New York Times“ mäkelt, das Gezeigte sei sehr für Chanel begeistern. Und dass sie sich vielleicht im- nah an „Liz-Taylor-als-Kleopatra-Kitsch“. merhin eine Sonnenbrille, einen Schal oder ein Fläsch- Mode-Weltreiche müssen sich immer wieder neu er- chen Parfum der Marke kaufen. finden, sonst gehen sie irgendwann unter wie die Pha- Niemand brauche eine Handtasche für ein paar raonen. Sie dürfen Ärger provozieren wie auch Leiden- Tausend Euro, hatte Chanel-Modechef Pavlovsky erklärt. schaft. Nur langweilig dürfen sie nie werden. Lagerfeld Man könne aber dafür sorgen, dass solche Produkte ist noch immer ein Pharao, auch bei der After-Show- Glück verheißen. Emotionen seien „der beste Weg, bei Party, zu der sie mitten im Central Park ein gigantisches den Kunden eine Verbindung zur Marke aufzubauen“. amerikanisches Diner aufgebaut haben mit Bars, Insofern hat sich auch Look 74 wieder gelohnt. Lounge-Ecken und Cheeseburgern. Selbst dort wird ge- Obwohl er sich nie rechnen wird. n tuschelt, wer KL nachfolgen könnte. Er hat mit den Wert- heimers einen lediglich eine Seite umfassenden Vertrag Am meisten verblüfft waren unsere Autoren nicht vom Preis des auf Lebenszeit. Aber solche Bis-dass-der-Tod-uns-schei- Chanel-Looks Nummer 74. Immerhin wird die Robe rund 40.000 Euro det-Engagements hindern seit Benedikt XVI. ja selbst kosten, wenn sie im Frühsommer in die Chanel-Boutiquen kommt. Päpste nicht mehr, sich einfach zur Ruhe zu setzen. Noch verrückter fanden sie, wie oft das Outfit überhaupt geordert Ist New York womöglich Lagerfelds letzter Auftritt? wurde: viermal. Ob es je verkauft wird, ist damit noch nicht gesagt. Bei der Pariser Haute-Couture-Schau am 22. Januar, das

30 REPORT Birkenstock

Auf lauten Sohlen Überraschende Kooperationen mit Valentino oder 032c, neue Produkte wie Betten und Kosmetik – Birkenstock-Chef Oliver Reichert erfindet den Sandalenklassiker ständig neu.

Text: Peter Brors; Fotos: Markus Burke

er bullige Mann kämpft sich Reichert, 47, ist Geschäftsführer der stellungshallen verpflanzen lassen. Und durch einen dichten Wald aus vollständig in Familienbesitz befindlichen präsentiert nun zwischen prächtigen Bäu- Korkeichen, schiebt einen Ast Firma Birkenstock. Was aber in aller Welt men aus Südeuropa seine neuesten Pro- zur Seite, und dann steht er da: macht der Chef des Sandalen- und Pantof- duktfamilien: Betten und Naturkosmetik. Dzwei Meter groß, mit breiten, sehr breiten felherstellers aus dem rheinland-pfälzi- Reichert sagt: „Das passt alles ganz Schultern und einem langen, rotblonden schen Neustadt (Wied) auf der Internatio- wunderbar zu unserer Marke, die sich Bart. Oliver Reichert trägt ein ausgewa- nalen Möbelmesse in Köln? Mit großem ganz und gar über Qualität und Funktion schenes blaues Sweatshirt, eine Jeans mit Aufwand und viel Liebe zum Detail hat definiert.“ Aus dem Wald schallt derweil etlichen Rissen und dazu Sandalen mit Reichert dort als Dekoration für seinen unentwegt künstliches Vogelgezwitscher. opulentem Fellbesatz. Das ungewöhnliche raumgreifenden Messestand einen verita- Es sollen wohl die imitierten Stimmen Weil wir Birkenstock mal anders zeigen wollten, holte sich unser Fotograf Markus Burke für unsere Schuhwerk, zumal an einem kühlen Win- blen Korkeichenwald – natürlich in An- von Nachtigallen und Lerchen sein. Birkenstock-Produktion in München ganz besondere tertag, gibt einen ersten Hinweis darauf, lehnung an die aus Kork gefertigten Soh- Die Worte Reicherts klingen beim ers- Models vor seine Kamera. wer diese Erscheinung sein könnte. len seiner Sandalen – in die Kölner Aus- ten Zuhören schlüssig. Genießen die ó

32 REPORT Birkenstock

Sandalen und Pantoffeln der Marke ja mourösen Pariser Modewoche, wo die ame- schließlich nahezu überall auf der Welt ei- rikanische Oscar-Preisträgerin Frances nen Ruf, als würden sie direkt durch Ortho- McDormand, umringt von ungezählten Mo- päden zur Linderung von allerlei Fuß- dels, für Valentino eigens kreierte Sanda- schmerzen quasi ärztlich und auf Rezept len von Birkenstock präsentierte. verordnet. Aber wo sind die Synergien zwi- Pierpaolo Piccioli, Creative Director bei schen den Sandalen und den Betten? Und Valentino, sagt: „Ich habe mich für die Zu- lässt sich die Matratzenproduktion auch sammenarbeit mit Birkenstock aus demsel- nur ansatzweise vernünftig skalieren? ben Grund entschieden, aus dem sich täg- „Gehen Sie mal davon aus, lich Menschen für Birkenstock dass wir nichts machen, was entscheiden. Egal, was man sich betriebswirtschaftlich nicht trägt, wer man ist, welches Ge- rechnen würde“, sagt Reichert. schlecht oder welchen sozialen „Aber in der Tat folgt der Ein- Hintergrund man hat, wie alt stieg ins Bettengeschäft und man ist, welchen Stil man hat, auch in die Kosmetik einer ande- ob man sich für Mode interes- ren Logik.“ Und dann spannt er siert oder nicht – Birkenstock den ganz großen Bogen und er- besitzt seine eigene universelle klärt die (neue) Markenphiloso- Sprache.“ phie von Birkenstock, einer Fir- Das hätte der Birkenstock- ma, die es seit 1774 gibt, die Chef wahrscheinlich nicht bes- über Jahrhunderte als bloßer ser formulieren können. Rei- Ökolatschenproduzent galt, jetzt chert ergänzt: „Sie sehen, das aber auch Kollaborationen mit Kerngeschäft wird keineswegs dem italienischen Haute-Cou- von uns vernachlässigt, nur weil ture-Haus Valentino oder dem wir jetzt jedes Jahr maximal Berliner Kultlabel 032c eingeht. 5 000 Betten herstellen wollen. Und mithilfe des derart glanz- Im Gegenteil. Auch bei unseren voll aufgeladenen Images wird Sandalen ist das Potenzial der nun eben auch versucht, hoch- Marke noch lange nicht ausge- wertige Betten und Naturkosme- schöpft.“ tik zu verkaufen. Also gibt es nun zum Preis Reichert sagt: „Gehen, ste- von 340 Euro schwarze und rote hen, schlafen, sitzen, pflegen – Birkenstock-Modelle für Valenti- all diese Aggregatzustände wol- no. Damit aber noch nicht ge- len wir in unseren Produkten nug: Auch mit dem Berliner Kul- abbilden und dazu immer auf turmagazin „032c“, das inzwi- die Qualität und die Funktion schen selbst eigene Mode achten.“ So weit, so ansatzweise entwirft, ist eine Kollektion ge- nachvollziehbar. Und deshalb gibt es jetzt »Wenn Sie Schuhgröße plant. Und wie bei der Schauspielerin eben Birkenstock-Betten, die der österrei- McDormand ist es auch bei 032c-Creative- chische Möbelbauer Ada in der Steiermark 46 haben, ist das Director Maria Koch gewissermaßen die produziert und die die verehrte Kundschaft Angebot begrenzt, und Fortsetzung einer schon lange bestehenden in 120 Möbelgeschäften zu Preisen zwi- Sie sind froh, überhaupt emotionalen Bindung: „Birkenstock waren schen 5 000 und 10 000 Euro erwerben Teil meiner Kindheit, eben typisch deutsch. kann. etwas Vernünftiges Die Kooperation ist nun ein aufregender Im Laufe des Frühjahrs ist dann die zu finden.« Schritt für die Marke 032c“, sagt Maria große Vertriebsoffensive für die neue Na- Koch. Und so ist fortan eine limitierte turkosmetiklinie geplant, bei der wie schon Oliver Reichert, Sonderedition mit Lammwolle und/oder in der Sandalen- und Bettenproduktion der Geschäftsführer von Birkenstock Camouflagemuster für die Leser des einst Naturstoff Kork zum Einsatz kommt. Und als bestes Magazin der Welt („New York mit der Dehnung des Angebots unter dem Times “) gekürten Hefts zu haben, das zwei- Birkenstock-Dach ist damit noch lange mal im Jahr auf Englisch erscheint. nicht Schluss. Demnächst wird es ziemlich Überhaupt kann sich Birkenstock-Chef sicher auch Bürostühle und Schreibtische Reichert offenbar auf eine sehr belastbare der Marke geben. Fangemeinde verlassen. Auch er selbst, Reichert ist da auf ganz schön lauten aufgewachsen im sehr ländlichen Ober- Sohlen unterwegs, könnte man meinen. schwaben, hat seine Kindheit und Jugend Tatsächlich ging es für ihn nach der Möbel- mit Birkenstock verbracht. „Ich war sehr messe in Köln auf direktem Weg zur gla- schnell ziemlich groß. Wenn Sie Schuh- ó Press Action Foto:

34 REPORT Birkenstock

größe 46 haben, ist das Angebot begrenzt, innere Verfasstheit der Firma war ein De- und Sie sind froh, überhaupt etwas Ver- saster, die auch nach außen negativ ab- nünftiges zu finden.“ strahlte“, sagt Reichert heute. „Wenn die Mit anderen Worten: Reichert, der als Margen im Stammgeschäft nicht so glän- Student auf der Position des „Defensive zend gewesen wären, hätte die Firma das End“ American Football spielte und dabei kaum überstanden.“ Schuhe mit Stollen trug, mochte es daheim Mit dem kühlen Blick von außen und seit jeher bequemer. Und weil es mit dieser klarem Kopf gelang es Reichert, die negati- Haltung offenbar viele, viele Menschen auf ven Emotionen aus dem Geschäft zu ver- dem Planeten gibt, hat Reichert bannen. Die Familie zog sich auf die Birkenstock „Personality ihre Position als Gesellschafter Kampagne“ erfunden, wo lang- zurück, Reichert machte sich jährige Sandalenträger in Video- ans Aufräumen, bereinigte in ei- beiträgen über ihre Erfahrungen nem ersten Schritt die Produkt- mit den Tretern aus dem Wester- palette und verstärkte den Ver- wald erzählen. trieb. Um in einem zweiten In diesem Zusammenhang Schritt nun ganz neue Kunden- sind Filme mit dem Fotografen kreise mit Kooperationen wie Ryan McGinley im New Yorker Valentino und neuen Produkten Haus seines Agenten und der wie den Betten zu erschließen. Balletttänzerin Romany Pajdak „Sie müssen bei einer derart lan- in einem Londoner Trainings- gen Tradition sehr vorsichtig raum entstanden, die nach Rei- vorgehen und erst verstehen, cherts Vorstellung alle einen wie die Mechanik funktioniert.“ Zweck erfüllen sollen: „Getrage- Reichert scheint gut zuge- ne Birkenstocks spiegeln das Le- hört zu haben. Das Unterneh- ben ihrer Träger wider und zeu- men jedenfalls scheint kernge- gen von den zahllosen Schritten, sund: 4 300 Mitarbeiter stellen die diese im Laufe der Jahre mit 25 Millionen Paar Schuhe aus- ihren Schuhen zurückgelegt ha- schließlich in Deutschland her. ben. Die Geschichten sollen zei- Die Produktion ist meist ausver- gen, wie wichtig es ist, authen- kauft. Sobald ein Pantoffel pro- tisch zu sein und der eigenen duziert ist, wird er ausgeliefert, Persönlichkeit treu zu bleiben.“ 90 Prozent gehen ins Ausland, je Die Kampagne ist langfristig zu gleichen Teilen nach Europa, angelegt, wie überhaupt Rei- Amerika und Asien. Das alles chert gern die großen Linien be- führte 2018 zu einem Umsatz schreibt. Eine derartige Sicht- von 800 Millionen Euro, was ei- weise hat es wohl auch ge- nem Plus von 20 Prozent zum braucht, um die Kleinstaaterei in der »Egal, ob man sich für Vorjahr entspricht. „Bei einer dramatisch Birkenstock-Familie zu beenden. Es war zweistelligen Rendite“, sagt Reichert. 2009, als der gelernte Medienmanager Rei- Mode interessiert oder Wo soll das noch hinführen? Bald viel- chert vom Deutschen Sportfernsehen, das nicht – Birkenstock leicht zu Bürostühlen, jetzt aber erst zu Bet- damals noch zur Kirch-Gruppe gehörte, zu ten: „Birkenstock ist keine ,never-ending Birkenstock wechselte. Die Familie war besitzt seine eigene story‘“, sagt der Chef, „aber passt zu allem, heillos zerstritten, jeder der drei Söhne des universelle Sprache.« was gesund ist: Wir haben einen Großbild- Patriarchen Karl Birkenstock macht seine schirm im Schlafzimmer, schauen ständig Pierpaolo Piccioli, eigenen Geschäfte mit dem Namen der Fa- Creative Director von Valentino auf das Handy, das auf dem Nachtschrank milie. Nichts war aufeinander abgestimmt. liegt, und wundern uns dann, dass wir nicht Mit Heidi Klum gab es ab 2003 erste, aber mehr gut schlafen. Dabei haben wir alle ei- geschäftlich relativ erfolglose Vorstöße ins ne Sehnsucht nach gesundem Schlaf. Und Luxussegment. In New York wurde ein unsere Betten können dabei helfen.“ n sündhaft teurer Flagship-Store eröffnet, und ein umfassendes Sportsponsoring im Für unser Shooting in München waren Profis unter Basketball leistete sich die Firma auch. sich: Das Mädchen, die Tochter eines Fotografen, heißt In der eigenen Sippe kamen mitunter Elsa, die junge Frau Alina, und der Hund hört auf öffentlich ausgetragene Scheidungsschlach- den Namen Ada und wurde während der Aufnahmen ten dazu. Und mit der Belegschaft und dem mit Leberwurst belohnt. Alle drei stehen immer mal Betriebsrat sprach die Familie mehr vor wieder als Models vor der Kamera. dem Arbeitsgericht als in der Kantine. „Die

37 WARENKORB Logomania!

Warum durch die Blume sprechen, wenn es auch direkt geht? Die Modemarken DREIFACHE WIRKUNG kommen derzeit unmissverständlich klar auf den Punkt. Logos finden sich überall Sneakers brauchen keine Geschlechterzuord- nung. Bei Dolce & Gabbana gibt es das Modell und zeigen eine souveräne Spur von Ironie. Es geht vor allem um Spaß. Sorrento sowohl für Damen wie für Herren. Das Obermaterial ist aus einem dehnbaren Stretch-Jersey. Logos finden sich an den Seiten, an der Ferse und der Oberseite. 495 Euro. www.dolcegabbana.com MEHRFACHE KODIERUNG Die Brosche Dio(r)evolution kombiniert den Namen Dior ELEGANTE PEDALE DYNAMISCHE REIHUNG mit Glückssymbolen wie Auch der Modedesigner Paul Smith stimmt Die hohe Kunst der Logomanie: Ein klares einem Kleeblatt und der Zahl in den Logo-Hype mit ein. Das Indigo Cycling Zeichen setzen, ohne allzu aufdringlich zu wir- Acht. Dazu gesellen sich Jersey ist aus einem Micro-Piqué-Gewebe ken. Mit Bravour beherrscht das Valentino-Chef- weitere Insignien des Pariser gefertigt, wie es für die Trikots von Rennrad- designer Pierpaolo Piccioli mit diesem Kleid aus Hauses wie das klassische fahrern verwendet wird. Ein Punktmuster Brokat. Der Buchstabe V wird aufrecht CD-Logo sowie Sterne und dekoriert die Sportlichkeit mit stilsicherer und kopfstehend nebeneinander addiert, eine Biene. Letztere ist eine Eleganz. 255 Euro. www.paulsmith.com sodass ein Muster daraus entsteht. Reverenz an Hedi Slimane, 1 790 Euro. www.valentino.com der das Insekt zum Logo der LUXURIÖSE GARTENARBEIT Herrenkollektionen erkoren Aus Modeperspektive sind Baumärkte hatte. 290 Euro. www.dior.com bislang wenig aufgefallen. Aus diesem Grund hat sich Virgil Abloh ihrer ange- nommen. Mit seiner ersten Kollektion LAUFENDE DEHNBARKEIT als Chefdesigner bei Louis Vuitton hat Warum nur ein Namenszug, wenn ENERGETISCHE ZEIT er eine edle Interpretation jener Hand- es auch 100 sein können? Balen- Auf Signalwirkung setzt die schuhe vorgestellt, die einst zum ciaga-Kreativchef Demna Gvasalia Uhrenmanufaktur Hublot mit Handwerkeln und Gärtnern konzipiert hat diese Stiefel so bedruckt, als dem auf 100 Stück limitier- wurden. 250 Euro. www.louisvuitton.com ten Classic Fusion Aerofusion SPORTIVER HYBRID wären sie von mehreren Lagen Logo-Band umwickelt. Zum Anzie- Chronograph Orlinski Red Gucci-Chefdesigner Alessandro hen braucht es keinen Reißver- Magic. Armband und Gehäuse Michele setzt mit diesem Kleid schluss. Die Schuhe aus Stretch sind aus roter Keramik gefer- SIGNIERTER GRIFF auf Gegensätze. Jersey mit tigt. Die Gestaltung oblag dem werden wie Socken übergestreift. Persönlicher als jedes Logo ist dem Doppel-G-Logomuster französischen Künstler Richard 1 195 Euro. www.balenciaga.com die Unterschrift. Genau das dach- trifft auf V-förmige Streifen Orlinski, der denselben Farbton te Giorgio Armani und entwarf – als wären Trainingsjacke häufig für seine Tier skulpturen die Kollektion Signature Pieces, und Ausgehkleid ver- verwendet. 23 800 Euro. bei der alle Taschen, Schuhe und schmolzen. Auf der Herz- www.hublot.com seite ist ein Gucci-Logo, Kleidungsstücke den Namen des das an die Videospiel- Designers zeigen. So auch dieser grafik der 80er erin- Shopper aus blauem Strick - nert. 1 500 Euro. gewebe mit Lederapplikationen. www.gucci.com 1 200 Euro. www.armani.com RÖMISCHE LEIDENSCHAFT Als Karl Lagerfeld 1965 zu Fendi kam, nahm er Papier und LEUCHTENDER BLICKFANG Stift zur Hand und zeichnete Hermès hat sich vornehmer Eleganz verschrie- in Windeseile das berühmte ben. Doch zumindest am Strand darf alles Doppel-F-Logo. Bis heute ist es WANDELBARE MEERESBEWOHNER lauter sein. Der Strandbeutel Neobain zieht aus den Kollektionen des römi- Spannend wird es dort, wo Logos immer in Zitronengelb und klar ausgeschriebenem schen Modehauses nicht mehr wieder neu erfunden werden. Wie das Firmennamen die Blicke auf sich. Dank eines weg zudenken. Jeans 790 Eu- STIMMIGE VERBINDUNG geht, zeigt die Tasche Brique von Prada, Materialmix aus 80 Prozent Polyamid und ro, Hemd 570 Euro, Mütze Auf Vintage-Charme setzen die Manschettenknöpfe von die mit fröhlichen Walen geschmückt ist. 20 Prozent Elastan bleibt der Inhalt vor 390 Euro, Tote Bag 920 Euro, Zegna. Der Name des Firmengründers wird in Handschrift Der Markenschriftzug wird von Abbildung Nässe geschützt. 210 Euro. www.hermes.com alles mit Logo. www.fendi.com aufgegriffen, fast so, als wäre eine schnelle Notiz hinter- zu Abbildung in leichter Retromanier lassen worden. Die Kanten der Knöpfe werden von Fisch-

variiert. 1 350 Euro. www.prada.com Norman Kietzmann Redaktion: grätenmustern akzentuiert. 210 Euro. www.zegna.de

38 39 Illustration: Martin Haake für Handelsblatt Magazin ne Wochenkarte füreinexklusives SpainSan ei- (inklusivereise undBallonfahrt), Privatsafari unterren Tansania- einezwölftägige anderem Jahr 2018:etwa 100 000 Dollar. Darunter wa- diese Tradition. allerGeschenke DerWert im nen undGratisprodukten. gibtes Seit17Jahren Bag“, eineGeschenktüte randvoll mitGutschei- Bekanntheit. Sieallebekommen eine„Goodie Oscar-Verleihung und –nicht nuranMarktwert Academy sind,schon vor Award der nominiert die 25Schauspieler undRegisseure, diefürden Goldjungen Gewonnen holenoder nicht: haben einenderbegehrten Ob sienunam24.Februar Warum beschenkt werden. Oscar-Nominierte mitLuxusurlauben undGratisproben Goldige Hoffnung DAS PRINZIP Oscar-Verleihungen Christian Wermke Face Kanälen.book undanderen Followern aufInstagram, Hunderttausenden dys von Trips undProdukten,auch sondern nicht Film-Bud- nurihren Alierzählen hershala LadyGaga oderMa- Werbung. DieHoffnung: dieAktiongezielte –ist Dollarfällig tausend ten eineMarketinggebühr wird von einpaar den kostenlos zurVerfügung gestellten Produk- Geschenketaschesondere investieren –neben bestimmterne Jahresflatrate Beauty-Produkte. Diego, einsiebentägiger Hawaii-Urlaub undei- Für dieUnternehmen, dieindieseganz be- Alexander Möthe, 41 NAHAUFNAHME Uli Sigg

Der Gratwanderer Der Schweizer Unternehmer Uli Sigg hat den Chinesen den Kapitalismus nähergebracht – und dann auch noch ihre eigene zeitgenössische Kunst. Was treibt den Mann nur an?

Text: Susanne Schreiber, Thomas Tuma; Fotos: Michael Englert

Ein Leben für die Kunst: Sammler Sigg in seinem Wohnzimmer auf Schloss Mauensee vor dem „Lack Pine Tree“ von Shi Jinsong, der zurzeit in Wien im MAK ausgestellt wird.

43 NAHAUFNAHME Uli Sigg

»China repräsentiert schlechthin ‚das Andere‘. Auf alles haben die Chinesen eine andere Antwort als wir gefunden. Die Schrift, der Denkprozess, die Ästhetik … alles.«

Siggs Welt: Tausende von Büchern, (teils vor der Zensur gerettete) Werke zeitgenössischer Künstler, Erinnerungsfotos mit Parteikadern (l.). Im Esszimmer Zhang Xiaogangs Kommentar zur Einkindpolitik und Youhan Yus „Mao Marylin“ (r.).

45 NAHAUFNAHME Uli Sigg

it der Liebe ist das so eine Sache. Meist ist sie ja etwas Schönes. Dann bedeutet sie Wärme, Ruhe, Vertrauen. So liebt der Schweizer Uli Sigg seine Frau. Aber dann liebt er noch etwas ganz anderes, Mund da bedeutet Liebe immer wieder auch Schmerz, Enttäuschung, Ärger, Trauer, Überraschung. Uli Sigg liebt China. Nur liebt China nicht immer zurück. Dabei ist Sigg so treu. Über zehn Jahre hat er in China sogar gelebt. Jetzt, mit 72, reist er entweder alle zwei, drei Monate in dieses gigantische Land mit sei- nen 1,4 Milliarden Menschen. Oder er ist hier in Euro- pa und umgibt sich wenigstens mit der zeitgenössi- schen Kunst der Volksrepublik. Sein Wasserschloss am Mauensee bei Luzern scheint nur dem einen Zweck zu folgen, dieser so fremden, so intensiven Kunst ein Zuhause zu bieten, auch wenn viele Haupt- werke seiner Sammlung derzeit in Wien zu sehen sind (siehe Seite 50). ULI SIGG Den Großteil seiner Schätze hat er sogar einem chinesischen Museum geschenkt, wovon noch die Re- versteht es, Menschen und diver- de sein wird, denn gerade diese Geschichte passt wun- gierende Welten zusammenzubrin- derbar zur wechselvollen Liebe zwischen ihm und gen. Der promovierte Jurist war China. Seither wartet er darauf, dass diese Kunst dort Wirtschaftsjournalist, Mitarbeiter auch auf Publikum trifft, was noch längst nicht sicher beim Aufzughersteller Schindler, ist, auch wenn sie es ihm versprochen hatten. Ach, Geschäftsführer von China Schind- China! Schönes, fremdes, wildes, starkes China, das ler Elevators sowie Botschafter der Sigg vor rund 40 Jahren kennen lernte und von dem Schweiz in China, Nordkorea und er seither nie mehr loskam. der Mongolei. Seit den 1970er-Jah- Ende der Siebzigerjahre war der promovierte Ju- ren sammelt Sigg zeitgenössische rist Sigg bei der Aufzugsfirma Schindler angestellt. chinesische Kunst. Niemand kennt Damals reiste eine chinesische Delegation ins Luzerni- sich so gut aus wie er, keiner hat sche zu Schindler, um ein Joint Venture zu gründen. so früh so günstig gekauft. 2012 Sigg erkannte die einmalige Chance. Das Gemein- schenkten er und seine Frau Rita schaftsunternehmen wurde zur Blaupause für Aber- 1 463 Werke dem im Entstehen be- tausende von ähnlichen Projekten und brachte im griffenen Museum M+ in Hong- Prinzip den Kapitalismus in das Reich. kong. Hier steht der Großsammler Bis heute repräsentiert China für Sigg „schlecht- in seinem Garten zwischen den hin ‚das Andere‘. Auf alles haben die Chinesen eine „Urban Peasants“ von Liang Shuo. andere Antwort als wir gefunden. Die Schrift, der Denkprozess, die Ästhetik … alles.“ Mittlerweile sei Jedes Kunstwerk muss zumindest die kleine Brücke zum das Land „eine Art Hybrid geworden aus seiner ganz Sigg-Schloss Mauensee passieren können (o.). Die Dinosaurier- eigenen Kultur und den machtvollen Einflüssen des knochen im Garten sind Stahlskulpturen aus dem Jahr 2007 von Wang Jin (u.). Westens. Aber selbst Chinesen, die eine westliche Hochschulausbildung absolviert haben, sind irgendwo noch anders in ihrem Wesen. Und das fasziniert mich bis heute … Das neue China ist das größte Experi- ment, das die Menschheitsgeschichte je gesehen hat: so einschneidend, so radikal, auch so schmerzhaft.“ Bis heute gebe es „noch zu viele Missverständnis- se zwischen dem Westen und China – auf beiden Sei- ten. Das beginnt schon bei der Rechtsauffassung und der Frage: Was ist ein Vertrag? Bei uns gilt seit den Römern: Pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhal- ten“, erklärt Sigg. Nach chinesischer Ansicht sei „ein Vertrag eher die Fixierung dessen, was wir heute wol- len. In einem Jahr mag die Realität indes ganz anders aussehen. Dann muss eben neu verhandelt, der ó

46 NAHAUFNAHME Uli Sigg

Vertrag der neuen Realität angepasst werden, was als System in sich durchaus auch schlüssig ist. Die Pro- bleme tauchen auf, weil beide Seiten unterschiedliche Vorstellungen vom selben Begriff haben.“ Vielleicht sollten manche, die jetzt mit Handels- kriegen und Boykottaufrufen spielen, öfter mal jeman- den wie Sigg fragen, der die Jahre nutzte, um zu ler- nen. Als Manager. Als Diplomat seines Heimatlandes. Als Freund. Und irgendwann auch als Sammler von zeitgenössischer Kunst, die China selbst lange gar nicht wahrhaben wollte. Kunst soll im chinesischen Verständnis schön sein. Kritik an den herrschenden Verhältnissen wird da schnell gefährlich – für den Künstler wie den Sammler. So begann ein Balanceakt, aber Sigg war es wichtig, aus der Wirtschaft-und-Poli- tik-Blase auszubrechen und eine dritte Facette der Volksrepublik durch deren Kunst kennen zu lernen. Die Kunst findet Bilder fürs Unaussprechliche Für wenige Hundert oder Tausend Dollar kaufte er früh Konzeptkunst von Ai Weiwei und Bilder von Zeng Fanzhi und Zhang Xiaogang – als deren Kunst noch keinen Markt hatte. Sigg war der Markt. Dann begann er, wie beim Joint Venture in großen Dimensionen zu denken. Sigg wollte eine Enzyklopädie zeitgenössi- scher Kunst made in China zusammentragen. Seine Begründung: Weil keine staatliche Institution damals Chinas gewaltigen Aufbruch in der Kunst begleitete, kuratierte eben ein Schweizer Chinas „Nationalsamm- lung“ – auf eigene Kosten. Die Kunst findet Bilder für das, was nicht gesagt oder geschrieben werden kann. In Siggs bis unters Dach mit Kunst gefülltem Habsburgerschloss hängt zum Beispiel eine Maske aus Holz, die keinen Mund hat. Sie heißt „Der Kader“, ein Apparatschik, der keine Meinung haben darf. Selbst in Siggs Schlafzimmer verbreitet der Maler Zhao Bandi Unbehagen: Großfor- matig zeigt er eine elegante Konzertpianistin, die gar nicht zu merken scheint, dass der Flügel und sie be- reits in schwarzem Wasser unterzugehen drohen. Da ist der „Bonsai No 19“ von Shen Shaomin. Das Bäumchen wächst zwar, aber nach strengen Regeln und von metallischen Schienen gebändigt. Da ist – im Garten der 1,4 Hektar großen Insel im Mauensee – die große Installation aus Marmorfenstern von Ai Weiwei, dessen Anwalt in Peking gerade zu einer mehrjähri- gen Haftstrafe verurteilt wurde, während der Künstler selbst in Berlin so eine Art Asyl gefunden hat. Da ist Shi Jinsongs „Jade Work“, bei dem ein Jadekopf unab- lässig Löcher in die Wand schlägt. Wen symbolisiert Kein Ort ohne Kunst auf Schloss Mauensee: Den rosa der Kopf, wen die Wand in einem Land, das den har- Gelehrten stein hat Zhang Jian Jun erschaffen (o.). In der Transportkiste darunter sind Teile von „Descending Light ten Jadestein geradezu kultisch verehrt, Persönlich- With A Missing Circle“ von Ai Weiwei fürs MAK in Wien. keitsrechte aber nicht kennt? Auf der linken Seite: Hausherr Sigg in seinem Arbeitszimmer. Der Strippenzieher Sigg begann schnell, die In - fluencer der westlichen Kunstszene für China zu begeistern: den damaligen Direktor der Biennale von Venedig, Harald Szeemann, Direktoren und Kuratoren westlicher Museen, Galeristen. Was nach Macht und Einfluss aussieht, wird für Sigg der Weg, die ó

49 NAHAUFNAHME Uli Sigg

chinesische Kunst mit sich selbst bekanntzumachen. kritisiert die Kunst, die er sammelt, was der allmächti- Die Geschichte sollte ihm recht geben. Es gibt in Chi- gen Einheitspartei wichtig ist. Kürzlich sollte in Hong- na bis heute keine bessere Zusammenstellung der kong eine Ausstellung die Historie seiner Sammlung Kunst seit 1966. Hauptwerke nahezu aller Stilarten beleuchten. Der Zensor schritt ein und untersagte sie, hatte der Sammler erworben, bevor der Markt explo- weil Exponate und der Titel des Projekts „Right is dierte. Auch, weil ausgerechnet neureiche Chinesen wrong“ als Angriff aufgefasst wurden. Dem Sammler plötzlich zweistellige Millionen-Dollar-Beträge für be- und dem Museum gelang es schließlich doch noch, die gehrte Hauptwerke aufzubieten bereit waren. Obrigkeit umzustimmen. Mit dem Einstampfen der „Missverständnisse erlebt auch der Kunstmarkt“, Kataloge, neuem Titel, aber denselben Kunstwerken. beobachtet Sigg. „Es gab im Westen einige giganti- „Für das Museum wird wichtig sein, wohin China sche Ausstellungen, die der zeitgenössischen chinesi- will. Ich habe noch immer die Hoffnung, dass China ir- schen Kunst mehr geschadet als geholfen haben – gendwann in 20 Jahren vielleicht eher wie Hongkong einfach weil sie ihr nicht gerecht wurden. Weil sie zu heute sein wird als umgekehrt.“ Aber was will die viele schwache Künstler und Werke zeigten. Weil Volksrepublik selbst? Die Parteispitze wolle „ins Zen- auch die Kuratoren kaum Verständnis oder Einord- trum der Welt aufrücken“, prophezeit Sigg. „Trump nung lieferten.“ hat da nur das Timing verschärft. Dieser konzeptlose Amerikaner verhieß, vermeintlich, der politischen Er hofft noch auf ein gutes Ende Spitze in Peking, dass sie es noch weit schneller zur Li Zhanyang „Uli Sigg“ - „CHINESE WHISPERS“ eine humorvolle Fiberglas- im Wiener MAK (bis 26.5.) Im Jahr 2012 folgt die Krönung all seiner Sammellei- Weltherrschaft bringen könne als ursprünglich ange- statuette auf dem Spül- kombiniert Siggs Werke mit denschaft: Die Stiftung von Uli und Rita Sigg schenkte dacht. Einen drohenden Handelskrieg mit den USA kasten. Das rote Gemälde eigenem klassischen Bestand dem im Aufbau befindlichen Museum M+ in Hong- hatte man allerdings nicht auf der Rechnung, das von Tian Wei im Flur (hier nur ein Ausschnitt) scheint – etwa einer Vase aus der kong 1463 Werke chinesischer Künstler. Die Samm- macht die chinesischen Pläne wieder fraglich.“ lung wurde auf einen Wert von 185 Millionen Schwei- Seine Liebe macht Sigg nicht blind. Eher sieht er aus chinesischen Schrift- Song-Dynastie (u.). zeichen zu bestehen, doch zer Franken geschätzt. 47 weitere Werke verkaufte die Dinge besonders scharf: „Wir im Westen sind im es sind lateinische Buch- Sigg dem M+ für 22 Millionen Franken, um weiterhin Vergleich zu China kraftlos. Selbst große Demokratien staben „Money“, die chine- als Sammler und Förderer tätig sein zu können. Ei- wie Deutschland haben in jüngerer Zeit in der Außen- sisch wirken. gentlich wäre das Paar mit seinem Schatz gern nach sicht ja doch große Probleme. Frankreich ist im Grun- Schanghai oder Peking gegangen. Aber dann schien de sogar unregierbar. Es ist also nicht unbedingt der ihnen Hongkong doch sicherer. Die Metropole war lan- Moment, mit unserem Modell, das eh nicht selbster- ge britische Kronkolonie. Und selbst als es an China klärend ist, global punkten zu können“, findet er. Ob zurückfiel, schien es seine Selbstständigkeit als Brü- deshalb das chinesische Modell für andere aber zum cke zum Westen zu verteidigen. Vorbild taugt, bezweifelt er dennoch. Sigg setzt auf die Nach Bauverzögerungen soll das von Herzog & de nächste Generation, „denn fast jeder chinesische Meuron geplante M+ im Jahr 2020 eröffnen. Die Star- Funktionär, mit dem ich spreche, hat ein Kind im Wes- Architekten aus der Schweiz hatten zuvor schon – ten, vornehmlich in den USA. Irgendwann kommen auch durch Siggs geschickte Vermittlung – das Vogel- die zurück nach China, und dann werden sie einen nest, Pekings Olympiastadion, gebaut. Eigentlich war Schritt weiter gehen als ihre Eltern.“ alles verabredet. Ein Drittel der Sigg-Sammlung sollte Zugleich sieht er, wie das neue Sozialkreditsystem dauerhaft präsentiert werden. Von 5 000 Quadratme- dank digitaler Hightech das Land in einen totalen tern Ausstellungsfläche war die Rede. Eigentlich. Mit Überwachungsstaat zu verwandeln droht. „Ein Traum Verträgen ist das so eine Sache. Und der Wind dreht für jedes autoritäre System“, findet Sigg. „Weil es tota- sich neuerdings in Hongkong. le Stabilität verspricht, da es alles andere als Wohlver- „Man kann derzeit nicht ganz ausschließen, dass halten und Konformismus wirksam zu sanktionieren das eine oder andere meiner Sammlung in den Kel- vermag.“ Er macht nicht den Fehler vieler im Westen, lern des M+ verstauben könnte“, sagt der 72-Jährige. die China mit hiesigen Maßstäben vermessen wollen: „2011 wurde mir in Hongkong noch garantiert, dass „Wenn man die 1,4 Milliarden Chinesen aktuell fragen es dort Meinungs- und Kunstfreiheit gibt. Heute, acht würde, ob sie die Demokratie wollen – ich würde an- Jahre später und 21 Jahre, nachdem Hongkong an Chi- nehmen, dass die Mehrheit sich dagegen entschiede. na zurückgefallen ist, kann mir das niemand mehr ga- Auch weil sie nicht wirklich wissen, wovon wir eigent- rantieren. Ich bin da aber pragmatisch und hoffe auf lich sprechen.“ ein gutes Ende. Das habe ich in 40 Jahren China ge- Sigg versteht auch ihr Unverständnis. Das muss Von oben: He Xiangyu: „The Death of Marat“. Ni Youyu: „Speci- men Cabinet in Negative Color III“. Ai Weiwei: „Descending lernt, zumal ich das Problem selbst nicht lösen kann.“ sie wohl sein: wahre Liebe. n Light with A Missing Circle“; hier in einer Ansicht auf Schloss Sigg ist ohnmächtig. Sigg ist mächtig. Einerseits Mauensee vor einer Tapete mit Überwachungsgeräten als genießt er seit dem Erfolg mit dem ersten Joint Ventu- Wäre Uli Sigg auf Selbstinszenierung aus, hätte er wohl eher oben Motiv. Blick in die Wiener Ausstellung mit diversen Werken von re bei China Schindler Elevators bis heute höchste An- im Schloss seine Gäste erwartet. Stattdessen kam er ihnen lieber Liu Ding, darunter „1989“. Das Tiananmen-Massaker ist nicht erkennung. Viele, die damals im Parteikader mit ihm darstellbar. Für Chinesen reicht die Jahreszahl zur Erinnerung. fröhlich entgegen. „Für Schweizer hat Macht keine Faszination“, verhandelten, sitzen heute ganz oben in der Nomen- wird der einflussreichste Kenner chinesischer Kunst später beim klatura. Sigg darf zum Beispiel den Beraterstab der Mittagessen schmunzeln. „Doch das glaubt uns keiner.“

China Development Bank unterstützen. Andererseits Pichler MAK/Georg Mayer/Tamara Fotos:

50 51 ORTSTERMIN Tel Aviv Stadt mit mehr als Meer Niemand kennt Tel Aviv besser als Nuriel Molcho. Seine berühmten Streetfood Eltern stammen aus der Metropole. Er liebt das bunte Miteinander und SABICH Gut essen kann man an jeder ist immer auf der Suche nach kulinarischen Entdeckungen. Ecke, aber das beste Sabich (vegetarisches Streetfood) in Kunst Tel Aviv findet man auf der MUSEUM OF ART Frishman St. 42 in Jaffo. Da- Kultur muss sein. hin gehe ich jedes Mal, wenn Im städtischen Kunst - ich in der Stadt bin. museum mag ich besonders die Foto - Strand grafie- Abteilung. Mit SPORT MIT AUSSICHT dem 2011 eröffneten Das Beste an der Stadt ist, dass sie am schneeweißen Neubau Meer liegt. Ich empfehle, Sportsachen mit- ist die Ausstellungs - zunehmen. Bei dem vielen leckeren Essen fläche jetzt doppelt macht es Spaß und tut dem Körper gut, so groß. zum Sonnenuntergang am Ende des Tages www.tamuseum.org.il entlang der Promenade zu joggen.

Restaurant HA SALON Ein Besuch in diesem Restaurant ist ein außergewöhnliches Erlebnis: Chef Eyal Shani, einer der besten Köche der Stadt, verfolgt ein offenes Küchenkonzept. Die Speisekarte ändert sich ständig, je nachdem, was es auf dem Markt gibt. Aber Achtung: Das Ha Salon hat nur mittwochs und donnerstags geöffnet. www.secrettelaviv.com/best/best-restaurants/hasalon

Hotel NURIEL MOLCHO POLI HOUSE Gastronom und Unternehmer Das ist ein tolles Boutique-Hotel mit Für mich ist Tel Aviv eine impul - Frühstück einem Rooftop-Pool. Es liegt direkt sive, sich immer verändernde DOKTOR SHAKSHUKA am Shuk Ha’Carmel, einem der span- Stadt. Jedes Mal, wenn ich dort Am besten geht man morgens in die Altstadt nendsten Märkte der Stadt. Das Haus bin, entdecke ich sie neu. Meine Jaffo und ganz klassisch zu Doktor Shakshuka. ist im Bauhausstil der 30er-Jahre ge- Eltern, der Pantomime Samy und Da gibt es das original israelische Gericht, das baut, die Adresse ist: Nahalat Binya- die Köchin Haya Molcho, sind aus dem Restaurant den Namen gibt: Eier gekocht min St. 1. www.brownhotels.com/poli Tel Aviv, deshalb ist Israel auch in einer gut gewürzten Tomatensauce. Das meine Heimat. Gerade haben wir schmeckt vorzüglich direkt aus der Pfanne. Bar unser neues Kochbuch „Tel Aviv www.doctorshakshuka.co.il Club KULI ALMA by NENI“ geschrieben, es geht um DER BLOCK TANZT Sehr cool, diese Bar im Süden der Stadt. Hier ist Persönlichkeiten, Rezepte und die Mein spezieller Tipp: Das ist der beste jeden Tag der Woche etwas los, mit Livemusik, Orte, die Tel Aviv zu dem machen, Techno-Club der Stadt! Einlass in der Street-Art und Videos. Ich finde, der Laden hat was es ist. Shalma Road 157 ist ab 23.30 Uhr – sehr viel Berliner Flair. Geöffnet wird um 21 Uhr. und dann geht’s ab. www.block-club.com www.kulialma.com

Fotos: Getty Images, Laif, Mauritius Images Laif, Mauritius Images Images, Getty Fotos: Karte: Handelsblatt Magazin Aufgezeichnet von Regina Krieger

52 53 NA LOGO

Na Logo IMPRESSUM Es gibt so viele Marken – aber wer und was steckt eigentlich hinter Celine, dem französischen Modehaus und Hersteller exklusiver Lederwaren? Verleger: Dieter von Holtzbrinck

Chefredaktion: Name: Céline, seit Kurzem auch Celine. mindestens verdoppeln zu können. Seit 2009 Thomas Tuma (V. i. S. d. P.) wurden die Umsätze bereits vervierfacht. Gegründet: Céline wurde 1945 von Céline Peter Brors Vipiana zusammen mit ihrem Mann gegrün- Bekannt für: sehr exklusive Ledertaschen det. Zuerst wurden dort Kinderschuhe in und luxuriöse Sportswear. Dieses Image kre- Artdirektorin: Janina Kossmann Maßarbeit hergestellt. Erst in den 1960er- ierte Michael Kors bereits 1997. Die Britin Redaktion: Jahren spezialisierte sich Céline auf Taschen, Phoebe Philo setzte zwischen 2008 und Alexander Demling, Norman Accessoires und Mode. 2018 auf minimalistische Kietzmann (Weltmarkt & Warenkorb), Sitz: Seit 2014 in der 16 und feminine Mode und Regina Krieger, Alexander Möthe, rue Vivienne Paris, nahe verhalf der Marke zu Claudia Obmann, Susanne Schreiber (Kunst & Kunstmarkt), Christian der alten Oper Garnier. neuer Kraft. Seither ist Hedi Slimane künstleri- Wermke Besitzer: Seit 1996 ge- scher Direktor. Er soll bei Bildchefin: Nicola Düpow hört das Unternehmen Celine unter anderem zum Luxus-Konglomerat auch Männermode ent- LVMH des Franzosen Ber- Bildbearbeitung: Twentyfour Seven wickeln – wird aber von Creative Media Services GmbH nard Arnault. Der hatte vielen Celine-Fans bis- Céline bereits 1987 als lang misstrauisch be- Produktion: Jörg Fiedler, Dior-Eigner übernommen. äugt, weil er immer nur Gitta Hönighaus Das Logo: Lange war die einen Stil kenne: seinen. Marke durch ein doppeltes C unverkennbar. Mitarbeiter dieser Ausgabe: Die Kundschaft: Viele Prominente, darunter Das erste Logo war ein roter Elefant in Michael Brächer, Katja Dittrich, Dakota Johnson und Lady Gaga. Delia Fischer, Pierre Heumann, Miniformat, entworfen vom französischen Tiffany Hsu, Katharina Kort, Zeichner Raymond Peynet. Ab 1973 war das Philosophie: Celine will exklusive, elegante Tanja Kuchenbecker, Kerstin Leitel, verschlungene C-Logo durch die Glieder der und moderne Produkte anbieten. Alexander Möthe, Mathias Peer, Ketten um den Triumphbogen herum inspi- Die Realität: Im Laufe der Jahre wurde die Richard David Precht, Hans-Peter riert. Der aktuelle Designer Hedi Slimane Siebenhaar, Julia Stoschek, Marke modernisiert und minimalistischer, Barbara Vinken änderte im Jahr 2018 das Logo des Firmen- doch der Anspruch der Exklusivität blieb. namens – beim „é“ von Céline fiel der Unter Hedi Slimane wurde sie wieder Schlussredaktion: Akzent weg. rockiger, inspiriert durch die 1960er- und Koordination: Michael Raschke Zahlen, bitte! 1 900 Mitarbeiter, 140 Ver- 1980er-Jahre, richtet sie sich nun an eine Korrektorat: Klaus Kemper, Ulrich kaufsstellen weltweit, 2017 ein Umsatz von junge Generation, was viele Fans von Phoebe Selich, Martin Wingenroth knapp einer Milliarde Euro. Die Marke hofft, Philo kritisieren. Eher geeignet für die Party Dokumentation: Anna M. Mondry, Nathan Vymyslicky die Verkäufe innerhalb von fünf Jahren als fürs Büro. Tanja Kuchenbecker Verlag: Handelsblatt GmbH (Verleger im Sinne des Presserechts) Geschäftsführung: Frank Dopheide, Gerrit Schumann Warum man Kindern Smartphones erlaubt Objektleitung: Pascal Gerckens Anzeigen: iq media marketing gmbh, Geschäftsführer: Frank Dopheide, Stefan Knieß Anzeigenleitung: Ulrike Kriechhammer Damit sie nicht in ihren technologischen Fähigkeiten abgehängt werden Anschrift von Verlag, Redaktion und Anzeigenleitung: Damit sie nicht sozial Toulouser Allee 27, ausgeschlossen werden 40211 Düsseldorf Damit man selbst mal in Ruhe Telefon: 0211/887–0 ein gutes Buch lesen kann Druckerei: Krögers Buch- und Verlagsdruckerei GmbH, Industriestraße 21, 22880 Wedel Katja Dittrich (auf Twitter @katjaberlin) entwirft fürs Handelsblatt Magazin die etwas andere Grafik.

54 RUHE BITTE! Florian Flück

Chillen unterm Nordlicht Wenn der Schweizer Rettungssanitäter Florian Flück sich von seinem Job erholen will, macht er Urlaub in Norwegen – oder fährt Ski.

Hier oben in den Bergen ist das so: Wir arbeiten am Rettungssanitäter gemacht. Ich liebe diesen Beruf, meisten, wenn die anderen Leute Urlaub machen. auch wenn es natürlich Einsätze gibt, die man nicht Während der Skisaison sind wir mit vier Rettungswa- mehr vergisst. Aber ob Sie mir das glauben oder nicht: gen in Bereitschaft. Der Februar ist am hektischsten. Ich empfinde nicht mal die Notfälle als Stress. Je Da hatte ich mal ein Dutzend Einsätze in einer einzi- schlimmer die Verletzungen sind, desto fokussierter gen Schicht. Ich bin jedes Mal froh, wenn die Skisai- arbeiten wir. Das Privatleben der Patienten darf man son vorbei ist. Komischerweise kann ich es dann aber dabei nicht zu nah an sich ranlassen. Sonst kann man kaum erwarten, bis es wieder losgeht. diesen Job nicht machen. Nach Unser Job ist es, die Leute nach einem Unfall so zu einem rauen Einsatz hilft es stabilisieren, dass wir sie in die Notaufnahme bringen oft, unter Kollegen darüber zu Florian Flück, 43, ist können. Während der Skisaison haben wir es meis- reden. Und natürlich können Rettungssanitäter im Ober- tens mit jungen Patienten zu tun, die eigentlich fit wir mit Psychologen sprechen. engadin. Mit 20 Kollegen sind. Im Sommer kommen viele ältere Leute zum Abschalten kann ich am ist er dort auch für Sankt Wandern, die bringen dann oft ihre ganze Krankenge- besten beim Fotografieren. Ich Moritz zuständig. schichte mit. Aber gerade die Abwechslung finde ich liebe zum Beispiel das Nord- spannend. Ich könnte mir keinen Beruf vorstellen, bei licht. Dieses Phänomen fasziniert mich so sehr, dass dem mich jeden Tag das Gleiche erwartet. wir oft Familienurlaub in Norwegen machen. Und Manchmal ist ja sogar ein Star dabei. Einmal stand wenn ich frei habe, fahre ich gerne Ski. Viele Leute, eine Frau neben mir im Fahrstuhl, und später sagte die im Krankenhaus arbeiten, haben mit dem Skifah- ein Kollege dann: „Das war doch die Tina Turner!“ Sie ren aufgehört. „Da verletzt man sich so schlimm!“, sa- war’s tatsächlich, aber ich habe sie nicht erkannt. Für gen die dann. Aber das liegt daran, dass sie nur die meine Arbeit macht das eh keinen Unterschied. Auf Leute sehen, die wir bei ihnen abliefern. Wer gesunde unserer Trage bekommen alle die gleiche Behandlung. Skifahrer sehen möchte, muss auf die Piste kommen. Zur Rettung kam ich über Umwege. Nach dem Mi- Die meisten Stürze gehen nämlich glimpflich aus. Ich litär wusste ich nicht so recht wohin. Eine Zeit lang ar- bin in 43 Jahren nur einmal richtig schlimm gestürzt. beitete ich als Tauchlehrer in der Karibik. Dann bin Das ist doch eine gute Statistik, oder? n

Foto: Meinrad für Handelsblatt Magazin Schade/Laif Foto: ich zurück nach Hause und habe die Ausbildung zum Aufgezeichnet von Michael Brächer

57 DAS LETZTE WORT von Richard David Precht

zum Frühchinesisch, Geigenunterricht und zum Ten- nis, um sich am Ende sagen zu lassen, man hätte nie Zeit für sie gehabt und sie hätten dabei ihre Kindheit verpasst. Und man reiht sich mit allergrößtem Auf- wand ein in die endlose Kohorte all derjenigen, die al- le das Gleiche wollen: anders sein als die anderen. Je genauer man hinsieht, umso klarer wird: Man macht irgendwie alles falsch. Und dann versucht man, es mit noch falscheren Rezepten zu korrigieren. Wenn man nicht glücklich wie sein Hund ist, dann muss man eben meditieren. So führt es der Kreativcoach, Achtsamkeitsberater, Gesichtsdeuter, Vertiefungsex- perte und zertifizierte Empathiemeister dritten Gra- des auf der Bühne vor: einfach mal drei Minuten an nichts denken! Nur atmen! Ganz tief spüren! Tatsächlich merkt man dabei vor allem, dass man überhaupt nicht an nichts denken kann, weil die Evo- Hundeglück lution das nicht vorgesehen hat. Nur der professionel- le Yogi schafft es, den Hund zu machen, und dafür braucht er sein ganzes Leben! Der normale Mensch aber spürt drei Minuten lang, dass er immer an was denkt – und sei es daran, dass er nicht an nichts den- ken kann. Man könnte das schöne Bild also erwei- tern: Der Hund denkt ans Hier und Jetzt, und der Ma- Warum ist mein Hund glücklicher als ich? Die Frage nager denkt an sein Smartphone, an Termine und Ta- stellte sich nicht nur Reinhard Mey in seinen Jugend- bellen und daran, dass er es nicht schafft, an nichts jahren, sondern neuerdings stellt sie sich vielen Ma- zu denken. nagern. Kaum ein Kongress zur Digitalisierung, auf Was den Philosophen daran am allerwenigsten dem nicht Männer und Frauen mit kreativ handgefer- überzeugt, sind die drei Minuten. Einfach jeden Tag tigten Berufsbezeichnungen sanft mahnend mit dem drei Minuten Meditation, und der Stress für den Tag Finger dräuen: Der Manager denkt auch in der schöns- ist weg. So schlicht geht das. Man könnte auch jeden ten Natur stets an sein Smartphone, an Termine, Plä- Tag drei Minuten Kommunismus oder Urchristentum ne, Meetings und Tabellen. Sein Hund aber denkt ein- spielen, und schon ist der Kapitalismus weg. Oder zu- fach nur an die schöne Natur. Der Manager ist immer mindest ist er nicht mehr schlimm. woanders. Der Hund aber lebt im Hier und Jetzt. Der Sollten wir, statt auf die digitale Reizüberflutung Manager ist unglücklich. Der Hund glücklich. Und zu schimpfen, ihr nicht einfach dankbar sein, dass sie schuld daran ist nur die Digitalisierung. uns zeigt, wie doof unser Leben ist, wenn wir alle un- So einfach ist das. Doch was dem Manager evident sere Wünsche erfüllt kriegen, weil wir dann nur im- ist, bringt den Philosophen ins Grübeln. Die Digitali- mer mehr und immer unnötigere haben? Aber leider, sierung ist natürlich irgendwie an vielem schuld, aber leider geht das nicht. Sich von unnötigen Wünschen gleich an allem? Ein anderer Schuldiger wäre mögli- zu befreien zerstört bekanntlich den Wohlstand mo- cherweise die Evolution. Sie hat den Menschen darauf derner Nationen, der ja auf nichts anderem beruht. gebracht, komplizierte Lösungen für einfache Dinge Warum also drehen wir den Spieß dann nicht ein- zu suchen. Man tut nicht, was einem Spaß macht, son- fach rum und befreien uns vom unnötigsten aller dern was einem Geld bringt, weil das Spaß auf Vorrat Wünsche: dem Wunsch nach Glück? Frei nach Ludwig bedeuten soll, allerdings ohne zu wissen, wie man das Wittgenstein: „Ich weiß auch nicht, warum wir hier Geld wieder in Spaß verwandeln kann. sind – aber bestimmt ist es nicht, um glücklich zu Man isst auch nicht mehr einfach, was einem sein!“ Ich gebe Ihnen drei Minuten. n schmeckt, sondern achtet auf Kalorien, Gluten, Lacto- se, Zucker, Alkohol und andere fiese Dinge und hät- schelt mannigfache Unverträglichkeiten. All das tut Richard David Precht, 54, lehrt Philosophie und schreibt Bücher. man, um alt zu werden, obwohl man es am Ende gar Auch sein aktuelles Werk, „Jäger, Hirten, Kritiker: Eine Utopie für die digitale Gesellschaft“ (Goldmann), ist ein Bestseller.

nicht sein will. Man fördert seine Kinder, fährt sie Englert Michael für Handelsblatt Magazin Foto:

58