Gewaltakteure in Rackets, Racketeers und der Kampf um das Gewaltmonopol in Teheran 1941 – 1963

Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

vorgelegt von Olmo Gölz aus Hannover

SoSe 2016

Titel der Dissertationsschrift:

„Racketeers in Pahlavī-Iran. Gewaltakteure, Gewaltmonopole und die gegenderte Bedeutung des Schutzes“

Erstgutachter: Prof. Dr. Tim Epkenhans Zweitgutachter: Prof. Dr. Ulrich Bröckling Drittgutachterin: Prof. Dr. Johanna Pink

Vorsitzender des Promotionsausschusses der Gemeinsamen Kommission der Philologischen, Philosophischen und Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät: Prof. Dr. Hans-Helmuth Gander

Datum der Disputation: 28.04.2017

Inhalt

1 Einleitung ...... 1

2 Periodisierung – Die lange Konsolidierung der Herrschaft des Moḥammad Reżā Šāh 12

2.1 Die politische Kultur Irans 1941 – 1963 ...... 13

2.1.1 Politiserung und Polarisierung: Die kommunistische Ḥezb-e Tūdeh und die nationalistische Ǧebhe-ye Mellī 1941 – 1949 ...... 14

2.1.2 Die öffentliche Meinung und politische Gewalt: Moṣaddeqs Kampf um die Verstaatlichung des Erdöls 1949 - 1952 ...... 29

2.1.3 Die Macht der Straße und die militärischen Antworten des Staates: Der Coup d’étàt von 1953 ...... 39

2.1.4 Die Macht des Staates und die Antwort der Straße: Der Shah und die Monopolisierung der Gewalt 1954 – 1963 ...... 54

2.2 Epochenumbruch: Neue Politikstile nach 1963 ...... 74

3 Das Racket-Prinzip – Der power-broker Neʽmatollāh Naṣīrī ...... 79

3.1 Die Racket-Theorie ...... 83

3.1.1 Begriff des Racket-State ...... 87

3.1.2 Der Racket-Begriff der Kritischen Theorie ...... 98

3.1.3 Das Racket-Muster als Grundform der Herrschaft ...... 111

3.2 Neʽmatollāh Naṣīrī – Verhärtungsprozesse ...... 124

3.2.1 Der Coup der Gard-e Šāhanšāhī ...... 126

3.2.2 Der Aufstieg zum power-broker ...... 148

3.2.3 Der SAVAK – where real power begins ...... 157

3.3 Implikationen ...... 160

4 Legitimationen – Die Gewaltakteure der Straße ...... 164

4.1 Zwei Teheraner lūṭīs: Šaʿbān Ǧaʿfarī und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī ...... 172

4.1.1 Der Aufstieg des Šaʿbān Ǧaʿfarī ...... 177

4.1.2 Der tiefe Fall des Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī ...... 198

4.1.3 Maskulinitätsdiskurse und Ideologien der Dominanz ...... 215

4.2 Paradigmen der Iranstudien – Historiographische Implikationen ...... 227

4.2.1 Modifikation der Thesen zur bazar-mosque-alliance ...... 227

4.2.2 Die Debatten um den Coup des 28. Mordād ...... 242

5 Schluss ...... 254

6 Literaturverzeichnis ...... 256

1 Einleitung

Der Historiker Moǧtaba Zādeh-Moḥammadī1 stellt in seiner Untersuchung der politischen Funktion des iranischen „Lumpenproletariats”2 zur Zeit der Herrschaft Moḥammad Reżā Šāh Pahlavīs (1919 – 1980, reg. 1941 – 1979) fest: „Nach [der Invasion Irans durch sowjetische und britische Truppen, 1941], waren alle Individuen, sowie jede politische Partei oder Gruppierung darauf angewiesen, sich die Dienste gewalttätiger Vagabunden und Gangster zu sichern, um ihre jeweiligen politischen Ziele durchzusetzen.“3 Danach betraf dies alle Fraktionen und Akteure, gleich welcher politischen Ausrichtung sie zuzuordnen waren oder aus welchen sozialen Schichten sie ihre Unterstützer rekrutierten. Tatsächlich sei sogar der Shah persönlich gezwungen gewesen, sein Schicksal an Akteure zu knüpfen, die seine politischen Ziele in Form gewaltsamer Aktionen durchzusetzen vermochten, ohne dass diese Gewaltakteure eine offizielle Position innerhalb des Staatsapparates innegehabt hätten.4 Diese Beobachtungen Zādeh-Moḥammadīs stellen den intellektuellen Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung dar.

Tatsächlich lässt sich feststellen – und dies wird die Evaluation der Ereignisgeschichte und die Ermittlung der politischen Kultur Irans zu jener Zeit bestätigen –, dass gerade die entscheidenden politischen Auseinandersetzungen der 40er und 50er Jahre in Iran durch Artikulationsformen begleitet wurden, bei denen Gewaltoptionen eine maßgebliche Rolle spielten. Es wird dabei davon ausgegangen, dass diese Phase des rigorosen politischen Wettbewerbs in Iran über gute 20 Jahre andauerte und zunächst in den emblematischen Ereignissen des Coup d’étàts von 1953 sowie später in den religiös motivierten Unruhen von 1963 kulminierten – wobei die letztgenannten „ʿāšūrāʾ-Proteste“ zugleich ein temporäres Ende dieser

1 Die Umschrift folgt den Regeln zur Umschrift des Neupersischen der DMG. Den persischen Kurzvokalen e und o wird Rechnung getragen. Die Namen iranischer Autoren werden gemäß ihrer maßgeblichen Publikationstätigkeit wiedergegeben. In direkten Zitaten wird die dort verwendete Umschrift beibehalten. 2 Gemeint ist hier das später näher zu erläuternde Phänomen der lūṭīs. 3 Moğtaba Zādeh-Moḥammadī, Lompen-hā dar siyāsat-e ʽaṣr-e pahlavī, 3. Aufl. (Tehrān: Našr-e markaz, 1392 h.š. [=2013]), 100. 4 Ebd., 112. 1

Form der gewaltsamen, auf der Straße ausgetragenen Form der Politik repräsentieren.

Die politische Option der Gewaltanwendung äußerte sich in seiner regelmäßig wiederkehrenden Variante im Untersuchungszeitraum in erster Linie in Straßenkämpfen zwischen den großen politischen Lagern. Die Unterscheidung dieser Lager war dabei häufig problematisch und manifestierte sich zunächst nicht in persistenten Fraktionierungen, so dass gerade die gewaltsamen Auseinandersetzungen auf der Straße die Dynamiken der Austauschbeziehungen zwischen den maßgeblichen Akteuren und Gruppierungen und damit die Unklarheit der Machtverteilungen im historischen Moment widerspiegelten.

Die einzige ideologisch hermetische und personell homogene Konfiguration in der besprochenen Zeitspanne wird durch die kommunistische Tūdeh-Partei besetzt, wohingegen die zahlreichen weiteren Interessen sich weniger in Massenparteien, sondern eher in personenbezogenen Koalitionierungen manifestierten. Es ist zudem festzustellen, dass die Optionen der politischen Gewalt nicht lediglich von oppositionellen Bündnissen favorisiert wurden, sondern auch die jeweiligen Akteure, welch die Regierungspartei stellten, auf Gewaltakteure der Straße zurückgriffen und zurückgreifen mussten, um ihre Interessen zu verteidigen. Exemplarisch lässt sich dies an jenen Prozessen belegen, die in die hektische Periode der Regierung unter Premierminister Moḥammad Moṣaddeq (1880-1967)5 zwischen 1951 und 1953 fielen. So zeichnete sich die von ihm angeführte Koalition zunächst insbesondere durch ihre Fähigkeit aus, die öffentliche Meinung in ihrem Sinne nutzbar machen zu können, sodass Moṣaddeq auch aufgrund des Drucks der Straße die Regierungsverantwortung durch den Shah übertragen bekommen hatte. In der Folgezeit wurde die Ressource des öffentlichen Protestes (und der damit verbundenden Gewaltoptionen) wiederholt mobilisiert und stellte einen entscheidenden Faktor dafür dar, dass sich die Koalition Moṣaddeqs gegenüber jenen Kräften durchsetzen konnte, denen eigentlich die Kontrolle über den Sicherheitsapparat zustand. Gleichzeitig ist der Versuch Moṣaddeqs zu verzeichnen, den Zugriff auf diesen Sicherheitsapparat zu erlangen um seine Regierung dauerhaft

5 Beachte: Es herrscht Uneinigkeit über das Geburtsjahr. Es werden die Jahre 1880 und 1882 angegeben. Vgl. zur Biographie Moṣaddeqs: Homa Katouzian, Musaddiq and the Struggle for Power in Iran (London, New York: I.B. Tauris; St. Martin's Press [distributor], 1990). 2 zu sichern. Im selben Maße, wie ihm dies gelang, wurde jedoch auf der Gegenseite auf informelle Akteure gesetzt, sodass der emblematische Coup d’étàt vom 19. August 1953 erst dann Erfolg hatte, als sich signifikante Menschenmassen gegen die Regierung Moṣaddeqs erhoben.

Nach hier vertretener Auffassung, ist dieses vermeintliche Verwirrspiel der dynamischen Koalitionierungen das Ergebnis einer Auseinandersetzung um das Gewaltmonopol in Iran. Es ist danach zu konstatieren, dass in jenen historischen Momenten, in denen sich die von Zādeh-Moḥammadī berichteten Phänomene beobachten lassen, das Monopol auf das legitime Recht auf die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung der eigenen Ordnungsvorstellungen nicht geklärt ist, sondern sich in einem andauernden Aushandlungsprozess befindet. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen, bemüht sich vorliegende Arbeit, eine Periodisierung vorzunehmen, die mit 1941 den Beginn eines solchen Aushandlungsprozesses definiert und mit der Feststellung der Durchsetzung eines Gewaltmonopols erst im Jahr 1963 endet. Danach definiert der Zeitrahmen einen Prozess, der hier als die Phase der langen Konsolidierung der Herrschaft des Moḥammad Reżā Šāh bezeichnet werden soll.

Die Jahresspanne zwischen 1941 und 1963 definiert dabei zugleich den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit, die sich der Ermittlung der Dynamiken von Herrschaftskonfigurationen verschreibt. Es wird dabei argumentiert, dass die Analyse der Austauschbeziehungen zwischen Gewaltakteuren geeignet sein kann, übergeordnete Aussagen über Dominanz- und Herrschaftsbeziehungen zu treffen. Diese akteurzentrierte Herangehensweise wird dabei theoretisch durch den Rückgriff auf die Racket-Theorie der Theoretiker der Frankfurter Schule, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, legitimiert.

Die nur fragmentarisch ausgearbeitete Racket-Theorie6 geht davon aus, dass die Konstituierung von Gemeinschaften im Wesentlichen über den Zwang und das

6 Vgl. hier nur Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften: Band 12: Nachgelassene Schriften 1931-1949, hrsg. von Gunzelin Schmid Noerr, 287–291 (Frankfurt am Main: Fischer, 1985); Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften: Band 12: Nachgelassene Schriften 1931- 1949, hrsg. von Gunzelin Schmid Noerr, 75–104 (Frankfurt am Main: Fischer, 1985); Theodor W. Adorno, „Reflexionenen zur Klassentheorie [1942].“ in Gesellschaftstheorie und Kulturkritik. 1. Aufl., 7–25, Edition Suhrkamp 772 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1975). 3 ambige Prinzip des Schutzes – dem immer auch die Idee der Schutzgelderpressung anhaftet – erfolgt und dass sich nach diesen Prinzipien Rackets bilden,7 welche als verschworene Gruppen ihre jeweiligen Interessen durchzusetzen suchen8 und dies im Wesentlichen über die Monopolisierung von Schlüsselpositionen zu erreichen trachten.9 Mit der Monopolisierung der Schlüsselpositionen geht dabei die Monopolisierung der spezifischen Interessen einher, sodass sich die Herrschaft des entsprechenden Rackets verfestigt; im äußersten Fall gar seinen „Willen auf einem geographischen Gebiet als dauernde Regel des Verhaltens für alle Bewohner aufrechterhalten kann“ und so die Form des Rechts annimmt.10

Wie in den theoretischen Ausarbeitungen zu zeigen sein wird, ermutigt die Racket- Theorie zu einem Perspektivwechsel, der sich von der vermeintlichen Konformität der Klassen im Sinne der marxistischen Geschichtstheorie löst und dabei den Blick auf die Interessen der Akteure richtet, welche die Rackets konstituieren und welche mit konkurrierenden Akteuren in dynamischen Austauschbeziehungen stehen. Nach hier vertretener Auffassung kann dabei die Analyse der Austauschbeziehungen von Akteuren, die um ein bestimmtes Monopol konkurrieren – Racketeers gemäß der hier vorgeschlagenen theoretischen Terminologie – dazu geeignet sein, übergeordnete Aussagen in Bezug auf die zugrundeliegenden Herrschaftskonfigurationen abzuleiten. Diese These folgt dabei nicht einer Perspektive, die davon ausgehen möchte, dass die Geschichte die Geschichte „großer Männer“ sei, sondern folgt dem Paradigma Adornos, dass die Geschichte die Geschichte der Rackets ist.11 Und die Funktionsweise der Rackets sich ablesen lässt, an den Individuen, die es konstituieren – dies ein Diktum Horkheimers.12 Demnach wird hier also nicht davon ausgegangen, dass die untersuchten Akteure Geschichte machen – das mag zwar der Fall sein, für eine

7 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 288. 8 Max Horkheimer, „Herrschende Klasse, die von den Rackets beherrschte Klasse und die Rolle der Fachleute: [Späne. 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften: Band 14: Nachgelassene Schriften 1949-1972, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, 334–335 (Frankfurt am Main: Fischer, 1988), 334. 9 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 287. 10 Ebd., 289. 11 Theodor W. Adorno, „Reflexionenen zur Klassentheorie [1942].“ in Gesellschaftstheorie und Kulturkritik (s. Anm. 6), 15. 12 Vgl. Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 288. 4 solche These sind die hier untersuchten Vorgänge jedoch viel zu unterkomplex dargestellt – sondern, dass sich in ihnen die Geschichte spiegelt, dass die zugrundeliegenden Mechanismen der Macht sich also in ihrem Wirken ablesen lassen.

Diese These soll an der Evaluation des historischen Auftretens dreier als exemplarisch vorgestellter Akteure bestätigt werden, die in ihren jeweiligen Milieus die Kapazitäten besaßen, Gewalt auszuüben oder zu veranlassen und denen ein entscheidender Anteil an der politischen Geschichte Irans im Untersuchungszeitraum zuzugestehen ist – jenem Zeitraum, in welchem die Fragen zur legitimen Ausübung von Gewalt grundlegend verhandelt wurden. Es werden somit jene Auseinandersetzungen analysiert werden, welche den Kampf um das zur Diskussion gestellte Gewaltmonopol betrafen. Der historische Fokus wird dabei auf den urbanen Kontext der Hauptstadt Teheran zwischen 1941 und 1963 zu richten sein, wo die maßgeblichen Konflikte ausgetragen wurden. Diese Fokussierung will weder rurale noch globale Dynamiken vernachlässigen, sondern ist allein den Milieus der untersuchten Akteure geschuldet, auf welche die vorliegende Studie sich fokussiert.

Der Hinweis auf die unterschiedlichen Herkunftmilieus der Gewaltakteure ist dabei aus einem weiteren Grund von Relevanz: Die Racket-Theorie interessiert sich zunächst nicht für den Begriff des Staates, sondern betrachtet das Racket-Prinzip als Grundform der Herrschaft13 und somit als klassenübergreifendes und historisches Prinzip der Herrschaft.14 Die Analyse der Versuche zur Erlangung von Gewaltmonopolen darf daher nicht an der Frage haften bleiben, welcher General sich möglicherweise wann und wo durchsetze oder welcher Politiker bei seinen Versuchen, Einfluss im Sicherheitsapparat eines Staates zu erlangen, vielleicht scheiterte, sondern muss sich auf alle Akteure beziehen, die Gewalt als eine Option zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen betrachten und diese Option nutzten. Die Racket-Theorie lässt sich nicht von der Tatsache stören, dass es sich vielleicht um informelle Akteure handeln könnte, die zu besprechen wären, sondern interessiert

13 Ebd. 14 Kai Lindemann, „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik.“ in Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno, hrsg. von Ulrich Ruschig und Hans-Ernst Schiller, 104–128, Staatsverständnisse Band 64 (Baden-Baden: Nomos, 2014), 115. 5 sich allein für die realen Dominanzbeziehungen zwischen den Protagonisten. Insofern ist die Racket-Theorie exzellent geeignet, die hier zu untersuchenden Prozesse theoretisch zu ergründen, die sich ja gerade dadurch auszeichnen, dass informelle Akteure mit dem Sicherheitsapparat im Wettstreit um die legitime Ausübung der Gewalt standen.

Hier jedoch ist ein offene Stelle in den theoretischen Ausarbeitungen Horkheimers und Adornos auszumachen: Die Racket-Theorie bezieht zwar, wie ausgeführt werden wird, einen Teil ihrer Stärke eben auch aus der Tatsache, dass sie nicht vor dem Begriff des Staates erstarrt, hierin liegt andererseits aber auch eine Schwäche begründet. In der Analyse der ausdifferenzierten modernen Gesellschaften finden die Theoretiker die Legitimationen der eigentlich sich auf den Zwang gründenden Rackets im System selbst. Die Rechte des Rackets und die Pflichten seiner Mitglieder, ebenso wie ihre Privilegien, sind als Folge der Monopolisierungskämpfe, die das Racket für sich entschieden hat – im Zuge der Verhärtung, in der Begrifflichkeit Horkheimers – zertifiziert. Die Frage aber, welche Diskurse dazu führen, dass die Herrschaft oder das Monopol eines Rackets als legitim empfunden wird, diskutieren Horkheimer und Adorno nicht. Dies ist aber gerade für eine Theorie, die ihren Ausgangspunkt am Zwang ausrichtet, eine wesentliche Frage. An dieser Stelle möchte die vorliegende Arbeit die Produktivität eines gendertheoretischen Einschubes in die Racket-Theorie der Frankfurter Schule verdeutlichen. Es wird auf Grundlage der Analyse der hier untersuchten Akteure, die um das Monopol auf die Ausübung als legitim empfundener Gewalt konkurrierten, vorliegend argumentiert, dass der Begriff der Maskulinität eine Ideologie der Dominanz repräsentiert. Der Begriff der Maskulinität kann so in die herrschaftstheoretischen Überlegungen der Racket-Theorie eingearbeitet werden.

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Dem theoriegeleiteten Ansatz folgend sollen hier die Verflechtungsbeziehungen der ausgewählten Gewaltakteure analysiert werden, die hinter zahlreichen gewalthaften historischen Konfigurationen und politischen Prozessen auszumachen sind und für diese verantwortlich zeichneten. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich dabei auf drei emblematische Protagonisten des 20. Jahrhunderts

6 in Iran, auf die sich die unterschiedlichen hier interessierenden Diskurse in paradigmatischer Weise konzentrierten – zum Teil in einer Heftigkeit, welche noch heute die persönliche Positionierung im Verhältnis zu den Akteuren zu einem in Iran politisch höchst sensiblen Statement geraten lässt. Den drei zu untersuchenden Protagonisten Nʿematollāh Naṣīrī (1910 – 1979), Šaʿbān Ǧʿafārī (1921 – 2006) und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī (1912 – 1963) soll dabei nicht die Bürde zukommen, für politische Veränderungen in Iran historisch zur Verantwortung gezogen zu werden, sondern andersherum: Sie sollen gemäß den theoretischen Maßgaben einerseits als Muster dienen, an denen die Entwicklungen im historischen Moment sich ablesen lassen, andererseits sollen die Besprechungen ihrer Beispiele helfen, die spezifischen Herrschaftskonfigurationen und die ihnen zugrundeliegenden Diskurse zu enttarnen.

Zur Verortung der drei Protagonisten im historischen Bezugsrahmen, bietet die vorliegende Arbeit zunächst eine ausführliche Periodisierung an, welche die Zeitspanne zwischen 1941 und 1963 unter den Prämissen der hier interessierenden Prozesse aufarbeiten will. Es werden dort die zentralen politischen Auseinandersetzungen und Diskurse aufgearbeitet und zudem Rückschlüsse auf die politische Kultur des Landes im Untersuchungszeitraum angeboten, die einerseits dem Verständnis der folgenden Diskussionen dienen sollen, andererseits sollen die Thesen zur Periodisierung erst durch die folgenden beiden Kapitel bestätigt werden. Nicht ausdrücklich diskutieren, wird die Arbeit an dieser Stelle die sozialen Strukturen der Eliten des Landes, sodass etwa ethnische oder soziale Herkunft der wesentlichen Akteure, die Hierarchien der schiitsche Rechtsgelehrten oder die politische Bedeutung der einflussreichen Großrundbesitzer ausgelassen werden. Dies wird vorliegend nicht als Leerstelle empfunden, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass die Studie auf die politische Interaktion der Akteure kapriziert und diese eben über die hier dargestellten Protagonisten und Konfigurationen in Bezug auf die Zielvorgaben der Untersuchung hinreichend erfasst werden können.15

15 In Bezug auf die Aufarbeitung der Strukturen der politischen und sozialen Eliten des Landes, ist auf die reichhaltige iranistische Literatur zum modernen Iran des 20. Jahrhunderts hinzuweisen. Folgend aufgelistete Monographien bilden dabei den Kanon der „modernen Klassiker“, aus denen für die Frage nach den Eliten sicher Nikki Keddies Modern Iran hervorzuheben ist: , Iran Between two Revolutions. Princeton Studies on the Near East (Princeton, N.J.: Princeton Univ. Press, 1982); Ervand Abrahamian, A History of 7

Die Arbeit folgt in ihrem weiteren Aufbau der Diskussion um die drei oben genannten Protagonisten, wobei das Beispiel des Generals Nʿematollāh Naṣīrī in einem umfassenden Kapitel vorangestellt werden soll, um gleichsam idealtypisch die Funktionsweisen der in der Racket-Theorie besprochenen Verhärtungsprozesse abzubilden. Dem Anspruch der theoriegeleiteten und akteurzentrierten Vorgehensweise folgend, wird dabei zunächst eine ausführliche Evaluation der Racket-Theorie vorzunehmen sein, in der es insbesondere auch darum gehen muss, diese von einigen neueren Ideen zum Racket-State abzugrenzen, um ihre analytische Kraft nutzbar machen zu können. In der Folge soll die ereignisgeschichtliche Darstellung vom Aufstieg des Generals Naṣīrī die Funktionsweisen von Rackets verdeutlichen. Naṣīrī, der als früher Weggefährte des Shahs über seine gesamte Karriere hinweg mit sensiblen Kommandos vertraut war, repräsentiert dabei in seiner Person die Entwicklung und Ausdifferenzierung des iranischen Sicherheitsapparates unter Moḥammad Reżā Šāh. So war er als Kommandeur der persönlichen Garde des Shahs am Coup d’étàt zu dessen Gunsten beteiligt und stieg im Laufe der Jahre zunächst zum Chef der nationalen Partei und später zum Leiter des Geheimdienstes SAVAK auf, womit er einen jener Posten im royalistischen Racket bekleidete, der mit der größten Machtfülle ausgestattet war. Naṣīrī repräsentiert so in seiner Person die Karriere eines Racketeers über die Erlangung von Schlüsselpositionen, zugleich symbolisiert sein historisches Wirken in den unterschiedlichen Phasen die zugrundeliegenden Herrschaftsbeziehungen und Machtverhältnisse.

Der dritte große Abschnitt fasst die beiden informellen Gewaltakteure Šaʿbān Ǧʿafārī und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī zusammen und will einerseits die Austauchbeziehungen und Dynamiken erfassen, in denen alle drei in dieser Studie besprochenen

Modern Iran (Cambridge: Cambridge Univ. Press, 2008); Gholam Reza Afkhami, The Life and Times of the Shah (Berkeley, CA: University of California Press, 2009); Ali M. Ansari, Modern Iran since 1921: The Pahlavis and after (Princeton, N.J.: Recording for the Blind & Dyslexic, 2004); Ali M. Ansari, Modern Iran: The Pahlavis and after, 2nd ed. (Harlow: Longman, 2007); Michael Axworthy, Revolutionary Iran: A History of the Islamic Republic (London: Allen Lane, 2013); Nikki R. Keddie, Modern Iran: Roots and Results of Revolution, Updated edition. (New Haven (Conn.), London: Yale University Press, 2006); Vanessa Martin, Creating an Islamic State: Khomeini and the Making of a New Iran, New ed (London, New York, New York: I.B. Tauris; In U.S. distributed by Palgrave Macmillan, 2003). 8

Protagonisten zueinander stehen, andererseits zentrale Aussagen über die These von der Maskulinität als Ideologie der Dominanz treffen.

Šaʿbān Ǧʿafārī war nationaler Meister in zwei Disziplinen der zūrḫāneh-Tradition (einer traditionellen iranischen Kraftsportart) und ein bekannter Gangster, der als politisch-nationalistischer und vor allem anti-kommunistischer Aktivist in den 40er und 50er Jahren in zahlreiche Straßenschlachten verwickelt war – oder sich gar als deren Initiator oder Anstifter entpuppte. Šaʿbān Ǧʿafārī generierte sich dabei, in Verweis auf seinen Körper, als traditionsbezogener politischer Akteur, der aus weiten Teilen der Teheraner Unterschicht seine Anhänger bezog und als informeller Gewaltakteur das Gewaltmonopol des Staates wiederholt herauszufordern vermochte – mehr noch: Staatliche Akteure waren bisweilen gar auf seine Gunst angewiesen.

Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī war seit Anfang der 50er Jahre der selbsternannte Boss des Teheraner Obst- und Gemüsemarktes, der zuvor seine Vorherrschaft in diesem Milieu über Gewaltanwendung, bei der gleichzeitigen Zurschaustellung eines bestimmten, sein Gewalthandeln legitimierenden, Tugendkanons durchzusetzen vermochte. Dieser Kanon rekurrierte dabei in erster Linie auf einen bestimmten Männlichkeitsethos (pers. ǧavānmardī), der dazu geeignet war, sein Handeln als „islamisch“ zu markieren. Auch Ḥāǧǧ Reżāʾī forderte wiederholt das Gewaltmonopol des Staates heraus. Es wird zu zeigen sein, dass diese beiden informellen Akteure Gewalt durch den Verweis auf eine gegenderte Wahrnehmung des Begriffs des Schutzes legitimierten und so auch die staatliche Gewalt herauszufordern vermochten. Die Tatsache der gegenderten Wahrnehmung des Schutz-Prinzips bildet dabei die Grundlage für die Idee der Einarbeitung der gendertheoretischen Überlegungen in die Racket-Theorie der Frankfurter Schule.

Die Zusammenführung der drei Protagonisten in vorliegender Studie ist aus verschiedenen Gründen fruchtbar: Zunächst eignet sich die gemeinsame Besprechung der drei Akteure aufgrund ihrer ganz persönlichen Austauschbeziehungen. Die drei Männer kannten sich, standen dann und wann im Kontakt miteinander, konkurrierten miteinander und vertraten mal gemeinsame Interessen, mal opponierende. Ihr Miteinander und Gegeneinander in den unterschiedlichen historischen Momenten bietet eine Schablone für die Analyse der

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Machtverhältnisse, Herrschaftskonfigurationen und Dominanzdiskurse an. Dieser Effekt wird verstärkt durch den Umstand, dass Naṣīrī, Ḥāǧǧ Reżāʾī und Ǧʿafārī sowohl im historischen Moment, als auch in der retrospektiven Wahrnehmung als höchst polarisierende Persönlichkeiten bezeichnet wurden und noch bezeichnet werden, welche die öffentlichen Diskurse in Iran in einer Weise bündelten und noch bündeln, die den repräsentativen und schablonenhaften Charakter ihrer Beispiele verstärken.

Weiter können die drei Männer als paradigmatische Akteure für ihr jeweiliges Milieu interpretiert werden, die – und das ist zentral für die theoretische Perspektive – in ihrem spezifischen sozialen Umfeld die Kapazität besaßen, Gewalt zu befehligen, zu delegieren, zu lizensieren oder sie selbst auszuführen. Und dies in bestimmten Momenten in der iranischen Geschichte gegeneinander. So kreuzten sich die Lebenslinien der drei Männer nicht in den Marginalien der Geschichte des Landes, sondern an den entscheidenden historischen Momenten der Gewalteruptionen im Betrachtungszeitraum. Es lassen sich – neben den theoretischen Implikationen, die sich auf die Tragfähigkeit der Racket-Theorie sowie die Einarbeitung des gender-Aspektes in selbige beziehen – aufgrund des prominenten Auftretens der Akteure auch noch einige historiographische Implikationen ermitteln. Die erste Implikation bezieht sich dabei auf die Periodisierung und ist bereits vorweggenommen worden. Die hier vorgenommene Periodisierung wird dabei durch die Erzählung und theoretische Durchdringung der Akteure verifiziert. Die anderen beiden historiographischen Implikationen betreffen zwei zentrale Paradigmen der Iranstudien, die durch die vorliegende Arbeit in Frage zu stellen sind. Dies betrifft zum einen die These von einer wie natürlich angenommener Allianz zwischen Bazar und Moschee, zum anderen betrifft dies die hitzig geführte Debatte zum Wesen des Coup d’étàt vom 19. August 1953. Die Diskussionen hierzu sind dem dritten Teil zu den informellen Akteuren zugeordnet.

Aufgrund der Vielseitigkeit der in dieser Arbeit angesprochenen Themengebiete, ist eine ausführliche Darstellung des Literaturstandes an dieser Stelle nicht möglich. Die Besprechung der wissenschaftlichen Literaur zu den spezifischen Fragestellungen wird jedoch keinesfalls ausgespart, sondern ist an den

10 entsprechenden Stellen dieser Arbeit eingearbeitet. Auch die empirische Basis der vorliegenden Studie ist vielschichtig: Für die Ermittlung des Ereignisgeschichtlichen Hintergrundes wurde auf das Archiv der Tageszeitung Eṭṭelāʿāt vertraut, die für diese Studie ausgiebig gesichtet wurde. Zudem wurde für die Aufarbeitung der zeitgenössischen Medienlandschaft auf die Mitschriften des Foreign Broadcast Information Service zu Iran der CIA zurückgegriffen. Die Akten der CIA zu den Ereignissen um den Coup von 1953 sind inzwischen ebenfalls öffentlich und werden vorliegend Berücksichtigung finden.16 Die Interviewsammlung der Iranian Oral History Collection17 der Harvard University gibt zudem einige aufschlussreiche Zeitzeugenberichte preis, die in erster Linie in Bezug auf die drei hier behandelten Akteure eingearbeitet wurden. Neben zahlreichen Sekundärtexten in persischer Sprache, wurden insbesondere die biographischen und autobiographischen Zeugnisse zu Šaʿbān Ǧʿafārī18 und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī19 zusammengetragen und ausgewertet.

16 Vgl. Donald N. Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran: November 1952 - August 1953 (CIA, 1969 [written 1954]); Clandestine Service History. 17 Vgl. Habib Ladjevardi, Hrsg., Iranian Oral History Collection, Harvard University. http://ted.lib.harvard.edu/ted/deliver/home?_collection=iohp (letzter Zugriff: 30. August 2016). 18 Homā Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 2. Aufl. (Los Angeles: Nāb, 1381 h.š [2002]); ʽAbbās Fāṭemī, Šaʽbān Ǧaʽfarī (bī-Moḫ) dar āyene-ye asnād, 1. Aufl. (Tihrān: Entešārāt-e Ǧahān-e Ketāb, 1380 h.š. [2001/02]); Zādeh-Moḥammadī, Lompen-hā dar siyāsat-e ʽaṣr-e pahlavī. 19 Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb: Zendegīnāmeh va ḫāṭerāt-e Ḥorr-e nehżat-e Īmām Ḫomeynī Šahīd-e Ṭayyeb-e Ḥāğğ Reżāʼī (Tehrān: Našr-e Amīnān, 1392 h. š. [=2013]); Markaz-e Barrasī-e Asnād-e Tārīḫī-ye Vezārat-e Eṭṭelāʻāt, Āzād mard-e šahīd Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʼī (be revāyat-e asnād-e Sāvāk) (Tehrān, 1378 h.š. [=1999/00]); Sīnā Mīrzāʼī, Ṭayyeb dar goẕar-e lūṭīhā, 8. Aufl. (Tehrān: Čap va entešārāt-e faqiyeh, 1392 h.š. [=2013]); Zādeh- Moḥammadī, Lompen-hā dar siyāsat-e ʽaṣr-e pahlavī. 11

2 Periodisierung – Die lange Konsolidierung der Herrschaft des Moḥammad Reżā Šāh

Trutz von Trotha weist zu Recht auf den Umstand hin, dass eine „Ätiologie der Gewalt“, die Beschäftigung also mit der Entstehung von Gewalt als einer Art Krankheit, „ein Diskurs über die ‚Unordentlichkeit‘ von Gesellschaften und Kulturen“ sei.20

Die Gefahr der Bestätigung solcher Diskurse über eine „unordentliche“ und so als minderwertig empfundene iranische Kultur schwebt als Damoklesschwert über der vorliegenden Analyse. Es gilt daher bereits hier entschieden darauf hinzuweisen, dass die Analyse der Racketeers in Pahlavī-Iran nicht angestrebt wird, um essentialistische Aussagen über „den gewalttätigen iranischen Mann“ zu treffen oder gar über ein defizitäres kulturelles System, zu dessen Beleg die Gewaltdispositionen herangezogen werden. Gegenteilig wird hier (und das bedingt der theoretische Anspruch der Studie) gar von einer Austauschbarkeit der historischen Kontexte ausgegangen. Es wurde ein Betrachtungskontext gewählt, für den konstatiert werden kann, dass es sich zumindest um ein „unordentliches Moment“ im Staatenbildungsprozess des modernen Iran handelt. Der Betrachtungszeitraum zwischen 1941 und 1963 wurde jedoch nicht gewählt, um die „Unordentlichkeit“ der iranischen Moderne oder gar Kultur zu beweisen, sondern weil er dazu geeignet ist, sich dem Phänomen der Gewalt unmittelbar zu nähern. Nach der hier vertretenen Auffassung treten in Momenten der sozialen Disruption oder gar des Zusammenbruches politischer Ordnungen jene Prozesse deutlich zu Tage – sind nicht verschleiert, nicht verborgen – denen sich die vorliegende Untersuchung widmen möchte. Der Untersuchungsrahmen ist also dem Kompetenzbereich des Autors geschuldet und soll nicht zum Beweis einer „unordentlichen Kultur“ dienen – im Gegenteil wären nach hier vertretener These die theoretischen Überlegungen vor allem dazu geeignet, sie auf andere kulturelle Kontexte zu übertragen oder sie an solchen zu überprüfen.

20 Trutz von Trotha, „Zur Soziologie der Gewalt.“ in Soziologie der Gewalt, hrsg. von Trutz von Trotha, 9–56, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Sonderhefte 37 (Opladen: Westdt. Verl., 1997), 19–20. 12

Für eine Evaluation einer „iranischen Kultur“ sind die Thesen zur Legitimität von Gewalt und ihrer konstitutiven Elemente womöglich völlig uninteressant und sicher nicht „dem iranischen Wesen“ inhärent. Gleichwohl will die vorliegende Untersuchung auch in Bezug auf originär iranische Themen Wissenswertes präsentieren. Einerseits sollen historische Prozesse offengelegt werden, die in der Forschung bisher entweder unterrepräsentiert waren oder lediglich aus ideologischen Perspektiven betrachtet wurden. Andererseits sollen jene Konfigurationen und Konzepte dargestellt werden, die für den spezifisch iranischen Fall relevant sind und die Gewaltdynamiken prägten – ausgehend von der Annahme, dass auch solche Konzepte (hier etwa bestimmte Maskulinitätskonfigurationen) sich in ähnlichen Momenten auf vergleichbare Weise auch in anderen kulturellen Zusammenhängen manifestieren.

Gleichwohl, hier gilt es zunächst, den historischen Rahmen abzustecken, in welchem sich die Studie über Racketeers in Pahlavī-Iran bewegt. In der Folge soll daher zunächst ein diachroner Überblick über den entsprechenden Zeitrahmen gegeben werden. Dieser beansprucht erstens, eine knappe Darstellung der Geschichte Irans vorzunehmen, zweitens jene Prozesse hier zunächst deskriptiv und nicht problematisierend vorzustellen, die für die vorliegende Analyse von gesteigerter Bedeutung sind, und drittens eine historische Schablone anzubieten, in welche die unten näher diskutierten und problematisierten Momentaufnahmen aus der iranischen Geschichte eingepasst werden können. Zu einem besseren Verständnis der komplexen Prozesse in der hier vorgenommenen Periodisierung soll in der Folge daher ein knapper zeitgeschichtlicher Überblick angeboten werden, der lediglich zur Vergewisserung der Untersuchungszusammenhänge dienen soll.

2.1 Die politische Kultur Irans 1941 – 1963

Der Untersuchungsrahmen der vorliegenden Studie erstreckt sich dabei auf die Jahre 1941 bis 1963. Diese Daten korrelieren nicht mit den Regierungsdaten eines Herrschers oder etwa einer parlamentarischen Fraktion und sie sind nicht übereinstimmend mit gängigen Epocheneinteilungen des modernen Iran. Die Jahresspanne wurde jedoch keinesfalls zufällig gewählt, sondern folgt nach hier vertretener Überzeugung einer Logik, nach der davon ausgegangen werden soll,

13 dass Moḥammad Reżā Šāh Pahlavī, der 1941 den Thron seines Vaters übernahm, sich bis zum Ende der definierten Zeitspanne in einer andauernden Phase der Konsolidierung seiner Herrschaft befand und in 1963 endlich sein Erfolg zu verzeichnen ist. Zugleich stellt das Jahr 1963 einen Paradigmenwechsel in der iranischen gesellschaftlichen Ordnung und Struktur in einer Weise dar, welche die hier vorgenommene Periodisierung bestätigt und zugleich einfordert – wie sich insbesondere durch die auf die Periodisierung folgende Analyse der gesellschaftlichen Funktion und Bedeutung der hier besprochenen Protagonisten zeigen wird.

2.1.1 Politiserung und Polarisierung: Die kommunistische Ḥezb-e Tūdeh und die nationalistische Ǧebhe-ye Mellī 1941 – 1949

Am 25. August 1941 marschierten sowjetische und britische Truppen in Iran ein und zwangen in der Folge den Herrscher Reżā Šāh Pahlavī (1878-1944) am 15. September zur Abdankung.21 Ziel der Intervention war es erstens, eine für mögliche gehaltene Allianz Irans mit Deutschland zu verhindern,22 zweitens eine sichere Nachschubroute für die von Nazideutschland angegriffene Sowjetunion zu ermöglichen23 und drittens den britischen Zugriff auf die iranischen Erdölvorkommen zu sichern.24 Die Absetzung des Shahs und Inthronisierung seines

21 Siehe den detaillierten Bericht über die Invasion bei Steven R. Ward, Immortal: A Military and its Armed Forces (Washington, DC: Georgetown Univ. Press, 2009), 150– 169. 22 Nikki R. Keddie, Roots of Revolution: An Interpretive History of Modern Iran (New Haven: Yale Univ. Press, 1981), 113. 23 Abrahamian, A History of Modern Iran, 97; Eduard M. Mark, „Allied Relations in Iran 1941-1947: The Origins of a Cold War Crisis.“ The Wisconsin Magazine of History 59, Nr. 1 (1975): 51–63, 51. 24 Axworthy, Revolutionary Iran, 28. Axworthy fasst knapp und zutreffend zusammen: „With the outbreak of war in 1939 that independence became more problematic. In 1941 the strategic situation in the Middle East was dangerously fluid, and the supply of oil from Iran was as vital as ever. Iran had again declared neutrality, but the British government demanded that the Shah should expel German nationals from the country. The Shah refused, the British and Russians invaded, and the Iranian army was mobilized, but proved no match for the invaders; within a few weeks, in September 1941, Allied troops entered . abdicated in favour of his son, Mohammad Reza, and went into exile. He died in South Africa in 1944. Some have suggested that the British moved into Iran not because Reza Shah was too pro- German, but because they feared a pro- German coup against him (as had just happened in Iraq). But the outcome was the same – another occupation, and rule by the Allies (with the US joining in later) until 1945.” (Ebd., 28–29). 14 noch jungen Sohnes Moḥammad Reżā Pahlavī (1919-1980), verlief unter dem Eindruck der Besatzung reibungslos und führte zunächst zu wenig öffentlichen Protest.25

Das Land wurde in eine britische (Süden) und sowjetische (Norden) Zone unterteilt, wobei der iranischen Regierung jedoch die Kontrolle über die Regierungsgeschäfte überlassen wurde.26 „Unterstützt“ wurde sie dabei durch die beiden US- amerikanischen Emissäre Arthur Millspaugh (1883-1955), der die Finanzverwaltung des Landes übernahm, und General H. Norman Schwarzkopf (1895-1958), welcher das Kommando über die amerikanischen Kräfte im Land sowie die iranische Polizei hatte.27 Es gelang Millspaugh mittelfristig jedoch nicht, die erheblichen ökonomischen Probleme in den Griff zu bekommen, sodass es zu Spannungen kam und spätestens Ende 1942 mit den Teheraner Brotunruhen die Stabilität des Landes in Frage stand.28 Dies war schließlich auch Folge eines politischen und intellektuellen Gärungsprozesses der durch die Gegebenheiten der Besatzungssituation bedingt wurde.29

Öffentliche Zurschaustellung politischen Protestes und gelebter Opposition waren zuvor unter der autoritären Herrschaft Reżā Šāh Pahlavīs nicht denkbar,30 wurden nun aber durch die geänderten Bedingungen unter alliierter Besatzung Teil des politischen Alltags in den großen Städten und insbesondere auch rund um die Industrieanlagen der britischen Anglo Iranian Oil Company, der über Konzessionen die alleinige Förderung des iranischen Erdöls seit ihrer Gründung 1909 zustand.31 Reżā Šāhs Praxis der Zensur wurde gelockert, politische Gefangene aus der Haft entlassen, Parteien und Gewerkschaften gegründet und es kam zu zahlreichen

25 Ebd., 29. 26 Abrahamian, A History of Modern Iran, 98. 27 Axworthy, Revolutionary Iran, 29. 28 Keddie, Roots of Revolution, 114. 29 Vgl. Axworthy, Revolutionary Iran, 45. 30 Vgl. Abrahamian, A History of Modern Iran. 31 Beachte: Zur Zeit ihrer Gründung firmierte das Unternehmen unter dem Namen Anglo Persian Oil Company. Vgl. zur Geschichte der Konzessionen: Parviz Mina, „Oil Agreements in Iran (1901-1978): Their History and Evolution.“ Encyclopædia Iranica (Online) (2004). http://www.iranicaonline.org/articles/oil-agreements-in-iran (letzter Zugriff: 28. Juni 2016); Charles Issawi, „European Economic Penetrations: 1872-1921.“ in From Nadir Shah to the Islamic Republic, hrsg. von Peter Avery und A J Arberry, 590–607, The Cambridge history of Iran Vol. 7 (Cambridge: Cambridge Univ. Press, 1991). 15

Zeitungsgründungen sowie einer deutlichen Zunahme journalistischer Aktivitäten.32 Nicht zuletzt durch das Radio – dem auch in den hier untersuchten historischen Ereignissen eine immense symbolische Bedeutung zukommt – wurde ein Instrument in den politischen Alltag integriert, welches maßgeblich dazu beitrug, ein iranisches Nationalbewusstsein zu transportieren und zu schärfen und Iranern vermittelte, dass nationale Politik sie angeht und sie in selbige involviert sind.33

Zu einem entscheidenden Faktor der politischen Debatten der folgenden Jahre sollte das Aufkommen der kommunistischen Ḥezb-e Tūdeh werden. Die angesprochene Öffnung der politischen Teilhabe führte zur Gründung der sowjetnahen Tūdeh- Partei bereits im Oktober 1941,34 die zu einer entscheidenden politischen Kraft im Land avancierte und insbesondere auf die Intellektuellen des Landes eine hohe Attraktionskraft ausübte, zudem aber auch ein großes Maß an Unterstützung innerhalb der Arbeiterschaft in den Städten und Industrieanlagen genoss.35 Die Tūdeh galt dabei in allen Phasen ihrer legalen und später illegalen Aktivitäten als hervorragend organisiert, sodass sie als ein wichtiger Akteur in Momenten des politischen oder revolutionären Umbruchs bis in die Prozesse der Islamischen Revolution von 1978/79 hinein eine zentrale Rolle spielte.36 Die Tūdeh blieb dabei

32 Axworthy, Revolutionary Iran, 45. 33 Ebd. 34 Siehe zur Parteigründung und zur Diskussion um die Rolle der UdSSR: Cosroe Chaqueri, „Did the Soviets Play a Role in Founding the Tudeh Party in Iran?“ Cahiers du Monde russe et soviétiques 40, Nr. 3 (1999): 497–528. Er kommt zu folgendem Schluss: „The evidence we have examined above clearly demonstrates that the Tudeh was a creation of the Soviet state, through the agency of its Red Army, thus demolishing the thesis that this organization was a genuine party established independently by the progressive elements who had been released from Reza Shah's jails on the morrow of Iran's occupation by the Allies.” (Ebd., 523). Vgl. auch Sepehr Zabih, The Communist Movement in Iran (Berkeley: University of California Press, 1966); Sepehr Zabih, The Left in Contemporary Iran: Ideology, Organisation, and the Soviet Connection (Croom Helm, 1986); Zabih, The Communist Movement in Iran; Maziar Behrooz, „Tudeh Factionalism and the 1953 Coup in Iran.“ International Journal of Middle East Studies 33, Nr. 3 (2001): 363–382. 35 Axworthy, Revolutionary Iran, 46. 36 Vgl. Behrooz, „Tudeh Factionalism and the 1953 Coup in Iran“, 363–364.: „The party's organization was strong, and it had a large number of mostly urban-based, disciplined members and supporters. It was popular among the working class and played a leading role in the country's biggest labor organization, the Central Council of the United Trade Unions of Iranian Workers and Toilers. According to a CIA estimate in 1952 the party had 20,000 hard- core members, 8,000 of whom were in Tehran, and its rank and file were predominantly proletarian.” 16 aber keinesfalls der einzige oppositionelle Akteur. Durch das Anwachsen der gebildeten Mittelschicht wurden politische Befindlichkeiten zunehmend (und in Konkurrenz zu kommunistischen Positionen) in Begriffen der liberalen demokratischen Traditionen der Verfassungsrevolution von 1906-11 artikuliert;37 jener Revolution also, die als „Konstitutionelle Revolution“ die Implementierung einer Konstitutionellen Monarchie vorsah und deren Verfassung eigentlich erst 1979 außer Kraft gesetzt wurde (praktisch aber bereits zuvor häufig ignoriert wurde).

Nicht zuletzt aufgrund der entsprechenden Parteigründungen und der neuen freien Presse, führte die nun auf öffentlichen Plattformen geäußerte populäre Frustration über Erfahrungen mit (vor allem britischem) Imperialismus, Inflation und wirtschaftlich ungenügende Zustände zu Protesten und Unruhen. Zahlreiche Zeitungen propagierten in den Kriegsjahren etwa einen politischen Wechsel in der Führung des Landes.38 In der Folge wurde zur Stabilisierung vor allem die US- amerikanische Präsenz verstärkt, sodass spätestens 1943 die substanzielle Kontrolle über Militär und Polizei in den Händen der Amerikaner lag, die so zwar die öffentliche Ordnung regulierten, jedoch die wirtschaftlichen Herausforderungen weiter nicht zu lösen vermochten.39 Gegen Kriegsende kam es daher vermehrt zu Streiks und zum Teil gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen vor allem Tūdeh-nahen Gruppierungen und staatlichen Akteuren,40 sodass sich in der Öffentlichkeit Irans die Wahrnehmung durchsetzte, das Land befände sich an der Schwelle zur Anarchie.41 In diese Stimmung hinein kam es im Frühjahr 1944 in zu einem Generalstreik, der unmittelbare Auswirkungen auf den politischen Diskurs in Teheran hatte. Im Ergebnis wurde zum einen ein Gesetz beschlossen, das den Ausnahmezustand für Industrieanlagen in Iran regelte, zum anderen wurde

37 Janet Afary, The Iranian Constitutional Revolution, 1906-1911: Grassroots Democracy, , & the Origins of Feminism. The history and society of the modern Middle East (New York: Columbia Univ. Press, 1996). 38 Keddie, Roots of Revolution, 115. 39 Ebd., 116. 40 Zur Rolle der Tūdeh in der politischen Öffentlichkeit Irans zur Zeit des Kriegsendes vgl. nur: Ervand Abrahamian, „The Crowd in Iranian Politics 1905-1953.“ Past & Present 41 (1968): 184–210, 40–41. 41 Ervand Abrahamian zitiert aus dem Protokoll des Parlaments vom 3. Mai 1944: „[T]wo years of constant fighting between management and labor had brought the country to the verge of social anarchy.” (Abrahamian, Iran Between two Revolutions, 208). 17 deutlich, dass die parlamentarischen Debatten auf den Umgang mit der Ḥezb-e Tūdeh kaprizierten und sich die politischen Ausrichtungen vornehmlich an dieser Frage festmachen ließen42 – eine Tendenz, die sich in den Folgejahren bis zum Coup von 1953 fortsetzte und verstärkte.

Nikki Keddie fasst für die Kriegsjahre schließlich zusammen:

„The war period in Iran […] saw a growth of economic problems: inflation, famine, deterioration of the modern sector, and disruption of government finances. [There] was also an increase in urbanization and new urban groups, at the same time as traditional ways of tribes and religious leaders re-emerged. Acute economic and social problems led to a growth of political organizations. Competing groups and ideologies – religious, nationalist, and socialist – vied for the allegiance of Iranians as never before. And, to compound internal problems and rivalries, foreign powers showed a stronger interest in Iran, with concern to control her politics and her oil.“43 Dieses gestiegene internationale Interesse an Iran und seinen Ressourcen wurde nach Kriegsende deutlich, als sich die Sowjetunion weigerte, ihre Truppen aus dem besetzten iranischen Teil Aserbeidschans sowie den nordwestlichen kurdischen Gebieten um die Stadt Mahabad zurückzuziehen. Im Zuge der Besatzung hatten Großbritannien und die UdSSR Iran 1942 im „Tripartite Treaty“ gemeinsam zugesichert, die iranische territoriale Integrität zu wahren und die jeweiligen Besatzungstruppen innerhalb von sechs Monaten nach Kriegsende abzuziehen.44 Die internationalen Spannungen, die sich aus der Weigerung der UdSSR, diese Zusicherungen nach Kriegsende in die Tat umzusetzen, entwickelten, sind als „Aserbeidschan-Krise“ in die Historiographie eingegangen und gelten gemeinhin als erster Konflikt des Kalten Krieges.45 Erst auf massiven diplomatischen Druck der

42 Vgl. hierzu nur ebd.: „As the British military attaché observed, the events of Isfahan, rumored in Tehran to have produced over six hundred casualties, immediately overshadowed the constitutional issue, and thereby split the Patriots and Democrats, the two southern conservative groups, from the Liberals, the northern pro-Soviet and anticourt aristocrats. Forming a new majority bloc with the court National Unionists, the Patriots and Democrats soft-pedalled their anticourt activities, and, instead, intensified their anti-Tudeh policies. They drafted a so-called Labor Law that permitted governors to impose martial law on industrial plants.” 43 Keddie, Roots of Revolution, 118–119. 44 Louise Fawcett, „Revisiting the Iranian Crisis of 1946: How Much More Do We Know?“ Iranian Studies 47, Nr. 3 (2014): 379–399, 384. 45 Vgl. ebd., 379. unter Verweis auf Caroline Kennedy-Pipe, The Origins of the Cold War (Basingstoke, Hampshire [England], New York: Palgrave Macmillan, 2007), 138. Ähnlich auch: Axworthy, Revolutionary Iran, 46.; Siehe zur Krise weiter: Amir Hassanpour, „The Nationalist 18

USA hin zogen sich die sowjetischen Truppen im Frühjahr 1946 aus den nordwestlichen Regionen Irans zurück. Dem gingen jedoch Verhandlungen mit der iranischen Regierung voraus, an deren Ende der Plan stand, dem iranischen Parlament (der Maǧles) einen Entwurf zur Genehmigung einer gemeinsamen iranisch-sowjetischen Ölkompanie vorzulegen.46 Zugleich sollte die Autonomie der „Republik Aserbeidschan“ und der kurdischen „Republik Mahabad“ durch die iranische Regierung garantiert werden. Nach dem Abzug der sowjetischen Regimenter wurden entgegen dieser Zusicherung jedoch am 11. Dezember 1946 und am 16. Dezember Mahabad, die jeweiligen Hauptstädte der beiden Republiken, durch iranische Truppen eingenommen. Zudem lehnte die im folgenden Jahr neu konstituierte Maǧles die Gründung einer gemeinsamen Ölgesellschaft mit der Sowjetunion unumwunden ab.47

In dieser Episode verdichten sich zwei zentrale Aspekte, die Rückschlüsse auf die politische Kultur Irans in den Nachkriegsjahren zulassen. Zunächst wird durch die Machtdemonstration der iranischen Sicherheitskräfte verdeutlicht, dass unter sowjetischer, amerikanischer und britischer Duldung dem jungen Shah bereits zur Zeit der Besatzung der Unterhalt eines eigenständigen, funktionierenden Polizei- und Militärapparates zugestanden und dessen Ausbau gar gefördert wurde.48 Durch die Kooptierung eines bereits unter seinem Vater gedienten militärischen Zirkels in den Sicherheitsapparat gelang es Moḥammad Reżā Šāh während des Krieges, die Armee neu zu strukturieren und aufzubauen.49 Diese Bemühungen stellten in den

Movements in Azarbaijan and Kurdistan, 1941-46.“ in A Century of Revolution: Social Movements in Iran, hrsg. von John Foran, 78–105 (London: UCL Press, 1994); Natalia I. Yegorova, „The 'Iran Crisis' of 1945-46: A View from the Russian Archives.“. Cold War International History Project Working Paper No. 15 (Woodrow Wilson International Center for Scholars, 1996) 46 Beachte: In die 14. Legislaturperiode des iranischen Parlaments (26.02.1944-11.03.1946) fällt der Beschluss eines Gesetzes, dass es der iranischen Regierung verbietet, Verhandlungen zur Vergabe von Ölkonzessionen ohne Zustimmung des Parlaments aufzunehmen. 47 George Lenczowski, „' Support for Iran's Independence and Integrity, 1945- 1959.“ Annals of the American Academy of Political and Social Science 401, America and the Middle East (1972): 45–55, 49. 48 Vgl. Abrahamian, A History of Modern Iran, 98: „[…] most crucial of all for the new shah, agreed to retain his armed forces at the minimum strength of 80,000 soldiers and 24,000 gendarmes.” 49 Vgl. Ward, Immortal, 170: „The new monarch retained control of military matters because, like his father, Muhammad Reza saw the army as the bedrock supporting the dynasty and Iran’s independence and modernization. The young shah considered himself a soldier, having attended military primary and secondary schools, graduated from the military academy as a second lieutenant in 1938, and served as Inspector of the Army until he became shah. He was 19

Jahren nach dem Abzug aller alliierten Truppen die einzig substantielle Grundlage für seinen unsicheren Zugriff auf die Macht im Lande dar.50 Die Episode versinnbildlicht so nicht nur einen Autoritätszuwachs des militärischen Apparates innerhalb eines auch durch die Krise selbst bedingten neuen iranischen Nationalismus,51 sondern symbolisiert darüber hinaus auch die eminente Bedeutung, die das Militär für das politische Überleben des Shahs in der Zukunft noch haben sollte.

Neben diesem militärischen Aspekt war auch die Haltung der Ḥezb-e Tūdeh während der Aserbeidschan-Krise für die kommenden Jahre prägend. Während der Krise propagierte die Tūdeh offen sowjetische Interessen und offenbarte so ihre Nähe zu Moskau, was wiederum zu ihrer Diskreditierung in weiten Teilen der sich nun zunehmend nationalistisch positionierenden Öffentlichkeit führte.52 Im Ergebnis war die Tūdeh einerseits als Koalitionspartner für alle anderen politischen Fraktionen und Gruppierungen untragbar geworden, andererseits führte die offene Nähe zur Sowjetunion zum Abfall einiger führender Politiker, die später ihre eigene politische Positionierung häufig in erster Linie über die Opposition zu Positionen der Ḥezb-e Tūdeh formulierten. Von entscheidender Bedeutung diesbezüglich sollte der Austritt des Intellektuellen Ḫalīl Malekī (1903-1969) werden, der mit der Ḥezb-

encouraged in this by his father’s most important bequest to him: a cadre of senior officers who transferred their personal loyalty to the young monarch. The old chain of command was retained, and orders flowed directly from the palace through the General Staff to the field. The War Ministry, meanwhile, was packed with royalists who worked to advance the shah’s policies. Despite the Iranian military’s humiliation and reduction in size, it was still the largest and best organized government institution and a strong foundation for Muhammad Reza’s plans. Although many younger officers resented Reza’s senior commanders and cronies for their failed leadership, the army rallied to the new shah because it also was being attacked by the Majles and the British and Russian occupiers. The shah worked aggressively but quietly to regain the officer corps’ loyalty by protecting the field commanders who had deserted their posts during the invasion from public hearings. He also showered his officers with promotions, creating twice as many colonels and generals in twenty months as his father had made in twenty years. In addition, Muhammad Reza took a personal interest in the military, organizing army maneuvers, taking inspection tours, and attending graduation ceremonies at the military colleges, where he never failed to remind his audience that the Imperial Army owed its existence to the . The payoff for this careful cultivation came in late 1942 when the prime minister made a bid to take control of the army and tried to purge royalists from the War Ministry. The shah arranged to have armed thugs turn ongoing public protests into violent riots that the army prevented the police from stopping.” 50 Marvin Zonis, The Political Elite of Iran. Princeton Studies on the Near East ([Princeton]: Princeton University Press, 1971), 3. 51 Axworthy, Revolutionary Iran, 46. 52 Ebd. 20 e Zahmatkešān-e Mellat-e Irān (etwa „Iranische Arbeiterpartei“53) einen maßgeblichen Konkurrenten der Tūdeh gründen sollte.54 Zugleich gelang es der Tūdeh aber, sich in den Öl-Regionen Khuzestan und Kermanshah als Verteidigerin der Interessen der Ölarbeiter zu gerieren. Die Partei konnte dabei mehrfach unter Beweis stellen, dass sie ein Monopol auf die Unterstützung durch die Ölarbeiter genoss – so etwa bei einem blutig niedergeschlagenen Öl-Streik im Juli 1946. Das Image der Partei als einzig legitime Verteidigerin der Interessen der Armen trug sich zurück in die Städte, so dass sie losgelöst von ihrem Image im politischen Establishment als kommunistische Bewegung immer größere Schlagkraft gewann.55 Die Polarisierung der Diskurse um die Tūdeh erlangte in der Ära von Premierminister Moḥammad Moṣaddeq (reg. 1951-1953) große und ereignisgeschichtlich höchst relevante Bedeutung – nicht nur in nationaler, sondern auch in internationaler Hinsicht.

***

Moḥammad Moṣaddeq sollte in den Folgejahren des Krieges zur prägenden Figur des politischen Geschehens in Iran werden: Nach dem Abzug der alliierten Besatzungstruppen war die Monarchie unter Moḥammad Reżā Šāh auf politischer Ebene zunächst so schwach, dass zunehmend die Umsetzung der durch die Konstitutionelle Revolution verfassungsmäßig verankerten demokratischen Prinzipien eingefordert wurde.56 Die politische Kultur des Landes stützte sich dabei aber weniger auf größere Parteien – die Ḥezb-e Tūdeh stellte hier eine Ausnahme

53 In der englischsprachigen Fachliteratur firmiert die Ḥezb-e Zahmatkešān als „Toilers Party“. 54 Vgl. Behrooz, „Tudeh Factionalism and the 1953 Coup in Iran“, 366.; Siehe auch den Abschnitt „The Impect of Defection“ in Zabih, The Communist Movement in Iran, 137–141. 55 Vgl. Ervand Abrahamian, The Coup: 1953 the CIA and the Roots of Modern U.S.-Iranian Relations (New York: The New Press, 2013), 65. Abrahamian fasst bezüglich der Mobilisierungskapazität der Partei auf den Ölfeldern zusammen: „By late 1948, the British consul in Khorramshahr warned that although the local Tudeh organization had only one thousand active members the vast majority of oil workers would rally behind the party if the opportunity arose again. He added that ‘most workers viewed the Tudeh as their defenders’. By late 1949, the British labor attaché in Tehran was reporting: ‘Disillusionment with ESKI [regierungsnahe Gewerkschaft, OG] has increased the sympathies of many lower grade professional men who have hitherto claimed to be opposed to the Tudeh movement are now privately expressing anxiety at bad social conditions and are stating that the Tudeh is the only hope for improving the conditions of the people. The poorer classes were better off when Tudeh was powerful.’ The company’s own union had ‘drifted’ towards the Tudeh-led Central Union of Khuzestan Workers.” ebd. 56 Axworthy, Revolutionary Iran, 47. 21 dar – sondern vertraute auf personalisierte Koalitionen, deren Akteure häufig durch jene Protagonisten repräsentiert wurden, die bereits in der konstitutionellen Phase zu Anfang des Jahrhunderts das politische Schicksal des Landes bestimmt hatten, bevor sie durch die rigide Staatsführung Reżā Šāhs in den Hintergrund gedrängt wurden. Ervand Abrahamian konstatiert diesbezüglich treffend: „[P]ower was not in one place. On the contrary, it was hotly contested between the royal palace, the cabinet, the Majles, and the urban masses […]. In this contest, the center of political gravity shifted away from the shah, back to the notables who had ruled the country from 1906 to 1921.”57

Die politischen Debatten der Nachkriegsjahre fokussierten sich dabei auf zwei zentrale Themen: Rolle und Einfluss der Tūdeh sowie den Umgang mit ihr auf der einen Seite, und auf der anderen Seite die Forderung nach Revision der 1933 mit der Anglo-Iranian Oil Company (AOIC) neu verhandelten Konzession zur Exploration der iranischen Erdölvorkommen.58 Seit den ersten Ölfunden durch den Briten William Knox D’Arcy (1849-1917) im Jahre 1908 befanden sich die Konzessionen zur Ölförderung in den entsprechenden Gebieten in britischer Hand und wurden durch die bereits 1909 eigens zu diesem Zwecke gegründete Anglo-Persian Oil Company (APOC, später in Anglo-Iranian Oil Company umbenannt) wahrgenommen. Die Bedingungen der Konzession waren von Beginn an nachteilig für Iran und symbolisierten die damalige miserable Position Irans im Mächteverhältnis zu ausländischen Regierungen und Interessen.59 In den folgenden Jahrzehnten hatte sich diese Disproportionalität nicht maßgeblich geändert, obwohl 1933 unter Reżā Šāh eine neue Vereinbarung unterzeichnet worden war. Gegenteilig wurde durch diese Vereinbarung erneut die Schwäche Irans auf der Ebene der internationalen Beziehungen deutlich. Die Frage nach der Verstaatlichung des Erdöls wurde so nicht lediglich von ökomischen Diskussionen bestimmt, sondern erwuchs spätestens in den Jahren 1947 bis 1949 zu einem Thema nationaler Integrität, welches über alle

57 Abrahamian, A History of Modern Iran, 99–100. Siehe anschaulich Abrahamians Evaluierung der Protagonisten des iranischen Parlamentes zwischen 1941 und 1953. (Ebd., 100–107). 58 Sussan Siavoshi, „The Oil Nationalization Movement, 1949-53.“ in A Century of Revolution: Social Movements in Iran, hrsg. von John Foran, 106–134 (London: UCL Press, 1994), 112. 59 Ebd., 111. 22 sozialen Schichten und politischen Fraktionen hinweg Mobilisierungswirkung entfalten konnte.60

Aus dieser Themenkonstellation, verbunden mit der politischen Praxis der personenbezogenen Koalitionierungen, ging 1949 mit der Ǧebhe-ye Mellī („Nationale Front“) unter Führung Moḥammad Moṣaddeqs eine Bewegung hervor, deren Aufstieg und Fall einen nachhaltigen Effekt auf die iranische Geschichte hatte. Einige der später in der Bewegung maßgeblichen Akteure hatten sich bereits in der 15. Legislaturperiode der Maǧles (17.07.1947-28.07.1949) als anti-britisch und anti-sowjetisch positioniert.61 Diese „15. Maǧles“ war es auch, welche die vorgesehene Ölkonzession an die UdSSR für die Exploration der Ölvorkommen im nördlichen Iran zurückwies und zudem Nachverhandlungen mit den Briten einforderte.62 Im Laufe ihrer Legislaturperiode richteten sich die Beschwerden einiger Parlamentarier auf das Angebot der AIOC, in einem „Supplementary Agreement“ zu der Konzession von 1933 leichte Verbesserungen der Bedingungen zugunsten Irans vorzunehmen. Man bot an, den Anteil Irans an den Gewinnen der AIOC von 17% auf 24% zu erhöhen – ein Angebot, das mit den Bedingungen der arabisch-amerikanischen Vereinbarungen, die generell eine hälftige Aufteilung der Gewinne vorsahen, nicht mithalten konnte und im Parlament auf harsche Kritik stieß.63 Insbesondere der erbitterte Widerstand der Abgeordneten Ḥoseyn Makkī (1911-1999) und Możaffar Baqāʾī-Kermānī (1912-1987) verhinderte zunächst die Annahme der Vereinbarung durch die 15. Maǧles, wobei die feurigen Debatten des Parlaments ebenso wie die virale Presselandschaft die Basis für die folgenden

60 Vgl. ebd., 106: „The oil nationalization struggle started as a protest against British control over the oil industry, but soon developed into an expression of a genuine popular desire for Iran's dignity as an independent nation-state. It attracted support from large sections of different urban social classes with diverse ideological leanings and led to the formation of the , which became its organizational instrument. The leader of the movement was the liberal and charismatic Muhammad Musaddiq, who aspired not only to sovereignty for his country but also to the establishment of a truly democratic polity.“ 61 Beachte: Moṣaddeq selbst war nicht Mitglied der 15. Maǧles. 62 Afkhami, The Life and Times of the Shah, 115. 63 Abrahamian schreibt treffend: „The Supplementary Agreement - negotiated in secret - offered Iran too little, too late. It offered to increase Iran's royalties from four to six shillings per ton; Iran's share of the company profits would rise from 17 to 24%.” (Ervand Abrahamian, „The 1953 Coup in Iran.“ Science & Society 65, Nr. 2 [2001]: 182–215, 185). Vgl. zu den Bedingungen des „Supplementary Agreements“, sowie der vorigen Vereinbarungen: Mina, „Oil Agreements in Iran (1901-1978)“. 23 populären Forderungen nach einer Verstaatlichung der iranischen Ölvorkommen legten.64

In die äußerst relevante 15. Legislaturperiode des Parlaments fällt zudem das Verbot der Ḥezb-e Tūdeh, welches auf ein gescheitertes Attentat auf Moḥammad Reżā Šāh am 04. Februar 1949 zurückging.65 Unter dem Vorwand, dass der bei dem Anschlag getötete Attentäter ein Mitglied der Tūdeh gewesen sei, wurde die Partei verboten und große Teile des Führungskaders verhaftet.66 Unter Berücksichtigung des enormen Mobilisierungs- und Wählerpotentials der Tūdeh67 – welches sie zufällig am Tag des Attentat selbst bei einer Massendemonstration zu Gedenken eines verstorbenen Mitglieds zur Schau stellte68 – scheint der vielfach geäußerte Verdacht nicht weit hergeholt, dass man durch das Verbot der Partei ihrem möglichen Erdrutschsieg bei den Wahlen zur 16. Maǧles vorbeugen wollte. Die Repressalien erstreckten sich jedoch über den Umgang mit der Tūdeh hinaus. So wurde das Ereignis genutzt, auch kritische Presseorgane zu schließen, die nicht der Partei zuzuordnen waren, sowie unbequeme politische Oppositionelle zu inhaftieren, die der Mitgliedschaft in der Tūdeh eigentlich unverdächtig schienen.69 Am Ende dieser Maßnahmen zur Verhinderung einer starken Opposition gegen die

64 „The fight made several minority representatives famous, especially Hossein Makki, who led the interpellation through to the end of the session. The struggle also created the nucleus for the National Front, which would be formally established during the election to the Sixteenth Majlis.” (Afkhami, The Life and Times of the Shah, 116). 65 Siehe zum Tathergang ebd.: „The 4th of February 1949 was a Friday, the day of rest in Iran. It was also the anniversary of the founding of Tehran University, and tradition, as initiated by Reza Shah, demanded that the shah attend the university and hand out that year’s diplomas. The shah arrived at the university’s College of Law in the afternoon. As he walked toward the building, a man holding a camera approached and suddenly opened fire with a gun. It took a second or two and three bullets through his hat before the shah realized what was happening. The fourth bullet entered his right cheek and exited through the upper lip. By this time he had begun instinctively to spin away. The fifth bullet hit him in the shoulder, and the sixth misfired as the gun jammed. The assailant threw his gun in anger and attempted to escape, but officers and guards surrounded and killed him.” 66 Behrooz, „Tudeh Factionalism and the 1953 Coup in Iran“, 366. 67 Vgl. Fred Halliday, „The Tudeh Party in Iranian Politics: Background Notes.“ MERIP Reports, 86, The Left Forces in Iran (1980), 22. „The Tudeh's following in the 1940s was an enormous one – it had at most 25,000 members, but its trades union affiliates had up to 400,000 members.” Außerdem Zabih, The Communist Movement in Iran, 163.: „By 1948-1949 it was calculated that up to 50 percent of the politically active university students had either joined the Tudeh- sponsored student association or supported its platform and candidates.” 68 Vgl. ebd.: „The estimated 10,000 to 30,000 party members and sympathizers who participated were indicative of the party’s renewed strength.” 69 Afkhami, The Life and Times of the Shah, 117. 24 konservative (und Shah-treue) Regierung Moḥammad Sāʿed Marāġeʾīs (1883-1973, reg. 1948-1950) standen die offensichtlich gefälschten Wahlen zur 16. Legislaturperiode des Parlaments, die schließlich unmittelbar zur Gründung der Ǧebhe-ye Mellī führten.

Aus Protest gegen den Wahlhergang nahm der aus zahlreichen Legislaturperioden des Parlaments und durch die Ausübung diverser hoher politischer Ämter erfahrene und in der Mittelschicht beliebte Politiker Moḥammad Moṣaddeq70 zusammen mit weiteren 19 einflussreichen Persönlichkeiten71 politisches Asyl (pers. bast72) im Palast des Shahs. Ohne unmittelbare Erfolge erzielt zu haben, verließen die Politiker den Palast nach vier Tagen wieder. Mittelfristig war aber von Bedeutung, dass während der Zeit der bast unter der Führung Moṣaddeqs die Ǧebhe-ye Mellī gegründet wurde.73 Die „Nationale Front“ war dabei keine politische Partei, sondern trug dem bereits geschilderten Phänomen Rechnung, nach dem der Politikstil Irans nach dem zweiten Weltkrieg durch personalisierte Koalitionen aufgrund tagespolitischer Interessenlagen geprägt war. Die gemeinsamen Nenner wurden

70 Siehe zu seiner persönlichen Attraktionskraft in der stark anwachsenden Teheraner Mittelschicht nur Abrahamian, A History of Modern Iran, 115: „Despite his aristocratic origins, Mossadeq obtained much of his support among the middle classes. From a long line of prominent mostowfis and a direct descendant of the famous Mohsen Ashtiyani, Fath Ali Shah’s chief minister, Mossadeq was related by blood and marriage to many other notables – including Farmanfarma, Qavam, Vossuq, Bayat, and the Imam Jum’eh of Tehran. Nonetheless, Mossadeq enjoyed the reputation of being “incorruptible” both because he denounced the extravagancies of fellow aristocrats and because he himself lived a middle- class style of life.” 71 Zu den Teilnehmern siehe Abrahamian, The Coup, 53: „The twenty included Mossadeq and seven close associates: Shayegan, Fatemi, Nariman, Makki, Snajabi, Amir-Alai, and Zirakzadeh. Another six were prominent gradfly politicians who first supported but then opposed Mossadeq: Dr. Muzaffar Baqai, a French-educated philosopher from a well-known Kerman family; Sayyed Abdul-Hussein Haerizadeh, a former judge and critique of Reza Shah in the fourth, fifth, sixth, and fourteenth Majles; Abdul-Qader Azad, a veteran politician who had spent ten years in Reza Shah’s prisons and now edited Azad (Freedom), Ahmad Maleki, the long-time editor of the muckraking Setareh (Star); Abul-Hassan Amidi-Nouri, a trial lawyer and editor of another muckraking paper, Dad (Justice), and Abbas Khaleli, editor of Eqdam (Action), who had fled Iraq in the early 1920s after the anti-British revolt. The other six were less-known figures – many of them professionals.” 72 Mit der bast zitierte er eine politische Tradition Irans, in der das politische Asyl in bestimmten staatlichen oder religiösen Einrichtungen eine Form der öffentlichen Meinungsäußerung darstellte. Insbesondere während der Konstitutionellen Revolution zu Beginn des Jahrhunderts stellte dieses Instrument ein populäres Mittel der politischen Willensbildung dar. Vgl. nur J. Calmard, „Bast.“ Encyclopædia Iranica (Online) (1988). http://www.iranicaonline.org/articles/bast-sanctuary-asylum (letzter Zugriff: 1. Juli 2016). 73 Vgl. Abrahamian, The Coup, 53–54. 25 somit durch die beiden dominanten Diskurse der Nachkriegsjahre diktiert: in anti- Tūdeh-Begrifflichkeiten einerseits und andererseits in Opposition zur britisch dominierten AIOC. In der Konsequenz führte dies zu einer sich in den Wochen und Monaten nach ihrer Gründung kontinuierlich vergrößernden Koalition aus Individuen und Parteien74 mit ansonsten völlig disparaten politischen Interessen. An der Spitze stand mit dem charismatischen Moḥammad Moṣaddeq ein Vertreter des alten politischen Establishments ohne Parteizugehörigkeit. Dessen politisch nächster Koalitionär war wohl Dārīūš Forūhar (1928-1998), der 1951 mit der Ḥezb- e Mellat-e Irān eine säkular-nationalistische Partei gründete, die sich den Zielen der Ǧebhe-ye Mellī verpflichtet fühlte, sich dabei aber als eine Mitte-links-Partei positionierte und insbesondere die urbane Intelligenzija ansprach.75 Daneben taten sich einige Akteure hervor, die ihr politisches Schicksal eng mit Moṣaddeq verknüpften, wie etwa Hosseyn Makkī oder der Journalist, dezidierte anti-Royalist und spätere Außenminister Hosseyn Fāṭemī (1917-1954). Das religiös-konservative Spektrum wurde hingegen durch den hochrangigen schiitischen Rechtsgelehrten und umtriebigen Politiker Ayatollāh Abo l-Qāsem Kāšānī (1882-1962) vertreten, der nicht nur zu einer zentralen Figur der Nationalen Front wurde, sondern auch an der Etablierung der 1945 durch Sayyed Moǧtaba Navāb Ṣafavī (1924-1955) gegründeten islamistischen Geheimorganisation Fedāʾiyān-e Eslām76 als relevante

74 Vgl. ebd., 54.: „In the weeks to come, the National Front accepted into its fold the Iran Party and a number of professional organizations, led by the Lawyers Guild, the University Professors Association, the Engineers Association, and the Union of Bazaar Guilds and Tradesmen. And in the months to come, it gained the support of Baqai’s Toilers Party (Hezb- e Zahmatkeshan) and Ayatollah Sayyed Abul-Qassem Kashani’s Assembly of Muslim Warriors (Majmah-e Musulman-e Mojaheden).” 75 Vgl. Sussan Siavoshi, Liberal Nationalism in Iran: The Failure of a Movement. Westview special studies on the Middle East (Boulder: Westview Press, 1990), 116: „The Iran Party, a center-left organization, adhered to a mild Fabian-style socialism. It advocated full rights for minorities and women, political equality for all citizens, and elimination of tensions between haves and have nots. […] The Iran Party never developed into a mass party. The character of its base of support was naturally responsible for its preoccupation with administrative reforms.” Siehe außerdem Abrahamian, The Coup, 52: „In short, Mossadeq’s inner circle was formed predominantly of young French-educated professionals from the Iran Party. The British embassy described the Iran Party as ‘middle class’, ‘nationalistic’ and constituting Mossadeq’s ‘inner core’.” 76 Siehe zur Gründungsgeschichte der Fedāʾiyān-e Eslām: Sohrab Behdad, „Islamic Utopia in Pre- Revolutionary Iran: and the Fada'ian-e Eslam.“ Middle Eastern Studies 33, Nr. 1 (1997): 40–65; Farhad Kazemi, „The Fada'iyan-e Islam: Fanaticism, Politics and Terror.“ in From Nationalism to Revolutionary Islam, hrsg. von Said Amir Arjomand, 158–176, St. Anthony's Macmillan series (London: Macmillan [u.a.], 1984), 160–167; Farhad Kazemi, „Fedāʾīān-e 26 politische Kraft beteiligt war.77 Die Fedāʾiyān-e Eslām zeichneten dabei für zahlreiche politische Morde in den 40er und 50er Jahren verantwortlich.78 Kāšānī avancierte zum politischen Repräsentanten der islamisch-konservativen Geheimorganisation, die so mittelbar auch an der Ǧebhe-ye Mellī beteiligt war und diese Beteiligung durchaus aktiv und öffentlich inszenierte.79

Andererseits erstreckte sich das Spektrum der in der Bewegung zusammengefassten Gruppierungen auch bis in das urbane sozialistische Milieu hinein, was insbesondere durch die Inklusion der Hezb-e Zahmatkešān-e Mellat-e Irān symbolisiert wurde. Diese wurde von dem Sozialisten Możaffar Baqāʾī- Kermānī, der sich bereits in den Debatten der 15. Maǧles ausgezeichnet hatte, und

Eslām.“ Encyclopædia Iranica (Online) (2012). http://www.iranicaonline.org/articles/fedaian-e- esla (letzter Zugriff: 1. Juli 2016); Taghavi, Seyed Mohammad Ali, „'Fadaeeyan-i Islam': The Prototype of Islamic Hard-Liners in Iran.“ Middle Eastern Studies 40, Nr. 1 (2004): 151–165. 77 Zur Fedāʾiyān-Kāšānī Koalition konstatiert Kazemi: „Navvab met and formed an alliance with Ayatollah Abu'l-Qasim Kashani that lasted from August 1946 until May 1951. When Kashani was arrested in July 1946 for anti-government activities, the Fada'iyan feverishly searched for ways to gain his release. The fall of Premier in 1947 led to Kashani's release. Kashani's freedom signalled the beginning of a new period of public protest and demonstrations by the Fada'iyan and Kashani's supporters. These demonstrations were staged to support a variety of specific causes ranging from condemnation of Jewish terrorism in Palestine to the support of oil nationalisation. In a major demonstration if favour of the Palestinian Arabs, in May 1948, the Fada'iyan-Kashani coalition mustered several thousand active participants.” Farhad Kazemi, „The Fada'iyan-e Islam: Fanaticism, Politics and Terror.“ in From Nationalism to Revolutionary Islam (s. Anm. 76), 162. 78 Auch das Mordattentat auf Moḥammad Reżā Šāh vom 4. Februar 1949 ging offensichtlich auf Rechnung der Fedāʾiyān-e Eslām. Vgl. Behdad, „Islamic Utopia in Pre-Revolutionary Iran: Navvab Safavi and the Fada'ian-e Eslam“, 48; Kazemi, „Fedāʾīān-e Eslām“. Vgl. zu den Fedāʾiyān-e Eslām Sepehr Zabih, „Aspects of Terrorism in Iran.“ The Annals of the American Academy of Political and Social Science 463, International Terrorism (1982): 84–94, 86: „The Fedayeen pursued an ideology that was at once nationalistic and pan-Islamic. It was nationalistic in the sense that they opposed the great powers controlling Iran, in particular Great Britain. Consequently, the targets of their political terrorism included government officials, journalists, and statesmen who were known for their pro- British sympathies. In the period between 1942 and 1953 they were responsible for the assassination of at least ten prominent Iranian politicians.” 79 Beachte hier etwa die Rolle, welche die Fedāʾiyān-e Eslām bei der Wiederholung der Wahl zur 16. Maǧles spielte. Vgl. Kazemi, „Fedāʾīān-e Eslām“.: „[T]he significant part played by the Fedāʾīān in protecting the ballot boxes from being tampering with by professional knife- wielding thugs (čāqūkeš), were instrumental to the successful election of National Front candidates from Tehran to the 16th Majles, including Moṣaddeq, Kāšānī, Moẓaffar Baqāʾī, and Ḥosayn Makkī, who formed the core of the highly vocal and popular minority fraction in the Majles.” Ausdrücklich sei hier auch darauf hingewiesen, dass berichtet wird, dass Šaʽbān Ğaʽfarī als Sympathisant der Fedāʾiyān-e Eslām bei diesen Wahlen einer der erwähnten „knife-wielding thugs“ war. Vgl. hierzu: Ḫāğğ Mehdī ʽErāqī, Nāgoftehā: Ḫāṭerāt Šahīd Ḫāğğ Mehdī ʽErāqī (Tehrān: Farhangī rasā, 1380 h.š. [=2001]), 43. 27 dem marxistischen Intellektuellen und Tūdeh-Mitbegründer Ḫalīl Mālekī gemeinsam geführt – jenem prominenten Politiker, der die Tūdeh nach der Aserbaidschan-Krise 1946 verlassen hatte. Aufgrund dieser personalen Konstellation hatte die Ḥezb-e Zahmatkešān-e Mellat-e Irān einen sozialistischen, aber anti-kommunistischen Auftritt, was sie zwar einerseits dem links- intellektuellen Milieu und der urbanen Mittelklasse attraktiv machte; Andererseits gelang es der selbsternannten Arbeiterpartei entgegen der Namensgebung jedoch nie, signifikante Unterstützung aus der Arbeiterbewegung heraus zu akquirieren80 – dies blieb auch in den Jahren nach dem Verbot von 1949 die Domäne der Tūdeh- Partei.

Die Ironie der Geschichte will es also, dass das Abdrängen der Tūdeh in den Untergrund, mit der Ǧebhe-ye Mellī einer nationalistischen Bewegung den Weg ebnete,81 angesichts derer sich die Schwäche Moḥammad Reżā Šāhs und seiner brüchigen Koalition aus Angehörigen der alten militärischen und politischen Elite offenbarte, sodass diese nationalistische Bewegung ihm beinahe dauerhaft die Macht entreißen hätte können.82 War es noch möglich, die Tūdeh aufgrund ihrer offensichtlichen Nähe zur Sowjetunion zu diskreditieren, erwies sich ein solches Vorgehen angesichts der populären und immer iranisch-nationalistisch argumentierenden Bewegung Ǧebhe-ye Mellī als nicht möglich. Im Gegenteil: Der Shah sah sich nun selbst der Gefahr von Kampagnen ausgesetzt, die ihn in die Nähe der Kollaboration mit ausländischen Mächten rückten; gleichzeitig waren es die Vertreter der Ǧebhe-ye Mellī, die sich öffentlich als diejenigen iranischen Akteure inszenierten, die einer solchen Kollaboration entgegentraten.

Der durch die Nationale Front entstandene öffentliche Druck führte schließlich zu den angestrebten Neuwahlen zur 16. Legislaturperiode des Parlaments. Dem ging jedoch ein politischer Mord voraus, als die Fedāʾiyān-e Eslām im November 1949, nach einer öffentlichen Denunziation durch Ayatollāh Kāšānī,83 erfolgreich ein Attentat auf den Hofminister ʿAbdolhosseyn Hažīr verübten. Erst auf diesen Mord hin traten die Mitglieder der von Moṣaddeq und seinen Koalitionären kritisierten

80 Siavoshi, Liberal Nationalism in Iran, 117. 81 Abrahamian, A History of Modern Iran, 113. 82 Zonis, The Political Elite of Iran, 3. 83 Abrahamian, A History of Modern Iran, 116. 28

Regierung zurück und erklärten die Wahlen zur 16. Maǧles unter Verweis auf den strittigen Wahlhergang für nichtig. Bei den folgenden Neuwahlen gewann die Ǧebhe- ye Mellī elf Mandate und stellte acht der zwölf in Teheran gewählten Parlamentarier – unter ihnen Moṣaddeq, Kāšānī und Baqāʾī.84 Geht man davon aus, dass die Aktionen der islamistischen Geheimorganisation Fedāʾiyān-e Eslām zu dieser Zeit Ayatollāh Kāšānī zugerechnet werden können oder zumindest nicht gegen seinen Willen erfolgten, dann veranschaulicht der Hergang der Ereignisse um die Neuwahlen, dass auch aufseiten der sich selbst als demokratische Bewegung inszenierenden Ǧebhe-ye Mellī physische Gewalt – hier gar der politische Mord – zum Repertoire der politischen Meinungsäußerung gehörte. Zudem sollte sich zeigen, dass die Macht der Nationalen Front weit über ihre parlamentarische Fraktion hinausreichte und ihre Popularität es ihr ermöglichte, über den Druck der Straße ein entscheidendes politisches Stilmittel für sich zu beanspruchen. Ervand Abrahamian konstatiert diesbezüglich:

„The National Front carried far more weight than the caucus. It had the force of public opinion; an impressive array of newspapers, professional organizations, bazaar guilds, and middle-class associations; and could fill the expansive Baharestan Square outside Parliament with crowds totalling as many as thirty thousand. Consequently, few politicians dared to publicly oppose it – especially on the potent issue of oil nationalization.”85

2.1.2 Die öffentliche Meinung und politische Gewalt: Moṣaddeqs Kampf um die Verstaatlichung des Erdöls 1949 - 1952

Mit der Präsenz der Ǧebhe-ye Mellī in der 16. Maǧles begann somit sowohl im Parlament als auch auf der Straße die turbulente Phase rund um die Verstaatlichung der iranischen Ölvorkommen. Zunächst wurde ein parlamentarischer Ausschuss gegründet, der sich mit dem „Supplementary Agreement“ der AIOC beschäftigen sollte und zu dessen Vorsitzenden Moḥammad Moṣaddeq gewählt wurde.86 Zudem stellte die Ǧebhe-ye Mellī insgesamt sechs der zwölf Ausschussmitglieder.87

84 Siavoshi, Liberal Nationalism in Iran, 112. 85 Abrahamian, The Coup, 58. 86 Vgl. Afkhami, The Life and Times of the Shah, 119; Sussan Siavoshi, „The Oil Nationalization Movement, 1949-53.“ in A Century of Revolution (s. Anm. 58), 112. 87 Abrahamian, The Coup, 59–60.: „With public support, the National Front elected six of its 29

Zeitgleich ernannte im Juni 1950 der Shah mit dem Oberbefehlshaber der Armee General ʿAlī Razmārā (1901-1951) einen Mann „prepared to risk public antipathy“88 zum Premierminister, um die Zusatzvereinbarung im Parlament durchzusetzen.

Der neue Premier sah sich jedoch von Beginn an der Opposition durch die Mitglieder der Ǧebhe-ye Mellī ausgesetzt, die seine Administration als Militärdiktatur diskreditierten.89 In seiner Rhetorik gegenüber dem General hielt sich insbesondere Moṣaddeq nicht zurück, als er ihm in der Parlamentssitzung vom 29. Juni 1950 zurief: „Wir werden bluten, wir werden kämpfen und möglicherweise werden wir sterben – und wenn Sie dann ein Militär sein wollen, dann werde ich mehr Soldat sein als Sie! Ich werde töten! Genau hier werde ich Sie töten!“90 In diesem feurigen Widerspruch ist zunächst sicher kein Tötungsaufruf gegen General Razmārā zu sehen. Eher wurde eine demagogische „Erinnerung“ daran geäußert, dass dieser sein Amt als Regierungschef auf Grundlage demokratischer Prinzipien und nicht mit militärischen Mitteln ausüben solle und dass man ihn, vorgeblich in einer für ihn verständlichen Terminologie, eben im Parlament selbst bekämpfen wolle. Gleichwohl bestimmte diese Rhetorik durchaus den Ton für die folgenden öffentlichen Debatten und Auseinandersetzungen, an deren Ende schließlich die Tötung des Premierministers stand – ein erneut durch die Fedāʾiyān-e Eslām organisierter und durchgeführter Mord.

Der von Moṣaddeq geführte Ausschuss hatte am 10. Dezember 1950 das „Supplementary Agreement“ endgültig zurückgewiesen und die entsprechende Empfehlung der Maǧles mitgeteilt. Diese Empfehlung wurde umgehend publik gemacht und gab der populären Forderung nach der Verstaatlichung des Erdöls Vorschub, sodass für März 1951 tatsächlich eine Abstimmung in der Maǧles darüber angesetzt wurde.91 Razmārā erklärte sich im Vorfeld der Abstimmung öffentlich

members – Mossadeq, Makki, Shayegan, Saleh, Nariman, and Haerizadeh – to a twelve-man Parliamentary oil Committee assigned the task of examining the Supplementary Agreement. Mossadeq was elected chair. The other six were unwilling to stick out their necks for the sake of Britain.” 88 Ebd., 61. 89 Sussan Siavoshi, „The Oil Nationalization Movement, 1949-53.“ in A Century of Revolution (s. Anm. 58), 113. 90 Das vollständige Parlamentsprotokoll wurde in Rūznāmeh-ye Rasmī-ye Kešvar-e Šāhanšāhī-ye Īrān, 15. Tīr 1329 [06. Juli 1950] abgedruckt. Vgl. ʿAlī Mīrfeṭrūs, Doktor Moḥammad Moṣaddeq: Āsīb-šenāsī yek šekast, 4. Aufl. (Montreal: Farhang, 2012), 57. 91 Vgl. Sussan Siavoshi, „The Oil Nationalization Movement, 1949-53.“ in A Century of Revolution 30 gegen eine Verstaatlichung des Erdöls und verwies auf die fehlende technische Expertise Irans, die Industrie eigenhändig zu steuern.92 Zugleich verhandelte er mit der AIOC um bessere Bedingungen für Iran und erreichte ein Angebot zur hälftigen Teilung der Gewinne nach amerikanisch-arabischen Vorbild. Dieses Angebot hielt er jedoch zunächst zurück; offensichtlich, um diesen Trumpf im Rahmen der parlamentarischen Debatte vor der Abstimmung ausspielen zu können.93 Dazu konnte es jedoch nicht mehr kommen: Am 07. März 1951 wurde er von dem Aktivist der Fedāʾiyān-e Eslām Ḫalīl Ṭahmāsebī (1924-1956) ermordet.94 Dieser Mord ist als eine politische Aktion im Kontext der existierenden politischen Konfliktlinien zu bewerten95 und die prominenten Akteure der Nationalen Front zögerten nicht, den Mord zu instrumentalisieren und als notwendigen Akt des politischen Ungehorsams zu glorifizieren. Gholam Reza Afkhamis Darstellung der Ereignisse veranschaulicht dies eindrücklich:

„The days after Razmara’s assassination were chaotic […]. The next day, on 8 March, the Special Oil Committee approved the nationalization of the oil industry. On the same day, Ayatollah Kashani declared Razmara’s murder a religiously necessary act and called the murderer the savior of the Iranian nation. In a large demonstration in front of the Majlis, National Front members Hossein Makki and Mozaffar Baqai congratulated the Iranian people on the ‘killing’ of Razmara. Navvab Safavi, leader of the Fadaiyan Islam, declared in a statement addressed to ‘Son of Pahlavi,’ read at the same demonstration, that unless Tahmasebi was immediately freed, many others would suffer Razmara’s fate.”96

(s. Anm. 58), 113; unter Verweis auf L. P. Elwell-Sutton, Persian Oil: A Study in Power Politics (Westport, Conn.: Greenwood Press, 1975), 201–209. 92 Abrahamian, The Coup, 61. 93 Sussan Siavoshi, „The Oil Nationalization Movement, 1949-53.“ in A Century of Revolution (s. Anm. 58), 113; Abrahamian, The Coup, 62. 94 Vgl. Behdad, „Islamic Utopia in Pre-Revolutionary Iran: Navvab Safavi and the Fada'ian-e Eslam“, 48–49; Zabih, „Aspects of Terrorism in Iran“, 86; Farhad Kazemi, „The Fada'iyan-e Islam: Fanaticism, Politics and Terror.“ in From Nationalism to Revolutionary Islam (s. Anm. 76), 164; Taghavi, Seyed Mohammad Ali, „'Fadaeeyan-i Islam': The Prototype of Islamic Hard-Liners in Iran“, 154. 95 Behdad, „Islamic Utopia in Pre-Revolutionary Iran: Navvab Safavi and the Fada'ian-e Eslam“, 49. 96 Afkhami, The Life and Times of the Shah, 123. Auch Sepehr Zabih stellt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Mord und dem Beginn der Ära Moṣaddeqs her. Bezeichnenderweise wird Ṭahmāsebī 1952 für seinen “heroischen” Mord vom Parlament begnadigt. Erst 1956 wird er wegen Mordes hingerichtet. Zabih, „Aspects of Terrorism in Iran“, 86. 31

Unter dem Eindruck des Mordes und der unverhohlenen Drohung mit weiterer Gewalt wurde am 15. März in öffentlicher und nicht-geheimer Abstimmung die Verstaatlichung des iranischen Erdöls beschlossen, so wie es in einem Vorschlag durch die Moṣaddeq-Kommission am Tag nach dem Mord formuliert wurde.97 Am 30. April wurde unter dem neuen Premierminister Hosseyn ʿAlāʾ (1881-1964) die National Iranian Oil Company (NIOC, pers. Šerkat-e Mellī-ye Naft-e Irān) gegründet, welche die Förderanlagen von der AIOC übernehmen sollte. Begleitet wurde diese Entwicklung seit Anfang April durch eine enorme Machtdemonstration der im Untergrund aktiven Ḥezb-e Tūdeh, die einen Generalstreik organisierte und neben der Verstaatlichung des Öls auch höhere Löhne und verbesserte Lebensbedingungen für die Ölarbeiter gefordert wurden. Auf dem Höhepunkt des Streiks legten 50.000 Angestellte der AIOC die Arbeit nieder und lieferten sich blutige Auseinandersetzungen mit der iranischen Armee, während die britische Community mehrheitlich aus der Ölstadt Abadan fliehen musste.98 Hier manifestierte sich zum ersten Mal ein Phänomen, das später eine hohe desintegrative Kraft auf das Bündnis der Ǧebhe-ye Mellī entfalten sollte: Die Tūdeh machte sich nach vorausgegangenen innerparteilichen Auseinandersetzungen das Thema der Verstaatlichung des Erdöls zu eigen99 und unterstütze zaghaft, aber öffentlich den politischen Kurs der Nationalen Front.100 Dabei bewies sie zugleich,

97 Vgl. Abrahamian, The Coup, 63: „[Moṣaddeq] introduced into Parliament a one-article bill nationalizing the oil industry. It simply declared: ‘For the happiness and prosperity of the Iranian nation and for the purpose of securing world peace, it is hereby resolved that the oil industry throughout all parts of the country, without exception, be nationalized; that is to say, all operations of exploration, extraction, and exploitation shall be carried out by the government.’” 98 Ebd., 69. 99 Vgl. Zabih, The Communist Movement in Iran, 191.; Zabih streicht heraus, dass man innerhalb der Tūdeh zunächst davon ausging, dass sich die Forderung nach der Verstaatlichung des Öls mit amerikanischen Interessen decken würde: „The party was also convinced that the nationalization project was essentially an American reaction against General Ali Razmara, whose premiership from June, 1950, to March, 1951, had tipped the balance in Great Britains favour. Consequently, it reasoned that the National Front, which championed the struggle for the implementation of this project, was merely serving the imperialist interest through exploitation of the appeal of nationalization slogans. Despite these convictions, the party was soon compelled to join this struggle in full force […]. Once a reversal in policy in favour of oil naturalization [sic] was made, the party organizations, front and otherwise, began to take an active part in the popular agitation that swept across the country.” 100 Vgl. auch Abrahamian, The Coup, 69: „A company official reported to London that the strikers were convinced that by prolonging the strike they were helping the campaign to nationalize the oil industry.” 32 dass sie weiter in der Lage war, ein Segment der iranischen Gesellschaft zu mobilisieren, auf das die Nationale Front angewiesen war, aber keinen Zugriff hatte.101

Aufgrund fehlender öffentlicher Unterstützung und heftigem parlamentarischen Widerstand erklärte Premierminister Hosseyn ʿAlāʾ nach einer Sitzung der Maǧles am 27. April 1951 den Rücktritt. Am folgenden Tag gab Moḥammad Reżā Šāh dem massiven öffentlichen Druck der Straße nach und ernannte Moḥammad Moṣaddeq zum Premier.102 Über Moṣaddeqs Weg zur Macht und den Politikstil der folgenden zwei Jahre urteilte Ervand Abrahamian schon 1968: „Mossadegh had come to power by the streets, he continued to remain in office similarly. Every time the opposition reared its head, whether in parliament or in the court, he would make a direct appeal to the public, and would rely on demonstrations to bring his opponents ‘under his influence’.”103 In seiner Evaluation der Ära Moṣaddeq interpretiert Ali Ansari den Willen des Premierministers, die Öffentlichkeit in den politischen Entscheidungsprozess einzubinden, differenzierter: „[H]is premiership can be characterised as the first round in a continuing struggle between an emergent,

101 In seiner Evaluation zur wissenschaftlichen Literatur zum Ölstreik von 1951 legt Abrahamian anschaulich dar, wie das Dilemma der Unterstützung den Machtübernahme der Nationalen Front durch die kommunistische Bewegung eben auch ein Dilemma der wissenschaftlichen Literatur geblieben ist: „Although the oil strike gave the nationalization campaign a major boost, Iranian historians, even those sympathetic to Mossadeq – or, one should say especially those sympathetic – have tended to gloss over it. Both Katouzian and Farhad Diba, in their separate biographies of Mossadeq, airbrush it entirely. Sepehr Zabih, who before becoming an in-house resident of the Hoover Institution had been and ardent supporter of the National Front, writes that Mossadeq ‘was swept into office on a wave of national acclaim’ without mentioning the strike. Fakhreddin Azimi, in his highly detailed description of the nationalist movement, allocates only one short paragraph to the strike, implying it was insignificant because it had ended before Mossadeq was actually elected premier. […] Ironically, the only person who recognized the importance of the strike was Mostafa Fateh, the highest-ranking Iranian inside the AIOC. […] In his Fifty Years of Oil – which remains the best account of the subject in Persian – he wrote that the strike pushed the country to the brink and thereby led to the nationalization of oil and the election of Mossadeq.” (Ebd., 72– 73). 102 Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup D'Etat in Iran.“ International Journal of Middle East Studies 19, Nr. 3 (1987): 261–286, 261–262. 103 Abrahamian, „The Crowd in Iranian Politics 1905-1953“, 190.; Abrahamian (ebd.) zitiert aus einer Quelle die hier nicht vorliegt den Ausruf eines zeitgenössischen royalistischen Parlamentssprechers: „Is this man a Prime Minister or a mob leader? What type of a statesman says, ‘I will speak to the people’ every time there is a political issue to be solved? I have always considered this man to be unreliable, but, in my wildest nightmares, I never imagined that an old man of seventy could be a demagogue, a rabble rouser who would not hesitate to surround the Parliament Building with thugs.” 33 increasingly politically conscious society, both traditional and modern, and the elites.”104 Ohne an dieser Stelle die Begriffe Tradition, modern oder Elite zu problematisieren, lässt sich konstatieren, dass dem Premierminister durch die Natur der Koalition der Ǧebhe-ye Mellī und deren zunehmende Unterstützung durch die Tūdeh zu Beginn seiner Regierungszeit ein breites Bündnis zur Verfügung stand, deren kleinster gemeinsamer Nenner die Opposition zum Shah und zum britischen Imperialismus darstellte. In Form der polarisierten Diskurse um die Ḥezb-e Tūdeh trug dieser Nenner jedoch bereits ein zentrales Vergiftungselement in sich.

Diesen Kerninteressen des breiten politischen Spektrums seiner Unterstützer folgend, wurde die Ära Moṣaddeqs inhaltlich von zwei übergeordneten Themen dominiert: Einerseits war dies die Verstaatlichung des iranischen Erdöls – das entsprechende Gesetz wurde noch am Tag von Moṣaddeqs Amtsübernahme von der Maǧles angenommen und nach seiner Bestätigung durch den Senat am 29. April 1951 rechtskräftig105. Zweitens war der Premierminister von Anfang an bemüht, die Macht des Shahs weiter einzudämmen, um das Land dauerhaft als eine moderne, konstitutionelle Monarchie zu etablieren.106 Im Ergebnis führte diese Politik schließlich zum Coup d’étàt zugunsten des Shahs vom August 1953, in welchem sich – stark vereinfacht formuliert – die wirtschaftlichen Interessen Großbritanniens, die machtpolitischen Interessen des Shahs und die globalpolitischen Interessen der USA bündelten. Dessen Durchführung wurde aber maßgeblich erst durch die Unterstützung vormaliger Koalitionäre innerhalb der Nationalen Front möglich, sodass im selben Zusammenhang auch von Islam-bezogenen Interessen spezifischer religiöser Akteure gesprochen werden muss.

Zunächst jedoch ging dem eine Desintegration der Ǧebhe-ye Mellī zwischen Ende 1951 und Anfang 1953 voraus, welche die Heterogenität der Koalition im historischen Rückblick veranschaulicht: Die neue Regierung sah sich von Beginn an massiven ökonomischen Problemen ausgesetzt, bedingt durch die britischen Reaktionen auf die Verstaatlichung des Erdöls. Großbritannien mobilisierte internationale Unterstützung gegen die Verstaatlichung der Erdölindustrie und setzte eine Blockade gegen iranisches Öl durch, wodurch der Unterhalt der

104 Ansari, Modern Iran, 136. 105 Ebd., 135. 106 Axworthy, Revolutionary Iran, 48. 34

Industrieanlagen für die neu gegründete NIOC nicht nur unrentabel, sondern gar zur Bürde wurde. Löhne konnten nicht gezahlt werden, Arbeitslosigkeit griff um sich, die Inflationsrate stieg und die Wirtschaft geriet in Turbulenzen. Gleichwohl: Trotz der Organisation einiger kleinerer Streiks durch die selbsterklärte Interessenvertretung der Ölarbeiter, der Tūdeh,107 blieb die kommunistische Partei im Grundsatz bei ihrer unterstützenden Haltung für die Verstaatlichungspolitik der Moṣaddeq-Regierung und weitete diese Unterstützung gar erheblich aus.108 Dies wurde deutlich, als Moṣaddeq die durch die Wahl zur 17. Maǧles notwendig gewordene Umbildung des Kabinetts nutzte, um einen massiven Angriff auf die Machtbasis des Shahs auszuüben: Entgegen den Gepflogenheiten (und der Verfassung), die den Zugriff des Shahs auf das Militär als selbstverständlich voraussetzten, beanspruchte Moḥammad Moṣaddeq das Recht, den Kriegsminister und Oberkommandierenden der Streitkräfte selbst zu ernennen. Hier wurde zum ersten Mal die Kontrolle des Shahs über das für ihn in machtpolitischer Hinsicht überlebenswichtige Militär ernsthaft in Frage gestellt.109 Als Moḥammad Reżā Šāh daher die Ernennung nicht akzeptierte und die erforderliche Bestätigung verweigerte, trat der Premierminister zurück und wandte sich einmal mehr direkt an die Öffentlichkeit. 110 In seiner am 17. Juli in der Tageszeitung Eṭṭelāʽāt abgedruckten Erklärung zum Rücktritt stellte er sein Amt zur Verfügung. Er wolle Platz für jemanden machen, der das Vertrauen des Shahs habe. Er selbst sei zu dem Schluss gekommen, dass er einen vertrauenswürdigen Kriegsminister brauche, um seine „nationale Mission“ fortzusetzen. Er schließt: „Unter den gegebenen Bedingungen kann der Kampf, den das iranische Volk begonnen hat, nicht siegreich beendet werden.“111

107 Vgl. Fariborz Mokhtari, „Iran's 1953 Coup Revisited: Internal Dynamics versus External Intrigue.“ Middle East Journal 62, Nr. 3 (2008): 457–488, 470. 108 Axworthy, Revolutionary Iran, 48. 109 Abrahamian, A History of Modern Iran, 117. 110 Abrahamian, Iran Between two Revolutions, 270. 111 Eṭṭelāʽāt, 26. Tīr 1331 [= 17. Juli 1952]. Beachte: Diese Episode wird differenziert bewertet. Die Mehrheit der Historiker sieht hier einen genialen Schachzug Moṣaddeqs, der bewusst sein Charisma einsetzte und auszuspielen vermochte. Mansoureh Ebrahimi liest diese Ereignisse jedoch zunächst als eine erfolgreiche britische Intrige gegen die Nationale Front: „Dr. Mosaddeq eventually discovered that the seventeenth Majlis was an agency for de facto British colonialism and that the Durbar and its majority were completely anti-Mosaddeq. […] Britain finally succeeded in obtaining Dr. Mosaddeq’s resignation in July 1952.” (Mansoureh Ebrahimi, The British Role in Iranian Domestic Politics (1951-1953). SpringerBriefs in 35

In den folgenden Tagen waren alle größeren iranischen Städte in Aufruhr.112 Überall wurde zu Streiks aufgerufen, und es kam zu blutigen und tödlichen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten, die sich gegen die Ernennung des alten Aristokraten und mehrfachen ehemaligen Premierminister Aḥmad Qavām (1875-1955) zum Nachfolger Moṣaddeqs richteten.113 In Teheran wurde bereits am 16. Juli der Bazar geschlossen und diese Maßnahme am folgenden Tag durch einen umfassenden Streik zahlreicher Berufsgruppen begleitet. Die Ǧebhe-ye Mellī rief zu einem Generalstreik am 21. Juli 1952 (30. Tīr 1331) auf. Mit wenigen Stunden Verzögerung verkündete die Tūdeh ihrerseits den anstehenden Generalstreik für denselben Tag und rief zudem zur Teilnahme an einer Massendemonstration in Teheran auf.114 Der Streik des 30. Tīr entwickelte sich in der Hauptstadt zu einer offenen Revolte. Die Demonstranten skandierten Slogans wie „Yā marg, yā Moṣaddeq“ („Entweder Tot, oder Moṣaddeq“) und auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zeigte das Militärnetzwerk der Tūdeh seine Stärke,115 als ein Panzerbataillon unter Führung des Parteimitglieds Colonel Ḥabīb Parmān sich auf die Seite der Protestierenden schlug.116 Der Shah gab schließlich nach und setzte Moḥammad Moṣaddeq zu dessen Bedingungen wieder als

environment, security, development and peace Volume 5 (Springer, 2016), 44–45). 112 Mokhtari, „Iran's 1953 Coup Revisited: Internal Dynamics versus External Intrigue“, 473. 113 Vgl. Abrahamian, Iran Between two Revolutions, 270. 114 Abrahamian, The Coup, 139; Abrahamian, Iran Between two Revolutions, 270; Beachte: Die Frage der Partizipation der Tūdeh an der Organisation ist auch in der wissenschaftlichen Diskussion eine politische Frage. Sussan Siavoshi meidet die Debatte, indem sie zu Recht auf das Ergebnis verweist. Nach den Ereignissen vom Juli 1952 stand die kommunistische Partei offen an der Seite des Premiers und seiner Nationalen Front. Das ist wesentlich und dieser Ansicht wird hier uneingeschränkt gefolgt. Siehe Sussan Siavoshi, „The Oil Nationalization Movement, 1949-53.“ in A Century of Revolution (s. Anm. 58), 124: „After a long period of attacks on Musaddiq, the Tudeh Party changed its attitude from overt hostility to a half- hearted and conditional support for Musaddiq following the July 1952 uprising. The role of the Tudeh Party during the uprising is still a matter of controversy. Ervad Abrahamian argues that through demonstrations and strikes the pro-Tudeh forces played a significant role in bringing victory to the National Front. On the other hand, Homa Katouzian is of the opinion that the Tudeh press attacked Musaddiq throughout the uprising, and that the party did not participate in the July events. However, no matter which interpretation is closer to the truth, the fact remains that after the July uprising there were signs of reduced tension between Musaddiq and the Tudeh Party.” 115 Siehe zum Militärnetzwerk Behrooz, „Tudeh Factionalism and the 1953 Coup in Iran“, 367: „The Military Organization has generally been considered the party's strongest card in the years preceding the coup. Estimates of the number of officers involved in the Military Organization vary from 700 to 466.” 116 Ebrahimi, The British Role in Iranian Domestic Politics (1951-1953), 46. 36

Premierminister ein, ein Umstand, der zu der Wahrnehmung führte, dass das Volk den Hof, seine aristokratische Elite und die Armee besiegt habe.117

Moṣaddeq nutzte das Moment und beanspruchte selbst die Prärogativen des Kriegsministeriums. Er ernannte einen ihm treuen Oberbefehlshaber, um die Machtbasis des Shahs auszuhöhlen,118 löste den Senat auf, der als royalistisches Kontrollorgan zum gewählten Parlament diente, und regierte mit weitreichenden Befugnissen durch Notstandsverordnungen.119 Die angesprochene Desintegration des Bündnisses der Nationalen Front lässt sich neben einer Vielzahl anderer Faktoren (hier sei etwa auf den Bruch zwischen Ayatollāh Kāšānī und den Fedāʾiyān- e Eslām nach der Machtübernahme von 1951 hingewiesen120) im Kern auf die

117 Abrahamian, „The Crowd in Iranian Politics 1905-1953“, 191. 118 Vgl. Sepehr Zabih, The Iranian Military in Revolution and War (London, New York: Routledge, 1988), 3–4.: „Dr Mossadegh’s return to power enabled him to begin purging the armed forces with the intention of diverting that pillar of support from the monarch to the central government. This was not an easy task, however, because the armed forces were subjected to intensive indoctrination based on assuring their loyalty to God, King, and country, in order. They were constantly remnded that their loyalty to the King was the bond that tied the armed citizens of the state to the state itself.” 119 Abrahamian fast zusammen: „Mossadeq followed up with a series of hammer blows. He designated 30th Tir a ‘national uprising’ with ‘national martyrs.’ He took over the portfolio of the war minister, changed the name of the ministry to that of defense, vowed to buy only defensive weapons, appointed the chief of staff, purged officers, transferred 15,000 men from the army to the gendarmerie, cut the military budget by 15 percent, and appointed a parliamentary committee to investigate past arms procurements. He also transferred the royal estates back to the state; cut the palace budget; appointed a fellow anti-royalist notable to be court minister; placed royal charities under government supervision; forbade the shah to communicate with foreign ambassadors; forced Princess Ashraf, the shah’s politically active twin sister, into exile; and refused to close down newspapers that were denouncing the palace as “a den of corruption, treason, and espionage.” When faced with resistance in the two houses of parliament, Mossadeq dissolved the Senate and asked his supporters to resign from the Majles, thereby ending the required quorum.” (Abrahamian, A History of Modern Iran, 117–118). 120 „Not long after Razmara's assassination, the relationship between the Fada'iyan and Kashani became estranged, soon to be broken off completely. The coming to power of the National Front government and the installation of Muhammad Mosaddeq as premier minister in April 1951, drastically changed Kashani's situation. The Fada'iyan's 'demands for a share in executive power' was rebuffed by Kashani, who was certain Mosaddeq would deny such a request. Navvab had apparently expected to be named the Minister of Religious Affairs. Richard Cottam explains the break between the Fada'iyan and Kashani on ideological grounds. He points out that the Fada'iyan's absolutism and their complete subordination of politics to religion 'made the political kashani a natural target'.” (Farhad Kazemi, „The Fada'iyan-e Islam: Fanaticism, Politics and Terror.“ in From Nationalism to Revolutionary Islam [s. Anm. 76], 165). Siehe zum ambigen Verhältnis der Fedāʾiyān-e Eslām zur Ǧebhe-ye Mellī außerdem Taghavi, Seyed Mohammad Ali, „'Fadaeeyan-i Islam': The Prototype of Islamic Hard-Liners in Iran“, 155: „Fadaeeyan also criticized Ayatollah Kashani for his early support of Mossaddeq and his moderate political stance. Nevertheless, Kashani asked the government 37

Ereignisse um den 30. Tīr und seine Folgen zurückführen: Erstens machte die offensichtliche Unterstützung, die Moṣaddeq von der Tūdeh erhielt den Premierminister für zahlreiche Mitglieder der Ǧebhe-ye Mellī, die ihre politischen Forderungen vornehmlich in anti-kommunistischen Begrifflichkeiten artikulierten, untragbar121 – ein Phänomen, das auch auf der national-populären Ebene sichtbar wurde. Zweitens waren die deutlich vergrößerten Machtbefugnisse Moṣaddeqs ab Mitte 1952 kaum mehr mit den eigenen machtpolitischen Interessen prominenter und ambitionierter Politiker wie Kāšānī und Baqāʾī in Einklang zu bringen, die tatsächlich später beide die Koalition verließen,122 sodass die Nationale Front den Zugriff auf entscheidende Segmente der Gesellschaft verlor und zugleich noch stärker als zuvor auf die Unterstützung der kommunistischen Partei angewiesen war. Diese Unterstützung weckte zugleich jedoch nicht nur das Unbehagen einer konservativ-religiösen Öffentlichkeit in Iran, sondern auch jenes der USA – ein Unbehagen mit nachhaltigen Folgen, wie sich zeigen sollte.

'not to treat Fadaeeyn inhumanely, since the group helped the nationalist government to come to power and supported the movement for the nationalization of the petroleum industry. Such behaviour might reinforce their fanaticism. They must be supported.’ Thus, in Mossaddeq's first term of office, Fadaeeyan came into confrontation with Mossaddeq and Kashani. In Mossaddeq's second government, relations between Fadaeeyan and the government improved. Navvab was released and his newspaper, Manshoor-i Baradari, was published. There were some meetings between Abdol-Hossein Vahedi, a Fadaeeyan leader, and , Mossaddeq's foreign minister. Nevertheless, the main difference between them, that is, their contrasting views on the implementation of Islamic instructions, remained.' At the same time, since relations between the shah and Kashani improved, Fadaeeyan distanced themselves from the latter. Some of the supporters of Ayatollah Kashani were expelled from, or left, the group.' After his release, Navvab announced that since the dispute between Mossaddeq and the shah was not over Islamic rules, with which he was concerned, he would keep silent.'“ 121 Dieser Prozess ist jedoch eher mittelfristig zu beobachten. Abrahamian berichtet gar: „Immediately after the uprising, Kashani thanked Tudeh for helping bring ‘victory against British imperialism.” (Abrahamian, The Coup, 139). 122 Vgl. Siavoshi, Liberal Nationalism in Iran, 65–67.; Siehe auch die frühe Analyse durch Sepehr Zabih (Zabih, The Communist Movement in Iran, 197), welche die entstandene Konfusion veranschaulicht: „Early in 1953 there appeared concrete evidence of the uneasiness of the Shah-Mossadegh compromise, with the result that a new and drastic realignment of political forces took place. First of all, several important splits occurred in the Front’s rank and file. Mullah Kashani and his followers – who because of their earlier acceptance of Tudeh cooperation were regarded as its left wing but who, from the standpoint of social background and political goals were in truth right wing – deserted the Front and went over to the conservative opposition. A similar split took place in the leadership and rank and file of the Toilers party, with one group, led by Dr. Baghai, joining the opposition and the other, led by Maleki, remaining in the prime minister’s camp.” 38

2.1.3 Die Macht der Straße und die militärischen Antworten des Staates: Der Coup d’étàt von 1953

Die britische Administration arbeitete bereits seit April 1951 an einem Sturz Moḥammad Moṣaddeqs,123 scheiterte in ihren Versuchen jedoch wiederholt. Nach der Aufdeckung eines geplanten Putsches unter Führung General Fażlollāh Zāhedīs (1897-1963)124 brach die iranische Regierung alle diplomatischen Beziehungen mit Großbritannien ab und verwies britische Staatsbürger des Landes, woraufhin die Botschaft am 22. Oktober 1952 geschlossen wurde.125 Aufgrund der verschlechterten strategischen Bedingungen wandte sich die britische Seite an die USA.126 Diese ersten Diskussionen führten schließlich – soweit ist das unstrittig – zu einem von der amerikanischen CIA und dem britischen SIS geplanten Putschversuch, der in der Nacht vom 16. auf den 17. August 1953 jedoch zunächst scheiterte. Die anglo-amerikanische Taktik bei der Vorbereitung des Coups vertraute in erster Linie darauf, durch den Verweis auf eine kommunistische Bedrohung royalistische und religiöse Empfindungen in der Bevölkerung und dem politischen Establishment zu provozieren – eine Taktik, die auch von globalpolitischer Bedeutung war, da sie im intensiven Klima des Kalten Krieges dazu

123 Vgl. Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran, hrsg. von Mark J. Gasiorowski und Malcom Byrne. 1. Aufl., 227–260, Modern intellectual and political history of the Middle East (Syracuse, NY: Syracuse University Press, 2004), 227.; siehe außerdem zu den prominenten Akteuren des britischen Geheimdienstes Ebrahimi, The British Role in Iranian Domestic Politics (1951-1953), 25.: „Britain sent top agents, Robin Zaehner and Christopher Montague Woodhouse (senior SIS), as head of British Intelligence (MI6) in Tehran in 1951, to prepare the field for major assessments. Ann K. S. (Nancy) Lambton was their top Persian policy advisor on Iranian affairs and personally served to prevent any closeness or entente between Dr. Mosaddeq and the British government. She was, therefore, a major obstacle who believed the British must isolate him and refuse further negotiations with him. Ms Lambton was also the first to propose his overthrow.” 124 Vgl. Ali Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran: Thugs, Turncoats, Soldiers, and Spooks (Cambridge: Cambridge University Press, 2015), 24–26. 125 Ebd., 26. 126 Vgl. Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran (s. Anm. 123), 227: „Having failed repeatedly to overthrow Mosaddeq, and no longer having an embassy to work from in Iran, the British hoped the Americans would take up the task.” Rahnema (Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 26.) konstatiert diesbezüglich: „With the British expelled from Iran in late October, their everyday contacts with the Anglophile Iranian opposition to Mosaddeq naturally dried up and their dependence on their American colleagues for information, recommendation, guidance and analysis increased.” 39 geeignet war, eine anstehende Kontrolle über Iran zu legitimieren und von der Frage des rein wirtschaftlichen Interesses abzukoppeln.127

Seit dem Winter 1952 hatten sich zudem (zu großen Teilen als Folge der britischen Blockadepolitik) die Bedingungen im Land entschieden verschlechtert. Am 28. Februar 1953 zeigten sich dabei erstmalig die durch die Fragmentierung der Nationalen Front bedingten neuen Machtverhältnisse auf der Straße, als sich ein Mob, der zu großen Teilen aus ehemaligen Unterstützern des Premierministers bestand, vor der Residenz Moṣaddeqs versammelte und, zum Teil von Shah-treuen Militärs unterstützt, gegen eine mögliche Abreise Moḥammad Reżā Šāhs protestierte.128 Moṣaddeq hatte zuvor nach einer offensichtlich von Shah-treuen Militärs unterstützten Stammesrebellion im Süden des Landes erneut mit dem Rücktritt gedroht, wenn der Hof nicht seine feindliche Haltung gegenüber der Regierung aufgeben würde. In Erinnerung an die Ereignisse im Juli 1952, als der Rücktritt Moṣaddeqs beinahe zum totalen Sturz der Monarchie geführt hatte, versicherte der Shah dem Premier seine Unterstützung und bot darüber hinaus an, das Land zu verlassen, solange es für Moṣaddeq von Nutzen wäre.129 Dieses Mal jedoch wurde der kritische Moment sowohl durch geheimdienstlich platzierte Propaganda als auch auf der Ebene iranischer Machtpolitik genutzt, um den Shah als hilfloses Opfer eines von Kommunisten unterstützten und von diktatorischen Ambitionen geleiteten Premierministers darzustellen.130 Es kam zu massiven Protesten, die sich nun erstmals explizit in Opposition zu Moṣaddeq und seiner Politik artikulierten und so veranschaulichten, dass der Premier nicht mehr auf die bedingungslose Unterstützung der öffentlichen Meinung setzten konnte. Erst als

127 Fakhreddin Azimi, „The Overthrow of the Government of Mosaddeq Reconsidered.“ Iranian Studies 45, Nr. 5 (2012): 693–712, 697. 128 Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran (s. Anm. 123), 227. 129 Vgl. Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 34. 130 Vgl. ebd., 36.: „The Shah's insistence on leaving the country provided Mosaddeq's opposition with a golden opportunity to reverse the situation to its own advantage, by presenting itself as the defender of the young Shah against Mosaddeq the old bully and usurper. The opposition's simple plan, based on disinformation and dissimulation, was three-fold. First, they would present Mosaddeq as the power-monger responsible for trying to outset the Shah. Second, they would play on the emotions of the Iranian army and the traditional supporters of the monarchy by appealing to them to demonstrate their patriotism and love of Islam and monarchy. Third, they would ensure that a substantial crowd would appear in front of the Royal Palace, which was practically adjacent to Mosaddeq's home.” 40 deklariert wurde, dass der Shah das Land nicht verlassen werde, beruhigte sich die Lage. Zugleich jedoch verfestigten sich durch diesen „proto-coup“131 die Strategien in Bezug auf die Planung eines tatsächlichen Putsches. Fakhreddin Azimi konstatiert: „If the Shah’s threatened departure from the country had triggered the drama of 28 February, his actual flight could be, and was, exploited to restage the drama on a larger scale some six months later.”132

Im Mai 1953 arbeiteten CIA und SIS einen entsprechenden Plan zu einem Coup aus, der zunächst eine Kampagne zur Destabilisierung des Landes vorsah, dann die Unterstützung des Shahs erreichen wollte und schließlich über ein königliches Dekret die Festnahme Moṣaddeqs und seine Ablösung durch General Zāhedī vorsah.133 Bevor aus dem Militär heraus die entscheidenden letzten Schritte des Umsturzes vollzogen werden konnten, galt es daher, in zahlreichen klandestinen Operationen eine anti-Moṣaddeq-Stimmung im Land zu fördern, deren Saat bereits über die Diskurse zur Tūdeh und der ambivalenten Tatsache der öffentlichen Unterstützung des Premiers durch die kommunistische Partei gesät war. Hierzu vertrauten die Organisatoren des Coups auf ein hervorragendes britisches Agenten- Netzwerk in Iran, das Kontakte in weite Teile der Gesellschaft hinein pflegte.

Dieses Netzwerk verfolgte letztlich bereits seit 1951 eine entsprechende Destabilisierungskampagne und hatte im Grunde auch den Ablauf des Coups bereits 1952 erarbeitet.134 Die Umsetzung der Maßnahmen zur Destabilisierung trug

131 Azimi, „The Overthrow of the Government of Mosaddeq Reconsidered“, 697; Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran (s. Anm. 123), 227. 132 Azimi, „The Overthrow of the Government of Mosaddeq Reconsidered“, 697.; Beachte: Tatsächlich wurde die Möglichkeit einer durch Moṣaddeqs evozierten Abreise des Shahs durch den CIA in den später entworfenen Plänen zu einem Coup mitgedacht. Vgl. Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, Appendix B, 13. 133 Vgl. zum Plan: ebd. 134 Vgl. hierzu Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran (s. Anm. 123), 235. Gasiorowski beschreibt, wie sich die Planungen der CIA die Vorarbeiten des SIS zueigen machten: „The coup planners then discussed how the operation would be carried out. Darbyshire described to Wilber the main SIS political action network in Iran, which was run by the three Rashidian brothers. The Rashidiyan had been working for the British since World War II and had built up a network of contacts and operational agents that encompassed much of Iran's political elit, including members of Parliament and other politicians, members of the royal court, military officers, businessmen, newspaper editors, clergymen, mob leaders, and apparently even a 'British' wing of the Tudeh Party. After Iran nationalized its oil industry in April 1951, the main task of this network was to destabilize Mosaddeq's government. The Rashidians did this by planting 41 erheblich dazu bei, dass das Land von der einen politischen Krise in die nächste taumelte. Dies gipfelte schließlich in der faktischen Auflösung des Parlaments durch den strategischen Rückzug der verbliebenen 52 Mitglieder der stark geschwächten Nationalen Front, sodass das Parlament sich selbst beschlussunfähig machte.135 Dieser Schachzug Moṣaddeqs sollte zum einen der Entlassung der Regierung durch den Shah zuvorkommen und zum zweiten die Wahl eines neuen, der Nationalen Front geneigteren Parlaments evozieren. Gleichzeitig führte dies, drittens, zur faktisch alleinigen Kontrolle Moṣaddeqs über die Legislative, wobei er sich auf das (offensichtlich manipulierte) Ergebnis eines hastig durchgeführten Referendums stützen konnte.136 In diese angespannte Stimmung hinein fiel der Jahrestag der Ereignisse um den 30. Tīr, jenem Datum, an welchem die Straße den Premier im Jahr zuvor zurück ins Amt verholfen hatte. Die Feierlichkeiten hatten nun aber eine verstörende Wirkung auf die nationale wie globale Öffentlichkeit, wie Fariborz Mokhtari anschaulich darstellt:

„[O]n July 21, 1953 the Tudeh Party and Mosaddeq's supporters displayed a show of force to commemorate ‘the Thirtieth of Tir Massacre’ the anniversary of the toppling of Prime Minister Ahmad Qavam on July 21, 1952. The anniversary demonstrations of July 21, 1953 shocked the nation, including many of Mosaddeq's supporters. The spectacle of the Tudeh demonstrators in much greater numbers than the National Front loyalists had a sobering effect. The Tudeh, having outnumbered the National Front coalition, reflected the strength of the communists in Mosaddeq's coalition, a reality that the populace clearly grasped.”137

anti-Mosaddeq street mobs, trying to persuade influential people to oppose Mosaddeq, and carrying out other such activities. The British gave them a monthly stipend of the thousand pounds (approximately $28,000), which was a large amount of money in Iran at the time. The Rashidians began plotting with Zahedi against Mosaddeq in July 1952 and were among those arrested when Zahedi's British-backed plot was broken in October. The British then developed a preliminary plan for a coup under which the Rashidians would use their network to seize control of Tehran and arrest Mosaddeq and his ministers.” 135 Vgl. Mokhtari, „Iran's 1953 Coup Revisited: Internal Dynamics versus External Intrigue“, 479. 136 Vgl. hierzu Abrahamian, Iran Between two Revolutions, 274: „Mossadeq, the constitutional lawyer who had meticulously quoted the fundamental laws against the shah, was now bypassing the same laws and resorting to the theory of the general will. The liberal aristocrat who had in the past appealed predominantly to the middle class was mobilizing the lower classes. The moderate reformer who had proposed to disenfranchize illiterates was seeking the acclaim of the national masses. To ensure victory at the polls, positive and negative ballot boxes were placed in different places. As expected, Mossadeq received an overwhelming vote of confidence, winning over 2,043,300 of the 2,044,600 ballots cast throughout the country and 101,396 of the 101,463 ballots cast in the capital.” 137 Mokhtari, „Iran's 1953 Coup Revisited: Internal Dynamics versus External Intrigue“, 479; Vgl. auch Abrahamian, „The Crowd in Iranian Politics 1905-1953“, 191: „The two [Ǧebhe-ye Mellī 42

In der Folge blieben Moṣaddeq nur noch wenige loyale Verbündete innerhalb seiner eigenen Koalition138 – und wenn es noch eines Beweises für den seit dem 19. Juli 1953 in Iran befindlichen verantwortlichen CIA-Offizier Kermit Roosevelt139 bedurft hatte, dann hat er sich von dem Einfluss der kommunistischen Partei – und mittelbar der sowjetischen Interessen140 – davon direkt vor Ort überzeugen können. Einer der dominanten Interpretationsstränge zum Coup d’étàt verweist aufgrund dieser Ereignisse sehr nachdrücklich auf die Interessen der USA angesichts des Kalten Krieges und ihrer containment policy, welche die Ausbreitung des Kommunismus zu verhindern suchte.141 Die Episode um den Coup d’étàt vom August 1953 und ihre Interpretationen sind jedoch bis heute Teil hitziger wissenschaftlicher und

and Ḥezb-e Tūdeh] held their own separate rallies in Parliament Square: the Tudeh Party meeting attracted as much as a hundred thousand, and outnumbered the National Front by five or even ten to one.” 138 Beachte jedoch: Die paradoxe Situation brachte es mit sich, dass Moṣaddeq sich zugleich auf dem Höhepunkt seiner Macht befunden hat. Vgl. hierzu Abrahamian, Iran Between two Revolutions, 274: „By mid-August 1953, therefore, Mossadeq appeared to be in full control. He had packed his supporters into the cabinet and the bureaucracy. He had stripped the court of military, financial, and political influence, reduced the monarch to a ceremonial figure head, and thereby won the constitutional struggle against the shah that Qavam had lost. Moreover, he had routed the aristocratic opposition, dissolving Parliament, decreeing land reform, and appealing directly to the electorate. Furthermore, he had nationalized the Anglo-Iranian Oil Company, taken over the Soviet-administered Caspian fisheries, and thus implemented his policy of ‘negative equilibrium.’ Iran, like many other Asian countries, appeared to be taking the road of republicanism, neutralism, and middle-class radicalism. Not since 1925 had so much power been concentrated in the office of the prime minister and so little in the hands of the shah.” 139 Kermit Roosevelt, Countercoup: The Struggle for the Control of Iran (New York: McGraw-Hill, 1979), 139. 140 Vgl. ebd., 144: „Since our operation there has, naturally, been a lot of speculation about CIA and Soviet agents in Iran. One British writer cheerfully translated speculation into hard fact. He found Teheran so full of U.S./U.S.S.R. agents ‘that a local wit once suggested that they ought to share appartments so as to save themselves time and money in keeping one another under surveillance.’” 141 Axworthy (Axworthy, Revolutionary Iran, 49) fasst diesbezüglich knapp zusammen: „By the summer of 1953 the US and the British were ready to act in Iran to remove Mossadeq. It might seem strange that the US fell in with the British government in this resolve, but this was a strange time in US politics. It was the era of Senator Joe McCarthy and the House Committee on Un-American Activities, of the Dulles brothers heading the State Department and the CIA. Mossadeq’s populism, his attacks on the Shah, whom the US regarded as their prime ally in the country, the anti-Westernism and anti-capitalism of some among Mossadeq’s supporters and above all his ambiguous but apparently close relationship with Tudeh made him suspect for the policy-makers of the Eisenhower administration. This was perhaps combined with a certain lack of confidence in Middle East affairs that led the US to listen too readily to British arguments. The communist threat was the prime danger, and other actors and forces were seen as useful or otherwise only in relation to the struggle against communism. In those terms, Mossadeq just wasn’t anti-communist enough.“ 43 populärwissenschaftlicher Kontroversen und sollen an diesem Punkt (noch) nicht debattiert werden.

Der ereignisgeschichtlich unstrittige Hergang stellt sich wie folgt dar: Am Abend des 15. August rückten die Truppen der Shah-treuen Gard-e Šāhanšāhī (in der westlichen Literatur als „Imperial Guards“ oder „Royal Guards“ bezeichnet) aus und stellten den stellvertretenden Oberbefehlshaber der Armee sowie den Außenminister unter Arrest. Zeitgleich begab sich der Kommandeur der Gard-e Šāhanšāhī, Neʽmatollāh Naṣīrī, nur von wenigen Soldaten begleitet zu Moḥammad Moṣaddeqs Residenz, um diesem ein vom Shah unterzeichnetes königliches Dekret (pers. fermān) zu überreichen, das die Entlassung des Premiers anordnete, und um ihn dann festzunehmen.142 Zumindest auch über das effektive Militärnetzwerk der Ḥezb-e Tūdeh war der Premier zuvor jedoch telefonisch von den entsprechenden Plänen informiert worden, sodass loyale Einheiten ihrerseits das Auftauchen Naṣīrīs erwarteten, um diesen (widerstandslos) festzunehmen.143 Damit ging der geplante Coup in der Nacht vom 15. auf den 16. August nicht über das Versuchsstadium hinaus.

Das Blatt wendete sich jedoch durch die Ereignisse der folgenden Tage: Nach dem Bekanntwerden des gescheiterten Umsturzversuchs verließ der Shah überstürzt das Land. Von seiner Residenz in Ramsar im Norden des Landes aus flüchtete er mit seiner Frau Sorayā Esfandiyārī Baḫtiyārī (1932-2001) zunächst nach Bagdad. Kermit Rossevelt erhielt am 17. August eine Nachricht aus dem CIA-Hauptquartier, in der ihm empfohlen wurde, das Land ebenfalls zu verlassen. Er widersetzte sich jedoch der Empfehlung und glaubte nach einer Unterredung mit General Zāhedī den

142 Rahnema weist darauf hin, dass man sich bei der Durchführung des Coups zumindest in Teilen für einen „quasi-legalen“ Weg entschieden habe. So ist die geringe Anzahl der Einheiten zu erklären, die den Kommandeur begleiteten. Vgl. Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 100. 143 Vgl. ebd., 103: „One of the reasons for the failure of the first coup was that at the last minute Mosaddeq acted on the information he had previously received from the Tudeh Party, nationalist circles and other concerned private sources, and ordered Momtaz to arrest Nasiri and disarm the Imperial Guards. There is no record of Mosaddeq being warned by his intelligence, security or counter-intelligence services, or by the office of his Military Governor. Their silence was ominous as it indicated their utter inefficiency, their voluntary insensitivity or their collaboration with the conspirators. The Tudeh Party's infiltration of pro-Shah military organizations was important as it allowed them to obtain information about plots against the government and pass it to their leadership; their leadership subsequently shared this information with Mosaddeq.” 44

Umsturz noch herbeiführen zu können.144 Zusätzlich setzte eine in hohem Maße anti-royalistische Propaganda ein. Insbesondere Hosseyn Fāṭemī, der in der Nacht des geplanten Coups von der Gard-e Šāhanšāhī festgenommene Außenminister unter Moṣaddeq, wurde durch teilweise extreme Radiostatements auffällig, in denen er in drastischen Worten den Shah als Verantwortlichen für die Ereignisse vom 15. August und vom 28. Februar 1953 denunzierte und unverblümt für die Abschaffung der Monarchie eintrat.145 Der Höhepunkt diesbezüglich bildete seine Rede auf dem Maydān-e Bāhārestān, wo er, neben anderen Rednern der Nationalen Front, die Abdankung des Shahs forderte.146 Zugleich glaubte insbesondere die Tūdeh, die Gunst der Stunde für sich beanspruchen zu können, und fiel ebenfalls mit radikalen Slogans auf. Statuen des Shahs wurden niedergeworfen,147 kommunistische Parolen machten die Runde, radikale politische Forderungen

144 Der CIA-Bericht über die Ereignisse hält fest: „The first need was to establish contact with , son of General Zahedi. At 0800 hours he sent word to the station of his whereabouts, and Roosevelt drove up to Shirman – the summer resort section north of Tehran – to hear that Ardeshir and his father felt that there was still hope in the situation. It was immediately decided that a strong effort must be made to convince the Iranian public that Zahedi was the legal head of the government and that Mossadeq was the usurper who had staged a coup.” Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 45. 145 Siehe den Bericht des CIA-eigenen Foreign Broadcast Information Service (FBIS). Vgl. hier etwa nur folgende Passage aus einer Rede Hosseyn Fāṭemīs: „[The Shah’s] family plundered the wealth of this Nation. For the past 30 years everything in Iran - honor, wealth, and wishes - were molested by this family. He travels at night like a thief to Kalardasht [for] conferences with the foreigners. Beyond any shadow of doubt last night's mocking coup was also instigated by such sources. If the Shah was an upright man, he would not have acted like a thief in the night and would not have used the soldiers and weapons which were provided him by the Iranian people against them. [...] O, Dr. Mossadeq, how long must we suffer, and how long must we wait and see these open and secret crimes of the Royal Court? Through last night's act the Royal Court showed its attitude clearly to the people. Now we must put an end to 12 years of misery and plundering of our brothers and sisters, 12 years of foreign intrigue, and it must be proved to the Royal Guard [sic!] that there exists a Nation in this country, and that such acts of the Royal Court can be tolerated up to the point and no more.” Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 17, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS): Iran, 1–12 (Central Intelligence Agency, 1953), 4. 146 Eṭṭelāʿāt, 26. Mordād 1332 [17. August 1953]. 147 Eṭṭelāʿāt, 26. Mordād 1332 [17. August 1953]; Die Tageszeitung berichtet mit Bildern auf der Titelseite über niedergerissene Statuen des Shahs. Vgl. auch Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 62–63. Dort heißt es: „[I]t seems clear that the Tudeh Party overestimated its strength in the situation. This fault may have been that of the Soviet liaison people, of the leaders of the Tudeh Party, or the rank and file. During the day the Party not only defiled statues of the monarchy, but also had erected their own flags at certain points. Party members had also torn down street signs in which the Pahlevi dynasty was mentioned or which commemorated events in the reign of Reza Shah, and had replaced them with ‘popular’ names.” 45 wurden skandiert, Geschäfte des Bazars zertrümmert. Dies geschah jedoch nicht (oder nicht ausschließlich) als Folge organisierter Aktionen der kommunistischen Bewegung: Einige dieser Aktionen gingen auf das Konto von agent provocateurs der britischen und amerikanischen Geheimdienstnetzwerke zurück,148 um gezielt anti- kommunistische Befindlichkeiten zu befeuern und säkulare oder religiöse, wie auch monarchistische oder nationalistisch-traditionsbezogene politische Gefühle zu verletzten.149 Im Ergebnis manifestierte sich einerseits der Eindruck, dass ein rasender anti-royalistischer Mob die Kontrolle über die Straßen übernommen habe,150 andererseits verfestigte sich in der öffentlichen Meinung der Glaube an die Richtigkeit der (von der CIA befeuerten) Gerüchte, dass es sich bei den Ereignissen

148 Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran (s. Anm. 123), 252: „The CIA team also took more active steps to organize activity against Mosaddeq. In the evening of August 16, one of the CIA officers gave Jalali and Kayvani [zwei iranische Agenten des SIS-Netzwerkes vor Ort, OG] fifty thousand dollars to finance their anti-Mosaddeq activities. Jalali and Kayvani then had agent provocateurs organize a raucous black crowd to march into central Tehran on the following morning, pretending to be a Tudeh mob. Genuine Tudeh members, who did not realize this was a CIA-financed provocation, also came out into the streets, as did other Iranians. These crowds created chaos in Tehran, tearing down statues of the shah and his father, Reza Shah, attacking Reza Shah's mausoleum, and throwing stones at mosques. The shah's picture was removed from most homes, restaurants, offices, and government ministries in Tehran. These activities continued on the following day, with black Tudeh mobs looting and vandalizing shops, smashing windows in mosques, clashing with Mosaddeq supporters, ransacking the headquarters of the pro-Mosaddeq Pan-Iranist party, and calling for the expulsion of American diplomats.” Siehe auch Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 63. 149 Vgl. Azimi, „The Overthrow of the Government of Mosaddeq Reconsidered“, 701: „The [Tūdeh-]party was the most high-profile and extensive political organization engaged in disruptive activities in a delicate political atmosphere in which the specter of chaos was being actively invoked. In the wake of the failure of the 16 August coup attempt, which precipitated the Shah's hasty flight the vocally radical slogans and tactics of the Tudeh Party helped to ensure that anxieties long provoked by the CIA and MI6 would appear to have been substantiated; agent provocateurs also played their part. The Tudeh Party's visibility and demands inevitably generated fear. Inattentive to the consequences and exploitability of its actions, the party played a crucial role in rendering credible the apprehensions of the affluent and the more traditionally minded segments of the urban populace.” 150 Vgl. Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 63; Dieser Eindruck wurde auch ins Ausland transportiert, wie etwa der Bericht des TIME magazine zum Coup belegt. In der Ausgabe vom 31. August 1953 heißt es: „His [Moṣaddeqs] street supporters celebrated with a carnival of destruction. Communist and Nationalist mobs swarmed deliriously over Teheran's principal squares, pulling down the great bronze statues of the Shah and his father. They opened and denied the Reza Shah's tomb, spat on the Shah's picture, applauded as Foreign Minister Hussein Fatemi cried: ‘To the gallows’ with the young Shah.” („IRAN: The People Take Over.“ TIME magazine, August 31 [1953], 14). 46 des 16. August um einen kommunistisch motivierten Coup Moṣaddeqs gehandelt habe.151

Diese Ereignisse setzten den Premierminister unter Zugzwang: Zum einen ließ sich der amerikanische Botschafter Loy W. Henderson (1892-1986) nach Kermit Roosevelts eigener Aussage von letzterem instrumentalisieren und drohte in einer Besprechung Moḥammad Moṣaddeq damit, alle amerikanischen Staatsbürger aus Iran abzuziehen, sollte die Regierung nicht für deren Sicherheit sorgen.152 Zum anderen musste Moṣaddeq dem Eindruck entgegenwirken, dass die Ḥezb-e Tūdeh die Oberhand sowohl über die Straße als auch über die öffentliche Meinung gewonnen hatte und dass die Regierung die Kontrolle über die Situation verloren habe.153 In diesem Sinne interpretiert Fakhreddin Azimi Moṣaddeqs Befehl an Polizei und Militär, für Ruhe und Ordnung zu sorgen154 – und somit gegen seine eigenen Unterstützer vorzugehen – nicht als fatalen Fehler, sondern als notwendigen Schritt im Sinne der Verteidigung der Staatsräson. Azimi konstatiert:

„Mosaddeq hoped to normalize the situation and counter the provoked fears of Communism by reining in the Tudeh Party and restraining its overtly radical gestures and any activity, whether by the party or attributed to it, which could be construed as unequivocal advocacy of the monarchy's prompt abolition. His desire to restore order in the streets of Tehran was thus not merely a response to Henderson's demands or scheming but reflected his own political calculations and considered interest in the restoration of order. His instructions to this end were to

151 Vgl. Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 48; Dort heißt es in Bezug auf den 17. August 1953: „At 1100 hours two correspondents of were taken to Shirman, by station arrangement, to see Zahedi. Instead, they saw his son Ardeshir, who showed them the original of the imperial firman naming Zahedi as Prime Minister and gave them photostatic copies. Thes photostats had been made by Iranian participants in the plan. [...] At noon Radio Tehran put out a very brief statement signed by Dr. Mohammed Mossadeq (without his title of Prime Minister being used) stating that: 'According to the will of the people, expressed by referendum, the 17th Majlis is dissolved. Elections for the 18th session will be held soon.' It was this statement, together with the following violently anti- Shah remarks of Fatemi and the undisguised and freely-preached republican propaganda of the Tudeh Party that was instrumental in persuading the general public that Mossadeq was on the verge of eliminating the monarchy.” 152 Azimi, „The Overthrow of the Government of Mosaddeq Reconsidered“, 698. 153 Siehe dazu Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 63: „The [Tudeh] Party seemed ready for an all-out effort to bring in a peoples’ democracy, believing either that Mossadeq would not challenge them or that they could outfight him in the streets. […] the Mossadeq government was at last beginning feel very uneasy about its alliance with the Tudeh Party.” 154 Vgl. Moyara de Moraes Ruehsen, „Operation 'Ajax' Revisited: Iran, 1953.“ Middle Eastern Studies 29, Nr. 3 (1993): 467–486 (letzter Zugriff: 2. Juli 2012), 479–480. 47

be expected from any government claiming to be capable of exerting its authority.”155 Im Ergebnis jedoch stand der Premierminister am Morgen des 19. August allein – ohne verbliebene Verbündete innerhalb der politischen Elite und ohne die Unterstützung der Straße. Am Tag zuvor hatten Polizei und Militär auf Befehl Moṣaddeqs die (tatsächlich oder vermeintlich) von den Kommunisten organisierten Demonstrationen brutal niedergeschlagen, wobei sich hier noch gar nicht die Frage nach der Loyalität der Truppen stellte, da der Gegner mit der Tūdeh klar definiert war. So kam es zu einer einmal mehr paradoxen Konstellation, in welcher die entsprechenden Ansammlungen auf Befehl Moṣaddeqs niedergeschlagen wurden, dabei aber pro-Shah Parolen die Runde machten.156

Nachdem Moṣaddeq bereits den Zugriff auf jene Segmente der Gesellschaft verloren hatte, die durch seine vormaligen Koalitionäre wie Baqāʾī oder Kāšānī repräsentiert wurden, entzogen diese neuen Ereignisse ihm auch die Unterstützung der Ḥezb-e Tūdeh157 – der weiter enorm starken und einzig verbliebenen konsistenten politischen Fraktion, die in der Lage war, Massen gegen Shah und Militär zu mobilisieren.

Als die Straßen schließlich frei von Tūdeh- oder Ǧebhe-ye Mellī-Anhängern und Sympathisanten waren, formierte sich eine alternative, konservative Öffentlichkeit,

155 Azimi, „The Overthrow of the Government of Mosaddeq Reconsidered“, 701. 156 Hier ist der keineswegs neutrale und sicher anti-kommunistisch intendierte Bericht aus dem US-amerikanischen TIME magazine bemerkenswert: „Shaken, the old man [Moṣaddeq nach seinem Gespräch mit Henderson, OG] went to the phone and ordered his army and police to drive the rioting Reds off the street. That call, turning the army loose on the most powerful street support he had, was Mossadegh's fatal mistake. The troops were only too happy to oblige; they clubbed the rioters unmercifully and punctuated their thudding gun butts with shouts of ‘Long live the Shah’ and ‘Death to traitors.’ Growing bolder, they forced the Reds at bayonet point to cheer the Shah, too. „IRAN: The People Take Over“, 14. Beachte: Die Darstellung von den Soldaten, die in der Auseinandersetzung mit Tūdeh-Anhängern „Long live the Shah“ skandierten, wird durch den Bericht der CIA bestätigt. Vgl. Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 52. 157 Vgl. zu den Auswirkungen der Niederschlagung der Demonstrationen Moraes Ruehsen, „Operation 'Ajax' Revisited: Iran, 1953“, 480: „This caused a deep rift to develop between Musaddiq and his Communist supporters. The Tudeh, who until then had joined forces with Musaddiq against the Shah, were humiliated and outraged. Feeling betrayed, they angrily retreated underground, issuing instructions to all cells 'to withdraw to your homes and do nothing more to help Mossadegh without further orders'. By removing the Tudeh from the scene, Henderson had become not merely part of the plot, but its savior, turning events around in favor of the conspirators. Having alienated the Tudeh, Musaddiq was now completely alone.” 48 die sich zu großen Teilen aus vormaligen Koalitionären Moṣaddeqs speiste und in den Prozessen um den 28. Februar erstmalig ihre Schlagkraft unter Beweis gestellt hatte. Am Morgen des 19. August 1953 (28. Mordād 1332) erschienen mehrere Tageszeitungen, die eine Kopie des fermān des Shahs abdruckten, welcher die Absetzung des Premiers verfügte.158 Bald darauf marschierten Gruppierungen, die sich aus den unteren Teheraner Bevölkerungsschichten rekrutierten,159 in Richtung des Stadtzentrums um den Maydān-e Bahārestān, den Platz des Sitzes des Parlaments. Azimi beschreibt die Stimmungslage wie folgt: „[The royalist segments] enjoyed the backing of truck-loads of club-wielding and rampaging thugs who had been mobilized by mob leaders. With the aim of demoralizing government supporters they swiftly and indiscriminately attacked passers-by in the center of Tehran while chanting ‘long live the Shah’.”160 Lautstark beeinflussten die entsprechenden Banden die Stimmung in der Stadt und boten so den „sound effect“161 für den nun folgenden eigentlichen Militärputsch.

An dieser Stelle sei nur auf den Umstand hingewiesen, dass insbesondere das plötzliche Auftauchen der marodierenden Banden am Morgen des 19. August den entscheidenden Gegenstand der bis heute anhaltenden Debatten um den Charakter des Coups vom 28. Mordād darstellt. Hier scheiden sich die Interpretationen an der Frage, ob es sich um einen spontanen (anti-kommunistischen, pro-royalistischen) Volksaufstand gehandelt haben könnte; ob die Menge von der CIA bestochen worden war und es sich somit um die Vollendung der SIS-CIA-Intrige zu Ungunsten Irans (unabhängig vom Ausgang) handelte; oder ob es sich um die Manifestation

158 Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 65. 159 Ebd.: „[O]n 19 August, as soon as the city was awake, early risers could see photostats of type-set copies of the firman in the papers Setareh Islam, Asia Javanan, Aram, Mard-i-Asia, Mellat-i-Ma and the Journal de Tehran. [...] Somewhat later in the morning the first of many thousand broadsheets which carried a photostatic copy of the firman and the text of the Zahedi statement appeared on the streets. Although each of these newspapers had a normal circulation of restricted size, the news they carried was undoubtedly flashed through the city word of mouth, for before 0900 hours pro-Shah groups were assembling in the bazaar area. Members of these groups had not only made their personal choice between Mossadeq and the Shah, but they were stirred up by the Tudeh activity of the preceding day and were ready to move. They needed only leadership.“ 160 Azimi, „The Overthrow of the Government of Mosaddeq Reconsidered“, 703. 161 Axworthy, Revolutionary Iran, 121. 49 einer ersten islamisch-politischen Bewegung handelte, die auf Geheiß entscheidender Ayatollāhs ihren politischen Willen zum Ausdruck brachte.

Mit dem pro-royalistischen Sound der Straße im Rücken und den Erfahrungshorizont erweitert um die tatsächlichen oder vermeintlichen kommunistischen anti-royalistischen Exzesse der vergangenen zwei Tage griffen erneut Teile der Armee zugunsten des Shahs in die Geschehnisse ein. Dies geschah jedoch bezüglich der Kräfteverhältnisse nun unter umgekehrten Vorzeichen: Einerseits, da das Militärnetzwerk der Tūdeh aufgrund der Erfahrungen vom 18. August Anweisung der eigenen Kader erhalten hatte, nicht mehr zugunsten der Regierung einzugreifen,162 und andererseits, weil ein Großteil der Moṣaddeq-treuen Einheiten ob der Tatsache der nun bei Tageslicht stattfindenden Ereignisse und der dadurch öffentlich transportierten Stimmungen scheinbar nicht Willens waren, eigenständiges Eingreifen zu riskieren: „Bewildered by the rapid pace of events, and disconcerted by a lack of direction and by the miasmic confusion generated by the Anglo-American orchestrated propaganda, pro-Mosaddeq forces failed to react, as did the Tudeh Party.“163

162 Siehe eine detaillierte Evaluation der Rolle der Tūdeh während des Coups bei Behrooz, „Tudeh Factionalism and the 1953 Coup in Iran“. Behrooz weist auch darauf hin, dass die Tūdeh selbst davon ausging, dass sie zu jederzeit in der Lage gewesen wäre, einem Coup militärisch zu begegnen: „The leaders of the Military Organization had suggested to the party leaders that they would be ready to take immediate military action against the coup. According to Kianuri's estimates, had the party chosen to take action during or immediately after the coup, the Military Organization had some 6,000 party and Youth Organization members at its disposal in Tehran alone. During 1952-53, the Military Organization, through its intelligence network in the armed forces, helped to uncover plots against the nationalist government. The organization was well aware of the coup plot and had given the party leaders a warning to this effect, which was subsequently passed on to Musaddiq. Fireidun Azarnur,a high-ranking officer in the Military Organization, has described the important military posts the Tudeh officers occupied during the coup. He gives an estimate of 491 Tudeh military personnel and suggests that they had the capability to aid the party in defeating the coup. According to Kianuri, an officer in charge of a battalion from , which had been brought to Tehran to take part in the coup, and an officer in charge of a company in Chalus were party members and were able to distribute weapons to the party.” (Ebd., 367–368). 163 Azimi, „The Overthrow of the Government of Mosaddeq Reconsidered“, 703; Beachte zudem: Die hier vorgestellte Interpretation der Gründe für die Tatenlosigkeit der pro-Mosaddeq Kräfte schließt an die Beschreibung der Ereignisse durch Fakhreddin Azimi an, der schreibt: „They [die zuvor beschriebenen Banden, OG] swayed the lumpen elements and clamorously sought to win over ordinary citizens and neutralize any pro-government soldiers and policemen. They secured the release of active anti-Mosaddeq and pro-Shah detainees and concentrated on deterring or countering any action by the disorganized and cornered pro- 50

Ab zehn Uhr morgens wurde der aufständische Mob von Shah-treuen Militäreinheiten zunächst geschützt und ermutigt, indem man die zentralen Plätze Teherans mit Panzern und Truppentransportern besetzte,164 nicht jedoch gegen die Menge vorging, sondern sich mit ihr sichtbar alliierte.165 Die so entstandene Dynamik führte zu einer Übermacht von pro-Shah-Kräften auf der Straße, die ihrerseits weitere zivile Individuen und Militär- wie Polizeieinheiten anzog. Gegen Mittag hatten die militärischen Kräfte die Kontrolle über die Massen und Ereignisse in der Hauptstadt erlangt und waren fortan in der Lage, die zunächst unkoordinierten Aktionen strategisch zu ordnen. In der Folge wurden symbolisch wie strategisch entscheidende Orte attackiert und eingenommen. Diese Aktionen bezogen sich auf Polizeiwachen, Armeekasernen, Ministerien, Plätze und – von maßgeblicher Bedeutung – die Radiostation.166 Der Foreign Broadcast Information Service der CIA berichtet über die Radiosendung vom 19. August 1953, in welchem jenes königliche Dekret (fermān) des Shahs nun öffentlich verlesen wurde, das drei

Mosaddeq forces. Mosaddeq’s home was attacked with tanks and machine guns. The Royal Guards, retired officers, other pro-Shah or pro-Zahedi officers, together with military elements recruited by the CIA and MI6, employed a variety of methods to gain fraternization and collaboration of their hesitant colleagues and commandeer tanks and armored vehicles. Opportunism, or a belief that the tide was turning and that the royalists had a better chance of success, also played its role.” (Ebd.). Der CIA-Bericht Wilbers weist zudem auf einen weiteren Aspekt hin, der für die offensichtliche Tatenlosigkeit weiter Teile der Armee von Bedeutung sein könnte: „Rumors circulated to the effect that the arrest officers were to be hanged on 30. August, and throughout the unit commands of the Tehran garrison, the police, and the gendarmerie, officers met to discuss the situation. Several of them resolved to risk all to attempt to rescue their friends.” (Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 73). 164 Ebd., 67. 165 Ebd., 67–68.: „While small groups [of protesters] had penetrated to the north of the city by 0930 hours, the really large groups, armed with sticks and stones, came from south Tehran and merged as they reached Sepah Square in their progress north toward the center of the city. There the troops held in readiness fired hundreds of shots over the heads of the crowd, but apparently were not willing to fire at these partisans of the Shah.” 166 Vgl. die Beschreibung der Hergänge zusammengefasst bei Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran (s. Anm. 123), 255: „The combined military and civilian crowds began to clash with pro- Mosaddeq military units and take over key locations in the early afternoon. They seized the central telegraph office and the Ministry of Press and Propaganda, enabling their leaders to send messages to other cities encouraging uprisings against Mosaddeq. Other crowds attacked police headquarters, army headquarters, and the Ministry of Foreign Affairs, where bloody fighting continued until late in the afternoon. Two thousand people backed by a tank staged a noisy demonstration at the Soviet embassy, Trucks and buses brought civilians and army personnel to the facilities of Radio Tehran, north of the city, and seized the station just after 2 P.M., after a brief clash that left three people dead.” 51

Tage zuvor bereits den Umsturz zugunsten General Fażlollāh Zāhedīs herbeiführen sollte, folgendes:

„Teheran, Iranian Home Service Aug. 19, 1953, carried its scheduled programs before 1030 GMT. Then at 1030 it played music for about 15 minutes and then went off the air.

Teheran came on the air at 1203 GMT with some confusing shouts and noises. An anonymous speaker came on the air shouting abuse at the Government of Mossadeq, saying: 'This treacherous Government of Mossadeq which has started a battle against our Constitution and our National Government [sic]. We people of Teheran have now captured the Teheran radio and we have overthrown the treacherous Government of Mossadeq which was directed by traitors as Fatemi. People of the provinces should now rise in a body and oust all the authorities of the treacherous Government. I am now going to read to you the firman of the Shah.' (Shouts and confusion are heard in the background.) […] The people in the radio station argue with each other and all seem to want to speak. Someone calls the people to attention and pleads with them to be calm and then another anonymous person starts reading the Shah’s firman: ‚His Excellency, Fazlollah Zahedi, since the conditions in the country call upon us to appoint an informed and experienced person to take charge of the affairs of the country, we, therefore, in consideration of your ability and personality, appoint you as the Prime Minister by this decree. And we order you to make efforts to repair the affairs of the country and eliminate the crisis and raise the standard for living of the people. . Aug. 13. 1953.’“167 An einigen Stellen in Teheran wurden die Auseinandersetzungen zunächst weitergeführt, wobei die blutigsten Kämpfe um die Residenz des Premierministers stattfanden. Diese wurde von loyalen Truppen verteidigt, denen unter anderem drei Panzer zur Verfügung standen.168 Durch die Gard-e Šāhanšāhī, die ihrerseits mit sechs Panzern und der Unterstützung einiger ziviler Akteure des subalternen Milieus das Anwesen belagerte, wurden die Verteidiger schließlich überrannt,169 wobei etwa 200 Soldaten ihr Leben verloren – doppelt so viele wie an den anderen Auseinandersetzungen in der Hauptstadt zusammengenommen.170 Moṣaddeq

167 Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 19, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS): Iran, 1–5 (Central Intelligence Agency, 1953), 1. 168 Axworthy, Revolutionary Iran, 55. 169 Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 74: „[B]efore 1900 hours Mossadeq’s house was taken and soon turned into a shambles. Its belongings were dragged out into the street and sold to passersby.” 170 Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq 52 selbst konnte zunächst rechtzeitig flüchten,171 wurde am folgenden Tag jedoch festgenommen.172 Durch die Stürmung der Residenz war der Erfolg des Coups faktisch besiegelt. Zudem hielt General Zāhedī am späten Nachmittag eine kurze Rede im Radio, in der er eine Art Regierungserklärung abgab,173 woraufhin bekanntgegeben wurde, dass ein Telegramm folgenden Inhaltes nach Rom – wohin sich der drei Tage zuvor geflüchtet Shah in der Zwischenzeit begeben hatte – geschickt worden sei: „Šāhanšāh-e Īrān, Rom. Jetzt, wo das Volk die Hauptstadt hat erobern können, erwarten wir sehnsüchtig Eure Rückkehr.“174 Damit war der Umsturz öffentlichkeitswirksam besiegelt.

Ali Ansari bewertet den Coup von 1953 überzeugend wie folgt:

„The coup as it unfolded was a haphazard affair that exploited the Constitutional ambiguities Mosaddeq had himself allowed to develop. The procedure itself was Constitutional – the Shah after all was legally entitled to dismiss his prime minister – but it was reinforced by

and the 1953 Coup in Iran (s. Anm. 123), 256. 171 Dies wurde so auch im Radio bekanntgegeben. FBIS dokumentiert: „The announcer then reads a statement by the editor of the paper Zelzeleh in which he says Mossadeq will be condemned to death. Mosaddeq has escaped. Fatemi is dead. Shooting and noise continues in the background.” (Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 19, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS) (s. Anm. 167), 4.). Beachte: Der Bericht über den Tod Fāṭemīs ist eine Fehleinformation. Dieser wurde gefangengenommen und am 10. November 1954 hingerichtet. 172 Die Ereignisse an der Residenz des Premiers bis hin zu dessen Festnahme fasst Michael Axworthy knapp aber anschaulich zusammen: „After their experience on the Tuesday, Tudeh kept their people at home, and a confrontation developed outside Mossadeq’s residence, in which a number of brawny members of bazaar zur-khaneh seem to have participated. This turned to violence as some troops arrived, including six Sherman tanks. There was an exchange of fire between these tanks and the soldiers guarding the house. The shooting continued for two hours, with many casualties, and three tanks that had been in position to defend the house were destroyed. Meanwhile, pro-Shah demonstrators took over the radio station and began broadcasting from there. Eventually, with General Riahi telling him the situation was hopeless, Mossadeq gave up, announced at about 5 p.m. that the building would no longer be defended and left by a ladder over a back wall. He was arrested the following day.” (Axworthy, Revolutionary Iran, 54–55). 173 Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 19, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS) (s. Anm. 167), 4.; Vgl. zudem Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran (s. Anm. 123), 255: „General Zahedi had been hiding for two days in the home of one of the CIA officers. At about 4 P.M., Roosevelt drove to Zahedi's hideout to arrange for him to broadcast a statement over Radio Tehran. Soon after, Guilanshah, who had been hiding in another CIA officer's home, arrived at Zahedi's hideout in a tank and brought him to Radio Tehran. Zahedi then broadcast a statement at 5:25 P.M. explaining that he was the legal prime minister and that his forces were now largely in control of the city.“ 174 Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 19, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS) (s. Anm. 167), 4. 53

unconstitutional methods, the threat of military force, and above all the spectre of mob violence.”175

2.1.4 Die Macht des Staates und die Antwort der Straße: Der Shah und die Monopolisierung der Gewalt 1954 – 1963

Am 22. August kehrte der Shah zurück nach Teheran. Durch den quasi-legalen Anstrich, den der vorangegangene Coup aufgrund seines fermān erhalten hatte,176 waren keine administrativen Maßnahmen zur Installierung einer neuen Regierung erforderlich. Fażlollāh Zāhedī war praktisch bereits im Amt. Der neue Premier hatte zudem schon vor der Rückkehr Moḥammad Reżā Šāhs aus dem nur wenige Tage andauerndem italienischen Exil extensive Maßnahmen zur Sicherung der neuen Machtverhältnisse umgesetzt, vor allem indem er die nun in der Opposition befindlichen pro-Moṣaddeq und Tūdeh-Kräfte in allen Segmenten der Gesellschaft verfolgen ließ.177 Moṣaddeq selbst wurde später im November 1953 zu einer dreijährigen Haft verurteilt, die er absaß, bevor er anschließend bis zu seinem Tode 1967 unter Hausarrest stand.178 Zāhedī ging zudem gegen zahlreiche Akteure vor,

175 Ali M. Ansari, The Politics of Nationalism in Modern Iran. Cambridge Middle East studies 40 (Cambridge: Cambridge University Press, 2012), 139. 176 Beachte: Der Begriff des “quasi-legalen“ Umsturzes ist der CIA-Terminologie zur Vorbereitung des Coups entnommen. Vgl. Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, Appendix A, 3. 177 Vgl. Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran (s. Anm. 123), 256.: „In the days after the coup, Zahedi's forces mopped up the remaining pockets of resistance. Zahedi declared a curfew in Tehran and deployed troops and tanks throughout the city. He closed Iran's borders to prevent fugitives from fleeing. Army and police units broke up scattered pro-Mosaddeq demonstrations in Tehran and elsewhere, and pro-shah forces held demonstrations. The security forces hunted down Mosaddeq's colleagues and Tudeh Party members, arresting many. Pro-Mosaddeq newspapers were harassed or closed down. Zahedi made a speech promising to raise wages, reduce the costs of living, provide free medical care, pave roads, mechanize agriculture, permit political freedom, and hold new elections.” 178 Vgl. Farhad Diba, Mohammad Mossadegh: Political Biography (London, Dover, N.H.: Croom Helm, 1986), 192: „Mossadegh was imprisoned, in solitary confinement, for three years in the prisons at Saltanabad and at the headquarters of the 2nd Armoured Battalion. In 1956, having served his sentence, he was supposedly freed and sent to his residence outside Teheran, at Ahmad Abad. A few days after his arrival there, a charade was staged. Some hooligans were sent to create an affray, and this was sufficient for the army to step in. At first, the army made a pretence of having to be there to guard against attacks on his person, but this mockery was soon dropped, and Mossadegh was prevented from stepping outside the small courtyard in front of his house and visits were restricted to close family members. He was never again allowed to communicate publicly [...]” 54 auf deren Unterstützung er während des Coups noch maßgeblich angewiesen war – so etwa die vormaligen Ǧebhe-ye Mellī-Größen Kāšānī und Baqāʾī, deren Aktivitäten er beschränken ließ.179

Moḥammad Reżā Šāh seinerseits war nach 1953 darum bemüht, seine Machtbasis – auch auf Kosten der Regierung um General Zāhedī – auszubauen, und vertraute dabei zunächst auf eine dreigleisige Strategie: Er vergrößerte die Bürokratie, verstärkte die Armee und weitete seinen persönlichen Zugriff auf die politische Elite durch die Verfestigung des höfischen Patronagesystems aus. Drei Strategien, auf die bereits sein Vater erfolgreich vertraute, um den Machtzugriff zu sichern, und die der Sohn in den folgenden 25 Jahren perfektionierte.180

Zunächst richtete sich dabei die Aufmerksamkeit des Shahs auf die Neutralisierung der Ḥezb-e Tūdeh. Durch Rückgriff auf sein eigenes, ihm während des Coup d’étàt treu ergebenen Netzwerk innerhalb des Militärs, und der Gründung eines entsprechenden Geheimdienstes, gelang es, die Unterstützer der kommunistischen Partei innerhalb des Offizierskorps ausfindig zu machen und zu neutralisieren oder zu exekutieren. In Zahlen ausgedrückt, gehen die parteiinternen Schätzungen dabei davon aus, dass von den insgesamt 466 Offizieren, die der Tūdeh zugerechnet wurden, 429 enttarnt und verhaftet wurden. Lediglich 37 konnten demnach rechtzeig das Land verlassen.181 Der entscheidende Schlag gegen das Netzwerk erfolgte dabei bereits im Sommer 1954, als der Großteil seiner Mitglieder enttarnt wurde.182 Seine endgültige Vernichtung jedoch ist auf das Jahr 1958 zu datieren, als

179 Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran (s. Anm. 123), 257. 180 „In many ways, his reign was a continuation of his father’s – with some minor variations. Whereas the father had ruled in the age of fascism and talked bluntly of making trains run on time, the son lived at the height of the Cold War and thus shied away from the language of autocracy and racism. But even he, at the peak of his power, could not resist adding to his exalted list of royal titles the brand new one of Arya Mehr (Aryan Sun). Muhammad Reza Shah fulfilled Reza Shah’s dream of building a massive state structure.” Abrahamian, A History of Modern Iran, 123. 181 Behrooz, „Tudeh Factionalism and the 1953 Coup in Iran“, 367. 182 Ervand Abrahamian geht von 500 Mitgliedern des Netzwerkes in 1954 aus. Siehe auch zu seinem Bericht über die verhängten Strafen: „Beginning with fewer than 100 members in 1950, the Military Organization had over 500 by 1954. A CIA report later observed that most of the Tudeh officers, who came from the lower middle class, for four years “forestalled detection by excelling at their work.” Uncovered in 1954, 466 military personnel were brought to trial during the next three years. They included 22 colonels, 69 majors, 100 captains, 193 lieutenants, 19 sergeants, and 63 cadets. Rouzbeh, Siamak, and 25 others were 55 der Begründer und Anführer der Militärorganisation der kommunistischen Partei, Ḫosrow Rūzbeh (1916-1958), hingerichtet wurde.183 In der Rückschau muss daher das Jahr 1953 – trotz des Verbotes von 1949 – als der Höhepunkt des Einflusses der Tūdeh bezeichnet werden. Die Partei verpasste eine historische Chance, als sie zunächst die Zeichen der Zeit falsch deutete und sich (provoziert oder nicht) in anti- royalistischen Exzessen erging, sich jedoch nur einen Tag später nicht mehr regen wollte, als die „royalistische Bedrohung“ auch ihr eigenes Überleben in Frage stellte.184 Durch die zügigen Maßnahmen, die von der neuen Regierung ergriffen wurden, wurde die gesamte kommunistische Bewegung ihres Einflusses beraubt und konnte diesen nie im selben Maße zurückerlangen.185

Es zeigt sich hier, dass der Shah, trotz aller Versuche Moṣaddeqs auf der einen Seite und des militärischen Tūdeh-Netzwerkes auf der anderen Seite, seine Macht innerhalb des Militärs zu brechen, nie den Zugriff auf die Armee verloren hatte186 und insbesondere auf die Treue der Gard-e Šāhanšāhī vertrauen konnte. So stellte sich nach dem Coup etwa auch heraus, dass von den 243 in Teheran stationierten Offizieren, die dem militärischen Netzwerk der Tūdeh angehörten, lediglich drei ihren Dienst innerhalb der Gard-e Šāhanšāhī verrichteten. Die Garde repräsentierte dementsprechend auch nach 1953 den Kernbereich des militärischen Zugriffs des

executed; 144 were sentenced to life imprisonment; 119 to fifteen years; 79 to ten years; and the others to shorter terms ranging from eight years to eighteen months. Western correspondents who observed the executions told the CIA that the officers had marched to their deaths defiantly shouting Tudeh slogans, and that the chief executioner had to administer the coup de grâce because the forty-man firing squad had missed, out of nervousness or because of their sympathy for the victims.” (Abrahamian, Iran Between two Revolutions, 338). 183 Behrooz, „Tudeh Factionalism and the 1953 Coup in Iran“, 368. 184 Die Gründe für dieses Verhalten sind nicht nur in den oben dargestellten „außerparteilichen“ Prozessen zu bewerten, sondern durchaus auch auf innerparteilichen Uneinigkeiten zurückzuführen. Vgl. hierzu eingehend Behrooz a.a.O. Michael Axworthy verweist zudem auf ein Moment mit globalpolitischer Bedeutung: „Stalin’s death in March had crippled Soviet policy-making and turned Moscow in on its own concerns, leaving the Iranian party without the guidance to which it had become accustomed. In addition, many of the leading personalities of Tudeh had been in the Soviet Union at the time for one reason or another.” Axworthy, Revolutionary Iran, 57. 185 Vgl. nur ebd., 56. 186 Beachte hier auch die Ausführungen Donald Wilbers für die CIA, der für die Aktionen nach dem zunächst gescheiterten Coup ausführt: „It should be noted that all action taken from this time on corresponded to the basic estimate of the operational plan that the army would respond to the Shah if they were forced to a choice between the ruler and Mossadeq.” (Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 45). 56

Shahs auf die Macht187 – erweitert um den 1957 gegründeten In- und Auslandsgeheimdienst SAVAK188 (Sāzemān-e Eṭṭelāʾāt va Amniyat-e Kešvar, „Organisation für Information und Landessicherheit“189), der in den 60er und 70er Jahren eine fragwürdige Reputation erlangen sollte und so langfristig maßgeblich zur Desintegration der Gesellschaft auf dem Weg zur Iranischen Revolution von 1978/79 beitrug.190 Welche Bedeutung der Gard-e Šāhanšāhī bei der Neuordnung der Machtverhältnisse zukam, kann durch die Tatsache verdeutlicht werden, dass mit General Teymūr Baḫtiyār (1914-1970, SAVAK 1957-1961) und General Neʽmatollāh Naṣīrī (SAVAK 1965-1978) zwei der ersten drei Chefs des Nachrichtendienstes durch ehemalige Oberbefehlshaber der Garde gestellt wurden. Zudem wurde der ehemalige militärische Geheimdienst Rokn-e do (auch „G2“, benannt nach dem französischen Militärgeheimdienst „Deuxième Bureau“), in den neu gegründeten SAVAK überführt und dessen Leiter General Hassan Pakravān (1911-1979, SAVAK 1961-1965) ebenfalls für einige Jahre die Gesamtleitung des neuen Geheimdienstes übertragen. Die Leitung des Geheimdienstes ist nicht zuletzt deswegen von Bedeutung, weil sich hier die Funktionsweise des höfischen Patronagesystems verdeutlichte: Der Shah ließ sich zweimal wöchentlich von den genannten Generälen unterrichten – diese wiederum wurden maßgeblich aufgrund

187 Zonis, The Political Elite of Iran, 3–4.; Siehe hierzu auch das Kapitel “Cultivating the Military” bei Ansari, Modern Iran, 171–174. 188 Siehe zum SAVAK Carl Anthony Wege, „Iranian Intelligence Organizations.“ International Journal of Intelligence and CounterIntelligence 10, Nr. 3 (1997): 287–298, 288: „The SAVAK (Sazemn-I Ettela'at va Amniyat-I Kishavr) organization, created by the Shah in 1957 with assistance from the Central Intelligence Agency (CIA) and Israel's Mossad, is the antecedent institution of the modern Iranian intelligence establishment. SAVAK's primary responsibility was internal security; and by the 1970s, it had about 5300 employees and 55,000 informers, expending about $225 million annually to perform this task.” 189 Dies ist die grammatikalisch korrekte Übersetzung. In der wissenschaftlichen Literatur wird häufig im Sinne von „Nationale Organisation für Information und Sicherheit“ übersetzt, was den Kern der Sache durchaus auch trifft. Vgl. etwa Axworthy, Revolutionary Iran, 59: „National Intelligence and Security Organization”; oder Afkhami, The Life and Times of the Shah, 381. „State Organization for Intelligence and Security”. 190 Beachte: Michael Axworthy (Axworthy, Revolutionary Iran, 59) weist auf den Umstand hin, dass die Methoden des SAVAK bereits mittelfristig dazu führten, dass der politische Islam an Bedeutung gewann: „The manipulation of constitutional and democratic institutions, combined with SAVAK ’s sustained and effective attacks on underground opposition, succeeded in crippling politics in Iran for the next quarter of a century; permitting the continued autocratic rule of the Shah, but also facilitating the eventual re- emergence of the only opposition group with any kind of independence or immunity from persecution – the clergy.” 57 ihrer Loyalität zum Shah auf den entsprechenden Posten berufen.191 Eine parlamentarische Kontrolle gab es ebenso wenig wie eine Unterrichtungspflicht der Generäle gegenüber dem Premierminister oder den Mitgliedern des Kabinetts.

Die erfolgreichen Umschichtungen der Staatsstrukturen in den Jahren nach 1954 waren insbesondere auch aufgrund der verbesserten ökonomischen Bedingungen möglich geworden. Zwar hatte die britische Seite maßgeblich auf den Coup von 1953 hingewirkt; Nach der Rückkehr des Shahs an die Macht machte die Faktenlage es der AIOC, die 1954 in British Petroleum (BP) umbenannt wurde, jedoch unmöglich, in Iran so zu operieren, wie sie es vor der Verstaatlichung des Erdöls gewohnt war. Das Erbe der politischen Bewegung Moṣaddeqs mag es sein, dass ein nationales Bewusstsein entstanden war, welches eine solch offensichtliche Herabwürdigung Irans, wie sie die Konzessionen bis 1951 vorsahen, der breiten Öffentlichkeit nicht mehr vermittelbar gemacht hätten. Zudem war auch der Shah nicht gewillt, zu den vormaligen Konditionen zurückzukehren, sondern machte sich die Tatsache zunutze, dass die Verstaatlichung mit der Annahme des entsprechenden Gesetzes durch die Maǧles innenpolitisch als rechtmäßiger Vorgang zu bewerten war. Schließlich führte der Druck der USA, die nun selbst an einer Beteiligung interessiert waren, zurGründung der Iranian Oil Participants Ltd. Einem Konsortium, an dem die sieben größten Öl-Konzerne der 50er Jahre, die sogenannten „Seven Sisters“, beteiligt waren und welches die NIOC als Eigentümerin des Öls selbst anerkannte.192 Nach Vorbild der amerikanisch-arabischen Vereinbarungen wurde zudem in den Verhandlungen der Jahre 1954 und 1955 eine hälftige Aufteilung der Erlöse vereinbart.193 Gegen dieses Konsortium und den sich anbahnenden Deal mit der amerikanisch-britischen Seite erwuchs abermals öffentlicher Protest. Diesmal jedoch griff der Shah umgehend durch: Als 1954 die Teheraner Handwerks- und Händler-Gilden einen gemeinsamen Streik vereinbarten, kam der Herrscher der

191 Afkhami, The Life and Times of the Shah, 384. 192 Hossein Askari, Collaborative Colonialism: The Political Economy of Oil in the Persian Gulf ([S.l.]: Palgrave Macmillan, 2013), 59. Askari listet die Zusammensetzung des Konsortium wie folgt auf: „BP (40 percent), Gulf or later Chevron (8 percent), Shell (14 percent), and CFP or later Total (6 percent), with each of the Aramco partners – SoCal (Chevron), Standard Oil of New Jersey (Exxon and then ExxonMobil), Standard Oil of New York (later Mobil and then ExxonMobil), and Texaco (later Chevron) – getting an 8-percent interest in the consortium company.” 193 Ebd. 58

Schließung des Bazars zuvor, indem er Truppen in das Teheraner Geschäftsareal schickte und selbiges für zwei Tage besetzt hielt.194 Das Momentum war so auf seiner Seite und dem Protest die Basis entzogen.

Die nun wieder anziehende Ölproduktion und die damit verbundenen Einnahmen führten erstmalig in der iranischen Geschichte zu dem Umstand, dass der Staatshaushalt sich aus den Ölverkäufen finanzieren ließ und sich außerdem rasant vergrößerte. Lagen die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft 1954/55 noch bei 34,4 Mio. Dollar, hatten sie sich vier Jahre später bereits auf 344 Mio. Dollar verzehnfacht.195 Geld, welches Moḥammad Reżā Šāh nutzte, um den Militär- und Sicherheitsapparat massiv auszubauen.196 Bezüglich der Bedeutung des Militärs für den Shah konstatiert Ervand Abrahamian entsprechend: „The military and the monarchy became so interwoven that the shah, in an interview with a foreign academic, inadvertently identified himself not as the state, à la Louis XIV, but as the army – much as his father had done.“197

Letztlich hatte also das anti-royalistische und nationalistische Interregnum der Ära Moṣaddeq mit der Verstaatlichung des Erdöls erst jene diskursiven und wirtschaftspolitischen Fakten geschaffen, die es dem Shah ermöglichten, aus einer konstitutionellen Monarchie mit beschränkten Prärogativen für die Krone eine autoritäre Herrschaft zu formen, in welcher die Bewegungsfreiheit der politischen Elite des Landes durch den Shah definiert wurde. Das Projekt Moṣaddeqs hatte das Gegenteil vorgesehen.

194 Abrahamian, Iran Between two Revolutions, 421. 195 Abrahamian, A History of Modern Iran, 124. 196 Vgl. hierzu ebd.: „Of the three pillars holding up the Pahlavi state, the military continued to receive preferential treatment. The shah launched the new era by changing the name of the defense ministry back to ministry of war to make it clear that civilians had no business meddling in military matters. Iran became one of the few countries in the world with a ministry of war rather than of defense. In the period between 1954 and 1977, the military budget grew twelvefold and its share of the annual budget went from 24 to 35 percent – from $60 million in 1954 to $5.5 billion in 1973, and further to $7.3 billion in 1977. Its manpower expanded from 127,000 to 410,000. By 1977, the regular army had in excess of 220,000 men, the air force 100,000, the gendarmerie 60,000, and the navy 25,000. Much of the military budget went into ultra-sophisticated weaponry. Arms dealers joked that the shah devoured their manuals in much the same way as other men read Playboy. By 1975, the shah had the largest navy in the Persian Gulf, the largest air force in Western Asia, and the fifth largest army in the whole world.” 197 Hierzu ebd., 125. 59

Nachdem die bedrohlichsten innenpolitischen Gegner ausgemacht und eliminiert worden waren – ein Prozess, der auch zur Unterdrückung der Fedāʾiyān-e Eslām führte198 –, gipfelten die entsprechenden politischen Maßnahmen in der Einführung eines „royally chartered and directed two-party system“ zwischen 1957 und 1960.199 Darüber hinaus erlaubte sich der Shah, das Amt des Premierminister in seinem Sinne zu verwalten.200 Er war insbesondere darum bemüht, keinen starken Premier mehr zu dulden – eine Erfahrung, die General Zāhedī zwischen 1954 und 1955 machen musste. Zāhedī hatte die Zeit nach dem Staatsstreich genutzt, um seinen Einfluss über das Militär und die Politik hinaus auch auf den wirtschaftlichen Sektor zu erweitern, indem er entscheidende Positionen mit Verwandten besetzte.201 Dieses Vorgehen führte jedoch zu kompromittierenden Gerüchten um Korruption in Regierungskreisen, denen der Shah nicht entgegentrat202 – im Gegenteil versagte er dem Premier die Unterstützung in zahlreichen innenpolitischen Abnutzungskämpfen und trug durch sein ambivalentes Verhalten dazu bei, dass der Premier als nicht sicher im Amt galt.203 Dies gipfelte in dem Umstand, dass der Shah die Verhandlungsführung um die Neuregelungen der Ölexplorationen demonstrativ mit Abo’l-Hassan Ebtehāǧ (1899-1999), einem politischen Konkurrenten Zāhedīs, antrug. Sich der Bedeutung der Prozesse bewusst, trat der Premierminister im April 1955 zurück.204 Der Teheraner

198 Fakhreddin Azimi, „Khomeini and the 'White Revolution'.“ in A Critical Introduction to Khomeini, hrsg. von Arshin Adib-Moghaddam, 19–42 (New York: Cambridge University Press, 2014), 22. 199 Zonis, The Political Elite of Iran, 4.; Vgl. auch Axworthy, Revolutionary Iran, 58–59.: „Two bogus parties, the National Party and the People’s Party (Melliyun and Mardom) were set up in the Majles, competing only in their enthusiasm for the Shah’s policies (they were satirized as the ‘Yes’ party and the ‘Yes sir’ party).” 200 Vgl. ebd., 59.: „From 1953 onwards the post of prime minister was in the Shah’s pocket – Mossadeq’s successors were appointed and removed as the Shah pleased.” 201 Ahmad Mahrad, Iran nach dem Staatsstreich von 1953 gegen Ministeerpräsident Dr. Mohammad Mossadegh (Pfaffenweiler: Centaurus, 1988), 46.. Mahrad berichtet a.a.O. in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf Akten des Auswärtigen Amtes etwa von dem Einfluss des Generals im iranischen Bergbausektor. 202 Vgl. Afkhami, The Life and Times of the Shah, 206. 203 Vgl. hier nur die Beobachtungen Ahmad Mahrads (Mahrad, Iran nach dem Staatsstreich von 1953 gegen Ministeerpräsident Dr. Mohammad Mossadegh, 47) in Bezug auf die (etwas verspäteten) Wahrnehmungen des Auswärtigen Amtes: „Erst Ende März wuchs bei der deutschen Gesandtschaft in Teheran die Skepsis, ob General Zahedi noch fest im Sattel saß. Anfang April 1955 wurden die Gerüchte um die Umbildung der iranischen Regierung bestätigt.“ 204 Afkhami, The Life and Times of the Shah, 206. 60

Rundfunk verkündete seinen Rückzug aus „gesundheitlichen Gründen“ und dass sich der General einer längeren Kur im Ausland zu unterziehen habe.205 Er wurde später zum iranischen UN-Botschafter in Genf ernannt und starb 1963 faktisch im Exil. Damit definierte der Shah den zukünftigen Umgang mit Mitgliedern der politischen oder militärischen Elite. Einem ausgiebigen Belohnungssystem, auf das sich das höfische Patronagesystem stützte,206 stand im Umgang mit zu mächtig gewordenen oder Misstrauen erweckenden Mitgliedern der Elite die Praxis des Weglobens gegenüber: Auf den Aufstieg in Iran folgte die Versetzung auf Botschafterposten – weit entfernt vom Zentrum der Macht.

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Mit der Inamtsetzung von Zāhedīs Nachfolger Hosseyn ʿAlāʾ (1881-1964) intensivierte die Regierung ihre Bemühungen, die ökomischen Entwicklungen zu beschleunigen. Zum Erreichen der gesteckten Ziele wurde ein Sieben-Jahres-Plan (1955-1962, auch „Second Development Plan“207) implementiert, der sich in erster Linie als ein Investitionsprogramm in die iranische Wirtschaft darstellte.208 Dieser ambitionierte Investitionsplan führte in Kombination mit dem gestiegenen Militäretat trotz der hohen Einnahmen aus dem Erdölgeschäft gegen Ende der 1950er Jahre zu einem Inlandsdefizit, das durch Auslandsschulden beglichen

205 Mahrad, Iran nach dem Staatsstreich von 1953 gegen Ministeerpräsident Dr. Mohammad Mossadegh, 47. 206 Vgl. Abrahamian, Iran Between two Revolutions, 437: „The second pillar, court patronage, strengthened the regime in that it enabled the shah to reward his followers with a vast array of lucrative salaries, pensions, and sinecures.” 207 Es gab einen „First Development Plan“, der 1949 implementiert wurde, aufgrund der Verstaatlichung des Erdöls und der damit verbunden Einbrüche der Öleinnahmen aber nicht umgesetzt werden konnte. 208 Vgl. näher zum „Second Development Plan“ Farhad Daftary, „Development Planning in Iran: A Historical Survey.“ Iranian Studies 6, Nr. 4 (1973): 176–228, 180–181. Siehe a.a.O nur: „The Plan consisted exclusively of an investment program, covering merely that portion of public investments which was to be controlled by the Plan Organization. This portion accounted for only about one-half of total public investments during the plan period. The line of demarcation was based on a rather arbitrary arrangement for dividing the country's total oil revenues between the Plan Organization and the Ministry of Finance for the purpose of financing their respective expenditures. The Plan said nothing about how the investments of the Plan Organization were to be coordinated with those of the rest of the government; nor did it concern itself with the general economic policies of the government. This narrow approach to planning seriously impeded the effectiveness of the government's development effort.” 61 werden musste und zugleich zu einer Inflation führte, welche den Lebensstandard spürbar beeinträchtigte.209 Diese internen ökonomischen Entwicklungen, verbunden mit einer sich aufgrund der demokratischen Missstände210 vergrößerten Unzufriedenheit der angewachsenen Mittelschicht,211 führten Anfang der 60er Jahre schließlich zu vermehrten Streiks und zu einem erneuten Aufleben populären öffentlichen Widerstandes.212 Hervorzuheben ist hier der Lehrerstreik vom Mai 1961, der nachhaltige Folgen haben sollte.

Nach einer allgemeinen Lohnkürzung für Lehrer kam es zu Demonstrationen der Berufsgruppe in Teheran, denen sich Studenten anschlossen und die die Unterstützung von weiten Teilen der Teheraner Gesellschaft genossen.213 Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften im Mai 1961, worauf der Shah mit einer Doppelstrategie reagierte. Einerseits löste er die Maǧles auf, andererseits besetzte er den Posten des Premierministers mit ʿAlī Amīnī (1905-

209 Siehe hierzu Abrahamian, Iran Between two Revolutions, 422: „The economic crisis had been brewing since 1954, when the government, discovering that the oil revenues could not pay for the ambitious Seven Year Plan as well as for the escalating military expenditures, resorted to deficit financing and heavy borrowing from abroad. Deficit financing, compounded by a bad harvest in 1959-1960, forced the cost-of-living index, which had been fairly stable in 1954-1957, to climb over 35 percent between 1957 and I960. Meanwhile, heavy borrowing completely depleted the country’s foreign reserves and thus obliged Iran to seek emergency aid from both the International Monetary Fund and the U.S. government. The IMF promised $35 million if Iran trimmed its budget, froze salaries and wages, and shelved some development projects.” 210 Vgl. etwa zu den offensichtlich manipulierten Wahlen vom August 1960 Misagh Parsa, „Mosque of Last Resort: State Reform and Social Conflict in the Early 1960s.“ in A Century of Revolution: Social Movements in Iran, hrsg. von John Foran, 135–159 (London: UCL Press, 1994), 139.: „The elections in August were obviously rigged, with the government interfering everywhere to ensure the victory of its favoured candidates. Public outcry overwhelmingly repudiated the results and obliged the shah to nullify the outcome.” Marvin Zonis spricht diesbezüglich gar von einer Bankrotterklärung: „From 1957 to 1960, a royally chartered and directed two-party system was created. But its ‘tweedledum-tweedledee’ character failed to provide a meaningful channel for political expression. The debacle of the two elections for the twentieth session of the Parliament in 1960-1961 a debacle that resulted in the dissolution of the Majles until new elections were held in the fall of 1963 – testified to the bankruptcy of the two political parties.” (Zonis, The Political Elite of Iran, 4). 211 Fred Halliday, Iran: Dictatorship and Development (Auckland: Penguin, 1979), 39. 212 Axworthy, Revolutionary Iran, 61. 213 Vgl. hierzu Misagh Parsa, „Mosque of Last Resort: State Reform and Social Conflict in the Early 1960s.“ in A Century of Revolution (s. Anm. 210), 143: „Because of the economic crisis and the government's stringent economic policies, the teachers received sympathy from other segments of the population in Tehran. Universities closed down in support of their strike, and bazaaris and some workers also backed the walkout. Several workers' syndicates in Tehran issued statements of support. Bazaaris in Baharistan Square closed their shops in support of the teachers, and demonstrations were held in front of the central bazaar.” 62

1992),214 der Mitglied des ersten Kabinetts unter Moṣaddeq war und so eine integrative Botschaft an Sympathisanten und Mitglieder der sich neu formierenden Nationalen Front verkörperte. Am 13. Mai beschlossen die Lehrer nach erfolgreichen Lohnverhandlungen mit der neuen Regierung, den zwölftägigen Streik zu beenden.215 Auf politischer Ebene hatte der Streik nachhaltige Konsequenzen: Einerseits bot er die Möglichkeit für zahlreiche oppositionelle Akteure, sich ihrer Handlungsspielräume und Mobilisierungskapazitäten zu vergewissern216 – dies sollte insbesondere für eine neue, sich islamisch-religiös definierende Opposition von Bedeutung werden –, andererseits hatte die Personalentscheidung des Shahs in Bezug auf den Posten des Premierministers nachhaltige Folgen.

Diese Personalentscheidung koinzidierte zunächst jedoch mit weiteren entscheidenden Entwicklungen im In- und Ausland: Die Erfahrungen des zur Revolutionen erwachsenen Coup d’étàt in Irak (1958) und der Revolution in Kuba (1959) sensibilisierten sowohl die USA217 als auch die iranische Führung218 für das Thema der politischen Instabilität und beeinflussten die amerikanische Außenpolitik gegenüber Iran nachhaltig, sodass bereits im Dezember 1959 der amerikanische Präsident Eisenhower in einer Rede vor der Maǧles sagte: „Military strength alone will not bring about peace with justice. The spiritual and economic health of the free world must be likewise strengthened.”219 Den internen ökonomischen Dynamiken und dem externen politischen Druck folgend, setzte der Shah bereits 1960 Reformvorhaben um,220 auf welche die Amtsübernahme von

214 April Summit, „For a White Revolution: John F. Kennedy and the Shah of Iran.“ Middle East Journal 58, Nr. 4 (2004): 560–575, 565. 215 Misagh Parsa, „Mosque of Last Resort: State Reform and Social Conflict in the Early 1960s.“ in A Century of Revolution (s. Anm. 210), 147. 216 So auch Parse a.a.O. 217 Vgl. Summit, „For a White Revolution: John F. Kennedy and the Shah of Iran“, 562. 218 Vgl. nur Ali M. Ansari, „The Myth of the White Revolution: Mohammad Reza Shah, 'Modernization' and the Consolidation of Power.“ Middle Eastern Studies 37, Nr. 3 (2001): 1– 24, 5: „, the leader of the Mardom Party, was clear about the political imperative when he first suggested the concept of a 'White Revolution' as a vehicle for the Shah in discussions with a cautious Sir Roger Stevens in 1958.'3 In the aftermath of the Iraqi coup d'etat, Alam argued that a 'White' (i.e. bloodless) revolution was needed in Iran if the Iraqi coup was not to be repeated in Iran.” 219 Zitiert in Misagh Parsa, „Mosque of Last Resort: State Reform and Social Conflict in the Early 1960s.“ in A Century of Revolution (s. Anm. 210), 139. 220 Ebd. 63

Präsident John F. Kennedy in den USA sowie der Tod des führend Rechtsgelehrten Ayatollāh Seyyed Ḥosseyn Borūǧerdī (1875-1961) in Iran gleichsam katalysatorische Wirkung entfalteten.

In der Kennedy-Administration ging man davon aus, dass der Shah in Gefahr stünde, gestürzt zu werden, wenn er keine Reformen initiieren würde,221 was zur nachdrücklichen Einforderungen selbiger führte – Forderungen, die sich auch auf Personalentscheidungen erstreckten, sodass die Wahl Amīnīs als Konzessionsentscheidung zugunsten der amerikanischen Administration bewertet wurde.222 Zentrales Thema der anstehenden Reformen war jedoch eine bereits 1960 initiierte Landreform, gegen die sich insbesondere Teile des höheren schiitischen Klerus – ihrerseits häufig als private Grundbesitzer oder über religiöse Stiftungen am Erhalt des Status Quo interessiert223 – zur Wehr setzten. Die entscheidende autoritative Stimme innerhalb der Gelehrtenschaft gegen eine Landreform brach jedoch mit dem Tod des ranghöchsten Rechtsgelehrten, Ayatollāh Borūǧerdī, weg.224

221 Summit, „For a White Revolution: John F. Kennedy and the Shah of Iran“, 564. 222 Vgl. ebd., 565: „The Shah pretended to give his new Prime Minister support for dramatic reform of the government, as well as in redistribution of land. In reality, the Shah felt the United States had forced Amini on him.' US diplomat William Miller later recalled that the Shah ‘never trusted Amini because he'd come with America's backing’ and associated him with the hated Mossadeq.' He also argued, however, that Kennedy had not forced Amini on the Shah, but had only voiced approval when his name was mentioned. The US knew Amini through his work with the World Bank, and most officials considered him very competent.” 223 Heinz Halm, Die Schia (Darmstadt: Wiss. Buchges., 1988), 154: „Im Februar 1960 wandte sich der höchste marǧaʿ-e taqlīd Borūǧerdī in einem Brief gegen den Entwurf eines Landesreformgesetzes, den die Regierung dem Parlament vorgelegt hatte. Der Widerstand des Klerus gegen die Landreform des Schahs hatte seine Ursache nur zum Teil in eigenen Besitzinteressen. Zwar hatten die großen Gelehrtenfamilien nicht selten auch beträchtlichen Landbesitz, doch war die große Masse der Mollās im städtischen Milieu zuhauseoder vertrat gar die Interessen der kleinbäuerlichen Landbevölkerung, der die Reform zugutekommen sollte. Stärker fielen wohl die Befürchtungen ins Gewicht, der Klerus könne die Kontrolle über das Stiftungsland verlieren; daneben dürfte eine grundsätzliche Opposition gegen das Antasten des von der šarīʿā wie von der Verfassung garantierten Privateigentums eine Rolle gespielt haben.” 224 Vgl. auch Misagh Parsa, „Mosque of Last Resort: State Reform and Social Conflict in the Early 1960s.“ in A Century of Revolution (s. Anm. 210), 143. 64

Der Shah hatte sich in den Jahren zuvor mit ihm als obersten marǧaʿ-e taqlīd („Quelle der Nachahmung“225) arrangiert,226 dem zwar hintergründig eine nicht unbedeutende Rolle während des Coups von 1953 nachgesagt wird,227 der sich und seine Anhängerschaft jedoch bereits 1949 öffentlich zu einer quietistischen Position verpflichtet hatte.228 Sein 1960 formulierter Brief an den Shah, in welchem er sich gegen eine Landreform aussprach, darf daher als ein symbolträchtiger Schritt gewertet werden, der zumindest dazu führte, dass Moḥammad Reżā Šāh seine Pläne nicht mit Nachdruck verfolgte, um die für ihn günstige unpolitische Grundhaltung in den oberen Rängen der ʿolamāʾ (Gruppe der schiitischen Rechtsgelehrten) nicht herauszufordern. Der Tod Borūǧerdīs eröffnete nun einerseits dem Shah die Möglichkeit, das Projekt der Landreform erneut voranzutreiben, andererseits stand von nun an nicht nur die durch den verstorbenen marǧaʿ-e taqlīd vertretene quietistische Grundposition in Frage: Es stand auch die Neuordnung der Hierarchien innerhalb der schiitischen Gelehrtenschaft an.

225 Siehe zum Rang des marǧaʿ-e taqlīd [Arab. marǧaʿ at-taqlīd] Halm, Die Schia, 134: „Der marǧaʿ at-taqlīd ist derjenige, Muǧtahid [Rechtsgelehrter, der zur selbstständigen Auslegung religiöser Normen berechtigt ist, OG], auf den der einzelne Gläubige seine Verantwortung in Glaubensfragen abwälzt, indem er sich dessen Expertenurteil unterwirft und seiner Entscheidung blindlings folgt. Im Prinzip ist jeder Muǧtahid marǧaʿ at-taqlīd, doch wird seit dem 19. Jahrhundert die Tendenz zur Ausbildung einer hierarchischen Spitze in der Person eines einzigen, allgemein als höchste Autorität anerkannten marǧaʿ at-taqlīd erkennbar.“ 226 Vgl. Ansari, Modern Iran, 201; Braswell, George W. Jr., „Civil Religion in Contemporary Iran.“ Journal of Church and State 21, Nr. 2 (1979): 223–246, 230. 227 Vgl. insbesondere Darioush Bayandor, Iran and the CIA: The Fall of Mosaddeq Revisited (Houndmills, Basingstoke, Hampshire, New York, NY: Palgrave Macmillan, 2010), 150–175., der von den „Boroujerdi factor“ als missing link in der bisherigen wissenschaftlichen Betrachtung des Coups ausgemacht haben will. 228 Halm, Die Schia, 153: „Der in Qom lehrende Āyatollāh Ḥosein ibn ʿAlī Ṭabāṭāʼī Borūğerdī (1875-1962), der seit 1949 allgemeine Anerkennung als höchster marğaʽ-e taqlīd gefunden hatte, lud im Februar 1949 an die 2000 ʿulamāʾ in die Faiżīyeh-Madrasa in Qom ein und verpflichtete sie, sich keiner Partei anzuschließen und sich nicht in politische Angelegenheiten einzumischen. Er selbst [...] ist denn auch nur sehr selten mit Stellungnahmen zu politischen Tagesfragen an die Öffentlichkeit getreten.”; Siehe auch Shahrough Akhavi, „The Role of the Clergy in Iranian Politics, 1949-1954.“ in Musaddiq, and Oil, hrsg. von James A. Bill und William Roger Louis (London: Tauris, 1988), 93: „[S]ome 2000 clergymen, ranging from grand mujtahids […] to lesser ranking ayatullahs, preachers and students, convended a conference in Qom. Its resolutions forbade clergymen from joining political parties or otherwise engaging in politics.“ Beachte auch die folgende Diskussion Akhavis (ebd., 93–95.) zum offensichtlich ignoranten Umgang Ayatollāh Kāšānīs mit dieser Doktrin. 65

In dieser historischen Konstellation tritt erstmalig Seyyed Rūḥollāh Mūsavī Ḫomeynī (1902-1989)229 ins Rampenlicht der politischen Öffentlichkeit.

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Innerhalb der Gruppe der ʿolamāʾ hatte sich der beim Tode Borūǧerdīs bereits 60- jährige Ayatollāh Ḫomeynī230 in den 50er Jahren den Ruf eines Denkers und frommen Gelehrten erworben, zu Lebezeiten des marǧaʿ-e taqlīd aber die öffentliche Positionierung zu politischen Kontroversen vermieden. Sowohl der Tod Borūǧerdīs als auch das etwa zeitgleiche Ableben des politisch umtriebigen Ayatollāh Kāšānī, gaben ihm nun die Möglichkeit, sich als religiöse Führungsfigur und als politischer Akteur zu positionieren.231

Der politische Anlass hierzu fand sich in dem als „Weiße Revolution“232 bezeichneten Reformprogramm des Shahs und seinem einmal mehr ausgetauschten Premierminister. Nach Zerwürfnissen zwischen ʿAlī Amīnī (der es wagte, das Haushaltsdefizit durch Kürzungen der Rüstungsausgaben beseitigen zu wollen) und

229 Siehe zu einer knappen politischen Biografie vor den 1960er Jahren: Abrahamian, Iran Between two Revolutions, 424–426; eine Gesamtdarstellung bei Baqer Moin, Khomeini: Life of the Ayatollah (London: Tauris, 1999). 230 Beachte: Eine weit verbreitete Ansicht innerhalb der iranistischen Fachliteratur geht davon aus, dass Ḫomeynī erst im Laufe seiner Haft 1963/64 in den Rang eines Ayatollāhs aufstieg, um eine Exekution durch das Regime zu verhindern. Die Quellen lassen aber vermuten, dass er schon früher als solcher nicht nur im engeren Zirkel der schiitischen Rechtsgelehrten, sondern auch in der Öffentlichkeit akzeptiert war. Dies belegt ein Blick in die Tageszeitung am Tag seiner Verhaftung im Juni 1963, wo es in der Eṭṭelāʿāt ausdrücklich heißt, dass „Ayatollāh Ḫomeynī“ verhaftet wurde. Vgl. Eṭṭelāʿāt, 15. Ḫordād 1342 [6. Juni 1963], S. 1. 231 Axworthy, Revolutionary Iran, 62.; Beachte: Axworthy bezweifelt a.a.O. die allgemein vertretene Auffassung, das Ḫomeynī innerhalb des religiösen Establishments erst 1963/64 als marǧaʿ-e taqlīd anerkannt wurde und verweist auf die Entwicklungen in Qom nach Borūǧerdīs Tod: „It has been suggested that other clerics made Khomeini a marja to protect his life when he was arrested at a later stage, but it seems in fact that his elevation to this status occurred in the normal way after Borujerdi’s death. Clerics talked among themselves in Qom over a period of days or weeks and visited each other’s houses. Khomeini’s followers acclaimed him, and his new status was gradually accepted by his most senior peers.” 232 Eigentlich „Enqelāb-e Šāh va Mardom“ („Revolution des Shahs und des Volkes“); Siehe grundlegend zur Weißen Revolution Ansari, „The Myth of the White Revolution: Mohammad Reza Shah, 'Modernization' and the Consolidation of Power“.. Vgl. ebd., 2.: „The 'White Revolution' was intended to be a bloodless revolution from above aimed at fulfilling the expectations of an increasingly politically aware general public as well as an ambitious and growing professional socio-economic group, and as such anticipating and preventing what many considered to be the danger of a bloody revolution from below.” 66 weiten Teilen der politischen Elite des Landes inklusive dem Shah selbst,233 hatte Moḥammad Reżā Šāh im Juli 1962 Asadollāh ʿAlam (1919-1978) das Amt des Premiers übertragen. Dem neuen Kabinett wurde die Ausarbeitung von Gesetzentwürfen zur Umsetzung zentraler Reformvorhaben angetragen. Im Januar 1963 stellte der Shah die entsprechenden sechs Gesetzentwürfe vor, die vorsahen: (1) Die Abschaffung des Feudalsystems und die Umsetzung einer bereits im Januar 1962 durch das Kabinett beschlossenen Landreform. (2) Die Verstaatlichung von Wäldern und Weideflächen. (3) Verkauf und Privatisierung von Staatsbetrieben zur Entschädigung von durch die Landreform betroffenen Großgrundbesitzern. (4) Gewinnbeteiligung für Industrieangestellte. (5) Aktives und passives Wahlrecht für Frauen. (6) Die Implementierung einer Alphabetisierungskampagne und die Einführung der allgemeinen Schulpflicht.234

Für den 26. Januar wurde ein Referendum angesetzt, in welchem die Annahme der entsprechenden Gesetze durch die Bevölkerung bestätigt werden sollte. Hiergegen formierte sich nun jedoch breiter Widerstand: Die in den frühen 60er Jahren neu konstituierte Ǧebhe-ye Mellī,235 die inzwischen wieder weite Teile der Mittelschicht erreichen konnte, beklagte, dass die Gesetzesvorlagen nicht von einer verfassungsmäßig legitimierten Regierung erstellt worden seien und rief daher zu

233 Siehe zu den Gründen Misagh Parsa, „Mosque of Last Resort: State Reform and Social Conflict in the Early 1960s.“ in A Century of Revolution (s. Anm. 210), 144.: „[A]fter fourteen months in office, [Amini] resigned in a dispute with the shah over the amount of military expenditures. Although this issue triggered Amini's resignation, his administration had failed to attract the support of the public and three major actors. His implementation of the IMF- recommended stabilization program adversely affected most social groups and classes. The shah was suspicious of Amini and threatened by his independence; he also disliked the prime minister's flirtation with the Front. The National Front refused to cooperate with him unless he dissolved SAVAK and held free elections. Finally, Amini had failed to obtain U.S. support in his disagreement with the shah over military expenditures. He expected that the United States would come to his aid, but this backing did not materialize. On his trip to the United States, the shah had already cut his deal; U.S. officials realized that Amini lacked a social base of support and that he could not establish political authority in the face of challenges from landlords, the National Front, and the shah and his military.” 234 Afkhami, The Life and Times of the Shah, 231. 235 Siehe zur „zweiten Nationalen Front“ Siavoshi, Liberal Nationalism in Iran, 89: „The second National Front was organized in response to the temporary retreat of dictatorship. The relaxation of repression provided the opportunity for the National Front to resurface. Like the first National Front the second National Front was composed of both individuals and several parties: the Iran Party, the People of Iran Party, the Mellat Iran Party, and the Socialist Party (a splinter of Maleki’s third Force […]).” 67

Demonstrationen und zum Boykott des Referendums auf.236 Am 22. Januar kam es zur Schließung des Bazars, der lang erprobten und häufig genutzten Waffe zivilen Ungehorsams im modernen Iran. Die von der Nationalen Front für den 25. Januar einberufene Demonstration wurde verboten und zerschlagen, zugleich wurde nahezu die gesamte Führungsriege festgenommen, sodass am Ende des Tages 400 Mitglieder der Ǧebhe-ye Mellī inhaftiert waren.237 Einen Tag später kam es zu dem Plebiszit, das mit großer Mehrheit angenommen wurde.

Gleichwohl: Es hatten nicht nur die Anhänger der Nationalen Front protestiert – deren konstitutionelle Rhetorik seit Moṣaddeq einen Protest immer dann erwarten ließ, wenn es um die Einforderung demokratischer Prinzipien ging238 – sondern es offenbarten sich in den Tagen rund um das Referendum völlig neue politische Konstellationen, welche die Erfahrungen von 1953 keineswegs zitierten – im Gegenteil: sie wurden gespiegelt und ihre Vorzeichen umgekehrt. Der Ort, an dem dies sichtbar wurde, war einmal mehr die Straße: Arbeiter und Bauern äußerten in Demonstrationen vor dem Tag des Referendums in der Hauptstadt ihre Unterstützung für den Shah und sein Reformprogramm.239 Tatsächlich wurden vonseiten des Regimes Busse voll mit Landarbeitern und Arbeitern aus den Provinzen in die Hauptstadt gefahren, um die Hoheit über die Straße von Anfang an sicherzustellen.240 Im Gegensatz dazu artikulierten sich die traditionsbezogenen

236 Axworthy, Revolutionary Iran, 62. 237 Siehe hierzu eingehend das Interview in der Iranian Oral History Collection mit Noṣṣratollāh Amīnī, dem Anwalt Moṣaddeqs, der Führungsmitglied der zweiten Nationalen Front war. Vgl. Amīnī, Noṣṣratollāh, 11. Mai 1983 in Iranian Oral History Collection, Harvard University, hrsg. von Habib Ladjevardi, transcript 3, 6–8. 238 Siehe zum Programm der zweiten Nationalen Front Siavoshi, Liberal Nationalism in Iran, 89– 90.: „The second National Front had three principal objectives: (1) to restore the basic individual and social rights of the Iranian people guaranteed by the 1906 Constitution, (2) to establish a legal government through free public elections, and (3) to adhere to an independent foreign policy, which although in accord with the charter, would give priority to Iran’s national interests. According to the second National Front’s constitution, no socioeconomic reforms were possible without the achievement of these three goals. Thus political goals were given clear priority over socioeconomic reforms.” 239 Afkhami, The Life and Times of the Shah, 237. 240 Beachte: Auch hier gilt – ähnlich wie bei den Diskussionen um den 28. Mordād – die Herkunft und Intention der Schlägerbanden sind ständiger Gegenstand von Kontroversen. Meist wird von der betroffenen Seite argumentiert, dass es sich um bezahlte Rowdies gehandelt hätte. So etwa in der Beschreibung der Ereignisse durch den Moṣaddeq-nahen Homa Katouzian (Katouzian, Musaddiq and the Struggle for Power in Iran, 238): „The university students in Teheran were also restless, and this time bus-loads of hirelings – described as ‘workers and peasants, angry with the students’ opposition to their liberation’ – were sent in by the regime 68 und religiösen Segmente der Gesellschaft in anti-Shah-Begrifflichkeiten. So war die Schließung des Bazars weniger ein Verdienst des Aufrufes der Nationalen Front, sondern vielmehr einer sich neu formierten Koalition,241 die sich hinter den in die Öffentlichkeit getretenen Ayatollāh Ḫomeynī gruppierte, der sich sowohl gegen die Reformvorhaben der „Weißen Revolution“ als auch gegen die Durchführung des Referendums aussprach.242 Die Prinzipien des Referendums richteten sich nach seiner Auffassung gegen den Islam (rhetorischer Hauptangriffspunkt war hier das Frauenwahlrecht243); Dessen Implementierung sei daher als ein krimineller Akt zu bewerten.244

Zu ersten kleineren Zusammenstößen zwischen ṭollāb (Studenten der schiitischen Religionslehren) und den Sicherheitskräften kam es bereits am 24. Januar in der heiligen Stadt Qom nahe Teheran,245 welche das Zentrum schiitischer Gelehrsamkeit in Iran darstellt und in der auch Ḫomeynī bis 1964 lehrte. In den Monaten nach dem mit großer Mehrheit angenommenen Referendum246 radikalisierte sich aber sowohl das Vorgehen des Regimes gegen die sich neu formierende islamische Opposition, als auch die Rhetorik des in der Öffentlichkeit zunächst noch recht unbekannten Ḫomeynī,247 und richtete sich – zunächst in Telegrammen, später in öffentlichen Reden – direkt an den Shah.

to beat them up with sticks and clubs.” 241 Vgl. Axworthy, Revolutionary Iran, 62: „A loose association called the Coalition of Islamic Societies, formed largely of bazaaris with clerical leadership, came together to support Khomeini.” Beachte auch Misagh Parsa, „Mosque of Last Resort: State Reform and Social Conflict in the Early 1960s.“ in A Century of Revolution (s. Anm. 210), 148., der die sich verfestigende Koalition aus bāzārīs und den ʿolamāʾ nach den Ereignissen des Januar 1963 als Folge des Wegbrechens der Nationalen Front interpretiert. 242 Vgl. ebd., 150: „He condemned virtually all the features of the White Revolution and their broader implications for Iran's place in the world. A central theme of many of these attacks was Khumaini's concern for the position of the clergy and Islam, both of which he believed to be threatened by the reforms. Women's suffrage and equality were rejected as a Baha'i principle. Land reform was opposed in part because of a lack of support for it within the agrarian sector, and in part for its perceived negative economic consequences. Even the referendum organized by the shah was condemned as against the interests of the nation.” 243 Vgl. Ansari, Modern Iran, 200. 244 Afkhami, The Life and Times of the Shah, 233. 245 Ebd., 232. 246 Über die Frage, ob das Ergebnis gefälscht war oder aufgrund des Boykotts der Opposition mit nahezu 99%iger Zustimmung angenommen wurde, herrscht Unklarheit. Abrahamian bezeichnet die Zahlen im Angesicht der folgenden historischen Umstände wohl zu Recht als absurd. Abrahamian, Iran Between two Revolutions, 424. 247 Vgl. hierzu Afkhami, The Life and Times of the Shah, 233: „Khomeini was not a known 69

Am Tag nach der iranischen Neujahrsfeier vom 21. März 1963 eskalierte die Auseinandersetzung der beiden Männer, die in den folgenden 16 Jahren historische Dimensionen annehmen sollte, zum ersten Mal. Der Shah versprach in seiner Neujahrsansprache der Bevölkerung seines Landes Prosperität, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit.248 Ḫomeynī hingegen hatte schon am 14. März das Neujahrsfest zu einer Zeit der Trauer und des Klagens erklärt, da die „herrschenden Kräfte“ alle Mühen daransetzen würden, den Islam zu gefährden.249 Für den 22. März waren zudem Gedenkfeiern zum Tod des sechsten Imams der zwölferschiitischen Rechtsschule, Ǧaʿfār aṣ-Ṣadīq (gest. 765), in der als Heiligtum wahrgenommenen Koranschule Faiżīyeh in Qom geplant, sodass sich einerseits ein Ort des gemeinsamen und islamisch definierten Protestes gegen den Shah bot, andererseits Protestort und –zeit in einer Weise vorhersehbar waren, die es dem Regime ermöglichte, sich entsprechend zu wappnen. Die Sicherheitskräfte – bestehend aus Polizeieinheiten und als Pilger getarnten SAVAK-Agenten – attackierten die Trauernden und schlugen mit Knüppeln auf sie ein. Die Zahl der Verletzten und Toten unter den ṭollāb ist zwar unklar,250 die kurz- und

commodity outside the clerics and certain groups in the bazaar. Many people in the government did not know him at all. Alinaghi Alikhani, soon to become Alam’s minister of economy, had not heard of Khomeini, though he was politically savvy and had worked as an analyst on SAVAK’s foreign relations bureaus. On the other hand, almost everyone knew of the Grand Ayatollahs, such as the late Borujerdi, Hakim, Shari`atmadari, Golpayegani, Kashef- ul-Qita`, and the like. Although most of these ayatollahs did not favor Khomeini’s radical approach, given the clerical culture, most of them felt obliged to support him in public.” 248 Ebd. 249 Siehe The Ministry of Islamic Guidance - The Islamic Republic of Iran, The Messages of the Imam of the Umamat: The Sparks that Lit the Movement: Khordad 15, 1342 (June 5, 1963) (Tehran: Mahjubah Magazine, 1981), 9–10. 250 April Summit (in „For a White Revolution: John F. Kennedy and the Shah of Iran“, 571) geht unter einem unklaren Verweis auf Abrahamian davon aus, dass ein Student getötet worden sei und „einige andere“ verwundet. Ebenso Vanessa Martin (in Creating an Islamic State, 62). Misagh Parsa (in „Mosque of Last Resort: State Reform and Social Conflict in the Early 1960s.“ in A Century of Revolution [s. Anm. 210], 150) und Michael Axworthy (in Revolutionary Iran, 62) gehen von „einigen“ Getöten und Verwundeten aus. Nach der offiziellen Darstellung der Islamischen Republik Iran jedoch handelte sich es um ein Massaker; vgl. The Ministry of Islamic Guidance - The Islamic Republic of Iran, The Messages of the Imam of the Umamat: The Sparks that Lit the Movement, 11–13.. Ḫomeynī selbst gab in seiner Trauerrede vom 03. April 1963 an, die genaue Zahl der Getöteten nicht zu kennen: „During these past forty days, we have been unable to obtain a precise count of the dead, the wounded, and those whose property has been plundered. We do not know how many people have been buried, how many are languishing in dungeons, how many have gone into hiding.” (Ruhollah Khomeini, „April 3, 1963 - In Commemoration of the Martyrs at Qum.“ in Islam and Revolution: Writings and Declarations of Imam Khomeini, 174–176 (Berkeley [Calif.]: Mizan Press, 1981), 174). 70 mittelfristigen Auswirkungen dieser Auseinandersetzung waren jedoch immens. Dies zeigte sich auf der argumentativen Ebene, als Ḫomeynī in seiner Rede zu Ehren der Opfer am 3. April 1963 anlässlich des 40tägigen schiitischen Trauerrhythmus den Shah wiederholt inkriminierte, seine „bösen Absichten“ gegen den Islam herausstrich251 und ihn gar beschuldigte, persönlich die Angriffe in Qom befohlen zu haben.252

Die Rhetorik Rūḥollāh Ḫomeynīs verschärfte sich noch einmal im Juni desselben Jahres, der mit dem islamischen Monat Muḥarram zusammenfiel, dessen politische Brisanz Vanessa Martin unter Hinweis auf die für die Schiiten bedeutsamen historischen Prozesse des Jahres 680 treffend zusammenfasst:

„Muharram [is] the month of mourning, when religious fervour is greatest over the passion and martyrdom of the Imam Husain. The ninth and tenth days of the month, Tasu'a and 'Ashura, mark the prelude to the tragedy and the death of the Imam at Karbala in an attempt to overthrow the usurper, Yazid, and restore just government. The religious ceremonies and dramatic performances (rauza khwan and taziyya), usually attended by large crowds, are a perennial re-enactment of courage, martyrdom and resistance to an unjust state. From the point of view of mobilization of opposition to the state, this period had always been recognized as potentially inflammatory because popular passions run high.“253 In der durch den Monat bedingten angespannten und religiös aufgeladenen Athmosphäre rund um die ʿāšūrāʾ-Feierlichkeiten hielt Ḫomeynī am 3. Juni 1963 (10. Muḥarram 1383,254 ʿāšūrāʾ) seine berühmt gewordene Rede in der Feiżīyeh in

251 Ebd., 175: „I have repeatedly pointed out that the government has evil intentions and is opposed to the ordinances of Islam. One by one, the proofs of its enmity are becoming clear.” 252 Ebd.: „Everyone, from the Prime Minister down to the police chief and the governor of Qum, tell us in effect: ‘We received orders from His Imperial Majesty. The crimes at Fayziya Madrasa were committed on his orders. The wounded were expelled from the hospitals on his orders, and it was he who commanded us to attack your homes with commandos and whores and to plunder your homes if you attempted to do anything in response to Ayatullah Hakim. It is also His Imperial Majesty’s command that we seize and forcibly draft the tullab, without the slightest legal justification. Furthermore, it is the command of His Imperial Majesty that we attack the university and assault the students.’” 253 Martin, Creating an Islamic State, 63.; Vgl. eine übersichtliche Zusammenfassung der Bedeutung des Monats im schiitischen Kontext bei Mohammad Amjad, „Shi'ism and Revolution in Iran.“ Journal of Church and State 31, Nr. 1 (1989): 35–53. 254 Beachte: Hier handelt es sich um die arabische Monatsbezeichnung des islamischen Kalenders, der mit der Auswanderung des Propheten von Mekka nach Medina beginnt. Nach diesem auf dem Sonnenzyklus basierenden Kalender richten sich die religiösen Feiertage auch in Iran. Der iranische Kalender kombiniert jedoch den Mondzyklus des alten persischen 71

Qom, in welcher er das „tyrannische Regime Irans“ und seinen vermeintlichen Kampf gegen die ʿolamāʾ in direkten Zusammenhang zur historischen Auseinandersetzung des dritten Imāms der zwölferschiitischen Rechtsschule, al- Ḥusayn b. ʿAlī (626-680), mit dem verhassten Tyrannen Yazīd b. Muʿāwiya (644- 683) stellte. 255 Weiter attackierte er die USA und diskreditierte den Shah als Handlanger Israels. 256 Auf dem Höhepunkt der persönlichen Anfeindung rief er dem Shah entgegen: „Du elender Gauner! 45 Jahre deines Lebens sind nun vorbei. Ist es nicht Zeit, ein bisschen zu reflektieren und nachzudenken? Ein bisschen darüber nachzugrübeln, wo dich das alles hinführen wird?“257

Am Morgen des 5. Juni (15. Ḫordād 1342) wurde Rūḥollāh Ḫomeynī in Qom festgenommen und nach Teheran verbracht.258 Im Laufe des Vormittages begannen gewalttätige Proteste in Teheran, Qom, Shiraz, Isfahan und Mashad,259 woraufhin das Militärrecht verhängt wurde und Sicherheitskräfte mit aller Härte gegen die sich

Kalenders und übernimmt dessen Monatsbezeichnung. Die Zeitrechnung beginnt ebenfalls mit der Auswanderung des Propheten. Hiernach fällt der 3. Juni 1963 mit dem 13. Ḫordād 1342 zusammen. 255 Ruhollah Khomeini, „June 3, 1963 - The Afternoon of 'Ashura.“ in Islam and Revolution: Writings and Declarations of Imam Khomeini, 177–180 (Berkeley [Calif.]: Mizan Press, 1981), 177. 256 Ebd., 177–178. 257 Ebd., 179. 258 Vgl. Eṭṭelāʿāt, 15. Ḫordād 1342 [6. Juni 1963], S. 1; Ḫomeynī wurde im April 1964 aus der Haft entlassen und im Oktober 1964 des Landes verwiesen. Siehe hierzu Martin, Creating an Islamic State, 64: „Senior members of the 'ulama, including Shari'atmadari and Hadi Milani, made representations on behalf of Khomeini, and the government relinquished their intention to try him. Khomeini’s students also worked tirelessly for his release, writing and distributing a declaration of protest. In April 1964 Khomeini was finally released and allowed to return to Qum after ten months’ incarceration. Despite reports that he had promised to be conciliatory, Khomeini maintained his criticism of the government, which he designated as bullying and anti-Islamic. He also demanded government according to Islamic principles. Battle was soon rejoined over the status of the forces law, which extended diplomatic immunity to the personnel of US military advisory missions and their families. Similar to the old capitulations of the Qajar period, with which it was identified by the opposition, the law placed Americans resident in Iran outside Iranian law and implied a humiliating loss of sovereignty. In October 1964 the assembly approved a $200 million loan from the USA for arms purchases immediately after agreeing to the status of the forces law, and the two measures were believed to be connected. Khomeini made an impassioned speech against the law, saying that it reduced Iran to little more than a colony, and lamenting that such a measure could not be passed in a government influence by the 'ulama. Khomeini’s views were taped and distributed in leaflets. Within days he was arrested and exiled to Turkey, residing first in Ankara and then in Bursa. A year later, in October 1965, he was permitted to change his place of banishment to Najaf, where he remained until 1978.” 259 Vgl. Eṭṭelāʿāt, 16. Ḫordād 1342 [7. Juni 1963], S. 1. 72 nun in religiösen Begrifflichkeiten ausdrückende Straße vorgingen. Die Unruhen wurden durch das massive Eingreifen von Polizei und Militär mit der Nacht vom 5. auf den 6. Juni niedergeschlagen und forderten hunderte Todesopfer.260 Die Ereignisse hatten (stark vereinfacht) diesmal jedoch aufgrund von drei Besonderheiten nicht das Potential, einen Umsturz herbeizuführen: Erstens reichte die Festnahme des in religiösen Zirkeln zwar akzeptierten, in der breiteren Öffentlichkeit aber noch nicht bekannten Rechtsgelehrten nicht aus, um über die religiösen Netzwerke hinaus zu mobilisieren – zumal fraglich ist, ob die stark islamisch konnotierte Agitation gegen die Reformpläne des Shahs 1963 überhaupt über die religiösen Zirkel hinaus Mobilisierungspotenzial entfalten konnte.261 Zweitens gab es selbst in der radikalen Rhetorik Ḫomeynīs noch keinen Ruf nach der Abschaffung der Monarchie, sondern zunächst nur den Aufruf an den Shah, wachsam zu sein, sich nicht instrumentalisieren zu lassen und sich und seinen Regierungsstil zu bessern. Die Rede des Gelehrten liest sich im Ganzen wie eine Warnung vor drohendem Ungemach, nicht wie ein Aufruf zur Revolution.262 Drittens konnte der Shah auf die Geschlossenheit seiner Sicherheitsorgane – Militär, Polizei, SAVAK – diesmal uneingeschränkt vertrauen, sodass die mobilisierten oppositionellen Kräfte die Hoheit über die Straße nicht mehr für sich gewinnen konnten.263 Eine Kombination von Faktoren, die der gut zwei Jahrzehnte

260 Abrahamian, Iran Between two Revolutions, 426. 261 Beachte: Dies bedarf noch wissenschaftlicher Diskussion. Abrahamian (ebd.) schreibt etwa: „The regime weathered the storm, however. The riots did not spread to the other towns. The civil servants and the industrial workers, especially the oil workers, failed to organize a general strike.” Es stellt sich hier jedoch die Frage, ob gerade die Arbeiterschaft überhaupt an einem Streik oder der Teilnahme an den Protesten interessiert war. Es ist fraglich, ob die islamisch motivierte Argumentation gegen die Reformen zu ihren Gunsten überhaupt die Unterstützung der einfachen Arbeiter und Landarbeiter gefunden hat. Afkhami etwa konstatiert: „The fact was that in 1963, despite the ferocity of the riots, a majority of the people, including workers and peasants, were with the shah. He had embarked with them on a path that contained much promise.” (Afkhami, The Life and Times of the Shah, 237); Baqer Moin hingegen berichtet: „The next day, 4 June, the demonstrations and slogans were repeated. Students now joined in, and support for Dr Mosaddeq surfaced as his name was added to, and, in some cases, put before that of Khomeini.” (Moin, Khomeini, 106). 262 Vgl. nur Ruhollah Khomeini, „June 3, 1963 - The Afternoon of 'Ashura.“ in Islam and Revolution (s. Anm. 255), 179.: „I hope to God that you did not have in mind the ‘ulama and the religious scholars when you said, ‘The reactionaries are like an impure animal,’ because if you did, it will be difficult for us to tolerate you much longer, and you will find yourself in a predicament. You won’t be able to go on living; the nation will not allow you to continue this way.” 263 Beachte: Allein die Tatsache, dass der gesamte Führungszirkel der Nationalen Front inhaftiert 73 andauernden Phase der rigorous street contention264 von 1941 bis 1963 im modernen Iran ein Ende setzte.

2.2 Epochenumbruch: Neue Politikstile nach 1963

Die Niederschlagung des Aufstandes vom 15. Ḫordād markiert nach hier vertretener Auffassung in mehrfacher Hinsicht einen Paradigmenwechsel im modernen Iran und einen Epochenumbruch265 innerhalb der Regentschaft Moḥammad Reżā Šāhs: Zunächst gipfelt in ihr die erfolgreiche Verdrängung aller größeren oppositionellen Konfigurationen – ein Prozess, der mit dem Verbot der Tūdeh 1949 eingeläutet wurde. Der Coup d’étàt von 1953 markiert hier zunächst aber den Sieg über die unterschiedlichen säkularen und anti-royalistische Bewegungen und Protagonisten, die zwar zum Teil später wieder in die Regierungsführung kooptiert wurden, deren Bewegungsspielraum aber immer beschränkt blieb. In der Folge des Coups wurde zudem die Macht der sich im Untergrund befindlichen Tūdeh erheblich beschnitten und auch hier die entscheidenden Protagonisten neutralisiert. Zudem wurden ihr durch die Implementierung der gezielt auf das Thema der sozialen Ungleichheit ausgerichteten Reformen der Weißen Revolution diskursiv die zentralen Angriffspunkte gegen das Regime genommen, sodass sie erheblich an Unterstützung auch innerhalb der Arbeiterschaft verlor. Das entstandene oppositionelle Vakuum wurde nur kurz durch eine traditionsbezogene islamisch motivierte Bewegung

war, lässt Amīnī davon ausgehen, dass es sich bei der Revolte um eine Verschwörung des SAVAK handeln müsse. Die Idee einer tatsächlich vorhandenen islamischen Opposition zu diesem Zeitpunkt kommt ihm gar nicht in den Sinn. Vgl. in Iranian Oral History Collection, Harvard University (s. Anm. 237), 8.: „Die Ereignisse des 15. Khordad waren zu 100% die Arbeit des SAVAK, aber das Volk ist darauf reingefallen.“ 264 Vorschlag des Autors zur Terminologisierung im Rahmen eines Vortrages (Olmo Gölz, „Racketeers in Pahlavi-Iran and Configurations of Masculinity“, Princeton 2016). 265 Der Begriff ist Reinhard Schulze (Reinhard Schulze, „Irhal - "Hau ab": Auf den Wegen zur arabischen Revolte 2011 - sozialgeschichtliche Kontexte eines Epochenbruchs.“ in Der Arabische Frühling: Hintergründe und Analysen, hrsg. von Thorsten Gerald Schneiders, 17–32 [Wiesbaden: Springer Fachmedien, 2013]) entlehnt. In Absetzung von Hans Blumenbergs „Epochenbruch“ (Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Wiss. Sonderausg., 1. - 3. Tsd [Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1966], 188) schreibt Schulze a.a.O.: „Blumenbergs ‚Epochenbruch‘ ist begrifflich radikaler als die Bezeichnung ‚Epochenumbruch‘. Bei ‚Epochenumbruch‘ belässt der metaphorische Sinn die Epoche als Rahmen, so wie ein Stück Land umgebrochen wird, wenn es mit dem Pflug aus einer Grünwiese zu einem Ackerfeld gemacht wird […]. Der Epochenumbruch lässt offen, ob sich der Wandel innerhalb einer Epoche vollzieht oder ob er eine neue Epoche einleitet.“ 74 besetzt, die sich hinter Ḫomeynīs radikaler Rhetorik formierte, jedoch erst Ende der 70er Jahre ihre volle Schlagkraft entfalten sollte. Der ʿāšūrāʾ-Protest muss daher eher als ein dem Regime willkommener Anlass bezeichnet werden, um diese neue, islamisch motivierte Opposition umgehend zur Raison zu bringen – und gleichzeitig sich den Tod des obersten Rechtsgelehrten Ayatollāh Borūǧerdī nutzbar zu machen, dessen Position zunächst nicht adäquat und konsensfähig ausgefüllt wurde, sodass keine zwischenmenschlichen Verpflichtungen den Shah mehr bei der Umsetzung seiner Reformpläne beschränkten.

In der Folge wurden die Maßnahmen zur Zentralisierung der Herrschaft des Shahs weiter vorangetrieben, sodass Marvin Zonis 1971 feststellt, dass die politische Kultur Irans durch zwei politische Akteure geprägt ist, nämlich Moḥammad Reżā Šāh selbst und die Angehörigen seiner politischen Elite.266 Der Shah vertraute hier einem immer kleiner werdenden Zirkel von „friends and sycophants“267 und bündelte schließlich das Gros der politischen Macht in seiner Person. Diese Beobachtungen, die sich auf die späten 60er Jahre beziehen, sind hier nicht Gegenstand der Untersuchung und sollen nicht weiter verifiziert werden. Vielmehr ist darauf hinzuweisen, dass dieser Bündelung der politischen Macht in der Person des Shahs die Prozesse der oben dargestellten gut zwei Jahrzehnte vorausgegangen sind, in denen die Natur der Macht des Herrschers – oder gar überhaupt seine Berechtigung – deutlich massiver in Frage gestellt wurde, als dies für die Jahre nach 1963 zu konstatieren ist. Die hier nachfolgende Besprechung insbesondere des Beispiels Neʽmatollāh Naṣīrīs wird jedoch darüber hinaus zeigen, dass die von Marvin Zonis beschriebenen Entwicklungen nicht lediglich nach 1963 einsetzten, sondern vielmehr Ergebnis eines eben diese zwei Jahrzehnte dauernden Verhärtungsprozesses waren, an dessen Ende sich das Racket des Shahs durchsetzte. Die entsprechenden Entwicklungen können dabei an der Karriere sowie dem Auf- und Abtreten unterschiedlicher Akteure nachvollzogen werden, sodass die auf 1963 folgenden akteursbezogenen Maßnahmen – hier sei auf die Exilierung Ḫomeynīs, die Beförderung General Naṣīrīs, die Versetzung General Pakravāns ins Ausland, den Hausarrest gegen Moṣaddeq oder die Marginalisierung

266 Zonis, The Political Elite of Iran, 9. 267 Ansari, Modern Iran, 206. 75 zahlreicher vormaliger Verbündeter verwiesen – als Prozess der „Verhärtung nach unten zu“ von einer Organisation „mit der Spitze nach oben“ (hier also das höfische Patronagesystem mit dem Shah als Spitze) im Sinne Horkheimers zu verstehen ist.268

Über diese ersten Feststellungen, die in der vorliegenden Studie weiter verifiziert werden sollen, hinaus gibt Misagh Parsa in seiner Evaluation der Ereignisse um die ʿāšūrāʾ-Proteste weitere entscheidende Hinweise, worin sich der erwähnte Epochenumbruch manifestierte:

„At the conclusion of the conflicts of June 1963, the shah was the sole winner. Weaknesses within the opposition and the lack of effective coalition formation enabled the government to repress the opposition. This repression effectively put an end to popular mobilization and collective action until the revolutionary period of 1977-79. The shah centralized his power at the expense of other social groups, in particular the landed upper class, his traditional basis of support.”269 Danach endete mit dem Aufstand von 1963 also zunächst nicht nur eine Phase der politischen Auseinandersetzungen über das Wesen des royalen Systems, sondern es fand auch eine Phase ihr Ende, in der ein spezifisches politisches Ausdrucksmittel in den unterschiedlichen Situationen und Anlässen historisch nachhaltige Wirkung entfalten konnte: die Gewalt der Straße. Für die Jahre nach dem Einmarsch der Alliierten Truppen in Iran galt noch jener zum analytischen Ausgangspunkt dieser Studie erhobene Ausspruch Moǧtaba Zādeh-Moḥammadīs, dass alle politischen Fraktionen und Individuen auf die Dienste gewalttätiger „Vagabunden und Raufbolde“ zur Durchsetzung der eigenen politischen Ziele angewiesen waren.270 Ausdrücklich bezieht Zādeh-Moḥammadī den Shah hier mit ein, wenn er schreibt, dass nicht nur bestimmte Segmente der Teheraner Gesellschaft sich auf das „Lumpenproletariat“ verließen, sondern auch der Hof selbst: „Der Shah, Angehörige des Hofes, Minister und Parlamentsabgeordnete waren ihrerseits zu den unterschiedlichsten Perioden und Anlässen auf die Dienste der lūmpan angewiesen.“271

268 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 288. 269 Misagh Parsa, „Mosque of Last Resort: State Reform and Social Conflict in the Early 1960s.“ in A Century of Revolution (s. Anm. 210), 137. 270 Zādeh-Moḥammadī, Lompen-hā dar siyāsat-e ʽaṣr-e pahlavī, 100. 271 Ebd., 112. 76

Diese Praxis fand spätestens nach 1963 ein Ende, als nicht nur der Sicherheitsapparat ausreichend stark und ausgebaut war, dieser Unterstützung von unten nicht mehr zu bedürfen – anders als noch zu den turbulenten Zeiten des Coups von 1953, als die entsprechenden Kräfte einen wesentlichen Beitrag zum Sturz Moṣaddeqs beitrugen und beitragen mussten. Die 22 Jahre nach 1941 können daher als eine Periode der rigorous street contention bezeichnet werden, deren Ende in der Revolte von 1963 zu verorten ist und die gleichsam eine Periodisierung, wie hier vorgenommen, legitimiert.

Gleichwohl: Auch die Tatsache, dass ein bestimmter politischer Stil – hier eben die Interaktion mit der Straße –, wie ihn beispielsweise Moḥammad Moṣaddeq zunächst meisterhaft für sich zu nutzen wusste, bevor er dann am selben Phänomen grandios scheiterte, ab einem bestimmten Moment in der iranischen Geschichte für einige Jahre nicht mehr gepflegt wurde, ist nicht nur der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstandes vom 15. Ḫordād geschuldet. Auch hier gilt, dass dieser Moment in der Geschichte Irans Ergebnis eines längeren Prozesses ist – eines Prozesses, der ebenso wie die Geschichte der Verhärtung des Rackets des Shahs an den Geschichten und Karrieren einzelner Personen festzumachen ist. Die in dieser Untersuchung folgenden Darstellungen der Akteure Šaʽbān Ğaʽfarī und Ṭayyeb Hāğğ Reżāʼī greifen die zugrundeliegenden Prozesse auf und sind zugleich dazu geeignet, diese paradigmatisch zu veranschaulichen.

Einen entscheidenden Faktor in den historischen Entwicklungen, die in der vorangestellten Periodisierung evaluiert wurden, stellte darüber hinaus die Konsolidierung und Ausdehnung des Machtzugriffes Moḥammad Reżā Šāhs über die Ausweitung des Sicherheitsapparates dar. Auffällig ist, dass in den Nachkriegsjahren bis zu den Aufständen des Jahres 1963 dem Militär dabei maßgeblich eine innenpolitische Bedeutung zukommt. So konstatiert etwa Sepehr Zabih in seinem Buch The Iranian Military in Revolution and War treffend:

„The period during which the military functioned primarily as an instrument of maintaining internal order began in 1945 and terminated in 1963. The armed forces were at least marginally involved in the diplomatic solution of the Azarbayjan-Kurdestan crisis in 1945-6, and again in 1953 when they participated in a coup d’état to overthrow the Nationalist regime of Dr Mossadegh. The military’s most important test occurred during the religious uprising of 1963. Unlike the last phase of

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the revolutionary upheaval in 1978-9, the armed forces had joined the police and the SAVAK to quell that religious uprising in a decisive and systematic manner.”272 Dieser Beobachtung und dem damit einhergehenden Perspektivwechsel auf der Akteursebene folgend, stellten die ʿāšūrāʾ-Proteste von 1963 nicht nur ein Ende des populär-politischen Mittels der Mobilisierung von Gewaltakteuren auf der Straße dar, sondern auch eine Neuausrichtung des Sicherheitsapparates und der innenpolitischen Bedeutung des Militärs.273 Es sollte sich zeigen (und dies deutete sich bereits 1963 an), dass der SAVAK nun jene innenpolitischen Funktionen übernahm, die vorher vom Militär ausgeübt wurden – auch für dieses Phänomen steht der Name Neʽmatollāh Naṣīrī paradigmatisch, wie das folgende Kapitel ausführen wird.

Diese Erkenntnisse führen zu der Wahrnehmung der Prozesse von 1963 als einen Epochenumbruch. Es handelte sich nicht um einen radikalen Bruch – der viel eher eine komparative Erzählung des Davor und Danach erforderlich machen würde – sondern in mehrfacher Hinsicht um einen Umbruch in der Regentschaft Moḥammad Reżā Šāhs, der in erster Linie zu einem neuen „Politikstil“ führte, nämlich der unumstrittenen Herrschaft des Shahs und seiner Elite. Die Durchsetzung dieses Politikstils ist jedoch das Ergebnis eines erfolgreichen Kampfes gegen dessen Anfechtung. Davon erzählen die Jahre 1941 bis 1963 und die in ihre Geschichten verwobenen Akteure.

272 Zabih, The Iranian Military in Revolution and War, 7–8. 273 Beachte diesbezüglich auch den wichtigen Hinweis Fred Hallidays, dass das Militär relevante ökonomische und soziale Rollen in Iran übernahm. Halliday, Iran: Dictatorship and Development, 71: „In addition to its role as the instrument of political repression [Beachte: Auch Halliday sieht 1963 einen Wandel im Bezug auf diese Funktion, (Vgl. ebd., 76), OG] the Iranian military apparatus plays a major economic and social role.” 78

3 Das Racket-Prinzip – Der power-broker Neʽmatollāh Naṣīrī

In der oben vorgenommenen Darstellung der politischen Kultur Irans zwischen 1941 und 1963 ist deutlich geworden, dass zum einen vor 1953 lediglich die Tūdeh- Partei sich im Stile einer Massenpartei organisierte, wobei die weiteren Parteien und politischen Gruppierungen sich an Personenkonstellationen ausrichteten. Zum anderen kam nach 1953 den organisierten Parteien schlicht keine nachhaltige Rolle mehr im politischen Alltag zu274 – von einer kurzen Phase Anfang der 1960er Jahre einmal abgesehen, als der Shah die Neukonstituierung der zweiten Nationalen Front zuließ, dem jedoch durch die Festnahmen der Führungsriege im Januar 1963 umgehend wieder ein Ende bereitete.

Die Atmosphäre der späten 50er Jahre wird durch den Zeitzeugenbericht von Desmond Harney (1929-2001) anschaulich zusammengefasst. Harney war Mitglied im britischen diplomatischen Dienst und verbrachte seinen ersten dienstlichen Aufenthalt in Iran von 1958 bis 1964 an der Botschaft seines Landes in Teheran.275 In seinem Interview für die Iranian Oral History Collection der Harvard University kommt sein damaliges Unbehagen über die Versetzung als junger Diplomat nach Iran zum Ausdruck. Harney ging davon aus, dass er in eine Diktatur versetzt werde und führt entsprechend aus: „I was a little worried in going to Iran at the beginning […]. And I was rather apprehensive about going to a country that was an autocracy and that people said was a dictatorship, and things kind of this.”276 Harney erläutert weiter, dass bereits zu jener Zeit Moḥammad Reżā Šāh in der westlichen

274 Siehe hierzu auch das Interview mit dem Diplomaten Desmond Harney in der Harvard Iranian Oral History Collection. Für 1958 schildert er, dass er zunächst dachte, es gäbe gar keine anderen Parteien oder politische Organisationen als die im Untergrund befindliche Tūdeh: „[T]he Tudeh Party had been repressed and broken up after 28th Mordad, but was still a subversive force and the Russians were behind it. But it began to strike me […] that the sort of elements that I was used to looking at in England – or in Europe – didn’t seem to exist. The […] Liberals, moderate socialists, and the like. And, not because anyone asked me at the Embassy, but privately, I began to think, well, ‘Don’t these people exist here?’ And partly through personal friendships with – you meet people who are like-minded – and through friends, and at parties, and the like, I became aware that these other groups existed.” (Harney, Desmond, 15. Oktober 1985 in Iranian Oral History Collection, Harvard University, hrsg. von Habib Ladjevardi, sec. 1. http://pds.lib.harvard.edu/pds/view/2861613?buttons=y (letzter Zugriff: 13. Juni 2015), sec. 1, 6-7). 275 Siehe eine kurze Biografie des Diplomaten bei: „Obituaries: Desmond Harney.“ The Telegraph, 09. Jan. 2001. http://www.telegraph.co.uk/news/obituaries/1313849/Desmond-Harney.html (letzter Zugriff: 7. August 2016). 276 In Iranian Oral History Collection, Harvard University (s. Anm. 274), sec. 1, 4. 79

Öffentlichkeit als Popfigur bekannt war – nach seiner eigenen Wahrnehmung gar als „oriental Kennedy“277 –, dass man über die Bedingungen in Iran selbst jedoch nur unzureichend informiert gewesen sei. Bei seiner Ankunft fand er folglich auch nicht die erwartete „stabile Diktatur“ vor, sondern ein Land, welches sich nach den Beobachtungen des Diplomaten von den traumatischen Ereignissen des Sturzes von Moṣaddeq erholte, mit einem Shah an der Spitze, der sich im andauernden Prozess der Etablierung seiner Herrschaft befand.278

Desmond Harney beobachtete außerdem, dass in den Diskussionen innerhalb des diplomatischen Dienstes dem politischen Establishment Irans keine übergeordnete Rolle zukam – nicht einmal dem Premierminister selbst.279 Stattdessen galt die Aufmerksamkeit einer Reihe von „power-brokern“, die ihren Einfluss insbesondere auf die Besetzung von Schlüsselpositionen im Sicherheitsapparat zurückführen konnten. Er führt entsprechend aus: „Then I found that in the embassy you either talked about the Shah, these big power-brokers, and then you talked about the other extreme, the Tudeh Party.”280

Der in der vorliegenden Untersuchung näher zu betrachtende General Neʽmatollāh Naṣīrī schaffte es im Laufe seiner militärischen (und somit gemäß den hier dargestellten Paradigmen auch politischen) Karriere, zahlreiche der entsprechenden Schlüsselpositionen zu besetzen und zu einem power-broker im Sinne der Beobachtungen des britischen Diplomaten zu avancieren. 1953 war er als Kommandeur der Gard-e Šāhanšāhī prominent in die Prozesse um den Coup d’étàt verwickelt, im Nachlauf wurde er zum General befördert und übernahm zunehmend Verantwortung auf der mit der zivilen Administration verquickten militärischen und polizeilichen Führungsebene des Landes, sodass er in den späten 50er Jahren zum Polizeichef aufstieg und als Militärgouverneur Teherans 1963 die Niederschlagung der ʿāšūrāʾ-Proteste maßgeblich zu verantworten hatte. Im

277 Ebd., sec. 1, 5; Er bezieht insbesondere die Frau des Shahs in diese Wahrnehmung in der westlichen Öffentlichkeit ein, wenn er ausführt: „[H]e and Sorraya where what […] Jack and Jackie were later.“ 278 „So -- I went to Iran. And my first impressions of Iran were -- of the politics of it, not of the country itself -- that it was recovering from those traumatic events of the overthrow of Mossadegh (28th of Mordad), and the Shah establishing himself. I suppose I thought before getting there that everything was much more stable and established than I found it.” (ebd.). 279 Ebd. 280 Ebd., sec. 1, 6. 80

Nachklang hierzu wiederum wurde er zum Leiter des SAVAK befördert und so mit einem der sensibelsten Posten innerhalb der nun etablierten Machtstrukturen Irans betraut.281

Das Beispiel Neʽmatollāh Naṣīrīs ist daher hervorragend dazu geeignet, der Beobachtung Desmond Harneys durch die Beschreibung vom Aufstieg eines der angesprochenen power-brokers ein verifizierbares Exempel gegenüberzustellen. Darüber hinaus bietet sich die Besprechung Naṣīrīs an, um in mehrfacher Hinsicht die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung relevanten Prozesse in der historischen Perspektive zu veranschaulichen oder gar zu versinnbildlichen. An seiner Figur lässt sich die Durchsetzung des höfischen Patronagesystems nacherzählen. Es lässt sich die Bedeutung von Loyalität im politischen Kontext ermitteln. Es lässt sich an seiner Biografie nachvollziehen, wie sich die Herrschaft des Shahs durchsetzte, wie sie gleichsam aber auch immer wieder in Frage und vor turbulenten Herausforderungen stand. Am Beispiel Naṣīrīs lassen sich die Dynamiken innerhalb des iranischen Sicherheitsapparates ermitteln. Es lässt sich die Bedeutung des Militärs und des Geheimdienstes für die Etablierung Moḥammad Reżā Šāhs durch den Blick auf den General evaluieren. Es lassen sich gar die Konkurrenzen der unterschiedlichen Konzepte in Hinsicht auf die politische Kultur des Landes ermitteln, wenn man die persönlichen Konkurrenzbeziehungen des Neʽmatollāh Naṣīrī zu weiteren politischen, militärischen, ökonomischen oder informellen Akteuren Irans untersucht. Und es ließen sich an seiner Figur die Dynamiken festmachen, die zur politischen Desintegration auf dem Weg zur Islamischen Revolution von 1978/79 führten – auf diese wird jedoch vorliegend nur hingewiesen werden können.

Die Bedeutung des Beispiels von Neʽmatollāh Naṣīrī erschöpft sich nach hier vertretener Auffassung jedoch nicht in der Verifizierung der in der Periodisierung vorgenommenen Darstellung zum politischen System Irans unter der Herrschaft Moḥammad Reżā Šāhs – und dies über den Untersuchungszeitraum hinaus.

281 Vgl. zur Biografie Abbas Milani, „Ne'matollah Nasiri.“ in Eminent Persians: The Men and Women who Made Modern Iran, 1941-1979: In Two Volumes, hrsg. von Abbas Milani. 2 Bände, 469–473 Volume One (Syracuse University Press, 2008); Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 307. 81

Zusätzlich bietet das Exempel des Generals die Möglichkeit, die Racket-Theorie der Frankfurter Schule am historischen Gegenstand zu prüfen und zu verdeutlichen.

Intellektueller Ausgangspunkt der Formulierung der Gedanken zur Racket-Theorie von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno war ja insbesondere die Beobachtung, dass ein historischer Trend hin zur Monopolisierung von Schlüsselpositionen festzustellen sei. Die anglo-amerikanische juristische Terminologie sieht für den zugrundeliegenden Prozess der Monopolisierungspraktiken durch Gewalt und physische Zwangsmittel den Begriff des racketeering vor. Bei der Ausformulierung der Racket-Theorie ging es speziell darum, den juristischen, also die Relation zu Zwangsmitteln intendierenden racket-Begriff in eine Theorie der Herrschaft zu integrieren. Otto Kirchheimer verweist in seinem Aufsatz „In Quest of Sovereignty“ diesbezüglich zunächst auf die Möglichkeit der Klassifizierung von Herrschaftstechniken durch den Begriff des Rackets:

„In the lawyers' language, always more restrictive than explanatory, monopolistic practices which are carried through by physical force, violence in trade disputes, or similar objectionable means, have been given the name of ‘rackets.’ Restricted application of the term may have an important function when seen from the viewpoint of a sound technique of domination.”282 Ohne hier bereits vertiefend auf die Racket-Theorie einzugehen, ist darauf hinzuweisen, dass die Identifizierung eines power-brokers wie Neʽmatollāh Naṣīrī – der nicht nur politische und ökonomische Schlüsselpositionen innerhalb des Machtgefüges Irans besetzte, sondern diese offensichtlich auch durch den Zugriff auf physische Zwangsmittel erwerben und unterhalten konnte – geradezu danach verlangt, vor der Schablone von theoretischen Überlegungen gelesen zu werden, die eben den Zusammenhang von Gewalt und Herrschaft zur Kernfrage erheben.

In der Folge soll daher zunächst die Racket-Theorie der Frankfurter Schule eingehend evaluiert und am historischen Beispiel des Generals überprüft werden. In den aus den Überlegungen zu extrahierenden theoretischen Implikationen wird es insbesondere darum gehen, die Stärke der Racket-Theorie als eine politische Theorie der Herrschaft zu präsentieren, die nicht an den Beobachtungen zu

282 Otto Kirchheimer, „In Quest of Sovereignty.“ The Journal of Politics 6, Nr. 2 (1944): 139–176, 159. 82

Staatsmonopolen verhaften bleiben muss, sondern übergeordnete Gedanken zu Dominanzbeziehungen präsentiert.

3.1 Die Racket-Theorie

Die Darstellung der Racket-Theorie erfordert zunächst die Bestimmung und Evaluierung der ihr zugrundeliegenden Terminologie bezüglich der Aktivität des racketeering, die den Begriff des Rackets – und folglich auch jenen des Racketeers – in den unmittelbaren Zusammenhang zu Phänomenen der organisierten Kriminalität bringt. In seinem Aufsatz „Seduction, Alienation, Racketeering: The Death of Politics in Frankfurt School Thinking“283 definiert Volker Heins: „The term itself, taken from everyday American English, became fashionable in big industrial cities like Chicago before the New Deal. 'Racketeering' referred to the practice of craft organizations that deliberately blurred the divide between the private and the public sphere by acting like governments.”284

Dementsprechend ist in der amerikanischen juristischen Terminologie die racketeering activity zunächst definiert als “any act or threat involving murder, kidnapping, gambling, arson, robbery, bribery, extortion, dealing in obscene matter, or dealing in a controlled substance or listed chemical […], which is chargeable under State law and punishable by imprisonment for more than one year”, bevor zahlreiche weitere Tatbestandsmerkmale aufgelistet werden.285 Der zugrundeliegende Paragraph (18 U.S.C. §§ 1961-1981) wird dabei als Racketeer Influenced and Corrupt Organization Statute (RICO) bezeichnet und ist dem Organized Crime Control Act von 1970 entnommen.286

Dieser juristische Begriff des racketeering hat Einzug in zahlreiche sozialwissenschaftliche Analysen gehalten, in denen die unterschiedlichsten Ausformungen organisierter Kriminalität diskutiert werden. Ein Blick auf die

283 Volker Heins, „Seduction, Alienation, Racketeering: The Death of Politics in Frankfurt School Thinking.“ Distiniktion: Scandinavian Journal of Social Theory 7, Nr. 1 (2006): 59–73. 284 Ebd., 65. 285 Legal Information Institute, „18 U.S. Code § 1961 - Definitions.“ Cornell University Law School. https://www.law.cornell.edu/uscode/text/18/1961 (letzter Zugriff: 11. August 2016). 286 United States Department of Justice, „Organized Crime And Racketeering.“ Offices of the United State Attorneys. https://www.justice.gov/usam/usam-9-110000-organized-crime-and- racketeering#9-110.010 (letzter Zugriff: 11. August 2016). 83 wissenschaftliche Literatur zum Phänomen des racketeering allein in New York – eine Literaturgattung, die trotz ihrer Beschränkung auf lediglich eine Stadt erstaunlich weit gefächert ist – mag dies hier anschaulich verdeutlichen. Es lassen sich für diesen Fall im Groben drei Themenbereiche ermitteln, in denen der Begriff des racketeering zum Tragen kommt: 1) im Zusammenhang mit Phänomenen rund um die berüchtigten New Yorker Straßengangs,287 2) für Ausformungen von Wirtschaftskriminalität,288 3) in Bezug auf neueste Erscheinungsformen des organisierten Verbrechens in China-Town.289

Im Gegensatz dazu sei hier noch einmal auf Otto Kirchheimer verwiesen, der die juristische Konnotation des Racket-Begriffes bereits früh von der Möglichkeit unterschieden hat, durch seine Verwendung auf die zugrundeliegenden Prinzipien von Macht und Herrschaft hinzuweisen. Es geht darum, dass unabhängig von den Methoden der „haves“ und „have-nots“, der „firstcomers“ und „latecomers“, der „decent citizens“ und „racketeers“ die Ziele aller im Grund gleich bleiben: „establishment of domination over a segment of the process of production or distribution“.290 Diese Unterstellung der Gemeinsamkeit der Interessen allein ist es bereits, die den Begriff des Rackets für die Evaluierung aller menschlichen Beziehungen produktiv machten müsste. Wenn an dieser Stelle darauf hingewiesen wird, dass letztlich auch aus dieser Beobachtung heraus Max Horkheimer konstatiert, „die Grundform der Herrschaft“ sei das Racket,291 dann soll das nicht eine nachhaltige Evaluation der Racket-Theorie ersetzen, sondern lediglich

287 Vgl. nur Alan A. Block, East Side, West Side: Organizing Crime in New York, 1930-1950 (New Brunswick, U.S.A.: Transaction Books, 1983); David Brotherton und Luis Barrios, The Almighty Latin King and Queen Nation: Street Politics and the Transformation of a New York City Gang (New York: Columbia University Press, 2004); Virgil W. Peterson, The Mob: 200 Years of Organized Crime in New York (Ottawa, Ill., [Aurora, Ill]: Green Hill Publishers; [Distributed by Caroline House], 1983). 288 Peter Reuter, Jonathan Rubinstein und Simon Wynn, Racketeering in Legitimate Industries: Two Case Studies (U.S. Department of Justice, 1983); Ronald Goldstock, Corruption and Racketeering in the New York City Construction Industry: Final Report to Governor Mario M. Cuomo (New York: New York University Press, 1990). 289 Ko-lin Chin, Chinatown Gangs: Extortion, Enterprise, and Ethnicity. Studies in crime and public policy (New York: Oxford University Press, 1996); Robert J. Kelly, The Upperworld and the Underworld: Case Studies of Racketeering and Business Infiltrations in the United States. Criminal Justice and Public Safety (Boston, MA: Springer US, 1999); Jeffrey Scott McIllwain, Organizing Crime in Chinatown: Race and Racketeering in New York City, 1890-1910 (Jefferson, N.C.: McFarland & Co., Publishers, 2004). 290 Kirchheimer, „In Quest of Sovereignty“, 160. 291 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 287. 84 verdeutlichen, dass der soziologische Racket-Begriff einerseits spezifische Konnotationen des rechtswissenschaftlichen Terminus übernimmt und zitiert, andererseits in seinem Anspruch weit über die hier knapp vorgestellte juristischen Begrifflichkeit hinauszugehen scheint.

Es lässt sich in der Folge eine kaum verwunderliche Konkurrenz zwischen dem juristischen Racket-Begriff und dem soziologischen Racket-Begriff innerhalb der sozialwissenschaftlichen Literatur feststellen, die zu unklaren Verflechtungen der unterschiedlichen Konnotationen führt. In der Folge wird daher darzustellen sein, wie der Begriff des racketeering in die Analyse von spezifischen historischen Konfigurationen des Staatenbildungsprozesses Einzug gefunden hat und dabei von einer normativ-juristischen Nutzung dominiert wird. Dem wird eine ausführliche Darstellung der dem Racket-Begriff der Frankfurter Schule zugrundeliegenden theoretischen Überlegungen folgen. Die theoretischen Implikationen sind dem juristischen Begriff entgegenzustellen und auf die vorliegende Analyse zu übertragen.

Die Evolution des Begriffes des Racket-State, welcher der normativen Verwendung des Begriffes folgt, wird anhand der entsprechenden wissenschaftlichen Literatur nachvollzogen, wobei an dieser Stelle bereits darauf zu verweisen ist, dass Alfredo Schulte-Bockholt sich in seinen Schriften prominent auch auf den Racket-Begriff der Frankfurter Schule bezieht.292

Für die Analyse eben jenes Racket-Begriffes der Kritischen Theorie hingegen werden neben den Ur-Texten der einschlägigen Theoretiker der Frankfurter Schule die entsprechenden Ausarbeitungen in der Sekundärliteratur heranzuziehen sein, die allerdings eine recht überschaubare Tradition innerhalb der Besprechungen der Kritischen Theorie repräsentieren. Diese lässt sich wie folgt nachzeichnen:

Der Racket-Begriff wurde zuerst einschlägig 1986 von Iring Fetscher in seinem Beitrag „Die Ambivalenz des liberalistischen ‚Erbes‘ in der Sicht von Max Horkheimer“293 besprochen, bevor er von den Herausgebern der Gesammelten

292 Alfredo Schulte-Bockholt, „A Neo-Marxist Explanation of Organized Crime.“ Critical Criminology 10 (2001): 225–242; Alfredo Schulte-Bockholt, The Politics of Organized Crime and the Organized Crime of Politics: A Study in Criminal Power. Critical perspectives on crime and inequality (Lanham, Md.: Lexington Books, 2006), 21–38. 293 Iring Fetscher, „Die Ambivalenz des liberalistischen 'Erbes' in der Sicht von Max Horkheimer: 85

Schriften Horkheimers Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr in Band 5 diskutiert wurde. In ihrem „Nachwort des Herausgebers: Die Stellung der ‚Dialektik der Aufklärung‘ in der Entwicklung der Kritischen Theorie“ weisen sie auf die entscheidende Bedeutung des Begriffes für das philosophische Hauptwerk Horkheimers und Adornos hin.294 Trotz dieses Hinweises auf die Zentralität des Racket-Modells wurde der Gedanke lediglich knapp in Artur Bogners zwei Jahre später erschienenen Zivilisation und Rationalisierung: Die Zivilisationstheorien Max Webers, Norbert Elias' und der Frankfurter Schule im Vergleich aufgegriffen.295 Erst Peter Stirk beschäftigte sich in seinem 1992 erschienenen Buch Max Horkheimer: A New Interpretation detailliert mit dem Racket-Begriff, dem er mit dem Kapitel „The Theory of Rackets“ einen eigenen Abschnitt widmet296, den er bezeichnenderweise dem (etwas kürzeren!) Abschnitt zur Dialektik der Aufklärung voranstellt. Michael Greven widmete sich dann 1994 in seinem Aufsatz „Zur Kontinuität der ‚Racket- Theorie‘“297 eingehend mit dem Begriff und seinen theoretischen Implikationen. Danach wurde er erst 2006 von Volker Heins in „Seduction, Alienation, Racketeering: The Death of Politics in Frankfurt School Thinking“298 aufgegriffen und 2014 von Kai Lindemann in seinem Aufsatz „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik“ nachhaltig diskutiert.299 Neuste Besprechungen erfährt der

Eine Skizze zu seinen politischen Reflexionen im Exil.“ in Max Horkheimer heute: Werk und Wirkung, hrsg. von Alfred Schmidt und Norbert Altwicker. Originalausg, 298–327 (Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 1986). Siehe hier den Abschnitt „Von der Klassen- zur Racket- Gesellschaft“, S. 311-319. 294 Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, „Nachwort des Herausgebers: Die Stellung der 'Dialektik der Aufklärung' in der Entwicklung der Kritischen Theorie. Bemerkung zu Autorschaft, Entstehung, einigen theoretischen Implikationen und späterer Einschätzung durch die Autoren.“ in Gesammelte Schriften: Band 5: 'Dialektik der Aufklärung' und Schriften 1940-1950, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, 423–452 (Frankfurt am Main: Fischer, 1987), 439–442. 295 Artur Bogner, Zivilisation und Rationalisierung: Die Zivilisationstheorien Max Webers, Norbert Elias' und der Frankfurter Schule im Vergleich (Opladen: Westdt. Verl., 1989), 74. 296 Stirk, Peter M. R., Max Horkheimer: A New Interpretation (Hemel Hempstead, Hertfordshire, Lanham, MD: Harvester Wheatsheaf; Barnes & Noble, 1992), 131–154.; Siehe die Buchbesprechung bei John Grumpley, „[REVIEW] Max Horkheimer: A New Interpretation.“ History of European Ideas 21, Nr. 1 (1995): 126–129. 297 Michael Th. Greven, „Zur Kontinuität der 'Racket-Theorie'.“ in Kritische Theorie und historische Politik: Theoriegeschichtliche Beiträge zur gegenwärtigen Gesellschaft, 157–181, Kieler Beiträge zur Politik und Sozialwissenschaft Bd. 8 (Opladen: Leske + Budrich, 1994). 298 Heins, „Seduction, Alienation, Racketeering“.; Siehe auch Volker Heins, „Critical Theory and the Traps of Conspiracy Thinking.“ Philosophy & Social Criticism 33, Nr. 7 (2007): 787–801. 299 Kai Lindemann, „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik.“ in Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno (s. Anm. 14); Im selben Sammelband ist auch ein Aufsatz von Hans-Georg Bensch 86

Ansatz durch James Schmidt in seinem erst kürzlich erschienenen Aufsatz „'Racket,' 'Monopoly,' and the Dialectic of Enlightenment“,300 sowie vor allem in der umfassenden Studie „Zur Racket-Theorie von Max Horkheimer: Rekonstruktion und Relevanz einer Herrschaftstheorie“ von Thorsten Fuchshuber. Fuchsuber legte 2015 mit seiner Dissertationsschrift die erste Monographie vor, die den Racket- Gedanken in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung rückt.301

Zentrale Einarbeitung des Racket-Gedankens in eigene Konzeptionen erfolgen in Wolfgang Porths Brothers in crime302 sowie insbesondere Gerhard Scheits Suicide attack: Zur Kritik der politischen Gewalt.303

3.1.1 Begriff des Racket-State

Charles Tilly hat 1985 mit seinem einflussreichen Aufsatz „War Making and State Making as Organized Crime“304 eine Tradition innerhalb der Theorien zur Entstehung von Nationalstaaten geschaffen, die sich mit der Analyse von als kriminellen Praktiken definierten Methoden im Staatenbildungsprozess beschäftigt. Tilly bringt bereits den Begriff des protection rackets in die Diskussion mit ein, bezeichnet den Staat als „quintessential protection racket with the advantage of legitimacy“ und generalisiert den Prozess des state making als das äußerste Beispiel für organisiertes Verbrechen.305 Er definiert sowohl die Begriffe protection, dessen

erschienen, der sich peripher auch mit dem Racket-Begriff auseinandersetzt. Vgl. Hans-Georg Bensch, „Bestimmungen zu Staat und Herrschaft bei Adorno.“ in Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno, hrsg. von Ulrich Ruschig und Hans-Ernst Schiller, 173–188, Staatsverständnisse Band 64 (Baden-Baden: Nomos, 2014). 300 James Schmidt, „'Racket,' 'Monopoly,' and the Dialectic of Enlightenment.“ nonsite.org, issue #18, the tank (2016): 23–63. http://nonsite.org/the-tank/max-horkheimer-and-the-sociology- of-class-relations (letzter Zugriff: 12. August 2016). 301 Thorsten Fuchshuber, „Zur Racket-Theorie von Max Horkheimer: Rekonstruktion und Relevanz einer Herrschaftstheorie: [Hochschulschrift].“ (Dissertation, Gottfired Wilhelm Leipniz Universität, 2015); Das Werk liegt als genehmigte Dissertation vor und ist einsehbar, jedoch bisher nicht durch einen Verlag publiziert. 302 Wolfgang Pohrt, Brothers in crime: Die Menschen im Zeitalter ihrer Ueberflüssigkeit : über die Herkunft von Gruppen, Cliquen, Banden, Rackets und Gangs. Critica diabolis 68 (Berlin: Edition Tiamat, 1997). 303 Gerhard Scheit, Suicide attack: Zur Kritik der politischen Gewalt (Freiburg im Breisgau: Ça Ira, 2004).; Siehe hier das Kapitel „II. Die Vermenschlichung des Staates“ mit ausführlichen Überlegungen zum Racket-Gedanken. 304 Charles Tilly, „War Making and State Making as Organized Crime.“ in Bringing the State Back In, hrsg. von Peter B. Evans, 169–191 (Cambridge: Cambridge Univ. Press, 1985). 305 Ebd., 169. 87 ambiges Changieren zwischen Schutz und Bedrohung er veranschaulicht,306 als auch racketeer: „Someone who produces both the danger and, at a price, the shield against it is a racketeer.“307 Folglich führt er seine Überlegungen zum kriminellen Charakter des Staatenbildungsprozesses unter Rückgriff auf die amerikanische juristische Terminologie durch, auf die auch Otto Kirchheimer schon hingewiesen hatte.308 Er formuliert hier keinesfalls ein übergeordnetes Prinzip von Herrschaft (und beansprucht das auch nicht), begründet aber wirkmächtig eine Tradition, die den Racket-Begriff als einen normativen Terminus zur Unterscheidung von Recht und Unrecht in der Analyse von Staaten mitdenkt.309

Gleichwohl – eine solche normative Verwendung des Racket-Begriffes hatte die Soziologin Mary McIntosh bereits 1973 in ihrer Untersuchung „The Growth of Racketeering“310 vorgeschlagen, ohne dass dies von Tilly wahrgenommen wurde. McIntosh widmet sich in ihrer Analyse ausdrücklich und ausschließlich dem Phänomen der organisierten Kriminalität in Amerika und trifft zunächst keine übergeordneten Aussagen in Bezug auf den Prozess der Konstituierung von Staaten. Sie schlägt aber ein „model of racketeering“ vor, um die Dynamiken des organisierten Verbrechens zu veranschaulichen. Dies wurde im Gegensatz zu herkömmlichen Untersuchungen zu mafiösen Strukturen formuliert, die meist an

306 „In contemporary American parlance, the word 'protection' sounds two contrasting tones. One is comforting, the other ominous. With one tone, 'protection' calls up images of the shelter against danger provided by a powerful friend, a large insurance policy, or a sturdy roof. With the other, it evokes the racket in which a local strong man forces merchants to pay tribute in order to avoid damage - damage the strong man himself.” (ebd., 170). 307 Ebd., 170–171. 308 Kirchheimer, „In Quest of Sovereignty“, 159. 309 Beachte hier: Kai Lindemann (Kai Lindemann, „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik.“ in Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno [s. Anm. 14], 118) schildert in seinen Ausführungen zum Racketbegriff als Herrschaftskritik unter der Überschrift „Das Racket in zeitgenössischen Theorien“: „Der Racket-Ansatz besitzt nicht nur viele Analogien zu Studien der Nachkriegsjahre, das Racket fand dort auch häufig Erwähnung. […] Tilly nahm sich auch der Racket-Metapher an, um die mögliche Devianz von Staatstätigkeiten theoretisch-allgemein zu kategorisieren. Der Staat verteidigt in seinem Konzept die Souveränität nach außen durch Krieg und nach innen durch Schutz.“ Es ist hier aber darauf hinzuweisen, dass Tilly an keiner Stelle Bezug auf Max Horkheimer nimmt. Er rezipiert daher keinesfalls den Racket-Begriff der Frankfurter Schule, sondern nutzt – wie Lindemann auch schreibt – lediglich dieselbe Metapher. 310 Mary McIntosh, „The Growth of Racketeering.“ Economy and Society 2, Nr. 1 (1973): 35–69. 88 den Prozessen der Korruption und der Verschwörung haften blieben.311 McIntosh macht dabei folgende entscheidende Beobachtung:

„Racketeering, as I use the term, is distinguished from all other property crime by the fact that the 'victims' of the crime – the people whose money the racketeers take – are aware of what is happening and, for various reasons, co-operate willingly or unwillingly over a period of time. There are two basic types of racket: extortion and the provision of illegal goods and services.”312 Sie macht in der Folge bereits einen entscheidenden Faktor aus, der schließlich auch für den Staatenbildungsprozess im Sinne Tillys von Bedeutung ist, nämlich dass das „Angebot“ der illegalen Waren und Dienstleistungen maßgeblich von der Frage abhängt, was unter den gegebenen juristischen Bedingungen überhaupt als legal oder illegal definiert wird. Dies nun führt in der Betrachtung McIntoshs zum Phänomen der Legalisierung (das sie freilich so nicht bezeichnet). Sie konstatiert, dass das kriminelle Racket in seiner voll entwickelten Form den gesamten Markt ausschöpfen und ausweiten würde. Die Effekte des Rechtssystems auf das Racket würden jedoch umgangen werden, nicht – und hier unterscheidet sich ihr Ansatz von den klassischen Studien zur Mafia313 – indem man sich ihm durch Heimlichkeit entziehe, sondern „primarily by controlling the agents of law“.314 Am Ende dieses Prozesses steht ein reifes Racket, das beinahe operieren kann wie ein legales Unternehmen. Diese Beobachtung, verbunden mit dem Hinweis, dass das racketeering auch durch die Auseinandersetzung mit interessenähnlichen Konkurrenten und deren Eliminierung charakterisiert ist,315 liest sich wie ein theoretischer Wegbereiter zu den empirischen Studien Charles Tillys, der im

311 Vgl. ebd., 35–36. 312 Ebd., 38. 313 Vgl. hier insbesondere auch Anton Bloks neuere Studien, die sich vornehmlich den internen Dynamiken in mafiösen Strukturen widmen: Anton Blok, Honour and Violence (Cambridge, Malden, MA: Polity, 2001); Anton Blok, „Reflections on the Sicilian Mafia: Peripheries and their Impact on Centers.“ in Organized Crime: Culture, Markets and Policies, hrsg. von Dina Siegel und Hans Nelen, 7–14, Studies in organized crime v. 7 (New York: Springer, 2008). Siehe grundlegend auch Diego Gambetta, The Sicilian Mafia: The Business of Private Protection (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1996). 314 McIntosh, „The Growth of Racketeering“, 41. 315 Ebd. Siehe auch ebd., 43.: „To some extend we can say that a racket organization, once it has neutralized law enforcement, operate like any other business enterprise.” 89

Staatenbildungsprozess der Eliminierung konkurrierender Interessen den höchsten Stellenwert einräumt.316

Ohne sich gänzlich von der normativen Trennung zwischen legal und illegal zu lösen, weist Mary McIntosh auf ein weiteres Phänomen des Rackets hin. Sie sieht darin einen im Grunde kapitalistischen Wirtschaftsbetrieb. Ihr Ansatzpunkt liegt dabei in der Interpretation der Funktion von Schmiergeldern: Deren Bedeutung könne nicht analog zur Funktion von Steuern interpretiert, sondern müsste eher in Beziehung zur Zahlung für ein Patent gesehen werden. „For they give the racketeers exclusive access to a certain market free from competition by rival racketeers. They are thus in the nature of a capital investment as far as the racket is concerned: this is what makes the mature racket a capitalist enterprise.”317

Diese Beobachtung bringt den Racket-Begriff von McIntosh trotz der normativen Beschränkung auf das Phänomen des organisierten Verbrechens in die Nähe desjenigen von Max Horkheimer, der das Racket zunächst definiert als „eine unter sich verschworene Gruppe, die ihre kollektiven Interessen zum Nachteile des Ganzen durchsetzt.“318 Die kollektiven Interessen des Rackets liegen dabei insbesondere in der Verteidigung ihrer spezifischen Monopolstellungen, was an dieser Stelle Deckungsgleich mit den Ausführungen McIntoshs zu sein scheint. Eine Brücke zu Tillys Überlegungen lässt sich schlagen, wenn man darauf verweist, dass Horkheimer in der Verteidigung der Monopolstellungen auch die „allgemeinste Kategorie der von den Gruppen geübten Funktionen“ findet: den Schutz.319 Der Horkheimersche Racket-Begriff rückt so vermeintlich in die Nähe der Ausführungen zum protection racket von Charles Tilly, auch wenn er sich in seiner theoretischen Tiefe deutlich von den Begriffen McIntoshs und Tillys abhebt, wie die später

316 Vgl. Charles Tilly, „War Making and State Making as Organized Crime.“ in Bringing the State Back In (s. Anm. 304), 181.: „Under the general heading of organized violence, the agents of states characteristically carry on four different activities: 1. War making: Eliminating or neutralizing their own rivals outside the territories in which they have clear and continuous priority as wielders of force, 2. State making: Elimination or neutralizing their rivals inside those territories, 3. Protection: Eliminating or neutralizing the enemies of their clients, 4. Extraction: Acquiring the means of carrying out the first three activities - war making, state making, and protection.” 317 McIntosh, „The Growth of Racketeering“, 41. 318 Max Horkheimer, „Herrschende Klasse, die von den Rackets beherrschte Klasse und die Rolle der Fachleute: [Späne. 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 8), 334. 319 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 288. 90 folgende Evaluierung des Racket-Begriffs der Frankfurter Schule zeigen wird. An dieser Stelle sei lediglich auf die Tatsache verwiesen, dass trotz dieser vermeintlichen Nähe weder McIntosh noch Tilly – die beide auch voneinander keine Notiz genommen haben – sich mit dem Racket-Begriff der Frankfurter Schule auseinandergesetzt haben oder diesen auch nur erwähnt hätten.

Dies wiederum hat nicht unerhebliche Auswirkungen auf die in der Folge entstandene wissenschaftliche Literatur zum Phänomen des Racket-State: Wie dargelegt wurde, intendieren sowohl Tillys als auch McIntoshs Gedanken zu den Phänomenen des protection rackets und des racketeering die Verwendung des Racket-Begriffs in der Folge einer normativen Unterscheidung von Recht und Unrecht und bleiben somit zunächst an den juristischen Definitionen haften. Diese Tendenz prägte die Nutzung des Begriffes maßgeblich, sodass in der einschlägigen Literatur der Terminus des Racket-State en vogue wurde, um Staatsformen zu deklarieren, deren Praktiken darstellbar mit Strukturen des organisierten Verbrechens vergleichbar sind – unabhängig von der Tatsache, dass Tilly etwa per se den Staat als protection racket bezeichnete.

Die Erfolgsgeschichte des Begriffes lässt sich dabei auf William Deane Stanley zurückführen, der in seinem 1996 erschienen The Protection Racket State: Elite Politics, Military Extortion, and Civil War in El Salvador320 den Blick auf die internen Dynamiken des Staatsapparates richtet, um verstehen zu können, warum und wie „coercion became the state's predominant strategy“.321 Daraufhin wurde die Idee eines Racket-States mehrfach aufgegriffen. So zunächst etwa im 1999 von Josiah Heyman herausgegebenen Sammelband State and Illegal Practice,322 in welchem der Beitrag „Russian Protection Rackets and the Appropriation of Law and Order“ von Caroline Humphrey zu finden ist. Diese beschäftigt sich zwar ausdrücklich mit dem russischen organisierten Verbrechen, nicht also der Ebene des Staates selbst,

320 William Deane Stanley, The Protection Racket State: Elite Politics, Military Extortion, and Civil War in El Salvador (Philadelphia: Temple University Press, 1996). 321 Ebd., 5. 322 Josiah McC. Heyman, Hrsg., States and Illegal Practices (Oxford, New York: Berg, 1999).; Beachte: Heyman und Alan Smart bieten in ihrem gemeinsamen Vorwort „State and Illegal Practice: An Overview“ einen ausführlichen Literaturstand zum Begriff der Illegalität an. (Josiah McC. Heyman und Alan Smart, „States and Illegal Practices: An Overview.“ in States and Illegal Practices, hrsg. von Josiah McC. Heyman, 1–24 (Oxford, New York: Berg, 1999), 2– 7). 91 präsentiert gleichwohl aber das Racket (übrigens unter Rückführung auf das russische reket) als Brücke zwischen Unterwelt und Staat.323 Die Untersuchungen Stanleys und Humphreys setzen sich somit mit der Verquickung des Staates in Strukturen des organisierten Verbrechens auseinander, sie beschäftigen sich aber nicht theoretisch eingehender mit dem Racket-Begriff, sodass die Diskussion der Ideen der Theoretiker der Frankfurter Schule ausgelassen werden.324

***

Dies ändert sich mit den Arbeiten Alfredo Schulte-Bockholts, der sich zunächst in seinem Aufsatz „A Neo-Marxist Explanation of Organized Crime“325 von 2001 und später in seiner Monographie The Politics of Organized Crime and the Organized Crime of Politics: A Study in Criminal Power326 von 2006 mit der Racket-Theorie Max Horkheimers und Theodor W. Adornos auseinandersetzt. Schulte-Bockholt stellt dabei 2001 den Racket-Begriff Horkheimers und Adornos recht knapp jenem Tillys gegenüber. Danach sei für Horkheimer das Racket ein System, in welchem Geld aufgrund von Betrug und Bedrohung erlangt würde, wobei das Racket sowohl den Schutz vor Ausbeutung durch andere indiziere, als auch eben selbst als System der

323 Caroline Humphrey, „Russian Protection Rackets and the Appropriation of Law and Order.“ in States and Illegal Practices, hrsg. von Josiah McC. Heyman, 199–232 (Oxford, New York: Berg, 1999), 199: „What is the protection racket? In simple terms, it is the extortion of regularly paid dues from enterprises in return for 'protection' controlled by a person or group known in Russian slang as the roof (krysha). The racket, it will be suggested, was a practice that bridged the two worlds of the criminal gangs and public life. In the current post-Soviet period racketeering has burst the boundaries of the criminal groups, with a variety of 'roofs' found among the police, politicians and private security firms, as well as among the traditional criminal bosses. This is not a situation arising merely by function, but is driven by post-Soviet anomie and cultural attitudes to the state.” 324 Lindemann (Kai Lindemann, „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik.“ in Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno (s. Anm. 14), 118) bezieht sich in seiner knappen Untersuchung des Rackets in zeitgenössischen Theorien lediglich auf Tilly und „die Beiträge in Heyman 1999“ (siehe FN 58 a.a.O.), somit in dem Sammelband State and Illegal Practice. Er pauschalisiert dennoch zutreffend: „Das Racket bezeichnet in allen Ansätzen eine privilegierte Komplizenschaft, deren Strukturen von der Festigkeit der internen, informellen Verbindungen und der Intensität der Verflechtung mit staatlichen Strukturen und wirtschaftlichen, legalen wie illegalen Strukturen bedingt ist. Die informellen Verbindungen sind dabei von der ideologischen Nähe der Mitglieder abhängig. Der Eintritt ins Racket ist das Privileg, dass entweder durch Gewalt oder Ideologie gegenüber den Beherrschten gesichert und gerechtfertigt wird.“ 325 Schulte-Bockholt, „A Neo-Marxist Explanation of Organized Crime“. 326 Schulte-Bockholt, The Politics of Organized Crime and the Organized Crime of Politics. 92

Ausbeutung auftrete.327 Hier wird das Racket begrifflich in die Nähe von Charles Tillys Konzeptionen gerückt; immerhin aber mit dem Hinweis, dass Tilly seine protection rackets lediglich in bestimmten historischen Momenten identifizieren möchte, während Horkheimer und Adorno für das Racket-Prinzip konstatieren würden, dass es sich im Laufe der Geschichte immer wieder manifestiere, da Schutz ein Grundprinzip der Herrschaft darstelle.328 Schulte-Bockholt schreibt: „While Tilly limited the protection racket to certain historical periods, Horkheimer and Adorno viewed it as a phenomenon with manifestations throughout history.”329

Schulte-Bockholt weist wiederholt auf den Umstand hin, dass die Theoretiker der Frankfurter Schule deutlich mehr beabsichtigten, als mit dem Begriff des Rackets einen bestimmten historischen Moment erklärbar zu machen. So stellt er da, dass Horkheimer die „Clique“, die er mit dem Racket gleichsetze, zu einem zentralen soziologischen Konzept erhebe,330 oder zeigt auf, dass Horkheimer und Adorno den Racket-Begriff anstelle des marxistischen Klassen-Begriffes nutzen würden, um die Geschichte als eine „history of domination“ zu bezeichnen.331 Gleichwohl folgt aber seine eigene Nutzung des Racket-Begriffs einer anderen Stoßrichtung: Er impliziert letztlich, dass es auch in der Konzeptualisierung Horkheimers und Adornos historische Momente gäbe, in denen sich Rackets manifestieren. Dies folgt seinem Forschungsinteresse, das sich auf die Etablierung von Racket-States – in seiner Terminologie „Protection Racket state“ – bezieht.332 Er definiert: „Such regimes are protection racket states, which implicitly use terrorism – or the threat thereof – to extract surplus, regardless of the opposition generated.”333

In der Besprechung des Protection Racket state entwirft Schulte-Bockholt ein theoretisches Gerüst, das sich zunächst auf Antonio Gramscis Konzept der Hegemonie334 stützt, das aber erweitert werden müsse um Horkheimers Ideen zum

327 Schulte-Bockholt, „A Neo-Marxist Explanation of Organized Crime“, 227. 328 Ebd., 227–228. 329 Ebd., 227; meine Hervorhebung. 330 Schulte-Bockholt, The Politics of Organized Crime and the Organized Crime of Politics, 25. 331 Schulte-Bockholt, „A Neo-Marxist Explanation of Organized Crime“, 228: „Horkheimer emphasized rackets instead of classes to include the notion of coercion as the common denominator of history. To him ‘history was a history of domination’.” 332 Schulte-Bockholt definiert den Racket-State wie folgt: „Such regimes are protection racket states, which implicitly use terrorism - 333 Schulte-Bockholt, The Politics of Organized Crime and the Organized Crime of Politics, 30. 334 Siehe zum Hegemonie-Konzept Antonio Gramscis insbesondere das Kapitel „Hegemony and 93

Zwang, wenn man Regime theoretisch fassbar machen wolle, deren Eliten ihre Hegemonie nie über den Konsens entwickeln konnten335 – wobei hier fraglich bleibt, ob das Hegemonie-Konzept Gramscis nicht entgegen der Behauptung Schulte- Bockholts genügend Raum zu Untersuchung von Zwang und Gewalt anbieten würde.336 In seinem Versuch, die Theorien Gramscis und der Frankfurter Schule miteinander zu kombinieren, geht Schulte-Bockholt in seiner Monographie gar so weit, Horkheimers und Adornos Racket mit Gramscis Historischem Block gleichzusetzten:

„Horkheimer's rackets are similar to the elites that make up Gramsci's hegemonic bloc. The difference between the two lies in the emphasis they place on different aspects of social control. While Horkheimer stressed the disunity within ruling elites and the use of violence Gramsci focused on the manner with which those in power maintained their control without coercion.”337 Im Ergebnis der theoretischen Ausführung steht die These, dass Protection Racket regimes dann entstehen, wenn Eliten an einer Krise der Hegemonie leiden, so wie dies in Phasen des rapiden sozioökonomischen Wandels der Fall sein kann, da diese soziale Fragmentierungen und Disruptionen in der Gesellschaft bedingen würden.338 Diese These mag zwar überzeugen, da sie letztlich darauf verweist, dass in Prozessen der gesellschaftlichen „Unordnung“ der Rückgriff auf Zwangsmittel ein Weg ist, der den unterschiedlichsten politischen Akteuren mehr Erfolg auf den Zugriff auf Herrschaft verspricht, als dies die Einhaltung demokratischer Prinzipien

Neoliberalism: A Gramscian Antidote“ in Peter Mayo, Hegemony and Education under Neoliberalism: Insights from Gramsci. Routledge studies in education and neoliberalism (Oxon, New York: Routledge, 2015), 1–18. Mayo konstatiert: „I would submit that hegemony is the key concept used by Gramsci throughout the prison notes. And yet one would be hard-pressed to discover any systematic exposition of the concept by Gramsci. I would interpret this concept as referring to a situation in which most arrangements, constituting a particular social reality, are conditioned by and tend to support the interests of a particular class or social grouping. Hegemony incorporates not only processes of ideological influence and contestation but, as Raymond Williams (1976, p. 205; 1977, p. 110) argues, a ‘whole body of practices and expectations‘.” (ebd., 12.) 335 Schulte-Bockholt, „A Neo-Marxist Explanation of Organized Crime“, 229. 336 Nach Peter Mayos Interpretation ist der Zwang sogar wesentlicher Bestandteil auch der Konzepte Gramscis: „I personally favour the more comprehensive conception of hegemony, i.e., consent + coercion/force, since it is very much in keeping with Gramsci’s notion of the ‘Integral State’, an all-encompassing state which combines aspects of consent and repression at the same time, the separations between the two having been delineated by Gramsci for simply heuristic purposes.” (Mayo, Hegemony and Education under Neoliberalism, 12). 337 Schulte-Bockholt, The Politics of Organized Crime and the Organized Crime of Politics, 26. 338 Schulte-Bockholt, „A Neo-Marxist Explanation of Organized Crime“, 226. 94 vermuten lassen würde. Es stellt sich aber zum einen die Frage, ob dies nun eine bemerkenswerte Beobachtung ist, wo doch der Zusammenbruch von Ordnung und das Infragestellen der hegemonialen Diskurse über das Wesen der spezifischen Gesellschaft natürlicherweise dadurch gekennzeichnet sind, dass es keinen Konsens mehr über die Verfasstheit der Gesellschaft gibt. Zum anderen lässt diese These offen, wann denn der Moment überwunden sein sollte, in dem von einem Protection Racket state zu sprechen wäre – dass es in der internen Logik der theoretischen Überlegungen Schulte-Bockholts diesen Moment aber geben müsste, wird durch den Hinweis impliziert, dass das Erscheinen eines solchen Staatsgebildes von einer spezifischen historischen Konfiguration, nämlich der „Krise der Hegemonie“, abhängig ist.

Alfredo Schulte-Bockholt gelingt es im Ergebnis nicht, die von ihm selbst angestellten Beobachtungen zum übergeordneten soziologischen Charakter der Racket-Theorie Horkheimers und Adornos überzeugend auf sein Theoriegerüst zu übertragen. Im Gegenteil verharrt er trotz der aufwendigen Evaluierung der Thesen der beiden Theoretiker auf eben jenem normativen Begriff des Rackets, den auch Tilly und die aus seinen Schriften erwachsene Begriffsgeschichte nutzte und prägte. Schulte-Bockholt führt an:

„The Protection Racket regime is a model of socioeconomic repression. Such a regime is formed by state and/or nonstate elites in order to preserve their domination through the often violent exclusion of large groups in societies that experience conditions of substantial social disparities. Apart from the use or threat of violence, corruption is an essential component of power relations and cannot be separated from power. Moreover, while the grounds of exclusion may differ (e.g., class, race, or gender), this condition often manifests itself in economic disadvantage, if not exploitation. Conversely, inclusion is more often than not economically rather than class based.”339 So überzeugend diese Beobachtungen sind – den Verweis auf Horkheimer und Adorno hätte es hierzu nicht nur nicht gebraucht; er ist gar irreführend. Zwar sind hier durchaus Phänomene des racketeering angesprochen, keine aber, die nicht durch die Verwendung des juristischen Begriffes abgedeckt wären. Letztlich ließe sich im Sinne Schulte-Bockholts viel überzeugender mit Tilly argumentieren, wenn konstatiert würde, Staaten seien im Grunde „protection rackets with the advantage

339 Schulte-Bockholt, The Politics of Organized Crime and the Organized Crime of Politics, 35. 95 of legitimacy“340, wohingegen die Protection Racket states protection rackets with the disadvantage of illegitimacy sind.

Trotz der Tatsache, dass der Versuch der Inklusion der Kritischen Theorie in die Analyse von Racket-States, so wie von Schulte-Bockholt vorgenommen, wenig Erhellendes hervorbrachte – von den Denkanstößen in Bezug auf den Konsens einmal abgesehen, die auch hier noch einmal aufgerufen werden sollen – haben seine Überlegungen offensichtlich Spuren hinterlassen. Dies zeigen die neueren Arbeiten von Ian Douglas Wilson. Wilson beschäftigt sich in seinem Aufsatz „Reconfiguring Rackets: Racket Regimes, Protection and the State in Post-New Order Jakarta“341 von 2011 sowie in seiner Monographie The Politics of Protection Rackets in Post-New Order Indonesia342 von 2015 eingehend mit dem auch bei ihm so bezeichneten Phänomen des Protection Racket state343 in Indonesien. Er übernimmt dabei das von Schulte-Bockholt entworfene theoretische Gerüst unter Bezugnahme auf Tilly und Horkheimer, wobei er Horkheimer nur indirekt über Schulte-Bockholt zitiert.344 Dies führt zur nicht weiter problematisierten Zusammenführung der Ideen Tillys und Horkheimers, wie folgender Ausschnitt dokumentiert: „Horkheimer uses the concept of the racket rather than the ruling class in order to emphasise the double-edged nature of protection identified by Tilly and the centrality of coercion in repressive regimes, which he considered to be the common denominator of domination.”345

Es bleibt festzuhalten, dass das Racket-Prinzip Horkheimers und Adornos in den Analysen Schulte-Bockholts und Wilsons zu einem bloßen Modell degeneriert, um als autoritatives analytisches Element eine Form der Zeitkritik zu formulieren – hier an der Formierung von Staatssystemen, deren Struktur nach normativen Kriterien

340 Charles Tilly, „War Making and State Making as Organized Crime.“ in Bringing the State Back In (s. Anm. 304), 169. 341 Ian Douglas Wilson, „Reconfiguring rackets: racket regimes, protection and the state in post- New Order Jakarta.“ in The State and Illegality in Indonesia, hrsg. von Edward Aspinall und Geery van Klinken, 239–260, Verhandelingen van het Koninklijk Instituut voor Taal-, Land- en Volkenkunde 269 (Leiden: KITLV Press, 2011). 342 Ian Douglas Wilson, The Politics of Protection Rackets in Post-New Order Indonesia: Coercive Capital, Authority and Street Politics. Asia's transformations 47 (Oxon, New York: Routledge, 2015). 343 Ebd., 38. 344 Vgl. ebd. 345 Ebd. 96 mit jenen des organisierten Verbrechens vergleichbar sind. Grund für den Rückgriff auf Horkheimer und Adorno ist dabei nicht, dass man sich der Frage stellen würde, warum und wie die Theoretiker der Frankfurter Schule den Racket-Begriff zu einem zentralen soziologischen Begriff erheben346 und gar die Geschichte als die „Geschichte von Bandenkämpfen, Gangs und Rackets“347 qualifizieren. Der Grund liegt vielmehr wohl in der willkommenen Tatsache, dass die Theoretiker die Funktion und Rolle von Zwang und Gewalt prominent besprechen. Die Bedeutung des Racket-Gedankens muss jedoch über diese reduktionistische Wahrnehmung hinausreichen, wenn man mit Kai Lindemann konstatiert, dass das „Racket ein zentraler Bestandteil der Herrschaftstheorie der Dialektik der Aufklärung“348 darstellt. Jenem philosophischen Hauptwerk der beiden Theoretiker der Frankfurter Schule, das sich nichts weniger vorgenommen hatte als zu evaluieren, warum „die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art der Barbarei versinkt“349, das gleichwohl aber weit über eine bloße Zeitkritik hinausreicht.350

346 Vgl. nur Max Horkheimer, „Clique als zentraler soziologischer Begriff für die heutige Gesellschaft: [Späne. 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften: Band 14: Nachgelassene Schriften 1949-1972, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, 316–317 (Frankfurt am Main: Fischer, 1988), 317: „Clique als Unterbegriff des Rackets - oder gleichbedeutend mit Racket. Regiert wird durch die Cliquen, die Parlamente werden durch sie beherrscht, sei es, daß ihre Vertreter direkt ins Parlament gewählt werden, sei es durch Lobbies.“ 347 Theodor W. Adorno, „Reflexionenen zur Klassentheorie [1942].“ in Gesellschaftstheorie und Kulturkritik (s. Anm. 6), 15. 348 Kai Lindemann, „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik.“ in Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno (s. Anm. 14), 108; Beachte Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr widmen einen beachtlichen Teil ihres Nachwortes zur Dialektik der Aufklärung der Racket-Theorie. Sie besprechen diese innerhalb des Abschnittes zu den theoretischen Implikationen, die in der Dialektik der Aufklärung „selbst kaum ausgeführt, aber für eine angemessene Interpretation bedeutsam sind.“ (Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, „Nachwort des Herausgebers: Die Stellung der 'Dialektik der Aufklärung' in der Entwicklung der Kritischen Theorie. Bemerkung zu Autorschaft, Entstehung, einigen theoretischen Implikationen und späterer Einschätzung durch die Autoren.“ in Gesammelte Schriften [s. Anm. 294], 424) Vgl. ebd., 439– 442. 349 Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, „Dialektik der Aufklärung.“ in Gesammelte Schriften: Band 5: 'Dialektik der Aufklärung' und Schriften 1940-1950, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, 11–290 (Frankfurt am Main: Fischer, 1987), 16. 350 Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, „Nachwort des Herausgebers: Die Stellung der 'Dialektik der Aufklärung' in der Entwicklung der Kritischen Theorie. Bemerkung zu Autorschaft, Entstehung, einigen theoretischen Implikationen und späterer Einschätzung durch die Autoren.“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 294), 423: „Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung ist wohl die folgenreichste Veröffentlichung der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule und eine ihrer theoretisch dichtesten. Das Buch wurde während des 97

Die Frage, die sich aus der Evaluierung der Begriffsgeschichte des Racket-State und seiner theoretisch unsauberen Verwendung des Racket-Begriffs Horkheimers und Adornos implizit ergibt, ist dieselbe Frage, die bereits die Theoretiker der Frankfurter Schule Franz Neumann, Friedrich Pollock und Otto Kirchheimer in den 40er Jahren umtrieb351: „Letztlich macht sich der Konflikt an der Frage fest: Beschreibt der Racket-Begriff ein klassenübergreifendes, historisches Prinzip der Herrschaft, oder bezieht er sich nur auf die konstatierte monolithische Gangsterherrschaft im Zeitalter des Faschismus?“352

3.1.2 Der Racket-Begriff der Kritischen Theorie

„Die Grundform der Herrschaft ist das Racket.“353 lautet die unmissverständliche Kernaussage Max Horkheimers, die vermuten lässt, dass der Begriff des Rackets nicht lediglich eine spezifische Form der Durchsetzung von Herrschaft über Zwang und Gewalt in einem bestimmten historischen Kontext impliziert, sondern im Racket-Begriff der Kritischen Theorie vielmehr eine historische Theorie der Politik enthalten ist, wie Michael Greven in seiner Evaluation zur Kontinuität der Racket- Theorie vermutet.354

Krieges, zwischen 1939 und 1944 geschrieben, erschien zuerst 1944 anläßlich des fünfzigsten Geburtstags Friedrich Pollocks in kleiner Auflage als hektographiertes Typoskript des Instituts für Sozialforschung und dann im Druck 1947 in Amsterdam bei Querido, dem bedeutendsten deutschen Exilverlag. 'Was wir uns vorgesetzt hatten', heißt es in der Vorrede, 'war tatsächlich nicht weniger als die Erkenntnis, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art der Barbarei versinkt.' Doch geht die Schrift wesentlich über bloße Zeitkritik hinaus. Historisch Entlegenes, ja die Geburt abendländischer Geschichte und Subjektivität selbst aus dem mythisch verarbeiteten Kampf gegen die Naturkräfte wird mit den bedrohlichsten Erfahrungen der Gegenwart in großem Bogen zusammengeschlossen.“ 351 Siehe zur internen Kritik am Racket-Begriff nur Kai Lindemann, „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik.“ in Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno (s. Anm. 14), 114–115: „Neumann distanzierte sich auch vom Racket-Ansatz, wegen der darin enthaltenen Einschätzung konformistischer, gewerkschaftlicher Politik. Auch Pollock hat den Begriff des Rackets nicht übernommen Er spricht in seiner Staatskapitalismustheorie im Singular von einer herrschenden Gruppe, die sich zwar derselben Herrschaftsmittel bedient wie die Rackets, aber nicht annähernd die dynamische Struktur des Herrschaftsmusters entfalteten. Kirchheimer übernahm den Racket-Begriff mit den Intentionen der politischen Dynamik, scheute sich jedoch davor ihn historisch einzuordnen.“ 352 Ebd., 115. 353 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 287. 354 Michael Th. Greven, „Zur Kontinuität der 'Racket-Theorie'.“ in Kritische Theorie und historische Politik (s. Anm. 297), 161. 98

Prominente Besprechung erfährt der Begriff des Rackets im Rahmen der Kritischen Theorie in der Anfang der 1940er Jahre von Max Horkheimer im New Yorker Exil verfassten Schrift „Die Rackets und der Geist“,355 in der er erstmals explizit verhandelt wird. Da für die exilierten Mitglieder des Instituts für Sozialforschung, die „allesamt Juden und Sozialisten waren […], der Aufstieg des Naziregimes das traumatische Gravitationszentrum ihrer gesamten wissenschaftlichen und politischen Orientierung“ darstellte,356 ist die Theorie somit unmittelbar vor dem Licht der Faschismusforschung der Frankfurter Schule zu lesen. Die Arbeiten Max Horkheimers, Friedrich Pollocks, Franz L. Naumanns, Otto Kirchheimers, A. R. L. Gurlands und Herbert Marcuses sind somit als Elemente einer diskursiven Gesamtgestalt zur Faschismusforschung aufzufassen357 – wobei diese freilich nicht in einer einheitlichen Theorie zum Faschismus mündeten, sondern vielmehr in im Dialog miteinander stehenden Faschismustheorien.358

Eine Evaluation der Racket-Theorie darf sich daher nicht auf die Lektüre eines Aufsatzes Horkheimers beschränken, sondern muss als Ergebnis vielschichtiger Diskussionen innerhalb des Instituts für Sozialforschungen verstanden werden,359

355 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6). 356 Helmut Dubiel und Alfons Söllner, „Die Nationalismusforschung des Instituts für Sozialforschung - ihre wissenschaftsgeschichtle Stellung und ihre gegenwärtige Bedeutung.“ in Wirtschaft, Recht und Staat im Nationalsozialismus: Analysen des Instituts für Sozialforschung, 1939-1942, hrsg. von Max Horkheimer, Helmut Dubiel und Alfons Söllner, 7– 32, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 471 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1984), 8. 357 Ebd., 7. Dubiel und Söllner konstatieren ebd., 8: „Daß man in der weiteren Wirkungsgeschichte [die] teilweise separat wiedergedruckten Einzelstudien als theoriebiographische Dokumente der einzelnen Autoren und nicht als Ausdruck eines kollektiven Diskussions- und Arbeitszusammenhangs gedeutet hat, ist der fachlich bornierten Sekundärliteratur und der auf ‚große Namen‘ eingeschworenen Publikationspolitik anzukreiden.“ 358 Siehe hierzu Helmut Dahmer, „Faschismustheorie(n) der 'Frankfurter Schule'.“ in Soziologie und Nationalsozialismus: Positionen, Debatten, Perspektiven, hrsg. von Michaela Christ und Maja Suderland, 76–118, Suhrkamp Taschenbücher Wissenschaft 2129 (Berlin: Suhrkamp, 2014)., der eine anschauliche Evaluation der Faschismustheorien vornimmt und zu folgendem Resümee kommt: „Das Spezifikum der von Max Horkheimer geprägten 'Kritischen Theorie' ist die Erforschung der gesellschaftlichen Totalität von zwei Seiten her: von der Seite der institutionalisierten politisch-ökonomischen Verhältnisse und von der Seite der in sie eingespannten (und ihnen widerstrebenden) Individuen. Erst die Analyse der faschistischen Ökonomie und diejenige der faschistischen Mentalität [...] ergeben das Bild jedes unheilvollen Ganzen, dessen Produktion es zu verhindern gilt.“ (ebd., 107). 359 Vgl. auch die sehr ausführliche Darstellung des Entstehungskontextes der Racket-Theorie bei Fuchshuber, Zur Racket-Theorie von Max Horkheimer: Rekonstruktion und Relevanz einer Herrschaftstheorie, 63–234. 99 in welcher insbesondere die politisch-ökonomischen Erklärungsmuster innerhalb des Instituts verarbeitet wurden.360 So wurden etwa die Ideen Pollocks zum Staatskapitalismus361 und Horkheimers eigene Gedanken zum Autoritären Staat362 ebenso aufgegriffen, wie andererseits etwa Kirchheimer die Ideen zu den Rackets in seinem Aufsatz „In Quest of Sovereignty“ weiterverfolgte363 – dies wurde bereits angedeutet.

Noch deutlicher wird die Notwendigkeit der Einbeziehung von Texten, die über Max Horkheimers eigene Schriften hinausgehen, im Falle Theodor W. Adornos. Die intellektuelle Nähe der beiden Theoretiker ist als so eng zu verstehen, dass gar die Frage nach der Autorschaft einzelner Texte nicht nur auf dem Prüfstand steht,

360 Dubiel und Söllner identifizieren drei im Institut für Sozialforschung typische Zugänge zur Faschismusthematik: den sozialpsychologischen, den ideologiekritisch-kulturkritischen und den politisch-ökonomischen. Helmut Dubiel und Alfons Söllner, „Die Nationalismusforschung des Instituts für Sozialforschung - ihre wissenschaftsgeschichtle Stellung und ihre gegenwärtige Bedeutung.“ in Wirtschaft, Recht und Staat im Nationalsozialismus (s. Anm. 356), 9. 361 Friedrich Pollock, „Staatskapitalismus.“ in Wirtschaft, Recht und Staat im Nationalsozialismus: Analysen des Instituts für Sozialforschung, 1939-1942, hrsg. von Max Horkheimer, Helmut Dubiel und Alfons Söllner, 81–109, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 471 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1984); Siehe zum Ideenaustausch Kai Lindemann, „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik.“ in Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno (s. Anm. 14), 114: „Pollock identifizierte eine endgültige Produktionsweise in den industrialisierten Ländern, wobei der Racket-Ansatz nach Horkheimer den Herrschaftsbegriff in Anbindung an die Transformation der Klassenverhältnisse liefern sollte. Die Staatskapitalismusthese wurde unter dem Eindruck der planwirtschaftlichen Erfolge Sowjetrusslands, der kriegswirtschaftlichen Regulierungen im 'Dritten Reich' und des nordamerikanischen New Deal entwickelt. Die Theorie impliziert damit auch die volkswirtschaftlichen Interventionsmaßnahmen vieler Nationalstaaten und ihre Autarkiebestrebungen, die aus der Weltwirtschaftskrise von 1929 resultierten. Vor diesem Hintergrund konstruierte Pollock eine historische Entwicklung vom liberalen Konkurrenzkapitalismus über den imperialistischen Monokapitalismus hin zum Staatskapitalismus. Der Staat gilt ihm als zentraler Organisator aller ökonomischen Vorgänge und damit als Gesamtkapitalist. Er bewirkt schließlich ein Außerkraftsetzen des marktförmigen 'Tauschprinzips'. Horkheimer behandelte diesen Ansatz in einigen Vorarbeiten zur Dialektik der Aufklärung, distanzierte sich jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg von ihm.“ 362 Max Horkheimer, „Autoritärer Staat [1940/1942].“ in Gesammelte Schriften: Band 5: 'Dialektik der Aufklärung' und Schriften 1940-1950, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, 293–319 (Frankfurt am Main: Fischer, 1987); Beachte hier etwa den schon auf die Idee des Rackets hindeutenden Duktus: „Der führende Mann und seine Clique wird in der Arbeitsorganisation so unabhängig wie in dem anderen, dem Industriemonopol, das Direktoriat von der Generalversammlung.“ (ebd., 296) Damit hat Horkheimer hier schon Phänomene angesprochen, deren Beobachtung maßgeblich auch zur Ausformulierung des Racket-Gedankens beigetragen hat. 363 Siehe Kirchheimer, „In Quest of Sovereignty“, 159–161. 100 sondern überhaupt die Möglichkeit der Zuordnung aller Schriften sogar von Horkheimer und Adorno selbst an einigen Stellen in Frage gestellt wurde – am deutlichsten in einem geplanten Vorwort zu einer Zeitschrift, wie Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr herausarbeiten:

„[Adorno] entwarf im Jahre 1949 eine - dann jedoch nicht publizierte - Erklärung mit folgendem Wortlaut: ‚Da unsere gesamte theoretische und empirisch-wissenschaftliche Arbeit seit Jahren derart verschmolzen ist, daß unsere Beiträge sich nicht sondern lassen, so scheint es uns an der Zeit, öffentlich zu erklären: alle unsere philosophischen, soziologischen und psychologischen Publikationen sind als von uns gemeinsam verfaßt zu betrachten, und wir teilen die Verantwortung. Das gilt auch für individuell gezeichnete Schriften.‘“364 Die Idee der gemeinsamen Zeichnung aller Texte wurde nie umgesetzt, es ergeben sich aus ihr aber einige Implikationen für die gewissenhafte Evaluation der Racket- Theorie: Erstens müssen die relevanten und themennahen Ausarbeitungen weiterer Mitglieder des Instituts für Sozialforschung gleichberechtigt gelesen werden. Zweitens ist die Racket-Theorie aufgrund ihres historischen Entstehungsrahmens und des Schocks der Faschismuserfahrungen im Licht des pessimistischen Denkens der Mitglieder bezüglich der Möglichkeiten sozialistischer Politik zu lesen.365 Drittens kann der Begriff des Rackets – das ist eine Folge aus dem vorigen Punkt – nicht losgelöst von dem im Institut für Sozialforschung seit dem Ende der 1930er Jahre angestellten kritischen Überlegungen zur Klassentheorie, insbesondere Horkheimers und Adornos, bewertet werden.366 Im Gegenteil wurde der Racket- Begriff von Horkheimer in Folge seiner Ausarbeitungen zur Klassentheorie formuliert und er versuchte, neuere Beobachtungen von ihm selbst und von

364 Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, „Nachwort des Herausgebers: Die Stellung der 'Dialektik der Aufklärung' in der Entwicklung der Kritischen Theorie. Bemerkung zu Autorschaft, Entstehung, einigen theoretischen Implikationen und späterer Einschätzung durch die Autoren.“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 294), 426. 365 Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, „Nachwort des Herausgebers: Die Stellung der 'Dialektik der Aufklärung' in der Entwicklung der Kritischen Theorie. Bemerkung zu Autorschaft, Entstehung, einigen theoretischen Implikationen und späterer Einschätzung durch die Autoren.“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 294), 439; Kai Lindemann, „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik.“ in Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno (s. Anm. 14), 106. 366 Vgl. Helmut Dubiel und Alfons Söllner, „Die Nationalismusforschung des Instituts für Sozialforschung - ihre wissenschaftsgeschichtle Stellung und ihre gegenwärtige Bedeutung.“ in Wirtschaft, Recht und Staat im Nationalsozialismus (s. Anm. 356), 7. 101

Theodor W. Adorno diesbezüglich begrifflich fassbar zu machen. So formuliert etwa Adorno in seinen „Reflexionen zur Klassensoziologie“ von 1942:

„Die jüngste Phase der Klassengesellschaft wird von den Monopolen beherrscht; sie drängt zum Faschismus, der ihrer würdigen Form politischer Organisation. Während sie die Lehre vom Klassenkampf mit Konzentration und Zentralisation vindiziert, äußerste Macht und äußerste Ohnmacht unvermittelt, in vollkommenen Widerspruch einander entgegenstellt, läßt sie die Existenz der feindlichen Klassen in Vergessenheit geraten.“367 Der Analyse der Bestandslosigkeit einiger Paradigmen der marxistischen Klassentheorie im Angesicht der Durchsetzung faschistischer Regime in Europa trägt die Aussage Adornos Rechnung, dass es nun notwendig sei „den Begriff der Klasse so nah zu betrachten, daß er festgehalten wird und verändert sogleich.“368 Insbesondere Theodor W. Adornos 1942 angestellten Reflexionen zur Klassensoziologie und Max Horkheimers 1943 verfasster Artikel „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse“369 sind eben durch die nahe Betrachtung des Klassenbegriffes als Skizze einer Theorie der Racket-Gesellschaft zu verstehen.370

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In Max Horkheimers Aufsatz „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse“ bildet die Evaluation der Prämisse der materialistischen Theorie, soziale Macht beruhe auf der Monopolisierung der Produktionsmittel,371 den Ausgangspunkt für die Ausarbeitungen zur Racket-Theorie. Über die Jahrhunderte, welche von Horkheimer nicht weiter qualifiziert werden, habe das Prinzip gegolten, dass die herrschenden Klassen einerseits aufgrund ihrer Rechtsposition die Fähigkeit besaßen, den Rest der Gesellschaft vom Gebrauch von Boden und anderen

367 Theodor W. Adorno, „Reflexionenen zur Klassentheorie [1942].“ in Gesellschaftstheorie und Kulturkritik (s. Anm. 6), 10. 368 Ebd., 11. 369 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6). 370 Vgl. Iring Fetscher, „Die Ambivalenz des liberalistischen 'Erbes' in der Sicht von Max Horkheimer: Eine Skizze zu seinen politischen Reflexionen im Exil.“ in Max Horkheimer heute (s. Anm. 293), 311. Fetscher bezieht sich hier jedoch nur auf Horkheimers „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse“. 371 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 77. 102

Erwerbsquellen auszuschließen, andererseits „die herrschende Klasse auch die Art der herzustellenden Güter und der anzuwendenden Methoden festlegt[e].“372 Horkheimer gesteht diesem Muster eine gewisse Form der Rationalität zu, da die privilegierten Gruppen sich an einer beständigen Gesellschaftsordnung interessiert zeigten und ihre Macht für deren Organisation und Festigkeit einsetzten. Folglich förderte und bewahrte ihre Herrschaft „eine Produktionsweise, die in ihrer Blütezeit dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte nicht unangemessen war.“373

Horkheimer beobachtet jedoch gleichsam, dass in den späteren Epochen – die ebenfalls nicht exemplifiziert werden – die von denselben privilegierten Gruppen vertretenen Organisationsprinzipien durch den Fortschritt anderer gesellschaftlicher Gruppen fraglich erscheinen mussten und ein Legitimitätsdefizit bedingten. Folglich wurde „ihre Macht zwanghafter und terroristischer, gleichzeitig aber auch schwächer und daher immer irrationaler, bis sie sich schließlich einem blinden Despotismus annäherte.“374 So verwandelte sich die Herrschaft selbst schließlich in einen bloß noch repressiven Faktor, der sich auf das „Denken und die Fähigkeiten der Menschen verstümmelnd“ auswirkte375 – ein Gedanke, den Horkheimer in seiner Schrift „Die Rackets und der Geist“ an zentraler Stelle erneut aufgreift, wenn er die Bemühungen der Herrschaft (dort gleichgesetzt mit dem Racket) beschreibt, die Gegensätze zwischen Allgemeinem und Besonderen in „Einheit und Gemeinschaft“ zu verhüllen.376 Zugleich kann aber nicht von einer homogenen herrschenden Klasse gesprochen werden, da diese zwar durch ihr gemeinsames Interesse an ihrer spezifischen Ausbeutungsweise zusammengehalten wurde, immer aber auch von internen Kämpfen um die Beute und um die Kontrolle der Produktion geprägt war.377 Die Feststellung dieses hohen Maßes an Uneinigkeit und Konkurrenz ist es auch, die Horkheimer und Adorno, im Angesicht dieses Phänomens innerhalb der faschistischen Regime ihrer Zeit, ausschlaggebend zu einer Revision des Klassenmodelles veranlassten.378

372 Ebd. 373 Ebd. 374 Ebd. 375 Ebd., 77–78. 376 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 290. 377 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 78. 378 Stirk, Peter M. R., Max Horkheimer, 144. 103

Die Diagnose des kompetitiven Elementes innerhalb der herrschenden Klasse führt Horkheimer zu der Beobachtung, dass zumindest eine „Aufhellung“ des Klassenbegriffs erreicht werden müsse, da dieser sich eben nicht auf eine widerspruchsfreie und homogene Einheit beziehe.379 Dies wird bei der Besprechung der Idee der Konkurrenz380 durch Horkheimer deutlich: Er diskutiert hier den Unterschied der Natur der Konkurrenz zwischen Arbeitern zur Natur der Konkurrenz zwischen Kapitalisten. Die Konkurrenz zwischen den Arbeitern bedeutet dabei schlicht, dass die schiere Menge der Arbeiter dazu beiträgt, dass die Löhne kaum über die nackten Lebenserhaltungskosten steigen können.381 So würde nun eigentlich der Marxsche Moment der Verelendung zu erreichen sein, der zur Umwälzung führen muss. Die Theorie sagt bekanntermaßen voraus, dass der „ökonomische Druck, der sich aus dem Stand der Dinge, verbunden mit der Aufklärung der Arbeiter durch ihre Rolle im modernen Produktionsprozess“ ergibt, zur Bildung einer Partei führt, die die Revolution anstrengt und die Welt verändert.382 Gleichwohl aber bedingt die Konkurrenz unter den Arbeitern auch ein weiteres Phänomen, das im Angesicht des Faschismus erst offenbar wurde: „den Scheincharakter des Arbeitsvertrages als einer Vereinbarung zwischen gleich freien Partnern“, dessen Ziel es ist, der Zementierung einer „grundsätzlichen Ungleichheit zu dienen, die durch seine Darstellung in demokratischer Sprache verschleiert wird.“383 Mit anderen Worten: die Revolution kommt nicht!

In einem ähnlichen Sinne stellt auch Adorno fest, dass die marxistische Klassentheorie letztlich als eine Verelendungstheorie formuliert wurde, in der das Elend der Proletarier diese zu einer Klasse forme und die aus der kapitalistischen Wirtschaft erwachsene Unerträglichkeit das Elend selbst zu einer revolutionären

379 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 78. 380 Horkheimer unterstellt dabei keineswegs, dass in der marxschen Theorie kein Platz für Uneinigkeit wäre. Im Gegenteil streicht er sogar heraus, dass Marx das Prinzip dem Prinzip der Konkurrenz durchaus Rechnung trägt: „Marx hat sowohl auf die positiven als auch auf die negativen Aspekte der Konkurrenz hingewiesen. Einerseits betonte er die Fortschrittlichkeit das Kapitalismus, andererseits deckte er aber auch seine Unterdrückungsmechanismen auf und zeigte, wie sich hinter der scheinbar rationalen Einrichtung des Marktsystems das uralte Problem der Macht verbarg.“ (ebd., 79). 381 Ebd. 382 Ebd., 83. 383 Ebd., 79. 104

Kraft werden lässt, die sich schließlich selbst überwinden soll.384 Diese Prognose entspricht aber nicht den Erfahrungen. Zum einen lässt sich beobachten, dass der Lebensstandard der Arbeiter sich seit der Verfassung des „Kommunistischen Manifests“ von 1848 nicht verschlechtert, sondern im Gegenteil verbessert hat,385 sodass keine Rede davon sein könne, dass „Hunger sie zum bedingungslosen Zusammenschluß und zur Revolution nötigte.“386 Zum anderen haben die Vertreter der Klassentheorie mit einem unangenehmen Phänomen zu kämpfen: „In der jüngsten Phase das Kapitalismus trat die Arbeiterklasse in den Konkurrenzkampf ein, indem sie sich an die Monopolstruktur der Gesellschaft anpasste.“387 Die Auffassung einer horizontal geschichteten Klassengesellschaft mit einheitlicher Willensbildung innerhalb der Klassen ist somit kaum haltbar. Insbesondere dann nicht, wenn man die Rolle der Gewerkschaften und ihrer Führer betrachtet, über die Adorno schreibt: „Die Gewerkschaften werden zu Monopolen und die Funktionäre zu Banditen, die von den Zugelassenen blinden Gehorsam verlangen“, um schließlich den Raub mit den anderen Monopolherren zu teilen.388 Horkheimer führt zum selben Thema aus:

„Die Tatsache, daß die Gewerkschaften monopolistisch organisiert sind, bedeutet nicht, daß ihre Mitglieder – abgesehen von der Arbeiteraristokratie – Monopolisten sind. Sie bedeutet, daß die Führer das Arbeitsangebot kontrollieren wie die Direktoren der großen Gesellschaften die Rohmaterialien, Maschinen oder andere Produktionsfaktoren. Die Arbeiterführer sind die Manager der Arbeiterschaft, manipulieren sie, machen für sie Reklame und versuchen, ihren Preis so hoch wie möglich festzusetzen. Gleichzeitig hängen ihre

384 Theodor W. Adorno, „Reflexionenen zur Klassentheorie [1942].“ in Gesellschaftstheorie und Kulturkritik (s. Anm. 6), 17. 385 Max Horkheimer sieht Adorno und sich selbst etwa 15 Jahre später in dieser Diagnose bestätigt, als er gegenüber Friedrich Pollock äußert: „Wo finden wir heute noch Akkumulierung allen Reichtums am einen Pol der Gesellschaft und allen Elend am anderen? […] Entscheidend ist, wie auf der ganzen Welt die materielle Lage der Massen steigt: steigende Lebenserwartung – überall. Seigende Lebenshaltung – überall. Angleichung des Lebensstandards mit der Tendenz nach oben in allen Industrieländern.“ Max Horkheimer, „Zur Verelendungstheorie: [Späne. 1955-1956].“ in Gesammelte Schriften: Band 14: Nachgelassene Schriften 1949-1972, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, 242–243 (Frankfurt am Main: Fischer, 1988), 242. 386 Theodor W. Adorno, „Reflexionenen zur Klassentheorie [1942].“ in Gesellschaftstheorie und Kulturkritik (s. Anm. 6), 17–18. 387 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 81. 388 Theodor W. Adorno, „Reflexionenen zur Klassentheorie [1942].“ in Gesellschaftstheorie und Kulturkritik (s. Anm. 6), 14. 105

eigene gesellschaftliche und ökonomische Macht, ihre Positionen und Einkommen, die alle der Macht, Position und dem Einkommen des einzelnen Arbeiters weit überlegen sind, vom Industriesystem ab.“389 Es lässt sich an diesem Beispiel somit verdeutlichen, dass der Klassenbegriff, wie Horkheimer und Adorno ihn ihrer Interpretation einer materialistischen Geschichtstheorie zugrunde legen, nicht davon ausgeht, dass das Eigentum an Produktionsmitteln gleichbedeutend wäre „mit deren wohlgeplantem gesellschaftlichen Einsatz und auch nicht mit dem Bestehen einer einheitlichen Willensbildung und Zielsetzung.“390 Folglich schließt die Kritische Theorie interne Widersprüche der Gesellschaftsklassen nicht aus, sondern stellt fest, dass sich die inneren Bezüge im Laufe der Entwicklung ändern können.391

Die Ausarbeitungen Horkheimers und Adornos zielen in der Folge darauf ab, eine Konkretisierung des Klassenbegriffes zu erreichen, indem sie seine Relativierung um den Begriff des Interesses anstreben. Eine Notwendigkeit, auf die auch Otto Kirchheimer hinweist, wenn er schreibt: „The concept of communal life as independent of the narrow interest of the individual member fails to take cognizance of the character of the bonds which tie the individual to the group.”392 Die Überlegungen diesbezüglich kulminieren im Diktum Adornos, dass der Unterschied zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten eben nicht so in Erscheinung

389 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 87–88. Beachte: Denselben Gedanken diskutiert Horkheimer prominent auch in seinen Überlegungen zum autoritären Staat: „Der führende Mann und seine Clique wird in der Arbeiterorganisation so unabhängig wie in dem anderen, dem Industriemonopol, das Direktoriat von der Generalversammlung. Die Machtmittel, hier die Reserven des Betriebs, dort die Kasse der Partei oder Gewerkschaft, stehen der Leitung im Kampf gegen Störenfriede zur Verfügung. [...] Die monopolisierte Industrie, welche die Masse der Arbeiter zu Opfern und Parasiten macht, verweist die Masse der Arbeiter auf Warten und Unterstützung. Sie haben nicht so viel von ihrer Arbeit wie von der Protektion und Hilfeleistung der Vereine zu erwarten. In den restlichen Demokratien befinden sich die Leiter der großen Arbeiterorganisationen heute schon in einem ähnlichen Verhältnis zu ihren Mitgliedern wie im integralen Etatismus die Exekutive zur Gesamtgesellschaft: sie halten die Masse, die sie versorgen, in strenger Zucht, schließen sie gegen unkontrollierten Zuzug hermetisch ab, dulden Spontaneität bloß als Ergebnis ihrer eigenen Mache.“ Max Horkheimer, „Autoritärer Staat [1940/1942].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 362), 296. 390 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 78. 391 Iring Fetscher, „Die Ambivalenz des liberalistischen 'Erbes' in der Sicht von Max Horkheimer: Eine Skizze zu seinen politischen Reflexionen im Exil.“ in Max Horkheimer heute (s. Anm. 293), 311. 392 Kirchheimer, „In Quest of Sovereignty“, 145. 106 tritt, dass „er den Ausgebeuteten Solidarität als ihre ultima ratio vor Augen stellt: Konformität ist ihnen rationaler. Die Zugehörigkeit zur gleichen Klasse setzt längst nicht in Gleichheit des Interesse und der Aktion um.“393

Aus dem Gesagten muss deutlich werden, dass der Begriff der Klasse, so wie er von Horkheimer und Adorno für ihre gesellschaftstheoretischen Überlegungen zugrunde gelegt wird, nicht geeignet ist, um aus ihm heraus abschließend Herrschaftsverhältnisse und Machtstrukturen zu charakterisieren. Gegenteilig liegt der analytische Nutzen in dem Doppelcharakter der Klasse begründet, der darin besteht, dass „ihre formale Gleichheit die Funktion sowohl der Unterdrückung der anderen Klasse hat wie die der Kontrolle der eigenen durch die Stärksten.“394 Der Klassenbegriff ist somit ein kritischer, denn er „designiert die Einheit, in der sich die Partikularität des bürgerlichen Interesses verwirklicht. Seine Unwahrheit liegt in der Nichteinheit der Klasse.“395

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Diesbezüglich ist der Vorschlag Kai Lindemanns, den Begriff der herrschenden Klasse als Verhärtung ökonomischer Monopolstellungen zu begreifen, zu denen die gewerkschaftliche Funktionärsebene mitzählen würde,396 eine ungenaue Interpretation der Überlegungen Horkheimers und Adornos, da dadurch ja nicht nur die Heterogenität der Interessen innerhalb der Klassen ignoriert würden, sondern der Begriff der Klasse – der durch die Designation von Einheit gleichsam schon Ideologie ist397 – suggerieren würde, dass es keine inneren Beherrschungsordnungen geben könnte. Die „Arbeiteraristokratie“ müsste also die Klasse der Arbeiter verlassen, um die Machtstellung über die Arbeiter zu erlangen. Das ist aber nicht richtig, denn genau zu diesem Zweck wird der Begriff weiter gepflegt und er würde schließlich selbst jede analytische Qualität für die Kritische

393 Theodor W. Adorno, „Reflexionenen zur Klassentheorie [1942].“ in Gesellschaftstheorie und Kulturkritik (s. Anm. 6), 11. 394 Ebd., 13. 395 Ebd. 396 Kai Lindemann, „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik.“ in Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno (s. Anm. 14), 106. 397 Theodor W. Adorno, „Reflexionenen zur Klassentheorie [1942].“ in Gesellschaftstheorie und Kulturkritik (s. Anm. 6), 12. 107

Theorie verlieren. Genauer wäre zu formulieren: Die herrschenden Cliquen sind als Verdichtung ökonomischer und politischer Monopolstellungen zu begreifen – gleich welcher Klasse ihre Mitglieder angehören.

Horkheimer bringt hier nun den Begriff des Rackets in die Diskussion ein, der eben jene Cliquen umfassen soll. Er formuliert in seinem Aufsatz „Die Rackets und der Geist“ diesbezüglich jedoch selbst etwas nebulös: „Herrschende Klasse heißt jeweils die Struktur von Rackets auf Grund einer bestimmten Produktionsweise, sofern sie die untersten Schichten gemeinsam beschützen und niederhalten.“398 Dies scheint zunächst eben keine Modifikation des Klassenbegriffes zu sein, sondern lediglich den Begriff der herrschenden Klasse durch jenen des Rackets zu ersetzen. Erst der Blick auf Aussagen Horkheimers, die in den 50er und 60er Jahren in Bezug auf das Racket getroffen wurden, impliziert, dass eine solche begriffliche Ablösung nicht intendiert war, sondern dass die Diversifizierung von Herrschaftstechniken durch den Begriff des Rackets dargestellt werden sollte. Zu dieser Zeit konstatiert Horkheimer etwa:

„Technik, rasende wissenschaftliche Fortschritte auf allen Gebieten, unabsehbare Bevölkerungsvermehrung bewirken, daß der Einzelne immer abhängiger und immer mehr von Rackets beherrscht und manipuliert wird. Beispiele für diese Rackets sind die Bürokratien aller Art, einschließlich der Gewerkschaften und - der Ärzte. Die Divergenz zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte in Bezug auf die richtige Gesellschaft, rührt von dem Interesse der Rackets her, die möglichst viel Macht und Geld für sich monopolisieren wollen."399 Wenn nun „die Gewerkschaft“ ein Racket darstellt, dann muss dies doch bedeuten, dass auch jeder einfache Arbeiter, der Mitglied der Gewerkschaft ist, ebenso Mitglied des Rackets ist, nur eben nicht ein führendes. Er ist also kein Racketeer. Gleichwohl aber ist er in das Racket eingetreten und ihm verpflichtet. Er wird von ihm kontrolliert und zugleich werden auch seine Interessen geschützt, da, wie Horkheimer an anderer Stelle ausführt, das Racket „eine unter sich verschworene Gruppe ist, die ihre kollektiven Interessen zum Nachteil des Ganzen durchsetzt.“400

398 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 288. 399 Max Horkheimer, „Die Gesellschaft der Rackets und ihr Zusammenhang mid dem Nationalismus, exmplifiziert am medizinischen Racket: [Späne. 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften: Band 14: Nachgelassene Schriften 1949-1972, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, 324–325 (Frankfurt am Main: Fischer, 1988), 324–325. 400 Max Horkheimer, „Herrschende Klasse, die von den Rackets beherrschte Klasse und die Rolle 108

Andererseits ist der Gewerkschaftsführer immer noch auch Teil der Arbeiterklasse, wodurch sich eben Adornos Feststellung von der Nichteinheit der Klasse verdeutlicht.

Es ist daher ungenau, von der herrschenden Klasse als Racket zu sprechen, denn: Nach hier vertretener Auffassung erhält der Racket-Begriff, der die herrschenden Cliquen erfassen will, seinen analytischen Mehrwert erst dadurch, dass er gerade über den Begriff der Klasse hinausreicht – besser als eine Herrschaftskonfiguration neben ihn tritt –, ohne dass das Racket die Klasse ersetzt (wie die missverständliche Formulierung von der „herrschenden Klasse“ suggerieren muss) und ohne dass der Terminus der Klasse seinen Platz in der materialistischen Theorie einbüßt. Mit Adorno muss am Klassenbegriff ja gerade festgehalten werden, da „sein Grund, die Teilung der Gesellschaft in Ausbeuter und Ausgebeutete, nicht bloß ungemindert fortbesteht, sondern an Zwang und Festigkeit zunimmt.“401 In der Analyse der Referenzierung auf den Klassenbegriff liegt – und das exemplifiziert Adorno in seiner Reflexion zur Klassentheorie selbst – die Möglichkeit der Analyse von Herrschafts- und Machtstrukturen. Wenn also Horkheimer konstatiert: „Die Menschen werden heute zu 'Fachleuten' erzogen. [...] Der Fachmann hat auf seinem Gebiet mit seinen Kollegen ein Monopol. Er schließt sich mit ihnen zusammen und so entstehen überall Rackets aller Größenordnungen. Auch das Racket der Politiker.“,402 dann folgt daraus zunächst, dass spezifische Cliquen sich als Rackets organisieren und ihre Herrschaftsdispositionen monopolisieren. Es bedeutet, dass herrschende Cliquen nach dem Racket-Muster organisiert sind. Es bedeutet nicht, dass das Racket die herrschende Klasse ist.

Adorno kommt folglich zu jenem Ergebnis, welches Grundlage der Ausformulierung der Racket-Theorie der beiden Vertreter der Frankfurter Schule sein sollte: „Allenthalben drängt Selbsterhaltung übers Kollektiv zur verschworenen Clique.“403

der Fachleute: [Späne. 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 8), 334. 401 Theodor W. Adorno, „Reflexionenen zur Klassentheorie [1942].“ in Gesellschaftstheorie und Kulturkritik (s. Anm. 6), 11. 402 Max Horkheimer, „Der Fachmann: [Späne. Notizen über Gespräche mit Max Horkheimer, von Friedrich Pollock 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften: Band 14: Nachgelassene Schriften 1949-1972, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr (Frankfurt am Main: Fischer, 1988), 359. 403 Theodor W. Adorno, „Reflexionenen zur Klassentheorie [1942].“ in Gesellschaftstheorie und Kulturkritik (s. Anm. 6), 14. 109

Eine Aussage über eine spezifische Klassenmitgliedschaft ist damit noch keineswegs getroffen und es stellt sich nicht die Frage, ob etwa der Gewerkschaftsführer die Klasse der Arbeiter „verlässt“ oder nicht. Er ist schlicht Mitglied einer spezifischen Clique. Nach Adorno ist jedenfalls die Geschichte, „nach dem Bilde der letzten ökonomischen Phase, die Geschichte von Monopolen. Nach dem Bilde der manifesten Usurpation, die von den einträchtigen Führern von Kapital und Arbeit heute verübt wird, ist sie die Geschichte von Bandenkämpfen, Gangs und Rackets.“404

Hier ist bereits angelegt, was weder Horkheimer noch Adorno so explizit formulieren: Der Racket-Begriff emanzipiert sich von dem der Klasse, indem er vertikale Dynamiken erfassen kann. Die verschworene Clique schert sich nicht um vorgebliche Klasseninteressen, sie interessiert sich für die Monopolisierung von Herrschaft zur Erlangung oder Sicherung ökonomischer Privilegiertheit. Der Begriff des Rackets trägt diesem Prinzip Rechnung, da er objektiv Ausdruck der Vorstellung ist, dass „in der heutigen Gesellschaft jede beliebige Tätigkeit nur noch das eine Interesse zum Inhalt oder Ziel hat: die Ergatterung des größtmöglichen Anteils am zirkulierten Mehrwert.“405 Die Bildung von Rackets ist hieraus folgend die logische Konsequenz, formuliert doch Kirchheimer paradigmatisch: „Organization means the most rational and effective form to realize a maximum of profit for the individual member.”406 Und Kirchheimer war es auch, der auf das vertikale Moment hinwies, als er – wie oben bereits angeführt – schrieb:

„But if there is a difference in methods as between ‘haves’ and ‘have- nots,’ firstcomers and latecomers, ‘decent citizens’ and ‘racketeers,’ there is no difference in their aims which are essentially the same: establishment of domination over a segment of the process of production or distribution. Common usage of the language has, therefore, justifiably generalized the use of the word, racket.”407

404 Ebd., 15, meine Hervorhebungen. 405 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 102. 406 Kirchheimer, „In Quest of Sovereignty“, 145. 407 Ebd., 160. 110

3.1.3 Das Racket-Muster als Grundform der Herrschaft

Sobald man die Ebene des Interesses sowie die damit verbundenen Reflexionen zur Verwendung des Klassenbegriffes verlässt und sich auf die Analyse der Herrschaftsverhältnisse fokussiert, gelangt man zur Kernthese Max Horkheimers, das Racket repräsentiere die Grundform der Herrschaft.408

In seinem Aufsatz „Die Rackets und der Geist“ setzt Horkheimer sich explizit mit jenerGeschichtsauffassung auseinander, welche Geschichte als die Geschichte der Rackets klassifiziert, indem er seine Aufmerksamkeit auf die Analyse der Strukturen der Eliten richtet. Bereits in seinen Überlegungen zur Klassensoziologie hatte er festgestellt, dass sich ein alter Trend zur Monopolisierung von Schlüsselpositionen innerhalb der kapitalistischen Konkurrenz ausmachen lässt, der viel weniger frei ist, als zu vermuten sei. Seine historische Diagnose zeigt hier auf, dass das vermeintlich freie Spiel der Konkurrenz vielmehr durch eine Hierarchie ökonomischer Macht eingeengt ist, da es wenigen Gruppen „durch Geburt oder Betrug, Brutalität oder Gerissenheit, technische Fachkunde im Umgang mit Maschinen oder mit menschlichen Beziehungen, Heirat oder Speichelleckerei, gelang, einen Teil des in die Industrie investierten Gesamtkapitals zu kontrollieren.“409

Die Frage, die Horkheimer an diese wenigen Gruppen richtet, ist, wenn man so will, eine ökonomische: Wie verhält sich das Angebot zur Nachfrage? Oder genauer: Worin ergründen sich die Funktionen von Gruppen – hier von den Eliten aus gedacht – und wer erhält wie Zugang zu dieser Gruppe? Er beobachtet in seiner Analyse der zeitgenössischen Gesellschaft bezüglich des Angebotes der Gruppen: „Die allgemeinste Kategorie der von den Gruppen geübten Funktionen ist der Schutz. Die Gruppen halten die Bedingungen für den Fortgang der Arbeitsteilung, in der sie eine bevorzugte Stelle haben, aufrecht und wehren Änderungen, die ihr Monopol gefährden könnten, gewaltsam ab. Sie sind Rackets.“410 Im Mittelpunkt des Schutzangebotes des Rackets steht also die Monopolisierung der Vorteile für seine Mitglieder. Den zugrundeliegenden historischen Prozess dieser Monopolisierung

408 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 287. 409 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 80. 410 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 288. 111 der Vorteile bezeichnet er dabei als Verhärtung,411 wobei er beispielsweise die Implementierung des Privateigentums an Produktionsmitteln als den entscheidenden Verhärtungsprozess des Industriezeitalters ausmacht, da durch sie eine bestimmte Funktion, „nämlich des Kommandos über die Warenproduktion“, monopolisiert wurde.412 Dies verdeutlicht bereits, wie weit der Racket-Begriff über den Fokus auf die Verhärtung gedacht werden kann: Wenn man etwa die Zugangsvoraussetzungen zum Arbeitsmarkt betrachten möchte, dann lässt sich argumentieren, dass beispielsweise die Einführung bestimmter akademischer Grade, über die jeder einzelne Berufszweig vor dem Zutritt Unbefugter geschützt wird, eine solche Verhärtung darstellt. Entsprechend führt Horkheimer erst später in den 60er Jahren – also nicht mehr im Angesicht der faschistischen Herrschaft in Deutschland – aus, dass die Gesellschaft nun von den Rackets der Fachleute beherrscht werde.413 Wie immer man jenes Racket identifizieren mag, welches für den Schutz eines spezifischen Berufszweiges gesorgt hatte, letztlich steht am Ende die Feststellung:

„Offizielle Rechtstitel bestätigen bloß die Zugehörigkeit zu einem Racket. Der im Namen aller zeichnende Staat bestätigt dadurch, daß der Inhaber einem Racket angehört und damit ins System eingegliedert ist. Legale und illegale Titel, Zugehörigkeit zur Welt und Unterwelt sind dadurch unterschieden, daß die Welt über eine umfassende Organisation verfügt, keiner soll ihrem Schutz entgehen, wen ihre Agenturen proskribieren, der ist verloren.“414 Es wird so ersichtlich, dass für Horkheimer der Ausgangpunkt für die Formulierung der Racket-Theorie die Analyse der zeitgenössischen Gesellschaft ist, in welcher er beobachtet, dass diese sich als eine Konfiguration von organisierten Gruppen abbilde, die unter der Leitung von bürokratischen oder quasi-bürokratischen Eliten stehe.415 Diese Beobachtung scheint zunächst losgelöst von der faschistischen

411 „Verhärtung heißt Monopolisierung der Vorteile, die sich auf Grund der bestimmten regelmäßigen Leistung im gesellschaftlichen Prozeß erzwingen lassen.“ (Ebd.). 412 Ebd. 413 Max Horkheimer, „Herrschende Klasse, die von den Rackets beherrschte Klasse und die Rolle der Fachleute: [Späne. 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 8), 335: „Die Rackets, welche die Gesellschaft beherrschen, setzen sich zusammen aus 'Fachleuten': Manager aller Art, einschließlich der Gewerkschaftsführer, Politiker, Ärzte, hochqualifizierte Ingenieure, Rechtsanwälte usw.“ 414 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 289. 415 Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, „Nachwort des Herausgebers: Die Stellung der 'Dialektik der Aufklärung' in der Entwicklung der Kritischen Theorie. Bemerkung zu 112

Gangsterherrschaft zu stehen, da sich über die hier dargestellten Prinzipien des Schutzes des Einzelnen (und explizit gar der „unteren Schichten“416) durch das Racket auch die Grundprinzipien einer diversifizierten Gesellschaft darstellen lassen: Nur am Rande weist Horkheimer darauf hin, dass die Entwicklung von Gesellschaften nicht nur durch die Umstellungen von Gewohnheiten und Bedürfnissen als Folge von Erfindungen und Neuerungen geprägt sei, sondern der Rückfall auf frühere Stufen insbesondere durch Aufspaltung der Interessen verhindert werde.417 Es ließe sich nun argumentieren, dass die Rackets gerade über die oben erwähnten Verhärtungen als Agenten des Fortschrittes bezeichnet werden können, denn durch sie wird die Aufspaltung der Interessen ja gesichert und auf Dauer gestellt. Niemand darf Arzt sein, ohne Arzt zu sein – oder: zum Glück darf niemand eine Herztransplantation vornehmen, ohne dem Racket der Mediziner anzugehören!

Hier zeigt sich nun, dass der Racket-Begriff Horkheimers mehr anbietet, als die Beschreibung eines Systems privilegierter Komplizenschaft. Es wird aber auch deutlich, dass der Begriff des Rackets aufgrund seines dialektischen Charakters nicht von ungefähr zu einem Kernbegriff der Dialektik der Aufklärung avancierte. Wenn man nämlich nun dem Angebot des Rackets – im Grunde also das Schutzversprechen oder gar seine Wohltätigkeit418 – das gegenüberstellt, was es erstens von seinen Schutzbefohlenen verlangt, und wenn man sich zweitens fragt, wie der Zutritt zum Racket überhaupt erst möglich wird, dann gelangt man zur düsteren Seite der Theorie. Jene Seite, die Horkheimer sagen lässt, dass die wahre Idee der Demokratie „die Ahnung einer vom Racket freien Gesellschaft“ in sich trägt.419 Denn ein Racket ist nach Horkheimer „eine unter sich verschworene Gruppe, die ihre kollektiven Interessen zum Nachteile des Ganzen durchsetzt.“420

Autorschaft, Entstehung, einigen theoretischen Implikationen und späterer Einschätzung durch die Autoren.“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 294), 441. 416 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 288. 417 Ebd., 287. 418 Scheit, Suicide attack, 433: „Racket heißt eben auch Wohltätigkeitsverein.“ 419 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 291. 420 Max Horkheimer, „Herrschende Klasse, die von den Rackets beherrschte Klasse und die Rolle der Fachleute: [Späne. 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 8), 334; meine Hervorhebungen. 113

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Peter Stirk fasst treffend zusammen, dass die Aussage Adornos, dass die Geschichte die Geschichte von Rackets sei, weniger auf die Beobachtung der Uneinigkeit der Klassen zurückgehe, sondern vielmehr auf die Erkenntnis, dass der Racket-Begriff die Konnotation des Zwangs in sich trage und dass Zwang wiederum den Hauptnenner für Beherrschung (er verwendet im Englischen das hier vielleicht passendere domination) repräsentiere. Aus dieser Perspektive wird Geschichte zur „history of domination“, zur Geschichte der Herrschaft also.421 Stirk führt aus:

„But what characterises rackets? The key component is the ambiguous mixture conjured up in the term 'protection' which Horkheimer took as the archetype of domination. It signifies on the one hand protection from harm or disturbance. On the other hand, it signifies the extraction of tribute under threat of coercion. The racketeer is both protector and exploiter.“422 Neben den zahlreichen theoretischen Implikationen, die sich aus der Diskussion um den Wert des Begriffes im Angesicht einer überdachten Klassentheorie ergeben und die den Racket-Begriff Horkheimers prägen und ausgestalten, können und müssen danach also auch jene Konnotationen mitgedacht werden, die oben im Zusammenhang mit dem juristischen Begriff des racketeering angesprochen wurden und die auch Tilly so prominent ausgearbeitet hat. Diese Erkenntnis ist es, die den Begriff des Rackets zunächst in Zusammenhang mit Gewalt und Gewaltandrohungen bringt und folglich die Verknüpfung der Phänomene des Schutzes und des Zwangs mitdenken lässt. Michael Greven führt aus, dass der Racket-Begriff der amerikanischen Umgangssprache einen Mechanismus der Schutzgelderpressung bezeichne, mit dem sich „zur Gewalt befähigte und bereite Gruppen produktiven Mitgliedern der Gesellschaft oder ganzen Gruppen und Organisationen als Schutzherren erpresserisch aufzwingen.“423 Die Wahl dieses

421 Stirk, Peter M. R., „The Theory of Rackets.“ in Max Horkheimer: A New Interpretation, 131–154 (Hemel Hempstead, Hertfordshire, Lanham, MD: Harvester Wheatsheaf; Barnes & Noble, 1992), 143: „The point of referring to rackets, and not just to ruling classes, was that the idea of a racket contains the suggestion of coercion and coercion was the common denominator of domination. From this perspective, history, which Marx had described as the history of classes, was a history of domination.” 422 Ebd., 141. 423 Michael Th. Greven, „Zur Kontinuität der 'Racket-Theorie'.“ in Kritische Theorie und historische Politik (s. Anm. 297), 161. 114

Begriffes, der zentral den Verweis auf Gewalt in sich trägt, erfolgte durch die Theoretiker der Frankfurter Schule dabei nicht zufällig, sondern deutet darauf hin, dass die „Racket-Theorie an zentraler Stelle eine Theorie der Gewalt“ ist, wie von Greven ausgeführt.424

Maßgeblich ist dabei die einführende Bemerkung Horkheimers in seinem Aufsatz „Die Rackets und der Geist“, dass sich natürlicherweise Hierarchie schlicht über Stärke herausbilde und die „nächststarken Männchen wachen gegenüber den minder starken ebenso eifersüchtig über ihre Vorrechte wie ihnen gegenüber der Patriarch.“425 Dies ließe sich nun leicht als die Beschreibung eines hypothetischen Naturzustandes abtun, da Horkheimer folgend selbst konstatiert, dass durch die Einführung der Werkzeuge die Rangordnung durch die Lebensweise bestimmt werde und nicht mehr durch physische Kraft. Horkheimer führt weiter aus, dass die „ursprünglich rein auf natürliche Potenzen begründete Hierarchie der Macht“ durch die Fähigkeiten von Gruppen und Individuen sowie deren Okkupation von Schlüsselpositionen modifiziert werde.426 Diese modifizierte Hierarchie der Macht wurde schließlich zur gesellschaftlichen, „zur zweiten“ Natur, in der eben nicht mehr die physische Potenz den Ausschlag gibt, sondern die Position. Als zentral ist nun der folgende Satz zu bewerten: „Die erste Natur, auf der auch weiterhin die Gesellschaft begründet bleibt, wird verstümmelt und versklavt.“427 Sie wird also weiter dienstbar gemacht, wenn auch in anderer Form. Es lässt sich somit vermuten, dass Horkheimer mit dem Racket-Gedanken nicht nur eine mögliche Gesellschaftskonfiguration markierte, sondern eher einen anthropologischen Ausgangspunkt für die Überlegungen in seiner und Adornos Dialektik der Aufklärung formulierte, wo der Racket-Begriff als soziologischer Terminus technicus vorausgesetzt wird.428 Dieser anthropologische Ausgangspunkt stellt demnach

424 Ebd. 425 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 287. 426 Ebd. 427 Ebd.; meine Hervorhebungen. 428 Vgl. exemplarisch Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung: Philosophische Fragmente, 21. Aufl. (Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2013), 45: „Das Elend als Gegensatz von Macht und Ohnmacht wächst ins Ungemessene zusammen mit der Kapazität, alles Elend dauerhaft abzuschaffen. Undurchdringlich für jeden Einzelnen ist der Wald von Cliquen und Institutionen, die von den obersten Kommandohöhen der Wirtschaft bis zu den letzten professionellen Rackets für die grenzenlose Fortdauer des Status sorgen. [...] Die Absurdität des Zustandes, in dem die Gewalt des Systems über die 115

Gewalt und Zwang an den Anfang der Konstituierung von Gruppen, sodass Horkheimer noch Ende der 50er Jahre anmerkte: „Solange der geistige und der materielle Wohlstand auf der Gewalt beruht, hängt es von den Umständen ab, wo sie gerade am krassesten zu spüren ist - in welchen geographischen Breiten, in welchen sozialen Schichten. Gewalt fluktuiert und - beruht nicht alles menschliche Leben heute auf Gewalt?“429

Das Racket also, das schon in seiner Konnotation die Zentralität der Gewalt begrifflich mitschwingen lässt, ist die „Grundform der Herrschaft“430 wobei das Racket-Muster „repräsentativ für alle menschlichen Beziehungen“431 ist. Zugleich lässt sich die Grundlage für diese menschlichen Beziehungen – oder für die „zweite“ also gesellschaftliche Natur – auf eine anthropologische Konstante zurückführen, die den Menschen seine Beziehungen durch das Geschäft mit der Gewalt regeln lässt. Entsprechend stellte Adorno fest, dass Gesellschaft zusammengehalten werde durch die – „wenn auch vielfach mittelbare“ – Drohung mit körperlicher Gewalt.432 Dirk Hülst formuliert in seiner Analyse von Macht und Herrschaft bei Horkheimer und Adorno daher prägnant: „Auf der Basis von Gewaltanwendung errungen und durch Zwang abgesichert, wird das Privileg als (Un-)Rechtsverhältnis in die Gewohnheit und das Bewusstsein der Menschen allmählich eingeschliffen.“433

In seiner „Theorie des Verbrechers“ führt Horkheimer dann auch aus, dass die Gewalt dem Bürgertum etwa nicht weniger inhärent sei als jenen Gesellschaften, in denen „Schwert und Peitsche noch in der Hand des Herrn oder seiner unmittelbaren

Menschen mit jedem Schritt wächst, der sie aus der Gewalt der Natur herausführt, denunziert die Vernunft der vernünftigen Gesellschaft als obsolet. Ihre Notwendigkeit ist Schein, nicht weniger als die Freiheit der Unternehmer, die ihre zwanghafte Natur zuletzt in deren unausweichlichen Kämpfen und Abkommen offenbart.“ 429 Max Horkheimer, „Gewalt: [Nachgelassene Notizen 1956-1958].“ in Gesammelte Schriften: Band 14: Nachgelassene Schriften 1949-1972, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, 88 (Frankfurt am Main: Fischer, 1988), 88. 430 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 287. 431 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 101. 432 Hermann Mörchen, Macht und Herrschaft im Denken von Heidegger und Adorno, 1. Aufl [Stuttgart: Klett-Cotta, 1980], 110): „Nur ‚mittelbar‘, also unter dem Schein der Gewaltlosigkeit, mach die Drohung sich geltend, weil sie durch Institutionalisierung gezähmt ist.“ 433 Dirk Hülst, „'Nicht bei sich selbst zu Hause sein' - Macht und Herrschaft bei Horkheimer und Adorno.“ in Macht und Herrschaft: Sozialwissenschaftliche Theorien und Konzeptionen, hrsg. von Peter Imbusch. 2., überarb. Aufl., 115–136 (Wiesbaden: Springer VS, 2013), 118. 116

Umgebung waren.“434 Dies impliziert die theoretisch prominente Stellung sowohl der Androhung von Gewalt, als auch des Schutzes vor Gewalt bei der Konstituierung von Gemeinschaften – gleich wie ausdifferenziert der Apparat der Unterdrückung oder des Schutzes sein mag435 –, deren Grundlage eben jenes doppelzüngige Schutzversprechen des Rackets und seines Racketeers an das Individuum ist. Wie weit sich Horkheimer mit seiner Racket-Theorie eben auch durch den Hinweis auf den Ausgangspunkt der Konstituierung von Gemeinschaften von der marxistischen Theorie entfernte, verdeutlicht Peter Stirk in seiner Besprechung der Racket- Theorie:

„The insertion of the Marxian terminology should not be allowed to conceal how far Horkheimer had departed from classical Marxian theory. He did not refer to the varying degrees of composition of capital, to average profit rates or mechanisms explaining deviation from them. He referred instead to the search for a ‘strategic position’. He referred to the means of production as being analogous to the cannon of robbers. The contrast is clear enough. Marx had written of a system which, though fundamentally flawed, operated according to certain standards of justice and equity. He did not deny the role of deceit and force but these were not the starting-point. For Horkheimer, they now were.”436 Diese Rückführung des Racket-Gedankens auf den Ausgangspunkt der Konstituierung von Gemeinschaften führt so zur überzeugenden Beurteilung Michael Grevens, der ausführt: „Die Racket-Theorie ist an zentraler Stelle eine Theorie der Gewalt, auf die sich die Herrschaft genetisch-kausal gründet und die auch in ihren höchsten Vermittlungsformen stets noch den letzten Grund darstellt,

434 Max Horkheimer, „Theorie des Verbrechers [1943].“ in Gesammelte Schriften: Band 12: Nachgelassene Schriften 1931-1949, hrsg. von Gunzelin Schmid Noerr, 266–277 (Frankfurt am Main: Fischer, 1985), 271: „Wo die bürgerliche Gesellschaft unmittelbar sich mit Natur auseinandersetzt, fallen Produktion und Destruktion zusammen. Im Schlachthaus ist der Totschlag mit der Herstellung von Lebensmitteln eins. Aber im Verhältnis der Klassen zueinander sind die Funktionen differenziert; der Unternehmer verfügt bei der Herstellung, der Polizist jagt den Verbrecher. Gewalt ist dem Bürgertum nicht weniger wesentlich als jene Formen der Gesellschaft, in denen Schwert und Peitsche noch in der Hand des Herrn oder seiner unmittelbaren Umgebung waren.“ 435 Vgl. ebd.: „Wo immer einer Sippe oder Klasse die Möglichkeit relativ gesicherten Lebens und der anderen Hunger, Unsicherheit und Arbeit bleibt, bedarf es der schlagenden Gewalt, ob sie in Gestalt der Keule dem Fremdling den Eingang in die Höhle wehrt oder in der des Knüppels den Gefangenen in den Kellern der Polizeipräsidenten ermordet. Infolge der Arbeitsteilung kristallisiert sie sich jenseits der Kultur in den Apparaten der Unterdrückung. In ihrer Polizei und ihrem Strafvollzug finden alle Instinkte der Destruktion einen Unterschlupf.“ 436 Stirk, Peter M. R., „The Theory of Rackets.“ in Max Horkheimer (s. Anm. 421), 141–142. 117 auf den sich Herrschaft und Unterwerfung zurückführen lassen.“437 Daraus muss folgen, dass die Racket-Theorie trotz der Kürze der sie konstituierenden Essays Horkheimers und Adornos (der zentrale Text Horkheimers „Die Rackets und der Geist“ umfasst lediglich fünf Seiten) nicht eine spezifische historische Konfiguration der (faschistischen) Herrschaft bespricht, sondern über die Präsentation des Racket-Musters als der Grundform der Herrschaft beansprucht, eine Theorie der Gesellschaft zu sein. Diese Auffassung wird insbesondere durch einen Blick auf die späteren Aussagen Horkheimers verdeutlicht, in denen er wiederholt die Begriffe des Rackets und des Racketeerings in Zusammenhang mit Gesellschaftskonstellationen bringt, welche die Berufung auf Gewalt und Zwang zunächst kaum zu implizieren vermögen.438

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Es lassen sich nach hier vertretener Auffassung drei zentrale Punkte formulieren, an denen der Racket-Begriff nun selbst einer „Aufhellung“ bedarf. Der erste Punkt wurde oben bereits angesprochen und bezieht sich auf die Abgrenzung des Begriffs zum Konzept der Klasse. Es wurde hier vorgeschlagen, zu vermeiden, von den Rackets als „herrschender Klasse“ zu sprechen, sondern vielmehr den vertikalen Charakter des Rackets hervorzuheben und in Bezug auf die Phänomene der

437 Michael Th. Greven, „Zur Kontinuität der 'Racket-Theorie'.“ in Kritische Theorie und historische Politik (s. Anm. 297), 161. 438 Vgl. nur Max Horkheimer, „Die Gesellschaft der Rackets und ihr Zusammenhang mid dem Nationalismus, exmplifiziert am medizinischen Racket: [Späne. 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 399), 324–325; „Technik, rasende wissenschaftliche Fortschritte auf allen Gebieten, unabsehbare Bevölkerungsvermehrung bewirken, daß der Einzelne immer abhängiger und immer mehr von Rackets beherrscht und manipuliert wird. Beispiele für diese Rackets sind die Bürokratien aller Art, einschließlich der Gewerkschaften und - der Ärzte. Die Divergenz zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte in Bezug auf die richtige Gesellschaft, rührt von dem Interesse der Rackets her, die möglichst viel Macht und Geld für sich monopolisieren wollen.”; Max Horkheimer, „Bildung steckt im Detail: [Nachgelassenes Notizen 1953-55].“ in Gesammelte Schriften: Band 14: Nachgelassene Schriften 1949-1972, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, 66 (Frankfurt am Main: Fischer, 1988), 66: „Der Rückgang der Bildung, oder besser die bewußte Förderung des Obskurantismus, erscheint vor allem darin, daß ernste wissenschaftliche Werke nurmehr den Spezialisten, jedenfalls den Gelehrten zugänglich sind. Sogar die die Enzyklopädien lassen die Details, auf die Alles ankommt, als für Laien unerheblich aus. [...] Die Einzelheiten könnten zu unbequemen Gedanken anregen! - Auch ein Racketeering der Wissenschaftler!“; Siehe auch Max Horkheimer, „Das Racket der Ärzte I-III: [Nachgelassene Notizen 1949-1969].“ in Gesammelte Schriften: Band 14: Nachgelassene Schriften 1949-1972, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, 131–138 (Frankfurt am Main: Fischer, 1988). 118

Herrschaft darauf abzustellen, dass das Racket-Prinzip als Herrschaftskonfiguration neben den Klassenbegriff tritt, ohne diesen überflüssig zu machen oder gar ersetzen zu wollen. Der Klassenbegriff bleibt somit geeignet, um, wie von Adorno gefordert, die Unterscheidung zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten einzufangen. Der Begriff des Rackets erfasst hingegen das Phänomen, dass auch Ausgebeutete Teil einer Herrschaftskonfiguration sind und vor allem auch von ihr geschützt werden können, wenn sie auch nicht als Racketeers an ihr partizipieren. Diese Auffassung kann bestätigt werden – und dies zeigt die vorliegende Studie – wenn man die Individuen in den Blick nimmt, die das Racket konstituieren, wenn man also die Racket-Theorie gezielt um den Begriff des Racketeers erweitert, der jene Individuen umfassen soll, welche die maßgeblichen Dominanzpositionen innerhalb der Rackets einnehmen. Eine Perspektive, die Horkheimer selbst zwar nicht einnimmt (der Begriff des Racketeers taucht bei ihm nicht auf, lediglich jener des racketeerings439), zu der er aber gleichwohl ermutigt, wenn er auf die Parallelität der Verhärtungsmuster von Racket und Racketeer hinweist,440 oder wenn er insistiert, dass die Führer von Organisationen mit ihren Machtinteressen und ihrer Charakterstruktur ein ungleich höheres Gewicht innerhalb der Gruppe haben als das verängstigte Individuum.441

Der zweite Kritikpunkt, auf den kürzlich auch Ulrich Bröckling in seinem Vortrag „Rackets and Racketeers: A Sociological Approach to ‚Men of Disorder‘“ hinwies, bezieht sich auf die Gefahren der Generalisierungen, die im Racket-Prinzip enthalten sind.442 Wenn sich im Racket nun eigentlich jede Form der Vergemeinschaftung von

439 Horkheimer spricht beispielsweise vom „Racketeering der Wissenschaftler“. Max Horkheimer, „Bildung steckt im Detail: [Nachgelassenes Notizen 1953-55].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 438), 66. 440 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 288. 441 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 81–82: „Die logischen Elemente des Kollektivbegriffs Arbeit, d. h. die Masse der gewöhnlichen Mitglieder, sind nicht die Kräfte, die aufgrund ihrer eigenen Ideen und aufgrund ihrer Spontaneität den Lauf des Ganzen bestimmen. Sie sind, um die mathematische Terminologie zu verwenden, für das Ganze eher die Variable als die Konstante. Im Gegenteil, das Ganze, das heißt die Organisation, determiniert und verängstigt sogar das Individuum, denn die Führer, mit ihren materiellen und Machtinteressen, mit ihrer Weltanschauung und Charakterstruktur, haben ein unendlich größeres Gewicht als jedes bloße Mitglied.“ 442 Ulrich Bröckling, „Rackets and Racketeers: A Sociological Approach to 'Men of Disorder'“ Lecture. https://www.academia.edu/6863469/Broeckling_Rackets_and_Racketeers_24_4_14 (letzter 119 der Steinzeit bis zum kapitalistischen Monopol erschließen soll, dann läuft es Gefahr, zu einem inhaltsleeren Muster ohne Erklärungskraft zu degenerieren.443 In der Tat konstatiert ja Horkheimer, dass sich das Racket-Muster auf alle Interessengruppen applizieren lasse.444 Dieser Kritik begegnet Gerhard Scheit durch den Hinweis auf den Zeitkern der Theorie – und auf das Ziel der Kritischen Theorie, nämlich der Beschreibung der menschlichen Gegenwart. Danach verweist Horkheimer darauf, dass der moderne Begriff des Rackets dazu geeignet sei, gesellschaftliche Beziehungen der Vergangenheit zu beschreiben:

„Horkheimer zitiert das Marxsche Diktum: ‚Die Anatomie des Menschen ist der Schlüssel zur Anatomie des Affen.‘ Versteht die Kritische Theorie das Racket wie die Physiognomie des Menschen, aus der jene des Affen erschlossen werden könne, so geht es ihr im Kern doch um den Menschen – die gesellschaftliche Gegenwart: sie allein wird durch das Racket wirklich und vollständig bestimmt.“445 Neben diesen theoretischen Überlegungen, die zum Kern des Erkenntnisinteresses der Kritischen Theorie Bezug nehmen, liegt nach hier vertretener Auffassung aber gerade auch in der Weite des Rackets-Begriff seine analytische Kraft. Es zeigte sich in der Evaluation der Literatur zum Racket-State oder zum juristischen Phänomen des Racketeerings, dass das Recht ein ontologisches Dilemma transportiert, welches eine lähmende Wirkung auf die Analyse von politischen Konfigurationen haben kann. Die normative Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht führt letztlich dazu, dass die Unsicherheit dann einsetzt, wenn der Staat auftritt. Wie sollen die Strukturen erfasst werden, die nun als legal deklariert werden? Wann ist ein Protection Racket state kein solcher mehr, sondern schlicht ein Staat? Was passiert

Zugriff: 18. August 2016), 4–5. 443 Vgl. Scheit, Suicide attack, 341: „Die Problematik von Horkheimers Überlegungen – die sich bei Porth noch potenzieren sollte – liegt zunächst darin, alle Formen von Herrschaft gleichermaßen als eine solche Kombination von Selbsthilfegruppe, Erpresserbande und Wohltätigkeitsverein zu fassen – sei’s steinzeitliche Stammesgesellschaft oder feudaler Adelsclan, bürgerliche Klasse oder faschistische Partei; sei’s die einzelne Familie oder das kapitalistische Monopol. Die historische wie gesellschaftliche Spezifik der verschiedenen Formen geht verloren. Racket erscheint nicht als Begriff, sondern als Passepartout.“ 444 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 102: „Das Konzept der Rackets bezieht sich auf große wie kleine Unternehmen; sie alle kämpfen um den größtmöglichen Anteil am Mehrwert. In dieser Hinsicht ähneln die höchsten kapitalistischen Körperschaften den kleinen Interessengruppen, die innerhalb oder außerhalb der gesetzlichen Grenzen unter den miesesten Bevölkerungsschichten arbeiten.“ 445 Scheit, Suicide attack, 342. 120 mit informellen Beziehungen im Staatenbildungsprozess? Der Staat erst macht die Unterscheidung von formellen und informellen Akteuren notwendig.

Diese Fragen treiben zahlreiche Untersuchungen um, ohne dass sie befriedigende Antworten finden. Der Anthropologe Marshall Sahlins führt den Begriff des big-man ein, um Akteure fassbar machen zu können, die ihren Einfluss nicht auf staatliche Strukturen stützen können.446 Der Soziologe Georgi Derluguian beschäftigt sich zusammen mit Timothy Earle hingegen mit einem Phänomen informeller Akteure, das sie als chieftaincies bezeichnen, wobei sich der Staat durch deren „Zähmung“ konstituiere: „Understanding the state means grasping how competing forces are regulated and channelled to tame chieftaincies in the creation of a civil society, whereby citizens benefit within a stable overarching governmental structure.“447 So richtig die Beobachtungen dieser beiden ganz unterschiedlichen Perspektiven sein mögen, sie streichen in theoretischer Hinsicht die Segel vor der Dominanz des Staates als Begriff. Der Staat fordert eine dichotomische Trennung von formell und informell oder eben staatlich und nicht-staatlich heraus, auf die sich Horkheimer jedoch gar nicht einlässt. Er bringt zwar das Racket in einen grundsätzlichen Zusammenhang zur Illegalität,448 nimmt diese Beziehung jedoch nicht als analytische Größe in den Blick, sondern verweist nur auf die Konnotation des Begriffes – der im Sinne der Kritischen Theorie ja gewählt wurde, um spezifische Missstände offenzulegen. Das ontologische Dilemma des Staates umgeht er mit dem Racket-Begriff, wenn er ausführt:

„Wenn eine Organisation so mächtig ist, daß sie ihren Willen auf einem geographischen Gebiet als dauernde Regel des Verhaltens für alle

446 Marshall D. Sahlins, „Poor Man, Rich Man, Big-Man, Chief: Political Types in Melanesia and Polynesia.“ Comparative Studies in Society and History 5, Nr. 3 (1963): 285–303: „[T]he indicative quality of big-man authority is everywhere the same: it is personal power. Big-men do not come to office; they do not succeed to, nor are they installed in, existing positions of leadership over political groups. The attainment of big-man status is rather the outcome of a series of acts which elevate a person above the common herd and attract about him a coterie of loyal, lesser men.” 447 Georgi Derluguian und Timothy Earle, „Strong Chieftaincies out of Weak States, or Elemental Power Unbound.“ Comparative Social Research, 27, 'Troubled Regions and Failing States' (2010): 51–76, 53. 448 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 290: „Im Gegensatz zum Geist liegt die grundsätzliche Illegalität des Rackets, auch wo es nicht allein legal ist, sondern hinter den Gesetzen steht. Seit es eine Legalität gibt, trägt sie die Züge des Illegalen. Das Racket kennt kein Erbarmen mit dem Leben außer ihm, einzig das Gesetz zur Selbsterhaltung.“ 121

Bewohner aufrechterhalten kann, so nimmt die Herrschaft der Personen die Form des Gesetzes an. Dieses fixiert die relativen Machtverhältnisse. Als fixiertes Medium gewinnt das Recht, wie andere Vermittlungen, eigene Natur und Resistenzkraft.“449 Die Chance für die sozialwissenschaftliche Analyse historischer Konfigurationen liegt somit darin, sich nicht vom Staatsbegriff lähmen lassen zu müssen, wenn man auf das Racket-Modell Horkheimers rekurriert, nach dem „das Racket allen gesellschaftlichen Erscheinungen seinen Stempel aufgedrängt“ hat – und zwar als Herrschaftskonfiguration völlig unabhängig vom Konzept des Staates.450

Dies leitet nun über zum dritten sozialwissenschaftlichen Phänomen, in welchem der Begriff des Rackets einer Aufhellung bedarf: Die Theoretiker der Frankfurter Schule haben in der Ausformulierung der Racket-Theorie offensichtlich der Frage der Legitimität keine Beachtung geschenkt. Bröckling führte diesbezüglich aber treffend aus: „domination is dependent on some form of recognition from those who are subjugated, even if the recognition is based on a realistic assessment of power relations or the sense that a revolt would be futile. Sheer violence, and above all the threat of it, is not enough to claim people’s continued obedience over long periods of time.”451

Tatsächlich ist es genau diese Frage, die Alfredo Schulte-Bockholt wohl dazu verführt hat, die Theorien Gramscis und Horkheimers miteinander zu verknüpfen – nur eben von der anderen Seite her kommend. Er versuchte das Phänomen des Zwangs in das Hegemonie-Konzept Gramscis zu integrieren; man müsste – sofern die Racket-Theorie als Gesellschaftstheorie begriffen werden soll – jedoch die Phänomene des Konsenses, die Gramsci mit seinem Hegemonie-Begriff fassbar macht, in diese integrieren. Wenn man mit Bröckling konstatiert, „domination is dependent on some form of recognition“ und sich bei der Übertragung der Racket- Theorie auf gesellschaftliche Phänomene auf die Suche nach dieser konsensualen

449 Ebd., 289. 450 Ebd., 291: „Bisher hat das Racket allen gesellschaftlichen Erscheinungen seinen Stempel aufgedrängt, es hat geherrscht als Racket des Klerus, des Hofs, der Besitzenden, der Rasse, der Männer, der Erwachsenen, der Familie, der Polizei, des Verbrechens, und innerhalb dieser Medien selbst in Einzelrackets gegen den Rest der Sphäre. Es hat überall den Gegensatz zwischen innen und außen aufgerichtet, der Mensch, sofern er keinem Racket angehörte, war draußen in einem radikalen Sinn, der Mensch als solcher war verloren.“ 451 Bröckling, „Rackets and Racketeers“, 6. 122

Anerkennung von Herrschaft begibt, liegt es nahe, den Blick diesbezüglich auf den Grund der Herrschaft zu richten – der Racket-Theorie folgend also der Gewalt.

Jan Philipp Reemtsma – der zunächst der Nähe zu Horkheimer völlig unverdächtig ist – schreibt bezüglich des Phänomens der lizensierten Gewalt: „Wo diese Gewaltform auftritt, trägt sie, wie die historische Erfahrung lehrt, zur Stabilität des gesamten Machtgefüges entscheidend bei.“ Weiter heißt es, dass, wo eine Gewaltlizenz vergeben wird, dies nie geschieht, „ohne daß sie in enger Beziehung steht zu den Institutionen der Macht, die einen Gewaltauftrag haben.“452 Es gibt danach also Institutionen der Macht – die Reemtsma dankenswerterweise nicht Staat nennt – die einen Gewaltauftrag haben. In horkheimerscher Umkehrung könnte es heißen: „Nur wer einen Gewaltauftrag hat, ist eine Institution der Macht.“ Das ausgemachte Problem der Frage nach dem Konsens über die legitime (nämlich beauftragte) Ausübung von Gewalt lässt sich so abermals in Begrifflichkeiten der Stärke des Analyseinstrumentes schildern; denn dort, wo nachvollziehbar wird, dass spezifische Formen der Gewalt – ob nun deren Ausführung oder Androhung – als richtig und legitim empfunden werden, lässt sich nachvollziehen, welche Herrschaftskonfigurationen sich ausmachen lassen und wie mächtig welches Racket ist. Dem liegt nun die Verknüpfung der Gedanken Reemtsmas mit jenen Horkheimers und Adornos zugrunde: Denn wie Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung ausführen, ist „Vertretbarkeit das Maß von Herrschaft“ und jener ist „der Mächtigste, der sich in den meisten Verrichtungen vertreten lassen kann.“453 Da sich die Prinzipien der Herrschaft genetisch-kausal auf Gewalt gründen, muss in der Möglichkeit der Vergabe von Gewaltlizenzen die äußerste Form der Macht zu finden sein.

Und genau darum beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung mit der Gewalt und ihren Akteuren. Es geht nicht darum, eine „Ätiologie der Gewalt“ zu verfassen, sondern sich auf die Spuren der Rackets zu begeben, die den entscheidenden Platz in den Herrschaftskonfigurationen des Untersuchungszeitraums einnehmen. Wenn sich feststellen lässt, wer sich in der Ausübung von Gewalt in welcher Form

452 Jan Philipp Reemtsma, „Die Gewalt spricht nicht: Zum Verhältnis von Macht und Gewalt.“ Mittelweg 36 - Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung 9 (April/Mai 2000): 4–23, 21. 453 Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, 41. 123 vertreten lassen kann und worauf die vergebenen Gewaltlizenzen zurückzuführen sind, dann können nicht nur Aussagen über das politische Gefüge getroffen werden, sondern auch über Institutionen der Macht und Ideologien der Dominanz.

3.2 Neʽmatollāh Naṣīrī – Verhärtungsprozesse

Horkheimers Ausführungen zur Racket-Theorie ist ein für die vorliegende Studie zentrales Diktum zu entnehmen. Er diagnostiziert: „Die Verhärtung des Rackets nach unten ist identisch mit der Verhärtung der Individuen, die es konstituieren.“454 Wenn nun Abbas Milani in seiner Darstellung der Biographie des Neʽmatollāh Naṣīrī anführt, der General „came to embody the face of oppression during the reign of the shah“455, dann lässt sich daraus ableiten, dass sich nach der hier eingenommenen theoretischen Perspektive die Betrachtung Naṣīrīs und der in ihm verkörperten historischen Momente der Monopolisierung bestimmter Vorteile dazu eignen, übergeordnete Ableitungen in Bezug auf die Verhärtung des royalistischen Rackets vorzunehmen.

Der spätere General wurde 1910 in Semnan östlich von Teheran geboren.456 Es wird über ihn berichtet, dass er bereits von Kindheit an eine Affinität für ein Leben im Militär gehabt habe.457 Demzufolge ergriff er daher die Möglichkeit, eine Schule zur „militärischen Früherziehung“ zu besuchen, die unter Reżā Šāhs Regentschaft eingerichtet wurde, um den zukünftigen Offizierskorps einer modernen iranischen Armee zu formen.458 Folgerichtig trat er 1933 in die Teheraner Offiziersakademie ein459 und bekleidete nach deren Besuch ab 1937 den Rang eines Leutnants. In diese Zeit fällt auch der Beginn seiner persönlichen Beziehung zum späteren Shah Moḥammad Reżā Pahlavī. Dieser war im Mai 1936, nach fünf Jahren auf dem

454 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 288. 455 Abbas Milani, „Ne'matollah Nasiri.“ in Eminent Persians: The Men and Women who Made Modern Iran, 1941-1979 (s. Anm. 281), 468. 456 Siehe seine Kurzbiographie bei Baqer ʿĀqelī, Šarḥ-e ḥāl-e reǧāl-e siyāsī va neẓāmī-ye muʻāṣer-e Īran. 3 Bände 3 (Tehrān: Našr-e Guftār; Našr-e ʻElm, 1380 h.š. [= 2001/2002]), 1627–1630. 457 Ebd., 1627. 458 Abbas Milani, „Ne'matollah Nasiri.“ in Eminent Persians: The Men and Women who Made Modern Iran, 1941-1979 (s. Anm. 281), 468. 459 ʿĀqelī, Šarḥ-e ḥāl-e reǧāl-e siyāsī va neẓāmī-ye muʻāṣer-e Īran, 1627. 124 frankophonen Schweizer Internat Le Rosey am Genfer See,460 nach Iran zurückgekehrt und im Oktober desselben Jahres in die Offiziersakademie eingetreten.461 Diese persönliche Verbindung zum späteren Shah, der nach seinem eigenen Abschluss 1938 von seinem Vater direkt zum Inspektor der Streitkräfte ernannt wurde,462 sollte sich als karriereförderlich für Naṣīrī erweisen: Sein erstes Kommando erhielt der junge Offizier nach seiner Graduierung durch die Akademie, als er eine kleinere Garnison in Kerman im Süden Irans befehligte.463 Schon bald nach der Abdankung Reżā Šāhs war dessen Sohn darum bemüht, sich mit loyalen Offizieren zu umgeben, die sich nicht lediglich der Monarchie, sondern darüber hinaus ihm persönlich verpflichtet fühlten.464 Als Ḥoseyn Fardūst (1917-1987), der enge Vertraute Moḥammad Reżā Šāhs, der ebenfalls zur Clique der ehemaligen Kammeraden in der Offiziersakademie gehört,465 in den Anfangsjahren der

460 Siehe zum Schulaufenthalt des Kronprinzen: Afkhami, The Life and Times of the Shah, 31–34. 461 Vgl. Minbašiyān, Faṭṭollāh, 1. Dezember 1981 in Iranian Oral History Collection, Harvard University, hrsg. von Habib Ladjevardi, transcript 1, 3–14., der einen eingehenden Bericht zur Militärschule und –akademie anbietet. Minbašiyān selbst war mit dem Shah seit der gemeinsamen Zeit in der Militärakademie befreundet und wurde in den 1960er Jahren zum Viersternegeneral (Artešbād) und Oberkommandierenden der Armee befördert. Er bietet selbst ein anschauliches Beispiel für die Bedeutung personalisierter Konstellationen bei der Beförderung innerhalb des iranischen Militärs. Vgl. auch Afkhami, The Life and Times of the Shah, 37–38. 462 Ebd., 38. 463 ʿĀqelī, Šarḥ-e ḥāl-e reǧāl-e siyāsī va neẓāmī-ye muʻāṣer-e Īran, 1628. 464 Beachte: Wie nachhaltig diese Bemühungen waren zeigt die Evaluation des militärischen Apparates durch Fred Halliday. Die „stabilsten“ Militärangehörigen der 70er (!) Jahre, sind jene hier bereits aufgezählten Protagonisten: „The most stable members of the officer corps are those who have over the years demonstrated loyalty to [the Shah]: i. e. whereas in a conventional military dictatorship it would be the officers wha had built the strongest power bases of their own who could retain positions, the opposite is the case in Iran. Four of those who fell in such category in the early 1970s exemplify this kind of officer: 1. General Hussein Fardust […] 2. General Hassan Toufanian: […] he is reputed to be a close friend of the Shah’s. 3. General Mohammad Khatami: […] the Shah’s personal pilot, who flew him to safety in 1953 when the Shah fled the country. 4. General Nematollah Nassiri: born in 1907 [sic], Nassiri was the ‘monitor’ of the Shah’s class at the Tehran Officers’ Training School.” (Halliday, Iran: Dictatorship and Development, 69–70.) 465 Vgl. zum Leben des Vertrauten des Shahs knapp Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 302: „A childhood friend and close companion of Mohammad Reza Pahlavi, Fardust followed the crown prince to the Swiss boarding school La Rosey, where he stayed for five years. Fardust completed his studies at the Officers' Academy then went to Paris to study law during Mosaddeq's government and subsequently attended the University of War after his return to Tehran. After the coup, Fardust returned to Iran, and in 1959 founded and headed the very powerful 'Imperial Inspectorate Organization' which reported directly and only to the Shah. Fardust was among a very select few whom the Shah trusted during his reign.” Seine Memoiren sind veröffentlicht unter dem Titel Ḥosayn Farrdūst, Ẓuhūr va suqūṭ-e salṭanat-e pahlavī: ḫāṭerāt-e artašbād Ḥosayn Farrdūst, Čāp 7. 2 Bände 1 (Tehrān: Entešārāt-e Eṭṭelāʿāt, 125

Herrschaft Moḥammad Reżā Šāhs mit dem Aufbau einer neuen Palastwache beauftragt wurde, beförderte man Neʽmatollāh Naṣīrī zum Oberst und übertrug ihm das Kommando über diese.466 Diese neue Palastwache sollte 1949 unter dem Namen Gard-e Šāhanšāhī firmieren und unterstand dem direkten Befehl des Shahs.

Wie sehr der damalige Oberst sein persönliches Schicksal mit jenem des Shahs verknüpfte, vermag die Tatsache zu verdeutlichen, dass Naṣīrī zum Gründungszirkel einer konspirativen Gruppe von aktiven oder im Ruhestand befindlichen Offizieren gehörte, die sich im September oder Oktober 1952 konstituierte und sich den Namen Ǧamʿiyat-e Fedāʾiyān-e Šāh (etwa „Vereinigung der Leibtruppe des Shahs“467) gab. Diese Gruppe agierte dabei als ein in Zellen organisierter Geheimbund, der zum Schutz des Shahs und seiner Monarchie keine andere Option als den Sturz der Regierung Moṣaddeqs sah.468 Die 35 Offiziere der Ǧamʿiyat-e Fedāʾiyān-e Šāh machten dabei den Kern jener Armeeangehörigen aus, die später als verlässliche Akteure durch die Konspirateure des Coup d’étàts vom August 1953 identifiziert wurden.469

3.2.1 Der Coup der Gard-e Šāhanšāhī

Die Nähe des damaligen Oberst (pers. Sarhang, engl. Colonel) Neʽmatollāh Naṣīrī zum Shah bereits in den frühen 50er Jahren wird zudem durch die Episode um den Plot des 25. Mordād 1332 (16. August 1953) verdeutlicht. Darüber hinaus zeigte sich in dieser Episode aber auch, dass Naṣīrī als Kommandeur der Gard-e Šāhanšāhī bereits eine hochsensible Schlüsselposition innerhalb des royalistischen Rackets innehatte, an der sich die öffentlichen Diskurse brachen. Eine Tatsache, die sein persönliches Los bereits Anfang der 1950er Jahre derartig eng mit dem Schicksal

1374 h.š. [= 1995]), 181. 466 Vgl. hierzu Abbas Milani, „Ne'matollah Nasiri.“ in Eminent Persians: The Men and Women who Made Modern Iran, 1941-1979 (s. Anm. 281), 468: „Aside from the recommendation of Fardust, what helped Nasiri secure the appointment was the fact that the shah had also come to trust him from the days they were both in the Officers Academy.” 467 Beachte: Das persische fedāʾiyīn erschließt sich nicht in der Übersetzung im Sinne des „Anhängers von“, sondern umfasst die Konnotation der Opferbereitschaft. 468 Aḥmad Banī-Aḥmad, Panǧ rūz rastaḫez-e mellat: Mordād 1332 dar ketābḫāne-ye sāzemān-e asnād va ketābḫāne-ye mellī-ye ǧumhūrī-ye eslāmī (Tehrān: Čapḫāneh-ye arteš), 161; zitiert in Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 118. 469 Vgl. die Aufzählung aller 35 Offiziere bei Ali Rahnema. (a.a.O., 119). 126 des Shahs verknüpfte, dass sich, überspitzt formuliert, allein am Überleben Neʽmatollāh Naṣīrīs schon wesentliche Implikationen für die Durchsetzung des royalistischen Rackets ableiten lassen.

Die Geschichte der Episode und die Verknüpfungsgeschichte der beiden Racketeers lassen sich dabei an zwei Dokumenten nachvollziehen, welche die Aufmerksamkeit der damaligen Akteure und der iranischen Öffentlichkeit auf sich zogen: Jene beiden Dekrete (fermān), mit denen der Shah die Absetzung Moṣaddeqs anordnete, respektive General Zāhedī zum Premierminister ernannte. Die nachfolgende Evaluierung der Ereignisse um den versuchten Coup vom 25. Mordād dreht sich daher maßgeblich um die Geschichte dieser beiden fermāne und fokussiert sich dabei auf den Bericht jener Episoden, in welche Neʽmatollāh Naṣīrī als Kommandeur der Gard-e Šāhanšāhī unmittelbar verstrickt war oder welche sich mittelbar auf ihn und die Prätorianergarde des Shahs auswirkten. Es wird hier nicht angestrebt, eine abschließende Darstellung der Vorbereitungen und des Scheiterns des ersten Coupversuchs vom 16. August – in welchem der Garde die zentrale Rolle zukam – vorzunehmen, sondern diesbezüglich auf die umfassend recherchierte und detailliert dargelegte Geschichte der Verflechtungen der unterschiedlichsten Akteure bei Ali Rahnema in Behind the 1953 Coup in Iran: Thugs, Turncoats, Soldiers, and Spooks verwiesen.470

***

Am 13. Mai 1953 kamen die Architekten des Plots in Nikosia auf Zypern zusammen, um eine gemeinsame, anglo-amerikanische Strategie zu erarbeiten, die zum Sturz der Regierung Moḥammad Moṣaddeqs führen sollte und unter dem Codenamen „TPAJAX“ (heute häufig als „Operation AJAX“ bezeichnet) firmierte. Die amerikanische Central Intelligence Agency wurde hier von (1907- 1997) vertreten und der britische Secret Intelligence Service durch Norman Matthew Darbyshire (geb. 1924). Diese beiden Strategen arbeiteten dabei gemeinsam jenen

470 Ebd. Beachte: Die Literatur zum Coup ist umfassend und bietet ein breites Spektrum an Interpretationen an. Da sich der Kern des Disputes jedoch auf das Wesen der Proteste nach dem 16. August und den dann tatsächlich erfolgten Umsturz am 19. August bezieht, wird die Diskussion zur Literatur an anderer Stelle vorzunehmen sein. 127

Operationsplan aus,471 der die maßgebliche Grundlage für den Umsturzversuch vom 16. August 1953 bildete, bei dem der Premierminister Moḥammad Moṣaddeq durch General Fażlollāh Zāhedī ersetzt werden sollte.

In den Planungen der Operation verständigte man sich auf eine Reihe von Prämissen, die in die Strategie für den Umsturz mit einzuarbeiten seien. Zentral in den Überlegungen – die ja nicht etwa auf Anweisung des Shahs erfolgten, sondern eine anglo-amerikanische Initiative darstellten – war zunächst die Verständigung auf einen geeigneten Kandidaten als Nachfolger für Moṣaddeq. Es folgte die Erkenntnis, dass ein Coup zugunsten dieses Nachfolgers nur Erfolg haben könne, wenn der Shah in die Operation mit eingebunden wäre. Dieser Überlegung lag die folgende These zugrunde: „[I]f the issue was clear-cut, the armed forces would follow the Shah rather than Mosaddeq.”472 Sowohl für diese erhoffte militärische Reaktion als auch in Bezug auf die öffentliche Meinung hielt man es zudem nicht nur für notwendig, das Stimmungsbild in Iran zu Ungunsten Moṣaddeqs zu manipulieren, sondern auch dem Plot selbst einen legalen oder quasi-legalen Charakter zu verleihen.473

Im „Initial Operational Plan for TPAJAX“, der am 01. Juni 1953 an das Hauptquartier der CIA gesandt wurde, wird eine Strategie empfohlen, die auf diesen Prämissen beruht. Danach sollte der Shah mit einer Strategie von ‚Zuckerbrot und Peitsche‘ zur Kooperation bewegt werden. Zunächst sollte der amerikanische Botschafter dafür Sorge tragen, dass der Shah das Gefühl bekäme, die amerikanische und britische Seite hätten gemeinsame Interessen und würden ihn unterstützen. Dies wurde als Stage 1 deklariert, wo es hieß: „Convince the Shah that the UK and US have joint aim and remove pathological fear of British intrigues against him.”474 Druck wurde in Stage 2 aufgebaut, wo die Forderungen an den Shah unmissverständlich zu formulieren wären: „(1) You must take leadership in overthrow Mossadeq. (2) If not,

471 Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 5: „The discussions were begun at Nicosia on 13 May 1953 between Wilber and SIS Officer Norman Matthew Darbyshire. Occasionally Mr. H. John Collins, Chief of SIS station at Nicosia, was also present. Mr. Darbyshire, who was in charge of SIS’s Iran branch, had been in Iran for several years and was fluent in language. Discussions were concluded on 30 May 1953, and the completed draft of a recommended operational plan was cabled by Dr. Wilber to Headquarters on 1 June.” 472 Ebd., 8–9. 473 Ebd., 9. 474 Ebd., Appendix A, 1. 128 you bear responsibility for collapse of the country. (3) If not, Shah’s dynasty will fall and US-UK backing of you will cease.”475

Die Führungsrolle, die der Shah übernehmen sollte, erstreckte sich jedoch nicht auf aktive Handlungen, sondern beschränkte sich vielmehr auf den rechtlich entscheidenden und symbolisch bedeutsamen Akt der Ausstellung der zwei bereits erwähnten fermāne. Der „Initial Operation Plan“ sah dabei folgenden Ablauf vor:

„There are two ways to put Zahedi in office.

1. Quasi-legally, where the Shah names Zahedi Prime Minister by royal firman. 2. Military coup. Quasi-legal method to be tried first. If successful, at least part of machinery for military coup will be brought in action. If it fails, military coup will follow in matter of hours.”476 Dieser Plan wurde durch das SIS-Netzwerk in Iran implementiert, das nun, da die britische Botschaft seit Oktober 1952 geschlossen war, von der amerikanischen Botschaft aus organisiert wurde. Maßgebliche Bedeutung kam hier dem Netzwerk von Asadollāh Rašīdiyān (1922-1980) und seinen Brüdern Seyfollāh und Qodratollāh zu, die Donald Wilber gar als „the British group“ deklarierte.477 Das Netzwerk der Brüder reichte in weite Teile der Gesellschaft hinein, sodass Ali Rahnema konstatiert: „Asadollah Rashidiyan was an exceptional Iranian godfather with a formidable wide patronage network of vassals, disciples and clients from all walks of Iranian life.“478 Das Netzwerk der Brüder hätte unter Berücksichtigung der Racket-Theorie sicher eine eigene Studie verdient,479 hier jedoch soll der Hinweis

475 Ebd., Appendix A, 1-2. 476 Ebd., Appendix A, 3. 477 Ebd., Appendix B, 2.; Siehe zum Netzwerk der Rašīdiyan-Brüder grundlegend Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 64–76. und ausführlich die gesammelten SAVAK-Akten zu den drei Brüdern in drei Bänden bei: Markaz-e Barrasī-ye Asnād-e Tārīḫī-ye Wezārat-e Eṭṭelaʿāt, Rašīdiyān-hā: beh rovāiyat-e esnād-e sāvāk. 3 Bände (Tehrān, 1389 h.š. [= 2010]). 478 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 69. 479 Siehe nur ebd., 69–71: „The extent of Asadollah Rashidiyan's network can be inferred with a high degree of certainty from his known activities and connections after the coup d'état. According to official security reports, Rashidiyan's house was the hub of all major national decisions and discussions, where key political decisions were first made, to be implemented later. These reports shed a real light on the sheer power, influence and authority which Asadollah Rashidiyan wielded within various segments of Tehran society. […]The individuals who would visit him during his open-door receptions constitute a veritable "who's who" of the active participants and perpetrators of 28 Mordad. The military brass which remained in close contact with Rashidiyan after the 1953 coup included some of the first and second tier 129 ausreichen, dass es erst durch die persönlichen Beziehungen Asadollāh Rašīdiyāns zum Shah480 möglich wurde, diesen zur Zustimmung zur Unterzeichnung der royalen Dekrete zu bewegen.481 Der Shah verließ jedoch Teheran in Richtung seiner Sommerresidenz Ramsar im Norden des Landes, von wo aus er sich im Falle des Scheiterns des Coups in Richtung Bagdad absetzen wollte, ohne dass ihm die fermāne zur Unterschrift vorgelegt wurden; wobei unklar bleibt, wann genau und warum dies geschah.482

Von Bedeutung ist hier die Reaktion der in Teheran verbliebenen Konspirateure: Kermit Roosevelt schildert, dass man sich innerhalb der CIA umgehend darin einig geworden sei, Neʽmatollāh Naṣīrī nach Ramsar zu senden, um den Shah zur Unterschrift der Dekrete zu bringen.483 Naṣīrī flog dann tatsächlich am 13. August nach Ramsar484 und erhielt – wenn man seinem eigenen Bericht Glauben schenken mag – zwei mit dem royalen Siegel versehene blanko-Bögen, an deren Ende der Shah seine Unterschrift setzte. Erst in Teheran wurde der Text hinzugefügt.485

Die Entscheidung, Naṣīrī nach Ramsar zu schicken, mag man als logische Konsequenz seiner Position als Kommandeur der Gard-e Šāhanšāhī marginalisieren, sie ist nach hier vertretener Auffassung aber in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: Zunächst trägt sie der Beobachtung von General Zāhedī Rechnung, dass bei einem anstehenden Coup eigentlich nur auf die Gard-e Šāhanšāhī Verlass sei.486 Die

of officers who had played a significant role during the coup days. [...] From those highly placed military personnel who were identified, Teymur Bakhtiyar and Ne'matollah Nasiri openly maintained contact with Rashidiyan and supported him.” 480 Siehe ausfürhlich ebd., 67. 481 Ebd., 77. 482 Nach Kermit Roosevelt eigener Erzählung, hatte er selbst den Shah von der Notwendigkeit der fermāne überzeugt und wurde am Morgen des 9. August informiert, dass der Shah entgegen der am Tag zuvor zwischen Roosevelt und dem Shah getroffenen Vereinbarung Teheran bereits in Richtung Ramsar verlassen hatte, ohne dass ihm die fermāne zur Unterschrift vorgelegt worden seien. Vgl. Roosevelt, Countercoup, 169.; Ali Rahnema geht davon aus, dass erst am 10. oder 11. August die Abreise des Shahs geschehen sei. Vgl. Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 78. 483 Roosevelt, Countercoup, 170. 484 Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, Appendix D, 13. 485 Ġolām-Reżā Naǧātī, Ǧonbeš-e mellī šodan naft-e Īrān: Kūdetā 28 Mordād 1332, Čāp 8 (Tehrān: Šerkat-e Sehāmī-ye Entešār, 1378 h.š. [= 1999]), 514. 486 Vgl. Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, Appendix D, 8: „During these discussions [about the military assets in Tehran] a cable arrived in London via Cyprus from Tehran in which Tehran Station reported General Zahedi's 'military assets.' This message confirmed all of our fears. For some time the Station had been attempting to persuade General Zahedi to list his military assets and to indicate how he hoped to use them. At last 130

Beobachtung, dass alle fünf Teheraner Brigaden der regulären Armee nicht zuverlässig in die Vorbereitungen des Coups mit eingebunden werden könnten, deckt sich mit der militärischen Analyse des CIA und SIS, in welcher die Kommandeure der Brigaden allesamt dem Lager Moḥammad Moṣaddeqs zugerechnet wurden.487

Diese Dominanz des nationalistisch-säkularen Rackets auf der Ebene der Obersten und Generäle in Teheran war eine unmittelbare Folge aus den Prozessen im Juli 1952, an deren Ende Moṣaddeq sich den Zugriff auf das Kriegsministerium (das er übrigens zum Verteidigungsministerium umbenannte, was wiederum nach 1953 durch den Shah rückgängig gemacht wurde) sicherte und sich selbst zum Oberkommandierenden der Streitkräfte ernannte. In der Folge hatte der neue „Chief of staff“ General Moḥammed-Taqī Riyāhī (1910-1988) die Kommandostruktur radikal umgeordnet,488 um den Zugriff des Shahs auf die Armee zu brechen.489 Die

General Zahedi reported. He claimed none of the five brigades in Tehran. His military plan assumed that he might be able to use the Imperial Guard, some troops from the Department of Army Transport, components from the Department of Police, and components of the Armed Customs Guard.” 487 Ebd., Appendix D, 3: „Throughout the month of June, the branch task force gradually was supplied information from the field which made it possible to begin thinking about the use of the forces within the Tehran garrison. The field reported that Tehran was garrisoned by five brigades, three infantry mountain brigades, and two armored brigades. In addition, foru other military forces existed: the Gendarmerie, the police, the armed customs guard, and the forces under the military governor. It was also learned that the young Chief of Staff, Brigardier General Taghi Riahi, and his staff had been drawn primarily from members of the pro-Mossadeq Iran Party. It had to be assumed that the chief of staff and officers within all sections of his staff were under control of Mossadeq. It also had to be assumed that at least three out of five of the brigade commanders in Tehran were completely under General Riahi's control. These assumptions proved to be correct.” 488 Abrahamian, The Coup, 182.: „Dividing the garrison into five brigades […], [Riyahi] had housed them in separate barracks, placed them under the command of colonels he trusted; and set up elaborate checks to prevent any unauthorized use of tanks, troops, trucks, ammunition, spare parts, and even fuel. Four of the five commanders were, like him, French-educated members of the Iran-Party.” 489 Beachte: Oben wurde ausgeführt, dass es nicht gelungen war, den Zugriff des Shahs auf die Armee zu brechen. Tatsächlich zeigt sich hier, dass nicht nur auf dem Rücken des Militärs, sondern auch im Militär selbst der Machtkampf ausgetragen wurde. Die Umordnung der Kommandostrukturen war eine Maßnahme, die Geschichte jedoch hat gezeigt, dass der Grundkonsens im Militär trotzdem die Loyalität zum Shah darstellte. Sepehr Zabih konstatiert diesbezüglich: „Dr Mossadegh’s return to poser [in July 1952] enabled him to begin purging the armed forces with the intention of diverting that pillar of support from the monarch to the central government. This was not an easy task, however, because the armed forces were subjected to intensive indoctrination based on assuring their loyalty to God, King, and country, in that order. They were constantly reminded that their loyalty to the King was the bond that tied the armed citizens to the state to the state itself. They were also reminded of 131

Gard-e Šāhanšāhī blieb als einzige militärische Einheit von den Umstrukturierungen auf der Kommandoebene – und damit vom Zugriff Moṣaddeqs auf die Garde des Shahs – verschont, wurde aber gezielt abgerüstet, sodass ihr keine schweren gepanzerten Fahrzeuge mehr zur Verfügung standen.490 Somit war sie zwar für die Strategen des Umsturzes die letztlich verlässlichste, zugleich aber schwächste militärische Option in Teheran.491

In den geschilderten Maßnahmen der Umstrukturierung der Kommandoebene ist fraglos der Versuch zu sehen, die Monopolisierung von Schlüsselpositionen innerhalb der militärischen Strukturen zu erreichen – sie markieren somit einen Verhärtungsprozess des nationalistisch-säkularen Rackets um Moṣaddeq, in der Begrifflichkeit der hier vorgeschlagenen theoretischen Terminologie. Auf der anderen Seite zeigte sich die Härte dieses Wettkampfes der konkurrierenden Rackets an der Gard-e Šāhanšāhī, die offiziell in den Aufgabenbereich des Hofministeriums und nicht des Kriegsministeriums fiel, die faktisch aber an allen demokratischen Kontrollinstanzen vorbei direkt vom Shah beaufsichtigt wurde, sodass die sensiblen Kommandostrukturen auch nach Juli 1952 nicht berührt werden konnten.492 Den Kommandeur dieser Garde mit der Aufgabe der direkten

the role that powerful armies of ancient Iran had played. The mythology of historical continuity of Iranian kingship was perpetuated by reference to the conquest of India by another Shah in 1858, or the pre-Islamic domination of the vast Persian Empire.” (Zabih, The Iranian Military in Revolution and War, 3–4.); Beachte auch: Der „Initial Operation Plan for TPAJAX“ ging, wie oben ausgeführt trotz der pessimistischen Evaluation der Kommandostruktut in den Grundprämissen von der grundsätzlichen Unterstützung der Armee für den Shah aus. 490 Abrahamian, The Coup, 182. 491 Diese Erkenntnis schlägt sich auch im Duktus der Evaluation der militärischen Optionen durch die CIA nieder: „Colonel [Name geschwärzt] said he could execute arrests and target lists, neutralize military installations and non-cooperating forces within two hours; this was nonsense. The most important thing Colonel [Name geschwärzt] reported was that he was in touch with three young colonels who might possess important strength within the Tehran garrison.” (Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, Appendix D, 10-11). 492 Siehe hierzu die Aufzeichungungen des Foreign Broadcast Information Service der CIA, die nach den Ereignissen des 16. August 1953 von den verzweifelten Versuchen des damaligen Hofministers zeugen, sich der Anschuldigungen zu erwehren, er sei in den Umsturzversuch involviert gewesen. Er wird zitiert: „This (crime) and unmanly act was an instruction which he presumably gave directly to the Royal Guard commander. [...] [T]he Special Bureau and the Royal Court [sic!, Sinn und Zusammenhang lassen vermuten, dass hier 'Guard' stehen muss. OG] is not under the supervision or control of the Ministry of the Royal Court. These two bodies were independent and had direct connections with the Shah. The Ministry of the Court has never been aware of the instructions which are given to them or the discussions which pass between them.” Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 18, 1953.“ in Foreign 132

Kontaktaufnahme zu vertrauen, war somit die sicherste Option für die Konspirateure.

In dieser Beobachtung erschließt sich aber noch nicht die ganze Bedeutung des Prozesses: Es ging auch darum, den offensichtlich zögernden Shah, der wider besseren Wissens Teheran verlassen hatte, ohne die entscheidenden Dekrete zu unterschreiben – dem man also noch nicht offiziell vorwerfen konnte, sich zugunsten eines Regierungswechsels positioniert zu haben – davon zu überzeugen, dass die Armee hinter ihm stünde, für ihn Partei ergriffe und er auf die Loyalität bestimmter Offiziere – hier insbesondere jener Offiziere, die sich bereits als Ǧamʿiyat-e Fedāʾiyān-e Šāh organisiert hatten493 – setzen könne.494 Die Wahl Neʽmatollāh Naṣīrīs als Bote für diesen entscheidenden Schritt ist daher in zweifacher Hinsicht sehr treffend: Erstens, personifizierte er (und nur noch er) die Strategien der Verhärtungsprozesse im royalistischen Racket, indem er der einzig in Teheran verbliebene Kommandeur einer Einheit war, der von Moḥammad Reżā Šāh persönlich für diesen Posten bestimmt wurde. Zudem kann er als Repräsentant für die Prinzipien gesehen werden, die der Shah für eine Beförderung auf eine sensible Position innerhalb des Sicherheitsapparates zugrunde legte, solange er die Macht dazu besaß: Nach den Aussagen zahlreicher Zeitgenossen lag die maßgebliche Eigenschaft, die Naṣīrī zu einer militärischen Karriere qualifizierte, dabei nicht in seinem Intellekt oder gar strategischen Fertigkeiten begründet (tatsächlich wird er meist explizit als dumm bezeichnet495), sondern wird ausschließlich in Begrifflichkeiten von Loyalität und Ergebenheit zum Shah erklärt.496 General Ḥoseyn Fardūst (1919-1987) schildert bezüglich der Auswahl

Broadcast Information Service (FBIS): Iran, 1–8 (Central Intelligence Agency, 1953), 4. 493 Banī-Aḥmad, Panǧ rūz rastaḫez-e mellat, 162. 494 Das war insbesonder in den Tagen vor seiner Abreise der Inhalt der Besprechungen des Shahs mit Asadollāh Asadollāh Rašīdiyān und Verschwörerern aus den Reihen des Militärs. Vgl. Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 35; Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran. 495 Der ehemalige Leiter des militärischen Geheimdienstes Rokn-e do Haǧǧ ʿAlī Kiyā bezeichnet Neʽmatollāh Naṣīrī als “Gipskopf“. Man habe ihn auf der Militärschule auch nicht Neʽmatollāh genannt, sondern „Neʽmatgaččeh“ (etwa „Nematkgipskopf“) (Kiyā, Hāğğ-ʽAlī, 25. Oktober 1985 in Iranian Oral History Collection, Harvard University, hrsg. von Habib Ladjevardi, transcript 4, 17); Der ehemalige britische Botschafter in Iran Denis Wright bezeichnet ihn als „a really stupid man“. (Wright, Denis, 11. Oktober 1984 in Iranian Oral History Collection, Harvard University, hrsg. von Habib Ladjevardi, transcipt 8, 24). 496 Ebd. 133 zum Kommandeur der Gard-e Šāhanšāhī, dass man Naṣīrī den Posten nicht für seine Intelligenz, sondern aufgrund seiner Zuverlässigkeit gegeben habe:

„Aḫavī [der von Fardūst eine Liste der geeigneten Kandidaten erstellen sollte, OG] schrieb über Naṣīrī, dass er für den Posten besser geeignet sei als jeder andere [monāseb ast va lā-ġeyr], weil er keine kommunistischen Positionen vertrete und sich nicht unter dem Einfluss von anderen Kräften befände, die den Sturz des Shahs fordern, und weil er diesem treu ergeben sei. In Bezug auf Intelligenz und Auffassungsgabe, wo er nur zweit- oder drittklassige Bewertungen erhielt, wurde beschlossen, dass dies für diesen Posten nicht wichtig ist, sondern allein die Ergebenheit. So war es tatsächlich. Naṣīrī war in Organisationsangelegenheiten und ähnlichem sehr schwach, aber seine Ergebenheit entschädigt für all dies [valī vefādārī hameh īn-hā rā ǧobrān mī-kard].“497 Abbas Milani führt hierzu aus: „For much of his public life, that was indeed the gist of Nasiri’s image – no intellectual giant, in fact even a bit daft, but completely dedicated to the shah.”498 Oder in den Worten Otto Kirchheimers: „In acquiring and maintaining social positions it is not so much special skill that matters.”499

Der zweite Grund, warum man von einer guten Wahl durch die Konspirateure sprechen kann, ist symbolischer Natur – und das war sicher nicht intendiert. Naṣīrī, dem nur eine kleine Einheit ohne Schlagkraft geblieben war, personifizierte auch die inhärente Schwäche des royalistischen Rackets im Allgemeinen500 und des Shahs im Besonderen, der nun auf das gemeinsame Interesse mit anderen Racketeers (etwa Zāhedī oder die Rašīdiyāns) oder gar globalen Akteuren vertrauen musste und gezwungen war, sein eigenes Schicksal in deren Hände zu legen.

Diese Erkenntnis haben die Planer des Coups nicht zuletzt durch die Abreise des Shahs aus Teheran auch im historischen Moment gewonnen. In der Nachbetrachtung des Coups schreibt Donald Wilber im orientalistischen Duktus:

„[T]he Army in Iran has a modern tradition of defeat. The Iranian officer is usually indecisive and covers his inferiority with bombast and chest beating. Therefore, the location of leaders who are willing to lead and to die is a hazardous occupation. Perhaps the Shah is a good example of the

497 Farrdūst, Ẓuhūr va suqūṭ-e salṭanat-e pahlavī, 181. 498 Abbas Milani, „Ne'matollah Nasiri.“ in Eminent Persians: The Men and Women who Made Modern Iran, 1941-1979 (s. Anm. 281), 468–469. 499 Kirchheimer, „In Quest of Sovereignty“, 161. 500 Aufgrund dieser Erkenntnis wird erst später vom Racket des Shahs zu sprechen sein. 134

‘typical’ Iranian officer; his weaknesses are reflected throughout the Officers Corps.”501

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Ob der damalige Oberst, seiner eigenen Erzählung gemäß, am 13. August 1953 nun mit blanko-Bögen aus Ramsar zurückkehrte502 – eine Erzählung, die zumindest auch das Vertrauen des Shahs in Naṣīrī verstärkt verdeutlichte oder deutlich machen sollte – oder ob er, wie von der CIA behauptet,503 mit den fertigen fermānen in Teheran erschien, sei hier dahingestellt. Entscheidend ist lediglich, dass die gemeinsame Geschichte der Dekrete und Neʽmatollāh Naṣīrīs hier nicht endet, sondern dass ihm die Verantwortung übertragen wurde, in seiner Rolle als Kommandeur der Gard-e Šāhanšāhī jenes fermān an Premier Moṣaddeq zu überbringen, welches dessen Entlassung anordnete, bevor er Zāhedī das Schreiben über dessen Inamtsetzung überreichen sollte.504

Es war zuvor vereinbart worden, dass man innerhalb von 48 Stunden nach dem Eintreffen der Dokumente in Teheran den quasi-legalen Sturz der Regierung Moḥammad Moṣaddeqs einleiten müsse. Diesem Zeitplan fühlte man sich offensichtlich verpflichtet, da die maßgeblichen Aktionen am Abend des 15. August 1953 (24. Mordād 1332) in Gang gesetzt wurden. Die Geschichte der Ereignisse am frühen Abend – insbesondere in Bezug auf die internen Kommunikationen der Konspirateure – ist schwer zu rekonstruieren, wie bereits von Donald Wilber in den 1950er Jahren konstatiert wurde505 und von Ali Rahnema jüngst unter Verweis auf

501 Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, Appendix E, 2-3. 502 Siehe eine Fotokopie des fermān, welches die Inamtsetzung Zāhedīs anordnete bei: Naǧātī, Ǧonbeš-e mellī šodan naft-e Īrān, 514. In der Bildunterschrift wird von der Richtigkeit der Version ausgegangen, die Naṣīrī erzählte. 503 Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 37–38; Wilber verweist (a.a.O) auch darauf, dass nach Naṣīrīs Bericht Sorāyā den Ausschlag gegeben habe: „Late on the evening of 13 August, Colonel [Name geschwärzt] returned to Tehran with the firmans signed by the Shah and delivered them to Zahedi; according to his story (which has never been confirmed), it was Queen Soraya who finally convinced the Shah that he must sign. If this is true, here was an ally from a totally unexpected quarter.” 504 Moraes Ruehsen, „Operation 'Ajax' Revisited: Iran, 1953“, 478. 505 Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 39: „The precise order of events of the night of 15 August 1953 has not yet been established in all detail. The early accounts of various participants differed widely enough to make it impossible to follow the slender thread of truth through the dark night. However, the main outline of the first try is clear, as are two basic facts are connected with it. These facts are: that the plan was betrayed by 135 die dünne Quellenlage erneut hervorgehoben wurde.506 Was sich durch die Evaluation der Bewegungen der Truppen jedoch gesichert sagen lässt, ist zum einen, dass die Hauptlast des Plots tatsächlich auf dem Rücken der (schwachen) Gard-e Šāhanšāhī lag. Wie im „Initial Operation Plan“ der CIA-SIS-Strategen vorgesehen, vertraute man also auf die Wirkung der fermāne und zog den quasi-legalen Ansatz dem voll entwickelten Militärcoup vor.507 Zum anderen ist zu konstatieren, dass Neʽmatollāh Naṣīrī nicht nur als symbolträchtige Figur bei der Übermittlung des fermān an Moṣaddeq eine zentrale Rolle in den Ereignissen zukam, sondern auch die Abläufe des Abends selbst maßgeblich von ihm koordiniert und gesteuert wurden. Nach der operativen Planung der Aktion durch die iranischen und anglo- amerikanischen Konspirateure wurde die Ausführung des Umsturzversuchs also weitgehend der Gard-e Šāhanšāhī und ihrem Kommandeur überlassen. So erinnert sich auch Roosevelt:

„When we reached Bill’s [CIA-]headquarters, it was still light, although curfew was about to begin. There were no visible troop movements, ominous or otherwise. We settled down in his office, prepared for a long vigil, which – hopefully – would be ended by a phone call from Colonel Nassiry reporting successful delivery of the firmans to Mossadegh and to Zahedi.”508 Oberst Naṣīrī erschien gegen 22:30 Uhr in der Armee-Kaserne Bāġ-e Šāh, die in strategischer Nähe zur Residenz Moḥammad Moṣaddeqs lag und in der Teile der Gard-e Šāhanšāhī stationiert waren.509 Nach seiner Ankunft verlas er die beiden

indiscretion of one of the Iranian Army officer participants – primarily because of the protracted delay – and that it still might have succeeded in spite of this advance warning had not most of the participants proved to be inept or lacking in decision at the critical juncture.” 506 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 95. 507 Beachte: Dies war aufgrund der bereits dargestellten Kommandostruktur auch schwer durchzusetzen, es gab aber durchaus Überlegungen, Brigaden von außerhalb Teherans für diese Zwecke hinzuzuziehen und zu instrumentalisieren. 508 Roosevelt, Countercoup, 172. 509 Beachte: Ervand Abrahamian schreibt in Bezug auf diese Kaserne: „The imperial Guards – the most royalist section of the military - had been stripped of heavy armor after the July Uprising but had been permitted to keep their own Sa’adabad barracks at Baq-e Shah (Shah’s Garden).” (Abrahamian, The Coup, 182–183.); Diese Darstellung kann nicht stimmen. Der Bāq-e Šāh („Palastgarten“) liegt nicht im Norden Teherans, sondern im Zentrum. Die Palastanlage „Saʿadabād“ hingegen ist im Norden. Dort hatte die Gard-e Šāhanšāhī ihr Hauptquartier. Stimmig scheint die Darstellung bei Donald Wilber, der berichtet, dass die Bāq-e Šāh-Kaserne eine Kaserne der regulären Armee war, in welcher Teile der Gard stationiert waren. Vgl. Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 40; So auch Banī-Aḥmad, Panǧ rūz rastaḫez- e mellat, 30. 136 fermāne an die dort stationierten Offiziere und Soldaten, in dem Wissen, dass der dortige diensthabende Kommandeur der regulären Truppen Major Ḥoseyn Artefī auf der Liste jener Offiziere stand, auf deren Unterstützung die Konspirateure hoffen konnten. Naṣīrī wiederholte seine Ansprache, die er zuvor in der einige Kilometer nördlich gelegenen Stamm-Garnison der Gard-e Šāhanšāhī, der Saʿadabād-Kaserne, gehalten hatte: „Nasiri invoked the gravity of the political situation, reminding the officers at Bagheshah that the Tudeh Party had gained control of the country, that sections of the army were collaborating with them, that the Shah had decided to dismiss Mosaddeq, and that he was himself executing the Shah's orders.“510

In der Zwischenzeit wurden zwei konkurrierende Ereignisketten in Gang gesetzt: Einerseits waren sowohl Moṣaddeq als auch General Riyāhī (mindestens) durch das Militärnetzwerk der Tūdeh (Sāzemān-e Nīẓāmī-ye Ḥezb-e Tūdeh-ye Īrān511) von dem bevorstehenden Putsch informiert worden.512 Daraufhin wurde der „Deputy chief of staff“, General Kiyānī, von Riyāhī zur Inspektion in die Bāġ-e Šāh-Kaserne gesandt, wo er gegen 23:00 Uhr eintraf und von Naṣīrī persönlich festgenommen wurde.513 Diese Festnahme blieb (vor allem, da der Bericht Kiyānīs an Riyāhī ausblieb) nicht unbemerkt und führte dazu, dass zahlreiche Offiziere der in Teheran stationierten regulären Einheiten über den bevorstehenden Umsturzversuch informiert wurden,514 jedoch bei weitem nicht alle entscheidenden Personen erreicht werden

510 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 96. 511 Vgl. zur Geschichte der Gründung des Netzwerkes und der maßgeblichen Personen: Behrooz, „Tudeh Factionalism and the 1953 Coup in Iran“, 367–368. 512 Beachte hierzu das Interview mit dem prominente Tūdeh-Kader Moṣṭafa Lankarānī Lankarānī, Moṣṭafa, 21. Mai 1985 in Iranian Oral History Collection, Harvard University, hrsg. von Habib Ladjevardi, transcript 11, 2.: „Bezüglich des Coup d’étàts ist zu sagen, dass es stimmt, dass die Tūdeh-Partei Moṣaddeq über den Coup am 25. Mordād in Kenntnis setzte – und er hat ja auch selbst vor Gericht bestätigt, dass er mit mir telefoniert hat. Die Hintermänner, beteiligten Personen und ihre gesamten Pläne, alles wusste Premier Moṣaddeq von der Tūdeh, das ist völlig richtig.“ 513 Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 17, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS) (s. Anm. 145), 6: „At 2300 hours, Brig. Kiani, Deputy Chief of Staff, was sent to the Baghe Shah, to inspect the units of the Royal Guard and the Custom's Guard which were billeted there. When Brig. Kiani entered the Baghe Shah he realized that conditions were not normal. There was Col. Nasiri, commander of the the Royal Guard, who instantly ordered his arrest. In this manner, Col. Kiani was captured in Baghe Shah.“ 514 Das hatte entscheidenden Einfluss auf „neutrale“ Offiziere in der Episode, die über den quasi- legalen Charakter des Umsturzes hatten mobilisiert werden sollen. Siehe Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 40: „Officers who were aware that Riahi had been alerted took no action, but others who were not, carried out their tasks.” 137 konnten, da die Umstürzler über das Durchtrennen von Telefonkabeln das Kommunikationssystem sabotierten.515 Trotzdem gelang es General Riyāhī noch vor Mitternacht, jene strategisch wichtigen Orte in Teheran zu besetzen, auf die Attacken seitens der Putschisten zu vermuten waren.516 In Konkurrenz zu diesen Maßnahmen fuhren andererseits Truppentransporter der Gard-e Šāhanšāhī und der über die fermāne informierten, loyal zum Shah stehenden Einheiten der regulären Armee durch die Stadt und nahmen zahlreiche Moṣaddeq-treue Militärangehörige und zivile Personen fest, darunter Politiker und Minister, deren Prominentester Außenminister Ḥoseyn Fāṭemī war.517 Diese wurden zunächst in die Bāġ-e Šāh- Kaserne verbracht, von dort nach Saʿadabād transportiert und dort festgehalten.518 Von der Bāġ-e Šāh-Kaserne brach nun andererseits Oberst Naṣīrī mit einigen Soldaten der Gard-e Šāhanšāhī in Richtung der Residenz des Premierministers auf, um Moṣaddeq jenes fermān zu überbringen, das seine Entlassung anordnete.

Gegen Mitternacht herrschte somit in Teheran ein reges Durcheinander von Truppenbewegungen mit unklaren Koalitionierungen. Es bleibt strittig und fraglich, wer welche Einheit wo antraf und wer wo verhaftet wurde oder nicht – diese Unklarheit geht soweit, dass der CIA-Bericht sich nicht einmal sicher ist, ob Naṣīrī mit dem fermān es überhaupt jemals bis zur Residenz Moṣaddeqs geschafft hat.519

515 Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 17, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS) (s. Anm. 145), 1: „Before arresting any persons, the conspirators cut telephone communications to their houses. They had also cut telephone communications between the Staff Department and Baghe Shah (First Division barracks in the middle of Teheran -- Ed.). The Bazaar telephone exchange was also occupied by Col Azmudeh and his armed party.” 516 Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 42. 517 Vgl. Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 17, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS) (s. Anm. 145), 1: „At 2330 hours […] a number of soldiers armed with machine guns and hand weapons first arrested the Ministers of Foreign Affairs, and Roads, and Engineer Zirakzadeh in Shemiran, and, in order to arrest the Chief of Staff, went to his house. But Gen. Riahi was working in the Staff Department, they could not arrest him.” 518 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 97; Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 40. 519 Vgl. hier exemplarisch Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 41. „When Riahi did not hear from General Kiani, who had gone to the Bagh-i-Shah, he (according to his own account) phned Colonel Momtaz of the 2nd Mountain Brigade and told them to take their forces to the Bagh-i-Shah. At or before this time he also alerted other officers, including Colonel Parsa of the 1st Mountain Brigade; Colonel Ashrafi, the Military Governor and Commanding Officer of the 3rd Mountain Brigade; and Colnel Novzari of the 2nd Armored Brigade. However, according to the accounts of Zahedi men engaged in their operation, Momtaz and Shahrokh were arrested at the Bagh-i-Shah and held there with Kiani for some time. Government sources differ in their accounts as to what happened when Colonel [Name geschwärzt] tried to deliver To Mossadeq the Shah's firman dismissing him. According to 138

Diese wurde jedenfalls seit kurz vor Mitternacht von hinzugezogenen Moṣaddeq- treuen Einheiten bewacht, ein Verdienst, das in der Iranian Oral History Collection durch Moṣṭafa Lankarānī für die Ḥezb-e Tūdeh beansprucht wird. Er behauptet dort: „Die Hintermänner, beteiligten Personen und ihre gesamten Pläne, alles wusste Premier Moṣaddeq von der Tūdeh […]. Daher kam es, dass Premier Moṣaddeq auf Colonel Naṣīrīs Auftauchen vorbereitet war und sich durchsetzen und ihn entwaffnen und festsetzen konnte.“520 Gemäß den regierungsnahen Verlautbarungen war es jedoch eher dem zögerlichen Vorgehen Naṣīrīs geschuldet, dass man an der Residenz des Premierminister Maßnahmen ergriff, da dieser zwischen der Festnahme General Kiyānīs und der Übermittlung des fermān an Moṣaddeq zu viel Zeit verstreichen ließ und man daher auf das Erscheinen der Gard- e Šāhanšāhī vorbereitet war. So hielt der Foreign Broadcast Information Service der CIA am 17. August die im Radio verbreitete offizielle Darstellung dieses Umstands wie folgt fest:

„Army Staff Col. Momtaz, who was to protect Kakh Avenue, was informed that Brig. Kiani had gone to Baghe Shah and had not returned. Col. Momtaz reported that the Royal Guard commander had arrested him. He therefore sent Col. Zand Karimi to the Army Staff a little after midnight and gave a detailed report concerning Brig. Kiani. He stated that Brig. Nasiri was moving towards the Premiers's house with four truckloads of Royal Guard soldiers and one tank.”521 Trotz der regen Truppenbewegungen, beiderseitigen Vorbereitungsmaßnahmen und der sich widersprechenden Berichte sind zwei Feststellungen gesichert zu treffen: Erstens, dass keine Schüsse fielen, sondern die Lage offensichtlich so unübersichtlich war, dass weder Offiziere noch Mannschaftsdienstgrade ihr Leben in dieser unklaren Situation riskieren mochten. Zweitens, dass mit der Festnahme Neʽmatollāh Naṣīrīs – wo auch immer diese erfolgte – der versuchte Umsturz gescheitert war.

General Riahi, Colonel Momtaz was on his way to the Bagh-i-Shah when he ran into Colonel [Name geschwärzt] in the street and thereupon arrested him.” 520 In Iranian Oral History Collection, Harvard University (s. Anm. 512), 2.; Siehe zur Rolle der Tūdeh auch die parteieigene Publikation zum Coup: F. M. Ḫwāšīr, Tağrobe-ye bīst-o-hašt-e mordād (Teherān: Entešārāt-e Ḥezb-e Tūdeh-ye Īrān, 1359 h. š. = 1979). 521 Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 17, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS) (s. Anm. 145), 6. 139

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Die offizielle Version über den Hergang der Ereignisse wurde am folgenden Tag im Radio verbreitet und hat als solche auch Einzug in den Bericht der CIA gehalten, wo allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Ausführungen nur auf dem Bericht der Regierung Moṣaddeqs beruht,522 welche die Bevölkerung am Morgen des 16. August 1953 über den gescheiterten Coup in Kenntnis setzte. Gleichwohl: Auf die Autorität des – in diesem Punkt ausdrücklich keine Autorität beanspruchenden – CIA-Berichtes von Donald Wilber verweisen alle folgenden wissenschaftlichen Ausarbeitungen.523 So etablierte sich ein fragwürdiger wissenschaftlicher Konsens über den Hergang der Ereignisse, wie er von der Regierung am folgenden Tag im Radio verkündet wurde:

„At 0100 hours Col. Nasiri, commander of the Royal Guard, with four armed trucks, two Army jeeps, and one armored car came to the Premier's house. They wanted to occupy the house, while pretending to present a letter to the Premier. But as the guards of the Premier's house were quite vigilant, they arrested the Col. immediately.”524 Dies deckt sich mit dem Bericht der Tageszeitung Eṭṭelāʿāt die in ihrer (nachmittags erscheinenden) Ausgabe vom 16. August den Hergang ebenso erzählt und bemerkenswerterweise auch auf das Vorhandensein der fermāne hinweist.525

Diese Darstellung verdient völlig unabhängig von der Frage nach der korrekten Wiedergabe der Ereignisse einige Beachtung: Hier zeigte sich bereits, dass sich die Regierung Moṣaddeqs in der Folge der Ereignisse der Nacht des 15. auf den 16. August 1953 sichtlich bemüht zeigte, den Umsturzversuch als den Versuch eines Militärputsches zu präsentieren, der von der Gard-e Šāhanšāhī durchgeführt wurde

522 Vgl. Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 41. 523 Vgl. nur Abrahamian, The Coup; Banī-Aḥmad, Panǧ rūz rastaḫez-e mellat, 86; Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran (s. Anm. 123), 249; Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran. 524 Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 17, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS) (s. Anm. 145), 1–2. 525 Eṭṭelāʿāt, 25. Mordād 1332 [16. August 1953], S. 1. Dies widerspricht der häufig erhobenen Behauptung, dass die Regierung Moṣaddeqs die Existenz der Dekrete verheimlicht habe. Vgl. etwa Barry Rubin, Paved with Good Intentions: The American Experience and Iran, 3. print (New York: Oxford Univ. Press, 1980), 84. 140 und von den regulären Truppen vereitelt wurde. Man ließ umgehend verkünden: „a military coup was attempted by the officers and men of the Royal Guard.”526

Folglich passt auch die Darstellung der Festnahme Neʽmatollāh Naṣīrīs vor der Residenz des Premierministers durch Einheiten und Offiziere, die sich der Regierung gegenüber als loyal erwiesen, in das gezeichnete Bild eines Showdowns zwischen der Shah-treuen Garde und der Armee527 – unbeschadet der Tatsache, dass der amtierende Befehlshaber der Armee, General Riyāhī, die zufällige Begegnung zwischen Oberst Momtāz und dessen Kontingent mit Oberst Naṣīrī nach dessen Aufbruch aus der Bāġ-e Šāh-Kaserne als Grund für die Festnahme des letzteren nannte.528 Nach der populär gewordenen Darstellung – die entgegen dem offiziellen Bericht der CIA auch Kermit Roosevelt verbreitete529 – stellte Moṣaddeq dem Kommandeur der Gard-e Šāhanšāhī sogar eine Quittung über den Erhalt des fermān aus, bevor dieser verhaftet wurde. Eine solche Quittung ist freilich bisher nie aufgetaucht. Sie gehört trotzdem zum common knowledge über die Ereignisse der Nacht des gescheiterten Coups.530

In einem am Nachmittag des 16. August im Radio verlesenen Artikel des Außenministers Hoseyn Fāṭemī, der in der Tageszeitung Baḫtar-e emrūz erschien, berichtet der Minister von den Ereignissen der Nacht und lässt die Gard-e Šāhanšāhī als anachronistische Räuberbande erscheinen:

„At 1130 hours last night a few armed officers and about 50 to 60 soldiers from the Imperial Guard rushed into my house with revolvers in their hands in a manner similar to the fiction of the Middle Ages. Without even allowing me to put shoes on they took me away to Saadabad, despite the cries of my 11-month-old child and the child's mother. They took me to

526 Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 17, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS) (s. Anm. 145), 1. 527 Die Geschichte darüber wurde im Laufe der Zeit offensichtlich immer detailierte ausgeschmückt. Dies führt soweit, dass Moyara de Moraes Ruehsen zu wissen meint: „When Nassiri arrived at Musaddiq's home with one tank, four trucks, two jeeps, an armored car and 60 riflemen, the Prime Minister's guards arrested him immediately, [...].” (Moraes Ruehsen, „Operation 'Ajax' Revisited: Iran, 1953“, 478). 528 Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 41. 529 Roosevelt, Countercoup, 174–175. 530 Vgl. Banī-Aḥmad, Panǧ rūz rastaḫez-e mellat, 86; Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 98; Kermit Roosevelt erzählt die Geschichte anders. Hiernach wollte sich der Premierminister gar nicht erst wecken lassen. Dafür habe dessen Bediensteter die Entgegennahme quittiert. Vgl. Roosevelt, Countercoup, 175. 141

the prison of the Imperial Guards at the Royal Palace, and 12 soldiers occupied my house until four o'clock in the morning.”531 Nachdem Fāṭemī im Laufe des Artikels den Shah selbst bezichtigte, hinter den Ereignissen des 28. Februar 1953 (9. Esfand 1331) zu stehen, als eine pöbelnde Menge vor der Residenz des Premierministers den Aufstand wagte, wird er erneut deutlich in seiner Auffassung des Shahs und seiner Leibgarde:

„The Royal Court is the enemy of all freedom-loving, liberal-minded persons, and [the Shah] is the barrier on the road of the campaigners for freedom and independence. If this statement is not true, then the Shah must be asked what crime I have committed that I should be kidnapped in the middle of the night by a number of highway cut-throats.”532

Er ruft in der Folge unmissverständlich dazu auf, die Monarchie abzuschaffen.533 Dies sei hier nur erwähnt, um auf die Brisanz der internen Dynamiken aufmerksam zu machen, die in den folgenden drei Tagen schließlich im dann erfolgreichen Coup d’étàt vom 28. Mordād 1332 zugunsten des Shahs und General Zāhedīs – der übrigens per Radio-Durchsage „zurückberufen“ wurde,534 aber von der CIA versteckt wurde535 – führte. Die Entscheidung des Shahs, das Land in Richtung Bagdad zu verlassen, erscheint in diesem Lichte mehr als verständlich.

531 Baḫtar-e emrūz, 25. Mordād 1332; zitiert in Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 17, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS) (s. Anm. 145), 2. 532 Ebd. 533 Ebd., 4–5: „O, Dr. Mossadeq, how long must we suffer, and how long must we wait and see these open and secret crimes of the Royal Court? Through last night's act the Royal Court showed its attitude clearly to the people. Now we must put an end to 12 years of misery and plundering of our brothers and sisters, 12 years of foreign intrigue, and it must be proved to the Royal Guard that there exists a Nation in this country, and that such acts of the Royal Court can be tolerated up to the point and no more. Now the Iranians have grown impatient and are fed up, and everybody, young and old, is shouting for revenge. Merry making, satiating passions, and ignoring the destiny of millions of people is enough at this point. The Royal Court must be asked what else it could possibly want from the people. You (the Shah - Ed.) have advanced with your actions to the point of putting an end to your reign, and you are digging with your own hands the grave of foreign worshipping (two words unintelligible - Ed.). Last night at the same time that the swords and rifles of the Royal guards officers and men were pointed at me, and when they were taking me to the Saadabad Palace, I was cooly and calmly reciting a poem of Saadi to myself which says: 'When the life of a man becomes dark, he will do everything that will not benefit him.'” 534 Military Government Communique, Aug. 17: „As the recalling of retired Gen. Fazlollah Zahedi is necessary for investigations, he is hereby notified to report to the Military Government within 24 hours.” (Ebd., 2). 535 Roosevelt, Countercoup, 176–177. 142

Auf der ebenfalls am 16. August abgehaltenen Pressekonferenz Ḥoseyn Fāṭemīs war dieser vornehmlich darum bemüht, die heroischen Taten der treuen Offiziere der regulären Armee herauszustreichen, die sich mit äußerstem Mut der Bedrohung durch die Gard-e Šāhanšāhī entgegengestellt hätten.536 Er gab außerdem bekannt, dass die gesamte Garde des Shahs entwaffnet und in ihren Barracken festgehalten werde. Ihr Kommandeur Neʽmatollāh Naṣīrī sei auf Befehl Riyāhīs ins Gefängnis verbracht worden.537 Der nun sehr umtriebige Fāṭemī beendete schließlich den Tag mit einer Rede auf dem Meydān-e Bahārestān in der er der dort versammelten Menge zurief: „Oh, Ihr heldenhaften Teheraner! Ich verneige mich vor euren Ansichten, ich verneige mich vor eurem Glauben. Ihr seid die wahren Sieger dieser Schlacht! […] Liebe Landsleute, gestern Nacht nahm mich die Gard-e Šāhanšāhī gefangen, aber ich wusste, ihr würdet obsiegen!“538

Hier wird die Auseinandersetzung des nationalistisch-säkularen Rackets mit dem royalistischen Racket diskursiv auf die Konfrontation der Leibgarde des Shahs mit dem Volk – als dessen Vertreter die regulären Einheiten präsentiert werden – verdichtet. Und in der Figur des Kommandeurs der Garde werden diese Diskurse zusammengeführt. Seine Verhaftung symbolisiert den vermeintlichen Sieg über das royalistische Racket – ebenso wie die Flucht des Shahs, der nach einer Radioansprache Moṣaddeqs mit Sorāyā und einem Begleiter ein Flugzeug bestieg und über Bagdad nach Rom flüchtete.539

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Horkheimer konstatierte ja, dass die Verhärtung des Rackets nach unten identisch mit der Verhärtung der Individuen ist, die es konstituieren.540 Dies lässt sich hier nun übertragen: Dem royalistischen Racket ist es zunächst nicht gelungen, die

536 Ḥoseyn Fāṭemī, 16. August 1953, Pressekonferenz; zitiert in Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 17, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS) (s. Anm. 145), 7: „In any case, the Government now dominates the situation completely. It has arrested a number of traitors and will punish them for their antinational measures. In this incident a number of honorable Army officers have accomplished their duties with the utmost courage and prevented the coup from being successful.” 537 Ebd. 538 Ebd., 11.; vgl. auch Eṭṭelāʽāt, 26. Mordād 1332 [17. August 1953]. 539 Axworthy, Revolutionary Iran, 53. 540 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 288. 143

Monopolisierung seiner Vorteile voranzutreiben. Der Prozess der Verhärtung steht in Frage – und zwar aufgrund der Schwäche der Individuen, die es konstituieren. Hier symbolisiert die gleichzeitige Flucht, respektive Inhaftierung der beiden agierenden Repräsentanten des Rackets im historischen Moment – Moḥammad Reżā Šāh, der sich über seine fermāne die entsprechenden Aktionen zurechnen lassen muss, und Neʽmatollāh Naṣīrī, der mit deren Ausführung beauftragt war – die inhärente Schwäche, die dem royalistischen Racket seinerzeit noch anhaftete.

Die Notwendigkeit des Eingreifens anderer Racketeers, die ein eigenes Interesse an der Durchsetzung des royalistischen Rackets hatten, verdeutlicht, dass der Shah 1953 noch weit davon entfernt war, die Monopolisierung seiner Vorteile zu erreichen – weshalb jede Periodisierung der Geschichte Irans als unvollständig bezeichnet werden muss, welche 1953 als Kulminationspunkt der Konsolidierung der Herrschaft Moḥammad Reżā Šāhs denkt. Gleichwohl aber bot das Eingreifen anderer interessensgleicher Akteure durch den dann erfolgreich – und an dieser Stelle nicht eingehend diskutierten – durchgeführten Coup d’étàt gegen die Regierung Moṣaddeqs am 19. August 1953 dem Shah die Möglichkeit, die Mechanismen der Verhärtung in Gang zu setzen. Auch dies wird durch die Gard-e Šāhanšāhī und deren Auftritt am Coup des 28. Mordād verdeutlicht:

Was zwischen der Festsetzung Naṣīrīs am 16. August und seiner Befreiung am 19. August mit dem Oberst geschah, ist nur schwer zu ermitteln, da sich offizielle Dokumente in Bezug auf die Festnahme nicht finden lassen.541 Abbas Milani berichtet ohne Quellnachweise davon, dass die damaligen regierungsnahen Zeitungen berichtet hätten, Naṣīrī habe sich in dieser Zeit gegen den Shah gewandt.542 Über die Durchsicht der entsprechenden Herausgaben der iranischen Tageszeitung Eṭṭelāʽāt zwischen dem 15. August 1953 (24. Mordād 1332) und dem 19. August 1953 (28. Mordād 1332) sind solche Berichte jedoch nicht zu bestätigen.543 Gesichert ist lediglich, dass Neʿmatollāh Naṣīrī bis zum 19. August 1953 inhaftiert war. Als sich jedoch das Blatt zugunsten der Putschisten wendete –

541 Abbas Milani, „Ne'matollah Nasiri.“ in Eminent Persians: The Men and Women who Made Modern Iran, 1941-1979 (s. Anm. 281), 469. 542 Vgl. ebd. 543 Vgl. Eṭṭelāʽāt, 25. Mordād 1332 [16. August 1953]; Eṭṭelāʽāt, 26. Mordād 1332 [17. August 1953]; Eṭṭelāʽāt, 27. Mordād 1332 [18. August 1953]. 144 wobei die Bekanntmachung und Vervielfältigung der beiden fermāne des Shahs von großer Bedeutung war544 –, sammelte sich vor der Polizeiwache, in der Neʽmatollāh Naṣīrī gefangen gehalten wurde, am Mittag des 19. August eine Menschenmenge und forderte seine Freilassung – bezeichnenderweise auf Anstiftung eines CIA- Agenten hin.545

Die persönliche Rolle des Oberst Naṣīrī in den folgenden Stunden ist ebenfalls nicht gesichert,546 wohl aber jene der von ihm kommandierten Garde. Die entwaffnete Gard-e Šāhanšāhī wurde mysteriöserweise in den Barracken der Bāġ-e Šāh-Kaserne in unmittelbarer Nähe zur Residenz des Premierministers festgehalten. Sie wurde also nicht in ihre Stammgarnison im Norden der Stadt und fernab des Zentrums verbracht, sondern in der Nähe aller strategisch wichtigen Ortschaften gehalten, wobei die Waffen in unmittelbarer Nähe gelagert wurden – eine Tatsache, die Ali Rahnema vermuten lässt, dies könnte ein Teil des Plots gewesen sein.547 Tatsächlich entwaffnete die Garde im Laufe des Mittags ihre Bewacher, bewaffnete sich und nahm ab vier Uhr das Anwesen Moṣaddeqs (das zuvor schon von einem Mob und einigen Soldaten belagert wurde) unter Beschuss. Gegen sechs Uhr wurde die Verteidigung aufgegeben und die Residenz des Premierministers durch die Gard-e Šāhanšāhī eingenommen548 – wie um die Symbolik der Auseinandersetzung der konkurrierenden Rackets auf die Spitze zu treiben.

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544 Vgl. Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 65. 545 Ebd., 70. 546 Ward (Ward, Immortal, 189.) führt unbelegt aus: „Nassiri and other plotters from the earlier coup attempt were freed from prison, and the colonel immediately assembled the Imperial Guard to help the protestors.” 547 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 229: „The personnel of the Imperial Guard, under Colonel Nasiri, who had acted as the main engine of the fist coup, were disarmed after it failed in the early hour of Sunday 16 August. These loyal pro-Shah soldiers were subsequently incarcerated at Bagheshah garrison, with their weapons stashed in the room adjacent to them. The decision to place this most ardent pro-Shah military corps ath Bagheshah garrison, and under the command of Daftari, was most curious. Bagheshah was the closest military garrison to Mosaddeq's house, being only a 15-minute walk away. Keeping this devout anti-Mosaddeq corps, which had already participated in the first coup, under very loose surveillance, with their weapons in the room adjacent to them and at a 15- minute walking distance from Mosaddeq's house, remains a riddle, unless it is assumed that the decision was intentional and a part of the plot.“ 548 Ebd., 230.; Vgl. auch Eṭṭelāʿāt, 31. Mordād 1332 [22. August 1953]. 145

Der CIA-Bericht über die Operation TPAJAX enthält einen Teil unter dem Titel „Military Critique – Lessons Learned from TPAJAX or Military Planning Aspects of Coup d’état” (Appendix E). Neben grundsätzlichen militärstrategischen Überlegungen, die bei zukünftigen Operationsplänen für Regimewechsel zu beachten wären, werden hier prominent auch Themen diskutiert, die für die in der vorliegenden Studie eingenommene theoretische Perspektive von hohem Interesse sind. Unter dem Abschnitt „I. The Problem of Personal Assessment“ wird die zunächst banal klingende Forderungen an zukünftige CIA-Operationen formuliert, dass man befreundete Kräfte im Militär ausfindig machen und unterstützen müsse. Das hinter dieser Forderung erkannte Problem wird folgend spezifiziert:

„Biographical information cannot be collected in a short period of time. It must be reported on a basis of continuity and must include everything known about individual officers, no matter how trivial. [...] It has been our experience that too little emphasis is being placed upon this requirement; too often the files of officers contain only short references to an officer's assignments, promotions, decorations, omitting all personalia which could indicate who an officer really is, what makes him tick, who his friends are, etc.”549 Hier beobachtete die CIA offensichtlich, dass die Zugehörigkeit zum Offizierskorps noch lange nicht eine Einigkeit in Bezug auf die individuellen Interessen impliziert, die sich eben nicht über Beförderungen und Auszeichnungen erschließen lassen. Dem liegt für den iranischen Fall die Erkenntnis zugrunde, dass es Moṣaddeq und Riyāhī mit der Umordnung der Kommandostruktur seit Juli 1952 tatsächlich gelungen war, zahlreiche Schlüsselpositionen innerhalb einer Armee zu besetzen, die – und das war ja wesentliche Prämisse des „Initial Operation Plan“ – im Grunde als Shah-treu angesehen wurde. Der Versuch des nationalistisch-säkularen Rackets, die Kontrolle über die Armee zu erlangen und so die Monopolisierung jener Vorteile zu erreichen, welche die Kontrolle über einen als legitim wahrgenommenen Gewaltakteur für die Führung eines Landes bedeuten (hier also musterhaft ein Prozess der Verhärtung im Sinne Horkheimer darstellen), lässt sich in einem ersten Schritt eben an der Personalpolitik auf der Offiziersebene ablesen.550 Eine Änderung

549 Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, Appendix E, 1-2. 550 Abrahamian, The Coup, 183: „The Wilber document reports that Mossadeq had chosen his brigade commanders well; and that these commanders had instituted their control over their barracks well. To short-circuit this tight command structure, the coup intended to name a new chief of staff, who would issue instructions directly to deputy barracks commanders and 146 der Eidformel („Ḫodā, Šāh, Mīhān“551 – Gott, Shah, Vaterland) und der Versuch der Einflussnahme auf die politischen Diskurse wäre erst der nächste Schritt gewesen und ohne die Besetzung der Schlüsselpositionen undenkbar. Diesbezüglich wird die Stärke des Theorie-Vorschlages Horkheimers deutlich, wenn er sagt, dass die Verhärtung eines Rackets sich an den Individuen ablesen lässt, die es konstituieren552 – und dies bezieht sich auf Erfolg und Scheitern gleichermaßen!

Es heißt in der „Military Critique“ in frappierender Bestätigung der hier vorgelegten theoretischen Implikationen zum Racket-Gedanken:

„The intensity of individual political motivations was different in each case, and was often less important than personal motivations such as ambition, jealousy, young officers’ resentments of old officers and vice versa. […] Hence, the political motivation of officers and personal motivations within the political milieu have been and are factors to be considered in assessment of military personnel.”553 Das iranische Beispiel und die Geschichte des gescheiterten Putsches sowie des erfolgreichen Coup d’étàts zwischen dem 16. August 1953 und dem 19. August transportieren jedoch noch eine weitere Botschaft, die für die vorliegende theoretische Perspektive von Relevanz ist: Dem royalistischen Racket war nicht nur die Schwäche ihrer Racketeers inhärent, auf die hier bereits mehrfach hingewiesen wurde, sondern auch eine unersetzliche Stärke, die durch die Funktion des Shahs selbst repräsentiert wurde. Seine Dekrete waren es, die – wie von der CIA intendiert – allen Operationen, die dem Sturz Moṣaddeqs dienten, Legitimität verliehen. Dies betrifft auch den Einsatz von Zwangsmitteln, gleich ob diese nun von den formellen Akteuren der Armee oder Polizei eingesetzt wurden oder von den informellen Akteuren, die noch zu diskutieren sein werden (wobei hier darauf hinzuweisen ist, dass gerade für die informellen Akteure auch religiöse Legitimationen eine Rolle gespielt haben könnten; insofern konkurrierte hier das fermān möglicherweise mit der fatwā554). War es also dem royalistischen Racket noch nicht gelungen, die

their tank officers – thus undercutting the brigade commanders.” 551 Halliday, Iran: Dictatorship and Development, 67. 552 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 288. 553 Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, Appendix E, 4. 554 Dies korreliert mit dem zentralen (durchaus aber sehr streitbaren) Argument von Darioush Bayandor, der die populäre Mobilisierung des Coups vom 19. August 1953 auf die maßgebliche Einflussnahme Ayatollāh Borūǧerdīs zurückführen möchte. Vgl. seine gesamte Studie: Bayandor, Iran and the CIA. 147

Schlüsselpositionen innerhalb des Sicherheitsapparates zu monopolisieren, so hatte es dennoch das Monopol auf die Legitimität der Kontrolle über selbiges – dies drückte sich im historischen Moment schon in der Einschätzung der Strategen des Coups aus, dass sich die Armee (und damit insbesondere die Mannschaftsdienstgrade) im Falle eines Showdowns auf die Seite des Shahs stellen würde.

3.2.2 Der Aufstieg zum power-broker

Durch den erfolgreichen Coup vom 19. August 1953, seinen quasi-legalen Charakter und die Tatsache, dass nicht lediglich das Militär am Umsturz beteiligt war, sondern sich auch große Teile der Bevölkerung gegen Moṣaddeq wandten,555 erhielt Moḥammad Reżā Šāh nun eine neue Machtressource: Er konnte seine persönliche Herrschaft unter den Verweis auf einen vermeintlichen Volksaufstand (qiyām-e mellī) zu seinen Gunsten als direkt vom Volk legitimiert vermarkten.556 Entsprechend reagierte der Shah aus seinem kurzen Exil in Rom auf die Ereignisse in Iran mit einem Telegramm vom 20. August 1953 mit den Worten: „Im Namen Gottes des Allmächtigen, ich danke dem iranischen Volk für seine Unterstützung und

555 Dies ist natürlich sehr umstritten und ein bis heute hochsensibles Thema. Wo die eine Seite die Beteiligung von über die untersten Schichten hinausgehenden Teheranern an den Ereignissen des 19. August, diese lediglich als Folge des durch Schlägertruppen evozierten Zwangs interpretieren, sehen andere die willentliche Beteiligung unterschiedlichster Gesellschaftsschichten an der Willensbekundung zugunsten des Shahs. Der sicher nicht unvoreingenommene, aber aufgrund seines Charakters als interner und geheimer Ereignisbericht auch recht offen und schonungslose CIA-Bericht von Donald Wilber berichtet über den Stimmungsumschwung im Laufe des Vormittags des 19. August: „As a result the crowds were able to fan out toward key points. Just up Lalezar, a main shopping street the Saadi theater, long sponsored by the Tudeh Party, was burned. The surging crowds of men, women, and children were shouting, 'Shah piruz ast,' (The Shah is victorious). Determined as they seemed, a gay holiday atmosphere prevailed, and it was as if exterior pressures had been released so that the true sentiments of the people showed through. The crowds were not, as in earlier weeks, made up of hoodlums, but included people of all classes - many well dressed - led or encouraged by other civilians. Trucks and busloads of cheering streamed by and when, about noon, five tanks and 20 truckloads of soldiers joined it, the movement took on a somewhat different aspect. As usual, word spread like lightning and in other parts of the city pictures of the Shah were eagerly displayed.” (Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran). 556 Die Gegenstrategie konkurrierender Interessen lag und liegt bis heute darin, ihn als von der USA und Großbritannien eingesetzten Herrscher ohne demokratische Legitimation zu markieren. 148 für die Verteidigung der Verfassungsordnung.“557 Dabei proklamiert das common knowledge in Iran, dass der Shah in Rom erleichtert ausgerufen habe: „Ich wusste, dass das Volk mich liebt!“ Die folgenden Jahre waren jedoch weniger vom Vertrauen auf die Liebe seines Volkes geprägt als von den Maßnahmen, einerseits seine Machtposition innerhalb des royalistischen Rackets zu monopolisieren – nach unten hin zu verhärten –, andererseits konkurrierende Rackets zu neutralisieren.

Gholam Reza Afkhami wagt ein Gedankenspiel über die Gemütslage des Shahs, das trotz seines suggestiven Charakters den Ausgangspunkt für die Entwicklungen der folgenden Jahre zu veranschaulichen hilft:

„Never again; the shah might have mulled the thought over in his mind as he flew back to Tehran. Never again would he be so poor and vulnerable as he was in . Never again would he be a plaything of another man as he had been of Mosaddeq. Never again would he forget his father’s advice: any man worth asking to help in the arduous work of making a nation will seek your place if allowed. He would not allow men to reach so high a station as to covet his or events to get so out of hand as to put him in jeopardy. He would be alert and vigilant. He would pass beyond the mediating elite to connect directly to his people […].”558 Dieses suggestive Bild der Gedankenwelt des Shahs wird zumindest durch die historischen Prozesse bestätigt, die auf seine Rückkehr nach Iran folgten, und die sich abermals an der Karriere und dem Wirken Neʽmatollāh Naṣīrīs versinnbildlichen lassen – sowohl in Bezug auf den Startpunkt der beiden Racketeers, die am 16. August ihre ganze und gemeinsame Schwäche offenbarten, als auch in Bezug auf die Prozesse der Verhärtung, die schließlich in der unangefochtenen Herrschaft Moḥammad Reżā Šāhs mündeten und die bisher als „royalistisches Racket“ bezeichnete Herrschaftskonfiguration tatsächlich zum Racket des Shahs erwachsen lässt. Die Geschichte des Aufstiegs Naṣīrīs zu einem der zentralen power-broker innerhalb dieses Rackets verdeutlicht die zugrundeliegenden Prozesse und steht schließlich symbolisch nicht nur für die Kultur der Herrschaft innerhalb des Rackets „nach unten zu“, sondern auch die Kultur seiner Machtausübung nach außen hin.

557 Afkhami, The Life and Times of the Shah, 184. 558 Ebd., 187. 149

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Bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem kurzzeitigen Exil am 22. August 1953 machte Moḥammad Reżā Šāh deutlich, dass er in den Angelegenheiten, welche die Armee betreffen würden, keinerlei Abstriche mehr machen werde und von nun an die Kommandostruktur unter seine alleinige Kontrolle zu stellen gedachte – ein Vorgang, in den abermals Naṣīrī verwickelt war. Bei seiner Rückkehr wurde der Shah am Teheraner Flughafen von einem Komitee um den neuen Premierminister General Fażlollāh Zāhedī empfangen. Zu diesem Empfangskomitee gehörte auch Brigadegeneral (pers. sartīb) Neʽmatollāh Naṣīrī.559 Die Tageszeitung Eṭṭelāʽāt berichtete in ihrer Ausgabe vom 16. August noch, dass „sarhang-e Neʽmatollāh Naṣīrī raʾīs-e Gard-e Šāhanšāhī“ – Oberst Naṣīrī, der Kommandeur der Garde des Shahs – für einen versuchten Militärputsch verantwortlich gewesen und festgenommen worden sei.560 Naṣīrī muss also in der Zwischenzeit, und somit in Abwesenheit des Shahs, zum Brigadegeneral befördert worden sein. Der Rang hatte zwar keine unmittelbaren Auswirkungen auf sein Kommando, war gleichwohl aber von hoher symbolischer und politischer Bedeutung im Iran der 50er Jahre. Gerade im Angesicht der Auseinandersetzungen des vormaligen Premierministers Moḥammad Moṣaddeq mit dem Shah, die sich seit Juli 1952 wesentlich um die Frage drehten, wer die Kommandostruktur der Armee ordnen darf, sowie im Angesicht der Tatsache, dass der erste Versuch des Umsturzes am 16. August vor allem daran gescheitert war, dass Moṣaddeq dieses Vorrecht für sich in Anspruch nehmen durfte, ist grundsätzlich bereits der Umstand von Beförderungen in den Generalsstand bedeutungsschwanger. Tatsächlich berichtet die Eṭṭelāʽāt ebenfalls in der Ausgabe vom 22. August prominent von sieben solchen Beförderungen (darunter eben Naṣīrī), die ausdrücklich auf „Wunsch und Vorschlag von General Fażlollāh Zāhedī, Premierminister Irans“ erfolgten. 561

Die Botschaft dahinter mag intendiert gewesen sein oder auch nicht; sie war jedenfalls deutlich: Der neue Premierminister machte von jener Prärogative Gebrauch, welche sich sein Amtsvorgänger so hart erkämpft hatte, und nahm nun

559 Eṭṭelāʽāt, 31. Mordād 1332 [22. August 1953], S. 1. 560 Eṭṭelāʿāt, 25. Mordād 1332 [16. August 1953], S. 1. 561 Eṭṭelāʽāt, 31. Mordād 1332 [22. August 1953], S. 8. 150 seinerseits Einfluss auf die Kommandostruktur in seinem Sinne. Dass er auch den Vertrauten und Weggefährten des Shahs beförderte, änderte nichts an der Tatsache, dass er sich selbst öffentlich das Recht dazu herausnahm – und zudem möglicherweise auch selbst um die Loyalität des Kommandeurs der Gard-e Šāhanšāhī buhlte. Aus der Perspektive des Shahs könnte man das Verhalten Zāhedīs daher als eine Anmaßung einordnen, vor der zuvor Moṣaddeq und Riyāhi noch zurückgeschreckt hatten.

Die Wut des Shahs über diese Beförderungsmaßnahmen, die sich noch am Flughafen entlud,562 ist unter diesem Licht zu interpretieren – ebenso wie seine bald einsetzenden Maßnahmen zur Destabilisierung der Regierung Zāhedīs wie eine Bestätigung der oben unterstellten Gedanken durch Gholam Reza Afkhami anmuten: Niemals würde er sich wieder zum Spielzeug eines anderen degradieren lassen und niemals würde er vergessen, das jeder Akteur mit genügend Macht es auf seine Position abgesehen habe. Gleichwohl sollte sich jedoch im speziellen Falle Neʿmatollāh Naṣīrīs, der ja allein aufgrund seiner Ergebenheit zum Shah als Kommandeur seiner Leibgarde ausgewählt worden war,563 dessen Beförderung nicht nachteilig für den Shah auswirken. Im Gegenteil: „Nasiri soon proved more than willing to accept the shah as his sole master, and even to move against General Zahedi. Within months after his promotion, the shah picked Nasiri to be a member of the cabal called ‘the politboro’ and entrusted with the task of preparing the ground for General Zahedi’s dismissal.”564

Wie oben bereits ausgeführt reichte Premierminister Zāhedī am 06. April 1955 seinen Rücktritt ein,565 womit ein entscheidender interner Konkurrent im royalistischen Racket – jener Akteur, der auch um das Vorrecht der Besetzung militärischer Schlüsselpositionen mit dem Shah konkurrieren wollte – neutralisiert wurde. Ein Vorgang, der noch einmal jenes Phänomen veranschaulicht, das auch als

562 Vgl. Ǧahāngīr Tafażżolī, Ḫāṭerāt-e Ǧahāngīr-e Tafażżolī (Tehrān: Daftar-e Adabīyāt-e Enqelāb- e Eslāmī, 1376 h.š. [=1997]), 96. zitiert in Abbas Milani, „Ne'matollah Nasiri.“ in Eminent Persians: The Men and Women who Made Modern Iran, 1941-1979 (s. Anm. 281), 469; Siehe auch Afkhami, The Life and Times of the Shah, 184. 563 Farrdūst, Ẓuhūr va suqūṭ-e salṭanat-e pahlavī, 181. 564 Abbas Milani, „Ne'matollah Nasiri.“ in Eminent Persians: The Men and Women who Made Modern Iran, 1941-1979 (s. Anm. 281), 469; Siehe auch Tafażżolī, Ḫāṭerāt-e Ǧahāngīr-e Tafażżolī, 96–97. 565 Afkhami, The Life and Times of the Shah, 206. 151

Formulierungsgrund für die Racket-Theorie gelten muss, nämlich die Beobachtung des hohen Maßes an Konkurrenz und Uneinigkeit innerhalb einer herrschenden Clique.566 Ali Rahnema beobachtete bezüglich des Umgangs mit zahlreichen politischen, militärischen, religiösen oder informellen Schlüsselakteuren des Coups von 1953, dass einer nach dem anderen marginalisiert oder neutralisiert wurde, was er freilich nicht theoretisiert, sondern lediglich ausführt: „[T]he Shah regained his confidence and authority at home and sought to rid himself of the awkward feeling of being king by their grace alone.”567 Dieser Prozess hielt bis 1963 an, wie die später zu besprechenden Beispiele aus dem informellen Milieu zeigen werden. Im Ergebnis jedoch hatte sich Moḥammad Reżā Šāh bereits zwei Jahre nach jenem Coup d’étàt, der seine Schwäche so unangenehm zu verdeutlichen vermochte, als zunächst unangefochtener Racketeer des royalistischen Rackets etabliert,568 was auch Auswirkungen auf die Karriere des treuen General Naṣīrī hatte, der sein Schicksal so eng mit jenem des Shahs verknüpft hatte:

„After Zahedi’s removal, the shah established himself as the most powerful person in Iran, and from that moment until the fall of the Pahlavi dynasty, Nasiri was one of the shah’s most reliable and relentlessly obedient tools. His peers saw him as someone who would do anything and betray anyone if it meant satisfying the shah. And for his dedication, he was amply rewarded.”569

Bereits fünf Jahre später war Neʿmatollāh Naṣīrī als Dreisternegeneral (Generalleutnant, pers. sepahbad) einer der höchsten Militärs des Landes, der nun

566 Stirk, Peter M. R., Max Horkheimer, 144: „Horkheimer was also impressed by the extend of competition, of disunity within fascist regimes. Herein lay the need for the revision of class models and the virtue of the idea of rackets.” 567 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 295. 568 Beachte hier im Übrigen die Bewertung Fred Hallidays, der eben aufgrund der Durchsetzung des Shahs gegenüber den militärischen Konkurrenten, Iran nicht als Militärdiktatur einstufte: „Both Pahlavi Shahs were brought to power by the army and both have relied on it to rule Iran. Both have also seen it as their prime duty to strengthen and to retain the loyalty of the armed forces. Iran is not, however, a military dictatorship for one overriding reason, namely the postion of the monarch. […] the two Pahlavi Shahs have been able to dominate the military and to develop a monarchical system of government quite distinct in practice and in ideology from that found in military dictatorships. The Shah’s father may have been a colonel, but he was one who put a crown on his own head. He was then able to establish a position of personal dominance that took the form of monarchy and which his son, after initial hesitations up to 1953, has been able to develop further.” (Halliday, Iran: Dictatorship and Development, 65). 569 Abbas Milani, „Ne'matollah Nasiri.“ in Eminent Persians: The Men and Women who Made Modern Iran, 1941-1979 (s. Anm. 281), 469. 152 nicht mehr das Kommando über die schrittweise zu einer Eliteeinheit ausgebaute Gard-e Šāhanšāhī innehaben sollte, sondern dem im Dezember 1960 das Kommando über die dem Militär zugeordnete nationale Polizei Šahrbanī (alternativ Naẓmiyeh – diese konkurrierte mit der Militärpolizei und der Žāndārmerī-ye Šāhanšāhī-ye Īrān [Gandarmerie]570) übertragen wurde.571 In dieser Position sollte er eine erneute Bewährungsprobe anlässlich der ʿāšūrāʾ-Protest von 1963 erhalten:

Nachdem sich die öffentliche Auseinandersetzung zwischen dem Shah und Rūḥollāh Ḫomeynī seit März 1963 zugespitzt hatte, war man auf beiden Seiten auf den 3. Juni 1963 (13. Ḫordād 1342) vorbereitet, auf den dieses Jahr der 10. Moḥarram des islamischen Mondkalenders fiel (ʿāšūrāʾ ).

Die ersten Maßnahmen bestanden darin, die Teheraner Polizeikräfte, die unter dem Kommando Naṣīrīs standen, in Alarmbereitschaft zu versetzten. Zeitgleich wurde ein SAVAK-Offizier nach Qom gesandt, um Ḫomeynī davon in Kenntnis zu setzen, dass man nicht zögern werde, religiöse Einrichtungen zu attackieren, wenn er es wagen sollte, dass Gebet anlässlich der ʿāšūrāʾ-Zeremonie zu leiten und eine Predigt zu halten.572 Zudem schickte Naṣīrī seinen Vertreter in der Šahrbanī, General Moḥsen Mobaṣṣer, 573 mit einer Hundertschaft ebenfalls nach Qom, um Stärke zu

570 Siehe zum ausdifferenzierten System der Polizei- und Militäreinheiten Halliday, Iran: Dictatorship and Development, 76–77. Halliday identifizierte in seiner Untersuchung „Iran: Dictatorship and Development” von 1979 seit den frühen 60er Jahren acht weitere repressive Instrumente des iranischen Sicherheitsapparates, neben den drei klassischen Waffengattungen der Armee: „four of which are in some way overt police units, and the other four which perform various intelligence and secret police functions.” Als Einheiten mit polizeilichen Aufgaben zählt er die Militärpolizei, die „Stadtpoliizei“ (Šahrbānī), die Gard-e Šāhanšāhī und die Gendarmarie auf, wobei die Šahrebānī über eigene geheimdienstliche Einheiten verfüge. Daneben nennt er vier unterschiedliche Geheimdienstorganisationen: SAVAK, Rokn-e do, das Imperiale Iranische Inspektorat, welches für die Überwachung der Armee verantwortlich zeichnet, und das Daftar-e vīže („Spezialbüro“), das wiederum als Kontrollorgan des SAVAK fungierte. 571 ʿĀqelī, Šarḥ-e ḥāl-e reǧāl-e siyāsī va neẓāmī-ye muʻāṣer-e Īran, 1629.; Vgl. zum Kommando Neʿmatollāh Naṣīrīs über die Šahrbānī die Aussagen des späteren Kommandeurs Moḥsen Mobaṣṣers, der unter Naṣīrī die Rolle des Chefsekretärs der Polizeieinheit einnahm: Mobaṣṣer, Moḥsen, 7. August 1985 in Iranian Oral History Collection, Harvard University, hrsg. von Habib Ladjevardi, transcript 6, 1. 572 Moin, Khomeini, 102. 573 Siehe detailliert zur Person des Generals: ebd.. Hier auch zu seiner persönlichen Karriere im Militär: „Mobasser was a man with clear goals, a professional soldier who had gained considerable military and intelligence experience during and after the coup of 1953. His claim to fame was his involvement in the destruction of the military organisation of the Tudeh Party in the 1950s.” 153 demonstrieren. Ḫomeynī jedoch ließ sich davon nicht abschrecken und hielt seine berühmt gewordene Rede in der Feiżīyeh, in der er unverblümt den Shah attackierte. Sowohl in Teheran als auch in Qom versammelten sich religiöse Massen aufgrund der ʿāšūrāʾ-Feierlichkeiten, die zu religiösen und politischen Willensbekundungen erwuchsen. Für Teheran schildert Baqer Moin in seiner politischen Biografie Ayatollāh Ḫomeynīs den Marsch der Massen, die er auf 100.000 Personen quantifiziert: „When they reached the Shah’s Marble Palace they began to shout: ‘Death to the dictator, death to the dictator! God save you, Khomeini! Death to your bloodthirsty enemy!’”574

Aufgrund der Symbolik des höchsten schiitischen Trauertages, war es jedoch unmöglich, militärisch einzugreifen. Auch am folgenden Tag, den 4. Juni, hielt sich das Regime zurück, obwohl sich die Demonstrationen fortsetzten. Am frühen Morgen des 5. Juni 1963, dem 15. Ḫordād 1342, wurde jedoch Ḫomeynī durch den SAVAK verhaftet, was unmittelbar zu Unruhen in Qom führte, mit deren Niederschlagung abermals General Mobaṣṣer beauftragt wurde.575 Während es diesem gelang, in Qom schnell die Ordnung wiederherzustellen, eskalierte die Lage in Teheran, als Polizeistationen und dem SAVAK zugeordnete Gebäude von einer wütenden Menge attackiert und teilweise in Brand gesetzt wurden.576 Diese Vorgänge wurden als Versagen des SAVAK interpretiert, dem es nicht gelang, im Vorfeld die Situation zu kontrollieren. Dies wiederum führte zu einer neuen Strategie im Umgang mit der Opposition:

Moḥammad Bāherī (1916-2007), der Büroleiter Premierminister Asadollāh ʿAlams, erinnert sich an die Dramatik des Tages und berichtet, dass nach der eilig

574 Ebd., 106. 575 In Iranian Oral History Collection, Harvard University (s. Anm. 571), 9; Mobaṣṣer berichtet hier von der Geschichte seiner Entsendung nach Qom. Danach weigerte er sich nach Qom zu gehen, da Naṣīrī ihm zwei Tage zuvor untersagt hatte, Ḫomeynī zu inhaftieren, später aber einen Oberst des SAVAK geschickt habe dies doch zu tun. Zufällig klingelte das Telefon im Büro seines Vorgesetzten: „Das Telefon klingelte und Tīmsār [General] Naṣīrī nahm den Anruf entgegen. Von der Art her, wie er redete, wusste ich sofort, dass es Alā-hezrat [seine Exzellenz] war, denn als er zu reden anfing, sagte Tīmsār Naṣīrī ‚dast-e mobarak ra mī-busam‘ [etwa: ‚ich küsse Eure gesegnete Hand‘] anstatt salām. Es war offensichtlich, dass seine Exzellenz nervös und verärgert war und verängstigt tobte. Ich erkannte seine Stimme, wie er schrie ‚Sie sind unwürdig!‘ – und so weiter.“ Danach fragt der Shah den General am Telefon, was er zu tun gedenke. Naṣīrī erwiederte, dass er Mobaṣṣer nach Qom gesandt habe, was der Shah begrüßte. Damit war die Weigerung Mobaṣṣers obsolet geworden. 576 Eṭṭelāʿāt, 16. Ḫordād 1342 [6. Juni 1963], 13-14. 154 einberufenen Kabinettssitzung am Nachmittag das ḥokumat-e neẓāmī („Militärrecht“) ausgerufen wurde. Gemäß den Erzählungen Mobaṣṣers waren dabei Naṣīrī und er selbst im engen Austausch gemeinsam dafür verantwortlich, dass der Shah der Verhängung von Notstandsverordnungen zugestimmt und das Militärrecht in Kraft gesetzt habe.577 Verbunden mit dieser Maßnahme war die Bestimmung eines Militärgouverneurs, der als militärischer und polizeilicher Befehlshaber fungieren und weitreichende Befugnisse auf sich vereinen sollte. Es wurde bekanntgegeben, dass General Naṣīrī als Militärgouverneur eingesetzt wurde.578 Dessen zügig umgesetzte ersten Maßnahmen bestanden darin, eine Ausgangssperre für die Nacht vom 5. auf den 6. Juni zu verhängen, zahlreiche Verhaftungen vornehmen zu lassen und extensiv Militär und Polizei in den Straßen Teherans zu platzieren. Am folgenden Tag sollten diese Maßnahmen Wirkung zeigen:

„Despite the impostion of martial law, on the following day, 6 June, thousands took to the streets in smaller groups. Tanks rolled through Tehran to guard government buildings. Soldiers in combat gear with shoot-to-kill orders gave the capital the air of a war-torn city. Shooting by the soldiers was in greater earnest than on the previous day, and this was the factor that helped the regime take control of the situation and stop the uprising.”579

***

Mit der zügigen Niederschlagung des Aufstandes, der nur wenige Stunden nach Naṣīrīs Inamtsetzung als Militärgouverneur bereits als für beendet erklärt werden durfte, konnte der General sich erneut als verlässlicher (und diesmal auch militärisch potenter) Akteur im Sicherheitsapparat positionieren. Ihm persönlich wurde der Verdienst hierfür zugeschrieben,580 was ihm zum Vorteil in Bezug auf die internen Konkurrenzkämpfe im ausdifferenzierten Sicherheitsapparat Irans

577 Ebd., 13. 578 Bāherī, Moḥammad, 8. August 1982 in Iranian Oral History Collection, Harvard University, hrsg. von Habib Ladjevardi, transcript 10, 11. 579 Moin, Khomeini, 112. 580 Vgl. Afkhami, The Life and Times of the Shah, 237: „Both the police and the military had been on the alert for some time, but in Tehran the anti-demonstration operation remained essentially a police action, led by Tehran Police Chief Colonel Abdollah Vasiq, who in 1979 would be executed by Khomeini for the part he had played in 1963. Although neither General Nasiri nor General Oveisi played a large part, they held their commands, the police and the Guard, respectively.” 155 gereichen sollte. Die internen Konkurrenzen wurden dabei durch zwei Akteure repräsentiert, welche im Vorfeld der Ereignisse differierende Ansätze in Bezug auf den Umgang mit der Opposition hatten: Der Leiter des Geheimdienstes SAVAK, General Ḥassan Pakravān, favorisierte den Dialog mit den ʿolamāʾ – worauf letztlich auch der gescheiterte Versuch zurückzuführen ist, Ḫomeynī von seiner ʿāšūrāʾ- Predigt abzuhalten –, wohingegen General Neʿmatollāh Naṣīrī für einen frühzeitigen und massiven Einsatz des Militärs und der Polizei plädierte.581

Diese Positionierung der beiden maßgeblichen militärischen Akteure im Vorfeld der Ereignisse hatte entscheidenden Einfluss auf die jeweiligen Karrieren: Pakravān verfolgte auch nach den Protesten einen konzilianten Ansatz gegenüber der Opposition und zeichnete maßgeblich dafür verantwortlich, dass Ḫomeynī 1964 nicht hingerichtet (wie von Naṣīrī gefordert) sondern aus der Haft entlassen wurde,582 was aus der Perspektive des Shahs sicher als historischer Fehler zu bewerten war und ebenso wie Pakravāns Schwäche im Angesicht der Unruhen nicht hingenommen werden konnte.583 Dies schlug sich in Umbesetzungen auf oberster Ebene nieder: General Moḥsen Mobaṣṣer erinnert sich, dass er selbst ein gutes Jahr nach den Unruhen zum Raʾīs-e Šahrbānī, zum Kommandeur der nationalen Polizei,

581 Vgl. Abbas Milani, „Ne'matollah Nasiri.“ in Eminent Persians: The Men and Women who Made Modern Iran, 1941-1979 (s. Anm. 281), 470: „During the days leading up to the June 1963 uprising, there were clearly two distinct camps among the security agencies, the cabinet, and the army about what policy the government should adopt. Some in the government, led by Ḥoseyn Ala, the minister of court at the time, and General Pakravan, the head of SAVAK, advocated a conciliatory approach. In particular, they wanted the shah to make peace with the clergy. Others, led by the Prime Minister Asadollah Alam and General Nasiri, advocated an iron-fist policy. ‘Khomeini has no more than two thousand followers in Tehran,’ and the army could easily take care of them, Nasiri said. On many subsequent occasions, Alam would whisper to the shah that on that June day, he had not only saved the throne but completely deracinated the clergy.” 582 Siehe Moin, Khomeini, 116–119. 583 Abbas Milani, „Hassan Pakravan.“ in Eminent Persians: The Men and Women who Made Modern Iran, 1941-1979: In Two Volumes, hrsg. von Abbas Milani. 2 Bände, 474–482 Volume One (Syracuse University Press, 2008), 474.: „His successful attempt to save the life of Ayatollah Khomeini in 1964 cost him his job under the shah, and his life under Ayatollah Khomeini. The shah blamed Pakravan for the regime’s inability to put down the June riots of 1963, while Ayatollah Khomeini and his allies accused the cosmopolitan general of complicity in the death of hundreds during what they called the ‘revolutionary movement of June’. Furthermore, they allege – with considerable support for the claim available in a variety of sources – that many of Ayatollah Khomeini’s supporters were badly tortured in the aftermath of the riots. Nevertheless, Pakravan died a heroic death, remaining faithful to a shah who had dismissed him, and defiant in the face of a vengeful Ayatollah who had come for blood and revenge.” 156 befördert worden sei. General Naṣīrī, der zuvor diesen Posten innehatte, wurde zum Raʾīs-e Sāzemān-e Amnīyat befördert,584 zum Kommandeur des Sāzemān-e Eṭṭelāʽāt va Amnīyat-e Kešvar (SAVAK). Naṣīrī folgte also dem erst jüngst ins Amt berufenen General Pakravān ins Amt nach, der wiederum in der Folge öffentlich demontiert und als nicht entschlussfreudig und schlaff bezeichnet wurde.585 Pakravān wurde dann zunächst in das Informationsministerium und später als Botschafter nach Pakistan versetzt.586 Mit seiner Berufung zum Leiter des Geheimdienstes, wurde Naṣīrī (bezeichnenderweise für seine harte Linie) mit einem der vielversprechendsten Posten in Bezug auf die Akkumulation persönlicher Macht belohnt, den der Shah in seinem Racket zu vergeben hatte – in jenem Racket, das bisher als „royalistisches Racket“ bezeichnet wurde, nach 1963 wohl aber gefahrlos als das Racket des Shahs markiert werden darf.

3.2.3 Der SAVAK – where real power begins

Die Gründung des Geheimdienstes Sāzemān-e Eṭṭelāʽāt va Amnīyat-e Kešvar kann als eine weitere Umsetzung der militärischen Lehren betrachtet werden, die man aus den Ereignissen des August 1953 gezogen hatte. Bezog sich die erste Maßnahme auf die Besetzung der Schlüsselpostionen innerhalb des Militärs mit Shah-treuen Obersten und Generälen – analog zu den Versuchen Moṣaddeqs seinerseits – so war nun auch den Erkenntnissen des CIA-Berichtes Rechnung zu tragen, dass man sich darüber im Klaren sein müsse, mit welchen politischen und persönlichen Ambitionen die einzelnen Kandidaten innerhalb des Sicherheitsapparates ausgestattet sind. Eine entscheidende Rolle spielte hier abermals die Tūdeh-Partei. Es sei hier noch einmal darauf verwiesen, dass im historischen Moment der Machtkampf zwischen den handelnden Fraktionen weniger als Auseinandersetzung zwischen royalistischen und nationalistisch-säkularen Postionen wahrgenommen wurde, sondern vielmehr als ein Kampf zwischen zwei denkbaren Staatsformen: Der konstitutionellen Monarchie auf der einen Seite und einem kommunistisch geprägten und von der Sowjetunion gesteuerten System auf der anderen Seite. Der

584 Mobaṣṣer, Moḥsen, 8. Oktober 1984 in Iranian Oral History Collection, Harvard University, hrsg. von Habib Ladjevardi, transcript 5, 9. 585 Ebd., 9–10. 586 Ebd., 10. 157

Diskurs über den Einfluss der Ḥezb-e Tūdeh auf die Politik Moḥammad Moṣaddeqs (und gar dessen Abhängigkeit von ihr) hat nicht nur die Sicht eines globalen Akteurs, nämlich der USA, maßgeblich beeinflusst, sondern auch regionale Akteure dazu veranlasst, sich auf die Seite des Shahs zu stellen. Konservative Politiker, religiöse Würdenträger, sozialistische Akteure und eine konservativ-traditionsbezogene Öffentlichkeit wurden entscheidend mobilisiert, indem ihnen die Tūdeh als Antagonist präsentiert wurde oder indem diese sich ihnen selbst als Antagonist präsentierte.

Entsprechend wurde nach dem Coup dessen Legitimität unterstrichen, indem man recht unmittelbar öffentlich die Tūdeh-Partei auf allen Ebenen zu diskreditieren suchte. So gab der Militärgoverneur von Teheran, General Farhād Dādestān (1906- 1977),587 am 24. August Informationen an die Presse weiter, die darüber informieren sollten, wie die Partei aus der Sowjetunion gesteuert werde.588 Der General (der im Übrigen auch zu jenen Offizieren gehörte, die von Zāhedī persönlich befördert wurden589) rief folglich zur Wachsamkeit aller Bürger und insbesondere des Militärs im Angesicht der kommunistischen Bedrohung auf:

„As you already know, the dissolved Tudeh Party has an orderly organization and this Party wants to show itself even more orderly than it is. This Party obtains instructions from foreign places to ruin the morale of the people. Its source of inspiration is certain authorities who do not have any interest in nationalities, governments, and countries. Therefore, in order to check the actions of these traitors, not only the military forces should take steps, but all the people who believe in patriotism and love the Shah must cooperate with the authorities.”590 Das Thema wird auch in der Folge sehr prominent diskutiert. Insgesamt gibt die Pressestimmung den Eindruck wieder, dass man Iran vor den Kommunisten gerettet habe591 und dass Moṣaddeq von den Kommunisten beeinflusst gewesen

587 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 301: „Before the first coup, Dadestan was among the circle of officers close to Zahedi plotting to overthrow the Mosaddeq government. Dadestan played an important role in the second coup and was appointed as Tehran’s Military Governor by Zahedi on the evening of 28 Mordad.” 588 Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 25, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS): Iran, 1–4 (Central Intelligence Agency, 1953), 1–2. 589 Eṭṭelāʽāt, 31. Mordād 1332 [22. August 1953], S. 8. 590 Ebd., 1. 591 Vgl. Pressespiegel bei Teheran, Iranian Home Service, „Aug. 27, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS): Iran, 1–5 (Central Intelligence Agency, 1953), 2. 158 sei592 – er habe gar die Implementierung einer Volksrepublik geplant.593 Diese Verlautbarungen waren sicher vornehmlich der diskursiven Absicherung des Coups geschuldet, sie gaben gleichwohl aber den Ton für den Umgang mit der Tūdeh in den folgenden Jahren vor. Angereichert mit der traumatischen Erkenntnis der Unterstützung des Militärnetzwerkes bei der Verhinderung des ersten Coups vom 16. August – die Moṣaddeq vor Gericht selbst bestätigte594 –, und der daraus resultierenden Verhaftung Naṣīrīs, führte dies zur Gründung einer geheimdienstlichen Einheit, die dem neuen Militärgouverneur General Teymūr Baḫtiyār (Zāhedīs Mann Dādestān hatte der Shah nur wenige Monate nach seiner Inamtsetzung das Vertrauen entzogen.) zugeordnet war und mit Hilfe der CIA aufgebaut wurde, um das Sāzemān-e Nīẓāmī-ye Ḥezb-e Tūdeh-ye Īrān auszuheben.595 Diese Einheit zur Bekämpfung des Militärnetzwerkes der Tūdeh wurde nach der Aufhebung des Ausnahmezustandes und des damit verbundenen Büros des Militärgouverneurs von Teheran 1957 in einen eigenen Geheimdienst überführt, sodass Teymūr Baḫtiyār seine neu aufgebaute Abteilung weiter befehligen durfte und der Arbeitslosigkeit entging.596

Der Sāzemān-e Eṭṭelāʽāt va Amnīyat-e Kešvar wurde dabei unter Anleitung der CIA zu einem vollwertigen Geheimdienst ausgebaut, der im Wesentlichen alle inländischen und ausländischen Bedrohungen für die Herrschaft des Shahs abwehren sollte597 und sich schnell durch einerseits ein hohes Maß an Brutalität, andererseits aber auch Professionalität auszeichnete.598 Dabei versinnbildlicht die Arbeitsweise des SAVAK ganz explizit jene Techniken der Herrschaft, welche die Racket-Theorie eigentlich nur durch die Konnotation des Begriffes einfangen wollte: „It was the SAVAK […] that came to be recognized as the most important instrument of coercion in recent Iranian history. Safeguarding the regime was the focus of

592 Ebd. 593 Ebd., 3–4. 594 In Iranian Oral History Collection, Harvard University (s. Anm. 512), 2. 595 Vgl. Ward, Immortal, 190–191. 596 Ansari, Modern Iran, 171. 597 Zonis, The Political Elite of Iran, 85. 598 Vgl. Ward, Immortal, 191: „Provided CIA training on spycraft, counterintelligence, and analysis, SAVAK worked to uncover and combat domestic and foreign threats to the shah’s rule as a single organization that would not be hampered by the poor coordination that plagued the separate army, Gendarmerie, and national police intelligence units.” 159

SAVAK activities. To accomplish that task, the SAVAK used various methods, the most infamous of which was threat and/or actual use of torture.”599

Hannah Arendt konstatierte: „Real power begins where secrecy begins”,600 beinahe, als habe sie den SAVAK im Gedächtnis gehabt. Und einmal mehr lässt sich die Symbolik auf die Spitze treiben, wenn man konstatiert, dass die Verhaftung Naṣīrīs den historischen Grund für die Implementierung jenes Dienstes darstellte, der paradigmatisch die Bedeutung von Zwang und Gewalt in Verbindung zum Schutz in seiner rohesten Form repräsentiert. Dass Neʽmatollāh Naṣīrī seinerseits für seine loyalen Dienste mit der Leitung des SAVAK belohnt wurde, ist zwar in gewisser Hinsicht eine beinahe ironische Fügung, zugleich aber auch für das Wesen der Herrschaftsbeziehungen in Iran eine Grundsatzentscheidung:

„In retrospect, the appointment was a historic moment for the shah. By 1965, he was riding a high wave of popularity for the success of the White Revolution. The time seemed ripe to follow the advice of General Hassan Pakravan, an erudite liberal-minded professional intelligence officer who had banned torture during his tenure and was beginning a serious effort to bring about a rapprochement with the opposition. Instead, the shah opted for a policy of confrontation and suppression of the opposition. Nasiri, who became the new chief of SAVAK on January 30, 1965, was to be the public face of this policy. By the time the shah realized he had made a mistake and replaced Nasiri in 1978, it was too late.”601

3.3 Implikationen

Am Beispiel des Neʽmatollāh Naṣīrī sollte die Racket-Theorie vorgestellt und diskutiert werden. Hier ging es im Wesentlichen darum, sich erstens über die Bedeutung der Besetzung von Schlüsselpositionen und die Mechanismen bei deren Besetzung zu vergewissern und zweitens in der spezifischen historischen Konfiguration aufzuzeigen, welche Rolle Zwang und Gewalt bei der Durchsetzung von Herrschaftsinteressen spielen. Hiermit ist selbstverständlich die theoretische Tiefe der Racket-Theorie keinesfalls ausgeschöpft, sondern lediglich auf eine

599 Siavoshi, Liberal Nationalism in Iran, 25. 600 Hannah Arendt, The Origins of Totalitarianism (New York: Harcourt Brace & Company, 1973), 403. 601 Abbas Milani, „Ne'matollah Nasiri.“ in Eminent Persians: The Men and Women who Made Modern Iran, 1941-1979 (s. Anm. 281), 470. 160

Konfiguration übertragen, in der ihre Vorteile leicht sichtbar gemacht werden können. Andererseits deutete sich aber eine besondere Stärke der Theorie unabhängig von der Tatsache der Fokussierung auf einen Gewaltakteur hier bereits an: Aufgrund der Aussage Horkheimers, dass sich die Verhärtung des Rackets ablesen lasse an der Verhärtung der Individuen, die es konstituieren, ergibt sich die Möglichkeit für die sozialwissenschaftliche und historisch interessierte Analyse, durch die Theoretisierung von Akteuren Rückschlüsse auf Herrschaftskonfigurationen anzubieten.

Dies wird insbesondere deutlich, wenn man auf den oben wiederholt betonten Symbolcharakter hinweist, den der persönliche Erfolg oder Misserfolg einzelner Racketeers transportiert. Ausführlich wurde auf die Verwundbarkeit des royalistischen Rackets aufgrund des persönlichen Misserfolgs des Shahs und des jungen Oberst hingewiesen. Der eine hatte den Zugriff auf die Kommandoebene des Militärs verloren und der andere – des ersteren einzig verbliebener Vasall innerhalb dieser Struktur mit einer eigenen Einheit in Teheran – hatte den Zugriff auf schwere Waffen und militärische Potenz eingebüßt. Beide waren keine ernstzunehmenden Gewaltakteure mehr und dies stellte die Herrschaft des Shahs massiv in Frage. Die Tatsache der Durchsetzung des royalistischen Rackets trotz dieser Schwäche zeigt die Vielschichtigkeit der Interessen und die Heterogenität der verwickelten Akteure. Letztlich lässt sich durch den Verweis auf das Versagen des Shahs und seines Oberst die Geschichte der Machtbeziehungen in Iran im August 1953 auflösen und auf die eingangs in der Periodisierung getroffene Feststellung hinweisen, dass der Shah mit dem Coup eben noch nicht seine Macht etabliert hatte, sondern im Gegenteil seine ganze Verwundbarkeit offengelegt wurde.

Andererseits symbolisiert der Erfolg der Schicksalsgemeinschaft 1963 nun die ganze militärische und polizeiliche Potenz des royalistischen Rackets in mehrfacher Hinsicht: Zunächst wurde mit dem massiven Eingreifen der Sicherheitskräfte jede Unklarheit über das Gewaltmonopol auf der Straße beseitigt – zum ersten Mal seit 1941. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass der Zugriff auf den formellen Gewaltapparat so absolut war, dass alle Unklarheiten über Loyalitäten, Fraktionen oder mögliche Allianzen mit informellen Akteuren undenkbar geworden waren. Der Vergleich mit dem Coup d’étàt verdeutlicht dies: Die Tatsache, dass erstens in der

161

Nacht des 16. August 1953 keine Schüsse fielen, sondern die Ereignisse sich weitgehend in widerstandslosen Verhaftungen ergründeten, und es zweitens der Regierung am Tag des 19. August 1953 nicht gelang, treue Einheiten (die es aufgrund der Kommandostruktur durchaus gegeben hat) in Aktion zu setzen, war insbesondere dem Umstand geschuldet, dass die Akteure sich bezüglich der Stärke der unterschiedlichen Fraktionen innerhalb des Sicherheitsapparates nicht sicher waren. Am 16. August schien niemand sein Leben für unklare Konfigurationen aufs Spiel setzen zu wollen; Drei Tage später reichte eine gewaltbereite Menschenmenge, die politische Parolen skandierte, aus, um ganze Militäreinheiten tatenlos werden zu lassen – auch aufgrund der Unsicherheit, ob sich nicht andere Einheiten der Menschenmenge anschließen würden. Im Gegensatz dazu war man 1963 sogar bereit, gegen religiöse Würdenträger oder Koranschüler gnadenlos zuzuschlagen. Man ließ sich also von einer gewaltbereiten Menschenmenge mit politischen und religiösen Parolen nicht abschrecken, auch weil man wusste, dass sich ihr keine Einheiten des Sicherheitsapparates anschließen würden. Die erfolgreiche und nachhaltige Niederschlagung der Proteste vom 5. Juni, der in der Historiographie der Islamischen Republik Iran zum Qiyām-e Pānzdahom-e Ḫordād verklärt wird, symbolisiert so den totalen Zugriff des royalistischen Rackets auf den Gewaltapparat, der in einer Weise monopolisiert wurde, dass weder interne (formelle) Akteure, noch externe (informelle) Akteure das Gewaltmonopol in Frage stellen konnten.

Im Ergebnis bestätigt der Blick auf den Racketeer Neʽmatollāh Naṣīrī sowie die Theoretisierung seines historischen Auftretens anhand der Racket-Theorie Horkheimers und Adornos die dieser Arbeit zugrundliegende Periodisierung. Mit Blick auf die Monopolisierung des Gewaltapparates, die durch Naṣīrī versinnbildlicht wird, ist für die Zeit von 1941 bis 1963 davon zu sprechen, dass Moḥammad Reżā Šāh innerhalb des royalistischen Rackets um seine Vorherrschaft kämpfte und zudem in Auseinandersetzung mit konkurrierenden Rackets um die Herrschaft in Iran stand. Nach 1963 herrschte der Shah für etwa 15 Jahre in beiden Verhältnissen dermaßen uneingeschränkt, dass nun vom Racket des Shahs zu sprechen ist, in welchem der Shah die Macht in seiner Person bündelte – auch dies wird durch das Beispiel Naṣīrīs verdeutlicht, der ohne jegliche eigene Ambitionen

162 den Zwangsapparat des Landes im Sinne des Shahs (und nur des Shahs) koordinierte und befehligte.

163

4 Legitimationen – Die Gewaltakteure der Straße

Wie Kai Lindemann in seinem Aufsatz „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik“ feststellt, resultiert der Racketbegriff zwar aus der Analyse staatskapitalistischer Monopole und Machtgruppen, bleibt „aber nicht ausschließlich an ihnen haften“.602 Vielmehr gelte es, auf die dynamischen Austauschbeziehungen zwischen den Cliquen hinzuweisen – jenem zentralen soziologischen Begriff, den Horkheimer als gleichbedeutend mit dem Racket kennzeichnet.603 Lindemann arbeitet folglich heraus, dass sich nach Horkheimers Analyse der europäischen bürgerlichen

Gesellschaft die eigentlichen Rackets „aus den Fachleuten der Manager, Ingenieure, Rechts- und Staatsanwälte, Gewerkschaftsfunktionäre, Professoren, Politiker und Ärzte zusammen[setzen], die Regierungen und Unternehmen bei ihren Entscheidungen beraten oder sie für sie durchsetzen.“604

Will man die dieser Beobachtung zugrundeliegenden herrschaftstheoretischen Überlegungen über die Analyse einer als europäisch und bürgerlich definierten Moderne hinaus nutzbar machen, dann kann dies nur über die Übertragung und Anpassung der Begrifflichkeiten an die jeweilige historische Konfiguration geschehen. Es kann daher nicht Ziel sein, sich auf die sklavische Suche nach Gewerkschaftsfunktionären, Richtern oder Ingenieuren zu begeben, sondern man muss in der regionalhistorischen Konfiguration solche Gruppen oder Berufsgruppen in den Blick und als politische Akteure ernst nehmen, die jene von Horkheimer formulierten Funktionen erfüllen. Es wäre für den iranischen Fall daher denkbar, sich den einflussreichen Gilden (pers. sing. senf) im soziökonomischen

602 Kai Lindemann, „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik.“ in Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno (s. Anm. 14), 106. 603 Max Horkheimer, „Clique als zentraler soziologischer Begriff für die heutige Gesellschaft: [Späne. 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 346), 317. 604 Kai Lindemann, „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik.“ in Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno (s. Anm. 14), 112; Vgl. hierzu: Max Horkheimer, „Theorie der Rackets: [Späne. 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften: Band 14: Nachgelassene Schriften 1949-1972, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, 340 (Frankfurt am Main: Fischer, 1988); Max Horkheimer, „Der Fachmann: [Späne. Notizen über Gespräche mit Max Horkheimer, von Friedrich Pollock 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 402); Max Horkheimer, „Die Gesellschaft der Rackets und ihr Zusammenhang mid dem Nationalismus, exmplifiziert am medizinischen Racket: [Späne. 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 399); Max Horkheimer, „Das Racket der Ärzte I-III: [Nachgelassene Notizen 1949-1969].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 438); Max Horkheimer, „Bildung steckt im Detail: [Nachgelassenes Notizen 1953-55].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 438). 164

Kontextes des Bazars anzunehmen oder sich mit der Gruppe der ʿolamāʾ zu beschäftigen.

Da für die vorliegende Untersuchung jedoch der Fokus auf der Diskussion von Gewaltmonopolen liegt, sollen hier mit den lūṭīs jene Gruppen untersucht werden, die sich den Ruf erworben haben, Gewaltakteure der Straße – Fachleute im Verbreiten politischer Botschaften durch die Anwendung von Gewalt, wenn man so will – zu sein. Für die hier angestellte Untersuchung bedeutet dies, dass der These Moǧtaba Zādeh-Moḥammadīs nachzugehen ist, dass sich nach der Invasion Irans durch britische und sowjetische Truppen „jedes Individuum, sowie jede politische Partei oder Gruppe“ genötigt sah, auf die (gewaltsame) Unterstützung durch „Vagabunden und Lumpen“ zu vertrauen, um die eigenen politischen Ziele durchzusetzen.605 Wobei unter dem Begriff der „Vagabunden und Lumpen“ (pers. lompen-hā) hier nichts anderes zu verstehen ist, als eine pejorative Bezeichnung für die lūṭīs, die in Iran ein ganz eigenes Gruppenbewusstsein entwickelt hatten, wie aufzuzeigen sein wird.

Sollte sich die Beobachtung Zādeh-Moḥammadīs bestätigen, sind zwei Interpretationen denkbar: Eine Interpretation würde die entsprechenden Akteure des subalternen Milieus als bloße Dienstleister übergeordneter Interessen wahrnehmen – und wie zu zeigen sein wird, ist dies eine sehr dominante Interpretation der entsprechenden historischen Momente und ihrer Protagonisten innerhalb der iranistischen Fachliteratur. Die zweite denkbare Interpretationslinie würde die entsprechenden Akteure als Vertreter einer eigenen politischen und ökonomischen Agenda (welche wohl im Sinne von Horkheimers Überlegungen im Grundsatz schon nicht trennbare Kategorien darstellen) ernst nehmen. Nach dieser zweiten Sichtweise müssten die handelnden Gruppen, Netzwerke und Protagonisten im Sinne der hier vorgeschlagenen theoretischen Durchdringung der entsprechenden historischen Konfigurationen in den Begrifflichkeiten der Racket- Theorie fassbar zu machen sein.

Vorliegend soll dieser Versuch unternommen werden. Es wird zu zeigen sein, dass die Begrifflichkeiten der Racket-Theorie geeignet und produktiv sind, um das politische Wirken der beiden hier zu untersuchenden Gewaltakteure Šaʿbān Ǧaʿfarī

605 Zādeh-Moḥammadī, Lompen-hā dar siyāsat-e ʽaṣr-e pahlavī, 100. 165 und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī theoretisierend zu dokumentieren – zwei Protagonisten, die an nahezu allen gewaltsamen politischen Prozessen und Umbrüchen der 1940er bis 60er Jahre prominent beteiligt waren, denen gleichwohl aber nur sehr zurückhaltend eine politische Agenda zugesprochen wird. Im Falle Šaʿbān Ǧaʿfarīs ist dies eindeutiger als im Falle Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs. Letzterem, der in der kollektiven Erinnerung der Islamischen Republik Irans als Märtyrer verehrt wird, wird so zumindest in der Wahl seines Todes agency zugestanden.

Ǧaʿfarī hingegen wird weder in der wissenschaftlichen Literatur noch im kulturellen Gedächtnis des modernen Iran sowie der iranischen Diaspora eine politische Agenda zugesprochen. Die große Bekanntheit des Akteurs, seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit über die Landesgrenzen Irans hinaus und seine prominente Rolle in diversen Ereignissen der frühen 1950er Jahre wird hingegen bereits im historischen Moment durch einen 1954 im US-amerikanischen LIFE magazine erschienenen Artikel dokumentiert:

„The bazaars of Tehran trembled last week at the sight of a black-bearded face, at the sound of vile insults and of heads being knocked together. 'The Brainless One' was out electioneering. The bully's real name is Shaban Jafari and though once a famed wrestler, his favorite sport now is 'persuading' Persians to vote for pro-shah members of parliament.

Armed with knives, clubs and chains, The Brainless One and his mob stalked from one polling place to the next making sure that Premier Zahedi's Royalists got just about every vote. Suspected Mossadegh or Communist supporters were yanked out of line. Some were stabbed, beaten or shorn of their hair. Others more fortunate, were merely booted back in line with a new ballot marked by Shaban.

Although nobody is quite certain where The Brainless One's zealous backing of the shah stems from, they do know how he got his unflattering nickname. Last year, determined to kill Mossadegh who was still in power, Shaban rammed his jeep head-on into the bedridden premier's home. The ill-conceived assassination attempt fizzled when Mossadegh, very much alive, vaulted over the garden wall in his Pajamas and had Shaban arrested.

Royalists appreciated The Brainless One's current efforts but probably did not consider them necessary since the Royalists were certain to win the election anyway. His methods are standard procedure in Iranian elections. In fact people remarked that, despite The Brainless One, this

166

one seemed quieter than most. No one was killed and only 200 were hurt.“606 Die hier angesprochenen Ereignisse vor dem Haus Moṣaddeqs beziehen sich auf die Proteste vom 28. Februar 1953 (9. Esfand 1331), die oben bereits angesprochen wurden, später jedoch noch näher diskutiert und evaluiert werden sollen. Hier reicht zunächst der Hinweis, dass es maßgeblich der Mobilisierungkapazitäten Šaʿbān Ǧaʿfarīs geschuldet war, dass die Ereignisse des 28. Februars als entscheidendes Datum auf dem Weg zum Coup d’étàt im Sommer desselben Jahres wahrzunehmen sind. Gleichwohl wird dem Akteur selbst aber keine agency zugesprochen, sondern sein Verhalten in Begrifflichkeiten einer agendafreien Dienstleistung beschrieben. Dies gipfelt in der Beschreibung der angeblichen Herkunft seines unrühmlichen Beinamens bī-moḫ, „der Hirnlose“, wenn das LIFE magazine (unrichtig607) behauptet, dass die „hirnlosen“ Aktionen Šaʿbāns vor dem Haus des Premiers ihm diesen Namen eingebracht hätten, wodurch sein politisches Auftreten jedenfalls ridikülisiert wird.

Houshang Chehabi fasst das Standing Šaʿbān Ǧaʿfarīs wie folgt zusammen: „For Mohammad Reza Shah’s opponents, be they leftists, Mosāddeqists, or Islamists, Šaʿbān Jaʿfari is one of the most hateful figures of 20th-century Iran, a man who served reactionary causes.“608 Dieses Zitat ist in dreierlei Hinsicht bemerkenswert: Erstens zeigt es, dass das Wirken Šaʿbān Ǧaʿfarīs durch vereinfachende politische Einordnungen nicht fassbar zu machen ist, zumal mit dem Hintergrundwissen, dass Ǧaʿfarī sich in den frühen 50er Jahren für die politischen Positionen Moḥammad Moṣaddeqs einsetzte und zum engeren Kreis Ayatollah Kašānīs zählte – die immerhin zwei der im Zitat aufgezählten drei Fraktionen repräsentieren. Zweitens wird deutlich, dass er bestenfalls als ein „Dienstleister“ ohne eigene politische Positionen wahrgenommen wird – als Gewaltdienstleister zumal, wie der Artikel des LIFE magazine ebenso zeigt, wie der Zusatz von Chehabi, der darauf verweist, dass Šaʿbān eine notorische Reputation als čāqukeš (sinngemäß „Messerstecher“)

606 LIFE, „Not painless is 'Brainless'.“, 22. März 1954, 38. 607 Diese Darstellung ist offensichtlich falsch. Šaʿbān Jaʿfari firmierte schon in den Jahren vor 1953 unter seinem Spitznamen. Wenn man den Erzählungen des Akteurs selbst Glauben schenken möchte, dann ist sein Spitzname ein Relikt aus Schulzeiten, als ein erzürnter Lehrer ihn so genannt hat. Vgl. Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 35. 608 H. E. Chehabi, „Jaʽfari, Šaʽbān.“ Encyclopædia Iranica (Online). http://www.iranicaonline.org/articles/jafari-saban (letzter Zugriff: 5. August 2016). 167 schon im historischen Moment genoss.609 Drittens wird eine Diskrepanz zwischen zugeschriebener Bedeutung und angenommener agency deutlich: Einerseits gilt er als einer der meistgehassten Akteure des modernen Irans, andererseits soll er aber doch nur ein Werkzeug höherer Akteure gewesen sein. Warum dann die Ehre des gesteigerten Hasses?

Der Grad der Bekanntheit sowohl Šaʿbān Ǧaʿfarīs als auch Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs ist zumindest ein Indiz für deren politische Bedeutung im historischen Moment, sei es durch tatsächliche persönliche Einflussnahme auf die entscheidenden Geschehnisse, sei es durch ihre Fähigkeiten zur Mobilisierung größer Gruppen des subalternen Teheraner Milieus – einer Eigenschaft, die beiden auch vom politischen Gegner nicht abgesprochen wird, die sich aber auf mehr gründen muss als etwa auf den suggerierte Kadavergehorsam Šaʿbān Ǧaʿfarīs gegenüber monarchistischen Positionen oder Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs gegenüber religiösen Akteuren. Dies wiederum wirft die Frage auf, wie diese vermeintlichen Handlanger und Gewaltdienstleister es schafften, Zugang zu den inneren Zirkeln der Macht zu erhalten.

Nach hier vertretener Auffassung kann der Rückgriff auf die Begrifflichkeiten der Racket-Theorie zur theoretischen Durchdringung der historischen Protagonisten beitragen. Andererseits können die Beispiel Šaʿbān Ǧaʿfarīs und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs helfen, Fragen der Legitimierung von Gewalt zu klären. Ihre Beispiele können so in doppelter Hinsicht relevant werden: Erstens werden die beiden Akteure auf der Ebene der historiographischen Implikationen verdeutlichen, wie die Dynamiken der Verhärtungen innerhalb des royalistischen Rackets zur Durchsetzung des Gewaltmonopols des Sicherheitsapparates auf Kosten der hier vorgestellten informellen Akteure führte. So wird sich – gleichsam als Gegenprobe zu der oben ausformulierten Geschichte der Verhärtung am Beispiel Neʿmatollāh Naṣīrīs – die vorgenommene Periodisierung erneut bestätigen lassen. Zweitens wird das Beispiel der beiden Akteure auf der Ebene der theoretischen Implikationen eine Schablone anbieten, welche der angestrebten Ausformulierung der Inkorporierung einer Genderperspektive in die Racket-Theorie dienen wird.

609 Ebd. 168

***

Das Beispiel Neʿmatollāh Naṣīrīs konnte bereits aufzeigen, welch zentrale Rolle der gesellschaftlichen Positionierung des Einzelnen beim Erwerb von Schlüsselposition zukommt. Otto Kirchheimer formulierte diesbezüglich, dass es nicht so sehr auf die Fähigkeiten des Einzelnen ankomme, sondern: „what matters is that one gets the chance to find access to, and be accepted by, one of the organizations that dispose of the technical apparatus to which the individual has scant possibility of access.”610 Naṣīrī steht (vor allem auch über die Diskurse zu ihm und seinem bescheidenen Intellekt) wie paradigmatisch für eben dieses Phänomen, da er vor allem über die Nähe zu Moḥammad Reżā Šāh und der daraus resultierenden Chancen jene sozialen Positionen besetzten konnte, die ihm entscheidenden Einfluss innerhalb des royalistischen Rackets ermöglichten. Kirchheimer verharrt hier jedoch nicht, sondern verweist auf die Wichtigkeit der Frage, welche gemeinsamen Ziele der Racketeer und sein Racket (oder die jeweilige Gemeinschaft) zu verwirklichen trachten. Wenig überraschend findet er eine ökonomisch motivierte Antwort, wenn er feststellt: „there is no difference in their aims which are essentially the same: establishment of domination over a segment of the process of production or distribution.“611 Die Interessen der Gruppenmitglieder in Bezug auf die Anerkennung des jeweiligen Racketeers als sublimierter Anführer innerhalb des Verbandes ergründen sich nach dieser Sicht in der Hoffnung des Einzelnen auf einen ökonomischen Vorteil, oder zumindest – und hier verschafft sich der Gedanke des „Schutzes“ erneut Ausdruck – auf die Vermeidung eines wirtschaftlichen Nachteils.

Trotz dieses unterstellten gemeinsamen wirtschaftlichen Interesses erlaubt es die Racket-Theorie gemäß Max Horkheimer, sich in erster Linie den Führungspersonen innerhalb einer auf solche Weise gedachten Interessengruppe anzunehmen. Horkheimer konstatiert in seiner Soziologie der Klassenverhältnisse: „[Die] gewöhnlichen Mitglieder sind nicht die Kräfte, die aufgrund ihrer eigenen Ideen und aufgrund ihrer Spontaneität den Lauf des Ganzen bestimmen. Sie sind, um die mathematische Terminologie zu verwenden, für das Ganze eher die Variable als die

610 Kirchheimer, „In Quest of Sovereignty“, 161. 611 Ebd., 160. 169

Konstante.“612 Im Gegenteil zeichne sich die Struktur von Gruppen und Rackets dadurch aus, dass das Individuum durch die Organisation selbst determiniert und von ihrer Struktur abgeschreckt sei, da die Führungsfiguren mit ihren „Machtinteressen, mit ihrer Weltanschauung und Charakterstruktur“ ein „unendlich größeres Gewicht als jedes bloße Mitglied“ haben.613

Diese Grundprinzipien gibt Max Horkheimer auch in seinen späteren Äußerungen zum Prinzip des Rackets nicht auf, wenn er etwa im Gespräch mit Friedrich Pollock in den 1960er Jahren festhält: „Der ins Racket Aufgenommene ist gesichert, aber er ist ihm unbedingt verpflichtet.“614 Die von Horkheimer im selben Zeitraum getätigte Äußerung, dass alles menschliche Leben heute auf Gewalt beruhe,615 verdeutlicht noch einmal, dass der Kerngedanke der Theorie – die eben nicht, etwa durch den Sieg über den Nationalsozialismus, obsolet geworden ist – sich darauf begründet, dass Gewalt und Zwang den Ausgangspunkt der Konstituierung von Rackets darstellen und dass dies über den historischen Befund des Ist-Zustandes hinaus Gültigkeit hat. Zusammengefasst wurde diese Perspektive bereits in der Dialektik der Aufklärung, in der Horkheimer und Adorno wettern: „Die Gesellschaft ist eine von Desperaten und daher die Beute von Rackets.“616

Die Beispiele Šaʿbān Ǧaʿfarīs und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs werden genau diesen rohen Moment in der Konstituierung von Gemeinschaften verdeutlichen, in welchem die Gesellschaft zur „Beute von Rackets“ wird. Es wird sich zeigen, dass diese Gewaltakteure, ebenso wie Neʿmatollāh Naṣīrī die Karriere eines Racketeers vorbildhaft abbildet, das dem Racket-Begriff konnotativ zugrundeliegende racketeering exemplarisch repräsentieren. Gleichwohl werfen ihre Beispiele nach hier vertretener Auffassung jene Frage auf, welche die Theoretiker der Frankfurter Schule in ihren Ausarbeitungen zu den Rackets nicht diskutieren, die aber gerade bei der Frage nach der Gewalt als konstitutives Element von entscheidender Bedeutung ist: Wie wird die Tatsache der Konstituierung von Rackets über Gewalt

612 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 81. 613 Ebd., 82. 614 Max Horkheimer, „Theorie der Rackets: [Späne. 1957-1967].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 604), 340. 615 Max Horkheimer, „Gewalt: [Nachgelassene Notizen 1956-1958].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 429), 88. 616 Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, 162. 170 und Zwang legitimiert? Das Gewalthandeln eines Einzelnen kann als bloße Handlung nicht ausreichen, um seine Herrschaft über eine Gemeinschaft oder auch nur seine Anführerschaft innerhalb einer Gruppe auf Dauer zu stellen – sie würde nur bis zum ersten Schlaf des Anführers gelten, wenn sein Gewalthandeln nicht als legitim empfunden würde. Schon gar nicht könnte er sich in seiner Herrschaft vertreten lassen, dabei ist doch die Vertretbarkeit erst „das Maß von Herrschaft“, wie Horkheimer und Adorno konstatieren.

Das folgende Kapitel wird sich der Frage widmen, wie es dazu kommen kann, dass sich der Racketeer auch in der Gewaltausübung vertreten lassen kann. Wie kann es passieren, dass Menschen auf sein Geheiß hin anderen Menschen Gewalt zufügen? Worauf begründen sich die Kapazitäten Šaʿbān Ǧaʿfarīs und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs, Gruppen zu mobilisieren, die sich Soldaten und Polizei entgegenstellen und deren Gewaltmonopol herausfordern und in Frage stellen? Es wird aufgezeigt werden, dass die Legitimationen diesbezüglich einem Genderdiskurs im historischen Moment folgen, der Maskulinität als eine Ideologie präsentiert und das Prinzip des Schutzes – hier wurde die Ebene der Legitimation bereits begrifflich in der Racket- Theorie angesprochen – als Prärogative des Mannes darstellt.

Es wird argumentiert werden, dass Zwangssysteme sich nur auf Dauer stellen lassen, wenn ein Konsens über ihre Legitimität besteht. Im äußersten Fall tarnt sich diese Legitimität als Recht, nämlich dann, wenn sich ein Racket auf einem geographisch bestimmbaren Gebiet in einer Weise etabliert hat, dass es in Form des Gesetzes seinen Willen als „dauerhafte Regel des Verhaltens für alle Bewohner aufrecht erhalten kann.“617 Dort aber, wo dieser Konsens in Frage steht – etwa weil kein Racket seinen Machtanspruch glaubwürdig gegen konkurrierende Gewaltakteure verteidigen kann – tarnen sich die Legitimationen in Ideologien der Dominanz.618 Maskulinität ist eine Ideologie der Dominanz.

617 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 289. 618 Der Begriff ist Georgi Derluguians und Timothy Earls Idee der „Ideology of rule“ entlehnt, auf die sich chieftaincies berufen würden. Vgl. Derluguian und Earle, „Strong Chieftaincies out of Weak States, or Elemental Power Unbound“, 53: „Chieftaincies are based on elemental power, typically involving the control of bottlenecks used to mobilize economic resources that are used highly pragmatically to develop and control alternative sources of power within the economy, warrior might and ideologies of rule.” 171

4.1 Zwei Teheraner lūṭīs: Šaʿbān Ǧaʿfarī und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī

Es wurde oben vom Netzwerk der Rašīdiyān-Brüder berichtet, das sich nicht nur über weite Teile der politischen, militärischen und ökonomischen Elite des Landes ausbreitete, sondern sich auch auf informelle Akteure erstreckte, die mit dem subalternen Milieu in Verbindungen standen oder dieses gar kontrollierten. Insbesondere das traditionsbezogene Milieu des zūrḫāneh (wörtl. „Krafthaus“) war hier von entscheidender Bedeutung. Das zūrḫāneh bezeichnet dabei als physischen Ort eine Trainingsarena, die aus einer Kampfsporttradition heraus entstanden sein soll, die mit einer türkisch-persischen Variante des Ringens assoziiert werden kann. Diese Form des Ringens wird dabei jedoch in den geschlossenen Arenen seit den 1930er Jahren nicht mehr praktiziert, sondern wurde durch eine ritualisierte Serie von in der Gruppe durchgeführten gymnastischen Bewegungen und Kraftübungen ersetzt, die auf eine mythologisierte antike Zeit persischer Hochkultur verweisen sollen und als varzeš-e bāstānī („klassischer [oder antiker] Sport“) bezeichnet werden.619

Lloyd Ridgeon arbeitet zwar anschaulich heraus, dass es sich bei der Institution des zūrḫāneh eher um eine Form der „invention of traditions“ im Sinne Eric

619 Vgl. Axworthy, Revolutionary Iran, 23.: „Many of the zur-khaneh (‘houses of strength’) in the towns also incorporated a religious element, venerating the Shi‘a martyrs in their practices (though the zur-khaneh tradition is of obscure origin, and some argue that it includes signifi cant pre- Islamic features). The zur-khaneh is a distinctively Iranian institution, in which men train for wrestling and for public performances of bare-chested brawniness, including the impressive juggling of large, heavy wooden clubs, performances of drumming and poetry recitations.” Vgl. grundlegend zum zūrḫāneh: Philippe Rochard, „The Identities of the Iranian Zūrkhānah.“ Iranian Studies 35, 4, Sports and Games (2002): 313–340; Mehdī ʽAbbāsī, Tārīḫ-e varzeš-e bāstānī va koštī-ye pahlavānī-ye Īrān (Qom: Al-Hādī, ca. 1975). 172

Hobsbawms620 handeln müsse als um eine historisch kontingente Tradition,621 gleichwohl aber bietet der Begriff des zūrḫānehs als ein Milieubegriff ein analytisch nachhaltiges Instrument für die hier zu besprechenden Phänomene an. Das zūrḫāneh definiert dabei ein männlich-homosoziales Milieu, dem eine zentrale Ambiguität zugeschrieben wird: Einerseits werden in ihm vermeintlich „ritterliche“ Werte wie Großzügigkeit, Duldsamkeit, Aufrichtigkeit und ehrenhaftes Handeln unter Verweis auf den persisch-islamischen Begriff ǧavānmardī – der noch näher zu erläutern sein wird – propagiert, andererseits gilt das Milieu als Auffangbecken für „unruly elements on the margins of legality, men who are willing to rent their strong- arm services to whomever pays most.”622

Diese Ambiguität bringt das zūrḫāneh in die Nähe eines eng mit ihm verknüpften weiteren historischen Phänomens der Vergemeinschaftung in der jüngeren Geschichte Irans: den lūṭīs.623 Der Begriff der lūṭīs markiert dabei als Milieubegriff ebenfalls spezifische ambige Konnotationen, auf deren einen Seite die Ehrvorstellungen des ǧavānmardī-Konzeptes zu verorten sind, wohingegen auf der anderen Seite die lūṭīs als Gangsterbanden der unteren Bevölkerungsschichten wahrgenommen werden. Analog zum zūrḫāneh umfasst der Begriff einen

620 Vgl. Eric J. Hobsbawm, „Introduction: Inventing Traditions.“ in The Invention of Tradition, hrsg. von Eric J. Hobsbawm und Terence O. Ranger, 1–14, Past and present publications (Cambridge [Cambridgeshire], New York: Cambridge University Press, 1983), 1–2.: „The term 'invented tradition' is used in a broad, but not imprecise sense. It includes both 'traditions' actually invented, constructed and formally instituted and those emerging in a less easily traceable manner within a brief and dateable period - a matter of a few years perhaps - and establishing themselves with great rapidity. [...] 'Invented tradition' is taken to mean a set of practices, normally governed by overtly or tacitly accepted rules and of a ritual or symbolic nature, which seek to inculcate certain values and norms of behaviour by reception, which automatically implies continuity with the past. In fact, where possible, they normally attempt to establish continuity with a suitable historic past. [...] However, insofar as there is such reference to a historic past, the peculiarity of 'invented' traditions is that the continuity with it is largely factitious. In short, they are responses to novel situations which take the form of reference to old situations, or which establish their own past by quasi-obligatory repetition. It is the contrast between the constant change and innovation of the modern world and the attempt to structure at least some parts of social life within it as unchanging and invariant, that makes the 'invention of tradition' so interesting for historians of the past two centuries.” 621 Lloyd Ridgeon, „The Zūrkhāna between Tradition and Change.“ Iranian Studies, Nr. 45 (2007): 243–265 (letzter Zugriff: 23. Februar 2013), 262. 622 Rochard, „The Identities of the Iranian Zūrkhānah“, 313. 623 Vgl. zur Persistenz des Begriffes im modernen Iran bis in die 1970er Jahre: M. C. Bateson et al., „Ṣafā-yi Bāṭin: A Study of the Interrelations of a Set of Iranian Ideal Character Types.“ in Psychological Dimensions of Near Eastern Studies, hrsg. von Leon Carl Brown und Norman Itzkowitz, 257–273, Princeton Studies on the Near East (Princeton, N.J: Darwin Press, 1977). 173 konnotativen Verweis auf eine historische Dimension und einer daraus erwachsenen Kontinuität als soziales Phänomen.624 Willem Floor möchte für die lūṭīs mit dem Terminus des „social bandits“625 einen weiteren Begriff Hobsbawms nutzbar machen, indem er ihn auf den urbanen Kontext Irans überträgt.626 Ob diese Übertragung aus theoretischer und historiographischer Perspektive zulässig ist, sei hier dahingestellt. Der Stoßrichtung der Verwendung des Begriffes ist jedoch zuzustimmen, wenn man Hobsbawms Prämisse auf den iranischen Fall lediglich dahingehend überträgt, dass man konstatiert: „we shall be dealing only with some kind of robbers, namely those who are not regarded as simple criminals by public opinion.“627

Die den Idealen des zūrḫāneh verpflichteten lūṭī-Gruppierungen nahmen im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert auf lokaler Ebene ordnungsstiftende Funktionen ein und fungierten bisweilen gar als verlängerter Arm der Exekutive mit Kontakten zum Hof.628 Willem Floor führt dementsprechend aus, dass städtische lokale Ordnungsstrukturen nicht ohne die entsprechenden Gruppen denkbar waren und so jeder lokale Notable eine Bande von lūṭīs hinter sich versammelte – oder gar versammeln musste.629 Welche Wirkung diese Gruppierungen entfalten konnten, zeigte sich 1909, als es einer vornehmlich aus

624 Vgl. hierzu insbesondere die Arbeiten Willem Floors Willem M. Floor, „Luṭi.“ Encyclopædia Iranica (Online). http://www.iranicaonline.org/articles/luti (letzter Zugriff: 20. August 2016); Willem M. Floor, „The lūṭīs: A Social Phenomenon in Qājār Persia: A Reappraisal.“ Die Welt des Islams 13, 1/2 (1971): 103–120 (letzter Zugriff: 7. Februar 2013); Willem M. Floor, „The Political Role of the Lutis in Iran.“ in Modern Iran: The Dialectics of Continuity and Change, hrsg. von Michael E. Bonine und Nikki R. Keddie, 83–95 (Albany: State University of New York Press, 1981).; Siehe auch Ashgar Fathi, „The Role of the 'Rebels' in the Constitutional Movement in Iran.“ International Journal of Middle East Studies 10, Nr. 1 (1979): 55–66 (letzter Zugriff: 5. Oktober 2012); Vanessa Martin, „The Lutis - The Turbulent Urban Poor.“ in The Qajar Pact: Bargaining, Protest and the State in Nineteenth-Century Persia, 113–132, International library of Iranian studies 4 (London: Tauris, 2005); John R. Perry, „Ḥaydari and Neʿmati.“ Encyclopædia Iranica (Online). http://www.iranicaonline.org/articles/haydari-and- nemati (letzter Zugriff: 8. Oktober 2012). 625 E. J. Hobsbawm, Bandits, Rev. ed., 1st American paperback ed. (New York: Pantheon Books, 1981), 17.: „The point about social bandits is that they are peasant outlaws whom the lord and state regard as criminals, but who remain within peasant society, and are considered by their people as heroes, as champions, avengers, fighters for justice, perhaps even leaders of liberation, and in any case as men to be admired helped and supported.” 626 Willem M. Floor, „The Political Role of the Lutis in Iran.“ in Modern Iran (s. Anm. 624), 83–84. 627 Hobsbawm, Bandits, 17. 628 Vgl. Willem M. Floor, „The Political Role of the Lutis in Iran.“ in Modern Iran (s. Anm. 624), 89.: „In Teheran, lutis had regular contacts with court circles throughout the Qajar period.“ 629 Ebd. 174 lūṭī-Gruppierungen bestehenden Armee unter der Führung zweier bekannter Tabrizer Anführer des Milieus gelang, im Namen der Verfassungsrevolution Teheran einzunehmen und Moḥammad ʿAlī Šāh zu stürzen.630 Vanessa Martin fasst entsprechend zusammen:

„The name luti was given to people in a variety of occupations in urban centres for many centuries in Iran. It could indicate their cultural values, their economic standing, usually among the poorer social groups, and their political role. In a word, lutis could be the socially conscious leader of the poor, whose heroic values inspired them, and they could be every sort of thug, rogue and thief.”631 Es bleibt für die hier untersuchte Zeitspanne in Bezugnahme auf die sich während der Jahrhundertwende entwickelnden Traditionen festzuhalten, dass das Milieu des zūrḫāneh eng und untrennbar mit jenem der lūṭīs verwoben war und eine ambige homosoziale Konfiguration aus Ehr- und Maskulinitätsvorstellungen, kriminellen Praktiken, Gewaltordnungen und sozialer (niederer) Herkunft umfasste, in der eine Vorstellung von sozialer Legitimation über die Wahrnehmung historischer Kontinuitäten mit affiziert wurde. In dieser historischen Konstellation nahmen weithin bekannte Akteure des zūrḫānehs Führungspositionen ein, die sie ausnahmslos auch in gewaltsamen Auseinandersetzungen erworben hatten und die sie zu Schutzpatronen spezifischer Genres machten, welche sie als Racketeers kontrollierten. Dies bringt das Milieu des zūrḫānehs und der mit ihnen verquickten lūṭīs in die räumliche Sphäre des Bazars, welcher sowohl als räumliche Entität als auch als sozialer Ort eines jener Genres prominent repräsentiert (und dessen sozioökonomische Bedeutung noch diskutiert werden wird). Der Begriff des Racketeers wird dabei ganz explizit mit dem Hinweis auf die von Charles Tilly hervorgehobene Konnotation verwandt, die nicht nur auf das Prinzip „Schutz gegen

630 Vgl. ebd., 91.: „Most famous of all Iranian lutis were Sattar Khan and Baqer Khan who led the constitutionalist forces in Tabriz against the royalist forces. As the last constitutionalist bulwark in the country, together with forces from and the Bakhtiyari tribesmen, they force Mohammad Ali Shah to abdicate in 1909. Because of their courageous resistance and leadership, both lutis became national heroes.“ 631 Vanessa Martin, „The Lutis - The Turbulent Urban Poor.“ in The Qajar Pact (s. Anm. 624), 113. 175

Gehorsam“632 hinweist, sondern auch darauf, dass der Schutzpatron derjenige ist, der das Übel selbst anbietet, vor dem er zu schützen vorgibt.633

Das Netzwerk der Rašīdiyāns erstreckte sich auch auf diese Teheraner Rackets, deren bekannteste Protagonisten Šaʿbān Ǧaʿfarī und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī waren, wie Ervand Abrahamian feststellt:

„The Rashidians connections with zurkhanehs lay through two famous lutis: Sha'aban Bemorkh [sic] (Brainless Sha'aban) and Tayeb Haj Rezai. For many, the term luti was synonymous with chaqukesh (knife-wielder), thug, and racketeer. Brainless Sha'aban 'protected' the wholesale vegetable market at Shahpour Square; Tayeb the wholesale fruit market nearby Sultan Mosque Square. The two respected each other's turf.“634

Das Leben und das politische Wirken dieser beiden Racketeers sollen in der Folge anhand des autobiographischen und biographischen Quellenmaterials vorgestellt werden. Im Falle von Šaʿbān Ǧaʿfarī steht dabei die Analyse seines in Buchform publizierten autobiographischen Interviews durch Homā Saršār im Mittelpunkt.635 Zusätzlich wird auf die von Abbās Fāṭemī kompilierten und publizierten Akten der iranischen Sicherheitskräft zu Ǧaʿfarī Bezug genommen werden.636 Die entsprechenden Akten wurden auch in Bezug auf Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī (hier unkommentiert) publiziert und finden vorliegend Beachtung.637 Hinzu kommen im Falle Reżāʾīs eine jüngere Biographie, die in der Islamischen Republik Iran unter sehr unklaren Quellverweisen publiziert wurde638, und eine Reihe von Interviews mit seinen Zeitgenossen, die ebenfalls veröffentlicht wurden.639 In beiden Fällen werden zudem die einschlägigen Berichte der Tageszeitung Eṭṭelāʿāt, des Foreign

632 Vgl. in Verbindung zur Racket-Theorie Iring Fetscher, „Die Ambivalenz des liberalistischen 'Erbes' in der Sicht von Max Horkheimer: Eine Skizze zu seinen politischen Reflexionen im Exil.“ in Max Horkheimer heute (s. Anm. 293), 313–314.: „Die zeitgenössische Gesellschaft besteht - nach Horkheimer - zumindest tendenziell aus einer Vielzahl organisierter Gruppen, die unter der Leitung bürokratischer Eliten stehen und der Mitglieder immer abhängiger und unselbständiger geworden sind. Diese Gruppen verhalten sich wie 'Rackets' - das sind wohlorganisierte Gangsterbanden, die in der Regel nach dem von Carl Schmitt so sehr gepriesenen Prinzip 'Schutz gegen Gehorsam' verfahren.“ 633 {Tilly 1985 #1361. 170-171} 634 Abrahamian, The Coup, 153. 635 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī. 636 Fāṭemī, Šaʽbān Ǧaʽfarī (bī-Moḫ) dar āyene-ye asnād. 637 Markaz-e Barrasī-e Asnād-e Tārīḫī-ye Vezārat-e Eṭṭelāʻāt, Āzād mard-e šahīd Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʼī (be revāyat-e asnād-e Sāvāk). 638 Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb. 639 Mīrzāʼī, Ṭayyeb dar goẕar-e lūṭīhā. 176

Broadcast Information Service sowie entsprechendes Interviewmaterial aus der Iranian Oral History Collection Berücksichtigung finden. Für alle hier angegebenen Quellen gilt, dass ihnen bestimmte ideologische Stoßrichtungen zu unterstellen sind und sich ihnen daher eher unter Verweis auf die Bedeutung der zugrundeliegenden Diskurse zu nähern ist, als dass sie als unhinterfragbare Darstellungen historischer Fakten wahrgenommen werden sollten.

Wie bereits angedeutet, sind die Geschichten Šaʿbān Ǧaʿfarīs und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs eng miteinander verwoben. Wo der erste als paradigmatisches Beispiel für die große Bedeutung des informellen, mit dem Genre des Bazars verquickten Milieus der lūṭīs und des zūrḫānehs gelten kann, ist der zweite dazu geeignet, den tiefen Fall der mit dem Milieu assoziierten Akteure zu veranschaulichen. Diese Einteilung folgt nicht etwa einer Hierarchisierung der Bedeutung der beiden Akteure, sondern lediglich der Beobachtung, dass die Mechanismen von Aufstieg und Fall der beiden Racketeers unterschiedlich plakativ – oder spektakulär, wenn man so will – verkörpert werden. Es braucht aber gerade die Symbolhaftigkeit des Auftretens der Akteure, um die entscheidenden Prozesse veranschaulichen zu können.

4.1.1 Der Aufstieg des Šaʿbān Ǧaʿfarī

Šaʿbān Ǧaʿfarī wurde nach eigener Aussage am 21. März 1921 im Teheraner Viertel Sanglaǧ geboren,640 jenem Viertel, das von Reżā Šāh im Zuge seiner radikalen städteplanerischen Umstrukturierungsmaßnahmen vollständig niedergerissen und zum Park-e Šahr (Stadtpark) umgewandelt wurde – aus Gründen der

640 Siehe eine knappe Zusammenfassung seiner Biographie bei Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 304–305: „Ja'fari, Sha'ban (1921-2006) He was born in Tehran and dropped out of school after the fourth grade. He was around 14 when he began frequenting the traditional athletics clubs of Tehran. At the age of 15 he was arrested and imprisoned for his role in a street brawl. Ja'fari was an important figurehead of the South Tehran ruffians, a follower of Ayatollah Kashani and a close acquaintance of Navab Safavi and Ḥoseyn Makki. Ja'fari played an important role in mobilizing the Tehran ruffians against Mosaddeq on 9 Esfand and during the second coup. He was in prison during the morning events of the second coup and was released in the afternoon. After the coup he was decorated and generously supported to build his own traditional athletics club called the 'Ja'fari Club'. During the revolution, he left the country a few days before the Shah and settled in the US.” Vgl. auch Chehabi, „Jaʽfari, Šaʽbān“. 177

Trinkwasserhygiene, wie angegeben wurde.641 Ǧaʿfarī verließ die Schule nach der vierten Klasse, um im Geschäft seines Vaters auszuhelfen, bevor er sich bereits mit 12 Jahren nach dem Verlust seines Vaters mit zahlreichen Jobs durchschlagen musste.642 In dieser Zeit begann auch sein Interesse für das zūrḫāneh zu wachsen, wobei ihm aufgrund seines geringen Alters (und des fehlenden Bartwuchses643) zunächst der Eintritt verwehrt wurde. Ǧaʿfarī folgte dem Geschehen jedoch hinter geschlossenen Türen und brachte sich selbst die entsprechenden Übungen bei, sodass er – so will es seine Erzählung – bereits früh als „šīrīnkār“644 Bekanntheit erlangte und man ihm schließlich weit vor dem üblichen Alter Zutritt zum zūrḫāneh gewährte. „Zu jemanden, der gut im Sport ist, der sich gut drehen kann, den kabādeh645 gut schwingen kann und das sang646 heben kann, zu dem sagt man šīrīnkār.“647

Sein Körper stand ihm schon früh als Gewaltressource zur Verfügung648 und er setzte ihn gezielt ein, um sich in der Hierarchie des mit dem zūrḫāneh assoziierten Milieus der Straße einen Namen zu machen – seine erste Inhaftierung wegen einer Schlägerei im Alter von 15 Jahren war diesbezüglich eine Auszeichnung und trug zu seiner einschlägigen Reputation bei.649 In Bezug auf diese Zeit trägt Ǧaʿfarī einige sehr bemerkenswerte persönliche Perspektiven auf sein Gewalthandeln vor: Zunächst besteht er darauf, dass er entgegen den zahlreichen diskreditierenden Berichten, die ihn als Messerstecher (čāqūkeš) abqualifizierten, niemals eine Waffe getragen habe. Er habe in den Auseinandersetzungen auf der Straße nie auf Messer oder Knüppel zurückgreifen müssen – das sei etwas für Schwächlinge gewesen.650

641 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 21. 642 Ebd., 26. 643 Ebd. 644 Das Wort ist guten Gewissens kaum zu übersetzen. Es wäre am ehesten mit zu übersetzen mit „Kunststück“ und kommt als Bezeichnung für eine Person vielleicht dem „Akrobat“ nahe. 645 Ein eiserner Bogen, der im Kontext des zūrḫāneh einen mythologischen Verweis auf das persische Nationalepos Šāhnāmeh („Buch der Könige“, 10. Jhdt.) darstellen soll. Vgl. Rochard, „The Identities of the Iranian Zūrkhānah“, 317. 646 Ein schweres hölzernes Schild, das einen religiösen Bezug zu ʿAlī b. Abī Ṭālib herstellen soll und von welchem zwei auf dem Rücken liegend gestemmt werden sollen. Vgl. ebd. 647 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 27. 648 Vgl. Fāṭemī, Šaʽbān Ǧaʽfarī (bī-Moḫ) dar āyene-ye asnād, 17. 649 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 27. 650 Ebd., 30; Beachte: Ǧaʿfarī verweist darauf, dass die Dokumentation seiner zahlreichen Vergehen dies belege. Es ließen sich keine Berichte über Waffengebrauch finden. Das stimmt. Vgl. Fāṭemī, Šaʽbān Ǧaʽfarī (bī-Moḫ) dar āyene-ye asnād. 178

Er selbst aber sei ein starker Athlet gewesen, der solche Waffen nicht gebraucht habe: „Ich war sehr stark, ich war ein qallodor, ich war ein Athlet, ich war stattlich.“651

Weiter insistiert er, dass es keine „Gangs“ gab, in der sich Schläger organisierten, sondern dass man sich zusammentat, um die Nachbarschaft, die mahelle, zu schützen und ihr Ehre zu machen.652 Zudem gibt er an, dass er aufgrund seiner vielen Kämpfe auf der Straße eine Reputation erworben hatte, die ihn bekannter als alle anderen gemacht habe, was seinem Viertel zugutekam: „Aus Furcht vor mir hat es niemand mehr gewagt, in unsere mahelle zu kommen“,653 behauptet Ǧaʿfarī. Weiter führt er aus: „Wenn es in unserem Viertel Streit gab, dann war das zur Verteidigung der Ehre der Frauen des Viertels.“654 Wobei die Fähigkeit zum Schutz der Frauen gleichzusetzen sei mit der Ehre der Männer des Viertels selbst (Frage: „Bedeutet dies, dass über die Frauen und Mädchen eines Viertels die Ehre der Männer des Viertels definiert wird?“ Antwort: „Ja, gut erkannt!“ 655). Diejenigen Männer, die in der Verteidigung der Ehre den Tod fanden (was durchaus vorkam), wurden als Helden verehrt.656 An dieser Stelle soll nun nicht weiter auf den Ehrbegriff eingegangen werden, sondern auf die gegenderte Konnotation des Schutzes hingewiesen werden, die für die theoretischen Implikationen von zentraler Bedeutung sein wird.

So erlangte Šaʿbān Ǧaʿfarī Anfang der 40er Jahre in einer Weise Bekanntheit, welche die Ambiguität des Milieus des zūrḫānehs verdeutlichte: Einerseits wurde er als herausragender Athlet verehrt, was sich etwa im Gewinn der nationalen Meisterschaft in zwei Disziplinen des varzeš-e bāstānī 1943 ausdrückte,657 andererseits war er aber zu diesem Zeitpunkt bereits als lūṭī bekannt, der keine körperliche Auseinandersetzung scheute und sowohl in Schutzgelderpressung

651 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 30. Anm.: Das persische qallodor ist nur schwer ins Deutsche zu übertragen. Es verweist auf den Einsatz des Körpers als Druckmittel. Im Englischen wird neben dem „bully“ explizit der „racketeer“ als Übersetzung angeboten. 652 Ebd., 27. 653 Ebd., 32. 654 Ebd., 31. 655 Ebd. 656 Ebd. 657 Vgl. Chehabi, „Jaʽfari, Šaʽbān“: „In 1943 he became national champion in kabbāda and čark, two zur-ḵāna exercises.” 179 verwickelt war als auch seine Dienste als Schläger politischen Gruppierungen zur Verfügung stellte. Darüber hinaus schmückten zur selben Zeit bereits zahlreiche Haftaufenthalte und sogar eine kurzzeitige Verbannung seine Vita.658

Im Milieu der lūṭīs wird auch die Schutzgelderpressung mythologisiert und mit Begrifflichkeiten versehen, die einen Traditionsbezug evozieren sollen. Im Gespräch mit Homā Saršār erklärt Šaʿbān Ǧaʿfarī diesbezüglich aufschlussreich die Begrifflichkeiten der lūṭīs. Danach bezeichnet etwa das bāǧ-gīrī („Tribut einziehen“) einen gewaltsamen Raub,659 wohingegen das haqq-gīrī („Recht einziehen“) das Eintreiben von Schutzgeld im eigenen Umfeld bedeute: „Es bedeutet, den Tribut im Freundeskreis einzuziehen [yaʿnī bāǧ-gereftan-e tū ʿelām-e rafāqat].“660 Deutlicher kann die Ambiguität des Phänomens der Schutzgelderpressung wohl nicht auf den Punkt gebracht werden.

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Šaʿbān Ǧaʿfarī bezeichnete sich selbst als religiös, so wie alle Athleten des zūrḫānehs religiös gewesen seien, jedoch nicht als fromm.661 Im Alter von etwa 25 Jahren kam Ǧaʿfarī sogar in Kontakt zu den Fedāʾiyān-e Eslām und wurde für eine kurze Zeit mit dem streng religiösen islamistischen Geheimbund assoziiert, sodass er sich selbst gar als ihr Mitglied bezeichnete. Die Trennung von der Gruppe erfolgte nach seinem eigenen Bericht, weil er sich mit den politischen Morden der Fedāʾiyān-e Eslām nicht einverstanden zeigte und gar einmal ein vorgesehenes Opfer vor dem

658 Ǧaʿfarī war demnach auch eine Zeit lang in Haft, weil er von der Armee dissertiert war (Vgl. Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 49). Später sollte ern ach einer wüsten Schlägerei in einem Kino, bei der er zwei Polizisten verletzte, in den Süden des Landes verbannt werden, er konnte jedoch aus der Haft fliehen. Nach seinen Angaben einigte er sich aber mit den Behörden, die Stadt Teheran für einige Zeit zu verlassen und ging freiwillig ins Exil (Vgl. ebd., 59–60.. Chehabi (Chehabi, „Jaʽfari, Šaʽbān“.) erzählt die Geschichte etwas abweichend: „One evening, when the Ferdowsi Theatre had a private show by leftist artists to which the owners refused him admission, he became violent and was arrested and exiled to Lāhijān, where he married a local girl and ran a zur-ḵāna.” Vgl. bezüglich des Vorfalls auch: Fāṭemī, Šaʽbān Ǧaʽfarī (bī- Moḫ) dar āyene-ye asnād, 17–18. 659 In den Worten Ǧaʿfarīs: „Es bedeutet, jemanden mit Gewalt Geld abzunehmen.“ Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 32. 660 Ebd.; Beachte: Als Beispiel nennt Ǧaʿfarī hier ausdrücklich Händler, die einen gardan-koloft (etwa „Stiernacken“) in ihrem Viertel zum Schutz ihrer Geschäfte bezahlen würden. 661 Ebd. 180 bevorstehenden Attentat gewarnt habe.662 Ob dies nun der Wahrheit entspricht oder ob andere Gründe seine Distanzierung von (oder den Ausschluss aus) der Gruppe bedingten, sei hier dahingestellt. Entscheidend ist der Hinweis, dass seine Anhängerschaft zu Ayatollāh Kāšānī,663 die später von entscheidender Bedeutung sein wird, nicht über diesen ‚religiösen Kanal‘ erfolgte, sondern er sich erst über den Kontakt mit Politikern der Ǧebhe-ye mellī mit dem Ayatollāh assoziierte. Hier spielen abermals die schon mehrfach genannten Parlamentsabgeordneten Ḥoseyn Makkī und Możaffar Baqāʾī-Kermānī entscheidende Rollen, über die Ǧaʿfarī schließlich Kontakt zu dem Politiker Ayatollāh Kāšānī erhielt.664

Šaʿbān Ǧaʿfarī war somit zunächst einmal ein Akteur der Ǧebhe-ye mellī, der seine handfesten Dienste dieser Koalition zur Verfügung stellte – er schildert etwa, wie er mit seinen ‚Jungs‘ Makkī half, 1949 in die maǧles gewählt zu werden, indem er Wähler bei der Stimmabgabe unter Druck setzte665 – dabei aber seinen eigenen politischen Interessen folgte, die sich zwischen 1950 und 1952 in seiner bedingungslosen Unterstützung für Moḥammad Moṣaddeq (und nicht etwa für Kāšānī666) äußerte: „Mā bā Moṣaddeq būdīm. Ḫeylī bā Moṣaddeq būdīm. Čandīn sāl bā Moṣaddeq būdīm.“667 Seine persönliche politische Agenda, die sich über alle Phasen seines Handelns konsistent nachvollziehen lässt, ist dabei jedoch nicht in seiner Anhängerschaft zu Moṣaddeq erklärt – gegen den er sich später wenden sollte –

662 Ebd., 65. 663 Ǧaʿfarī insistiert im Übrigen, dass Kāšānī nicht der Anführer der Fedāʾiyān-e Eslām gewesen sei, er sich aber auch nicht sicher sein könne, ob der Ayatollāh 1951 den Mord an dem damaligen Premierminister Razmārā angeordnet habe. Vgl. ebd. 664 Ebd., 77; Vgl. auch Chehabi, „Jaʽfari, Šaʽbān“.: „Jaʿfari lived in the same neighborhood as the politician and historian Sayyed Ḥosayn Makki, gravitated towards him, and supported his electoral campaign for the Majles. Through Makki he met Ayatollah Sayyed Abu’l-Qāsem Kāšāni, whose supporter he became. In addition to Makki and Kāšāni, he was also in touch with Moẓaffar Baqāʾi.” 665 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 77. 666 Tatsächlich schildert Ǧaʿfarī sehr anschaulich, dass er wohl zum engen Gefolgsmann des Ayatollāhs kaum taugte. Nach der Anekdote holte Ǧaʿfarī Kāšānī am 1950 vom Flughafen ab, als dieser aus Libanon zurückkehrte. Er wollte ihm einen Weg durch die Menschenmengen bahnen und sagte in etwa: „Lasst den Bastard [pedarsuḫteh] mal durch!“ Daraufhin attackierten ihn Anhänger des Ayatollāhs und stachen ihn nieder. Man versuchte ihn sogar im Krankenhaus umzubringen, seine Unterstützer aber verhinderten dies. Es brauchte danach einige Zeit, bis man sich wieder annäherte. Vgl. ebd., 80–82. 667 Vgl. ebd., 89.: „Ich war für Moṣaddeq. Ich war sogar sehr für Moṣaddeq. Einige Jahre lang habe ich Moṣaddeq unterstützt.“ Anm.: Šaʿbān Ǧaʿfarī nutzt als Selbstbezeichnung sowohl die grammatische erste Person Singular, als auch die erste Person Plural. Hier nutzt er das Plural, meint aber sich selbst. 181 sondern in seiner Feindschaft zum Kommunismus und zur Tūdeh-Partei, die von ihm selbst zur Erklärung beinahe jeder politisch motivierten Aktion vorgebracht wird.668

Die Nähe Šaʿbān Ǧaʿfarīs zu Moṣaddeq lässt sich über die zahlreichen „Wahlhilfen“ hinaus, die Ǧaʿfarī im Namen der Ǧebhe-ye mellī zuvor geleistet hatte, über die Darstellung der Ereignisse um den 21. Juli 1952 (30. Tīr 1331) ermitteln. Wie oben bereits geschildert, entbrannten die Proteste in der Folge des Rücktritts des Premierministers Moṣaddeq am 16. Juli, nachdem der Shah es abgelehnt hatte, ihm das Recht der Besetzung des Postens des Kriegsministers einzuräumen. Der Shah hatte daraufhin Aḥmad Qavām den Posten des Premiers übertragen.

Über den 31. Tīr (also einen Tag nach den großen Demonstrationen in Teheran) berichtet Moḥsen Mobaṣṣer, der damals das Kommando über die Polizeieinheiten des Teheraner Bazar-Distriktes innehatte, dass Prinz Alī-Reżā, der Bruder des Shahs, am Maydān-e Bahārestān auf offener Straße verprügelt wurde. Die Polizei hatte keine Kontrolle über die Situation und konnte erst viel später am Nachmittag wieder für Ruhe sorgen. Die tatsächliche Kontrolle über die Straße habe in jenen Tagen in den Händen von Šaʿbān Ǧaʿfarī gelegen, der dort das Sagen gehabt habe.669 Diese Wahrnehmung deckt sich mit den Erzählungen Ǧaʿfarīs über die Unruhen des 30. Tīr, nach welchen er selbst einen maßgeblichen Anteil an deren Anstiftung hatte. Seine Erinnerungen an den Ursprung des Aufstandes belegen einerseits die Dynamiken der Austauschbeziehungen zwischen staatlichen Gewaltakteuren und informellen Anführern in Teheran in jener Zeit, andererseits veranschaulichen sie, welche Mobilisierungsmacht Šaʿbān Ǧaʿfarī im Milieu des zurḫānehs und des mit ihm verquickten sozialen Settings des Bazars in den frühen 50er Jahren entwickeln konnte. Drittens, und das ist für das Verständnis des Akteurs von wesentlicher Bedeutung, wird deutlich werden, dass Šaʿbān Ǧaʿfarī als selbstständig agierender politischer Akteur mit einer eigenen Agenda im historischen Geschehen agiert hat.

Šaʿbān erinnert sich, dass er am 26. Tīr 1331 (17. Juli 1952) von einigen Polizisten aufgesucht worden sei, die ihn aufgefordert hätten, mit ihm zum Präsidium der

668 Vgl. ebd., 77, 85, 107. 669 Mobaṣṣer, Moḥsen, 6. Otober 1984 in Iranian Oral History Collection, Harvard University, hrsg. von Habib Ladjevardi, transcript 2, 2.: „Šaʽbān Ğaʽfarī yekī az ānhā-ī būd keh ānrūz šahr rā edāreh mī-kard.“ 182

Šahrbānī zu kommen. Dort habe man ihn zum Militärgouverneur von Teheran, General Mehdīqolī ʿAlavī-Moqaddam, gebracht, der sich folgendermaßen an ihn gewandt habe:

„Ǧaʿfarī, ich habe eine Bitte an Sie – und ich bin da ganz im Vertrauen auf ihre Tugendhaftigkeit [man del-am beh ḥāl-e ǧavānī-ye to mīsūseh670]. Wäre es möglich, dass Sie sich aus diesen Ereignissen raushalten würden? Gehen Sie heim, bleiben Sie ruhig und kommen Sie nicht raus! Moṣaddeq ist zurückgetreten und Qavām ist jetzt im Amt.“ 671 Der Wortlaut ist natürlich fraglich und aus einer subjektiven Position heraus geschildert. Ob General ʿAlavī-Moqaddam tatsächlich eine solch unterwürfige Ansprache gewählt hat, ist zumindest zu bezweifeln. Die Tatsache der Ansprache selbst jedoch zeigt, wie besorgt man um die Kapazitäten Ǧaʿfarīs bezüglich der Mobilisierung signifikanter Menschenmengen war, die das Gewaltmonopol der polizeilichen Ordnungskräfte offen in Frage stellten.672 Nach der Erzählung Ǧaʿfarīs waren diese Sorgen berechtigt, denn er habe nach dieser ‚Gefährderansprache‘ durch den Militärgouverneur für sich festgestellt, dass er im Angesicht der neuen Umstände keinesfalls ruhig bleiben konnte. Im Gegenteil sah er seine politischen Interessen berührt, da er sich weiterhin mit Moṣaddeq verbunden fühlte [„čūn beh Moṣaddeq ʿelāqeh dāštīm“].673 Daher sei er zur Tat geschritten: „Ich ging also zum Bazar und hielt dort einen Vortrag – oder besser, ich zettelte einen kleinen Tumult an. Ich sagte: ‚Leute! Schließt eure Geschäfte! Mosaddeq ist zurückgetreten!‘“674 Auf die ausdrückliche Nachfrage Homā Saršārs, ob er dazu von jemand anderem delegiert worden sei, insistiert er: „Nein, ḫānūm, von nichts und niemandem. Zu jener Zeit war ich Anhänger Moṣaddeqs [ṭarafdār-e Moṣaddeq]. […] Ich habe auf meinen eigenen Wunsch hin gehandelt.“ Er habe überhaupt auch nie auf jemandes Befehl hin oder für Geld solche Dinge getan – auch später nicht!675

Die Erzählungen Šaʿbān Ǧaʿfarīs beanspruchen seine Mittäterschaft oder gar Führungsrolle in allen wichtigen Unruheherden Teherans in den folgenden Tagen, wobei diese sich örtlich auf die Straßen nördlich des Teheraner Bazars

670 Wörtlich: „Mein Herz brennt für den Zustand Ihrer Jugend.“ 671 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 107–108. 672 Vgl. zu den Ereignissen auch: Fāṭemī, Šaʽbān Ǧaʽfarī (bī-Moḫ) dar āyene-ye asnād, 40–42. 673 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 108. 674 Ebd. 675 Ebd. 183 konzentrierten.676 Seine Aussagen korrelieren somit mit jenen Moḥsen Mobaṣṣers, der während der Ereignisse um den 30. Tīr 1331 der verantwortliche Polizeikommandeur eben jenes Viertels war und wie geschildert davon ausgeht, dass Ǧaʿfarī zu jener Zeit die absolute Kontrolle über die Straße hatte,677 sowie mit den Zeitungsberichten jener Tage, in denen sein Auftauchen besprochen wird.678 Für diese Wahrnehmung spricht nicht zuletzt auch die Anekdote der prophylaktischen Bitte des Militärgouverneurs in Teheran, dass Šaʿbān eben keinen Aufstand anzetteln möge, sondern sich bitte den neuen politischen Gegebenheiten fügen solle.

Hier sei darauf hingewiesen, dass Ǧaʿfarī sich in diesen Prozessen nicht als jener Gewaltakteur präsentiert, der durch seine Erscheinung oder durch Anwendung von Gewalt Mobilisierungskraft über die Gruppe seiner direkten Anhänger hinaus entfalten konnte, sondern dass er sich auf eine Form der politischen – nicht religiösen! – Autorität berief. Danach bezog er seine Autorität im Bazar ausdrücklich aus der Tatsache, dass er Moḥammad Moṣaddeq unterstützte: „Die bāzārīs und die Anhänger der Ǧebhe-ye mellī folgten mir, weil ich für Moṣaddeq war. Sie versammelten sich alle hinter meinem Rücken!679“680

Über seiner Anhängerschaft zu Moṣaddeq lag aber seit den Ereignissen des 30. Tīr bereits der Schatten des Einflusses der Tūdeh, welcher sich nach Ǧaʿfarīs Wahrnehmung schrittweise ausbreitete.681 Er führt zudem aus: „Ich war so lange für Moṣaddeq, bis der wollte, dass der Shah das Land verlässt.“682 Bis zum Februar 1953 also.

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676 Vgl. ebd., 108–111. 677 In Iranian Oral History Collection, Harvard University (s. Anm. 669), 2. 678 Vgl. Eṭṭelāʿāt zitiert nach Zādeh-Moḥammadī, Lompen-hā dar siyāsat-e ʽaṣr-e pahlavī, 134. 679 Wörtlich: „Sie beteten hinter mir!“ [pošt-e sarr-am namāz mīḫūndan, {sic}] 680 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 111. Es bleibt gleichwohl anzumerken, dass Šaʽbān hier selbst in Erklärungsnot gerät, da seine Shah-Treue in Frage stehen muss. Šaʽbān erklärt, dass er dem Inhaber jenes Amtes treu war, welches dem Shah treu war. Das habe sich erst geändert, als Moṣaddeq erreichen wollte, dass der Shah das Land verlassen sollte. ebd., 111–112. 681 Ebd., 112. 682 Ebd. 184

In der Zwischenzeit hatte sich durch den regelmäßigen Kontakt mit den führenden Politikern der Nationalen Front auch das Verhältnis Ǧaʿfarīs zu Ayatollāh Kāšānī schrittweise dahingehend verändert, dass sich Ǧaʿfarī spätestens seit Ende 1952 als dessen Anhänger bezeichnete.683 Hier nun wird die Geschichte der Abfallbewegungen innerhalb der Ǧebhe-ye mellī von Bedeutung, deren Protagonisten sich einerseits an dem offensichtlich zunehmenden Einfluss der Tūdeh-Partei auf die Regierungsgeschäfte störten und andererseits die Machtfülle Moṣaddeqs sowohl innerhalb der Interessenkoalition als auch auf Regierungsebene nicht hinnehmen wollten. Die drei prominentesten Akteure, die Moṣaddeq die Gefolgschaft versagten, waren Ayatollāh Kāšānī, Możaffar Baqāʾī und Ḥoseyn Makkī684 – jener Nachbar Šaʿbān Ǧaʿfarīs, dem dieser bereits bei den Wahlen 1949 seine Unterstützung zukommen ließ und der Ǧaʿfarī überhaupt erst mit Kāšānī und Baqāʾī bekannt gemacht hatte.

Die Abfallbewegung der drei Politiker scheint sich auch auf das politische Verhalten Šaʿbān Ǧaʿfarīs ausgewirkt zu haben. War dieser im Juli 1952 noch der Hauptakteur, der jenen zivilen Ungehorsam einleitete, einforderte und auslöste, der Moṣaddeq zurück ins Amt verhalf, so stellte sich die Situation im folgenden Jahr anders dar, als Ǧaʿfarī auf dem Höhepunkt des Aufruhrs vom 28. Februar 1953 (9. Esfand 1331) mit einem Jeep das Tor des Privatanwesens Moṣaddeqs rammte, um einem wütenden Mob Zutritt zu dessen Haus zu verschaffen. Am selben Ort, an dem er noch acht Monate zuvor dem zurückgetretenen Premierminister die Unterstützung der Straße versichert hatte, zeigte er Moṣaddeq nun in einer persönlichen und physischen

683 Ebd., 78. 684 Siehe die Besprechung dieser drei Protagonisten und die Bedeutung ihres Abfalls bei Siavoshi, Liberal Nationalism in Iran, 67: „Kashani’s break with Mosaddeq hurt the National Front more than did Baqai’s departure. As a prominent religious figure, Kashani had a great deal of support among the lower-middle class and had brought out considerable street support for the National Front. Although splitting from the National Front did not help Kashani, Baqai, or Hossein Makki (another popular National Front leader who split with Mosaddeq in 1952) to realize their ambitions, it changed the balance of power between the nationalists and the conservative forces. The timid conservative faction within the 17th Majlis, which until then had supported Mosaddeq (less out of conviction than out of opportunism), found three powerful new allies who were now willing to mobilize their forces against Mosaddeq. With the defection of these three men, the potentially anti-Mosaddeq and anti- Melli 17th Majlis had the opportunity to show its true nature. As a result, in 1953 the Majlis (the only institution that Mosaddeq could have used against the Court and the army) became a liability to him. The Majlis blocked all the measures through which Mosaddeq intended to control the military and thereby consolidate his position of authority.” 185

Machtdemonstration, dass der Premier sich dieser Unterstützung keinesfalls mehr gewiss sein konnte.685 In seinen Erzählungen über die Ereignisse des Februars – die auch einigen Aufschluss über den lokal-interaktiven Charakter der politischen Öffentlichkeit in jenen Jahren anbieten – gibt Ǧaʿfarī zunächst unumwunden zu, dass er nach dem Bekanntwerden der intendierten Abreise des Shahs in Richtung Europa im Hause Ayatollāh Kāšānīs gewesen sei, der Ǧaʿfarī aufgefordert habe, die Reise zu verhindern.686 Ǧaʿfarī sei daraufhin, ebenso wie acht Monate zuvor, zum Bazar gegangen, um dort zum Protest aufzurufen. Dieses Mal fiel ihm dies jedoch nicht so leicht wie noch im Juli 1952, da sich die politische Stimmung im Distrikt des Bazars weiterhin Moṣaddeq zuneigte; man verweigerte ihm daher die Gefolgschaft.687 Ǧaʿfarī griff nun zu anderen Mitteln: „Die standen alle Moṣaddeq sehr nahe. Der ganze Bazar war eigentlich für Moṣaddeq! Ja nun, ich schlug hier ein bisschen zu, zerbrach da etwas und dann wurde der Bazar geschlossen.“688 Der so unter Zwang ins Leben gerufene Protestzug689 setzte sich in Richtung des Palastes des Shahs in Bewegung, oder in den Worten Šaʿbān Ǧaʿfarīs „zum Shah nachhause“: „mā rāh oftādīm va raftīm darr-e ḫūne-ye šāh“.690 Vor dem nicht weit vom Bazar entfernten Palast konnte Ǧaʿfarī eine Menge von etwa 5000 Protestierenden versammeln, welche das Verbleiben des Shahs im Land einforderte.691

685 Siehe Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 123–158. 686 Ebd., 123. 687 Ebd., 123–124. 688 Ebd., 124; Beachte: Diese Darstellung der Ereignisse wird durch die Version der Regierung bestätigt, wie der FBIS-Bericht über die Radio-Statements nahelegt. Danach liest Außenminister Fāṭemī am 2. März auf seiner täglichen Pressekonferenz Auszüge aus dem Bericht vor, den die Militärführung dem Premierminister eingereicht hat: „At about 0030 hours, the eights and sixteenth police precincts reported to the Military Government that a number of adventurous and seditious persons had been forcing the bazaar traders to close down and urging the people to go to the Palace.” (Teheran, Iranian Home Service, „Mar. 02, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS): Iran, 1–8 [Central Intelligence Agency, 1953], 1). 689 Siehe hierzu auch Eṭṭelāʿāt, 9. Esfand 1331 [28. Februar 1953]; Vgl. zudem Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 38: „The slogans the ruffians chanted in the bazaar as they smashed the shops of those pro-Mosaddeq shopkeepers who refused to close their business was 'Close your shops, close your shops, the Shah has resigned'. This slogan was intended to spread the fear that the Shah was being forced to abdicate by Mosaddeq. The next important message that had to be widely circulated was that since Mosaddeq sought a regime change and was trying to overthrow the Shah, he had to be ousted before it was too late.” 690 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 124. 691 Ebd., 125.; Beachte Rahnema berichtet von 1000 bis 2000 Menschen und fokussiert sich in seinem Bericht auf die Anwesenheit von Ayatollāh Behbehānī, der im Bericht Ǧaʿfarīs nicht 186

Nach dem Bericht Ǧaʿfarīs, der im Wesentlichen durch die Zeitungsberichte der folgenden Tage und durch die Aufzeichnungen des Foreign Broadcast Information Service bestätigt wird,692 spielten sich dabei vor dem Palast vielsagende Szenen ab, die einerseits den politischen Positionswechsel des Akteurs Šaʿbān Ǧaʿfarīs markieren und andererseits erneut zeigen, in welch engem Austausch die informellen Akteure der Straße mit den Sicherheitskräften standen. Man kannte sich, wie Ǧaʿfarī im Zuge der Beschreibung einer Szene berichtet, in der er versuchte, durch ein Fenster zu klettern, um zur Menge zu sprechen:

„Wir kamen also zum Palast des Shahs und sahen eine ganze Menge von den Offizierskonsorten [afsar-mafsar-hā] die da herumstanden. General Mozayyanī, General Monazzah, General Bāyandor und dieser Major Ḫosrūvānī – der war damals noch Major, aber er wurde später dann auch General – die waren da alle versammelt. Genau jene Generäle Monazzah, Mozayyanī und Bāyandor die alle später wegen des Mordes an General Afšārṭūs verhaftet wurden. Die haben sich da auch alle vor dem Palast versammelt [um gegen die Abreise des Shahs zu protestieren, OG]. Danach habe ich gesehen, wie Gardisten vor dem Palast erschienen und hier und dort ein paar Maschinengewehre aufstellten. Ich wollte in ein Fenster klettern, aber ein Gardist hat mich mit dem Gewehrkolben wieder runtergestoßen. Er sagte: ‚Du bist Moṣaddeq-Anhänger!‘ Ich sagte: ‚Nein, jetzt bin ich kein Moṣaddeq-Anhänger mehr! Ich will einfach nur, dass der Shah das Land nicht verlässt. Ich bin ein Sportler und liebe den Shah.‘ Der sagte: ‚Nein.‘ Ich sagte: ‚Herr Kāšānī [Aqā-ye Kāšānī] schickt mich mit seiner Botschaft.‘ Er sagte: ‚Nein, hau ab.‘ Ich sagte: ‚Wirklich, ich komme hier her weil ich verhindern will, dass der Shah abreist.‘ Dann stieß er mich runter. Als er dann zu mir runterschaute, sagte er: ‚Wenn es stimmt, was du sagst, dann geh zum Haus von Moṣaddeq, Moṣaddeq ist für die Abreise des Shahs verantwortlich. Denn es war Moṣaddeq, der sagte, dass der Shah das Land verlassen muss.‘ Das sagte der Gardist! […] Und danach sind die [Gardisten] dann mitgekommen – Ḫosrūvānī nicht, der ist dageblieben – aber Oberst ʿAzīz- Raḥīmī, der ist auch mitgekommen, als wir aufbrachen.“693

Hier gilt einmal mehr: Die Aussagen sind selbstverständlich mit Vorsicht zu genießen. Es gilt aber jedenfalls auch, dass der auch durch weitere Quellen bestätigte grobe historische Ablauf, verbunden mit den Botschaften, die hinter den Schilderungen der Kommunikation rund um die Ereignisse stehen, bemerkenswerte Rückschlüsse auf die Kultur der politischen Kommunikation in den frühen 50er

erwähnt wird. Danach stand Ayatollāh Behbehānī vor Ort im Austausch mit dem Shah. (Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 38–39). 692 Eṭṭelāʿāt, 9 Esfand 1331 [28. Februar 1953]. 693 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 124–125. 187

Jahren zulässt. Hier wird die oben angeführte These erneut bestätigt, dass die politischen Bündnisse personenbezogen ausgehandelt und wahrgenommen wurden. In der Interpretation der Gardisten der Gard-e Šāhanšāhī war Šaʿbān Ǧaʿfarī ein Anhänger Moṣaddeqs; eine weithin bekannte Tatsache, für die es kein Parteibuch brauchte und nicht einmal eine ausformulierte politische Agenda vorgetragen werden musste. Der Hinweis, dass dies nun nicht mehr so sei und Ǧaʿfarī sich stattdessen als Anhänger Kāšānīs sehe, deutet auf die geänderten Macht- und Loyalitätsverhältnisse innerhalb der Nationalen Front hin.

Darüber hinaus weist die Episode einmal mehr auf die Bedeutung informeller Akteure im Verhältnis zum Sicherheitsapparat hin und bietet somit Rückschlüsse auf die Frage nach dem Gewaltmonopol und den damit verbunden Herrschaftskonfigurationen an: Erst das Bewusstsein um die Unterstützung der durch Šaʿbān Ǧaʿfarī mobilisierten lūṭīs veranlasste Teile der Shah-treuen Gard-e Šāhanšāhī, sich im Sinne des Shahs gegen den Willen des Premierministers zu erheben. Dies lässt sich jedoch umkehren und man kann auf den Umstand hinweisen, wie sehr das Gewaltmonopol der Regierung in Frage stand, wenn man leicht abweichend formuliert: Allein das Bewusstsein um die Unterstützung der Menge reichte bereits aus, damit sich Teile des Sicherheitsapparates gegen den Premierminister erheben.694

In der Folge zogen also sowohl die Akteure des lūṭī-Milieus und die von ihnen mobilisierten Kräfte des Bazars als auch Angehörige des Sicherheitsapparates – darunter „a good number of key retired army officers associated with General Zahedi“695 – gemeinsam zum nur wenige Minuten entfernten Anwesen des

694 Beachte: Ali Rahnema bewertet die Ereignisse von der militärischen Seite aus und vermutet eine insgesamt koordinierte Aktion, die durch die Teilnahme der Massen einen populären Anstrich bekommen habe: „On 28 February (9 Esfand) the two networks of officers (both retired and active) and the heterogeneous members of the political organizations were dispatched to the Shah's palace to stage a demonstration. Once they were joined and re- enforced by the thugs, the anti-Mosaddeq forces of some 1,000 to 3,000 gained full control of the theatre of operations, which then extended to Mosaddeq's house. More importantly, the mixing of different social elements gave the semblance of a 'popular' rather than an 'engineered' demonstration of public discontent against Mosaddeq.” (Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 44–45). 695 Ebd., 50.; Beachte: Rahnema zählt hier unter Verweis auf eine andere Quelle auch die von Ǧaʿfarī ausgemachten General Mozayyanī, General Monazzah und General Bāyandor auf. 188

Premierministers,696 diesmal mit dem Slogan „Marg bar Doktor-e Moṣaddeq! [Tod für Dr. Moṣaddeq]“ auf den Lippen, wie in einer deutlich späteren Ausgabe der Eṭṭelāʿāt berichtet wird.697 Man versuchte, in das Anwesen einzudringen und das Wohnhaus des Premierministers in Brand zu setzen.698 Das Anwesen wurde jedoch vom Polizeichef General Maḥmūd Afšartūs (1908-1953), dem Raʾīs-e Šahrbanī, und seinen Truppen gesichert. Auch hier standen die entscheidenden Akteure Afšartūs und Ǧaʿfarī zunächst im kommunikativen Austausch ihrer Positionen.699 Man kannte sich. Trotzdem eskalierte die Situation, als Šaʿbān Ǧaʿfarī mit einem Jeep das Tor des Anwesens rammte, um die Grundlage für dessen Erstürmung zu legen.700 Die zur Verteidigung des Premierministers einberufenen Truppen eröffneten daraufhin das Feuer auf die Menge, die sofort aufgerieben wurde.701 Der verwundete Šaʿbān Ǧaʿfarī wurde umgehend verhaftet und blieb bis zum Coup d’étàt im August inhaftiert – als Erfolg konnte er aber verbuchen, dass der Shah das Land nicht verließ. Im Statement der Regierung hieß es am nächsten Tag:

„Dear compatriots, the instigations of foreign elements and their marked agents have created a new and peculiar situation. His Imperial Majesty expressed a wish some time ago to go abroad for a short while for rest and treatment. The preparations for His Majesty’s journey were made by the Government on His Majesty's own instructions. He had decided to leave on the afternoon of Saturday, Feb. 28, 1953, for pilgrimage to the holy shrines and from there to Europe.

696 Auf die räumliche Nähe von Bazar, Parlament, Palast, der Bāġ-e Šāh-Kaserne und dem Anwesen des Premierministers wurde oben bei der Besprechung der Rolle der Gard-e Šāhanšāhī im Coup bereits verwiesen. Diese räumliche Nähe birgt offensichtlich einen (für Historiker faszinierenden) dynamischen Faktor in der Geschichte der Ereignisse in sich. 697 Eṭṭelāʿāt, 17. Farvardīn 1332 [6. April 1953]. 698 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 44–45 699 Vgl. Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 126.; Ǧaʿfarī behauptet zudem, dass Moṣaddeq sehr wohl zuhause war, sich aber nicht habe blicken lassen. Es ist aber anzumerken, dass der Premierminister auch mit Ǧaʿfarī zumindest bekannt war, wie diverse Fotos belegen. Vgl. nur das Umschlagbild bei Mark J. Gasiorowski und Malcom Byrne, Hrsg., Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran, 1. Aufl. Modern intellectual and political history of the Middle East (Syracuse, NY: Syracuse University Press, 2004), welches zeigt, wie Moṣaddeq von Ǧaʿfarī und einer Menge getragen wird. 700 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 126–127.; Vgl. auch den Radiobericht des folgenden Tages: „When some active officers, in and out of uniform, a number of retired officers headed by some known thugs went toward the Premier's houses and started their attacks and aggression [...] the security officials not only did not prevent the attack of these individuals on the Premier's house, but one of the active officers, accompanied by a notorious thug riding military jeep No. 15, 195, attacked the doors of Dr. Mossadeq's residence.” (Teheran, Iranian Home Service, „Mar. 02, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service [FBIS] [s. Anm. 688], 1). 701 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 127; Ǧaʿfarīs Schwager starb durch die Schüsse der Sicherheitskräfte. 189

Although this matter was absolutely natural and devoid of any political interpretation, malicious and dangerous individuals who are always waiting for an opportunity to weaken the national Government exploited the sincere feelings of a number of people who had learned about the journey and had gathered around the Palace to express their respect and farewell. The dangerous agents of the foreigners, the profiteers, and the adventurous political agents started circulating among them and started hostile demonstrations against the national Government. They went so far that a number of known thugs […] besieged the Premier’s private residence.”702

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Für das Verständnis der Ereignisse, die zu dem öffentlich und aktiv zur Schau gestellten Sinneswandel Šaʿbān Ǧaʿfarīs führten, ist ein vertiefender historischer Rückblick auf die bereits erwähnten Binnendynamiken des Bündnisses Ǧebhe-ye mellī zu richten, welches in der Folge der Prozesse des Juli 1952 durch den schleichenden Abfall des prominenten Teheraner Zirkels um Ayatollāh Kāšānī, Możaffar Baqāʾī und Ḥoseyn Makkī von Mossadeq empfindliche Rückschläge hinnehmen musste. Die zeitlich nach dem Februar 1953 einzuordnende persönliche Verwicklung Możaffar Baqāʾīs in den Mord an Moṣaddeqs Polizeichef Maḥmūd Afšartūs703 belegt dabei nicht nur ein weiteres Mal, welche hohe politische Bedeutung Gewaltoptionen in jenen Jahren hatte, sondern dokumentiert auch eindrücklich die Schwere des Bruchs zwischen den vormaligen Koalitionären, wie Sussan Siavoshi anmerkt.704

Schlimmer noch als der Abfall Możaffar Baqāʾīs von der Ǧebhe-ye mellī wird allgemein der Bruch zwischen Ayatollāh Kāšānī und Moḥammad Moṣaddeq bewertet.705 Siavoshi sieht in Kāšānī einen politischen Führer mit einer pragmatischen anti-imperialistischen Agenda: „[H]is idea of a unified Islamic state was one that did not ally itself with either the capitalist West or the communist East. He saw the secular nationalism of Mosaddeq as a useful weapon to fight Western

702 Teheran, Iranian Home Service, „Mar. 02, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS) (s. Anm. 688), 5–6. 703 Siehe ausführlich Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 40–44. 704 Vgl. Siavoshi, Liberal Nationalism in Iran, 65: „Baqai’s growing hostility toward Mosaddeq was not limited to verbal attacks. His role in the murder of Mosaddeq’s chief of police, General Mahmood Afshartus, was an indication of Baqai’s determination to bring about Mosaddeq’s downfall by any means available to him.” 705 Ebd., 67. 190 influence and British imperialism.”706 Aus dieser Motivlage sei er der Koalition der Nationalen Front beigetreten, wobei sich die Differenzen zwischen Ayatollāh Kāšānī und Moḥammad Moṣaddeq bereits in dem Moment manifestiert hätten, als sich durch die Verstaatlichung der Ölindustrie der Kampf gegen den britischen Imperialismus erfolgreich zeigte.707

Die Gründe der Distanz zwischen der politisch-religiösen Führungspersönlichkeit und dem Premierminister werden anschaulich und etwas detaillierter in Shahrough Akhavis Aufsatz „The Role of the Clergy in Iranian Politics, 1949-1954“ aufgearbeitet. Akhavi datiert den öffentlich vollzogenen Bruch zwischen den beiden vormaligen Koalitionären erst auf den 29. Juli 1953, als Ayatollāh Kāšānī in einer Rede vor dem Parlament den Premierminister bezichtigte, nun seine Diktatur konsolidiert und eine auf seine Person ausgerichtete Regierung durchgesetzt zu haben.708 Dieser Bruch läge somit deutlich nach den hier besprochenen Ereignissen. Es scheint jedoch wissenschaftlicher Konsens zu sein, die zunächst intern geführten Auseinandersetzungen zwischen Kāšānī und Moṣaddeq auf den Jahreswechsel 1952/53 zu datieren und sie auch als Folge des Machtzuwachses Moṣaddeqs seit den Ereignissen um seine Rückkehr ins Amt des Premiers im Juli 1952 einerseits, sowie dessen Flirt mit der Ḥezb-e Tūdeh andererseits zu begreifen.

Eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen den vormaligen Koalitionären gab es jedoch zunächst nicht – im Gegenteil bemühte man sich noch im Januar 1953 um Geschlossenheit. So wird etwa Ayatollāh Kāšānī in der Tageszeitung Eṭṭelāʿāt mit der Aussage zitiert: „Es gibt keinen Konflikt zwischen mir und dem Premierminister.“709 Dem sind allerdings die Ereignisse des 28. Februar 1953 entgegenzuhalten, als die politische Distanz der maßgeblichen Akteure evident wurde. Letztlich sind so die Aktionen Saʿbān Ǧaʿfarīs schon aufgrund der Tatsache, dass er beansprucht, im historischen Moment sein Handeln gegen Moṣaddeq auf Rechnung Kāšānīs durchzuführen, Beleg für den Riss, der bereits im Februar 1953 durch die Nationale Front ging.

706 Ebd., 66. 707 Ebd. 708 Shahrough Akhavi, „The Role of the Clergy in Iranian Politics, 1949-1954.“ in Musaddiq, Iranian Nationalism and Oil (s. Anm. 228), 111. 709 Eṭṭelāʿāt, 29. Dey 1331 [19. Januar 1953]. 191

Nach hier vertretener Ansicht repräsentiert er selbst jedoch gleichsam diesen Riss, da es unter Berücksichtigung der Paradigmen der Racket-Theorie hier möglich ist, sich nicht nur auf das Wirken von Parlamentsabgeordneten, Politikern oder Generälen zu kaprizieren. Vielmehr können, gerade aufgrund der Tradition der personalisierten Koalitionierungen im historischen Untersuchungskontext, Akteure in den Blick genommen werden, die über die Zurechnung zum politischen Establishment hinausreichen und trotzdem einen Rückschluss auf die Verfasstheit der zugrundeliegenden Rackets und Herrschaftskonfigurationen anbieten.

Auch dafür steht Saʿbān Ǧaʿfarī repräsentativ: In den Erzählungen Ǧaʿfarīs wird deutlich, dass seine Gefolgschaft zu Ayatollāh Kāšānī keinesfalls auf ein religiös definiertes Lehrer-Schüler-Verhältnis zurückzuführen war, dessen Folge etwa der bedingungslose Kadavergehorsam des Gefolgsmanns gegenüber dem Ayatollāh hätte sein können. Vielmehr ist auch hier eine Bestätigung der in der Periodisierung vorgestellten Prämissen zur politischen Kultur Irans im Untersuchungszeitraum zu finden: Ǧaʿfarīs Anhängerschaft begründete sich auf die Tradition der personenbezogenen Koalitionierungen und ist als politische Ausdrucksweise zu verstehen, wobei er selbst als informeller Akteur der Straße gemeinsam mit unter anderen Kāšānī, Baqāʾī und Makkī eine Clique bildete, in welcher die politischen Aktionen aus einem gemeinsamen Interesse und möglicherweise Koordination heraus erfolgten.710 Zugespitzt ließe sich formulieren: Šaʿbān Ǧaʿfarī selbst hatte die Ǧebhe-ye mellī verlassen – er hatte zwar keinen Sitz in der maǧles, er war aber Koalitionär in einer jener Cliquen, die den Kern der Nationalen Front ausmachten. Es ist somit auch sein Abfall von der Ǧebhe-ye mellī, die deren Scheitern symbolisiert. Dies wird durch die Schilderungen Ǧaʿfarīs verdeutlicht, der berichtet, dass man sich zu jener Zeit innerhalb dieses Netzwerkes in unterschiedlichsten Konstellationen in den Häusern eben dieser drei prominenten Politiker traf, um die jeweilige Situation

710 Beachte hierzu auch die Analyse Ali Rahnemas, der gar eine gemeinsame Koordination zischen den einzelnen Netzwerken, die für die Ereignisse des 28. Februars 1953 verantwortlich sein sollen: „From Khosrovani's account three conclusions can be drawn. First, there seems to have been prior coordination between the thug networks and the retired and active officers' network. Second, the thug networks active during the events of 9 Esfand were called upon durnig the second (and successful) coup of August 1953. Third, Ali-Reza Pahlavi, who played a key role in organizing the events of 28 Fegruary (9 Esfand) is said to have been deeply involved in the actiivities of a mysterious organization called 'the Special Headquarters of Shahpur Ali-Reza'.” (Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 51). 192 zu besprechen und entsprechend zu agieren.711 Die historischen Ereignisse vom 9. Esfand 1331 (28. Februar 1953) bestätigen und bekräftigen diese Erzählungen. Somit ist das Beispiel des Racketeers Saʿbān Ǧaʿfarī auch geeignet, Rückschlüsse auf Herrschaftskonfigurationen anzubieten, wie die unten anzustellende Analyse zeigen wird.

Gerade bei der Erfassung von fluiden und wechselnden Interessenlagen und Bündnissen zeigt sich nun die Produktivität der Racket-Theorie, die Rackets zwar als Konfigurationen beschreibt, die hermetisch abgeschlossen sind, sich gegen das Ganze verschworen haben und sich vor allem gegenüber anderen Rackets in den historischen Prozessen verdichten; die andererseits aber gerade auf die Dynamik der Austauschbeziehungen innerhalb der privilegierten Mitglieder der Rackets verweist. Die Racket-Theorie insistiert ja gerade auf die Konkurrenzbeziehungen und die daraus notwendig wechselnden und sich stetig neu aushandelnden Bündnisse. Wenn man sich auf die Suche nach den Positionen von Individuen innerhalb der Racket-Theorie machen möchte, dann ist auf Kai Lindemanns Beobachtung in Bezug auf die „Fachleute“ zu verweisen:

„Ihre Stellung konsolidier[t] sich über die dynamische Struktur von Bündnissen, Konflikten und Intrigen. Die konkurrierenden Rackets bilden dadurch eine konkrete Herrschaftskonfiguration, in der die maßgeblichen politischen Entscheidungen getroffen werden. Sie formieren sich laut Horkheimer bis in die Parlamente, um ihre Klientelpolitik zu betreiben.“712 Losgelöst von dem horkheimerschen Begriff der „Fachleute“ ist für die Akteure in der vorliegend besprochenen historischen Konfiguration zu konstatieren, dass etwa die Positionierungen und Koalitionswechsel Ayatollāh Kāšānīs, Możaffar Baqāʾīs und Šaʿbān Ǧaʿfarīs im Lichte dieser theoretischen Grundüberlegungen als Folge einer dynamischen Struktur von Bündnissen zu verstehen sind – vielleicht müssten sie ihrer Zeit gemäß als Fachleute des Umbruchs, des Aufruhrs, des politischen Ungehorsams oder der Revolten und Revolutionen begriffen werden. So wird Ayatollāh Kāšānī in der Eṭṭelāʿāt zu den Ereignissen des 28. Februar befragt und erklärt seinen offensichtlichen Bündnisbruch folgendermaßen:

711 Siavoshi, Liberal Nationalism in Iran, 78. 712 Kai Lindemann, „Der Racketbegriff als Herrschaftskritik.“ in Staat und Politik bei Horkheimer und Adorno (s. Anm. 14), 113. 193

„Als die Frage nach der Ausreise des Shahs aufkam, dachte ich nicht, dass dies im Interesse des Landes wäre. Meine Opposition dazu basierte auf den Prinzipien der Konstitutionellen Revolution. Sie können alle bezeugen, dass ich weder mit dem Shah, noch mit dem Hof Kontakt hatte. Da ich aber der Ansicht war, diese Reise würde das Land in den Grundfesten erschüttern, opponierte ich dagegen.“713 In Bezug auf Šaʿbān Ǧaʿfarīs Verhalten im Februar ist seine enge Verbindung zu Ayatollāh Kāšānī sicher als ein sehr zentraler Faktor zu unterstellen, wie auch die Dokumentation der Ereignisse belegen. Gleichwohl: Auch hier ist vor einer eindimensionalen Sicht auf die Dinge zu warnen. Šaʿbān Ǧaʿfarī hat nicht lediglich auf Instruktion Kāšānīs gehandelt; Vielmehr bewegte er sich selbst nicht nur innerhalb seiner politischen Positionierungen und wirtschaftlichen Interessen, sondern auch innerhalb eines Netzes aus „Bündnissen, Konflikten und Intrigen“ – eine Beobachtung, die sich insbesondere dann verifizieren lässt, wenn man die persönlichen Beziehungen analysiert, die zu den unterschiedlichen (konkreten) Herrschaftskonfigurationen führen. Losgelöst von der völlig offensichtlichen Koalition zwischen Šaʿbān Ǧaʿfarī und Ayatollāh Kāšānī lässt sich dies etwa auch an den gemeinsamen Interessen und der persönlichen Nähe zwischen Ǧaʿfarī und Możaffar Baqāʾī – dem anderen zentralen Gegenspieler Moṣaddeqs aus der Ǧebhe- ye mellī – nachvollziehen: Baqāʾī war jener politische Akteur innerhalb der Koalition, der bis zum Bruch mit dem Premier den zuverlässigsten Kontakt zum Bazar hatte und als derjenige galt, der am ehesten zur Mobilisierung des entsprechenden Milieus in der Lage war. Sussan Siavoshi fasst die Arbeitsteilung zwischen Możaffar Baqāʾī und Ḫalīl Mālekī in der von ihnen gemeinsam geführten Ḥezb-e Zahmatkešān-e Mellat-e Īrān wie folgt zusammen:

„The talents and appeal of Baqai and Maleki were complementary. Whereas Maleki was a socialist theoretician, thinker, and writer, Baqai was an able political leader, an impressive orator, and a good mobilizer. Whereas Maleki’s support came mainly from the young, secularized intellectuals and university students, Baqai was supported primarily by Kerman and Tehran Bazaaris.”714

George Middleton, der britische Chargé d’affaires in Teheran bis Oktober 1952, insistiert im Interview für die Harvard Iranian Oral History Collection gar: „they were powerful figures with a basis of popular support. At some stages, more than

713 Eṭṭelāʿāt, 12. Esfand 1331 [3. März 1953]. 714 Siavoshi, Liberal Nationalism in Iran, 64. 194

Mossadegh himself had.”715 In der Konsequenz, stellte der oben beschriebene Abfall Baqāʾīs von der Koalition um Moḥammad Moṣaddeq daher einen ernsthaften Schlag für die Nationale Front dar; nicht nur, weil der Abtrünnige scheinbar eine persönliche Fehde gegen den Premierminister zu führen gedachte, sondern auch weil mit dem Ausfall Baqāʾīs ein erheblicher Popularitätsverlust und eine Schwächung des Mobilisierungspotentials der Koalition in der Bevölkerung einherging.716

Dass weder der hier unterstellte Kontakt in das Milieu des Bazars hinein noch der Verlust eben dieser Unterstützung haltlose Behauptungen sind, wird nicht zuletzt durch Šaʿbān Ǧaʿfarī selbst bestätigt, der sowohl im Februar 1953, als auch im Juli 1952 Kontakt zu Baqāʾī hatte, mit dem er insbesondere dessen tiefe Abneigung zur Ḥezb-e Tūdeh teilte.717 Es ist somit zu bestätigen, dass Ǧaʿfarī selbst zu jenen Kontakten zählt, auf die Możaffar Baqāʾī bei der Mobilisierung des Teheraner Bazars vertrauen konnte. Tatsächlich wird Šaʿbān Ǧaʿfarī in Moǧtaba Zādeh-Moḥammadīs Lompen-hā dar siyāsat-e ʿaṣr-e pahlavī als wesentlicher Akteur in Bezug auf die Schlagkraft der Ḥezb-e Zahmatkešān aufgezählt, da er eine große Anziehungskraft auf seine Gefolgschaft hatte und bei seinen Gegnern den Ruf eines Messerstechers und üblen Raufboldes gehabt habe.718 An der Verbundenheit des Führers der Arbeiterpartei, des Ayatollāh und des Schlägers hatte sich offensichtlich auch im Februar 1953 nichts geändert – im Gegenteil hatte sich der Kontakt zwischen Baqāʾī und Kāšānī im Laufe der zweiten Jahreshälfte 1952 deutlich intensiviert. Wie George Middleton sich erinnert: „He [Możaffar Baqāʾī] was for a time considered sort of Mossadegh’s number two man, early on, and then he sort of became closer to Ayatollah Kashani.”719

Selbst wenn also Šaʿbān Ǧaʿfarī sich selbst als „ṭarafdār-e Ayatollāh Kāšānī“, als Gefolgsmann Ayatollāh Kāšānīs, bezeichnet,720 muss seine persönliche Agenda im Blick behalten und durch die Dynamik der Bündnisse mit anderen Akteuren

715 Middleton, George, 14. Oktober 1985 in Iranian Oral History Collection, Harvard University, hrsg. von Habib Ladjevardi, transcript 2, 31. 716 Siavoshi, Liberal Nationalism in Iran, 65. 717 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 87, 110-111. 718 Zādeh-Moḥammadī, Lompen-hā dar siyāsat-e ʽaṣr-e pahlavī, 3. 719 In Iranian Oral History Collection, Harvard University (s. Anm. 715), 30–31. 720 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 66. 195

überprüft werden. Im Ergebnis zeigt auch die (anhaltende) Nähe Šaʿbān Ǧaʿfarīs zum Anführer der sozialistisch orientierten Ḥezb-e Zahmatkešān-e Mellat-e Īrān, Możaffar Baqāʾī, dass er sich in seiner Anhängerschaft zu Kāšānī innerhalb seines eigenen politischen Spektrums bewegte. Die Anhängerschaft resultiert aus dieser Erkenntnis, nicht seine politische Einstellung aus der Anhängerschaft. Entgegen der Tendenz in der iranistischen Fachliteratur, das Einwirken hochrangiger schiitischer Religionsgelehrter in politische Prozesse im modernen Iran gleich einem „historischen Imperativ“ zu interpretieren, wird nicht zuletzt durch die hier eingenommene theoretische Perspektive die Analyse komplexerer Konfigurationen eingefordert – und deren Notwendigkeit am historischen Material bestätigt.

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Šaʿbān Ǧaʿfarī war bis zum Umsturz vom 19. August 1953 in Haft und wurde erst am Nachmittag mit Hilfe der Unterstützung seiner Anhänger freigelassen721 (gemeinsam mit dem dann auch inhaftierten General Neʽmatollāh Naṣīrī!722). Er hatte somit selbst keinen Anteil an den wesentlichen Prozessen des Coup d’étàt723 und war auch nach eigener Aussage nicht an der Belagerung der Residenz von Premier Moṣaddeq beteiligt, sondern war in seinem Viertel „auf der Straße“.724

In der Folge der Ereignisse war er dennoch eine prominente Figur, die mit der Koalition der Umstürzler assoziiert wurde, wofür sowohl er selbst als auch der Shah Sorge trugen. So organisierte er eine Menschenmenge, die den Shah bei seiner Rückkehr aus Italien am 22. August 1953 willkommen hieß, wobei der lūṭī und Straßenschläger nicht etwa durch die Sicherheitskräfte auf Distanz zum Monarchen gehalten wurde, sondern diesen persönlich begrüßen durfte.725 Ein weiterer Beleg dafür, wie eng die Austauschbeziehungen der maßgeblichen politischen Akteure auf

721 Nach seiner Erzählung wurde er am 19. August 1953 etwa um 13:30 Uhr freigelassen. Grund war die vor dem Gefängnis für seine Freilassung protestierende Menschenmenge. Vgl. ebd., 159–160. 722 Vgl. Eṭṭelāʽāt, 31. Mordād 1332 [22. August 1953], S. 5. Die Eṭṭelāʿāt berichtet hier von der Menschenmenge, die sich vor der Haftanstalt versammelt hat. Es kamen die Verantwortlichen des Coups vom 16. August (also auch Naṣīrī) frei und die am 9. Esfand 1331 inhaftierten Akteure (also auch Šaʿbān) frei. 723 Fāṭemī, Šaʽbān Ǧaʽfarī (bī-Moḫ) dar āyene-ye asnād, 57–63. 724 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 163. 725 Ebd., 171., Die persönliche Bekanntschaft zum Shah und die Möglichkeit der persönlichen Nähe wird dabei durch gemeinsame Fotos belegt. Vgl. ebd., 324, 328. 196 allen Ebenen zu jener Zeit waren, und letztlich auch dafür, auf welch geringe Anzahl von Akteuren sich dieser Kreis beschränkte, ist die wie beiläufig erwähnte Tatsache, dass Premierminister Zāhedī „einige Tage nach dem Coup“ bei den Ǧaʿfarīs zum Essen eingeladen war.726

Mit dem Sieg des royalistischen Rackets, zu dessen engsten Zirkel der informelle Akteur und Racketeer Šaʿbān Ǧaʿfarī nun fraglos zu zählen ist, änderte sich auch seine Rolle in der Öffentlichkeit in einer Weise, die Derluguian und Earl wohl sagen lassen würde, er habe sich zähmen lassen. Deren These war es ja, dass „Chieftains seek to expand and realize statehood, whereas states emerge in the main by taming and incorporating chieftaincies.“727 Zwar wehrt sich Ǧaʿfarī gegen die vielfach geäußerte Behauptung, er sei vom Shah mit dem Titel tāǧ-baḫš (etwa „Der die Krone übergibt“) belohnt worden,728 er gibt aber zu, dass der Shah ihm maßgeblich geholfen hat, sein eigenes zūrḫāneh, das Bāšgāh-e Ǧaʿfarī,729 zu eröffnen, welches in den kommenden Jahren zu einer folkloristischen Show für ausländische Staatsgäste und prominente Besucher degenerierte.730

Ǧaʿfarī sollte in seiner Eigenschaft als Akteur der Straße – denn durch das Milieu des zūrḫāneh blieb er weiterhin mit dem Genre des Bazars verknüpft und verlor nicht seine ihm eigenen Mobilisierungskapazitäten – erst aus Anlass der ʿāšūrāʾ-Unruhen von 1963 wieder in Erscheinung treten, wo er aufseiten des Regimes gegen jene lūṭī-Gruppierungen mobilisierte, die den religiös motivierten Protest der ṭollāb in Qom auf die Teheraner Straße trugen.731 Die Geschichte dieser Ereignisse soll jedoch

726 Ebd., 171. 727 Derluguian und Earle, „Strong Chieftaincies out of Weak States, or Elemental Power Unbound“, 52. 728 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 37. 729 Ebd., 209.: „Zunächst einmal hat mir seine Exzellenz kein Geld für meinen bāšgāh gegeben. Seine Exzellenz hat angeordnet, dass mir von seinem Land etwas gegeben wird, das von der Bānk-e Sāḫtemānī verwaltet wurde. Ich habe schon nach dem 28. Mordād erzählt, das seine Exzellenz sagte: ‚Was wollen Sie nun machen?‘ Ich sagte: ‚Ich hatte mal ein bāšgāh, aber jetzt nicht mehr. Ich will ein bāšgāh haben.‘ Er sagte: ‚Gehen Sie und suchen sich den Ort der Ihnen beliebt aus.‘ Ich bin also losgegangen und habe mir einen Platz erwählt, habe die Ausmaße genannt und mir wurde das Grundstück übereignet. Für die Errichtung des bāšgāhs gaben mir andere Menschen das Geld.“ 730 Vgl. die zahlreichen Fotodokumente bei ebd., 249–284.. Dort vermittelt sich nicht nur der Eindruck der folkloristischen Veranstaltungen, sondern es werden auch Bildzeugnisse mit berühmten Besuchern wie Jawaharlal Nehru, Mohammed Ali oder Gina Lollobrigida abgebildet. 731 Siehe zum Hintergrund Moin, Khomeini, 104–105. Er schreibt über die Ereignisse vom 3. Juni 197 folgend aus der Perspektive des zweiten informellen Akteurs, Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī, erzählt werden.

4.1.2 Der tiefe Fall des Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī

Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī wurde 1910 in Teheran in einfachsten Verhältnissen geboren.732 Sein Vater verkaufte Brennholz und Kohle an Bäcker. In seiner Biographie, die das Leben des Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī zum Idealbild eines ǧavānmards verklärt,733 wird auf die einfache, aber durch fromme Muster dominierte Herkunft verwiesen. Über seine Kindheit wird berichtet, dass er schon früh außergewöhnlichen Mut zeigte, zugleich aber als guter und fleißiger Schüler galt, der letztlich dann seine Schullaufbahn nur deswegen nicht fortsetzen konnte, weil er sich aufgrund der schwierigen Zeiten um ehrliche Arbeit bemühen musste.734 Auch Ḥāǧǧ Reżāʾī erlangte einige Bekanntheit als Sportler des zūrḫāneh und als Raufbold,735 sodass auch er auf frühe Gefängnisaufenthalte verweisen kann, die er gemäß den Berichten seines Sohnes Bīžān freilich als Auszeichnung betrachtete.736 Die Berichte bezüglich der Fragen von Gemeinschaft und Ehre scheinen sich mit jenen Saʿbān Ǧaʿfarīs zu decken; die Aussagen der beiden lūṭīs sind gar austauschbar. So ist auch Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs erste längere Zeit in Haft die Folge des Kampfes um die Ehre der Frauen seiner

1963 (ʿāšūrāʾ): „On this of all days, it was impossible to order the army to fire on the crowd that had assembled in Tehran, for the Shah would have been immediately compared with the tyrannical Yazid and passions further inflamed. So a pro-Shah group, led by two south Tehran gang-leader, Nasser Jigaraki and Sha'ban Ja'fari 'Bimokh' (Sha'ban the Brainless), was sent to confront them. With shaven heads, they arrived in procession and were allowed to join the crowd in the school. Gang leaders, men for whom physical strength and loyalty meant a great deal, had been used before in street politics. Sha'ban the Brainless and other lesser known thugs had done the dirty job of roughing up people on behalf of the regime during the 1953 coup. However, Khomeini and his activists were to prove just as efficient manipulators of these leaders of these mafia-like gangs.” 732 Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 15; Beachte: Ali Rahnema geht von 1913 als Geburtsjahr aus. Vgl. Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 304. 733 Beachte: Aufgrund seiner Beteiligung an den religiös motivierten Aufständen von 1963 und seiner daraus resultierten Hinrichtung wird Ṭayyeb Hāǧǧ Reżāʾī heute als „erster Märtyrer der Bewegung Ḫomeynīs“ präsentiert. Vgl. hierzu auch seine Darstellung in modernen Schulbüchern: Vezārat-e āmūzeš va parvareš, Tārīḫ-e moʿāṣer-e Īrān: Sāl-e sevvom-e āmūzeš- e muṭawasseṭe (Tehrān: Šerkat-e Čāp va Našr-e Ketābhā-ye Darsī-ye Īrān, 1390 h.š. [2011]; Kollī-ye reštehā, 156). 734 Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 14–16. 735 Ebd., 24. 736 Nach Bīžāns Erzählung soll sein Vater gesagt haben: „Zu der Zeit war die Haft für jemanden, der der Starke seines Viertels war, eine Auszeichnung. Es war eine Ehre!“ Ebd., 23. 198 mahelle, wie er behauptete: „Ich habe nicht zugelassen, dass in unserem Viertel jemand die Ehrhaften entwürdigt. Ich habe nicht zugelassen, dass jemand den Frauen den čādor vom Kopf reißt.“737 Sein Kampf richtete sich seinerzeit allerdings gegen die Sicherheitskräfte, die 1937 das von Reżā Šāh implementierte Verbot des čādors (des in Iran getragenen Kopftuchs) durchzusetzen versuchten.738

Beim Einmarsch der Allierten Truppen 1941 in Iran war er wieder in Teheran und konnte die Unordnung der Folgejahre für sich nutzen.739 Einerseits heißt es vielsagend in seiner Biographie, dass mit dem Einmarsch der Truppen die Hochphase der Unsicherheit auf der sozialen Ebene begann und für einige Jahre andauerte, eine Zeit, in der die „meisten Gebiete unter der Kontrolle der lūṭīs und der stärksten Männer der mahelles“ standen.740 Andererseits konnte er sich im Obst- und Gemüsebazar, dem „Meydān“, einen Namen machen und ein Geschäft zum Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse aufziehen.741 Dass Ḥāǧǧ Reżāʾī sich nicht nur aufgrund seines Geschäftssinnes im Genre des Bazars etablieren konnte, sondern seine dortige Stellung vor allem durch körperliche Auseinandersetzungen über Einflusssphären und Revierstreitigkeiten ausbaute, wird durch mehrfache Festnahmen in den turbulenten Kriegsjahren belegt,742 die schließlich in einer erneuten Verbannung nach Bandar-e Abbas mündeten.743 Zudem half ihm der persönliche Schutz des damaligen Patrons des Obst- und Gemüsemarktes, der nicht

737 Ebd. 738 Ebd. 739 Beachte: In analoger Interpretation zur oben vorgenommenen Periodisierung konstatiert Fariba Adelkhah in ihrer Untersuchung des ǧavānmardī-Phänomens im modernen Iran für die unterschiedlichen Bedingungen in Bezug auf informelle Akteure und ihre ordnungsstiftende Funktion: „Reza Shah was very firmly opposed to the former ways, and radical measures calmed down those inclined to reach for the dagger. But the transfer of power to his son, Mohammad Reza Shah, put an end to the calm and brought the traditional 'men of order' back onto the social scene. That was probably due partly to the arrival of the Allies in Iran during the Second World War and the weakening of the central government which benefited local elites, alwys ready to recruit 'roughnecks' as in the Qajar era.” (Fariba Adelkhah, Being Modern in Iran (London: Hurst & Co. in association with the Centre d'Etudes et de Recherches Internationales Paris, 1999); Translated from the French by Jonathan Derrick, 43). 740 Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 30. 741 Ebd., 26. 742 Ebd., 27. 743 Vgl. die entsprechenden Akten zur Haft in Bandar-e Abbas bei Markaz-e Barrasī-e Asnād-e Tārīḫī-ye Vezārat-e Eṭṭelāʻāt, Āzād mard-e šahīd Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʼī (be revāyat-e asnād-e Sāvāk), 1–10. 199 nur Gefallen an ihm selbst, sondern auch an seinen handfesten Diensten hatte – Dienste, die im rauen Umfeld des Meydān für die Behauptung der Geschäftspostionen und die Durchsetzung von Marktinteressen unerlässlich waren, wie die Anthropologin Fariba Adelkhah anschaulich herausarbeitete.744

Die erwähnte Verbannung nach Bandar-e Abbas erfolgte aufgrund einer Beschuldigung wegen Mordes während einer Messerstecherei zwischen lūṭī- Gruppierungen Ende 1943, bei der allerdings die Notwehrlage fraglich blieb745 und Ḥāǧǧ Reżāʾī schließlich bereits 1946 wieder in Teheran war und seine Karriere im Meydān fortsetzen konnte, wo er 1947 ein neues Geschäft eröffnete746 und schnell seine Position im Markt festigen konnte: Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī „asserted his pre- eminence over the whole market in a short time […] establishing his order rather than order.“747 Zugleich fällt seine früh zur Schau gestellte Religiosität und Frömmigkeit auf, die ihm schließlich den Ruf einbrachte, als islamischer Akteur zu agieren. Seine für das Jahr 1947 verbriefte Pilgerfahrt zum schiitischen Heiligtum im irakischen Kerbala belegt einerseits seine Religiosität,748 andererseits bot sich darüber auch die Eröffnung neuer Geschäftsfelder: Über den in Kerbala entstandenen Kontakt zu einem libanesischen Pilger und Geschäftsmann stieg er in das Geschäft des Vertriebs von Bananen in Iran ein. Er schaffte es, mit einer Mischung aus geschäftlichem Geschick und dem Einsatz von Gewalt im harten Verdrängungsprozess des Obst- und Gemüsemarktes, ein Monopol auf den Vertrieb

744 Adelkhah, Being Modern in Iran, 39: „This fruit and vegetable market is a very important place for the people of Tehran. [...] Probably [the] importance of vegetables and fruit in the diet of Tehran's citizens was even greater in the 1950s than today, because consumption of meat and rice was reserved for feast days. This means that considerable sums of money changed hands in the fruit and vegetable market - especially as that place, by its central position, also became the nodal point of trading networks that extended over the principal parts of the country, some goods being immediately forwarded to other cities. Conflicts, sometimes bloody, broke out among the 'roughnecks' who tried to control the business. In addition that market was the place where three categories of vendors interacted: the producers the middlemen and the traders, including itinerant traders. Negotiations were often rough. The harshness of the place was further emphasised by its lack of hygiene, rubbish and dropping of draught animals, mud and dust. The meydun never became a place where people could go in a family group to do shopping. […] It was precisely to manage the difficult place that Arbab Zeyn-ol-Abedin, after the war, called on Tayyeb, who had made a name for himself for his authority among the lorry drivers of Kermanshah.” 745 Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 31–32. 746 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 304. 747 Adelkhah, Being Modern in Iran, 39. 748 Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 34. 200 von Bananen in Iran durchzusetzen und avancierte zu einem der größten und einflussreichsten Händler des Meydān – ein Umstand, der Ḥāǧǧ Reżāʾī den Beinahmen Sulṭān-e Mouz-e Īrān, „Irans Bananensultan“, einbrachte.749

Dass er sich dabei – und das unterscheidet sein Beispiel zentral von jenem Ǧaʿfarīs – nicht mit dem Verhaften an seine Herkunftsmilieus des zūrḫānehs und der lūṭīs zufrieden gab, sondern sich in einem nächsten Schritt durch Rückgriff auf seine ökonomische Begabung als erfolgreicher Geschäftsmann stilisieren wollte und konnte, zeigt nicht nur das Beispiel des Bananenmonopols, sondern auch die Tatsache, dass er zu einem Zeitpunkt bereits in einen modernen Fuhrpark aus LKWs investierte, als das Gros der bāzārīs noch auf Pferdefuhrwerke setzte. Er avancierte über dieses Engagement nicht nur zu einer einflussreichen Person im begrenzten Genre seines Bazars, sondern war als Transportunternehmer sowohl im persönlichen Besitz von Lastwagen (was für den 28. Februar und den Morgen des 19. August 1953 tatsächlich von Bedeutung sein sollte), als auch ein landesweit agierender einflussreicher Akteur im sozioökonomischen Systems Iran der späten 40er bis späten 50er Jahre.

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Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī blieb gleichwohl aber auch dem Milieu treu, in welchem er aufgewachsen war, sodass ihm seine Reputation als gefürchteter Messerstecher und Kämpfer erhalten blieb, wie Rahnema konstatiert:

„Tayyeb was a popular figure of Southern Tehran, admired by the young streetwise urchins for his reputation as a fearless fighter, skilled in the use of knives and clubs. He was respected and loved by his supporters and cronies for his generosity and charity, whilst being feared and despised by those who crossed him.”750 Sein erster größer politischer Auftritt – zuvor hatte er sich durchweg unpolitisch verhalten751 – erfolgte am 28. Februar 1953, als er neben Šaʿbān Ǧaʿfarī einer jener „thug leader“ war, denen die Hauptverantwortung für die Mobilisierung jenes Mobs zugesprochen wird, der seinen Unmut vor dem Anwesen Moṣaddeqs entlud.752 Ḥāǧǧ

749 Ebd., 36. 750 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 157. 751 Ebd., 158. 752 Vgl. Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 64. 201

Reżāʾī wurde am 11. Esfand 1331 (2. März 1953) wegen seiner Beteiligung am Aufstand zwei Tage zuvor festgenommen753 und im selben Gefängnis inhaftiert, in welchem auch Saʿbān Ǧaʿfarī festgehalten wurde.754 Gemäß den Briefen, die er zu seiner Entlastung an die zuständigen Behörden verfasste, hatten Militärangehörige ihn zum zivilen Ungehorsam aufgerufen, weil das Land in Gefahr stünde, seinen Shah zu verlieren. Zudem habe er im Sinne Ayatollāh Behbehānīs gehandelt, der ihn zum Handeln aufgerufen habe.755 Seine Rolle in diesem Zusammenhang wird in seiner Eigenschaft als „Frachtunternehmer“ erläutert: Danach habe er dafür Sorge getragen, dass sich mit seinem Fuhrpark eine signifikante Menge von Unterstützern vor dem Palast des Shahs versammeln konnte.756 Im Gegensatz zu Ǧaʿfarī wurde Reżāʾī anscheinend aus gesundheitlichen Gründen bereits vor den Ereignissen des Coups aus der Haft entlassen,757 sodass er seinen maßgeblichen Beitrag zum Sturz Moṣaddeqs im August 1953 leisten konnte.

Wie Ali Rahnema herausarbeitet, wurde am Morgen des 19. August 1953 jenes Netzwerk mobilisiert, welches die gemeinsame politische Positionierung im Februar bereits zur Schau gestellt hatte.758 Nach den turbulenten Tagen, die auf den

753 Markaz-e Barrasī-e Asnād-e Tārīḫī-ye Vezārat-e Eṭṭelāʻāt, Āzād mard-e šahīd Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʼī (be revāyat-e asnād-e Sāvāk), 15; Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 64. 754 Der gemeinsame Haftaufenthalt der beiden lūṭīs wird durch einige gemeinsam verfasste Briefe an den Militärgouverneur von Teheran sowie die Gefängnisdirektor belegen, in denen sie ihre Freilassung fordern, weil es kein Verbrechen sei, seine Gefühle für den Shah zum Ausdruck zu bringen. Vgl. Markaz-e Barrasī-e Asnād-e Tārīḫī-ye Vezārat-e Eṭṭelāʻāt, Āzād mard-e šahīd Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʼī (be revāyat-e asnād-e Sāvāk), 18, 20, 22. 755 Ebd., 33, 37, 38. 756 Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 65. 757 Die Frage des Zeitpunktes der Entlassung aus der Haft ist unklar. Die Akten zeigen, dass ein Gefängnissekretär am 25. Tīr 1332 (16. Juli 1953) aufgrund eines bevorstehenden dringenden chirurgischen Eingriffs die Krankenakte aus der Untersuchungshaft anfragt. Vgl. Markaz-e Barrasī-e Asnād-e Tārīḫī-ye Vezārat-e Eṭṭelāʻāt, Āzād mard-e šahīd Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʼī (be revāyat-e asnād-e Sāvāk), 41. Reżāʾī muss also noch einen Monat vor dem Coup d’étàt in Haft gewesen sein. Es ist nur zu vermuten, dass er im Zuge der medizinischen Behandlungen freigelassen wurde. Dass er zum Zeitpunkt des Coups nicht in Haft war ist unstrittig und belegbar und wird im Übrigen auch durch Saʿbān Ǧaʿfarī bestätigt, der ausführt, dass Ṭayyeb Hāǧǧ Reżāʾī am 19. August nicht mehr im Gefängnis gewesen sei. Vgl. Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 163. 758 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 51; Vgl. auch ebd., 53: „Police reports demonstrate how some street months after 28 February (9 Esfand), and soon after the CIA and SIS representatives drew up the TPAJAX operational plan for the overthrow of Mosaddey in Nicosia, the three anti-Mosaddeq networks of thugs, retired army officers and pro-Shah and pro-British political organizations involved in the 28 February demonstrations continued to coalesce and interact in pursuit of their common objective of overthrowing the Mosaddeq government. According to these reports, the supporters of Sha'aban Ja'fari and Tayyeb Haj 202 gescheiterten Umsturzversuch durch die Gard-e Šāhanšāhī folgten, koordinierte sich ein maßgeblich durch die Gebrüder Rāšīdiyān gelenktes Netzwerk, das unter der Führung von vier stadtbekannten lūṭīs Protestmärsche gegen die Regierung aus deren jeweiligen Einflusssphären heraus in Gang setzte. Eine dieser vier Kolonnen, die mit ihren Attacken auf Einrichtungen der Ǧebhe-ye mellī und der Tūdeh759 der militärischen Phase des Coups den Weg ebneten, wurde von Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī angeführt.760 Unter Berufung auf ein Interview mit Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī berichtet Ali Rahnema über Motive und Vorbereitungen:

„Tayyeb believes that on 26 and 27 Mordad, Tudeh Party sympathizers (Communists) and Mosaddeq's partisans entered into an alliance to disturb the peace in Tehran. He claims to have heard murmurs from around the city on the morning of 28 Mordad and to have decided to free his friends from prison. Tayyeb recalls 'I immediately sent for the purchase of ten truck-loads of sticks (dah bar-e choob kharidam), we already had a few machetes and knives, we gathered all the boys and came to town in trucks and jeeps'.”761 Aus dieser Darstellung sind im Kern zwei Aussagen zu extrahieren, die eine Bemerkung verdienen: Zum einen wird erneut deutlich, wie wichtig die ökonomische Potenz des Racketeers im historischen Moment gewesen zu sein scheint. Seine Eigenschaft als Fuhrunternehmer ermöglichte nicht nur den schnellen Antransport von Menschen und Unterstützern, sondern auch von Waffen. Zweitens zeigt sich, dass man offensichtlich im Meydān weniger Sorge um eine ungünstige Reputation durch den Einsatz von Waffen hatte, als dies im streng auf den Körper verweisenden Milieu des zūrḫānehs der Fall war.

Reza'i, renowned thug leaders, were preparing for the opening of a branch of the Zolfaqar Party in the Southern district of Tehran around Mowlavi Street and Barforoushan Square. This initiative was at the behest of the retired army officers and had the objective of organizing broad anti-Mosaddeq activities. The leaders of the Zolfaqar Party intended to designate a board of directors for this special branch that would be loyal to both the retired army officers and Tayyeb.” 759 Eṭṭelāʿāt, 31. Mordād 1332 [22. August 1953], 5. 760 Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 70. 761 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 159–160; Beachte: Gemäß den Darstellungen der in der Islamischen Republik Iran erschienen „offiziellen“ Biographie, gab es einen maßgeblichen Moment der Anstiftung Hāǧǧ Reżāʾīs durch Ayatollāh Behbehānī, der am 26. Mordād ins Haus von Hāǧǧ Reżāʾī – so berichtet sein Sohn – gekommen sein soll und gesagt haben soll: „Sie haben den Shah aus dem Land gehen lassen. Wenn der Shah das Land verlässt, geht auch die Ehre des Landes. Dahinter steckt die Tūdeh-Partei. Und Doktor Moṣaddeq schafft es nicht, sich von denen loszusagen.“ Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 71. 203

Nach dem Coup wurde die Teilnahme der bewaffneten Rowdies762 und ihre Rolle im Coup keineswegs verschwiegen. Im Gegenteil zeigte man sich von Seiten des neuen Regimes dankbar gegenüber Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī, sodass er nicht nur vom Shah als tāǧ-baḫš bezeichnet wurde763 – in seinem Fall wurde das nie bestritten – sondern auch von der Regierung einen Orden erhielt764 und gar eine Party im Anwesen des neuen Premierministers Zāhedī zu Ehren der in die Prozesse verwickelten informellen Akteure gefeiert wurde.765 Dies ist ein weiterer Beleg für die These der engen Verflechtung der handelnden Akteure, die sich nicht an der Frage ausrichtete, wer in welchem Büro saß oder ob es sich um formelle oder informelle Akteure handelte. Die Fähigkeit von Männern wie Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī, Menschen zu mobilisieren, die in ihrem Sinne politische Willensbildung gewaltsam auf die Straße trugen, wurde akzeptiert und die entsprechenden Gewaltakteure hofiert. Im Sinne der Racket-Theorie lässt sich so formulieren, dass das deutlichste Zeichen für die These, dass sich keines der großen Rackets das Gewaltmonopol in Iran hat sichern können, darin zu finden ist, dass man einerseits auf Männer wie Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī und Šaʿbān Ǧaʿfarī angewiesen war und andererseits, dass man daraus keinen Hehl machen konnte. Aufgrund des hohen Mobilisierungskapitals dieser Akteure waren sie nicht nur als Racketeers innerhalb des royalistischen Rackets Verbündete, deren Dienste man dankbar annahm, sondern sie stellten auch ein ernsthaftes Problem dar: Die informellen Gewaltakteure bestätigten aus sich selbst heraus den Fakt, dass sich die manifesten Herrschaftskonfigurationen nicht in dem Gewaltmonopol des formal herrschenden royalistischen Rackets niederschlugen. Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī wird so selbst zu einem Konkurrenten um die Frage, wer als power-broker im Iran der 1950er Jahre zu bezeichnen ist.

762 Siehe einen Bericht über die Taten von Hāǧǧ Reżāʾīs Kollonne am 19. August bei Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 167–168. 763 Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 73. 764 Markaz-e Barrasī-e Asnād-e Tārīḫī-ye Vezārat-e Eṭṭelāʻāt, Āzād mard-e šahīd Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʼī (be revāyat-e asnād-e Sāvāk), 47. 765 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 172: „After 28 Mordad, official ceremonies recognizing the contribution of ruffians in ousting Mosaddeq and returning the Shah were not taboo. Ten days after 28 Mordad General Zahedi threw a splendid party at his private estate in jamaran in honour of Tayyeb, Ramezoun Yakhi, the leaders of the fruit and vegetable market (meydan) and all the prominent thug leaders who participated in 28 Mordad. All those lined up in front of the Shah in the two pictures, as well as many more, must have attended Zahedi's party. During the first week of September 1953, or less than a month after the coup, the Shah played host to a number of 'athletes' [...].” 204

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Diese Konkurrenz drückt sich in der Geschichte der persönlichen Beziehung zu jenem Akteur aus, der oben als paradigmatische Schablone für die Verhärtungen des royalistischen Rackets vorgestellt wurde: Neʽmatollāh Naṣīrī. Es wurde am Wirken des Generals der historische Moment vorgestellt, an welchem evident wurde, dass das Gewaltmonopol des royalistischen Rackets nicht mehr angefochten wurde und auf der Ebene formeller militärisch-polizeilicher Akteure zu suchen ist, nämlich beim offiziellen Sicherheitsapparat. Die Evaluierung der Konkurrenzbeziehung zwischen Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī und Neʽmatollāh Naṣīrī wird nun zeigen, gegenüber wem diese Verhärtung sich manifestierte und wie auch dieser Kampf – ganz den Thesen der Racket-Theorie folgend – auf der Ebene der Individuen nachzuvollziehen ist.

Die Geschichte der persönlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden Racketeers geht dabei auf den Oktober 1960 zurück. Am 31. des Monats gebar die zweite Frau des Shahs, Faraḥ Dībā (geb. 1938), den ersten Sohn und Thronfolger Reżā Pahlavī (II.). Im Vorfeld wurde die Entscheidung getroffen, dass der Thronfolger in einem Krankenhaus im Süden Teherans in einem Viertel unter dem Schutz Ḥāǧǧ Reżāʾīs zur Welt kommen sollte. Diese symbolisch bedeutsame Geste wurde gemeinhin als große Ehre für die mahelle und ihren Schutzpatron angesehen,766 wobei an dieser Stelle erneut darauf hingewiesen wird, dass der männliche Ehrbegriff in den hier besprochenen Milieus eng mit jenem der „Ehre der mahelle“ verknüpft war, die es zu beschützen galt.

Über die Frage, wer nun für den Schutz der Familie des Shahs verantwortlich sei, entbrannte ein öffentlich ausgetragener Konflikt zwischen dem lokalen Schutzpatron Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī und dem mit dem Schutz des Shahs beauftragten Kommandeur der Gard-e Šāhanšāhī Neʽmatollāh Naṣīrī,767 der im Allgemeinen vielfach überliefert und nachzuvollziehen ist, dessen Intensität jedoch an der einen

766 Vgl. Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 86. 767 Beachte: Es ist nicht völlig klar, wann genau Naṣīrī zum Polizeichef ernannt wurde. Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass seine Beförderung zum raʾīs-e šahrbanī im Dezember 1960 erfolgte. Baqer Moin (Moin, Khomeini, 105) geht daher davon aus, dass Naṣīrī an den Ereignissen noch in seiner Rolle als Kommandeur der Gard-e Šāhanšāhī teilgenommen hat. In beiden Funktionen wäre aber zumindest eine teilweise Verantwortung für polizeiliche Maßnahmen zum Schutze des Shahs zu unterstellen. 205 oder anderen Stelle unterschiedlich diskutiert wird. Danach lässt sich im Kern nachvollziehen, dass Ḥāǧǧ Reżāʾī bei General Naṣīrī aufgrund dessen Anordnung, extensiv Polizeitruppen im entsprechenden Viertel zum Schutz des Shahs und seiner Familie zu stationieren, scharfen Protest einlegte. Seine Biographie gibt an, dass er dem (ihm natürlich bestens bekannten) General gesagt habe: „Zieh deine Leute dort ab. Die Kräfte, die du dort stationiert hast, sind eine Beleidigung für die Jungs aus dem Viertel. Jeder von ihnen ist selbst ein treuer Polizist des Shahs. Wozu hast du dann deine Männer dort stationiert?“768 Naṣīrī bestand jedoch auf seine Prärogative, den Shah beschützen zu dürfen, und verweigerte den Abzug seiner Sicherheitskräfte. Am dritten Tag nach der Geburt des Thronfolgers besuchte der Shah persönlich das Viertel, um die Glückwünsche der lokalen Größen entgegenzunehmen.769 Dort beschwerte sich Ḥāǧǧ Reżāʾī öffentlich über die ‚Beleidigung‘ durch Naṣīrī. Der Shah ordnete daraufhin an, dass Naṣīrī seine Truppen abziehen solle.770 Nun war es an Naṣīrī, seinerseits auf diese vor den Augen der Öffentlichkeit vollzogene Kränkung zu reagieren,771 wobei er in der Folge auf seine baldige Macht als zukünftiger Leiter der nationalen Polizei vertrauen konnte, um Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī nicht nur das Leben schwer zu machen, sondern ihn mittelfristig gar vollständig loszuwerden. Die entsprechenden Maßnahmen sollen hier nicht untersucht werden, sondern es soll lediglich auf die Zunahme des Aktenbestandes der Sicherheitskräfte in den zwei folgenden Jahren hingewiesen werden772 sowie auf die Erinnerungen Šaʿbān Ǧaʿfarīs, der berichtet, dass Ḥāǧǧ Reżāʾī in der Folge der Ereignisse sein Monopol auf den Vertrieb von Bananen

768 Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 87; Vgl. leicht abweichend auch Moin, Khomeini, 105: „Tayyeb had been deeply insulted by Colonel [sic] Nassiri, who at the time was commander of the Imperial Guard. For people like Tayyeb it was a source of great pride that the Shah’s first son was to be born in their midst, so when Nassiri put extra policemen on duty in the area surrounding the hospital they considered this an insult. Tayyeb protested. ‘Move your policemen out’ he said to Nassiri. ‘Each of my lads is a feda’I for the Shah.’” 769 Vgl. Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 87. 770 Ebd. 771 Beachte: Es wird die Anekdote erzählt, für die sich allerding keine Belege finden lassen, dass Naṣīrī erste Reaktion darin bestand, etwas später Hāǧǧ Reżāʾī eine Beleidigung zuzuflüstern. Als Folge habe Hāǧǧ Reżāʾī dem General ins Gesicht geschlagen, woraufhin der Shah dann abermals nicht zugunsten seines treuen Generals eingegriffen habe. Vgl. ebd., 88. 772 Vgl. Markaz-e Barrasī-e Asnād-e Tārīḫī-ye Vezārat-e Eṭṭelāʻāt, Āzād mard-e šahīd Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʼī (be revāyat-e asnād-e Sāvāk), 53–72. 206 verloren habe.773 Baqer Moin fasst anschaulich die Entwicklungen nach der öffentlichen Demütigung des Generals zusammen:

„Nassiri, thus publicly humiliated, instructed the local police chief, Major Goltappeh, to teach Tayyeb a lesson. Goltappeh started by delaying the delivery of bananas to Tayyeb. Tayyeb lost business, his financial situation deteriorated and he borrowed money but was unable to pay the interest on time. As a true macho he showered insults on his creditor, who complained to other local gang leaders. In a gangland skirmish Tayyeb was knifed. To add insult to injury he was promptly arrested when he left hospital two weeks later. Unable to contain himself he later confided to a friend: ‘I am going to bring down the camel I have put on top of the hill.’”774 In dieser anekdotenhaften Darstellung ist sicher keine hinlängliche Erklärung für Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs spätere Teilnahme an oder Billigung der ʿāšūrāʾ-Proteste zu sehen, die auch anderen Intentionen und Dynamiken folgten. Eine solche Interpretation wäre unterkomplex. Gleichwohl aber ist die Symbolik der Ereignisse, die sich an drei entscheidenden Themen festmachen lässt, recht deutlich: Zunächst geht es um den Wetteifer zweier Racketeers darum, schützen zu dürfen. Wenn man so will, geht es also um Revierstreitigkeiten und Einflusssphären; das ist evident und wird auf lokaler Ebene durch den Verweis auf die mahelle auch geographisch symbolisiert. Zweitens geht es um das Gewaltmonopol. Es wird nicht nur verhandelt, wer schützen sollte (und darf), sondern auch wer schützen kann und warum. Drittens führt dies nur deswegen zu einem auch in der Folge ausgetragenen Verdrängungskampf, weil eine diskursive Ebene betreten wird. Die Frage des Schutzes stellte sich ja gar nicht akut. Es bestand keine Gefahr und der Wille und die Gewaltbereitschaft der Akteure wurden nicht getestet. Es wurde nur öffentlich verhandelt, wer es darf, also die Frage nach der Legitimität der denkbaren Gewaltanwendung gestellt. Die Tatsache, dass für beide Akteure mit der Infragestellung der Fähigkeit oder des Rechtes zur Anwendung von Gewalt ein Effekt der Demütigung erzeugt wird, weist darauf hin, dass das Recht zu Schützen – der Kern also der Vergesellschaftung nach den Maßgaben der Racket-Theorie – von einer Ideologie begleitet wird, die das Schützendürfen evoziert und zugleich eine

773 Vgl. Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 291. Ǧaʿfarī berichtet hier, dass Hāǧǧ Reżāʾī Bananen aus Libanon importierte. Er kaufte danach billige Bananen und färbte diese in Iran gelb. Als die Regierung dahinter kam, stoppte sie diese Machenschaften. Das sei der Grund, warum Hāǧǧ Reżāʾī sich letztlich gegen das Regime gewandt habe. 774 Moin, Khomeini, 105. 207

Aussage über Herrschaft in sich birgt, sodass die Verletzung oder Infragestellung der Prärogativen des Schutzes eine unmittelbare Auswirkung auf Dominanz- und Herrschaftsbeziehungen hat. Erneut sei hier darauf hingewiesen, dass sich herauskristallisiert, dass Schutz ein gegenderter Begriff ist – und folglich, dass am Ende dieser Überlegungen die These von der Maskulinität als Ideologie der Dominanz stehen kann. Dies wiederum wird durch die theoretische Durchdringung der Interaktionen und Konkurrenzbeziehungen der historischen Akteure durch die Racket-Theorie deutlich und zugleich versinnbildlicht.

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Die persönliche Auseinandersetzung zwischen Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī und dem neuen Polizeichef Neʽmatollāh Naṣīrī eskalierte aus Anlass der ʿāšūrāʾ-Aufstände, welche, wie oben ausgeführt, die Vollendung des Aufstiegs des Generals zu einem der power- broker des vorrevolutionären Iran markierten. Auf der Gegenseite steht dabei die definitive Verdrängung Ḥāǧǧ Reżāʾīs als Konkurrent um das Gewaltmonopol durch dessen Hinrichtung, sowie die abschließende Marginalisierung Šaʿbān Ǧaʿfarīs durch seine offen zur Schau gestellte Unfähigkeit, im Sinne des Regimes in die Geschehnisse einzugreifen sowie sein eigenes Umfeld zu schützen.

Gemäß den Erzählungen von Ḥāǧǧ Mehdī ʿErāqī,775 der als Vertrauter von Ayatollāh Ḫomeynī maßgeblichen Anteil an der Organisation der Teheraner Proteste im Juni 1963 hatte,776 ist die Geschichte um die Involvierung Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs wie folgt darzustellen: Bereits die ʿāšūrāʾ-Prozessionen und Trauerfeierlichkeiten vom 3. Juni waren von Protesten gegen das Reformprogramm der Regierung und des Shahs begleitet worden. Maßgeblich wurden die Trauerfeierlichkeiten in der Umgebung des Bazars dabei von Ḥāǧǧ Reżāʾī organisiert, der sich auch in den Jahren zuvor als frommer Akteur stilisierte und traditionell im Trauermonat Moḥarram entsprechende religiöse Veranstaltungen und Armenspeisungen arrangierte und

775 Siehe seine Autobiographie: ʽErāqī, Nāgoftehā. 776 Vgl. zu seiner Rolle und seiner Verbindung zu Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī Moin, Khomeini, 105: „Khomeini and his activists were to prove just as efficient manipulators of theses leaders of these mafia-like gangs. One of them, Mehdi Araqi, a well-known figure in the Tehran bazaar, was by this time a firm supporter of Khomeini. An expert on south Tehran’s gangland, he was aware that Tayyeb Hajji Reza’i, a long-time supporter of the Shah, was about to defect.” 208 finanzierte.777 Auch am 3. Juni 1963 (13. Ḫordād 1342) war Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī trotz seines spürbaren ökonomischen Abstiegs noch in der Lage, Massen zu mobilisieren, sodass davon ausgegangen wird, dass der von ihm organisierte Protestzug eine Stärke von 20.000 Menschen erreichte.778 Der Racketeer beanspruchte gemäß den Verhörprotokollen der SAVAK-Akten dabei später selbst, für die Organisation und Lenkung dieses Protestzugs verantwortlich gewesen zu sein.779 In diesen Protestzug mischte sich auch Šaʿbān Ǧaʿfarī und seine Fraktion, allerdings mit dem Ziel, diesen aufzumischen (es ist unklar, wer dies organisierte, der Grund ist jedoch vermutlich in der Tatsache zu finden, dass dem Regime an diesem symbolisch bedeutsamen Tag ein militärisches Eingreifen nicht möglich war).780 Offensichtlich war die Zahl der Protestierenden so groß, dass die Shah-treuen Männer aus dem Milieu des zūrḫānehs nichts haben ausrichten können und von einer größeren Konfrontation absehen mussten.781 Am selben Tag hielt auch Ayatollāh Ḫomeynī seine berühmt gewordene Ansprache in der Feyżiyeh-madreseh in Qom, die schließlich zu seiner Festnahme am frühen Morgen des 5. Juni (15. Ḫordād) führte.

Ḥāǧǧ Mehdī ʿErāqī berichtet, dass die Nachricht von der Festnahme des Ayatollāhs gegen fünf Uhr morgens Teheran erreichte.782 Umgehend wurden die Anhänger Ḫomeynīs in Teheran versammelt und es wurde beschlossen, einen Aufstand zu organisieren. Die erste Sorge war dabei, dass der Bazar geschlossen bleiben sollte. Es wurden folglich Boten zu den entscheidenden Persönlichkeiten des Bazars gesandt, welche dazu bewegt werden sollten, die Areale unter ihren jeweiligen Schutz- und Einflusssphären geschlossen zu halten.783 Einer jener Akteure, die es zu

777 Vgl. hierzu: Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 48–51; Die entsprechenden Anlässe wurden vonseiten des Regimes anscheinend ebenfalls genutzt, um Ḥāǧǧ Reżāʾīs das Leben schwer zu machen. Es wird berichtet, dass es im Zuge der Vorbereitungen zum höchsten Feiertages des Monats 1961 oder 1962 (10. Moḥarram, ʿāšūrāʾ) zu einer kurzen Festnahme Ḥāǧǧ Reżāʾīs kam, weil dieser 300 Schafe im Bazar zusammentrieben ließ, die für die traditionelle Armenspeisung vorgesehen waren. Daraufhin hätten 20.000 Leute protestiert und Ḥāǧǧ Reżāʾī sei schließlich wieder freigelassen worden (vgl. ebd., 106–108). 778 Zādeh-Moḥammadī, Lompen-hā dar siyāsat-e ʽaṣr-e pahlavī, 236. 779 Markaz-e Barrasī-e Asnād-e Tārīḫī-ye Vezārat-e Eṭṭelāʻāt, Āzād mard-e šahīd Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʼī (be revāyat-e asnād-e Sāvāk), 115. 780 Moin, Khomeini, 104–105; Vgl. auch Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 275ff.. Ǧaʿfarī berichtet, dass er vor allem in der Folge der Protest darum bemüht war, einige “mollāhs zu verprügeln“. 781 Moin, Khomeini, 106. 782 ʽErāqī, Nāgoftehā, 183. 783 Ebd. 209

überzeugen galt, war Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī, der immer noch entscheidenden Einfluss im Obst- und Gemüsebazar besaß. Die Anhänger des Ayatollāhs fanden im Geschäft Ḥāǧǧ Reżāʾīs jedoch nur dessen Sohn Bīžān vor (diese Darstellung deckt sich mit den Erzählungen Bīžān Ḥāǧǧ Reżāʾīs784), der in einem Telefonat mit seinem Vater dessen Erlaubnis einholte, das eigene Geschäft geschlossen zu halten785 – was gleichbedeutend mit der Order an die anderen bāzārīs war, die Geschäfte ebenfalls nicht zu öffnen.

Es versammelte sich in der Folge eine mit Knüppeln bewaffnete Menge im Bazar, die zur Moschee Masǧed-e Šāh zog (die räumlich mit dem Teheraner Bazarviertel verbunden ist) und zu einer signifikanten Masse anwuchs. Dieser Mob zog schließlich los, um zunächst polizeiliche Einrichtungen in Brand zu setzen. Sein Zorn richtete sich schnell aber auch gegen symbolträchtige, als anti-islamisch oder Regime-nah wahrgenommene Orte.786 Der damalige Sekretär des Premierministers erinnert sich in der Iranian Oral History Collection:

„Die Bibliotheken die am Park waren haben sie angezündet, Kinos wurden in Brand gesetzt, Alkoholgeschäfte wurden angezündet, unbescholtene Frauen ohne ḥeǧāb wurden schwer belästigt. Die Klamotten wurden ihnen entrissen und angezündet.“ [Frage:] Wie war die Rolle der Studenten? Es wird gesagt, dass eine beträchtliche Zahl von Studenten kam. Ist das richtig?

[Antwort:] Nein. Vielleicht kamen welche, aber ihre Zahl war gering. Nein, da waren nur maydānī-hā [d.h. Angehörige des Obst- und Gemüsemarktes, OG]. Ausschließlich. Maydānī-hā, die zur Gruppe von Ṭayyeb gehörten. Das war deren Anführer.“787 Es ist zwar davon auszugehen, dass Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī am 5. Juni zu keinem Zeitpunkt selbst an den Protesten teilgenommen hat, auffällig ist aber, dass alle Interpretationen der Ereignisse, unabhängig vom politischen oder ideologischen

784 Vgl. Zādeh-Moḥammadī, Lompen-hā dar siyāsat-e ʽaṣr-e pahlavī, 232; Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 130. 785 ʽErāqī, Nāgoftehā, 183. 786 Vgl. den ausführlichen Bericht über die Ereignisse mit einer detaillierten Auflistung der Angriffsziele in Eṭṭelāʿāt, 16. Ḫordād 1342 [= 6. Juni 1963], 13-14. 787 Munir D. Ahmed, „Indien.“ in Der Islam in der Gegenwart, hrsg. von Werner Ende, Udo Steinbach und Renate Laut. 5., aktualisierte und erw. Aufl., 319–335 (München: Beck, 2005), 7. 210

Lager, dem sie zugeordnet sind, davon ausgehen, dass die Ereignisse maßgeblich Ḥāǧǧ Reżāʾī zuzurechnen sind.788

Mit dem Wissen um die Nähe zwischen Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī und Šaʿbān Ǧaʿfarī, die in ihrer gemeinsamen Zeit im Gefängnis Freunde geworden sind, wie Ǧaʿfarī ausdrücklich behauptet,789 ist nun der folgende Zeitungsbericht der Eṭṭelāʿāt bemerkenswert:

„Gestern Vormittag um 11:00 Uhr haben mehrere hundert Leute den Sportklub Ǧaʿfarīs angegriffen. Zunächst zerbrachen sie Fensterscheiben und Türen und drangen in den Sportklub ein. Dort zerstörten sie die Sportgeräte und Umkleiden und legten Feuer. Im Anschluss verwüsteten sie das obere Stockwerk, wo sich die Büroräume und ein Sportmuseum befinden.“790 Diese Ereignisse führten zunächst sogar zu dem Gerücht, dass Šaʿbān Ǧaʿfarī getötet worden sei, was sich jedoch als Fehlinformation herausstellte – wie ebenfalls in der Zeitug berichtet wurde.791 Durch die Tatsache, dass die handelnde Menge in diesem Fall fraglos Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī zugerechnet werden kann und davon auszugehen ist, dass der Angriff auf solch symbolträchtige Orte nicht gegen den Willen Ḥāǧǧ Reżāʾīs erfolgt sein kann, wird erneut dokumentiert, wie sich an der Darstellung interpersonaler Beziehungen retrospektiv Aussagen über Herrschaftsstrukturen treffen lassen: Der Angriff auf das Bāšgāh-e Ǧaʿfarī stellt den symbolisch vollzogenen Akt des Austritts (oder der Verdrängung) Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs aus dem royalistischen Racket dar.

Neben dieser politischen Bedeutung, welche einmal mehr über die Dynamiken der Austausch- und Konkurrenzbeziehungen zwischen Racketeers transportiert wird, hat die Tatsache, dass es Ǧaʿfarī nicht gelungen war, seinen Sportklub vor diesen Angriffen zu schützen – sei es aktiv, sei es durch den diskursiven Verweis auf seinen Status als legitimer und potenter Gewaltakteur – auch theoretische Relevanz. In

788 Vgl. hierzu ausführlich Olmo Gölz, „Representation of the Hero Ṭayyeb Ḥāğğ Reżāʼī: Sociological Reflections on javanmardi.“ in Javanmardi: Ethics and Practice of Persianate Perfection, hrsg. von Lloyd Ridgeon (Berkeley: Ginko, –2018). 789 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 245.; Beachte: Von der Nähe in dieser Ziet zeugen auch die oben bereits erwähnten gemeinsamen Briefe der beiden Racketeers. Vgl. Markaz-e Barrasī-e Asnād-e Tārīḫī-ye Vezārat-e Eṭṭelāʻāt, Āzād mard-e šahīd Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʼī (be revāyat-e asnād-e Sāvāk), 18, 20, 22. 790 Eṭṭelāʿāt, 16. Ḫordād 1342 [= 6. Juni 1963], 13. 791 Eṭṭelāʿāt, 18. Ḫordād 1342 [= 8. Juni 1963], 14: „Šaʿbān zendeh ast!“ 211

Bezug auf die Unfähigkeit, sein Schutzversprechen umsetzen zu können, schrieb bereits die Pionierin der feminsitischen Theorie Judith Stiehm: „Perhaps the essential, the general thing about a protector is that he has dependents. Dependents represent both a burden and an expanded vulnerability. A successful attack on them is a demonstration of his failure.”792 Tatsächlich ist zu vermerken: Obwohl Šaʿbān Ǧaʿfarī im Racket des Shahs verblieben war und so von dessen Machtzuwachs hätte profitieren können (oder müssen), tritt er nach diesen Ereignissen nicht mehr als informeller Gewaltakteur in Erscheinung. Er scheint das Recht auf die als legitim empfundeneAusübung von Gewalt eingebüßt zu haben.

Für die theoretische Ebene bedeutet dies zweierlei: Erstens wird deutlich, dass ein Racketeer der Gefahr der ständigen Bewährung selbst schutzlos ausgesetzt ist. Er kann nur auf seinen Ruf zurückgreifen und wenn er ihn einbüßt und die mit ihm einhergehende Bezugnahme auf eine ideologische Erklärung seiner Dominanz in Frage steht, wird sein Scheitern evident. Die Tatsache der Ausdifferenzierung von Interessen durch Rackets aller Größenordnungen ist somit auch unter diesem Licht zu verstehen: Die Monopolisierung der Interessen (die Verhärtung) findet auch über eine Loslösung des Begriffes der Legitimität von Ideologien der Dominanz statt, sodass Gewaltmonopole losgelöst von den persönlichen Qualitäten der Gewaltakteure Bestand haben (dieser Gedanke müsste auf andere Monopole übertragbar sein). Wenn das Individuum der Gewaltanwendung austauschbar wird – besser: nur wenn es ausschließlich dann Gewalt anwenden darf, wenn es eine Uniform trägt, welche die Zugehörigkei zum Racket bezeichnet – dann hat das Racket sein Monopol über die Anwendung als legitim empfundener Gewalt verwirklicht. Es hätte schon der Polizei bedurft, um den Sportklub zu schützen! Zweitens zeigt sich, dass diese Bewährungsprobe des Racketeers auch im Außenverhältnis von theoretischer Bedeutsamkeit ist. Die Racket-Theorie denkt die Verhärtungsprozesse von innen heraus. Sie ist entstanden, um eine theoretische Erklärung für die internen Dynamiken und Verdrängsprozesse verschworener Cliquen theoretisch fassbar machen zu können und sie wurde im Angesicht solcher Dynamiken in den faschistischen Regimen Europas formuliert. Die Verhärtungen

792 Judith Stiehm, „The Protected, the Protector, the Defender.“ Women's Studies International Forum 5, 3/4 (1982): 367–376, 372. 212 des Rackets erfolgt gleichsam paradigmatisch „nach unten zu“. Der Racketeer ist aber – und das zeigen die geschilderten Prozesse – auch von außen gefährdet und seine Stellung im Racket wird maßgeblich auch durch seinen Erfolg oder Misserfolg im Außenverhältnis bedingt.793

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Mit der Verhängung des Militärrechts am späten Nachmittag, wurde von Neʽmatollāh Naṣīrī der Schießbefehl ausgegeben, wodurch die Unruhen schnell und endgültig beendet wurden und die Stadt im Laufe der Nacht schließlich fest in den Griff des Militärs kam.794 Die Verhaftungswelle der nächsten Tage zielte einerseis auf an den Protesten beteiligte Religionsgelehrte, andererseits auf eine Reihe informeller Akteure des Bazars – unter ihnen auch Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī der am 8. Juni festgenommen wurde.795 Gemäß der Erzählung seines Sohnes, wurde Ḥāǧǧ Reżāʾī von Freunden gewarnt worden und man versuchte ihn zu überreden, schnellstmöglich die Stadt zu verlassen. Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī habe aber entgegnet: „Kasī bāyad farār koneh keh mī-tarseh, man az kasī nemī-tarsam.“ 796 Der vormalige Racketeer sollte seinen letzten Versuch, sich gegen seine Marginalisierung zur Wehr zu setzen und die damit verbundene Herausforderung, die er an den Polizeichef Neʽmatollāh Naṣīrī in Bezug auf dessen uneingeschränktes Recht auf den Zugriff auf Gewaltakteure (nun alle in Uniform) richtete, mit dem Leben bezahlen.

Die Eṭṭelāʿāt berichtet in ihrer Ausgabe vom 2. November 1963, dass Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī und sein Bruder Ḥāǧǧ Esmāʿīl durch ein Erschießungskommando hingerichtet worden seien. Nach seiner Festnahme war er beschuldigt worden, einen Mob zur Durchsetzung der Interessen Āyatollāh Ḫomeynīs ins Leben gerufen zu haben. Er wurde in erster Instanz wegen der Teilnahme an und Organisation der

793 Anm.: Šaʿbān Ǧaʿfarī selbst spielt die dargestellten Ereignisse bezeichnenderweise herunter und versucht ihnen (und insbesondere der Bedeutung Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs in ihnen) keine größere Bedeutung beizumessen. Vgl. Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 275, 289-290. 794 Vgl. Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 131. 795 Beachte: Der Beschluss zu seiner Verhaftung ist bereits am Tag der Ausschreitungen am 6. Juni 1963 gefasst worden. Vgl. die Polizeiakten dieses Tages bei Markaz-e Barrasī-e Asnād-e Tārīḫī-ye Vezārat-e Eṭṭelāʻāt, Āzād mard-e šahīd Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʼī (be revāyat-e asnād-e Sāvāk), 88ff. 796 „Nur derjenige der Angst hat, muss fliehen. Ich habe vor niemanden Angst.“ Vgl. Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 132. 213

Unruhen vom 5. Juni 1963 zum Tode verurteilt und nach der Bestätigung des Urteils durch das Berufungsgericht hingerichtet.797 Einige Monate vor der Verurteilung beschuldigte der ermittelnde Staatsanwalt Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī und seinen Bruder öffentlich, sieben lokale Größen bestochen zu haben, um die Unruhen in Gang zu bringen. Der Staatsanwalt behauptet dabei in einem Interview, dass er die genaue Summe der durch Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī gezahlten Bestechungsgelder an die festgenommenen angeblichen Unterweltgrößen genau beziffern könne.798 Die Anschuldigungen des Regimes gegen Ḥāǧǧ Reżāʾī beinhalteten dabei den Vorwurf, dass er das Geld für die vermeintlichen Bestechungen von Āyatollāh Ḫomeynī erhalten habe – eine Behauptung, die Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī sowohl in den Vernehmungen als auch vor Gericht bestritt.799

Ohne dass dies durch Akten zu belegen wäre, geht das common knowledge in Iran bis heute davon aus, dass es Neʽmatollāh Naṣīrīs persönlicher Auseinandersetzung mit Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī geschuldet sei,800 dass letzterer hingerichtet wurde. Es ist hier zumindest zu unterstellen, dass er als Militärgouverneur von Teheran dies hätte verhindern können und es spricht einiges dafür, dass Naṣīrī tatsächlich die Gunst der Stunde nutzte, seine persönliche Auseinandersetzung mit Ḥāǧǧ Reżāʾī zu einem Ende zu bringen. Die Exekution des vormaligen Konkurrenten ist jedoch trotz – oder gerade wegen – dieser persönlichen Dimension auch theoretisch fassbar zu machen. Zunächst liegt es nahe, auf die Postion des Generals zu verweisen und mit Vanessa Martin zu argumentieren: „Ni'matullah Nasiri, the head of SAVAK, was keen to reduce the influence such figures traditionally exerted over the urban population as part of the extension of state control.”801 Mit anderen Worten: Naṣīrī war daran gelegen, die Mechanismen der Verhärtung voranzutreiben und jene Akteure zu neutralisieren, die das Gewaltmonopol in Frage stellten oder herausforderten. Naṣīrī ist so in seiner Eigenschaft als Polizeichef und General nicht nur Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī, sondern allen informellen Gewaltakteuren der Straße entgegengetreten. Darüber hinaus zeigt aber die Geschichte der persönlichen Auseinandersetzungen der beiden Konkurrenten auch die Dynamiken der Austauschbeziehungen, welche

797 Eṭṭelāʽāt, 11. Ābān 1342 [= 2. Nov. 1963], 1 & 13. 798 Eṭṭelāʽāt, 15. Tīr 1342 [= 6. July 1963], 13. 799 Āzād mard-e šahīd Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʼī (be revāyat-e asnād-e Sāvāk), 88ff. 800 Vgl. Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 106-108. 801 Martin, Creating an Islamic State, 63. 214 die Milieus betrifft, die durch die beiden Racketeers repräsentiert werden. Somit gibt die Auseinandersetzung der beiden Akteure jene Dynamiken in den und zwischen den Rackets wieder, die auf die Herrschaftskonfigurationen im historischen Moment schließen lassen. Dazu braucht es der Darstellung der Geschichte der beiden Akteure nicht nur in den wenigen Tagen im Juni 1963, sondern in der gesamten hier untersuchten Zeitspanne. Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass 1953 jedes Handeln eines Akteurs wie Naṣīrī zum Scheitern verurteilt war, wenn er nicht der Unterstützung der Aktuere wie Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī versichert sein konnte. Dies war nach dem Umsturz von 1953 nicht plötzlich anders, sondern das Gewaltmonopol des formellen Sicherheitsapparates stand auch 1960 noch zumindest in Frage, wie die Anekdote der Auseinandersetzung der beiden Konkurrenten anlässlich der Geburt des Thronfolgers bestätigte, in der kein klarer Gewinner ausgemacht werden konnte. Die Exekution Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs 1963 ist somit nicht nur dem Versuch geschuldet, die informellen Gewaltakteure Teherans zu neutralisieren, sondern sie symbolisiert in den Personen der beiden Racketeers auch faktisch die endgültige Durchsetzung des Rackets des Shahs und die Loslösung der Gewaltlegitimationen von der ideologischen Ebene, hin zu einer bürokratischen. Die Exekution Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs markiert einen Paradigmenwechsel in der Geschichte des modernen Irans.

4.1.3 Maskulinitätsdiskurse und Ideologien der Dominanz

In der Hinrichtung Ḥāǧǧ Reżāʾīs ist noch eine weitere symbolische Dimension enthalten, die maßgeblich die entscheidenden Diskurse um den Begriff der Maskulinität zu erklären vermögen. Fariba Adelkhah nutzt in ihrer Studie Being Modern in Iran die Exekution des Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī, um das Konzept ǧavānmardī802 zu veranschaulichen803 – ein Begriff, der auf eine Reihe von Tugenden verweist und schließlich eine heroisierende Konntoation in sich trägt.

802 Der Begriff bildet eine Komposition aus ǧavān für „jung“ und mardī für „Männlichkeit“. 803 Adelkhah, Being Modern in Iran, 36: „Teyyeb's death marked the culmination of his javânmard life, not because he saved the life of a man who was to change the course of history of that regin of the world fifteen years later, but more simply because he refused to testify in favour of the unjust and false (nâ-haq) instead of the just (haq). This episode is more important than all other aspects of his life because those ideas basic to the javânmard ethic were at stake.” 215

Bereits im Begriff selbst wird dabei transportiert, dass die höchste Form dieser Tugenden dem männlichen Geschlecht vorbehalten sei.804 Der Begriff ǧavānmardī rekurriert dabei auf einen reichhaltigen Kanon klassischer persischer Literatur, der in der Geschichte Irans auf zahlreiche soziale Strömungen appliziert wurde, sodass er einerseits als Beschreibung idealer Verhaltensweisen Einzug in die persischsprachige Literaturgattung der Fürstenspiegel bereits im 11. Jahrhundert gehalten hat,805 andererseits auch die sufistischen Traditionen des Islams nachhaltig prägte.806 Die Herkunft des Begriffes wird gemeinhin auf die arabische Entsprechung futuwwa zurückgeführt und in einer islamischen Tradition begründet,807 wohingegen andere Postionen ihn auf eine vorislamische, als orginär persisch verstandene Begriffsgeschichte zurückführen möchten.808

Diese Diskussion ist für die vorliegende Untersuchung nicht zentral, sondern lediglich der Hinweis, dass der Begriff ǧavānmardī ein im Iran des 20. Jahrhunderts geläufiges und aufgerufenes Konzept repräsentiert,809 das mit der Erwartung an eine spezifische Form maskulinier Idealiät verbunden ist, die nur schwer einheitlich

804 Vgl. Arley Loewen, „The Glass of Life: Medieval and Modern Stories on the Struggle to Gain and Maintain Honour.“ British Journal of Middle Eastern Studies 40, Nr. 1 (2013): 71–94, 77: „Mard (man), mardī (manliness), mardāna (manly), jawānmard (young man), jawānmardī (young manliness), jawānī (youthfulness). In and of themselves, this cluster of words does not mean honour or reputation. Rather, they describe the honourable or heroic man who possesses all positive virtues of manhood as understood in Persian society—courage, integrity, honesty, hospitality and generosity, to name the most significant ones. These terms jawānmard, jawānmardī, mardī are common Persian words in present-day Iran and Afghanistan, almost as if they were omnipresent in the language. It is this ethic of jawānmardī which is at the core of what it means to be heroic, and thus the way to gaining a good name. A jawānmard lives out the highest values of altruism. He is totally unselfish, always sustaining the poor and defending the oppressed. Finally, and supremely, he is willing to sacrifice himself for the sake of others.“ 805 Vgl. hier die Definition des Konzeptes im Qabūsnāmeh (Kaikā'ūs Ibn-Iskandar, Das Qābusnāme: Ein Denkmal persischer Lebensweisheit [Wiesbaden: Reichert, 1988)] Übersetzt und erklärt von Seifeddin Najmabadi.): „Der Ursprung der ğawānmardi beruht auf drei Dingen: Erstens, daß du das, was du sagst, auch tust; zweitens, daß du in Wort und Tat die Wahrheit beachtest; drittens, daß du Geduld in deinen Handlungen übst. Denn alle Eigenschaften, der der ğawānmardi zugerechnet werden, haben diese drei zur Grundlage.“ 806 Vgl. Lloyd Ridgeon, Jawanmardi: A Sufi Code of Honour (Edinburgh: Edinburgh University Press, 2011). 807 Vgl. hier insbesondere die umfassende Studie Franz Taeschner, Zünfte und Bruderschaften im Islam (Zürich [u.a.]: Artemis-Verlag, 1979). 808 Mohsen Zakeri, Sāsānid Soldiers in Early Muslim Society (Wiesbaden: Harrassowitz, 1995); Siehe zu dieser Auseinandersetzung auch Adelkhah, Being Modern in Iran, 33. 809 Loewen, „The Glass of Life: Medieval and Modern Stories on the Struggle to Gain and Maintain Honour“, 77; Adelkhah, Being Modern in Iran, 51. 216 definiert werden kann, sondern sich aus der „Gesamtheit der Tugenden, die den jungen Mann auszeichnen“, wie Axel Havemann für die arabisch Entsprechung des Begriffs ausführt,810 ergibt. Die Antwort auf die Frage, welche Tugenden durch den Begriff umfasst und beschrieben werden, ist dabei maßgeblich in der jeweiligen historischen Konfiguration zu suchen, sodass etwa in der heutigen Islamischen Republik Iran der Begriff ǧavānmardī deutlich religiöser konnotiert ist, als dies für die 50er und 60er Jahre anzunhemen ist.811 Was jedenfalls durch den Begriff abgedeckt wird, ist die Idee eines idealen Mannes, der einen Tugendkanon vertritt, in welchem Werte wie Güte, Großherzigkeit, Großmut, Freigiebigkeit, Gastfreundlichkeit und Fairness erfasst sind, der sich andererseits aber auch durch Ehre, Standfestigkeit, Mut und die Fähigkeit zur Selbstverteigung auszeichnet – eine Fähigkeit, die er im besten Fall zur Verteidigung der Schwachen einsetzen soll, der Schutzbedürftigen also. Vorliegend ist zudem zu konstatieren, dass das ǧavānmardī- Ethos im Iran der 1940er bis 60er Jahre eine Maskulinitätskonfiguration definierte, die nicht nur ein Leitmotiv für die hier vorgestellten Akteure Šaʿbān Ǧaʿfarī und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī darstellte, sondern bereits zu ihren Lebzeiten auch durch deren Beispiel selbst definiert wurde.

Wie Lloyd Ridgeon herausarbeitete – und wie oben bereits angedeutet wurde – erstreckt sich die Bedeutung des Begriffs des zūrḫānehs über die physische Struktur seines Gebäudes hinaus. Es bezeichnet dabei nicht nur das Milieu der starken Männer, die hier auch eingehend besprochen werden, sondern ein Moralsystem, dass nicht nur durch den ǧavānmardī-Ethos definiert wird, sondern diesen zum zentralen Bezugspunkt erhebt: „if taken seriously, it is to be promoted and actively lived all the time. Moreover, even some non-participants recognise the zūrkhāna as

810 Axel Havemann, „Männerbünde im islamischen Orient: Soziale Bewegungen in Iran, Irak und Syrien.“ in Geregeltes Ungestüm: Bruderschaften und Jugendbünde bei indogermanischen Völkern, hrsg. von Rahul Peter Das und Gerhard Meiser, 68–90 (Bremen: Hempen, 2002), 70. 811 Vgl. hierzu etwa die Biographie Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs, wo es in den Vorbemerkungen heißt: „Ein ğavānmard ist jemand, der großmütig und freigiebig ist, sich der Kränkung anderer enthält, nicht über seine weltlichen Sorgen lamentiert, von Sünden abstand hält und sich um die Menschlichkeit verdient macht [be kār gereftan-e feżāʼel-e ensānī]. Und von denen, die all diese edlen Eigenschaften besitzen, ist derjenige hervorragend, der mit Tapferkeit und Standfestigkeit den Gaunern [ayyārān] und Schurken [lūṭīṣefetān] die Würde unseres Landes als Reisegeschenk mit auf den Weg gibt.“ (Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 13) Diese Darstellung spiegelt den anti-imperialistischen Duktus des offiziellen iransichen Diskurses der heutigen Zeit wieder. 217 the treasury of javānmardī, and many aspire to see this character trait within themselves.“812 Übertragen auf die hier besprochenen Akteure bedeutet dies, dass diese unter Berufung auf das Milieu und den damit angerufenen Traditionsbezug, in die Nähe des ǧavānmardī-Ethos gerückt werden. Durch die vorbildhafte und herausgehobene Stellung, die diese Aktuere in dem Milieu dann erlangen konnten, definiert ihr Beispiel nun im reziproken Prozess selbst, welche Fertigkeiten und Verhaltensweisen den idealen Mann auszeichnen sollen. Unter Rückbezug auf die Erzählungen Šaʿbān Ǧaʿfarīs (die sich diesbezüglich mit den Erfahrungen der Betrachtung der persönlichen Geschichte Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs decken) ist ein Mann dann ein idealer Repräsentant maskuliner Tugenden, wenn er zu Schützen in der Lage ist. Letzlich geht es dabei um den Schutz seiner eigenen Position, die über seinen Ruf – seine Ehre – definiert wird. Der Angriff auf diese Position erfolgt stets als Angriff auf das ‚zu schützende Gut‘, beispielsweise die Ehre der mahelle. Oder auf die Menschen, die es zu schützen gilt – und hier werden sich wohl Dominanzverhältnisse quantifizieren lassen. So wird der Begriff des Schutzes zu einem gegenderten Begriff, wobei derjenige „maskuliner“ ist, der den Schutz im Angebot hat. Maskulinität wird auf diesem Weg in einen unmittelbaren diskursiven Zusammenhang zur Dominanz gebracht und hilft, Hierarchien zu definieren.

Auch das Beispiel Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾīs verdeutlicht dies, der – anders als Šaʿbān Ǧaʿfarī – bis heute in der populären Immagination Irans als ein Akteur wahrgenommen wird, der das Konzept des ǧavānmardī nicht nur verkörpert, sondern auf den es in besonderer Weise appliziert wird, der in seiner Biographie gar als ǧavānmard-e bozorg – als „großer“ oder besonders idealer Mann – bezeichnet wird.813 Unter Bezugnahme auf den Tod Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī führt Fariba Adelkhah aus: „In short Teyyeb had a sense of family, of sharing, of giving and of justice, qualities crowned by the courage (shojâ'at) which he proved by sacrificing his life, in refusing to utter the words which an all-powerful government wanted to put in his mouth. Those are the essential characteristics of a javânmard, updated to fit the second half of the twentieth century.”814 Zwar kann mit der Fokussierung auf den Tod eines Akteurs nicht sein Einfluss auf das angerufene Konzept zu Lebzeiten

812 Ridgeon, „The Zūrkhāna between Tradition and Change“, 244. 813 Gerūh-e farhangī-ye Šahīd-e Ībrahīmhādī, Ṭayyeb, 13. 814 Adelkhah, Being Modern in Iran, 37. 218 abgestellt werden, Adelkhah macht aber zudem deutlich, dass die Lebensgeschichte des Akteurs den Lebenswandel eines Menschen widerspiegelt, der als ǧavānmard im historischen Moment wahrgenommen wurde und dass dies insbesondere auch durch seine ambivalente soziale Rolle bestätigt wird.815

Im Ergebnis lässt sich somit konstatieren, dass sowohl Šaʿbān Ǧaʿfarī als auch Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī durch ihre Beispiele ein bestimmtes Idealbild von Maskulinität nicht nur durch ihre Postion als Gewaltakteure zitieren, sondern dies durch Verweise auf Konzepte und Konfigurationen von als ideal wahrgenommer Maskulinität gleichsam selbst transportieren. So verkörpern die Akteure nach hier vertretener Auffassung das Phänomen eines reziproken Effektes zwischen Gewalt und Maskulinität, in dem beide Begriffe sich gegenseitig zu legitimieren helfen. Dies lässt sich wiefolgt darstellen:

Gewaltanwendung muss legitimiert werden, konstatiert Peter Imbusch.816 Er führt aus:

„Je nach dem, um welche Art und welchen Typus von Gewalt es sich handelt, können unterschiedliche Rechtfertigungen für Gewalttaten ins Feld geführt werden, deren Legitimität sich an den jeweils vorherrschenden Normen einer Gesellschaft orientiert. Von solch übergeordneten Normen und Werten ist es abhängig, ob eine Gewaltausübung als legal oder als illegal angesehen wird, ob sie als legitim oder als illegitim erscheint“817 Ein Akteur, der sich bei der Anwendung von Gewaltoptionen auf seine Männlichkeit beruft, gibt vor, durch diese Anrufung sein Gewalthandeln zu legitmieren. Das Beispiel des ǧavānmardī-Ethos zeigt dabei, dass er im hier untersuchten Kontext (die hier vorgenomme Untersuchung unterstellt jedoch eine Übertragbarkeit auf weitere historische Konfigurationen) sich auf einen Maskulinitätsbegriff berufen kann, der die Anwendung von „gerechter Gewalt“ – Gewalt zum Schutz also –

815 Ebd., 37–38: „Teyyeb’s ambivalent role is not at all exceptional. It is typical of most life stories of javanmard. Everything depends […] on which gate we use to enter their life stories: on the courtyard side or the garden side? […] On the ‚garden side‘ we have Teyyeb’s spirit of generosity. […] On the ‚courtyard side‘ is the darker side of the man, often involving the use of force. Courage can be another word for blind obstinacy, authoritarianism, despotism and atavistic attachment to an outdated way of life.“ 816 Vgl. Peter Imbusch, „Der Gewaltbegriff.“ in Internationales Handbuch der Gewaltforschung, hrsg. von Wilhelm Heitmeyer und John Hagan, 26–57 (Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2002), 36. 817 Ebd. 219 mitdenkt. Seinem Gewalthandeln liegt so einerseits ein gegenderter Schutzbegriff zugrunde, andererseits wird es so über den Begriff der Maskulinität selbst legitmiert. Zugleich aber fordert der Maskulinitätsbegriff das Schutzversprechen auch ein. Es kann auch nur derjenige sich auf die Maskulinität berufen, der zu schützen in der Lage ist. Der also zumindest gewaltsam handeln kann. Im Ergebnis legitimieren sich Maskulinität und Gewalt gegenseitig.

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Die oben vorgenommene Evaluation des Racket-Begriffs der Frankfurter Schule zeigte, dass man sich zunächst bestenfalls implizit mit den Problemen der Legitimität von Monopolstellungen auseinandersetzte. Wenn Horkheimer konstatiert, dass offizielle Rechtstitel die Zughörigkeit zu einem Racket bestätigen würden und der „im Namen aller zeichnende Staat“ dadurch bestätigen würde, dass der Inhaber in das System eingepasst sei,818 dann wird damit eine Ebene der Legitimation angesprochen, die Ergebnis der Ausdifferenzierung des Racket- Systems ist. Es ließe sich argumentieren, dass der Begriff der Verhärtung, welcher die Monopolisierung der Vorteile eines Rackets erfassen soll,819 eben darauf abzielt, jene Prozesse zu beschreiben, die dazu geeignet sind, ein bestimmtes Monopol nicht in Frage zu stellen. Der Fokus auf den Begriff der Verhärtung umfasst so im Kern die Beschäftigung mit den Fragen der Legitimität und des Konsenses. Dies ist im Falle der Rechtstitel ebenso evident wie im Falle des staatlichen Gewaltmonopols. Gleichwohl aber beschreibt dieser Begriff lediglich das empirisch fassbare Ergebnis eines Prozesses. Im vorliegenden Fall wurde argumentiert, dass die Herrschaft des Racket des Shahs in jenem Moment evident wurde, als das Gewaltmonopol des Staates nach den Protesten von 1963 zunächst nicht mehr in Frage stand und ein Konsens über die Tatsache des staatlichen Gewaltmonopols bestand – wenn es auch möglicherweise nicht als „legitim“ mit seiner moralischen Konnotation wahrgenommen wurde. Damit wurde es möglich, durch die Darstellung der zugrundeliegenden Prozesse der Verhärtung auf Herrschaftskonfigurationen zu schließen, die sonst verborgen geblieben wären. Dieses Beispiel zeigt aber auch,

818 Vgl. Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 289. 819 Ebd., 288. 220 dass der Verhärtungsbegriff lediglich ein heuristisches Werkzeug in der Analyse von Herrschaftskonfigurationen anbietet und keinen eigenständigen theoretischen Terminus bildet. Er beschreibt nicht, welche Faktoren es sind, die die Prozesse der Monopolisierung der Vorteile in Gang setzen.

Die der Verhärtung zugrundeliegenden Prozesse sollen aber vorliegend theoretisch fassbar gemacht werden, indem argumentiert wird: Die Monopolisierung von Vorteilen werden durch Zwang implementiert und durch Ideologien der Dominanz auf Dauer gestellt. Solche Ideologien der Dominanz treten dabei in vielschichtigen Formen auf und sind nicht auf die Fragen der Gewalt beschränkt. Gegenteilig lässt sich gerade auch beim Verweis auf den moralischen Antagonisten der Gewalt, der Intelligenz, feststellen, dass diese selbst als eine solche Ideologie zu firmieren vermag. Pierre Bourdie stellte diesbezüglich in seinem Vortrag „Der Rassismus der Intelligenz“ heraus:

„Der Rassismus der Intelligenz ist das, womit die Herrschenden versuchen, eine, wie Weber sagt, 'Theodizee des eigenen Privilegs' zu produzieren, das heißt eine Rechtfertigung der von ihnen beherrschten sozialen Ordnung. Er ist das, was den Herrschenden das Gefühl gibt, in ihrer Existenz als Herrschende gerechtfertigt zu sein; das Gefühl, Wesen höherer Art zu sein. Jeder Rassismus ist ein Essentialismus, und der Rassismus der Intelligenz ist die charakteristische Form der Soziodizee einer herrschenden Klasse, deren Macht zum Teil auf dem Besitz von Titeln wie Bildungstiteln beruht, die als Gewähre für Intelligenz gelten und in vielen Gesellschaften sogar beim Zugang zu den ökonomischen Machtpositionen an die Stelle der alten Titel etwa der Eigentums- oder Adelstitel getreten sind.“820 Diese Ausführungen lassen sich exzellent auf die Überlegungen zur Racket-Theorie übertragen und belegen die Ausdifferenzierungen, die der Zwang und die ihn begleitende Verhärtung über Ideologien der Dominanz erfahren. Stellen akademische Grade die Voraussetzung für den Zugang zu Schlüsselpositionen und Teilhabe in den spezifischen Rackets dar, ist es zugleich erst der Verweis auf die Intelligenz, der dieses System legitimiert. Sie wird so zu einer Ideologie der Dominanz.

820 Pierre Bourdieu, „Der Rassismus der Intelligenz [Vortrag 1978].“ in Soziologische Fragen. 1. Aufl., 252–256, Edition Suhrkamp (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993), 252–253. 221

Dies wurde so in der Racket-Theorie selbst nicht ausgearbeitet, gleichwohl sind die zugrundeliegenden Ideen aber in diese inkorporierbar, werden doch ähnliche Phänomene in der Dialektik der Aufklärung durch Max Horkheimer und Theodor W. Adorno angesprochen, wo sie ausführen, dass der Starke gegenüber dem Schwachen nur auf seine Natur verweisen muss, um seine Gewalttaten zu rechtfertigen.821 Dieser Gedanke findet zumindest auch Erwähnung in Horkheimers „Die Rackets und der Geist“, wo davon ausgegangen wird, dass in einer fiktiven Urhorde die Hierarchie zunächst durch die Abstufung der Stärke bestimmt wird.822 Dem müsste jedoch bereits auch ein sozialer Prozess vorausgehen, da Dominanz ja nicht dauerhaft durch Körperkraft aufrechterhalten werden kann – in keiner sozialen Konfiguration befinden sich die Mitglieder im dauerhaften Armdrücken miteinander –, sondern mit der Einrichtung der Hierarchie ein Punkt erreicht ist, in dem der Verweis auf die Stärke des Anführers genügt, bereits also ein Konsens über seinen auf den Körper verweisenden Führungsanspruch erfolgte.

Diesem Gedanken weiter folgend kann man zur Produktivität der Einarbeitung gendertheoretischer Überlegungen in die Racket-Theorie gelangen, wenn man feststellt, dass Maskulinität als eine Ideologie der Dominanz darüber definiert ist, dass der Begriff im Kern einen diskursiven Verweis auf einen vermeintlich natürlichen Unterschied zwischen Mann und Frau darstellt. An dieser Stelle soll mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass hier keine Aussagen über biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen gemacht werden und dass eine essentialistische Diskussion über die physischen Voraussetzungen der Geschlechter nicht angestrebt wird. Es geht allein um den Hinweis, dass der Begriff der Maskulinität immer den Verweis auf einen angeblich physisch überlegenen Körper beinhaltet und so die Anrufung der Maskulinität geeignet ist, Dominanzbeziehungen

821 Vgl. Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, 107.. Horkheimer und Adorno zitieren Sade (Juliette, 1, 208ff.): „Aber was wahrhaft in den Gesetzen dieser weisen Mutter ist, das ist die Verletzung des Schwachen durch den Starken, weil, um zu diesem Verfahren zu kommen, er nur die Gaben benutzen muß, die er erhalten hat; er bekleidet sich nicht wie der Schwache mit einem anderen Charakter als dem eigenen; er setzt nur die Äußerungen dessen, den er von Natur erhalten hat, in Aktion. Alles, was daraus resultiert, ist also natürlich: seine Unterdrückung, seine Gewalttaten, seine Grausamkeiten, seine Tyranneien, seine Ungerechtigkeiten ... sind rein wie die Hand, die sie ihm aufprägte; und wenn er von all seinen Rechten Gebrauch macht, um den Schwachen zu unterdrücken und zu berauben, begeht er nur die natürlichste Sache der Welt.“ 822 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 287. 222

– und somit Ungleichheit – durch Naturalisierung zu legitimieren. Ein entscheidendes diskursives Werkzeug in diesem Prozess stellt dabei der gegenderte Begriff des Schutzes dar, der vorgibt sich unabhängig von den Fragen nach dem Geschlecht zu positionieren, verbunden mit der männlichen Prärogative der Gewaltanwendung (Das oben besprochene Phänomen der reziproken Legitimierung von Maskulinität und Gewalt konnte dies aufzeigen.) aber zur Naturalisierung von Dominanzbeziehungen und der Ideologisierung des Begriffes der Maskulinität in diesem Sinne beiträgt.

Ein so verstandener Maskulinitätsbegriff kann als missing link der Racket-Theorie präsentiert werden, da es dort ja heißt, dass die Okkupation der Schlüsselpositionen in der gesellschaftlichen Apparatur die „ursprünglich rein auf natürliche Potenzen begründete Hierarchie der Macht modifiziert“823 und erst so zur „zweiten Natur“ werde. Wenn nun aber die Gesellschaft weiter auf der ersten Natur begründet bleibt und diese nur versklavt ist, wie Horkheimer ausführt,824 dann muss auch der Naturalisierung von Dominanzbeziehungen noch ein Platz zuzuweisen sein – erneut unabhängig von der Frage, ob die unterstellten Hierarchien zwischen Mann und Frau zutreffend wären oder nicht. Es geht allein um den diskursiven Rückbezug auf vermeintlich natürliche Unterschiede. Der Hinweis, dass die erste Natur versklavt sei, kann nur so verstanden werden, dass der Verweis auf ein vermeintliches Naturgesetz des Stärkeren als legitimatorische Grundlage für Herrschaftsstrukturen auch in ausdifferenzierten Systemen der Neuzeit weiterhin Bestand hat.

Tatsächlich haben Horkheimer und Adorno diesbezüglich bereits die intellektuelle Stoßrichtung vorgegeben, konstatieren sie doch in den Ausarbeitungen zur Dialektik der Aufklärung, dass die Idee der Männergesellschaft auf der Konstruktion der körperlichen Schwäche der Frau beruhe und in dieser Folge auch der Zugriff auf die Vernunft, deren Ziel die Beherrschung der Natur ist, als Prärogative des Mannes konstruiert wurde,825 da die vermeintliche biologische Schwäche der Frau zum

823 Ebd. 824 Ebd. 825 Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, „Mensch und Tier: (Dialektik der Aufklärung: Aufzeichnungen und Entwürfe).“ in Gesammelte Schriften: Band 5: 'Dialektik der Aufklärung' und Schriften 1940-1950, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, 277–287 (Frankfurt am Main: Fischer, 1987), 280: „Die Frau ist nicht Subjekt. Sie produziert nicht, sondern pflegt die Produzierenden [...]. Sie wurde zur Verkörperung der biologischen Funktion, zum Bild der Natur, in deren Unterdrückung der Ruhmestitel dieser Zivilisation 223

Stigma geworden sei, denn: „Wo Beherrschung der Natur das wahre Ziel ist, bleibt biologische Unterlegenheit das Stigma schlechthin, die von Natur geprägte Schwäche zur Gewalttat herausforderndes Mal.“826

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Entscheidend für die Frage der Kompatibilität spezifischer Ideen aus den Gender- Studies mit den Ausarbeitungen der Theoretiker der Frankfurter Schule zum Prinzip der Rackets ist die Tatsache, dass feministische Studien bereits früh eine gegenderte Wahrnehmung des Begriff des Schutzes – dem zentralen theoretischen Begriff für die Racket-Theorie also – diskutiert haben und ihm einen zentralen Stellenwert einräumen. Wie fruchtbar eine Genderperspektive für die Weiterentwicklung des Racket-Gedankens der Kritischen Theorie, in welchem das Schutzversprechen ja den Ausgangspunkt der Vergemeinschaftung definier, sein kann, verdeutlicht bereits das folgende Statement aus dem Feld der feministischen Theorien von Judith Stiehm:

„A person who is protected may be quite safe from attack. She may be so because a protector effectively threatens or uses force on her behalf. She, however, does not use force; for that she is dependent on her protector. She is so because men have a near monopoly on the means of destruction - a means as fundamental to government as the means (1) of production (analyzed by Marxist theorists) and (2) of reproduction (analyzed by feminist theorists).”827

bestand. Grenzenlos Natur zu beherrschen, den Kosmos in ein unendliches Jagdgebiet zu verwandeln, war der Wunschtraum der Jahrtausende. Darauf war die Idee des Menschen in der Männergesellschaft abgestimmt. Das war der Sinn der Vernunft, mit der er sich brüstete. Die Frau war kleiner und schwächer, zwischen ihr und dem Mann bestand ein Unterschied, den sie nicht überwinden konnte, ein von Natur gesetzter Unterschied, das Beschämendste, Erniedrigendste, was in der Männergesellschaft möglich ist.“ 826 Ebd., 281. Es heißt weiter: „Das Bürgertum heimste von der Frau Tugend und Sittsamkeit ein: als Reaktionsbildungen der matriarchalen Rebellion. Sie selbst erreichte für die ganze ausgebeutete Natur die Aufnahme in die Welt der Herrschaft, aber als gebrochene. Sie spiegelt, unterjocht, dem Sieger seinen Sieg in ihrer spontanen Unterwerfung wider: Niederlage als Hingabe, Verzweiflung als schöne Seele, das geschändete Herz als den liebenden Busen. […] Hinder der Bewunderung des Mannes für die Schönheit lauert jedoch stets das schallende Gelächter, der maßlose Hohn, die barbarische Zote des Potenten auf die Impotenz, mit denen er die geheime Angst betäubt, daß er der Impotenz, dem Tode, der Natur verfallen ist.“ 827 Stiehm, „The Protected, the Protector, the Defender“, 368. 224

Die dieser Aussage zugrundeliegende Feststellung, dass sich neben den für marxistische und feministische Theorien wesentlichen Begriffen für die Implementierung von Herrschaft noch das Monopol über „the means of destruction“ gesellt, kann analog zu den Kerngedanken der theoretischen Überlegungen Horkheimers und Adornos in der Racket-Theorie gelesen werden. Judith Stiehm will zwar keine Theorie der Gewalt entwickeln, sie erhebt jedoch das Monopol auf Gewalt zu einem Prinzip von Herrschaft, ebenso wie Horkheimer und Adorno Zwang und Gewalt als ursächlich für die Errichtung von Herrschaftskonfigurationen erachten und so in den Mittelpunkt der Konstituierung von Gesellschaften stellen. Die theoretische Nähe Stiehms zu den Gedanken Horkheimers und Adornos lässt sich noch weiter strapazieren, wenn man darauf hinweist, dass Stiehm bei ihrer Besprechung des gegenderten Wesens des Schutzes nicht nur auf das Schutzversprechen kapriziert, sondern auch – ganz im Sinne der Racket-Theorie – auf die mit dem Schutzversprechen verbundene Drohung. Sie führt aus: „What are the ways protector and protected may relate to each other? In the classic protection racket an individual offers protection from an ambiguous foe (in fact, himself) for a price.”828

Die Ambiguität der Konnotation des Schutzes taucht von Horkheimer über Tilly bis Stiehm in den unterschiedlichsten theoretischen Perspektiven wiederholt auf und ist gleichsam als wissenschaftlicher Konsens zu begreifen. Fraglich ist jedoch, woher nun argumentiert werden sollte, dass der Schutz eine gegenderte Konnotation in sich trage. Hier reicht nicht die Unterstellung Judith Stiehms, dass die Männer ein Monopol auf Gewalt besäßen, sondern es muss differenzierter formuliert werden, dass Maskulinität durch einen naturalisierenden Verweis auf eine vermeintliche körperliche Überlegenheit ein Monopol auf Gewalt impliziert. Dass dies eine zulässige generalisierbare Beobachtung ist, vermag durch einen Verweis auf Horkheimers Aussagen unterstrichen werden, der „das Racket der Männer“ als eines jener Rackets identifiziert, die „allen gesellschaftlichen Erscheinungen seinen Stempel aufgedrängt hat“.829 Es ist jedoch erst die empirische Belegbarkeit, die diese Vermutungen zu verifizieren vermag. Die Geschichte der Austauschbeziehungen

828 Ebd., 373. 829 Max Horkheimer, „Die Rackets und der Geist [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 291. 225 zwischen den drei hier besprochenen Racketeers Neʽmatollāh Naṣīrī, Šaʿbān Ǧaʿfarī und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī ist nicht nur strukturell die Geschichte des Kampfes um das Gewaltmonopol, sondern auch diskursiv und ideologisch die Geschichte des Kampfes um das Recht, schützen zu dürfen und zu können. Im Falle der beiden informellen Akteure wird dies ganz explizit durch die gegenderte Darstellung der Schutzinteressen deutlich, sodass auch der Kampf zwischen den Akteuren in dieser Hinsicht zu lesen ist. Derjenige ist maskuliner (und damit dominanter) der es schafft, den anderen von seinem Schutz abhängig zu machen – so nimmt es kaum wunder, dass Šaʿbān Ǧaʿfarī den Angriff auf seinen Sportklub durch Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī Männer (und Schutzbefohlene) als unbeabsichtigten Unfall darzustellen versucht.

Die Verbindung dieser Gedanken zum gegenderten und naturalisierten Begriff des Schutzes bei dem gleichzeitigen Verweis auf die These von der reziproken Legitimierung von Maskulinität und Gewalt führt so zur bereits mehrfach angedeuteten These, dass Maskulinität eine Ideologie der Dominanz repräsentiert, die dazu geeignet ist Herrschaftskonfigurationen zu legitimieren.

Der relationale Charakter des Maskulinitätsbegriff wurde bereits durch den Begriff der Hegemonic Masculinity durch Raewyn Connell und James Messerschmidt ausführlich diskutiert830 und soll hier nicht weiter debattiert werden. Es reicht der Hinweis, dass durch die Wahrnehmung der Maskulinität als Ideologie der Dominanz einerseits der Beobachtung Rechnung getragen wird, dass dem Maskulinitätsbegriff ein Ungleichheit evozierender relationaler Gedanke zugrundeliegt, dass er andererseits aber dazu berechtigt, personale Konfigurationen in den Blick zu nehmen und die dort über den Maskulinitätsbegriff verhandelten Dominanzbeziehungen offenzulegen. Es wird nicht die Frage zu stellen sein, wie eine bestimmte Maskulinitätskonfiguration definiert ist, ob sie als hegemonial oder sublimiert oder dergleichen angesehen werden muss, sondern es lassen sich in der Interaktion der Akteure selbst die entsprechenden Herrschaftskonfigurationen ablesen – ganz im Sinne der Racket-Theorie.

830 Vgl. Raewyn Connell, Masculinities, 2. Aufl. (Cambridge: Polity Press, 2005); Raewyn Connell und James W. Messerschmidt, „Hegemonic Masculinity: Rethinking the Concept.“ Gender and Society 19, Nr. 6 (2005): 829–859; James W. Messerschmidt, Masculinities in the Making: From the Local to the Global (Rowman & Littlefield Publishers, 2015). 226

Auf den hier untersuchten Fall angewandt bedeutet dies, dass die informellen Gewaltakteure der Straße ihr Gewalthandeln über eine Ideologie der Dominanz legitimieren konnten, indem sie auf den gegenderten Begriff des Schutzes verweisen konnten. Der eine Dominanzbeziehung transportierende Schutzaspekt wird dabei als Prärogative des Mannes behauptet und seine Durchsetzung über den Verweis auf die Maskulinität der Akteure forciert und legitimiert. Das letztliche Scheitern der beiden untersuchten informellen Akteure bedingt dabei nicht nur unmittelbar deren hierarchischen Abstieg innerhalb der Mechanismen der Herrschaft, sondern symbolisiert auch die Verhärtung des ausdifferenzierten Gewaltapparates gegenüber den Mechanismen der konkurrierenden Ideolgien der Dominanz.

4.2 Paradigmen der Iranstudien – Historiographische Implikationen

Gemäß den hier zugrundeliegenden theoretischen Perspektiven, bietet der Blick auf das historische Auftreten jener Akteure, durch welche die entsprechenden Rackets – und damit die maßgeblichen Sozialkonfigurationen – konstituiert werden, nicht nur die Möglichkeit, Ableitungen in Bezug auf die Dynamiken der Herrschaftskonfigurationen zu treffen, sondern auch übergeordnete historiographische Implikationen zu formulieren. Danach liegt nach hier vertretener Auffassung eine sozialwissenschaftliche Stärke der Racket-Theorie darin, dass sie nicht auf statische Konzeptionen rekurriert, sondern durch den Verweis auf die spezifischen Interessen der Individuen die Dynamik von Sozialkonfigurationen einfangen kann. Es ergeben sich aus der Analyse des Auftretens von Šaʿbān Ǧaʿfarī und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī einige Implikationen, die relevante Beiträge für die Debatten um einige iranistische Paradigmen anbieten.

4.2.1 Modifikation der Thesen zur bazar-mosque-alliance

Nach der Analyse der Taten, Handlungen und politischen Positionierungen der beiden Racketeers Šaʿbān Ǧaʿfarī und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī muss die Prämisse von der natürlichen Allianz von Bazar und Moschee überdacht werden. Die These, dass sich die politischen Befindlichkeiten urbaner Unterschichten meist in religiösen

227

Begrifflichkeiten ausdrücken, ist zunächst keine, die auf die Analyse der Geschichte Irans beschränkt bleibt. Gegenteilig hat Eric Hobsbawm dies zu einem generalisierbaren Paradigma erhoben, als der formulierte:

„Der Mob kann als die Bewegung aller Schichten der städtischen Armen definiert werden, die für Erreichung ökonomischer oder politischer Änderungen durch direkte Aktion eintritt, d. h. durch Aufruhr oder Rebellion; sie ist jedoch eine Bewegung, die von keiner bestimmten Ideologie inspiriert ist; sofern es ihr gelang, einen Ausdruck für ihr Streben zu finden, dann in Begriffen des Traditionalismus und Konservativismus (der ‚Thron-und-Altar-Mob‘)“831 Für den Fall Irans wurde die These vom „Thron-und-Altar-Mob“ jedoch in einer Weise übernommen, die in zahlreichen Analysen der Geschichte des 20. Jahrhunderts dazu verleitete, mit dem politischen Auftreten eines Ayatollāhs die Erhebung des Bazars und der mit ihm assoziierten Milieus im Sinne dieses religiösen Akteurs wie magisch vorauszusetzen. Dies ist jedoch – und das zeigen die Geschichten der beiden hier vorgestellten Racketeers aus dem Milieu der lūṭīs – nicht haltbar.

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Theda Skocpol hatte bereits 1982 in ihrer frühen Analyse der Iranischen Revolution von 1978-79 „urban communities“ als Basis des politischen Widerstandes im modernen Iran. Sie konstatierte:

„In many social revolutions, the most politically significant popular revolts have been grounded in village communities, damaged by ‘modernizing’ social change, but still intact as centers of autonomous, solidary opposition to dominant classes and the state. Peasant village communities were not, however the basis for popular insurrections in the Iranian Revolution. Instead, opposition to the Shah was centered in urban communal enclaves where autonomous and solidary collective resistance was possible.”832 In der Folge stellt sie fest, dass diese urbanen Hintergründe der Revolution ihrehistorischen Gründe in der Tatsache finde, dass die sozioökonomische Welt des Bazars das Zentrum des städtischen Lebens Irans bilde und daher die traditionellen

831 Eric J. Hobsbawm, „Großstädtischer Mob.“ in Sozialrebellen, 139–160 (Neuwied, Berlin: Luchterhand, 1971), 141. 832 Theda Skocpol, „Rentier State and Shi'a Islam in the Iranian Revolution.“ Theory and Society 11, Nr. 3 (1982): 265–283, 271. 228 urbanen Gemeinschaften Irans nicht eine unorganisierte Einheit isolierter und orientierungsloser Individuen darstellen würden, sondern im Gegenteil: „Iran’s traditional urban communities remained buzzing centers of economic activity and rich associational life.“833 Insbesondere der Teheraner Bazar habe sein im Laufe der Geschichte mehrfach unter Beweis gestelltes ihm inhärentes revolutionäres Potential bis in die 70er Jahre hinein konservieren können.834 Gleichwohl bleibt der großen Revolutionsforscherin und Theoretikerin sozialer Bewegungen endlich aber nur die Feststellung, dass sie sich bezüglich der tatsächlichen und koordinierten Mobilisierung des subalternen Milieus während der Iranischen Revolution vor einem Rätsel sieht: „Still, we have not yet solved the mystery of why, even if it was collectively possible for them to launch demonstrations and sustain strikes, urban Iranians ended up actually doing so in such large, well-coordinated numbers.”835

Um – wie von Skocpol gefordert – dieses auch für den Untersuchungszeitraum zwischen 1941 und 1963 relevante Mysterium der koordinierten Mobilisierung des Milieus des Bazars zu lösen, verlangt der Begriff des Bazars zunächst nach einer Evaluation der sozioökonomischen Bedeutung des entsprechenden Genres. Die umfassendsten Überlegungen diesbezüglich hat Arang Keshavarzian 2007 mit seiner anthropologischen Studie Bazaar and State in Iran: The Politics of the Tehran Marketplace vorgelegt und dort bereits auf den Umstand hingewiesen, dass die große Mehrheit der Arbeiten über den Bazar entweder auf eine mythische Dimension seiner Bedeutung und Größe abstellen, oder ihnin generalisierende theoretische Zusammenhänge stellen, ohne seine Bedeutung selbst genauer zu untersuchen.836 Keshavarzian schlägt in seiner Konzeptualisierung des Bazars for, ihn zu verstehen als „a bounded space containing a series of socially embedded networks that are the mechanisms for the exchange of specific commodities.“837

Keshavarzian führt in einer verknappten Geschichte des Teheraner Bazars an, dass dieser sich bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert analog zu anderen Marktplätzen

833 Ebd. 834 Ebd., 272. 835 Ebd. 836 Arang Keshavarzian, Bazaar and State in Iran: The Politics of the Tehran Marketplace. Cambridge Middle East studies 26 (Cambridge, UK, New York: Cambridge University Press, 2007), 41. 837 Ebd. 229 im Nahen Osten in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Zentren der royalen und administrativen Macht befand, so dass man von einer räumlichen und strukturellen Verschmelzung von Palast und Marktplatz sprechen konnte.838 Dies konnte in vorliegender Untersuchung bestätigt werden, wo mehrfach auf die Bedeutung der räumlichen Nähe zwischen den unterschiedlichen Genres Bazar, Parlament, Palast, Kasernen und dergleichen hingewiesen wurde. Zudem war nach Keshavarzian festzustellen, dass die Teheraner Einwohner um die Jahrhundertwende zunehmend vom Status als Hauptstadt profitieren konnten. Die verbesserten Sicherheitsbedingungen, fortschreitende Kapitalakkumulation und eine international zur Kenntnis genommene politische Bedeutung der Stadt hätten unmittelbare Effekte auf den Bazar im ausgehenden 19. Jahrhundert gehabt.839 Zudem führt Hooshang Bahrambeygui in seiner Analyse des urbanen Teherans aus, dass sich der Bazar nicht nur als Folge des Anwachsens der Stadt vergrößerte, sondern gar selbst den zentralen Ort urbanen Wachstums und Prosperität in Teheran repräsentiert habe, sodass man schließen könne: „a focal point of growth for Tehran in the 19th century was between the Arg [der Palast, OG] and the bazaar, the area which now covers that part of Tehran known as Sabzeh Maidan.“840

Wenn man sich von der Bedeutung des Marktplatzes lösen und dem Begriff des Bazars einen analytischen Wert geben möchte, dann muss – so die Vermutung – die hier dargestellte ökonomische und soziale Konzentration auf einen begrenzten Ort für die Konzeptualisierung des Bazars von großer Bedeutung sein, da die Lebenswelten seiner Angehörigen durch dieses Faktum entscheidend mitgeprägt sind. Die räumliche Dimension wird jedoch erst durch die Entwicklungen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts eklatant werden. Zum einen vergrößerten sich noch jene oben beschriebenen Hauptstadteffekte, da Iran sich durch interne wie externe

838 Siehe die Erklärung des Phänomens bei Hooshang Bahrambeygui, Tehran: An Urban Analysis (Durham University, 1972); Durham theses. http://etheses.dur.ac.uk/10398/ (letzter Zugriff: 10. Juni 2016), 23: „The proximity of the Arg and the bazaar was not an incidental matter for the city's revenues to the government came chiefly from the bazaar and for safety and convenience it was therefore useful for the Arg and the bazaar to be close to one another. 839 Keshavarzian, Bazaar and State in Iran, 42: „The city expanded in terms of population and size, and government investments in the Bazaar area helped improve and increase the number of caravanserais and shops.” 840 Bahrambeygui, Tehran: An Urban Analysis, 23. 230 politische Ereignisse in einen zentralen Nationalstaat gewandelt hatte.841 Zum anderen wurde durch die radikal umgesetzten Infrastrukturmaßnahmen des seit 1925 als Shah regierenden Reżā Pahlavī die physische Struktur der Hauptstadt massiv verändert.842 Die Regierungszeit Reżā Šāhs zeichnete sich durch den Versuch aus, Iran in Begrifflichkeiten einer progressiven Nation zu reformieren,843 und Ervand Abrahamian stellt etwa fest, dass der Herrscher als „großer Advokat urbaner Erneuerung“844 persönlich dafür verantwortlich zeichnete, dass an Teheran die sichtbarsten Zeichen seiner Politik festzustellen sind. Dies gilt nicht nur bezüglich der Verdoppelung der Bevölkerungszahlen zwischen 1900 und 1935 (von 250.000 auf 500.000845), sondern auch aufgrund der Neuordnung ganzer Stadtviertel und Straßenzüge – drastischer formuliert: „The city’s face changed so much that the new generation could no longer locate places that had been familiar to their parents and grandparents.“846 Ein Umstand, der auch das Leben der hier vorgestellten Akteure prägte, wie Šaʿbān Ǧaʿfarīs Bericht bestätigte, der vom vollständigen Abriss seines Geburtsviertels aus Hygienegründen erzählte.847

Von entscheidender Bedeutung für das Genre des Bazars ist in diesem Zusammenhang die Implementierung des neuen Verkehrsplans von 1937, der große Durchbruchstraßen in Nord-Süd- und Ost-West-Achsen festlegte.848 Entgegen der Auffassung von dem Bazar als einem genuin traditionellen und „schon immer dagewesenen“ abgeschlossenen Ort ist so paradoxerweise erst in der Folge der

841 Keshavarzian, Bazaar and State in Iran, 42: „The concentration of resources and facilities in Tehran and the creation of state monopoly firms in the 1930s, along with the relative decline of other economic centers (notably Isfahan, Tabriz, and Kashan), helped attract and concentrate commercial and industrial capital in Tehran. The Bazaar that dated back to the seventeenth century was the logical magnet for economic activities.” 842 Bahrambeygui, Tehran: An Urban Analysis, 28. 843 Bianca Devos und Christoph Werner, „Introduction.“ in Culture and Cultural Politics under Reza Shah: The Pahlavi State, New Bourgeoisie and the Creation of a Modern Society in Iran, hrsg. von Bianca Devos und Christoph Werner, Iranian studies 18 (Abingdon, New York: Routledge, 2014), 1. 844 Ervand Abrahamian, „The Iron Fist of Reza Shah.“ in A History of Modern Iran, 63–96 (Cambridge: Cambridge Univ. Press, 2008), 89. 845 Ebd., 90.. Die Zahlen decken sich mit jenen von Bahrambeygui. Siehe: Bahrambeygui, Tehran: An Urban Analysis, 27 & 31. 846 Ervand Abrahamian, „The Iron Fist of Reza Shah.“ in A History of Modern Iran (s. Anm. 844), 90–91. 847 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 21. 848 Martin Seger, Teheran: Eine stadtgeographische Studie (Wien, New York: Springer-Verlag, 1978), 15–16. 231 sofortigen Umsetzung der entsprechenden, unter dem Schlagwort der Modernisierung durchgesetzten Stadtplanungsprojekte849 ab Ende der 1930er Jahre von einem durch ein Straßensystem räumlich klar definierten Teheraner Bazar zu sprechen.850 Zugleich wird im Kontrast hierzu der den Erfordernissen der Zeit entsprechend expandierende Bazar-Handel in zunehmender Form als Groß- und Zwischenhandel geführt.851 Im Ergebnis mag man insofern Theda Skocpol entgegenhalten, dass ihre Beschreibung der Danmaik der Entstehung ruraler Protestzentren auf das System des urbanen Teheraner Bazars eigentlich ganz zutrifft: Es handelt sich zumindest in räumlicher Dimension um einen Ort, der von sozialem und vor allem infrastrukturellem Wandel betroffen – oder seit den 1930er Jahren gar beschädigt – ist, gleichwohl aber intakt bleibt als (machtvolles) Zentrum autonomer Opposition zum Staat.852

Diese Annahme wird gleichsam bestätigt durch die Beobachtung des auch für die vorliegende Studie entscheidenden Effektes der hier verkürzt dargestellten Geschichte des Bazars. Keshavarzian hält wie folgt fest:

„[D]espite the morphological transformations within the Tehran Bazaar over the past century, the spatial continuity of the Bazaar has helped maintain continuity with the past. Trades and levels of economic activities have responded to changing socioeconomic forces and political initiatives, yet the Bazaar’s boundaries have remained constant and have been reinforced by the grid system built around it.”853 Diese Beobachtung wird durch die vorliegende Studie dort bestätigt, wo konstatiert wird, dass der Bazar eng mit den sich in Traditionsbezügen äußernden Milieus des zūrḫānehs und der lūṭīs verknüpft ist. Dies zeigt sich etwa auch in den persönlichen Geschichten des Akteurs Šaʿbān Ǧaʿfarī, der eigentlich gar kein bāzārī im eigentlichen Sinne ist – er besitzt keinen Laden, betreibt kein Geschäft – jedoch mit dem Genre vorbehaltlos assoziiert wird und gleichsam in ihm lebt.

849 Ebd., 15. 850 Vgl. die Karte „Fig 2.3” bei Bahrambeygui, Tehran: An Urban Analysis.; Keshavarzian notiert: „Since the 1930s, when Tehran’s moat was filled and street planning based on a grid system was developed, the Bazaar has been clearly demarcated by the street system that borders it – 15th of Khordad Street (Buzarjomehri Street11) on the north, Mawlavi Street on the south, Khayyam on the west, and Mostafa Khomeini Street (Sirus Street) on the east (Map 2.1).” Keshavarzian, Bazaar and State in Iran, 43. 851 Seger, Teheran, 130. 852 Skocpol, „Rentier State and Shi'a Islam in the Iranian Revolution“, 271. 853 Keshavarzian, Bazaar and State in Iran, 46. 232

***

Gleichwohl: Die dieser Sicht zugrundeliegenden Feststellungen führen in der wissenschaftlichen Literatur zum Bazar, seiner sozioökonomischen und seiner gesellschaftspolitischen Relevanz zu einer voreingenommenen Betrachtung, die den Bazar als eigenes Traditionssystem beschreiben möchte – und dabei dazu neigt, den Begriff des „traditionellen“ in einer Weise zu betonen, die an überkommene Eingliederungen von Phänomenen des Nahen und Mittleren Ostens als traditionell in Dichotomie zu einer westlichen Moderne erinnern. Konkrete Ausformungen erhält diese Wahrnehmung dort, wo eine vermeintliche natürliche Allianz zwischen den Religionsgelehrten (ʿolamā) und den Händlern des Bazars angenommen wird.

Nikki Keddie etwa gibt in ihrer Einleitung zu ihrem 1995 veröffentlichten Iran and the Muslim World. Resistance and Revolution zu denken, dass es mannigfaltige Gründe für „Iran’s revolutionary nature“ gebe. Auf Platz eins ihrer lediglich vier Punkte umfassenden Liste schafft es der Folgende: „(1) the unusual and powerful alliance of the bazaar and the ulama (clergy) in Iran, supported by the heavily Muslim nature of the bazaar and the ideological leadership and autonomy of the ulama.”854

Die Gründe für diese Allianz werden in der Literatur mit der Geschichte der gegenseitigen Abhängigkeiten der beiden Gruppen der bazārīs und der ʿolamā begründet, etwa bei Mehdi Mozafferi, der schreibt: „Through his financial contributions the Bazari has made himself largely the guarantor of the financial independence of the Ulama vis-a-vis the state. In return, the Ulama often interprets Islam to conform with the interests of the Bazaris.”855 Die reichhaltige iranistische Literatur, die sich dem Phänomen der Beziehungsgeschichte zwischen der schiitischen Geistlichkeit und den Händlern im Iran des 19. und 20. Jhdt. widmet, spiegelt diese Lesart wieder und sucht sie mit historischen Belegen zu verifizieren. Die Grundlage für die Annahme gemeinsamer Interessen wird dabei gemeinhin in mehreren Faktoren gesehen: traditionelle physische Nähe von Bazar und Moschee,

854 Nikki R. Keddie, Iran and the Muslim World: Resistance and Revolution (Basingstoke: Macmillan, 1995), 5. 855 Mehdi Mozaffari, „Why the Bazar Rebels.“ Journal for Peace Research 4, Nr. 28 (1991): 377– 391, 381. 233

Verwandtschaftsbeziehungen, Finanzbeziehungen und gemeinsame Teilnahme an religiösen Anlässen.856 Insbesondere die Literatur zur Tabakrevolte von 1890-92 und zur Konstitutionellen Revolution zwischen 1906 und 1911 widmet sich in mannigfachen Ausfertigungen diesem Phänomen. So verweisen insbesondere die Arbeiten von Willem Floor857 und Vanessa Martin858 auf die Rolle der bazārīs und des assoziierten Milieus der lūṭīs während der Tabakrevolte von 1890-92 und der Konstitutionellen Revolution von 1906-11. Reza Afsharis „The Pishivaran and Merchants in Precapitalist Iranian Society: An Essay on the Background and Causes of the Constitutional Revolution“859, John Forans „The Strenghts and Weaknesses of Iran’s Populist Alliance: A Class Analysis of the Constitutional Revolution“860 und Mansoor Moaddels „Shi’i Political Discourse and Class Mobilization in the Tobacco Movement of 1890-1892”861 verweisen ebenso wie Nikki Keddies Arbeiten862 paradigmatisch auf den Zusammenhang zwischen Bazar und ʿolamā bei der politischen Mobilisierung seit den 1890er Jahren. Vanessa Martin sieht die Verbindung von schiitischen Gelehrten und Händlern gar als Teil des „qajar pact“ und ordnet die ʿolamā vorbehaltlos und unmittelbar in die Hierarchien des Bazars selbst ein, wenn sie schreibt:

„The population of the bazar was divided into different groups. At the top were the wealthier merchants, especially the wholesale agents and money lenders, and the leading members of the 'ulama. Then came the

856 Keshavarzian, Bazaar and State in Iran, 232. 857 Willem M. Floor, Guilds, Merchants, & Ulama in Nineteenth-Century Iran (Washington, DC: Mage Publ., 2009); Floor, „The lūṭīs: A Social Phenomenon in Qājār Persia“; Willem M. Floor, „The Revolutionary Character of the Ulama: Wishful Thinking or Reality?“ in Religion and Politics in Iran: Shi'ism from Quietism to Revolution, hrsg. von Nikki R. Keddie, 73–100 (New Haven: Yale University Press, 1983); Willem M. Floor, „The Political Role of the Lutis in Iran.“ in Modern Iran (s. Anm. 624). 858 Vanessa Martin, „The Lutis - The Turbulent Urban Poor.“ in The Qajar Pact (s. Anm. 624); Vanessa Martin, The Qajar Pact: Bargaining, Protest and the State in Nineteenth-Century Persia. International library of Iranian studies 4 (London: Tauris, 2005). 859 Fathi, „The Role of the 'Rebels' in the Constitutional Movement in Iran“. 860 John Foran, „The Strengths and Weaknesses of Iran's Populist Alliance: A Class Analysis of the Constitutional Revolution of 1905-1911.“ Theory and Society 20, Nr. 6 (1991): 795–823. 861 Mansoor Moaddel, „Shi'i Political Discourse and Class Mobilization in the Tobacco Movement of 1890-1892.“ Sociological Forum Vol. 7, Nr. 3 (1992): 447–468. 862 Nikki R. Keddie, „Iranian Revolutions in Comparative Perspective.“ in Islam, Politics and Social Movements, hrsg. von Edmund Burke III. und Ira M. Lapidus, 298–313 (Berkeley: Univ. of California Pr, 1988), 301{Keddie 2006 #773.} 234

members of the guilds and the lesser 'ulama, and finally the mass of urban poor.”863

Die hier abgebildete Auflistung der wissenschaftlichen Literatur zur Religiosität des Bazars erhebt keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern verweist lediglich auf jenen offensichtlichen Forschungskonsens, der schließlich in Ahmad Ashrafs generalisierenden Ausführungen in „Bazaar-Mosque Alliance: The Social Basis of Revolts and Revolutions“864 mündet.

Arang Keshavarzian interveniert hier. Er unterstellt, dass diese dominante Interpretation von der Modernisierungstheorie865 beeinflusst sei, die Wandel als einen organischen Übergang von Tradition zu Moderne betrachtet.866 Danach werde der Bazar als ein System aus lebensumspannenden ökonomischen Formen, politischen Befindlichkeiten, sozialen Verhältnissen und ideologischen Überzeugungen aufgefasst und in Gänze als „traditionell“ markiert. Dieser Ansatz führt so einerseits zur Wahrnehmung der vielseitigen Natur des Bazars und zur Erkenntnis, dass dieser mehr ist als lediglich ein ökonomischer Sektor Teherans.867 Anderseits hat die unreflektierte Übernahme der dichotomen Gegenüberstellung von Tradition und Moderne, wie sie die von der Modernisierungstheorie beeinflusste Literatur vornimmt, jedoch ihre Tücken. Entsprechend stellt Keshavarzian fest:

„From within this framework the bazaar fits neatly into the category of traditional culture. The exact characteristics of the sources for this traditionalism are not delineated, but it is clear that authors working in this paradigm are implying that the bazaar is united by a generalized set of principles, shared set of norms, and outlook.”868 Diese Wahrnehmung führt zu eben jenem wissenschaftlichen Konsens, der die sozioökonomische Bedeutung des Teheraner Bazars in den oben dargestellten Interpretationen einer „schiitisch-ökonomischen Allianz“ verwirklicht sieht und die schließlich in Ahmed Ashrafs Feststellung gipfelt, dass der Bazar in „der islamisch-

863 Martin, The Qajar Pact, 17. 864 Ahmad Ashraf, „Bazaar-Mosque Alliance: The Social Basis of Revolts and Revolutions.“ International Journal of Politics, Culture, and Society 1 (1988): 538–567. 865 Vgl. vor allem Daniel Lerner, Passing of Traditional Society: Modernizing the Middle East (Macmillan, 1958). 866 Keshavarzian, Bazaar and State in Iran, 47. 867 Ebd. 868 Ebd., 48. 235 iranischen Stadt“ nicht nur zentraler Marktplatz und neben der Moschee ein weiterer Ort außerfamiliärer Geselligkeit sei, sondern ein soziokulturelles Milieu traditionellen urbanen Lebensstils. Darüber hinaus konstatiert er: „The Bazar in contemporary Iran has performed two more roles of great significance; a socioeconomic and power base of the Shiʿite religious establishment; and a bastion of political protest movements.”869

Die von Keshavarzian aufgeführten Interventionen gegen diese Interpretation des sozialen und politischen Milieus des Bazars sind für vorliegende Studie nun von hoher Relevanz und verlangen ihre Darstellung in vierfacher Hinsicht. Erstens stellt er fest, dass mit der „Traditionalisierung“ des Bazars seine Exotisierung einhergeht, durch die wiederum eine theoretische Durchdringung der Phänomene rund um den Ort und seine Mitglieder unmöglich wird. Anschaulich stellt er dies paradigmatisch am Beispiel von Nikki Keddies Studie Roots of Revolution dar. Sie schreibt:

„Bazaaris are not a class in the Marxist sense, as they have different relations to the means of production; […] nonetheless the expression ‘bazaaris’ has meaning in its involvement with petty trade, production, and banking of a largely traditional or only slightly modernized nature, as well as centering on the bazaar areas and traditional Islamic culture.”870

Der Bazar erhält so seine Bedeutung lediglich durch seinen traditionalen Typus und Natur, „and is defined neither spatially nor by objective positions in a class system.”871 So bleibt es unklar, welche systemischen Faktoren die bazārī-Identitäten sowie deren Aktivitäten und Kulturen definieren, produzieren und generieren, da sich eine idiomatische Wahrnehmung des „Bazars “ im Sinne Ashrafs oder Keddies den Phänomenen um Dynamik und Wandel nun gerade verweigert. Im Ergebnis werden die Interessen und Geschichten der Akteure schlicht nicht wahrgenommen – oder jedenfalls nur dann als konsistent und adäquat akzeptiert, wenn sie in das Muster der fehlenden Interessen und des Gehorsams gegenüber traditionellen Eliten passen. Übertragen auf die Ereignisse um den Coup: Der als Entität wahrgenommene Bazar muss entweder bestochen oder durch eine fatwā zum Handeln berufen worden sein. Gerade die Geschichte der Ereignisse zwischen Juli

869 Ahmad Ashraf, „Bāzār iii. Socioeconomic and Political Role.“ Encyclopædia Iranica (Online), Bhttp://www.iranicaonline.org/articles/bazar-iii [zuletz geprüft: 08.06.2016]. 870 Keddie, Roots of Revolution, 244. 871 Keshavarzian, Bazaar and State in Iran, 48. 236

1952 und August 1953, die maßgeblich durch den Kampf um die Meinungshoheit innerhalb des Bazars geprägt sind, zeigt, dass eine solch statische Betrachtung nicht haltbar ist.

Keshavarzian hält außerdem fest, dass die Sichtweise, der Bazar und religiöse Befindlichkeiten seien untrennbar miteinander verknüpft, gar nicht systematisch untersucht und erst recht nicht fundiert wurde. Die Behauptung, der Bazar sei religiös, ist so schlicht als eindimensional zu bezeichnen und in Frage zu stellen.872 In der Tat ist zwar die Annahme der ökonomischen oder familiären Abhängigkeit zwischen schiitischen Gelehrten und Händlern vielfach (und auch sehr plausibel) beschrieben worden – aber eben nie systematisch erforscht. Dies führt dazu, dass der oben dargestellten Annahme Vanessa Martins von einer direkten Einbindung der ʿolamā in die hierarchischen Strukturen des Bazars andere Behauptungen entgegengestellt werden können, die zunächst ähnlich plausibel scheinen: „Relations between the Bazaris and the Ulama are not hierarchical or vertical, but are defined in terms of interdependence and reciprocity.”873 Dies entspricht der gegenteiligen Behauptung bei gleicher Tendenz; erneut aber ohne den Verweis auf empirisches Material.

Gerade in Bezug auf diesen Punkt muss die Analyse des historischen Wirkens der beiden prominenten Racketeers Šaʿbān Ǧaʿfarī und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī für Irritationen sorgen, da deutlich wurde, dass die Handlungen der beiden Akteure keinesfalls als originär „schiitisch“ erklärt werden können (auch wenn sie zumindest im Falle Ḥāǧǧ Reżāʾīs als solche verklärt werden), sondern sich deren spezifische Agenden den Erfordernissen der Zeit und den mit ihnen verbundenen persönlichen Interessen anpassten. Es wird durch ihr Beispiel deutlich, dass der Verweis auf die Religion durchaus ein Mittel der Legitimation spezifischer Handlungen darstellte (etwa wenn Ǧaʿfarī darauf verweist, dass er im Sinne Ayatollāh Kāšānīs handeln würde). Die eindimensionale Gleichsetzung von Bazar und Religion kann jedoch die offensichtlich konkurrierenden politischen Vorstellungen innerhalb des Bazars nicht erklären – obwohl es ja beispielsweise in den 50er Jahren auch signifikante Unterstützung für die sozialdemokratischen

872 Ebd., 50. 873 Mozaffari, „Why the Bazar Rebels“, 381. 237

Positionen der Ḥezb-e Zahmatkešān-e Mellat-e Īrān gab oder in den frühen 60er Jahren für die zweite Nationale Front; von der Vorliebe für Moṣaddeq, gegen die Ǧaʿfarī in den Ereignissen vom 28. Februar 1953 anzukämpfen hatte, ganz zu schweigen. Gegenteilig würde eine solche Gleichsetzung zwangsläufig auch zu einer eindimensionalen Interpretation von Motiven und Vorstellungwelten führen und sich so erneut der theoretischen Durchdringung verweigern.874

Dieses auf der Mikroebene ausformulierte Argument gegen die herrschende Auffassung führt schließlich auch zum dritten zentralen Kritikpunkt Keshavarzians in Bezug auf die Makroebene: „the conceptualization of the bazaar as a bastion of traditional culture over-explains continuities and under-explains discontinuities in the bazaar.“875 Er führt aus:

„[T]his orientation has fostered a methodology that cites descriptions of the bazaar in the sixteenth century alongside those from the twentieth century without asking how and why this stasis has prevailed, assuming that it has. This approach is based on a circular argument: the bazaar is described as traditional, and the traditional is static; therefore the bazaar is unchanging.“876 Gerade die politische Bedeutung des Bazars im 20. Jhdt. zeigt jedoch das Gegenteil. Hier kann zunächst auf die völlig unterschiedlichen Agenden der beiden großen Revolutionen von 1906-11 und 1978-79 hingewiesen werden. Es sind aber gerade auch die Prozesse der Jahre 1941 bis 1963, welche die Aufmerksamkeit auf ein deutlich ausdifferenzierteres Milieu werfen, als die Lesart von Ahmad Ashraf dies zulassen würde, der Bazar und Moschee gar als „inseparable twins“ bezeichnet.877 Die Gleichsetzung von religiösen Befindlichkeiten und antikommunistischen

874 Hier sei auch auf den Umstand verwiesen, dass die Überlegungen Eric Hobsbawms zum „Großstädtischen Mob“, der sich in Begriffen des Traditionalismus und Konservatismus als Thron-und-Altar-Mob manifestiere, nicht übertragbar sind, da es sich bei den Teheraner bāzārīs schlicht nicht um die städtischen Armen handelt. Hobsbawm schreibt: „Der Mob kann als die Bewegung aller Schichten der städtischen Armen definiert werden, die für Erreichung ökonomischer oder politischer Änderungen durch direkte Aktion eintritt, d. h. durch Aufruhr oder Rebellion; sie ist jedoch eine Bewegung, die von keiner bestimmten Ideologie inspiriert ist; sofern es ihr gelang, einen Ausdruck für ihr Streben zu finden, dann in Begriffen des Traditionalismus und Konservativismus (der ‚Thron-und-Altar-Mob‘)“ Eric J. Hobsbawm, „Großstädtischer Mob.“ in Sozialrebellen (s. Anm. 831), 141. 875 Keshavarzian, Bazaar and State in Iran, 51. 876 Ebd. 877 Ashraf, „Bazaar-Mosque Alliance: The Social Basis of Revolts and Revolutions“, 538; Ashraf, „Bāzār iii. Socioeconomic and Political Role“. 238 politischen Positionen ist beispielsweise als eine unterkomplexe Interpretation diverser Aufstände der Moṣaddeq-Ära zwischen 1951 und 1953 zu bewerten – selbst wenn sich die Agenden von Akteuren unterschiedlicher Milieus überschnitten und zu gemeinsamen Aktionen oder Allianzen führten. Hier mögen zur Veranschaulichung Reaktionen auf die oben geschilderten Ereignisse des 28. Februar 1953 dienen. Wie dargestellt, gibt Šaʿbān Ǧaʿfarī unumwunden zu, dass er erst nach persönlicher Konversation mit Ayatollāh Kāšānī die Ereignisse in Gang brachte.878 Schon seine Erzählung weist aber auch darauf hin, dass es ihm erst durch physische Gewalt möglich war, die bāzārīs, die mehrheitlich hinter Premierminister Moṣaddeq standen, zur Teilnahme an dem Aufstand (oder zumindest der Schließung der Geschäfte) zu nötigen.

Gleichwohl drückte am folgenden Tag ein anderer Demonstrationszug seine politischen Befindlichkeiten in Begrifflichkeiten der Demokratie und des Parlamentarismus aus. Dieser wiederum ging entscheidend auf eine Allianz zwischen Studenten und Bazarīs zurück, wie der Federal Broadcast Information Service dokumentiert. Gegen drei Uhr nachmittags sei eine Demonstration von Studenten durch die entscheidenden Straßenzüge gezogen und habe sich nördlich des Bazars in der Ḫiyabān-e Naṣrḫosrow mit einer Vielzahl von Händlern vereinigt: „a multitude of tradesmen and business people of the market joined the demonstration expressing much feeling towards Dr. Mossadeq.”879 Einen Tag später, am 02. März, wurde gar von der in historischer Hinsicht vielfach erfolgreichen Waffe des Bazars zur Durchsetzung politischer Interessen Gebrauch gemacht. Er wurde geschlossen, wie FBIS dokumentiert:

„Following the statement of the Teheran Merchants and Tradesmen's Association broadcast at 2100 hours last night, the Teheran bazaar was closed today in support of the Government. Merchants, guilds, and tradesmen and the brave people of the Capital gradually assembled in front of the bazaar and headed toward the Baharistan Square with orderly ranks and various banners of support for the Government.”880

878 Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 123. 879 Teheran, Iranian Home Service, „Mar. 02, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS) (s. Anm. 688), 8. 880 Teheran, Iranian Home Service, „Mar. 03, 1953.“ in Foreign Broadcast Information Service (FBIS): Iran, 1–6 (Central Intelligence Agency, 1953), 3. 239

Dass dieses Ereignis kein Einzelfall war, sondern der Bazar sich in den frühen 50er Jahren mehrfach dezidiert „pro-Moṣaddeq“ positionierte und dies nicht in Zusammenhang mit Verbindungen zum Klerus (etwa Ayatollāh Kāšānī) stand, sondern auf Grund konkreter politischer Motivationen erfolgte, wurde insbesondere durch die Aufarbeitung der persönlichen Verflechtungsgeschichten Šaʿbān Ǧaʿfarīs in die entsprechenden Ereignisse deutlich, der – dies war die These, die der Übertragung des Racket-Prinzips auf die historischen Prozesse erlaubte – bis zum Jahreswechsel 1952/53 selbst als maßgeblicher Akteur der Nationalen Front seinen Einfluss auf den Bazar geltend machte. Hier muss daher festgehalten werden, dass in den entscheidenden historischen Momenten die Interessenlagen auch der Akteure des Bazars vielschichtiger zu sein scheinen, als dies die reduktionistische Auffassung einer natürlichen und unzerbrechlichen Allianz von Bazar und Moschee glauben machen will.

Im Sinne der hier angestellten Untersuchung widmet sich auch Keshavarzian in einem längeren Abschnitt ausführlich dem Thema „social movements and the mosque-bazaar alliance“881. Er zeichnet anschaulich die Geschichte der Mobilisierung des mit dem Bazar assoziierten Milieus „with and without the clergy“882 nach und verweist zudem auf den Fakt, dass auch der Blick auf die Seite der Religion die These von den unzertrennlichen Zwillingen ins Wanken bringen muss:

„[E]ven if the majority of the bazaaris were mobilized against the state in these episodes, ‘the mosque’ has not uniformly or consistently supported these initiatives, and they have not always provided an ideological logic for such politics. As an opaque hierarchy consisting of largely independent thinkers and patronage systems, the clerics have advocated and legitimated different – even contradictory – positions from one another and at each particular historical juncture.”883 Er stellt schließlich fest: „Thus, both the bazaar and the mosque are more heterogeneous than narratives based on the mosque–bazaar alliance will have us believe.”884 Diese Zurückweisung der Wahrnehmung der Gruppen der bāzārī und ʿolamā als singuläre Akteure führt jedoch nicht zu einer revisionistischen

881 Keshavarzian, Bazaar and State in Iran, 230–255. 882 Ebd., 233. 883 Ebd., 250. 884 Ebd., 250–251. 240

Betrachtung des offensichtlichen gemeinsamen Wirkens in historischen Prozessen, sondern lediglich zur differenzierten Wahrnehmung der einzelnen Akteure und Interessenlagen; eine Beobachtung, die Willem Floor eigentlich bereits 1976 in Bezug auf den Bazar machte, als er über Proteste in den 30er Jahren schrieb: „when the petty Bazaris demonstrated against the Shah fearing his secularism, the merchants demonstrated in favour of him.“885 Dies führte hier freilich nicht zu einer differenzierteren Theoretisierung seines Untersuchungsobjektes. Hier kann nach vorliegender Studie aber auf die Geschichte des Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī verwiesen werden, der sich im Laufe der späten 50er Jahre aufgrund der ökonomischen Verschlechterung seiner Postionen soweit vom Regime des Shahs entfernte (oder aus dessen Racket verdrängt wurde), dass er sich 1963 einem Ayatollāh anschloss, der keineswegs den Mainstream der schiitischen Rechtsgelehrten repräsentierte, sondern selbst seinen Platz im Gefüge suchte. Der Blick auf die Interessenlagen der Akteure erlaubt in diesem Fall erst die theoretische Durchdringung des historisch so bedeutsamen Momentes.

Als letzten Punkt moniert Keshavarzian, dass die Wahrnehmung des Bazars als Tradition selbigen als unberührt von „state policies, agencies, and agendas“ beschreiben würde. Der einzige Moment, in dem eine Interaktion zwischen Staat und Milieu stattfindet, ist nach einer solchen Auffassung jener historische Moment, in welchem der Bazar negativ auf den Staat reagiert. So wird in der Literatur kritiklos eine Auffassung akzeptiert, die davon ausgeht, dass der Bazar eine Entität sei, die nicht penetrierbar durch Staatspraktiken und zudem undurchlässig für sozioökonomischen Wandel sei.886

Keshavarzian schlägt eine differenziertere Konzeptualisierung des Bazars vor, den er definiert als „bounded space containing a series of ongoing and socially embedded networks that are the mechanism for the exchange of specific commodities.”887 Im Ergebnis begreift er den Bazar so in einer Weise, der hier nicht

885 Willem M. Floor, „The Merchants (tujjâr) in Qâjâr Iran.“ Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 126, Nr. 1 (1976): 101–135, 135. 886 Keshavarzian, Bazaar and State in Iran, 52. 887 Ebd., 70.; An anderer Stelle konstatiert er treffend: „Thus, the Tehran Bazaar’s corporate identity or apparent homogeneity is problematized. It is not something that organically springs from shared traditional culture or psychology as suggested by modernization theory. Nor is it a product of a shared position in the mode of production, as assumed by class analysis. Rather the Bazaar’s capability to act collectively, maintain institutions, and forge a 241 nur uneingeschränkt zugestimmt werden soll, sondern die durch die Analyse der mit dem Bazar assoziierten Racketeers schließlich auch nachhaltig bestätigt wird.

Mit dieser Konzeptualisierung und der hier vorgestellten theoretischen Durchdringung des historischen Wirkens der entsprechenden Racketeers ist es möglich, sich auch für den Kontext des Teheraner Milieus des Bazars von einer vereinfachten Auffassung eindimensionaler Mobilisierungsdynamiken zu lösen, die gerade für muslimisch geprägte Gesellschaften häufig auf „Religion“ als Katalysator in den historischen Momenten abstellt oder gar darauf reduzieren möchte.888

4.2.2 Die Debatten um den Coup des 28. Mordād

Die Bedeutung des Coup d’étàts von 1953 ist nicht nur durch die faktische Kraft der Veränderung politischer Wirklichkeiten im historischen Moment, sondern auch durch seine Aus- und Nachwirkungen auf die unterschiedlichen kollektiven Identitäten im modernen Iran kaum zu überschätzen. In den Debatten um den 28. Mordād 1332 (19. August 1953) verdichten sich vielschichtige Diskurse über Nation und Identität, Feindbilder und Selbstwahrnehmungen, Fraktionen und Individuen, Freund und Feind, und vor allem: Verrat!889 Insbesondere das Verhältnis zwischen

group identity develops from concrete historical space with particular constellations of relations. Bazaars consist of actors tied to one another in ongoing relations that help reinforce codes of conduct by practice and expectation, not functional utility calculation or socialization.” (ebd., 73). 888 Beachte: Hier wird die Position Edmund Burkes geteilt, wenn er schreibt: „As research develops on the role of Islam in politics, it becomes increasingly clear that the question of how and why particular groups behaved as they did cannot be satisfactorily answered by referring only to the influence of the religious and political elites. The decisive arena seems more and more to be the level of local politics. The pulling and tugging of factions, the pressures of local political and economic exploitation at the level of everyday life, the influence of local political and religious figures shaped the responses of particular groups. The more we look, the more the micropolitics of protest appears an affair not of heroic poses and radical flourishes, but of bets artfully hedged, old groups paid off in kind, and (sometimes) old solidarities reemphasized.“ Edmund Burke III., „Islam and Social Movements: Methodolgical Reflections.“ in Islam, Politics and Social Movements, hrsg. von Edmund Burke III. und Ira M. Lapidus, 17–34 (Berkeley: Univ. of California Pr, 1988), 23. 889 Vgl. Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 1: „For many Iranians, the significance of the day itself has become much more symbolically important than the mere mourning of another lost opportunity in Iran's perilous and painful quest for democracy and self-determination. The events of 28 Mordad have come to stand for a reflective moment of assessing Mossadeq's 28-month government, his domestic and international policies, his strengths and weaknesses, his friends and enemies. The date and the event invariably conjure up ethical issues of right and wrong, just and unjust, chivalry and treachery, loyalty to and betrayal of 242

Iran und den USA und die Beziehungsgeschichte beider Staaten sind auf mehreren Ebenen ohne den Rückgriff auf die Erfahrungen von 1953 kaum zu ermitteln. Dies betrifft sowohl die historisch unmittelbaren Konsequenzen des Eingreifens der CIA auf Seiten des Shahs, die – so die These von Mark Gasiorowski – zum Aufbau eines US-amerikanischen client states in Iran führten890, als auch die langfristig höchst problematischen Auswirkungen, die jenes Eingreifen auf die Perzeption der USA durch die iranische Öffentlichkeit hatte.891 Überspitzt ließe sich für das Verhältnis und die beteiligten Öffentlichkeiten formulieren: Was den Amerikanern die Besetzung ihrer Botschaft (Nov. 1979-Jan. 1981), das ist den Iranern der Coup von 1953. Die Erzfeindschaft, in der die Vereinigten Staaten von Amerika und Iran seit nunmehr über dreißig Jahren in einer „tödlichen Umarmung“ verbunden sind,892 speist sich zu großen Teilen aus der Geschichte des Umsturzes. Ali Rahnema merkte zudem 2012 an: „For almost 60 Years the Iranian political psyche has been deeply marked by the events of 19 August 1953 (28 Mordad 1332). The change in Iran’s political course of development on 28 Mordad and the scars it left resemble the trauma of a civil war.”893

Der Coup d’étàt ist demnach als ein zentraler Moment der Geschichte und Historiographie des modernen Irans zu bezeichnen, der die folgende Entwicklung des Landes auch auf dem Weg hin zur Islamischen Revolution von 1978-79 maßgeblich geprägt hat. Rahnema stellt zudem fest, dass der Coup einen Platz in der kollektiven Erinnerung des modernen Irans habe, der weit über das Politische hinausgehe.894 Folgt man diesen Interpretationen, ist es daher nicht überraschend, dass sowohl die öffentliche als auch die wissenschaftliche Debatte über jenes Datum weit von einem Konsens entfernt ist. Ein historisches Ereignis, das dazu geeignet ist, mit einer solchen Dramatik die innenpolitischen Diskurse sowie die internationalen Beziehungen eines Landes zu dominieren, lässt vermuten, dass alle Debatten, die

Iran and Iranians.” 890 Vgl. Mark J. Gasiorowski, U.S. Foreign Policy and the Shah: Building a Client State in Iran (Ithaca, N.Y: CORNELL University Press, 1991). 891 William O. Beeman, The vs. the Mad Mullahs: How the United States and Iran Demonize Each Other (Westport, Conn: Praeger Publishers, 2005). 892 Abrahamian, The Coup, 1. 893 Ali Rahnema, „Overthrowing Mosaddeq in Iran: 28 Mordad/19 August 1953.“ Iranian Studies 45, Nr. 5 (2012): 661–668 (letzter Zugriff: 4. Oktober 2012), 661. 894 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran, 1. 243 darüber geführt wurden und werden – seien sie populistischer Natur, seien es politisch motivierte Interventionen, seien es wissenschaftliche Debatten – mit einer Emotionalität und Heftigkeit geführt und perzipiert werden, die eine differenzierte Betrachtung erschweren.

Die in den letzten Jahren sehr hitzig geführten wissenschaftlichen Diskussionen zum Coup d’étàt von 1953 fokussieren sich auf die Frage, wie das Auftauchen der Menschenmengen am Morgen des 19. Augustes zu bewerten ist. Es ist völlig unstrittig – und das konnte auch in vorliegender Studie belegt werden – dass am 16. August 1953 ein Netzwerk von iranischen Offizieren mit Einwilligung des Shahs versuchte, in einer quasi-legalen Aktion Moḥammad Moṣaddeq des Amtes zu entheben und durch Fażlollāh Zāhedī zu ersetzen. Dies geschah im engen Austausch mit den Verantwortlichen der CIA und des SIS, welche den Plan zum Umsturz maßgeblich entwickelten, die Ausführung des Coups selbst jedoch den iranischen Akteuren überließen. Innerhalb der iranistischen Fachliteratur ist daher zunächst nur strittig, wie die Prozesse zu bewerten sind, die zum tatsächlichen Umsturz am 19. August geführt haben. An zentraler Stelle hat sich hier ein Streit zwischen Mark Gasiorowski und Darioush Bayandor etabliert, der sich an der Frage der Gewichtung der Rolle der CIA, respektive einiger schiitische Geistlicher entfachte.

Mark Gasiorowksi hatte bereits 1987 zum Coup publiziert und dort von einem „United States sponsored coup d’étàt“ gesprochen.895 Grundlage für die Annahme der Führungsrolle der USA bei diesem Ereignis war seit 1979 zunächst das Buch Countercoup. The Struggle for Control in Iran von Kermit Roosevelt, in welchem dieser sich selbst als den hauptverantwortlichen CIA-Agenten bei der Planung und Durchführung des Coups zu erkennen gibt.896 Gasiorowski bezeichnet Roosevelts autobiografische Aufzeichnungen, die an zentralen Stellen durch Mutmaßungen angereichert sind, jedoch zu Recht als fehlerhaft und sieht seinen eigenen auf diplomatischen Dokumenten beruhenden Bericht hier als Korrektiv.897 In Folge des Bekanntwerdens von Donald Wilbers CIA-Berichts Overthrow of Premier Mossadeq of Iran898 veröffentlichte Mark Gasiorowski gemeinsam mit Malcom Byrne 2004

895 Gasiorowski, „The 1953 Coup D'Etat in Iran“, 261. 896 Roosevelt, Countercoup. 897 Gasiorowski, „The 1953 Coup D'Etat in Iran“, 261. 898 Der CIA-Bericht wurde im Jahr 2000 der Zeitung The New York Times zugespielt und von ihr 244 schließlich den Sammelband Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran. In seinem eigenen Beitrag „The 1953 Coup d’État Against Mosaddeq“ versucht Gasiorowski sich an einer detaillierten Evaluierung der Ereignisse und fokussiert sich dabei auf die Ebene des decision making auf US-amerikanischer Seite. Persönliche Interviews mit Beteiligten sowie jene CIA-Dokumente, die im Jahr 2000 der New York Times zugespielt wurden, lassen ihn schließlich abermals von einem „joint CIA-SIS coup against Mosaddeq“ sprechen.899

Der Sammelband enthält Beiträge der drei namhaften Iranisten Homa Katouzian,900 Azimi Fakhreddin,901 der sich bereits 1989 mit seinem Iran: The Crisis of Democracy 1941-1953 in der Debatte positioniert hatte,902 und Maziar Behrooz,903 die sich vornehmlich mit den inneriranischen Akteuren und Dynamiken beschäftigen, dabei generell aber der Lesart Gasiorowskis folgen möchten. Zudem beschäftigen sich die Abschnitte der drei renommierten Globalhistoriker William Roger Louis,904 Mary

öffentlich gemacht. Im entsprechenden Artikel heißt es: „The document, which remains classified, discloses the pivotal role British intelligence officials played in initiating and planning the coup, and it shows that Washington and London shared an interest in maintaining the West's control over Iranian oil.“ (James Risen, „Secrets of History: The C.I.A. in Iran - A special report; How a Plot Convulsed Iran in '53 (and in '79).“ The New York Times, 16. April 2000. http://www.nytimes.com/2000/04/16/world/secrets-history-cia-iran-special- report-plot-convulsed-iran-53-79.html?pagewanted=10&src=pm.) 899 Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran (s. Anm. 123), 228. 900 Homa Katouzian, „Mosaddeq's Government in Iranian History: Arbitrary Rule, Democracy, and the 1953 Coup.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran, hrsg. von Mark J. Gasiorowski und Malcom Byrne. 1. Aufl., 1–26, Modern intellectual and political history of the Middle East (Syracuse, NY: Syracuse University Press, 2004). 901 Fakhreddin Azimi, „Unseating Mosaddeq: The Configuration and Role of Domestic Forces.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran, hrsg. von Mark J. Gasiorowski und Malcom Byrne. 1. Aufl., 27–101, Modern intellectual and political history of the Middle East (Syracuse, NY: Syracuse University Press, 2004). 902 Fakhreddin Azimi, Iran: The Crisis of Democracy 1941-1953 (London: I.B. Tauris, 1989), 293– 344. 903 Maziar Behrooz, „The 1953 Coup in Iran and the Legacy of the Tudeh.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran, hrsg. von Mark J. Gasiorowski und Malcom Byrne. 1. Aufl., 102–125, Modern intellectual and political history of the Middle East (Syracuse, NY: Syracuse University Press, 2004). Zum selben Thema siehe auch: Behrooz, „Tudeh Factionalism and the 1953 Coup in Iran“; Maziar Behrooz, Rebels With A Cause: The Failure of the Left in Iran (I. B. Tauris, 2000). 904 William Roger Louis, „Britain and the Overthrow of the Mosaddeq Government.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran, hrsg. von Mark J. Gasiorowski und Malcom Byrne. 1. Aufl., 126–177, Modern intellectual and political history of the Middle East (Syracuse, NY: Syracuse University Press, 2004). 245

Ann Heiss905 und Malcolm Byrne906 dezidiert mit den internationalen Dimensionen des Coup d’étàts und widmen sich im Speziellen der Rolle Großbritanniens (Louis) und der USA (Byrne).

In seiner „Conclusion. Why Did Mosaddeq Fall?“ fasst Mark Gasiorowski die unterschiedlichen Perspektiven zusammen. Er streicht vermittelnd heraus, dass, trotz der zahlreichen Arbeiten zum Coup und einen wissenschaftlichen Konsens über die zentralen Momente, der Coup weiter ein kontroverses Thema in der wissenschaftlichen Diskussion und der populären Imagination bleibe. Dabei ließen sich vor allem in Bezug auf die populäre Imagination drei Hauptlinien der Interpretation der Ereignisse ausmachen: Unterstützer von Moḥammad Moṣaddeq machten ausländische Akteure für das Scheitern seiner Regierung verantwortlich. In diesem Sinne werde argumentiert, dass die britische Regierung die Regierungszeit Moṣaddeqs durch den Boykott iranischen Öls unterminiert habe und schließlich dann die USA den entscheidenden Schlag – eben in Form der Operation „TPAJAX“ – ausgeführt hätten. Gegner Moṣaddeqs würden die zentrale Rolle ausländischer Akteure hingegen verneinen und den Coup als einen nationalen Aufstand (qiyām-e mellī) zugunsten der Interessen des Shahs qualifizieren. Die dritte, vor allem von britischer und US-amerikanischer Seite aus vertretene Perspektive sieht tatsächlich den CIA und SIS als Initiatoren des Coups; der entscheidende Beitrag hätte aber lediglich in Ermutigung und Unterstützung bestimmter iranischer Akteure gelegen, welche die eigentlichen Agenten des Umsturzes gewesen seien.907 Gasiorowski selbst vermeidet hier eine klare Positionierung und vermerkt lediglich: „Each of the three broad explanations […] clearly has some merit.“908 Er konstatiert schließlich in Bezug auf die Bedeutung der

905 Mary Ann Heiss, „The International Boycott of Iranian Oil and the Anti-Mosaddeq Coup of 1953.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran, hrsg. von Mark J. Gasiorowski und Malcom Byrne. 1. Aufl., 178–200, Modern intellectual and political history of the Middle East (Syracuse, NY: Syracuse University Press, 2004). 906 Malcom Byrne, „The Road to Intervention: Factors Influencing U.S. Policy towards Iran, 1945- 1953.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran, hrsg. von Mark J. Gasiorowski und Malcom Byrne. 1. Aufl., 201–226, Modern intellectual and political history of the Middle East (Syracuse, NY: Syracuse University Press, 2004). 907 Mark J. Gasiorowski, „Conclusion: Why did Mosaddeq Fall?“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran, hrsg. von Mark J. Gasiorowski und Malcom Byrne. 1. Aufl., 261–280, Modern intellectual and political history of the Middle East (Syracuse, NY: Syracuse University Press, 2004), 261–262. 908 Ebd., 274. 246 iranischen Akteure während des Coup d’étàts vom 28 Mordād: „[…] while the United States delivered the final blow to Mosaddeq’s regime, Iranian actors – together with the British and the major international oil companies – played crucial roles as well.”909

Letztlich kann also sowohl die wissenschaftlich-iranistische Debatte zum Coup von 1953, als auch die populäre Imagination in den USA und Iran auf die Frage reduziert werden, ob der Coup nun ein Produkt ausländischer Mächte und so das Ergebnis einer britisch-amerikanischen Konspiration war, oder ob es sich um ein genuin iranisches Ereignis handelt, in dem der Umsturz vom 19. August eben nicht mit dem von den entsprechenden Geheimdiensten orchestrierten gescheiterten Coup vom 16. August gleichzusetzen ist. So kommt etwa Fariborz Mokhtari 2008 in seinem „Iran’s 1953 Coup Revisited: Internal Dynamics versus External Intrigue“ zu folgendem Schluss: „The uprising of August 19, 1953, therefore, may indeed have been a popular reaction to the failed coup, contrary to the often unquestioned assertion to the contrary.“910 Mokhtari widerlegt in seinem Aufsatz vor allem die These, dass es im hohen Maße der Bestechung ganzer Gruppen gewaltsamer Akteure zu verdanken gewesen sei, dass das subalterne Milieu sich erhoben habe – eine Auffassung die sich vornehmlich auf Kermit Roosevelts Abenteuerbericht stützt und einen orientalistischen Beigeschmack in sich trägt. Mokhtari gibt etwa zu bedenken, dass von der Million an bewilligten US-Dollars, die von der CIA für den Umsturz zur Verfügung gestellt wurden, nur lediglich 100.000 Dollar von Roosevelt abgefragt wurden.911 Im Ergebnis hält er fest: „Money was spent, of course, but Iran's political machines had brought out street demonstrators in the past frequently enough not to be overwhelmed by mobs bought by CIA-SIS funds. That there was sufficient public concern to bring people into the streets is a reality not to be ignored.“912

909 Ebd., 277. 910 Mokhtari, „Iran's 1953 Coup Revisited: Internal Dynamics versus External Intrigue“, 484. 911 Ebd. FN 143: „There is little evidence that the money was actually spent.” Mit Verweis auf Roosevelt, Countercoup; Mark J. Gasiorowski, „The 1953 Coup d'État against Mosaddeq.“ in Mohammad Mosaddeq and the 1953 Coup in Iran (s. Anm. 123), 239; Wilber, [CIA-files] Overthrow of Premier Mossadeq of Iran, 71, Appendix B. 912 Mokhtari, „Iran's 1953 Coup Revisited: Internal Dynamics versus External Intrigue“, 484. 247

Mit dieser Position vertritt er keine Mindermeinung, sondern findet Bestätigung in der neueren iranistischen Literatur: Darioush Bayandor brachte sich 2010 mit seinem Iran and the CIA. The Fall of Mosaddeq Revisited in die Debatte ein. Er beklagt eine voreingenommen Lesart, die insbesondere durch das zwar kritisierte, selten aber hinterfragte Countercoup von Kermit Roosevelt geprägt sei. Im Ergebnis meint er: „The ownership of this event was, at least implicitly, claimed by, and became a laurel added to galloons of the CIA and MI6.”913 Er selber möchte in seiner Studie die größere Rolle interner iranischer Dynamiken herausarbeiten,914 und kommt zum Ergebnis: „The overthrow on 19 August had essentially an indigenous character and resulted from Iran’s internal dynamics […]“915 Nach seiner Argumentation sei der eigentliche TPAJAX-Plan am Morgen des 16. August gescheitert. In der Folge habe sich eine indigene Revolte manifestiert, die insbesondere auch religiös motiviert gewesen sei – oder zumindest auf religiösen Gehorsam gründete. Er streicht dabei die Schlüsselfunktion der Netzwerke um die drei zentralen Ayatollāhs Behbehānī, Borūǧerdī und Kāšānī heraus. Bayandor konstatiert schließlich: „Ignited by religious leaders, the event on 19 August succeeded through a confluence of disgruntled military and civilian crowds of diverse profiles and motivations; present among them were some notorious underworld figures but also many ordinary citizens. The blend was toxic and dealt the final blow.”916

Diese Interpretationen Darioush Bayandors haben zu einer thematischen Ausgabe der Fachzeitschrift Iranian Studies geführt, in der Bayandor selbst sowie Mark Gasiorowski, Ali Rahnema917 und Fakhreddin Azimi918 eher übereinander als miteinander diskutieren. In seiner bemerkenswert harschen Replik auf Bayandors Buch unter dem Titel „The Causes of Iran's 1953 Coup: A Critique of Darioush Bayandor's Iran and the CIA“ schreibt Mark Gasiorowski:

„Bayandor presents no major new evidence to support his account. Rather, his argument is based on selective reading of evidence that has been available to scholars for years. He gives too much weight to certain

913 Bayandor, Iran and the CIA, 2. 914 Ebd., 3. 915 Ebd., 175. 916 Ebd., 173. 917 Darioush Bayandor, „The Fall of Mosaddeq, August 1953: Institutional Narratives, Professor Mark Gasiorowski and My Study.“ Iranian Studies 45, Nr. 5 (2012): 679–691. 918 Azimi, „The Overthrow of the Government of Mosaddeq Reconsidered“. 248

statements, draws unwarranted inferences from others, and discounts or disregards a wealth of evidence that conflicts with his account. And he interviewed only one participant in the coup (Ardeshir Zahedi), preventing him from examining this complex, inadequately documented event very deeply.”919 Die Schärfe der Reaktion ist kaum nachvollziehbar und verwundert. Insbesondere hat Gasiorowski selbst auf die Tücken der „popular imagination“ hingewiesen, die das Verhältnis der USA und Irans zueinander belasten. Eine revisionistische Auseinandersetzung mit diesem belastenden Datum, die den internen Dynamiken Rechnung trägt und sich nicht mit der voreingenommenen Position der alleinigen agency einer Handvoll amerikanischer Akteure zufrieden geben möchte, ist zunächst sehr begrüßenswert, das immerhin gesteht Gasiorowski Bayandor auch zu.920 Hier soll nun nicht weiter auf die Stärken und Schwächen oder die wissenschaftliche Tiefe der Studie Bayandors eingegangen werden, sondern lediglich darauf verwiesen werden, dass sein Ansatz vorsieht, die spezifischen Netzwerke zu analysieren, die – unabhängig von allen konspirativen Planungen – im akuten historischen Moment ihre Wirkung entfalten konnten und ihre Mobilisierungskapazitäten in Form physischer Präsenz gewaltbereiter Akteure auf der Straße manifestierten. Ein Ansatz, von dem letztlich auch vorliegende Analyse (wenn auch nicht mit dem starken Fokus auf die Ereignisse des 19. August) geleitet wurde.

Diesem Interesse scheint auch Ali Rahnema in seiner neuesten Monografie nachgegangen zu sein. Als Herausgeber des entsprechenden Jahrgangs der Iranian Studies war Rahnema maßgeblich in die Debatte zwischen Bayandor und Gasiorowski miteinbezogen und kommentierte sie einleitend.921 Ob die Herangehensweise Bayandors ihm Inspiration war, ist reine Spekulation. Jedenfalls aber legte er mit seinem Behind the 1953 Coup in Iran: Thugs, Turncoats, Soldiers, and Spooks in 2015 eine Monografie vor,922 die den Ansatz der Betrachtung der spezifischen Netzwerke und interpersonalen Beziehungen in Iran anhand

919 Mark J. Gasiorowski, „The Causes of Iran's 1953 Coup: A Critique of Darioush Bayandor's Iran and the CIA.“ Iranian Studies 45, Nr. 5 (2012): 669–678, 669. 920 Ebd., 670. 921 Rahnema, „Overthrowing Mosaddeq in Iran: 28 Mordad/19 August 1953“. 922 Rahnema, Behind the 1953 Coup in Iran. Anm.: Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist sicher das Literaturverzeichnis, das lediglich zwanzig Beiträge in Englischer Sprache auflistet. (ebd., 311–314.) 249 persischem Quellmaterials nachgeht, ohne sich an den Vorannahmen der reichhaltigen Literatur zum Coup zu stören.923 Die Stärke von Rahnemas Beitrag liegt möglicherweise genau hier: Anstatt sich in unterkomplexen oder zu komplexen Deutungszusammenhängen zu verfangen, gibt er sich keine interpretatorischen Zielvorgaben und beginnt seine Arbeit am historischen Material. Am Ende kommt er zu einem umfassenden Schluss, der in seinem vermittelnden Duktus möglicherweise als abschließend bezeichnet werden kann:

„The facts indicate that both the failed coup of 25 Mordad and the successful coup of 28 Mordad were the outcome of premediated and international foreign involvement in the internal affairs of Iran. The successful 28 Mordad coup d'état, which came hot on the heels of the first unsuccessful coup attempt, was part and parcel of the British-proposed and American-directed (and supported) operation to overthrow Mosaddeq. The events of 28 Mordad were not impromptu or unprepared, but carefully and intelligently thought out, revised and planned by the key foreign and domestic masterminds who gathered at the American Embassy after the failure of the first coup. The events were steered, executed and operationalized by Iranians who were directly and indirectly carrying out modified British-US plans [...].”924 Auf Grundlage des Versuchs der Durchdringung nicht nur der Ereignisse um die wenigen entscheidenden Tage im August 1953, sondern der Ermittlung der Herrschaftskonfigurationen der Jahre 1941 bis 1963, ist dem Ergebnis Rahnemas nur mit einigen Modifikationen zuzustimmen: Die Faktenlage ist zunächst recht eindeutig und Rahnema ist keinesfalls die Auslassung wichtiger bekannter Dokumente vorzuwerfen. Gleichwohl aber fehlt nach hier vertretener Auffassung der Versuch, die Interessenlagen der tatsächlich handelnden Personen zu ermitteln. Wenn er schreibt: „The four chiefs of Southern Tehran’s thugs – Ḥoseyn Ramazoun Yakhi, Tayyeb Haj Reza’i, Boyouk Saber and Mahmud Mesgar – who led their bands of ruffians on 28 Mordad to the heart of Tehran, continued to be at Rashidiyan’s service whenever he needed them.”,925 dann stellt er die Ereignisse und Interessenlagen der unterschiedlichen Akteure in einer unterkomplexen Weise dar. Dass Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī eine ganz eigenständige politische und ökonomische Agenda hatte und ein Interesse daran, seine Position innerhalb des politischen

923 Ebd., 313–314. Meine Hervorhebungen. 924 Ebd., 295. 925 Ebd., 72. 250

Gefüges Irans zu schützen, wird so nicht erfasst, kann gleichsam aber durch den Rückgriff auf die Racket-Theorie befriedigend erklärt werden. Auch etwa die Tatsache, dass das politische Wirken Ayatollāh Kāšānīs sich einerseits durchgehend daran orientierte, den Einfluss der Großmächte in Iran zu minimieren, er gleichsam aber trotzdem bei einem offensichtlich von der amerikanischen Botschaft aus organisierten Coup beteiligt war, wird durch die bloße Durchsicht der Akten nicht erfasst. Auch hier bietet die Racket-Theorie eine theoretische Durchdringung an, die sein Verhalten in einem dynamischen Verhältnis zu Akteuren (auch der CIA und des SIS) setzt, welche die Interessen des Ayatollāhs teilten.

Dass die Ignoranz gegenüber der Dynamik der Austauschbeziehungen zwischen den relevanten Akteuren (welche die Racket-Theorie ausdrücklich erfassen möchte) zu gravierenden retrospektiven Fehleinschätzungen führen kann, zeigt insbesondere das Beispiel Šaʿbān Ǧaʿfarīs. Lange Zeit folgte die Forschungsliteratur den populären Imaginationen der iranischen Öffentlichkeit und Erinnerungskultur und ging davon aus, dass Šaʿbān Ǧaʿfarī einer der Hauptakteure – oder gar der Anstifter – jenes Mobs war, der sich am Morgen des 19. August als anti-Moṣaddeq-Bewegung konstituierte und schließlich den entscheidenden Impuls zum Sturz der Regierung gab. So geht etwa Moyara de Moraes Ruehsen in seinem Aufsatz 1993 erschienen „Operation ‚Ajax‘ Revisited: Iran, 1953“ von folgendem Szenario aus:

„With the streets finally clear, the following day (19 August) Shaban 'the Brainless' Jafari and two to three hundred large men with bulging biceps from the zurkhaneh (a traditional wrestling and body building club) led a large, rowdy demonstration from southern Tehran to the city's central square. Instead of quelling the riots, this time the police participated. Some of the demonstrators passed out small bribes for bystanders to join in.“926 Diese Schilderung hat sich als dominante Perspektive auf die Ereignisse in die öffentliche Meinung eingebrannt und wird vielfach wiederholt. Die Tendenz zeichnet so ein Bild von einer Gruppe von Tätern, die auf Rechnung der CIA entweder die Menge bestochen hat, um an dem Aufstand teilzunehmen, oder aber gewaltsam zur Teilnahme zwang. So wurde Šaʿbān Ǧaʿfarī zu einem jener Sündenböcke in der öffentlichen Wahrnehmung, an dem sich die Wut über die Entwicklungen auch der Folgejahre entladen konnte. Letztlich wird die iranische

926 Moraes Ruehsen, „Operation 'Ajax' Revisited: Iran, 1953“, 480. 251

Öffentlichkeit durch seine Person entlastet, da es für den „einfachen Mann“ durch die Präsenz Šaʿbāns und seiner muskelbepackten Getreuen keine Möglichkeit gab, sich den Protesten zu entziehen. Ein Diskurs, der bis heute gepflegt wird, wie ein Blick in moderne iranische Schulbücher zeigt, wo etwa Mittelstufenschüler lernen: „Der Hauptteil der Straßentumulte wurde durch Šaʿbān Ǧaʿfarī, bekannt als Šaʿbān ‚Der Hirnlose‘, mit seinen Knüppelträgern, gemeinsam mit Gruppen von anderem Abschaum [oubāš] und Strolchen [velgardān] durchgeführt und die Straßen Teherans wurden eine nach der anderen von ihnen okkupiert.“927

Diese Darstellung seiner Rolle während des Coups vom 28. Mordād ist jedoch schlicht nicht haltbar, wie die obige Untersuchung der Ereignisgeschichte belegt. In solchen Interpretationen folgt somit die Vorstellung angeblicher Fakten den wissenschaftlichen Bedürfnissen – nämlich der Bestätigung populärer Imaginationen. Dies kann durch den hier vorgenommenen Perspektivwechsel auf die Geschichte der einzelnen Akteure und ihrer spezifischen Interessen vermieden werden.

In Bezug auf die Bewertung des Coups mag man so zu einer für viele vermutlich etwas unbefriedigenden Einschätzung der Prozesse kommen, die annimmt: Es war von allem etwas. Es gab eine Verschwörung ausländischer Mächte. Es gab iranische Akteure mit eigenen Interessen. Es gab ein religiöses Moment durch die Anstiftung einiger Ayatollāhs. Diese waren angestiftet und waren es nicht. Es gab eine kommunistische Bedrohung. Es gab sogar eine Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung durch die Person Moṣaddeqs. Es gab einen Zusammenhang zwischen dem 16. und dem 19. August. Und es gab keinen Zusammenhang zwischen dem 16. und dem 19. August. Und so weiter.

Diese unbefriedigende Bewertung ist aber nach hier vertretender Auffassung kein wissenschaftliches Problem (anders als die reichhaltige Literatur zu dieser Frage vermuten lässt), sondern führt unter Berücksichtigung der Paradigmen der Racket- Theorie zu einem befriedigenden Ergebnis in Bezug auf die Bewertungen der Herrschaftskonfigurationen im historischen Moment. Es zeigt sich eben – und hier

927 Vezārat-e āmūzeš va parvareš, Tārīḫ-e moʿāṣer-e Īrān, 131; Ǧaʿfarī selbst berichtet im Übrigen von dem (fast schon albernen) Gerücht, welches eine Zeitung verbreitet habe. Danach hieß es, er habe von Kermit Roosevelt 2 Millionen Dollar für seine Dienste am 28. Mordād erhalten. Er insistiert auch, dass er Roosevelt nie getroffen habe. Vgl. Saršār, Šaʻbān Ǧaʻfarī, 165–166. 252 ist das historiographische Korrektiv anzusetzen – dass die Fragen von Macht und Herrschaft in Iran der frühen 1950er Jahre in einer Weise umkämpft waren, die den Ausgang des Kampfes für einen fiktiven beobachtenden Zeitzeugen unvorhersehbar gemacht hätte (und tatsächlich auch hat) und alternative Szenarien in Fülle zur Verfügung standen: Was wäre gewesen, wenn die Tūdeh sich nicht von der Straße zurückgezogen hätte? Wenn Stalin nicht im März 1953 gestorben wäre? Wenn man die Gard-e Šāhanšāhī in eine andere Kaserne verbracht hätte? Wäre der Coup schon am 16. August erfolgreich gewesen, wenn Naṣīrī eher zum Premierminister aufgebrochen wäre? Was wäre passiert, wenn der Shah das Land nicht verlassen hätte? Wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn Šaʿbān Ǧaʿfarī tatsächlich an den Ereignissen teilgenommen hätte?

Die Darstellung der Akteure in der Geschichte der Ereignisse und die theoretische Durchdringung der Dynamiken ihrer Austauschbeziehungen bietet hier eine befriedigende Antwort, nämlich jene, dass die Herrschaftsbeziehungen jener Zeit nicht von Monopolstellungen geprägt waren. Dies bedeutet, dass demzufolge keines der miteinander konkurrierenden Rackets seine Interessen in einer Weise hat monopolisieren können, dass ein nachhaltiger Verhärtungsprozess in Gang gesetzt worden wäre. Diese Beobachtung ist in der Folge wesentliche Grundlage für die Bestätigung der hier vorgenommenen Periodisierung, die von der „langen Konsolidierung“ der Herrschaft des Shahs ausging, in der sich das „royalistische Racket“ erst nach 1963 in ein nach oben nicht mehr amorphes „Racket des Shahs“ gewandelt hat.

253

5 Schluss

Die vorliegende Studie konnte aufzeigen, dass die eingangs zitierten Beobachtungen Moǧtaba Zādeh-Moḥammadīs in Bezug auf die Beteiligung und Kapazitäten nicht- staatlicher Akteure in gewalthaften Auseinandersetzungen dazu geeignet sind, eine Periodisierung der modernen Geschichte Irans vorzunehmen, die Rückschlüsse auf die Herrschaftsstrukturen im entsprechenden Zeitrahmen zulässt und sich aus der Analyse dieser Strukturen heraus gleichsam bedingt. Es wurde dabei hier vorgeschlagen, die Periode von 1941 bis 1963, die vom Einmarsch der alliierten Truppen in Iran und der Niederschlagung der religiös motivierten Unruhen in Qom und Teheran eingeklammert ist, als die Phase der langen Konsolidierung der Herrschaft Moḥammad Reżā Šāhs zu bezeichnen. Diese Periodisierung folgt dabei der Beobachtung, dass es dem royalistischen Racket erst mit der Niederschlagung der Aufstände vom Juni 1963 nachhaltig gelungen war, alle konkurrierenden Positionen zu neutralisieren. Dies bezog sich sowohl auf die hier vorgestellten informellen Gewaltakteure, als auch auf rivalisierende politische Konfigurationen, wie das Beispiel Neʽmatollāh Naṣīrīs veranschaulichte, der die Durchsetzung des royalistischen Rackets exemplarisch versinnbildlichte.

Es zeigte sich, dass der Racket-Begriff der Frankfurter Schule dazu geeignet ist, das Handeln historischer Akteure theoretisch zu durchdringen, in dem er sich von der Frage der Klassenzugehörigkeit löst und sich einerseits auf die Interessen der Akteure kapriziert und andererseits es ermöglicht, die Dynamik der Austauschbeziehungen zwischen den entsprechenden Protagonisten ernst zu nehmen und zu Theoretisieren. Durch die Analys eben jener Dynamiken war es in vorliegender Studie möglich, für entscheidende Momente der iranischen Geschichte alternative Lesarten anzubieten, die sich auf die Ermittlung der Herrschaftskonfigurationen im historischen Moment stützen können und ein differenziertes Bild dieser Konfigurationen anbieten können. Die Racket-Theorie wurde dabei hier im Kern als eine Theorie über Racketeere behandelt und es konnte gezeigt werden, dass sie erst durch diesen Perpektivwechesel auf die maßgeblichen Individuen ihre Stärke in Bezug auf historiographische Implekationen gewinnt – nicht zuletzt hatte Horkheimer bereits zu diesem Schritt ermutigt. Und vielleicht ist ihm gar durch diese Perspektive zuzusteimmen, wenn er sagt: „Wissenschaftlich

254 gesprochen, könnte sich aus der Soziologie der Rackets auch eine angemessene Geschichtsphilosophie entwickeln. Überdies könnte sie dazu beitragen, mehr Licht auf viele Probleme der Geisteswissenschaften zu werfen [...].“928

Für die Frage nach der Legitimität der Herrschaft der Rackets wurde hier vorgeschlagen, auf Ideologien der Dominanz zu rekurrieren. Hierbei zeigte sich, dass für den Fall der Gewalt der Rückgriff auf einen theoretisierten Maskulinitätsbegriff fruchtbar sein kann, wenn dieser als eine Ideologie der Dominanz wahrgenommen und präsentiert wird. Danach konkurrierten in Iran zwischen 1941 und 1963 in Bezug auf die legitime Anwendung von Gewalt verschiedene Ideologien der Dominanz miteinander, wie abermals durch die besprochenen Racketeers verkörpert wurde, wobei sich jene Wahrnehmung durchsetzte, die dem Staat allein die Prärogativen des Schutzes und der Gewaltanwendung zusprechen wollte. Es bestand so nach 1963 – und erst nach 1963! – ein Konsens darüber, dass allein der staatliche Sicherheitsapparat das Gewaltmonopol in Iran innehatte. Die Analyse der konkurrierenden Racketeers ermöglicht so erst dann die Erfassung zentraler Macht- und Herrschaftskonfigurationen, wenn man sich von der Vorstellung löst, dass die Durschsetzung von Dominanzbeziehungen sich alleine aus dem Staat heraus erklären lassen. Erst die Darstellung der politischen wie soziokulturellen Positionen auch der im Kampf um die Monopolstellungen unterlegenen Individuen, ermöglicht die genau Aussage über die Herrschaftskonfigurationen im historischen Moment. Dies wird durch die Beispiele der Akteure Šaʿbān Ǧaʿfarī und Ṭayyeb Ḥāǧǧ Reżāʾī exemplifiziert.

928 Max Horkheimer, „Zur Soziologie der Klassenverhältnisse [1943].“ in Gesammelte Schriften (s. Anm. 6), 103-104. 255

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