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Esther Deutsch DAS PALAIS EPSTEIN Maria-Luise Janota Ein Haus mit Geschichte Nicola Sekyra

Führungen durch das Palais Epstein. Ein Leitfaden.

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Esther Deutsch DAS PALAIS EPSTEIN Maria-Luise Janota Ein Haus mit Geschichte Nicola Sekyra

Führungen durch das Palais Epstein. Ein Leitfaden.

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Inhaltsverzeichnis Weitere Nutzung des Palais Epstein bis heute ...... 59 Vorwort des Parlamentsdirektors ...... 5 Die Besitzer nach Gustav Ritter von Epstein ...... 61 Nutzung für das Parlament Die Familie Epstein – ein Stück oder Haus der Geschichte ...... 65 österreichischer (Kultur- und Heutige Nutzung des Palais Epstein – Wirtschafts-)Geschichte ...... 7 die Demokratie werkstatt ...... 66 Aufstieg einer Prager Familie ...... 9 Die Wiener Ringstraße Gustav Ritter von Epstein ...... 12 im Spiegel der Geschichte ...... 69 Die Spuren der Familie Epstein bis heute ...... 22 Eine Prachtstraße und eine neue Zeit ...... 73 Orte der Erinnerung ...... 24 Der Verlauf der Ringstraße Hansen und Epstein ...... 25 und ihre bedeutendsten Gebäude ...... 80 Vertreter der Ringstraßenarchitektur im Überblick ...... 83 Das Palais Epstein ...... 27 Soziale Aspekte zur Bauzeit der Wiener Ringstraße ...... 84 Außenarchitektur ...... 30 Die Nutzung des Palais ANHANG durch die Familie Epstein ...... 35 Die Räume und ihre Gestaltung ...... 38 Die wichtigsten Bauten Das Palais Epstein der Wiener Ringstraße und die Technik ...... 39 und ihre Architekten im Detail ...... 89 Ein Blick in die einzelnen Räume ...... 42 Das jüdische Wien ...... 129

Weiterführende Literatur ...... 141

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VORWORT

Als am 25. Oktober 2005 das Palais Epstein nach langer, sorg- Die vorliegende Broschüre soll – in Anlehnung an die Publi- samer und vor allem auch liebevoller Renovierung dem Parla- kation „Neu Zusammen Geführt“ für das historische Parla- ment und damit seiner neuen Bestimmung übergeben werden mentsgebäude – eine breit angelegte Information für das konnte, war dies weit mehr als eine Anmietung zusätzlicher Führungsteam bieten, die auf sämtliche Aspekte im Zu - Räumlichkeiten für das Hohe Haus. Es war vor allem ein symbol- sammenhang mit dem Gebäude und der Familie eingeht. Sie trächtiger Akt: Zum einen hat der Architekt des Parlaments - soll praktischer Leitfaden und lebendige Lektüre zugleich sein, gebäudes, Theophil Hansen, auch das Palais Epstein gebaut um sich auf Führungen durch das Palais Epstein vorzubereiten. (ausgeführt wurde es vom damals jungen Otto Wagner), zum Wer sich näher mit dem gesamten Themenkomplex aus- anderen kann anhand der wechselvollen Zeiten dieses Ring - einandersetzen will, findet in der Literatur liste im Anhang An - straßenpalais die Geschichte Wiens, vor allem des jüdischen regungen für eine tiefer gehende Befassung. Wiens, und die Geschichte Österreichs im 19. und 20. Jahr - Zusammengestellt wurde das Kompendium von einer Arbeits - hun dert sehr anschaulich und lebensnah nachempfunden und gruppe, bestehend aus Esther Deutsch, Maria-Luise Janota und geschildert werden. Nicht zuletzt deshalb hat im Jahr 1999 die Nicola Sekyra. Sie konnten dabei auf vorhandene umfangreiche Entscheidung der damals fünf Parlamentsparteien, das Palais Texte von Günther Schefbeck zurückgreifen, die dieser im Zuge für parlamentarische Zwecke zu nutzen, eine äußerst kontro- der Renovierung und Adaptierung des Palais Epstein auf Basis versielle öffentliche Diskussion ausgelöst. weitreichender wissenschaftlicher Recherchen erstellt hat. Ihm Das Palais selbst vermittelt einen Eindruck vom technischen gilt daher besonderer Dank. Eine große Unterstützung waren Fortschritt zur Zeit seiner Erbauung. Im Zuge der Restaurierung dem Team auch die Arbeiten der Historikerin Brigitte Hamann. ist man immer wieder auf Überraschungen und bemerkens - Ich hoffe, dass dieser Band dazu beiträgt, die Führungen durch werte Details gestoßen. Im Rückblick auf die unterschiedlichen das Palais Epstein für die Besucherinnen und Besucher span- Besitzer lässt sich die politische, wirtschaftliche und soziale nend und abwechslungsreich zu gestalten. Entwicklung der Stadt und des Landes gut dokumen- tieren. Und nicht zuletzt liest sich die Geschichte der Familie Epstein wie einem Roman von Doderer oder Musil entnommen. Eine Führung durch das Palais Epstein liefert somit über die Architektur und künstlerische Ausgestaltung des Gebäudes Dr. Georg Posch, Parlamentsdirektor hinaus ausreichend Stoff für die unterschiedlichsten Interessen. Wien, im Jänner 2009

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Aufstieg einer Prager Familie ...... 9

Gustav Ritter von Epstein ...... 12

Die Spuren der Familie Epstein bis heute ...... 22

Orte der Erinnerung ...... 24

Hansen und Epstein ...... 25

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Die Ausführungen folgen in weiten Bereichen den Arbeiten von Günther Aufstieg einer Prager Familie Schefbeck (Parlamentsdirektion) sowie jenen der Historikerin Brigitte Hamann und Friedrich Dahm: Als Gustav Ritter von Epstein sein Palais auf der Prachtstraße Hamann, Brigitte: Das Palais Epstein im Lauf der Geschichte. In: Forum der Hauptstadt der Monarchie unter der Adresse Burgring 13 Parlament, Jg. 3, Nr. 2/2005, Parlamentsdirektion Wien, S. 49–54 errichten ließ, konnte er auf einen über drei Generationen Hamann, Brigitte: Der Bauherr Gustav Ritter von Epstein. In: Das Palais erfolgreichen wirtschaftlichen und damit auch gesell schaft- Epstein. Geschichte, Restaurierung, Umbau. Ein neues Haus an der Wiener lichen Aufstieg seiner Familie zurückblicken. Epstein zählte Ringstraße. Bundesimmobiliengesellschaft mbH (Hrsg.), Wien 2005, damals bereits zu den reichsten Männern Wiens und dokumen- S. 42–47 tierte mit der Errichtung des Palais auf einem der teuersten Dahm, Friedrich: Die Baugeschichte des Palais Epstein. In: Das Palais Epstein. Baugrün de der Stadt seinen Eintritt in die gesellschaftliche Geschichte, Restaurierung, Umbau. Ein neues Haus an der Wiener Führungsschicht des Staates. Ringstraße. Bundesimmobiliengesellschaft mbH (Hrsg.), Wien 2005, Die Wurzeln der Epsteins liegen in Prag, wo die Familie zum S. 48–68 guten jüdischen Mittelstand zählte. Träger des Namens Epstein lassen sich in Prag seit dem 16. Jahrhundert nachweisen. Nach dem steilen wirt schaftlichen Aufschwung im Bereich der Textilindustrie an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ver- legte die Familie ihren Sitz nach Wien. Der wirtschaftliche Zusammenbruch nach dem Börsenkrach 1873, der mit dem Verlust des Familienvermögens verbunden war, führte die Nachkommen Gustav Ritter von Epsteins nach Budapest, wo sein Urenkel noch heute (2008) lebt. Somit ist die Geschichte der Epsteins auch eng mit den drei wichtigsten Städten der Habsburgermonarchie verbunden. Anhand des Weges der Familie und des Palais lässt sich nicht nur die wirtschaftliche, technische und soziale Entwicklung der Monarchie und Wiens nachvollziehen, sondern er spiegelt auch die Situation der Juden im Lauf der Geschichte wider.

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Textilgroßhändler und Bankiers Exkurs Gegen Ende des 18. Jahrhunderts legten die Brüder Israel und Ephraim Epstein den Grundstein zum wirtschaftlichen Aufstieg Das Judentum in Prag geht bis ins 10. Jahrhundert zurück, als der Familie. Sie spezialisierten sich auf das Bedrucken von sich jüdische Kaufleute an der Moldau, unterhalb der Baumwollstoffen, die sogenannte Kattundruckerei. Damit Przemyslidenburg, angesiedelt haben. König Ottokar II. unter- repräsentierten sie die Reaktion des Kontinents auf die von stellte sie als „Kammerknechte“ dem Schutz seiner Hofkammer Großbritannien ausgehende industrielle Revolution, die gerade und begründete damit ihre verhältnismäßig gesicherte Existenz im Bereich der maschinellen Baumwollverarbeitung eingesetzt in der Stadt Prag. Dem gegenüber steht der Pogrom von 1389. hatte. Die britische Konkurrenz war aufgrund ihres techno- Das dicht besiedelte jüdische Getto von Prag war zeitweise das logischen Vorsprungs übermächtig. Erst die von Napoleon 1806 größte Europas. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts wurde es verhängte Kontinentalsperre, ein gegen Großbritannien erklär- geschleift, und die Wohnverhältnisse der Prager Juden verbes- tes Handelsembargo als Antwort auf die britische Seeblockade, serten sich. Unter den rund 200.000 Einwohnern der Stadt – entlastete die kontinentaleuropäischen Kattundruckereien. ohne Vororte – waren damals rund 19.000 Juden. Die national- Davon profitierten auch die Prager Betriebe, und die Brü der sozialistische Politik hat auch das Prager Judentum schwer Epstein gelangten durch strategisch geschickte Unterneh mens - getroffen: Von rund 39.000 Juden haben nur etwa 7.500 über- politik rasch zu Wichtigkeit und Wohlstand. lebt. Nach der geschäftlichen Trennung im Jahr 1815 verlief die von Israel begründete Linie ungleich steiler als jene seines Bruders Ephraim. 1819 trat Israel Epstein die Fabrik an „seinen einzigen hierzu eigens vorgebildeten Sohn“ Lazar ab, der sich später Leopold Epstein nannte. Dieser besaß offenkundig besonderes wirtschaftliches Geschick. Unter seiner Leitung wurde die Kattundruckfabrik bald zur bedeutendsten Prags und war 1843 mit fast 1.000 Arbeitern die zweitgrößte in Böhmen.

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Mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Textilproduktion entwickel- Von Prag nach Wien te sich auch der unternehmerische Wunsch, die Produkte der Mit der Verlagerung der wirtschaftlichen Interessen von Prag Kattundruckfabriken ertragbringend zu vermarkten. Bereits nach Wien verlegte Lazar, nun Leopold Epstein, auch den 1818 hatte die Firma Israel Epstein eine kleine Niederlassung in Wohnsitz der Familie sowie den Sitz der Firma mehrheitlich nach Wien unterhalten, in der Lazar den Umsatz steigern konnte. Aus Wien. Damit war er ins politische, wirtschaftliche und gesell- der Präsenz am wichtigsten Handels- und Finanzplatz der schaftliche Zentrum der Monarchie und zugleich an die Spitze Monarchie ergab sich nahezu zwingend das Ausgreifen der ihrer Gesellschaft aufgerückt – oder jedenfalls der „Zweiten geschäftlichen Aktivitäten in den Großhandel und in das Gesellschaft“, wie die Vertreter des wirtschaftlich erfolgreichen Bankgeschäft. 1850 erhielt Lazar Epstein von der niederösterrei- Bürgertums genannt wurden. Der Vorstand der Israelitischen chischen Statthalterei die Großhandelsbefugnis, worauf er die Kultusgemeinde und zeitgenössische Chronist Sigmund Mayer Kurrentwarenhandelsbefugnis zurücklegte („Kurrentwaren“ beschrieb Leopold Epstein als einen zwar nicht sehr feinen, aber nannte das österreichische Handelsrecht jene Klasse von sehr gescheiten Mann, der „durch Aussehen und Wesen eine Textilien, zu der auch Baumwollgewebe zählte). Stadtfigur“ wurde. Er sei durch seinen fülligen Körperbau aufge- In der Folge verlegte sich Lazar zunehmend auf das fallen und habe durch seinen wachen Verstand und seine Bankgeschäft, vornehmlich auf Wechselstuben. Das eigene geschäftliche Kompetenz beeindruckt. Bankhaus erwies sich als sehr zweckmäßig zur finanziellen Als einer der reichsten Bankiers Wiens wurde Leopold Epstein Abwicklung der Transaktionen im Handel, und nach dem unter anderem zum Direktor der Nationalbank berufen. Im Jahr Verkauf der Fabriken sollte das Bankgeschäft schließlich ganz in 1864 starb er an den Folgen eines Schlaganfalles und wurde auf den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Hauses dem Währinger jüdischen Friedhof begraben. Epstein treten. Die Kultur der Familie Epstein war deutsch geprägt: Es wurde deutsch gesprochen, in der Bibliothek befanden sich vor allem Bücher in deutscher Sprache, aber auch in Französisch und Englisch. Leopold Epsteins reiche Töchter vermählten sich standes- gemäß: Antonie heiratete in die nach Wien eingewanderte jüdische Bankiersfamilie Boschan, Anna in die aus Portugal in

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die Niederlande emigrierte jüdische Familie Teixeira de Mattos. Auch Sohn Gustav, der mit 21 Jahren zum Leiter der väterlichen Baumwolldruckfabriken in Böhmen und mit 27 zum Prokuristen im väterlichen Großhandel in Wien berufen wurde, ging eine standesgemäße Ehe ein, und zwar mit der um acht Jahre jüngeren Emilie Wehle. Sie entstammte einer angesehenen jüdischen Familie in Prag.

Gustav Ritter von Epstein

Gustav Epstein wurde als drittes Kind und zugleich ältester Sohn von Lazar/Leopold Epstein am 10. April 1828 in Prag geboren und wuchs in Prag und Wien auf. Er vollendete den gesellschaft- lichen Aufstieg der Familie und starb am 23. September 1879 verarmt infolge des Börsenkrachs von 1873.

Gustav Epstein (Ölgemälde von Gustav Gaul aus 1858 / Fabrikant wider Willen Parlamentsdirektion / Foto Johann Achter) Nach dem Tod des Vaters war Gustav Epstein ein reicher Erbe mit einem geschätzten Vermögen von rund zehn Millionen Gulden, nach heutigem Wert knapp 100 Millionen Euro. Er über- nahm im Jahr 1864 die Firma mit nur wenig Freude, da seine Interessen in erster Linie auf kulturellem Gebiet lagen. Vater Leopold Epstein hatte jedoch testamentarisch verfügt,

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dass sein Sohn die Firma nur dann erben könne, wenn er diese Vor standsmitglied verschiedener großer Baugesellschaften. auch mindestens fünf Jahre leitet. Mit einem Teil des Kapitals Dazu kamen leitende Funktionen in den Organisationen der gründete Gustav Epstein aber seine eigene Bank, die Bank Zucker-, Öl- und Papierindustrie und hohe Positionen in Han - Epstein. delskammer und Gewerbeverein. In Wien repräsentierte er ungarische und böhmische Versicherungen und vertrat um ge- Ursprünglich sollte sein jüngerer Bruder Joseph in die kehrt auch Wiener Gesellschaften in Prag und Budapest. Fußstapfen des Vaters treten und erhielt zunächst auch 1853 Seine internationalen Beziehungen führten ihn vor allem in die Prokura im Alter von 23 Jahren. Da er aber hohe Schulden die Niederlande, nach Italien und in das Großherzogtum machte (über 150.000 Gulden, das entspricht in heutiger Oldenburg, dessen österreichischer Generalkonsul er war. Währung kaufkraftmäßig mehr als 1,5 Millionen Euro) schied er Von 1867 bis zu seinem Tod war er auch im Vorstand der bereits drei Jahre später aus der Firma aus. Leopold Epstein Israelitischen Kultusgemeinde. beglich zwar die Schulden seines jüngeren Sohnes, enterbte ihn aber gleichzeitig, sodass Gustav die Verantwortung übernahm, Das Bankhaus betrieb Gustav Epstein weiter. Für den Publi - die Geschicke des Hauses zu lenken. kumsverkehr unterhielt es eine Wechselstube unter der Adresse Kärntnerstraße 3/Singerstraße2, ansonsten repräsentierte es Im Jahr 1871 zog sich Gustav Epstein aus der Geschäftsführung einen Geschäftstypus, der heute als Investmentbank bezeichnet zurück und überließ diese seinen Prokuristen. Offizieller Grund würde. Betriebsgegenstand war die Verwaltung des eigenen war seine Kränklichkeit – offenbar litt er bereits damals an Vermögens und der verschiedenen Beteiligungen, bei spiels - Kehlkopftuberkulose. Seine Neigungen und Interessen galten weise in der Zucker- und Ölproduktion, im Bankwesen und in der Kultur, seiner Kunstsammlung und den Reisen, die nicht, der Versicherungsbranche. wie die seines Vaters, primär geschäftlichen Zwecken dienten.

Gustav Epstein übte weiterhin eine Reihe von Verwal tungs - ratsfunktionen in Gesellschaften aus, in die sein Bankhaus inves- tiert hatte, doch handelte es sich dabei durchwegs um reprä- sentative und nicht um operative wirtschaftliche Tätigkeiten. Wie schon zuvor sein Vater, war er Direktor der Nationalbank sowie Börserat, darüber hinaus Verwaltungsrat der im Bau befind lichen Kaiserin-Elisabeth-Bahn (heute Westbahn) und

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Die Familie Emilie Wehle (Ölgemälde von Gustav Gaul aus 1858 / Parlamentsdirektion / Foto Johann Achter) Emilie von Epstein Gustav Epsteins Gattin Emilie entstammte, wie er selbst, einer angesehenen und wohlhabenden jüdischen Prager Familie, der Familie Wehle. Die Ehe wurde am 17. August 1858 in Prag geschlossen und war, wie für bürgerliche Ehen der Zeit üblich, die Verbindung zweier Familien auf der Basis gemeinsamer Interessen. Sie sollte sich in guten wie in schlechten Zeiten bewähren: Erfüllte Emilie auf dem Gipfel der gesellschaftlichen Position ihres Ehemannes die Rolle der Hausherrin des glanz- vollen Ringstraßenpalais mit Leben, so war sie nach dem wirt- Die Kinder schaftlichen Niedergang des Hauses Epstein ihrem Mann die wichtigste Stütze unter immer schwieriger werdenden Um - Der Ehe von Gustav und Emilie Epstein entsprangen vier Kinder, ständen. Emilies Bruder Johann Wehle übernahm nach dem Tod zwei Söhne und zwei Töchter: ihres Ehemanns Gustav gemeinsam mit ihr die Vormundschaft Der 1859 geborene älteste Sohn Friedrich Joseph war stets über die unmündigen Kinder, und bis zu Johanns Tod im Jahre kränklich wie sein Vater und starb bereits im 17. Lebensjahr an 1913 lebten die Geschwister gemeinsam in wechselnden Tuberkulose. Seine Krankheit und sein absehbares Lebensende Wohnungen in Wien. waren der Hauptgrund, warum Gustav Ritter von Epstein auch Nachdem sie ihre Töchter gutbürgerlich nach Ungarn verhei- nach dem Verlust seines Vermögens um jeden Preis das Palais ratet hatte, folgte ihnen Emilie in hohem Alter in der wirtschaft- zu halten bemüht war. Er wollte dem Sohn die gewohnte lich harten Nachkriegszeit 1919 nach Budapest, wo sie 1921 Umgebung bewahren. starb. Vor ihrer Übersiedlung nach Ungarn hatte sie sich noch in Das zweite Kind, die Tochter Caroline Maria, wurde 1861 gebo- Wien evangelisch taufen lassen. ren. Nach vorheriger Konversion zum römisch-katholischen Glauben heiratete sie 1889 den ungarischen Staatsanwalt und nachmaligen Oberlandesgerichtsrat Anton/Antal Gerö

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(ur sprüng lich Goldstein), der ebenfalls konvertierter Jude war. „Wirtschaftsboss“ vermutet man nicht hinter der feinnervigen Sie starb 1940 kinderlos in Budapest. Gestalt, und in der Tat wird Gustav Epstein als distinguierte Person beschrieben, als Geschäftsmann, der Gelassenheit Die zweite Tochter, Margarethe, wurde 1870 geboren und ausströmte und sich im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf mit heiratete wie ihre ältere Schwester nach Ungarn. Sie vermählte nobler Zurückhaltung bewegte. Nicht nur im eigentlichen sich 1897, nach Konversion zum evangelischen Glauben, mit Bankgeschäft, auch an der Börse war die Geschäftsführung dem k.u.k. Major und späteren Honvéd-Feldmarschallleutnant durchaus vornehm. Laut zeitgenössischer Charakterisierung Emil Schultheisz, der 1912 mit dem Prädikat „de Dévecser“ in lehnte Gustav Epstein alles ab, was nicht fair war. Auch wenn er den Adelsstand erhoben wurde. Mit ihm hatte sie vier Kinder. sich diese Haltung als einer der reichsten Männer Wiens leisten Sie starb, durch das kommunistische Regime von Budapest aufs konnte, sollte sie sich im Strudel des Börsenkrachs von 1873 als Land getrieben, im Jahr 1954. selbstzerstörerisch erweisen. Bereits nach der Aufgabe des Palais und zwei Jahre vor dem Tod Gustav Epstein war ein weit gereister, vielsprachiger, gebildeter seines Vaters 1877 wurde der jüngste Sohn geboren, Leopold Mann und großzügiger Kunstförderer, der sich als liberaler Jude Friedrich Julius Ritter von Epstein. Nach seinem Studium den Grundsätzen jüdischer Ethik verbunden fühlte. Im der Rechte in den Ministerialdienst eingetreten, starb er mit Gegensatz zu vielen großbürgerlichen jüdischen Familien, die 29 Jahren in Obermais bei Meran, wo er sich zur Kur aufhielt, de facto bekenntnislos lebten oder zum Christentum konver- an Tuberkulose. tierten, war er religiös und befolgte auch die ethischen Grundsätze seiner Religion. Kunstliebhaber und Humanist Als Gustav Epstein nach dem Tod des Vaters die Leitung der Firma L. Epstein übernahm, nutzte er die gewonnene Dis - positionsfreiheit nicht dazu, einen neuen geschäftlichen Kurs zu Der Wohltäter Gustav Ritter von Epstein steuern, sondern investierte in die Errichtung seiner Ba dener Gustav Epstein war das Gegenbild zu seinem Vater, nicht nur Landvilla und des prachtvollen Stadtpalais. Sein öffentliches vom Wesen, sondern auch in der äußeren Erscheinung. Wie man Engagement galt darüber hinaus der Wohlfahrt und der anhand eines Porträts, das vom damals Zwanzigjährigen im Jahr Kulturförderung. Sein Selbstbewusstsein schöpfte er nicht aus 1858 angefertigt worden war, feststellen kann, wirkte Gustav seinem Vermögen, sondern vielmehr aus der öffentlichen zart und blass, hoch aufgeschossen und schlank. Einen harten Hochachtung, die ihm nicht nur aus seinen Ämtern und

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Ehrenfunktionen erwuchs, sondern vor allem aus seinem huma- Stiftung für die Armen- und Waisenpflege allein 100.000 Gulden nitären und kulturellen Engagement. Als Mitglied des Vorstands in fünfprozentigen Staatspapieren. der Israelitischen Kultusgemeinde setzte er sich besonders Als Dank für seine immer wieder sehr hohen Spenden erhielt für die Waisenpflege ein, doch konnte jede humanitäre Gustav Epstein im November 1866 von Kaiser Franz Joseph den Institution gewiss sein, bei ihm ein offenes Ohr wie eine offene Orden der Eisernen Krone 3. Klasse und damit den Adelstitel. Hand zu finden. Von nun an hieß er Gustav Ritter von Epstein. In seiner Bank befand sich ein separater Raum, der für ein Geldinstitut eher ungewöhnlich war und ist. Hier bearbeitete ein eigens dafür angestellter Mitarbeiter Hilfegesuche von Kunstliebhaber und Kunstförderer Bedürftigen und zahlte aus einer von Epstein eingerichteten Neben der Wohlfahrt galt der Kunst das besondere Interesse Handkassa finanzielle Zuwendungen an die Armen aus. Der und Engagement Gustav Ritter von Epsteins. So beteiligte er dafür ausgesetzte Betrag soll sich bei 30.000 Gulden (in heutiger sich aktiv an der Gründung und Ausstattung des Museums für Währung kaufkraftmäßig nicht weniger als 300.000 Euro) pro Kunst und Industrie (heute MAK – Museum für angewandte Jahr bewegt haben. Angeblich lautete damals ein geflügeltes Kunst), und seine Ernennung zum Korrespondenten des Wort: „Der Kaiser gibt einen Kreuzer, der Epstein gibt vier.“ Museums soll er als höchste Auszeich nung aufgefasst haben. Beim Neubau der Börse setzte er sich als Börserat und Mitglied Als 1866 zwischen Österreich und Preußen der Kampf um die des Baukomitees entscheidend für die Wahl Theophil Hansens Vorherrschaft in Deutschland ausbrach, brauchte der Staat als Architekt ein. Epstein war auch Vorstandsmitglied des dringend Geld. Als glühender Patriot stellte der kaisertreue Wiener Musikvereins und sein Name ist im Foyer des Gebäudes Gustav Epstein als erster Privatmann dem Kaiser für den Krieg auf einer Ehrentafel für großzügige Spender an prominenter eine hohe Summe zur Verfügung. Am Ende des Krieges stand Stelle eingemeißelt. die verlorene Schlacht von Königgrätz, in deren Folge Bismarck Österreich aus dem Deutschen Bund ausschloss und Seine Liebe zur Kunst schlug sich aber vor allem in seinem Palais Berlin zum politischen Zentrum Europas ausbaute. Epstein an der Ringstraße nieder, das selbst ein Gesamtkunstwerk ist reagierte auf die große Not in der besiegten und ge - und auch seine reichen Kunstsammlungen beherbergte. demütigten Habsburgermonarchie, die auch auf die hohen Zentrum des Palais ist der prachtvolle Tanzsaal, in dem in den Reparationskosten zurückzuführen war, und spendete weiter Jahren 1872 und 1873 wöchentlich musikalische Soireen ab- hohe Summen. 1866 schenkte er einer philanthropischen gehalten wurden. Diese waren insbesondere den Kom-

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po si tionen Beethovens und Schuberts gewidmet, die von der Seele suchte. Im Wintergarten des Wiener Palais schuf er bedeutenden Musikern und Musikerinnen meist am Klavier ein „virtuelles Italien“, mit Pflanzen, die das Flair des geliebten interpretiert wurden. Zu den Vortragenden gehörten zum Landes verströmen sollten, mit Kunstwerken, die er von seinen Beispiel Clara Schumann und Anton Rubinstein. Reisen in den Süden mitgebracht hatte. Klaviermusik wurde in der Familie auch aktiv gepflegt. So Ein Zeugnis dieser großen Liebe zu Italien und zur italienischen begann Margarethe von Epstein schon im Alter von drei Jahren Kunst ist bis heute erhalten geblieben: die Marmorstatuette im Palais zu musizieren und trat später bei den in kleinerem eines Genius oder Amor, die er aus Florenz mitbrachte. Sie Kreis abgehaltenen Familienmusizierabenden als Pianistin auf. überlebte den Verkauf der Kunstsammlungen, gelangte als Teil Dabei trug sie wiederholt auch ein Stück vor, das der Komponist des Heiratsgutes von Margarethe von Epstein nach Ungarn und Eduard König eigens für ihre Mutter geschrieben hatte, die ist nun ins Palais Epstein zurückgekehrt. „Emilien-Polka“. Deren Titel „Freudig vorwärts“ paraphrasiert die Bedeutung des im Familienwappen enthaltenen Pfeil - symbols. Das in Seide gebundene Notenalbum, in dem diese Polka neben mehreren anderen Stücken enthalten ist, wurde von Margarethe und ihren Nachkommen sorgsam gehütet und aufbewahrt, als bleibende Erinnerung an die Zeit der glän zen- den musikalischen Soireen im Palais Epstein.

Italien in Wien Eine Leidenschaft Gustav Ritter von Epsteins war das Reisen, nicht nur wegen seiner angegriffenen Gesundheit. Für ihn stan- den weniger wirtschaftliche Zwecke oder die Anbahnung und Pflege von Geschäftskontakten im Vordergrund, sondern viel- mehr die kulturellen Eindrücke. Die Reisen führten ihn bis in den Vorderen Orient, nach Tunesien und Marokko, doch ein Alexanderzug, Relieffries im Wintergarten Land zog ihn besonders in seinen Bann: Italien, das er mit (Parlamentsdirektion / Foto Christian Hikade)

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Der Bauherr Gustav Ritter von Epstein wohnte die Familie Epstein. Im zweiten Stock erstreckte sich eine der teuersten und elegantesten Mietwohnungen Wiens, zugänglich über eine eigene Herrschaftsstiege, daneben lagen Das Ringstraßenpalais weitere elegante Wohnungen. Die Mietwohnungen im dritten Als Gustav Ritter von Epstein seinen Wohnsitz nach Wien Stock waren bereits preiswerter, und im Dachgeschoß, in den verlegte, suchte er ein seinem Reichtum und seiner gesellschaft- kleinen, lichtlosen Räumen an der Hinterseite des Gebäudes lichen Position angemessenes Grundstück. Er fand es an der sowie im niedrigen Mezzanin gab es, wie in allen Ring - Ringstraße, „an der Bellaria“, gegenüber der . Es handel- straßenbauten, kleine Dienstbotenzimmer. te sich dabei um eines der teuersten für private Verbauung Das Erd geschoß nahm nicht nur das Epstein’sche Comptoir auf, freigegebenen Grundstücke der Stadt. Das Palais sollte aber sondern umfasste auch vermietete Geschäftslokale. Der Keller nicht nur geografisch seine Position widerspiegeln, Gustav schließlich enthielt neben Heiz- und Vorratsräumen auch Ställe Epstein wollte vor allem einen seinem Kunstsinn angemessenen für 14 Pferde, die jedoch nach dem heutigen Verständnis von Wohnsitz schaffen. Um diesen Wunsch zu realisieren, beauftrag- Tierschutz nicht artgerecht gehalten wurden. Erwähnenswert te er seinen Lieblingsarchitekten Theophil Ritter von Hansen mit sind auch die für damalige Zeiten modernen Sanitärräume. der Planung, der nicht nur für den baukünstlerischen Entwurf Sowohl das Badezimmer als auch die Toiletten waren hell, verantwortlich zeichnete, sondern auch die bildnerische und gut zu beheizen und hygienisch, all dies Standards, die damals kunsthandwerkliche Ausschmückung entwarf. Die Bauführung nicht selbstverständlich und in anderen Palais auch nicht zu wurde dem jungen Otto Wagner übertragen. finden waren. Nicht einmal der Kaiser verfügte über eine der - Das Palais, für das 1868 die Baubewilligung erteilt worden artige Be quem lichkeit, da Schönbrunn nur mit einem fahrbaren war, konnte nach drei Jahren Bauzeit 1871 bezogen werden. Waschbecken und einem Leibstuhl ausgestattet war. Dreistöckig, auf einer Grundfläche von 1367 m2 errichtet, war es für das Repräsentations- und Wohnbedürfnis selbst eines der reichsten Männer Wiens viel zu groß. Es wurde in der damals üblichen gemischten Bauweise geplant, das heißt, es gab darin auch vermietete Geschäftsräume und Mietwohnungen. Im Erdgeschoß befand sich das Bankhaus Epstein mit Büros. In der prachtvollen Beletage mit einer eigenen Prunkstiege

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Exkurs zur Herkunft und ursprünglichen Bedeutung Die Badener Villa des Begriffs „Bellaria“ Gustav Ritter von Epstein ließ nach seiner Übersiedlung von Der Text folgt weitgehend den Ausführungen von Günther Schefbeck. Prag nach Wien nicht nur das Ringstraßenpalais errichten. Zum großbürgerlichen Lebensstil, dem Ideal adeligen Lebens nach- Maria Theresia, die mit ihrem Gemahl Kaiser Franz I. den gebildet, gehörte auch eine Sommerresidenz. Dafür wählte er Leopoldinischen Trakt der Hofburg bewohnte, ließ in den die Stadt Baden bei Wien, die durch ihre beschauliche Jahren 1755 und 1756 an der dem heutigen Ballhausplatz zu- Atmosphäre ebenso wie durch ihre Heilbäder Erholung ver- gewandten Schmalseite dieses Traktes einen erhöhten Vorbau sprach. Überdies galt Baden als liberale Stadt mit stetig errichten. Dieser war über eine Rampe mit dem vor der Burg gelegenen Befestigungswerk (Kurtine) verbunden und konnte direkt von den kaiserlichen Gemächern aus betreten werden. Im Gegensatz zu den Innenräumen der Burg herrschte hier oft „gute Luft“, was zur Bezeichnung „Bellaria“ führte, schließlich wurde damals am Hof noch oft italienisch gesprochen. Die barocke „Bellaria“ der Hofburg wurde zwar 1875 durch einen neuen historistischen Vorbau mit im Erdgeschoß gelegener Einfahrt vom Ballhausplatz ersetzt, der Begriff „Bellaria“ war aber bereits auf den direkt gegenüber gelegenen Bereich der neuen Ringstraße übertragen worden. Die hier einmündende, in Verlängerung der Burggasse gelegene Straße, zu der die Südfront des Palais Epstein ausgerichtet ist, wurde 1869 Bellariastraße benannt. Die „Bellaria“ bildet den Fluchtpunkt wichtiger Ausfallstraßen, die durch den 7. in den 16. Gemeindebezirk führen. Ver - kehrsgeografisch ein wichtiger Knoten, über den die und die Ringstraßenzone mit den Vorortbezirken verbun- den sind. Villa in Baden (Parlamentsdirektion)

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wachsender jüdischer Gemeinde, in der schon 1848 erstmals Der „Börsenkrach“ von 1873 ein Jude die Berechtigung erhalten hatte, in eigenem Namen und seine Folgen ein Haus zu kaufen. Das Jahr 1873 bedeutete für die wirtschaftliche und politische Am Ausgang des Helenentals erwarb Gustav Ritter von Epstein Geschichte Österreichs einen Wendepunkt: In der Zeit seit 1867, 1867 ein großes Grundstück, auf dem der junge Architekt Otto als sich mit dem wirtschaftlichen auch der politische Wagner eine großzügige Landvilla konzipierte. Sie wurde von Liberalismus durchgesetzt hatte, erreichte auch die „gründer- einem im Stil eines englischen Gartens angelegten Park umge- zeitliche“ Euphorie ihren Höhepunkt. Aktiengesellschaften ben. Wie in Wien trat Epstein auch in Baden als Wohltäter auf wuchsen aus dem Boden, an der Börse waren binnen kurzer Zeit und finanzierte unter anderem die Einrichtung der öffentlichen hohe Kursgewinne zu erzielen. Zwar begannen sich schon zu Gasbeleuchtung. Die Gemeinde benannte nach seinem Tod Beginn des Jahres 1873 die Insolvenzen zu häufen, doch die eine Gasse nach dem Förderer, die nach der nationalsozia- „Blase“ platzte erst am 9. Mai, der als „Schwarzer Freitag“ in die listischen Machtergreifung 1938 aus „rassischen“ Gründen in Börsengeschichte eingehen sollte. Wenige Tage nach Eröffnung Kornhäuselgasse umbenannt wurde. der Wiener Weltausstellung, mit der die „Gründerzeit“ stolz ihre Erfolge präsentieren wollte, erreichte die Zahl der Insolvenzen Der Verlust seines Vermögens nach dem Börsenkrach von 1873 mit 120 ihren Höhepunkt, und der Aktienhandelsverkehr an der zwang Gustav Ritter von Epstein freilich noch im gleichen Jahr, Wiener Börse brach zusammen. In der Folge sollten rund 90 die Villa an den ihm freundschaftlich verbundenen Erzherzog Prozent der Wiener Aktientitel den Verkehr einstellen. Mehr Rainer zu verkaufen. noch als das Vertrauen in die Wirtschaft war das Vertrauen in den politischen Liberalismus erschüttert und dessen Ende ein- geläutet. Damit einher ging eine Zunahme des Antisemitismus, Der dramatische Fall der Familie Epstein wurde doch die Schuld an der Krise den Spekulationen jüdischer Das Testament Gustav Ritter von Epsteins endet mit den „Kuponschneider“ angelastet. Worten: „Ich habe viel Unglück gehabt, bin aber kein Menschenfeind geworden.“ Dies ist bezeichnend für den Gustav Ritter von Epstein befand sich am „Schwarzen Freitag“ Mann, der trotz des eigenen wirtschaftlichen Ruins anderen bis auf einer seiner Italienreisen, um sein langwieriges Halsleiden zur Selbstaufgabe unter die Arme gegriffen hat. zu lindern. Er kehrte überstürzt nach Wien zurück und sah sich plötzlich mit einer völlig anderen Welt konfrontiert. Auch hin- sichtlich seiner persönlichen Situation blieb kein Stein auf dem

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anderen. Eine Zeitung schrieb: „... er verließ Wien als Millionär Schulden ein, die seine Prokuristen in der Geschäftsführung und kehrte als Bettler zurück ...“ gemacht hatten, sondern sogar für Verbindlichkeiten, die sein Kassier unredlicherweise eingegangen war, um an der Börse zu Das wirtschaftliche Chaos forderte seine Opfer, eine spekulieren. Und er griff, soweit er noch konnte, Freunden und Selbstmordwelle erschütterte Wien und traf Epstein zunächst Verwandten unter die Arme. Die durch ihn Geretteten behielten mit dem Tod eines Neffen (Boschan) schwer. Das Palais Epstein dank seiner Güte ihre Häuser und Werte. war jedoch nicht nur durch den materiellen Ruin des Bankhauses betroffen, es war auch Schauplatz eines spektaku- Epstein selbst verlor sein gesamtes Vermögen, das in drei lären Selbstmords: Der 34-jährige Adolf Taussig, Kassier des Generationen solide erworben und angelegt worden war: Bankhauses Epstein, hatte sich vom vierten Stock des Palais auf Aktien, Häuser, Grundstücke, den Familienschmuck und vor die Lothringergasse gestürzt. Taussig, der als Mitarbeiter über allem seine geliebten Gemälde, darunter zwei Porträts von Frans einen außerordentlich guten Ruf verfügte, war in zwei Jahren Hals. Andere in seiner Situation wären wohl untergetaucht und durch Spekulation steinreich und nun plötzlich bettelarm hätten ihr Vermögen in Sicherheit gebracht, Epstein aber folgte geworden. Seine riesigen Schulden hatte er aus der Firmenkassa seinen ethischen Grundsätzen, bezahlte seine Gläubiger und beglichen, wofür er in seinem Abschiedsbrief Epstein um beglich Schulden anderer. Nur mit Mühe konnte er den Konkurs Verzeihung bat. Dieser war „durch die entsetzliche Tat auf das seiner Bank vermeiden. Hinter dem Bankhaus Epstein standen tiefste ergriffen. Er erklärte der noch anwesenden Commission, weder Fabriken noch umfassender Grundbesitz. Ging die dass er eine Untersuchung durch die Strafbehörde nicht wün- Bewertung der Wertpapiere, in denen das Vermögen angelegt sche, und verzichtete auf einen Schadenersatz“, berichtete war, zurück, konnten sie auch nicht mehr belehnt und Forde - die Neue Freie Presse. rungen nicht mehr beglichen werden – Zahlungsunfähigkeit war unvermeidlich. Während jedoch andere Häuser in der gleichen Situation eine für sie günstige Ausgleichsquote auszu- „In Ehren“ verarmt handeln bemüht waren, ging Gustav Ritter von Epsteins Ehrgeiz Ohne Rücksicht auf die eigene Situation und wohl auch in reali- dahin, alle Gläubigerforderungen zu befriedigen. Am täts ferner Überschätzung seines Vermögens und in Unter - 11. August musste er seine Wechselstube verkaufen, die schätzung der Tragweite seines Handelns half Epstein auch Liquidation des Bank- und Großhandelshauses wurde in den anderen vom Börsenkrach Betroffenen mit Garantien für Sum - folgenden Jahren im Stillen durchgeführt, sodass die Bank „in men, deren Höhe er nicht ahnte. Auch stand er nicht nur für Ehren“ geschlossen wurde. Epstein war damit einer der wenigen

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in Wien, die aus dem Börsenkrach sauber, wenn auch ruiniert Die Spuren der Familie Epstein bis heute herauskamen. Das Wiener Palais konnte mithilfe von Hypotheken mühsam Der Weg nach Ungarn gehalten werden, da Epstein seinen schwerkranken Sohn Friedrich so lange wie möglich im gewohnten Heim belassen Bald nach dem Tod Gustav Ritter von Epsteins übersiedelte wollte. Nachdem der 17-Jährige im Jänner 1876 verstorben war, seine Witwe Emilie mit ihren drei Kindern Caroline, Margarethe räumte die Familie das Palais und übersiedelte in eine und Leopold in eine Wohnung im Haus Reichsratsstraße 5, hin- Mietwohnung im Haus des Niederösterreichischen Gewerbe - ter dem Parlamentsgebäude, unweit ihres einstigen Palais. vereins (Eschenbachgasse 11 im 4. Wiener Gemeindebezirk), Einige Jahre später zog ihr Bruder Johann Wehle zu ihr, und bis dessen prominenter Funktionär Epstein jahrelang war. zu seinem Tod im Jahre 1913 lebten die Geschwister in gemein- samem Haushalt. Die Adressen allerdings verschlechterten sich Gustav Ritter von Epstein starb am 23. September 1879 verarmt mit abnehmender Finanzkraft – von der inneren über die im Alter von 51 Jahren an Kehlkopfkrebs. Das einstige Vermögen äußere Ringstraßenzone in die Vorstadt. war aufgezehrt. Hatte er unmittelbar nach dem Börsenkrach noch seinen Verwandten und Freunden geholfen, so war er in Immerhin gelang es Emilie von Epstein, ihrem Sohn Leopold das den letzten Jahren seines Lebens selbst auf die Hilfe von Studium der Rechte zu ermöglichen und ihre beiden Töchter Verwandten angewiesen: Insbesondere seine Schwester Margarethe und Caroline gutbürgerlich zu verheiraten. Die Antonie lieh ihm hohe Summen auf die wenigen ihm noch Schwiegersöhne gehörten nicht der Schicht der Bankiers und verbliebenen Immobilien. Großhändler an, sondern jener der Beamten und Offiziere, in die Der Nachlass Gustav Ritter von Epsteins war mit mehr als auch Leopold als Ministerialbeamter eintrat, ehe er in jungen 350.000 Gulden (in heutiger Währung kaufkraftmäßig rund Jahren starb. Beide Schwiegersöhne stammten aus Ungarn: Der 3,5 Millionen Euro) überschuldet. eine war Staatsanwalt und schlug die richterliche Laufbahn ein, der andere war k.u.k. Major und wechselte zur ungarischen Gustav Ritter von Epstein ist in der israelitischen Abteilung des Landwehr, weil er sich dort bessere Karrierechancen versprach. Wiener Zentralfriedhofs begraben. Bevor sie sich vermählten, wechselten Caroline und Margarethe von Epstein die Konfession und ließen sich taufen. Als nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zumindest die Versorgungslage in Ungarn besser schien als in Wien, übersiedelte auch die nach

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dem Tod ihres Bruders vereinsamte Emilie von Epstein nach 1923 geboren, durchlebte Emil Schulteisz, der Urenkel Gustav Budapest, wo sie von ihren Töchtern aufgenommen wurde und Ritter von Epsteins, die typische Jugend eines Offizierskindes: ihr Leben beschloss. In nicht weniger als neun verschiedenen Städten besuchte er die Schule, er studierte in Ödenburg/Sopron, Klausenburg, Debrecen und Budapest zunächst evangelische Theologie, dann Die Familien Schulteisz und Gerö Latein, Griechisch und Philosophie, schließlich Medizin. 1949 promovierte er zum Doktor der Medizin. Ein halbes Jahr lang Der stark ausgeprägte Familiensinn der Familie Epstein lebte in hatte er die Möglichkeit, bei Professor Karl Fellinger in Wien Gustavs Töchtern fort. Sie blieben auch nach ihrer Ver- seine Studien zu ergänzen. Er wurde Internist, Chefarzt am ehelichung in engem Kontakt und unterstützten einander stets. staatlichen Zentralkrankenhaus in Budapest und Universitäts - Während die Ehe Carolines mit dem Staatsanwalt Anton/Antal professor für Geschichte der Medizin an der Budapester Gerö kinderlos blieb, entstammten der Verbindung Margarethes Universität. Elf Jahre hindurch, von 1973 bis 1984, wirkte er, mit dem k.u.k. Major Emil Schultheisz vier Kinder. Nach seinem ohne der Kommunistischen Partei beigetreten zu sein, als ungarischer Gesundheitsminister. Als Medizinhistoriker war er Aufstieg zum Honvéd-Generalmajor wurde er 1912 mit dem auch nach seiner Emeritierung weiter an der Universität tätig. Prädikat „de Dévecser“ geadelt. Im Ersten Weltkrieg reaktiviert, spielte er eine wichtige Rolle bei den Kämpfen in der Bukowina Professor Emil Schulteisz hat schon als Kind durch die und wurde Feldmarschallleutnant. Nach dem Krieg aus Erzählungen seiner Großmutter Margarethe, der Tochter Gustav Pressburg/Bratislava vertrieben, nahm die Familie Wohnsitz in Ritter von Epsteins, einen sehr persönlichen und authentischen Budapest. Auch dort blieb die Familiensprache Deutsch; die Zugang zur Persönlichkeit seines Urgroßvaters und zur Familie Schultheisz, die sich nun Schulteisz schrieb, stammte aus Geschichte der Familie gefunden. In diesen Erzählungen blieb Westfalen. der Glanz des Geschehens im Palais Epstein erhalten, aber auch einige Objekte überdauerten die Wirrnisse des 20. Jahrhunderts und dokumentieren heute das Leben im damaligen Palais Epstein: Möbel, die für das Palais gefertigt wurden, und Der Urenkel Gegenstände aus dem persönlichen Gebrauch von Gustav und Nur der Ehe von Stefan/Istvan, dem dritten Sohn von Emilie von Epstein. Dank dem Entgegenkommen von Professor Margarethe und Emil, entsprang ein Kind – ein Sohn, der nach Emil Schulteisz sind diese Objekte ins Palais Epstein zurück - dem Großvater Emil getauft wurde. gekehrt.

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Orte der Erinnerung Bis 1938 erinnerte an Gustav Ritter von Epstein eine Straße in Baden, nach dem „Anschluss“ wurde sie in Kornhäuselgasse umbenannt. Erst im Jahr 2005 wurde durch die Benennung Was blieb von der Familie Epstein, außer dem Palais, eines Alleestücks in einem kleinen Park nahe dem Badener das ihren Namen trägt? Bahnhof nach Gustav Ritter von Epstein ein bescheidener Ersatz Wer das Foyer des 1870 eröffneten Musikvereinsgebäudes geschaffen. betritt, findet den Namen Gustav Ritter von Epstein an promi- nenter Stelle auf einer Gedenktafel eingraviert, die an die Förderer der Errichtung des Gebäudes erinnert. Epstein zählte zu den „Stiftern“ der Gesellschaft der Musikfreunde. So wurden jene Menschen bezeichnet, die den Bau mit einer Spende von 2.000 Gulden (in heutiger Währung kaufkraftmäßig rund 20.000 Euro) unterstützt haben. Jeder Spender erhielt zwei „Stifter- Sitze“ im Großen Musikvereinssaal zugewiesen und das ver- erbliche Recht zur Präsentation und unentgeltlichen Ausbildung eines Konservatoriumsschülers.

Orte der Erinnerung an die Familie Epstein bleiben ihre Gräber. Im Familiengrab auf dem Währinger jüdischen Friedhof sind Lazar/Leopold Epstein, seine erste Frau Caroline, sein Sohn Joseph und sein früh verstorbener Enkel Friedrich beigesetzt. Gustav Ritter von Epstein hat seine letzte Ruhestätte in der Ehrenreihe der jüdischen Abteilung des Wiener Zentral- friedhofes gefunden. Im gleichen Grab ruht auch sein Sohn Leopold. Unweit seiner Grabstätte sind auch die zweite Frau sei- nes Vaters, Rosalie, sowie sein Schwiegervater Leopold Wehle und sein Schwager Johann Wehle beigesetzt. Seine Witwe und seine beiden Töchter sind in Budapest begraben.

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Hansen und Epstein nur als gelungen bezeichnet werden. Epstein stellte höchste Ansprüche an einen Architekten und Hansen befand sich zu der Es ist nicht bekannt, wie sich Theophil Hansen und Gustav Ritter Zeit auf der Höhe seines Schaffens. Günstig wirkte sich sicher von Epstein kennengelernt haben und wie ihre Verbindung das große Verständnis und die Kenntnis Epsteins für Kunst und be gann, die in einer sehr engen und erfolgreichen Zu - Architektur aus – und dass Geld kein Problem darstellte. Hansen sammenarbeit beim Bau des Palais Epstein ihren Ausdruck fand. war als unbeugsamer Architekt bekannt, der sogar die Bezahlung aus eigener Tasche anbot, wenn der Auftraggeber Möglich wäre, dass der kunstsinnige Gustav von Epstein bereits am falschen Platz sparen wollte. beim Bauauftrag für das Musikvereinsgebäude mit dem Archi- tekten zusammentraf. Für Hansen war dies der erste „Monu - Was die Außenfassade betrifft, sind drei Entwürfe bekannt, bis mentalbau“, während Epstein zu den besonderen (finanziellen) der Bauherr mit dem Ergebnis zufrieden war. Epstein wollte ein Förderern des Projektes zählte. Palais, das nach außen nicht allzu auffällig gestaltet war und seine Pracht den Bewohnern und Gästen erst im Inneren offen- Hansen könnte aber auch vom Großherzog von Oldenburg, barte, vor allem in der Beletage. einem Freund Epsteins, als Architekt vermittelt worden sein. Der Prachtraum des Palais Epstein, der Fest- bzw. Tanzsaal, war Aufgrund einer gewissen Parallelität erscheint ein Element der ursprünglich für das Schloss des Großherzogs entworfen wor- Beziehung zwischen Gustav von Epstein und Theophil von den. Weil diesem die Realisierung zu teuer war, übernahm Hansen heute interessant: Epstein – 1828 in Prag geboren – Epstein den Plan für sein Wiener Palais (und auch der erhielt im November 1866 von Kaiser Franz Joseph den Orden Oldenburger Historienmaler Christian Griepenkerl übersiedelte der Eisernen Krone 3. Klasse und damit den Adelstitel. Hansen – für die Arbeit nach Wien). 1813 in Kopenhagen geboren – wurde 1867 in den Ritterstand und 1884 in den Freiherrnstand erhoben. Beide brachten es Belegt ist jedoch, dass sich Epstein beim Auftrag für das neue durch eigene Leistung in Wien zu erheblichem Ansehen, wie Börsegebäude – in seiner Funktion als Börserat war er auch nicht nur die Auszeichnung des Adelsstands bezeugt. Mitglied des Baukomitees – immer wieder für das Konzept von Hansen, der 15 Jahre älter war als Epstein, überlebte diesen um Hansen eingesetzt hatte und dieser letztendlich auch zum Zug 12 Jahre. Gemeinsam war ihnen das kompromisslose Eintreten kam. für höchsten baukünstlerischen Anspruch, der ihren bedeuten- Die Zusammenarbeit zwischen Epstein und Hansen als Bauherr den Anteil an der Ringstraßengestaltung der Gründerzeit unter- und Architekt des Palais Epstein kann auf das Ergebnis bezogen streicht.

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Außenarchitektur ...... 30

Die Nutzung des Palais durch die Familie Epstein ...... 35

Die Räume und ihre Gestaltung ...... 38

Das Palais Epstein und die Technik ...... 39

Ein Blick in die einzelnen Räume ...... 42

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Das Palais Epstein ist auf dem Höhepunkt der sogenannten „Gründerzeit“ entstanden, in einem relativ kurzen Zeitabschnitt, der durch enorme wirtschaftliche Entwicklung, ungehemmten Kapitalismus und unerschütterlichen Fortschrittsglauben gekennzeichnet war, doch mit dem Börsenkrach von 1873 ein abruptes Ende fand. Das Gebäude hat zahlreiche Besitzer beher- bergt und unterschiedliche Nutzungen erfahren. Es macht damit auch einen Teil österreichischer Geschichte greifbar. Die Beschäftigung mit all den Facetten, die das Palais im Laufe der Jahre umgeben, lässt nicht nur die Geschichte Wiens in ihrer politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Dimension im ausgehenden 19. sowie im 20. Jahrhundert nachvollziehen: Sie erlaubt auch Einblicke in konkrete Lebenssituationen, eingebettet in die Gesamtentwicklung, und sie lässt die kulturelle Aufbruchstimmung der Zeit seiner Erbauer spüren. Das Palais Epstein (Österreichische Nationalbibliothek) In ihrer Kernfunktion – den sozialen Status ihrer Bauherrn und Eigentümer zu repräsentieren – unterscheiden sich die bürger - lichen Ringstraßenpalais nur wenig von den barocken Adelspalästen. Wesentliche Elemente der Innenraumgestaltung sind in beiden Gebäudetypen gleich. Dem Zweck, Gäste auf Lebens formen wider. Die wirtschaftliche Nutzung der Ring - repräsentative Weise empfangen zu können, dienten straßenpalais atmet durchaus den kapitalistischen Geist der Zeit. Prunktreppen ebenso wie ein Empfangssalon, ein Festsaal oder Das in den Bau eines Palais investierte Kapital sollte sich rentie- ein Speisesaal, also jene Räume, die im Palais Epstein zen tral ren, weshalb in der Regel in den höheren Stockwer ken Miet- im ersten Stock, der Beletage, angeordnet sind. Dennoch gibt wohnungen und im Erdgeschoß vermietbare Geschäftslokale es Unterschiede, so spiegelt etwa ein gemeinsames vorgesehen waren. Diesen Typus des „Zinspalais“ repräsentiert Schlaf zimmer für die Eheleute neue, „intimere“ bürgerliche prototypisch das Palais Epstein.

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Außenarchitektur

Die Fassade des Palais Epstein wurde von Theophil Hansen im Stil des Strengen Historismus sehr schlicht gestaltet. Diese noble Zurückhaltung, die Pracht und Prunk des Inneren nicht erahnen lässt, war der Wunsch des Bauherrn, Gustav Ritter von Epstein. Lediglich die prominente Lage am höchsten Punkt der Ringstraße und das von Karyatiden gerahmte Portal weisen auf die sozial gehobene Stellung des Eigentümers hin.

Palmettenfries am Hauptgesims Exkurs (Foto Helga Loidold) Strenger Historismus Der Strenge Historismus ist in seiner Architektur um Formen- Das Gebäude ist als geschlossener Baublock mit vier Geschoßen klarheit bemüht und bevorzugt Stilelemente der Renais sance. angelegt. Das Erdgeschoß setzt sich durch roh bearbeitetes Quadermauerwerk ab und ist von großen Rundbogenfenstern Karyatiden geprägt. Nach oben hin wird die Gestaltung der Außenfassade Als Karyatiden werden stehende weibliche Figuren bezeichnet, mehr und mehr verfeinert und dadurch die Wirkung gesteigert. denen in der Bauplastik die Funktion zukommt, das darüber lie- Vor allem das Attikageschoß ist mit überreichem Schmuck ver- gende Gebälk zu stützen. In der Ringstraßenarchitektur war die sehen. Hansen wählte dafür Hermenpilaster mit dazwischen Verwendung von Karyatiden, aber auch ihrer männlichen liegenden Reliefs, beides aus Terrakotta gefertigt. Den Abschluss Gegenstücke, der Atlanten, sehr beliebt. Sie finden sich sowohl bildet ein ausladendes Kranzgesims. bei öffentlichen Monumentalgebäuden wie dem Parlament als auch bei privaten Palais.

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Markantestes Gestaltungselement der Ringstraßenfront des Palais Epstein ist die im Vergleich zu anderen Palais ungewöhn- lich breite Portalzone des Erdgeschoßes. Sie ist auch der einzige aus der Fluchtlinie vorspringende Gebäudeteil. Gebildet wird sie von vier Karyatiden, die den Balkon der Beletage tragen. Sie sind ein Werk von Vincenz Pilz, einem der Lieblingsbildhauer Hansens, der bereit war, die Ausgestaltung der Plastik ihrer architektonischen Funktion unterzuordnen. Das Portal selbst war ursprünglich mit zwei mächtigen bronze- nen Türklopfern geschmückt, die heute leider verschollen sind. Durch das Portal und das Vestibül gelangt man in den mit Glas überdachten Innenhof, von dem aus sich das Gebäude den Besucherinnen und Besuchern erschließt.

Theophil Hansen, Ausführungsplan, Schnitt durch das Palais Epstein; Allgemeine Bauzeitung, Bd. 36, 1871 (Österreichische Nationalbibliothek)

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Grundriss Palais Epstein: Beletage Allgemeine Bauzeitung, Bd. 36, 1871 (Österreichische Nationalbibliothek)

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Grundriss Palais Epstein: Erdgeschoß Allgemeine Bauzeitung, Bd. 36, 1871 (Österreichische Nationalbibliothek)

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Grundriss Palais Epstein: Keller Allgemeine Bauzeitung, Bd. 36, 1871 (Österreichische Nationalbibliothek)

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Die Nutzung des Palais durch die Familie Von außen lassen sich keine Rückschlüsse auf die Nutzung Epstein des Gebäudes ziehen. Wie viele andere Ringstraßenpalais diente das Palais nicht nur als Wohnhaus, sondern auch als Geschäftssitz. Einige Geschäftslokale im Erdgeschoß sowie die Im Jänner 1872 bezog die Familie Epstein das Palais und Wohnungen im zweiten und dritten Stock des Gebäudes waren wohnte dort bis 1877. zur Vermietung bestimmt, wie es der typisch gemischten Nutzung eines „Zinspalais“ entsprach.

Vestibül, Innenhof und bedauernswerte Kreaturen im Keller Das Vestibül war so konzipiert, dass es als Einfahrt für Kutschen diente, mit denen man bis zur Feststiege vor fahren konnte. In der Kuppel des Vestibüls war die Devise Epsteins „Sis qui videris“ (Sei, der du scheinst) zu lesen. Über- trägt man diesen Leitspruch des architektonischen Konzepts für das Palais auf die Persönlichkeit seines Eigentümers, so bedeutet das: außen vornehme Zurückhaltung, innen der Reichtum der schönen Seele. Der vordere Bereich des Erdgeschoßes hatte primär die Funktion, von der äußeren zur inneren Repräsentationssphäre des Palais überzuleiten. An der Rückseite des glasüberdachten Innenhofs waren die Remise für die Kutschen und die Sattelkammer untergebracht.

Festsaal (Foto Helga Loidold)

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Innenhof stand war im Wesentlichen die Veranlagung und Verwaltung (Parlamentsdirektion / des großen Vermögens Gustav Ritter von Epsteins. So wurden Foto Christian Hikade) beispielsweise Beteiligungen an anderen Banken und Versiche- rungsunternehmen sowie an Betrieben der Zucker- und Ölindustrie erworben. Da mit dieser Art von Geschäften so gut wie kein Publi - kumsverkehr verbunden war, nahmen die Kontorräume der Bank auch nur einen Teil der Ringstraßenfront in Anspruch. Lediglich in einem Raum des Epstein’schen Kontors herrschte größerer Publikumsandrang: Dieser war für die sogenannte „Armenbeteiligung“ vorgesehen. Ein Mitarbeiter der Bank betreute darin eine Handkassa, aus der er Bedürftigen, die sich anonym an ihn wenden konnten, finanzielle Hilfen auszahlte.

Eine vom Hof erreichbare Rampe führte in den Keller, wo sich die Die Treppen des Palais Epstein – Spiegel der sozialen Pferdeställe, Heizungseinrichtungen, Kellerräume und das Struktur der Ringstraßengesellschaft Eishaus befanden. Insgesamt 14 Pferde fristeten dort ihr Dasein in völlig dunklen Räumen ohne direkte Belüftung. Von den unterschiedlichen Zugangserschließungen durch ins- gesamt drei im Gebäude angelegte Treppen lassen sich Bankhaus Epstein Abstufungen hinsichtlich der Wertigkeit ihrer Benutzer/innen Im Erdgeschoß des Palais befand sich neben dem „Gewölbe“, ableiten. das waren die vermieteten Geschäftslokale an der linken Die grundsätzliche Aufteilung war dergestalt, dass die Gebäudeseite, auch das „Comptoir“, also die Räume des Bank - Räumlichkeiten des Hausherrn und seiner Mieter/innen zur hauses Epstein an der rechten Seite. Ringstraße bzw. zu den Schmalseiten des Gebäudes hin ausge- Der Unternehmenszweck des Bankhauses ist heute mit der richtet waren und die der Dienerschaft zur Rückfront. Auch die Funktion einer Investmentbank vergleichbar. Betriebsgegen - für die Infrastruktur wichtigen Einheiten wie Küche, Vorratsraum

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und Garderobe befanden sich im hinteren Teil des Hauses. sowie schlecht belichtet und belüftet aus, dass ihnen die bau - Bemerkenswert ist, dass dort auch das Badezimmer des behördliche Bewilligung versagt blieb. Hausherrn untergebracht war – dieses stand den Dienstboten In dieser baulichen Struktur spiegelt sich die soziale Realität der allerdings nicht zur Verfügung. Ringstraßengesellschaft wider: Herrschende und dienende Die großzügig geführte und reich mit verschiedenfarbigen Schicht sind eng miteinander verbunden und dennoch scharf Marmorarten sowie mit Stuckmarmor ausgestattete Prunk- separiert. Die Unterschiede zwischen den Klassen werden auch treppe führt an der linken Seite des Innenhofs in den ersten und in der baulichen Struktur abgebildet. weiter in den zweiten Stock. Anders als in vergleichbaren Im Zuge der Restaurierung des Palais wurde der Dienstboten - Zinspalais erschließt sie damit nicht nur die Wohnung des trakt zur Gänze entkernt, an seiner Stelle wurde eine moderne Eigentümers in der Beletage, sondern auch die großzügig an- Stiegen- und Liftanlage eingebaut. gelegte Mietwohnung darüber, die in ihren Ausmaßen mit der Epstein’schen Wohnung im ersten Stock vergleichbar ist. Aufgrund dieser „sozialen Gleichstellung“ ist davon auszu- gehen, dass Gustav Ritter von Epstein diese Wohnung als Feststiege künftiges Domizil für seinen Sohn vorgesehen hatte. Die beiden (Parlamentsdirektion / Nobelgeschoße im ersten und zweiten Stock sind an der Foto Christian Hikade) Außenfassade durch Balkone betont, die von vier Karyatiden getragen werden.

Die drei weniger großzügig konzipierten Mietwohnungen im dritten Stock sind nur durch die engere Treppe an der rechten Seite des Innenhofs zu erreichen.

Am engsten nimmt sich schließlich die Treppe im Hoftrakt aus – die „Dienstbotenstiege“. Über sie konnte das Personal in seine zum Teil im niedrigen Mezzanin gelegenen, vielfach lichtlosen Kammern gelangen. Durch das Einziehen von Zwischendecken fielen die Räume für die Bediensteten derart klein und niedrig

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Erster Stock oder Beletage Die Räume und ihre Gestaltung Die prachtvoll ausgestatteten und reich möblierten Räume im ersten Stock bewohnte ab 1872 die fünfköpfige Familie des Das Bild der Beletage, das sich einem Gast im Hause Epstein kurz Eigentümers, bestehend aus Gustav von Epstein und seiner Frau nach der Errichtung des Gebäudes geboten haben muss, kann Emilie sowie ihren Kindern Friedrich, Caroline und Margarethe. heute nur mehr beschränkt nachvollzogen werden. Obwohl man von der Opulenz der Dekorationsvielfalt mit ihren unzäh- Die drei zentralen Räume an der Ringstraßenfront – der ligen Details fast erdrückt wird, hat die Fülle, die durch Empfangssaal, der Fest- bzw. Tanzsaal und der Speisesaal – Möblierung, Gemälde und Kunstgegenstände entstanden sein waren der Repräsentation gewidmet. Die daran anschließende muss, den Eindruck des Reichtums wohl ins Unermessliche linke Gebäudeseite beherbergte, mit Ausnahme des gemein- gesteigert. samen ehelichen Schlafzimmers, überwiegend die Räume der weiblichen Familienmitglieder, im rechten Gebäudeflügel Theophil Hansen hat das Palais Epstein in den Repräsen - waren die Zimmer der Herren untergebracht. tationsräumen der Beletage als Gesamtkunstwerk konzipiert, indem er nicht nur für die architektonische Gestaltung verant- Die Tatsache, dass die Eheleute Epstein gemeinsam in einem wortlich zeichnete, sondern auch für die Entwürfe des Mobiliars. Zimmer nächtigten, dokumentiert den Umstand, dass für die Die Ausstattung der an der Frontseite des Hauses gelegenen bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts Intimität bereits Prunkräume zeigt noch heute eine Vielfalt von Materialien und etwas war, worüber man nicht nur reden konnte, sondern das Techniken, die je nach Raum in unterschiedlicher Kombination man auch räumlich in Form eines gemeinsamen Schlafzimmers und Farbe eingesetzt wurden. Die Oberflächengestaltung imi- versinnbildlichte. Diese Art des Umgangs wäre in den barocken tiert in fast spielerischer Weise unterschiedliche Materialien, ins- Adelspalästen der Innenstadt undenkbar gewesen. besondere Stein bzw. Marmor oder verschiedene Holzarten. Den gebildeten Angehörigen des Personals wie den Diesem Verfahren lag kein Spargedanke zugrunde, sondern es Gouvernanten bzw. dem Hauslehrer des Sohnes wurde seitens stellte eine besonders aufwendige Art der Ausstattung dar. der Herrschaft keine übermäßige Wertschätzung entgegen - Mithilfe dieses Kunstgriffs konnten Kompositionen aus Formen gebracht, was die Unterbringung betraf. Den Gouvernanten und Farben geschaffen werden, die auf herkömmlichem Weg, wurden kleine Räume im hinteren Bereich des Hauses zu gewie- durch das Verwenden der natürlichen Materialien, oft nicht sen, der Hauslehrer bewohnte ein Schlauchzimmer mit Blick möglich gewesen wären. Die Malereien wurden meist mit in einen Lichthof über der Rampe für die Pferde. Leimfarben ausgeführt.

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Bildliche Darstellungen der vollen Ausstattung, die einen Eindruck des ursprünglichen Überflusses vermitteln könnten, sind leider nicht erhalten. Der Parlamentsdirektion gelang es allerdings, einige wenige noch im Besitz von Nachfahren der Familie Epstein befindliche Objekte zu erwerben. Diese wurden zu einer kleinen Ausstellung arrangiert.

Das Palais Epstein und die Technik

Der Standard der ursprünglichen technischen Ausstattung des Gebäudes war für die damaligen Verhältnisse enorm hoch. Der Bauherr Gustav Ritter von Epstein entschied sich unter Anleitung des Architekten nur für die modernsten und teuers- ten Lösungen.

Licht, Lüftung und Beförderung Festsaal (mit Schiebetür zum Empfangssaal) (Parlamentsdirektion / Foto Christian Hikade) Die Reste der Gasleitungen zu den Beleuchtungskörpern in den einzelnen Räumen zeigen, dass nicht nur das dekora - tive, sondern auch das technische Konzept des Architekten Nach seinem Bankrott im Jahr 1873 war Gustav Ritter von Theophil Hansen ausschließlich höchste Qualität duldete. Die Epstein gezwungen, das Gebäude und seine wertvolle Umstellung von der ursprünglich installierten Gasbeleuchtung Kunstsammlung wie auch Teile des exquisiten Mobiliars zu ver- auf elektrisches Licht erfolgte zu einem sehr frühen Zeitpunkt. kaufen. Viele Stücke gingen nach seinem Tod durch Erbfolge an verschiedene Familienmitglieder, und so wurde der Großteil der Auch das verwendete Heizlüftungssystem ist eine Besonderheit: mobilen Bestandteile des Palais in alle Himmelsrichtungen ver- Lüftungsschächte reichen vom Keller, in dem eine Luftheizung streut. vorhanden war, bis in das Dachgeschoß. Sie versorgten die

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Räume des Hauses über Lamellengitter mit Zu- und Abluft, Empfangssaal: wobei die Lüftungsklappen geschlossen werden konnten und Lüftung (Parlamentsdirektion / sich die einzelnen Lamellen bei Überdruck öffneten. Die Gitter Foto Christian Hikade) sind bemalt und in die dekorative Ausstattung der Räume ein- gebunden. Heute ist das Palais Epstein an die Fernwärme ange- schlossen. Wo es dem Architekten sinnvoll erschien, kombinierte er Zweckmäßiges mit Schmuckvollem, wie zum Beispiel im Spielzimmer. Hier befand sich im Zentrum der Decke ein Gasanschluss, der in ein Ziergitter integriert war, das wiederum einen Teil der Raumbelüftung ausmachte. Ebenfalls an der Decke montiert, verbergen Pinienzapfen aus Gips den Auslass der Entlüftung. Ihre Bemalung lässt sie wie kunstvolle Holz - schnitzereien wirken. Mit einem Materialaufzug, dessen Schacht vom Erdgeschoß in den Gang nahe dem Speisezimmer im ersten Stock führte, konn- ten Lebensmittel und kleinere Gegenstände rasch transportiert Auch zwischen dem Festsaal und den angrenzenden Räumen – werden. dem Empfangssaal und dem Speisezimmer – wurden zweiflüge- lige Schiebetüren eingebaut, deren Teile sich zu beiden Seiten in einem Schlitz in der Mauer verbergen lassen. Mittels Schiebetüren und versenkbare Türgriffe Drehmechanismus lassen sich auch die Türschnallen in den Die mittlere Türöffnung zum Fest- bzw. Tanzsaal konnte man Hohlräumen der Wand versenken. bereits zu Epsteins Zeiten mit einer großen, schweren Glas- schiebetür schließen, die im Wintergarten hinter die bemalte Holzverkleidung geschoben wurde. Der Griff des Mechanismus Sicherheitsmechanismus im Bankhaus lässt sich nach Gebrauch unsichtbar hinter einer Metallklappe In den Verkleidungen der Fenster des Erdgeschoßes sorgten verstauen. Kurtinen für die Sicherheit des Bankhauses Epstein. Eine mit

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Kurbel und großen Zahnrädern ausgestattete Konstruktion ermöglichte es, eine dreiteilige Panzerplatte mit einer Kette nach oben zu heben, um das jeweilige Fenster vollständig zu verschließen. Diese Anlage wurde aus England importiert, wo damals die innovativsten und ausgereiftesten Techniken auf dem metallverarbeitenden Sektor zur Verfügung standen. Im Zuge der Restaurierung wurde eine dieser Kurtinen zu Schauzwecken wiederhergestellt.

Exkurs: Kurtinen Unter Kurtinen versteht man ursprünglich einen verbindenden Wall oder eine Mauer zwischen zwei Verteidigungspunkten einer Festung, wie Bastionen, Türme oder Rondelle. Die Theater- sprache versteht darunter den mittleren Vorhang der Bühne. Kurtine (Foto Helga Loidold) Eine weitere Sicherheitsvorkehrung, die jedoch nicht zu besich- tigen ist, befindet sich im Mezzanin. Dort wurde ein Tresorraum eingebaut, der offenbar zur Gänze mit Eisenplatten ausgebaut Das Eishaus und mit einer gepanzerten Tür verschlossen war. Es konnte aber Wie in vielen Gebäuden des damaligen Wien gab es auch im nicht endgültig festgestellt werden, ob dieser Raum von Anfang Palais Epstein einen Eiskeller, der jeden Winter mit Eisblöcken an da war, auf alle Fälle wurde er aber vor 1902 eingerichtet, also oder Schnee befüllt wurde. vor dem Einzug des Verwaltungsgerichtshofs in das Palais. Ebenfalls der Sicherheit dienten die zwischen der Feststiege Das Niveau dieses Raums lag noch tiefer als das übliche und dem Vorzimmer im ersten Obergeschoß entdeckten Kellerniveau. Er war mit einem eigenen Abflusssystem aus- Falttüren, mit denen der Zugang zur Beletage abgeriegelt gestattet, wobei das Schmelzwasser über Rinnen im Boden werden konnte. abtransportiert wurde.

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Ein Blick in die einzelnen Räume

Der Innenhof Künstlerischer Mittelpunkt des überdachten Innenhofs ist ein Brunnen des Bildhauers Vincenz Pilz. Er wird von einer Figur der Hygieia mit einer Äskulapnatter dominiert, der griechischen Göttin der Gesundheit, Tochter des Asklepios und Enkelin von Apoll. Gustav Ritter von Epstein wählte sie vermutlich wegen seiner zeitlebens angeschlagenen Gesundheit als Motiv.

Die zahlreichen rötlichen Terrakotten an der Fassade wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Ziegel - produktion ihren Höhepunkt erreichte, industriell in riesigen Innenhof mit Hygieia (Foto Helga Loidold) Mengen und in unüberschaubarer Vielfalt gefertigt. Die Bau - herren konnten aus einem reichhaltigen Katalogangebot die Comptoir (Kontor) gewünschten Zierelemente wählen. Wie in den Ringstraßenpalais üblich, befanden sich auch im Einer der Hauptproduzenten für den Wiener Markt war die Firma Erdgeschoß des Palais Epstein Geschäftsräumlichkeiten. Bei Wienerberger. Ihr Besitzer Heinrich Drasche war ein guter jenen im linken Flügel handelte es sich um ehemalige vermiete- Freund Hansens, der sich wiederum als Aktionär an den te Geschäftslokale, eines davon ist auf einer Abbildung identifi- Ziegelwerken beteiligte. zierbar, nämlich das Antiquariat H. Cubasch an der Ecke zur Bellariastraße. Auf alten Bildern ist auch noch der eigene Derartig überdachte Innenhöfe sind typische Elemente der Eingang zu sehen. Die Geschäftsportale an den Seitenfassaden Hansen-Objekte, sowohl bei den Palais als auch bei den wurden wahrscheinlich nach 1883 vermauert. Monumentalbauten. Abgesehen von seiner Schönheit, hatte der Innenhof auch eine „Verteilerfunktion“, da man über ihn in alle Im rechten Flügel des Gebäudes war das Comptoir des Bank- Teile des Palais gelangte. und Großhandelshauses Epstein untergebracht. Heute bringen

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die zahlreichen Kinder, die im Rahmen des Angebots der Im Schlitz dieser Sicherheitskonstruktion wurden später auch „Demokratiewerkstatt“ eine Art Basisschulung in Sachen zahlreiche Papierfunde sichergestellt, beispielsweise Briefe rus- Demokratie und Parlamentarismus erhalten, neues Leben in die- sischer Besatzungssoldaten. Diese sind in den Vitrinen im sen Teil des Hauses. Vorzimmer zu sehen. Eine besondere Überraschung bot sich den Architekten bei der Besondere Beachtung sollte im Erdgeschoß den Decken in den Wiederinstandsetzung der Geschäftsräume der Epstein-Bank. In ehemals vermieteten Geschäftsräumen geschenkt werden. Der den Fensterverkleidungen fanden sich die bereits erwähnten größere Raum wird in den Plänen von 1862 als „Gewölbe“ Kurtinen, Eisenplatten, die nach oben gezogen werden konnten bezeichnet. Die Decke zeigt acht quer verlaufende, teils geteilte und damit das Bankhaus vor ungebetenen „Gästen“ sicherten. Intarsienfelder. Diese sind in Goldgrund mit Groteskenmalerei in Diese Konstruktion ist nicht nur technisch ausgefeilt, sondern mehrfarbiger Lüstrierung ausgeführt. Die Farben des gemalten wirkt auch ästhetisch. Daher wurde eine davon wieder funk - Holzes sind dunkel, an den Rändern erscheinen sie fast schwarz. tionstüchtig gemacht, um Besuchern/-innen die Handhabung Die Decke des kleineren Raums ist ähnlich, wirkt durch die im Rahmen einer Führung demonstrieren zu können. hellere Farbgebung jedoch etwas leichter.

Die Feststiege Über die freitragende Feststiege gelangt der Gast in die Prunkräume der Beletage im ersten Obergeschoß. Treppe, Geländer und Handlauf sind in hellem Stein ausgeführt, die kannelierten (mit senkrechten Rillen versehenen) Säulen sind aus rotem Veroneser Marmor. Sie ruhen auf schwarzen Sockeln aus belgischem Marmor, die Kapitelle aus weißem Marmor bieten einen schönen Kontrast. Die Wandflächen im Stiegen - bereich sind vorwiegend in grauem und rotem Stuccolustro aus- gestattet. Vor allem die Vielfarbigkeit verleiht dem Stiegen - Eröffnung der Demokratiewerkstatt (Parlamentsdirektion / Foto Mike Ranz) haus seinen besonderen Glanz.

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Exkurs: Stuccolustro gebracht, die im Zuge der Restaurierung sichergestellt wurden. Stuccolustro (italienisch: blanker Stuck) ist eine Version der Den Großteil fand man im Erdgeschoß hinter der Fens ter - Fresko-Technik, die bereits in Pompeji eingesetzt wurde und in verkleidung mit dem Stahlplattenmechanismus. Zu sehen gibt Italien im 18. Jahrhundert unter anderem als Marmorimitation es Briefe und Umschläge, Dinge des täglichen Lebens wie wiederauflebte. Dabei wird eine Paste aus Marmorstaub, Farbe Zigaretten, Zündholzschachteln etc., aber auch eine Armbinde und Weißkalk auf feuchten Unterputz aufgetragen, mit Kalkseife der Militärpolizei hat sich in den Zwischenraum verirrt. (Seifenlauge und Kalk) bestrichen und bemalt. Die Malerei wird dann mit heißen Streichblechen geglättet und mit Bienenwachs Der Empfangssaal oder Venezianerseife (Kernseife, der Olivenöl beigemengt wird) eingelassen, was den Farben starke Leuchtkraft und Glanz Die glänzenden Wände des eleganten, dunkel gehaltenen verleiht. Prunkraums zur Begrüßung der Gäste sind mit beinahe schwar- zem Stuccolustro überzogen. Seine Felder sind von einem roten Stuccolustro-Band eingerahmt, auf dem in der Mitte ein Palmetten-Rosetten-Fries aus vergoldeten Metallapplikationen Das Vorzimmer platziert ist. Die Türgerichte wurden aus ockerfarbenem Das Vorzimmer führt von der Feststiege zum Empfangssaal und Stuckmarmor gefertigt. zum Wintergarten. Aufgrund seiner Verbindungsfunktion war es ebenso reich ausgeführt wie die angrenzenden Räume. Zwischen zwei Türen befinden sich zwei als Scheinarchitektur (= trompe l’oeil) gemalte Säulen mit Kapitellen, die als Fort - Exkurs: Türgerichte setzung der Säulengliederung der Feststiege zu verstehen sind. Türgerichte bestehen aus Stuckmarmor. Dabei wird Gips an - Diese Wanddekoration wurde später übermalt und bei der gerührt und in verschiedenen Farben eingefärbt. Die unter- Sanierung in Fragmenten freigelegt. Sie stellt die einzig noch schiedlichen Gipsmassen werden – ähnlich wie bei einem erhaltene dekorative Verbindung zwischen Feststiege und Marmor gugelhupf – aufgetragen und anschließend fein Prunkräumen dar. geschliffen. Durch das Schleifen entsteht ein steinähnlicher Effekt. Heute ist im Vorzimmer eine Ausstellung von Fundstücken (vor allem aus der Zeit der sowjetischen Stadtkommandantur) unter-

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Deckengemälde von Christian Griepenkerl, einem Schüler von Carl Rahl, stellen Genienpaare als Allegorien der bildenden Kunst, der Musik, des Schauspiels und des Tanzes sowie Sinnbilder für Harmonie (auf einem Löwen), Friede, Liebe, Treue und Fleiß dar. Sie sollen die Gäste auf das Beisammensein in gemeinsamer Freude an der Kunst einstimmen.

Exkurs: Belüftung und Fehltramdecke Gerade im Empfangssaal kann man sehr gut das ausgeklü gelte Be- und Entlüftungssystem der Beletage betrachten. Versteckt hinter den Pinienzapfen, nur an den kleinen schwarzen Feldern zu erkennen, führt die Entlüftung im Zwischendeckenbereich zu den Außenwänden. Bemerkenswert sind auch die sogenannten Fehltramdecken. Ein Tram ist ein Holzbalken, der von der Außenwand zur Empfangssaal (Foto Helga Loidold) Mittelmauer gespannt wird. Darüber wurde eine Schalung gelegt und darauf eine Beschüttung aufgebracht. Hier gibt es unter dem normalen Tram einen Hohlraum und einen weiteren Tram – den Fehltram, dessen Aufgabe es ist, einzig und allein die Die Stuckdecke imitiert unterschiedliche Hölzer in einer Decke zu tragen. Dadurch konnte man die Fußboden - Vollendung, dass sogar ein namhafter Kunsthistoriker dieser konstruktion im darüberliegenden Raum von der Decke ent - optischen Täuschung auf den Leim ging und in seiner koppeln und Erschütterungen oder sogar Risse vermeiden. Beschreibung von einer „geschnitzten Nussholzdecke mit Palisander-Inkrustationen“ spricht. Auch die Pinienzapfen, die aus der Decke herausragen, sind aus Stuckmarmor gearbeitet.

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Der Festsaal oder: „ Der Tanzsaal, der keiner war ...“ Der wichtigste Raum, gleichsam das gesellschaftliche Zentrum der Beletage, greift in seiner künstlerischen Ausgestaltung Pläne auf, die Theophil Hansen gemeinsam mit dem Historienmaler Carl Rahl ursprünglich für den Festsaal im Schloss des Großherzogs Nikolaus Friedrich Peter von Oldenburg konzipiert hatte. Nachdem sich der Großherzog aus Kostengründen außer- stande sah, das Konzept zu verwirklichen, ermöglichte Gustav Ritter von Epstein, der den Großherzog von gemeinsamen Italienreisen kannte und auch als Oldenburgischer General - konsul in Wien fungierte, seinem Architekten, die Entwürfe wiederaufzunehmen und – übertragen auf die kleineren räum li- chen Dimensionen des Palais – umzusetzen. Dies verdeutlicht auch die bürgerliche Finanzkraft gegenüber dem Adel. Da das Ehepaar Epstein musikbegeistert war, lud es regelmäßig zu musikalischen Abenden, bei denen Pianisten/-innen wie Clara Schumann und Anton Rubinstein unter anderem Inter pretationen von Werken Schuberts und Beethovens zum Besten gaben. Tatsächlich wurde in diesem Saal zu Zeiten der Familie Epstein mehr musiziert als getanzt, weswegen die Bezeichnung „Festsaal“ zutreffender ist.

Festsaal (Parlamentsdirektion / Foto Christian Hikade)

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Die Ausstattung des Raums mit hellem, sandfarbenem Stuckmarmor steht in bewusstem Kontrast zur düsteren Aus- führung des Empfangssaals. Der Architekt Theophil Hansen ver- wendete hier detailgenaue Zitate von Gestaltungselementen der Renaissancekirche Santa Maria dei Miracoli in Venedig, die er eingehend studiert und deren Innenansichten er in zahl- reichen Skizzen verarbeitet hatte. So sind zum Beispiel die Frontflächen der Pilaster (flach aus der Wand hervortretender Pfeiler, gegliedert in Sockel, Schaft und Kapitell) mit Stuck ver- ziert, der dieselben Motive wie in der genannten Kirche auf- weist. Bei den Darstellungen handelt es sich um fantastisch geformte Tier- und Pflanzenverzierungen im Stil der Renaissance (= Groteskendarstellungen). Die bemalte Stuckdecke ist als Marmorimitation mit vergolde- ten Ornamenten gestaltet. Auch in diesem Saal zeichnet Christian Griepenkerl für die Deckengemälde im Festsaal: Ausführung der Deckenmalereien verantwortlich. Der gebürtige Geburt der Venus Oldenburger lehrte in den Jahren 1874 bis 1910 an der Wiener (Foto Helga Loidold) Akademie, an der er ab 1877 eine Spezialschule für Historien - malerei leitete. Für eine ganze Generation war er bevorzugter Lehrer österreichischer Maler. Der berühmteste war Egon Schiele, zu dem der konservative Historienmaler freilich ein sehr gespanntes Verhältnis hatte. „Sagen sie um Gotteswillen niemandem, dass Sie bei mir gelernt haben“, soll er Schiele gegenüber geäußert haben. Griepenkerl war es auch, der Adolf Hitler 1907 bei der Aufnahmeprüfung an der Akademie wegen „ungenügender Probezeichnungen“ durchfallen ließ. Hätten

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die Nationalsozialisten, denen das Epstein zwischen 1938 und Fußboden des Festsaals handelte. Die Platten wurden gereinigt, 1945 als „Reichsbauamt“ diente, dies gewusst, könnten die holztechnisch saniert und wie bei einem Puzzle entsprechend Decken gemälde wahrscheinlich heute nicht mehr bestaunt der ursprünglichen Anordnung eingepasst. Gemäß historischen werden. Vorbildern wurde die gereinigte Oberfläche mit speziellen Harz- Öl-Wachs-Schichten behandelt, um so den ursprünglichen Vier Darstellungen an den Seiten zeigen folgende Szenen: Charakter der Holzoberfläche wiederherzustellen. Das Tafel- „Hochzeit von Amor und Psyche“, „Tanz der Musen“, „Bacchus, parkett ist sehr weich und bedarf wegen seiner Empfindlichkeit Quellwasser in Wein verwandelnd“ und „Apoll unter den Hirten“. besonderen Schutzes und sorgfältiger Pflege. In den Ecken befinden sich Abbildungen von Attributen antiker Gottheiten; dabei stehen die Lyra für Apoll, der Thyrosstab für Die Schiebetürblätter aus Spiegelglas für die zu Beginn der Bacchus, die Getreideähren für Ceres und der Pfau für Juno. Restaurierung des Palais noch zugemauerte Türöffnung zwi- schen Festsaal und Speisezimmer wurden auf dem Dachboden Im ovalen Mittelfeld ereignet sich die „Geburt der Venus“, seit- sichergestellt und konnten ohne Beeinträchtigung ihrer Funk - lich flankiert von Grazien, drei römischen Göttinnen für Anmut tionstauglichkeit eingebaut werden. und Schönheit, und Horen, griechischen Göttinnen der Jahreszeiten und der (sittlichen) Ordnung. Rätsel gibt nach wie vor das Produktionsverfahren für das Glas der mächtigen Spiegelglas-Schiebetür zwischen dem Festsaal In den Zwickeln der Rundbögen posieren aus Stuck geformte und dem Wintergarten auf, die während der Sanierung in einer Bacchantinnen und unterstreichen gleichsam das Programm Nische entdeckt wurde. von Theophil Hansen und Carl Rahl, den Festsaal zu einem „Tempel der wahren Geselligkeit“ zu machen, „die die Kunst Das heute übliche „Floatglas-Verfahren“, bei dem flüssiges Glas sinnig mit den Freuden des Lebens verbindet“. auf eine Quecksilberfläche aufgebracht wird, war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch unbekannt. Damals wurden die Glasscheiben zu einem Ballon mundgeblasen, der aufge- Entdeckungen bei der Sanierung des Palais schnitten und behutsam aufgelegt werden musste, um zu einer im Zusammenhang mit dem Festsaal geraden, glatten Glastafel zu kommen. Schließlich wurden die Spiegel auch noch geschliffen. Bei den Restaurierungsarbeiten wurden in einem Raum des ehe- maligen Dienstbotentrakts Parkettplatten gefunden, deren Unerklärlich ist, wie es den Glasbläsern unter den damaligen Abmessung ergab, dass es sich dabei um den Original- technischen Voraussetzungen gelang, derart große und makel-

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lose Flächen herzustellen. Die größte Sorge des Sanierungs - teams war, dass die Original-Spiegel im Zuge der Renovierung zu Bruch gehen könnten, da ein Austausch nur sehr schwer möglich gewesen wäre.

Es kann jedenfalls als Verdienst der für den jahrzehntelangen Umbau Verantwortlichen betrachtet werden, dass die ausge- bauten Teile meist zwischengelagert und nicht einfach entsorgt wurden.

Eine weitere Überraschung bereitete die Entdeckung, dass die originalen Messing-Wandarme im Festsaal nie elektrifiziert Alexanderzug, Relieffries im Wintergarten worden waren und zu diesen Leuchten nur eine alte, stillgeleg- (Parlamentsdirektion / Foto Christian Hikade) te Gasleitung führte.

Unter Heranziehung einer Spezialfirma gelang es, die Leitungs- führung zerstörungsfrei zu gestalten und durch akrobatisch Im schwarz-weißen Bodenmosaik wiederholt sich das Muster anmutende Schrägbohrungen mit Hilfe eines drei Meter langen des Tafelparketts im Festsaal. Dies war nach Auffindung der Bohrers nahezu ohne Schäden am Stuckmarmor und an den Parkettplatten im Dienstbotentrakt ein wichtiges Indiz für ihre Stuccolustro-Flächen die notwendigen Installationen durch zu- Zuordnung. führen. Zur Zeit Gustav Ritter von Epsteins war dieser Raum mit Pflanzen ausgestattet, die italienisches Flair verströmen sollten. In der mittleren Fensternische befand sich ein Marmorbrunnen mit der Der Wintergarten Statue eines Fauns. Hierher zog sich der Hausherr gerne zurück, Der Wirkungsbereich des Festsaals wird durch Öffnung einer wenn ihm das Treiben im Rahmen der musikalischen Soireen zu großen Spiegelglas-Schiebetür in den sogenannten Winter - anstrengend wurde. So konnte er das Geschehen von einem garten hinein erweitert. Die derart erzielte räumliche Kon- geschützten Bereich aus beobachten, ohne selbst Teil davon zeption vermittelt ein Gefühl luftiger Offenheit. sein zu müssen.

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Besonders erwähnenswert ist die Kopie eines Relieffrieses des dänischen Bildhauers Bertel Thorvaldsen, das den Triumphzug von Alexander dem Großen in Babylon zeigt. Das Original wurde 1811 von Kaiser Napoleon in Auftrag gegeben und befindet sich heute im Appartamento Napoleonico des Palazzo Quirinale in Rom.

Der Speisesaal Nach einer Soiree begaben sich die Gäste in den Speisesaal links neben dem Festsaal. Für den Plafond zog Theophil Hansen die Decke der römischen Basilika San Lorenzo fuori le Mura als Vorbild heran. Die roten Wände des Raums sind ausschließlich in Stuccolustro-Technik gestaltet, und auch in diesem Saal ist die als Kassettendecke ausgeführte Stuckdecke mit Holzimitations - malerei versehen. Einige der wertvollen Originale aus der Gemäldesammlung Gustav Ritter von Epsteins zierten die Wände des Speisesaals. Speisesaal (Foto Helga Loidold) Diese Sammlung machte er der Öffentlichkeit bei der Wiener Weltausstellung 1873 wenige Tage vor dem Börsenkrach zu - gänglich. Danach war er gezwungen, sein persönliches Kunst - museum zu verkaufen, um die Forderungen der Gläubiger befriedigen zu können. Der Rauch- und Spielsalon Betrat ein Gast diesen Raum, ging er vom öffentlichen in einen halb öffentlichen Bereich über, in dem das gesellige Beisammensein in einem kleineren Kreis fortgesetzt wurde. Von den Fenstern aus ist die Seitenfront des Parlaments zu sehen.

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Epstein selbst reiste mit zunehmendem Alter seiner angegriffe- nen Gesundheit wegen immer weniger und schuf mithilfe der Malerei eine Möglichkeit, sich zumindest virtuell an den Orten seiner Sehnsucht aufhalten zu können und seine Gäste in diesem Raum – gleichsam als „Nabel der Welt“ – daran teilhaben zu lassen. Die sogenannten „Zonenbilder“ stammten vom Landschafts- maler Josef Hoffmann. An der Ausführung waren – vermutlich wegen des Zeitdrucks – auch Eduard Bitterlich und Christian Griepenkerl beteiligt, die ebenfalls Schüler von Carl Rahl waren. Die Werke gelangten nach dem Verkauf des Palais an Otto Wagner, wurden in dessen erster Villa in Hütteldorf zur Schau gestellt und sind mittlerweile verschollen. Auf eine „Neu - erfindung“ der Landschaftsbilder wurde bei der Renovierung des Palais Epstein bewusst verzichtet. Auch die Kassettendecke im Spielzimmer hat ihr Vorbild im Decke im Rauch- und Spielsalon (Foto Helga Loidold) Tonnengewölbe der Kirche Santa Maria dei Miracoli in Venedig und kann als weiteres Zeugnis von Epsteins Begeisterung für Italien verstanden werden. Sie stellt aber auch ein zusätzliches Ursprünglich schmückten den Raum acht großformatige Musterbeispiel für das Bestreben Hansens dar, vergangene Leinwandgemälde mit Ansichten antiker Stätten, die in die Kunstepochen in seine Bauwerke quasi als Zitate zu integrieren. Vertäfelung eingelassen waren. Unter den Landschaftsmotiven befanden sich Ellora (in Indien – Höhlen- und Felsentempel, seit 1983 UNESCO-Weltkulturerbe), Philae (in Ägypten – Nil- Erstaunlicher Fund im Rauch- und Spielsalon Insel mit Isis-Tempel, seit 1979 Weltkulturerbe), Athen und Im Zuge der Renovierungsarbeiten wurden bei der Demontage Rom, weiters Landschaften auf Korfu und Capri sowie ein nachträglich eingebauter Türstöcke Fragmente der ursprüng- Dachsteinpanorama und eine Ansicht von Wien. lichen Wanddekoration von 1872 entdeckt. An beiden Türen

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diagonal gestellten Quadrat dominiert, was auch der Fund eines Fragments des historischen Parkettbodens belegt. Der Türaufsatz mit einem zentralen Löwenkopf-Medaillon und Anthemion-Motiven, einem Friesband aus Lotosblüten und Palmetten, ist in farbiger Abstimmung mit Decken- und Türfassung polychrom, also vielfarbig ausgeführt. Die Wanddekoration wurde in den Bereichen um die Türrahmen sorgsam saniert und restauriert.

Das Arbeitszimmer von Gustav Epstein Das Arbeitszimmer mit Blick auf den Schmerlingplatz erreicht man vom Rauch- und Spielsalon aus. Obwohl dieser Raum im Grundriss-Ausführungsplan von Theophil Hansen als „Arbeits - zimmer“ bezeichnet wird, handelte es sich dabei eher um die luxuriös-komfortable Studierstube des Hausherrn, in die er sich zu Kontemplation und Zerstreuung zurückziehen konnte. Die Wanddekoration im Rauch- und Spielsalon (Foto Helga Loidold) Einrichtung zu Zeiten Gustav Epsteins sagt sehr viel über dessen Charakter aus. Geht man vom ersten farbenprächtigen Entwurf aus, der im Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste aufbewahrt wird, so sah der Architekt in der Kassetten - des Raums kamen Supraporten zum Vorschein, ein über einer decke ursprünglich vier Gemälde vor: Allegorien von Handel, Tür oder einem Portal angebrachtes Gemälde oder Relief. Industrie, Eisenbahn und Schifffahrt, also jene Wirt - Dabei handelte es sich um eine auf eine dicke Putzschicht schaftszweige, die für den Aufstieg der Familie von Bedeutung gemalte, Stuccolustro-ähnliche Dekoration, deren schwarz glän- waren. Dieses Konzept wurde von Epstein aber nicht angenom- zender Grund von einem blattvergoldeten, diagonal verlaufen- men, denn er wollte kein Arbeitszimmer, sondern ein den Gitter überlagert wird. Die Raumgestaltung war somit vom Studierzimmer.

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gewidmet; ein geräumiger Schreibtisch, hohe Lehnstühle, ein Divan, Bücherstellen etc. bilden dasselbe ... Die Decke dieses Gemaches ziert eine höchst werthvolle Copie eines Werkes von Rubens aus dem Louvre ...“ (siehe: Das Palais Epstein. Geschichte, Restaurierung, Umbau. Ein neues Haus an der Wiener Ringstraße. Bundesimmobiliengesellschaft mbH [Hrsg.], Wien 2005, Seite 58). Die Baubeschreibung des Jahres 1876 führt aus: „... Im Arbeitszimmer des Bankiers nebenan finden wir rothe Damastwände, massiv geschnitzte Eichenmöbel und im getäfelten Plafond ein großes Mittelbild, die gelungene Copie eines Rubens: ‚Venus und Amor’, dessen Original sich in Florenz befindet.“ Das Rubensbild dürfte von Epstein nach dem Börsenkrach verkauft worden sein.

Daraus lässt sich ablesen, dass alle Einrichtungsgegen- stände und Ausstattungsstücke, die auf die Funktion eines Arbeitszimmers eines Bankiers hindeuten könnten, getilgt wur- den. An ihre Stelle traten Interieurs, die den Benutzer als feinsin- Arbeitszimmer (Foto Helga Loidold) nigen, humanistisch gebildeten Gelehrten, als Kunstkenner, Kunstsammler und bedeutenden Mäzen ausweisen. (vgl. Das Palais Epstein. s. o. Seite 59)

Die Einrichtung blieb nicht erhalten, dürfte jedoch sehr pracht- Wo sich früher die Kopie des Rubensgemäldes im Mittelteil voll und im „Rubens-Stil“ gestaltet gewesen sein, schenkt man der Decke befand, ist heute eine Holzkassette angebracht. der Beschreibung eines Zeitgenossen Glauben: „Wie prächtig Die übrige Decke ist wieder aus Stuckmarmor (gemaltes und zugleich wie anheimelnd wirkt der Anblick dieses Holzimitat) gefertigt, mit wieder sehr schön gezeichneten Gemaches auf uns; wir sehen da ein Meublement ganz aus Gehrungsschnitten, die den Eindruck einer echten Holzdecke Eichenholz, allen Zwecken einer confortablen Studierstube verstärken.

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Exkurs Sitzmöbel, jedoch nicht mit Originalstoff. Die Möbel stammen Holzimitat-Bemalungen orientierten sich in der Maserung aber nicht aus dem Arbeitszimmer selbst, sondern aus dem immer an der gewünschten Holzart, sie waren nie zufällig. Adolf Besitz von Professor Emil Schulteisz. Loos, eigentlich ein Verehrer Theophil Hansens, mochte solche Verfälschungen nicht, seiner Meinung nach sollte das Material, Die Bibliothek das verwendet wird, auch sichtbar sein. Er übertrug diesen Gedanken auch auf Speisen, deren ursprünglicher Geschmack Die angrenzende Bibliothek unterstreicht die Bedeutung des nicht verfremdet werden sollte, etwa durch übermäßiges Arbeitszimmers als Studierzimmer. Den Worten eines Dünsten oder Braten. Loos schrieb beispielsweise Traktate Zeitgenossen ist zu entnehmen, dass die Sammlung nicht nur gegen die Einbrenn. groß, sondern auch sehr wertvoll gewesen sein muss. Die Bücher und anderen Sammelgegenstände waren offensichtlich Anekdote: Eines Abends, nachdem Loos mit einem Freund in Wandverbauten untergebracht, da keine Farbreste gefunden Powidltascherl genossen hatte, entkam er knapp einem wurden. Verkehrsunfall. Er war heilfroh, aber weniger, weil er noch am Leben war, sondern weil man bei einer Obduktion in SEINEM Der zitierte Zeitgenosse beschrieb die Bibliothek folgender- Magen Powidl gefunden hätte – bis zur Geschmacks - maßen: „In hohen, aus Kirschholz superb gearbeiteten verfremdung verkochte Zwetschken. Dies hätte sein Lebens - Schränken grüßen den Bücherfreund die auserlesendsten werk unglaubwürdig erscheinen lassen! Werke aller Literaturen, auf dem Lesetisch liegt aufgeschlagen ein seltenes altes Buch in lateinischer Sprache, ein historisches Lexikon von einem berühmten Verfasser. Außer Bücher zieren dieses Cabinet noch verschiedene archäologische und ethnographische Merkwürdigkeiten, Marmorbüsten, Trachten - Unter dem schönen Kamin wurde bei der Restaurierung noch gruppen etc.“ (vgl. Das Palais Epstein. s. o. Seite 59) Angeblich eine Fläche des originalen Parketts gefunden, sodass der Boden besaß Epstein auch eine große Sammlung an Stichen und für den gesamten Raum rekonstruiert werden konnte. Grafiken, insbesondere niederländischer Meister. Eine kleine Ausstellung im Arbeitszimmer zeigt heute unter Die Bibliothek und die beiden angrenzenden Zimmer, das anderem Bildnisse von Gustav und Emilie Epstein sowie eine Zimmer des Sohnes und des Hauslehrers, sind nicht öffentlich Zeichnung Otto Wagners von der Villa in Baden und originale zugänglich.

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Zimmer des Sohnes und des Hauslehrers Von der Bibliothek gelangt man in das ehemalige Zimmer des Sohnes, das durch eine Mauer vom Zimmer des Lehrers abge- trennt war. Letzteres ist sehr klein, ein Schlauchzimmer, und ver- fügt nur über ein Fenster in einen Lichthof über der Rampe für die Pferde – kein besonderes Quartier in einem Haus, das so viel auf Bildung und Kultur hielt. An der Wand des Zimmers des Sohnes konnte etwas von der ursprünglichen Malerei freigelegt werden. Dieser Ausschnitt ist durch ein Sichtfenster geschützt.

Boudoir der Damen Boudoir (Foto Helga Loidold) Das Boudoir der Damen befindet sich rechts neben dem Empfangssalon. Seine Fenster an der Hauptfassade zeigen auf den Ring hinüber zum Volksgarten, jene an der Seitenfront Bellariastraße geben den Blick auf das Naturhistorische Museum Exkurs: Boudoir frei. Die Bezeichnung „Boudoir“ kommt aus dem Französischen. Das Als Boudoir bezeichnet man jenen Raum, in dem sich die Dame Verb „bouder“ heißt so viel wie „schmollen, schlecht gelaunt des Hauses zurückzog oder Gäste empfangen konnte. Er war in sein“. Ein Boudoir ist daher eine Art „Schmollwinkel“, was der Regel sehr elegant eingerichtet. Nach einem Konzert und nicht besonders frauenfreundlich und heute schon gar nicht dem darauf folgenden opulenten Abendessen trafen sich bei- „politisch korrekt“ ist. In Frankreich war dieser Begriff für ein spielsweise die weiblichen Gäste im Boudoir, während sich die Damen zimmer seit dem 18. Jahrhundert üblich, im deutschen Herren im Rauch- und Spielsalon versammelten. Sprachraum fand er erst im 19. Jahrhundert Verwendung. Später verstand man darunter allgemein das Ankleidezimmer. Heute ist das Wort kaum mehr gebräuchlich.

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Nach 1920 saßen in diesem Raum Amtsführende Präsidenten/ In einer Baubeschreibung des Jahres 1876 heißt es: -innen des Stadtschulrats für Wien. Angeblich soll sich hier auch „Das Boudoir zeigt mit himmelblauem Seidendamast bespann- das Büro des russischen Kommandanten befunden haben. te Wände mit seiner Bordüre in Purpur und Gold und geschnitz- ten Lambris in Nußholz. Der Plafond, zartgelb und mit plasti- schem rankenden Goldornament belebt, hat in den Ecken Gestaltung des Raumes Reliefmedaillons mit den vier Jahreszeiten nach Thorwaldsen Farblich wird der Raum vom Weiß der Decke und des prachtvol- und einen herrlichen Kronleuchter aus vergoldeter Bronze. Die len Ofens sowie vom Blau der Tapete dominiert. Die Wand - Holzmöbel im Intarsienstyl (Ebenholz und Elfenbein), ge- verkleidung, eine blaue Bespannung, ist nicht original, aber sie mahnen an die Prachtstücke der Art, welche die englischen und orientiert sich an den Farben und Farbresten, die man zu Beginn italienischen Kunstindustriellen ... [im Rahmen der Wiener der Restaurierung freigelegt hat. Für eine originalgetreue Nach - Weltausstellung] zur Ausstellung gebracht haben.“ ahmung der Bespannung wurden keine Unterlagen gefunden. Daraus geht hervor, dass die Decke ursprünglich bunt gewesen Daher wurde in Abstimmung mit dem Bundes denkmalamt eine sein muss. Die wenigen freigelegten Fragmente ließen jedoch Stofftapete gewählt (alte Standardware der Firma Backhausen), keinen Schluss auf die gesamte Deckengestaltung zu, daher die dem ursprünglichen Farbton entspricht und den Produkten wurde auf eine Rekonstruktion aufgrund von Spekulationen der damaligen Zeit nahekommt. Das Muster ist allerdings histo- verzichtet. Diesem Prinzip folgt übrigens die gesamte risch nicht ganz korrekt. Restaurierung des Palais: Wände und Decken, die nur einen frag- Eine weitere Besonderheit stellen die Lamperien aus echten mentarischen Bestand an Dekorationen aufwiesen, wurden in Furnieren und Holz dar. einem gebrochenen Weiß gestrichen. Dies wird zwar als ein Bruch im Ensemble empfunden, aber es ist, wie von den Verantwortlichen betont wird, ehrlicher und verträglicher als Exkurs: Lamperie eine unglaubwürdig wirkende Rekonstruktion. Die Bezeichnung „Lamperie“ geht auf einen französischen Geblieben sind aber die Jahreszeiten-Tondi, Allegorien in den Wortstamm zurück: „Lambris“ bedeutet Wandverkleidung. Ecken der Decke. Sie stellen eine Nachbildung von Plastiken des Ursprünglich bestand eine Lamperie aus einer Holzvertäfelung, klassizistischen dänischen Bildhauers Bertel Thorvaldsen dar, die früher vor allem in den Wiener Gaststuben zur Wärme- und dessen „Alexanderzug“ sich – ebenfalls als Kopie – im Winter - Feuchtigkeitsisolierung benötigt wurde. garten befindet.

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Exkurs: Tondo Im Gegensatz zu den anderen Zimmern hängt im Boudoir Als Tondo wird ein Rundbild bezeichnet, das als Gemälde oder noch der Originalluster. Erwähnenswert wegen seiner Schön- Relief gestaltet sein kann. Das Wort ist vom italienischen heit ist der Ofen aus weißem Carrara-Marmor, der die Initialen „rotondo“ abgeleitet. Tondi waren ein häufig verwendetes der Familie Epstein zeigt. Leider ist er nicht mehr funktions- Gestaltungselement in der Architektur von der Antike bis zum fähig. Historismus. Das gemeinsame Schlafzimmer Vom Boudoir führt eine Tür in das Schlafzimmer der Epsteins, dessen Fenster zur Bellariastraße schauen. Der Raum wird bei öffentlichen Führungen nicht gezeigt, weil die erhaltene Innenausgestaltung keine Besonderheiten aufweist und er heute als Infrastrukturraum für Veranstaltungen dient. In einer Baubeschreibung des Jahres 1873 heißt es: „Das ge- meinschaftliche Schlafzimmer enthält einen vorzüglich schönen pompejanischen Plafond ...“ Das gemeinsame Schlafzimmer ist jedoch hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklung von Interesse. Im Gegensatz zum Adel war für die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahr - hunderts die Intimität bereits etwas, über das man nicht nur reden konnte, sondern das man auch in Form eines gemein - samen Schlafzimmers zeigen konnte.

Kinderzimmer und Zimmer der Tochter An das Schlafzimmer schließen das ehemalige Kinderzimmer Stuckdecke im Boudoir (Foto Helga Loidold) und das Zimmer der Tochter als letzter Raum auf dieser Seite an.

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DAS PALAIS EPSTEIN

Decke des Kinderzimmers (Foto Helga Loidold)

Beide werden heute als Büros genutzt und sind nicht öffentlich zugänglich. Der genannten Baubeschreibung des Jahres 1873 ist zu ent- nehmen: „... die darauf folgenden Zimmer der Kinder und der Tochter sind einfacher gehalten, im letzteren ist eine Decke mit schön gemaltem Laubwerk.“

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WEITERE NUTZUNG DES PALAIS EPSTEIN BIS HEUTE

Die Besitzer nach Gustav Ritter von Epstein ...... 61

Nutzung für das Parlament

oder Haus der Geschichte ...... 65

Heutige Nutzung des Palais Epstein –

die Demokratie werkstatt ...... 66

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WEITERE NUTZUNG DES PALAIS EPSTEIN BIS HEUTE

Die Besitzer nach Gustav Ritter von Epstein Das Palais Epstein war während dieser Zeit nicht nur Firmensitz der ICGA, sondern auch Wohnsitz der Familie Drory. Der Techniker und Erfinder Henry James Drory war Direktor der ICGA Die Ausführungen folgen in weiten Bereichen Erich Klein und Brigitte Hamann. und wohnte gemeinsam mit seiner Frau, seinen vier Kindern Klein, Erich: Fünf Hausherren und ein Haus. In: Das Palais Epstein. Geschichte, und dem Dienstpersonal im zweiten Stock. Die noble Beletage Restaurierung, Umbau. Ein neues Haus an der Wiener Ringstraße. diente repräsentativen Empfängen der ICGA sowie Firmen- und Bundesimmobiliengesellschaft mbH (Hrsg.), Wien 2005, S. 68–86 Familienfeiern, im Erdgeschoß befanden sich Büroräume. Hamann, Brigitte: Das Palais Epstein zur Zeit der ICGA, Familie Drory, Kommunalisierung, Das Palais Epstein im Lauf der Geschichte. In: Forum Die Monopolstellung und die daraus resultierenden überhöhten Parlament, Jg. 3, Nr. 2/2005 Gaspreise waren immer wieder Anlass für kommunalpolitischen Unmut und Polemiken gegen die ICGA. Schließlich wurde unter Nachdem Gustav Ritter von Epstein infolge des Börsenkrachs dem christlich-sozialen Bürgermeister Karl Lueger der Beschluss von 1873 das Palais 1876 verkaufen musste, wurde das Haus zum Bau des ersten Wiener Großgaswerkes (Gasometer) gefasst, sehr unterschiedlich genutzt. Die verschiedenen Hausherren das Ende 1899 in Betrieb ging. In der Folge verließ die ICGA sind ein Spiegel der Geschichte der letzten 100 Jahre. zunächst das Palais Epstein und 1911 Wien.

1883–1902: Imperial Continental Gas Association 1902–1922: Verwaltungsgerichtshof (ICGA) Der Verwaltungsgerichtshof – eine Kontrollinstanz, die bereits 1876 im Zuge einer grundlegenden Verfassungs- und Die ICGA (mit Stammsitz in London) war seit Beginn der Verwaltungsreform eingerichtet wurde – war von 1902 bis 1922 Errichtung der ersten Gaswerke in der ersten Hälfte des Hausherr des Palais Epstein. 19. Jahrhunderts in Wien tätig – unter anderem bei der flächen- deckenden „Illumination von Gassen und Plätzen”, die von Aufgabe dieser Behörde, eines Kollegiums aus unabhängigen Kaiser Franz Joseph 1867 verfügt wurde. Von 1877 bis 1899 Richtern, war es, die Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen erhielt sie sozusagen als Monopolstellung einen Vertrag über Verwaltung zu gewährleisten – ein Kampf gegen die Mühlen der die Gasversorgung Wiens und zog in das Palais Epstein ein – als Bürokratie. Der Verwaltungsgerichtshof hatte einen guten Ruf, repräsentative Niederlassung in einem der prominentesten auch bei kritischen Zeitgenossen. Nach dem Zerfall der Ringstraßenpalais Wiens. Monarchie wurde das System der österreichischen Verwaltungs -

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WEITERE NUTZUNG DES PALAIS EPSTEIN BIS HEUTE

Der Festsaal als Verhandlungssaal Otto Glöckel des Verwaltungsgerichtshofs (1902–1922) (Parlamentsdirektion) (Parlamentsdirektion)

gerichtsbarkeit auch von den Nachfolgestaaten übernommen, Während dieser Zeit war der Sozialdemokrat Dr. Otto Glöckel und die Grundlagen haben auch in der Zweiten Republik Präsident des Stadtschulrates und leitete umfassende Schul- Gültigkeit bewahrt. und Bildungsreformen ein. „Demokratisierung der Schul- verwaltung, Neugestaltung der Lehrerausbildung und -fort - bildung (1925 wird die Pädagogische Akademie gegründet), 1922–1938: Stadtschulrat 1 Modernisierung des Lehrbetriebs samt umfassender Ent rümpe - In der Ersten Republik war das Palais Epstein Sitz des Wiener lung der Lehrpläne, bis hin zu Ansätzen einer Schüler - Stadtschulrates. Nach der Trennung Wiens von Niederösterreich selbstverwaltung, sowie die Einbeziehung von Psychologen mit 1. Jänner 1922 wurde der Wiener Stadtschulrat gegründet. sind die wichtigsten Errungenschaften der Ära Glöckel.“

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1938–1945: Reichsbauamt Hausherren in zehn Jahren und zunächst bei Kriegsende für die „Aufrechterhaltung der Ordnung“ und „Wiederherstellung eines Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich wurde das normalen Lebens“ zuständig. In Wiens Straßen liegen 9.000 Palais Epstein für das Deutsche Reichsbauamt beschlagnahmt. Tote, 36.000 Gebäude sind total bzw. bis zur Unbewohnbarkeit Entgegen ersten Ankündigungen – etwa in Wien 70.000 zerstört, die Versorgungslage ist katastrophal. Die Komman - Wohnungen schaffen zu wollen – hielt sich die tatsächliche dantur setzte in Wien zunächst eine lokale Verwaltung von Bautätigkeit dieser Behörde sehr in Grenzen. Eine Reihe von Bezirkskommandanten ein. Als symbolisch wohl wichtigste monströsen Projekten blieb zum Glück „Papierarchitektur“ – ein Handlung übergab Stadtkommandant Blagodatow am 29. April Gau-Forum an der verlängerten Bellariastraße, ein „Haus des 1945 Karl Renner und seiner provisorischen österreichischen Führers“ gegenüber dem Naturhistorischen Museum oder die Regierung das Parlament. Errichtung monumentaler Aufmarschplätze, die nur durch die Schleifung von Leopoldstadt und Brigittenau realisierbar gewe- Der Stellenwert der Stadtkommandantur veränderte sich mit sen wären. dem Einzug der westlichen Alliierten im Herbst 1945 in Wien – Mit Beginn der Bombardierung durch die Alliierten im Jahr 1943 wurde die Errichtung von Bunkeranlagen und Flaktürmen not- wendig. Die Wiener Flaktürme – Luftschutzanlagen für 40.000 Zivilisten und Geschützstellung für die Fliegerabwehr – erinnern noch heute eindringlich an den Nationalsozialismus. Im Unterschied zu benachbarten Gebäuden wie dem Parlament wurde das Palais Epstein während des Zweiten Weltkrieges nicht beschädigt.

1945–1955: Sowjetische Stadtkommandantur Warum das Palais Epstein als Sitz der sowjetischen Stadtkommandantur ausgewählt wurde, ist nicht bekannt. Sowjetische Kommandantur (1945–1955) Generalleutnant Alexej Blagodatow ist der erste von sieben (Österreichische Nationalbibliothek)

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WEITERE NUTZUNG DES PALAIS EPSTEIN BIS HEUTE

Palais Epstein untergebracht – einige Räume dienten offensicht- lich übergangsweise als Gefängnis. Bisher sind um die 2.200 Fälle von Verschleppungen österreichischer Staatsbürger in die Sowjetunion aktenkundig. Die während dieser Zeit an der Fassade des Palais Epstein angebrachten monumentalen Bilder von Stalin und Lenin waren gleichzeitig Symbole eines totali- tären Staates. Mit dem Abzug der alliierten Truppen räumten auch die Sowjets das Palais Epstein, und zwar in keinem besonders desolaten Zustand, angeblich dank der Anstrengungen eines Kultur- offiziers.

1958–2001: Stadtschulrat 2 Der Stadtschulrat stellte 1955 (wie schon im April 1945) einen Antrag auf Rückgabe des Palais Epstein und dieses wurde nach Besatzungsalltag (Die Vier im Jeep) umfassenden Renovierungsarbeiten 1958 wieder Sitz des (Österreichische Nationalbibliothek) Wiener Stadtschulrates. Die Leitung übernahmen aus der Emigration nach Wien zurückgekehrte Mitarbeiter des Stadtschulrates der Ersten Republik. die Interalliierte Kommandantur ist vor allem unter dem Schlagwort „Die Vier im Jeep“ noch heute ein Begriff. Das negative Image der Russen in Österreich war nicht nur von den Ausschreitungen im Zuge der Befreiung herzuleiten, son- dern in der Zeit danach eine Folge der Verhaftungen und Verschleppungen durch sowjetische Behörden. Neben der Stadtkommandantur war auch der KGB-Vorläufer NKWD im

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Nutzung für das Parlament oder Haus der Geschichte Die Diskussion über die weitere Nutzung des Palais Epstein kam Ende der 1990-er Jahre im Zuge der Umwidmung des Palais auf. Ende 1997 beschloss der Ministerrat, das Palais zu ver kau- fen, am 19. November 1998 wurde in der Präsidialsitzung des Nationalrates der einhellige Beschluss gefasst, das Palais für Parlamentszwecke zu nutzen. Die Bundesimmobilien- gesell schaft des Bundes kaufte daraufhin das Haus an, für das sich auch bereits eine japanische Bank interessiert hatte. In der Folge räumte der Wiener Stadtschulrat Anfang 2001 das Palais und bezog seinen neuen Amtssitz in der Wipp lin ger - straße. Nach einer europaweiten Ausschreibung der Generalsanierung des Palais im Frühjahr 2002 wurde das Haus unter Beiziehung des Bundesdenkmalamtes weitestgehend originalgetreu restauriert und am 25. Oktober 2005 feierlich Parlamentsdirektion / Foto Carina Ott eröffnet – als weitere Dependance des Parlaments in dessen un mittelbarer Nachbarschaft. Möglichkeit für eine Verbeugung vor jenen geboten, die Wien mit aufgebaut hätten“ (APA 439, 5. April 2002). Während dieses Zeitraums war es vor allem Leon Zelman, der Leiter des Jewish Welcome Service, der sich für eine Nutzung Die Diskussion über ein „Haus der Geschichte“ bzw. „Haus der des Palais Epstein als „Haus der Geschichte“ bzw. „Haus der Toleranz“ und das Palais Epstein als Standort wurde von ver- Toleranz“ einsetzte. Für ihn repräsentierte das Ringstraßenpalais schiedenen Seiten über Parteigrenzen hinweg teils sehr intensiv Wiener Geschichte und vor allem „jene Menschen, welche Wien geführt – sowohl auf Bundesebene im Ministerrat und vor dem Zweiten Weltkrieg zur Weltstadt gemacht hätten, vom Nationalrat als auch auf Wiener Seite im Gemeinderat. NS-Regime dann aber vertrieben wurden“ (APA655, 21. Jänner Die Idee eines „Hauses der Geschichte“ hatte sich jedoch inzwi- 2003). Ein „Haus der Geschichte in dem Palais hätte die schen unabhängig vom Standort des Palais Epstein manifestiert.

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WEITERE NUTZUNG DES PALAIS EPSTEIN BIS HEUTE

Nachdem zunächst eine von der Regierung eingesetzte Heutige Nutzung des Palais Epstein – Expertengruppe mit der Ausarbeitung eines Konzepts für ein „Haus der Geschichte“ beauftragt worden war, hatte sich die die Demokratie werkstatt Bundesregierung im Ministerrat Ende April 2008 darauf geei- Heute wird das Palais Epstein vom Parlament in vielfältiger nigt, professionelle Museumsberatungsunternehmen mit der Weise genutzt. In den oberen Stockwerken sind Büros von Detailplanung für das „Haus der Geschichte“ zu beauftragen – Abgeordneten und deren Stab untergebracht. sowohl was Inhalt und museumsdidaktische Konzepte betrifft Die Zimmer der Beletage dienen unterschiedlichen Zwecken, sie als auch im Hinblick auf die Standortfrage. werden als Besprechungszimmer und Ausschusslokale verwen- In der daraufhin erfolgten Ausschreibung des Bundes- det und bilden so wie der überdachte Innenhof den Rahmen für kanzleramtes bezieht man sich hinsichtlich des Projektvolumens unterschiedliche Veranstaltungen des Parlaments. Inhaltlich auf das „United States Holocaust Memorial Museum“ in betreffen die Veranstaltungen die gesamte Bandbreite des par- Washington. Das Palais Epstein wäre für ein Museum mit lamentarischen Geschehens, ein Schwerpunkt liegt jedoch auf diesen Vorgaben sicherlich zu klein gewesen. der zeitgeschichtlichen Berücksichtigung und Aufarbeitung der Im Herbst 2008 wurde dann die Gruppe Haas/LORD beauftragt, jüngsten Vergangenheit, besonders im Hinblick auf die jüdische ein Detailkonzept auszuarbeiten. Bis Ende 2009 soll der Bevölkerung. Architektenwettbewerb abgeschlossen sein. Als Standort für Auch in den alten Kassensälen im Erdgeschoß wurde in den das Museum hat man sich auf Wien geeinigt. ersten beiden Jahren zu Veranstaltungen und Ausstellungen Leon Zelman hat sich letztendlich mit der Nutzung geladen. Während der rechte Saal für unterschiedliche Anlässe des Palais Epstein für Parlamentszwecke ausgesöhnt, da bei genutzt wurde, war im linken Saal zunächst die Dauer- Veranstaltungen besonderes Augenmerk auf die jüdische aus stellung über die Familie Epstein untergebracht, die sich Geschichte Österreichs gelegt wird. heute im Arbeitszimmer der Beletage befindet. Eine Gedenktafel, die am 11. Juli 2008 an der Ecke Sowohl der Innenhof als auch die Beletage können bei einer Schmerlingplatz/Dr.-Karl-Renner-Ring 1 am Palais Epstein an - Führung (derzeit nur samstags) besichtigt werden. gebracht wurde, erinnert an Leon Zelman, der ein Jahr davor verstorben war, an seinen Einsatz für den Dialog zwischen Seit 25. Oktober 2007 ist im Erdgeschoß – in den ehemaligen dem heutigen Österreich und Opfern der NS-Verfolgung. Kassensälen bzw. Bankräumlichkeiten der Bank Gustav von Epsteins – die „Demokratiewerkstatt“ untergebracht, ein Projekt

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Neue Büroräumlichkeiten (Parlamentsdirektion / Foto Christian Hikade) Gewölbe „Goldener Raum“ (Foto Helga Loidold)

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WEITERE NUTZUNG DES PALAIS EPSTEIN BIS HEUTE

werk statt – eine beachtliche Erfolgsbilanz der noch sehr jungen Einrichtung. Durch die „Demokratiewerkstatt“ trägt das historische Palais zu mehr modernem Demokratieverständnis der Kinder und Jugend lichen Österreichs bei. Verschiedene Veranstaltungen und Führungen ermöglichen auch der interessierten Öffentlichkeit einen offenen Zugang in dieses an Geschichte so reiche Haus.

Demokratiewerkstatt (Parlamentsdirkektion / Foto Mike Ranz)

zur Förderung von Demokratieverständnis und politischem Interesse für die Altersgruppe von 8 bis 14 Jahren. Die vierstün- digen Workshops werden mit verschiedenen Schwerpunkt- themen angeboten: Man kann sich zur „Politischen Werkstatt“, zu den „Medien-Werkstätten“, zur „Werkstatt mit Parla men - tarierInnen“ oder zur „Partizipationswerkstatt“ anmelden. (http://www.demokratiewebstatt.at) Rund 11.000 Kinder und Jugendliche besuchten zwischen 25. Oktober 2007 und Ende Dezember 2008 die Demo kratie -

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DIE WIENER RINGSTRASSE IM SPIEGEL DER GESCHICHTE

Eine Prachtstraße und eine neue Zeit ...... 73

Der Verlauf der Ringstraße und ihre bedeutendsten Gebäude ...... 80

Vertreter der Ringstraßenarchitektur im Überblick ...... 83

Soziale Aspekte zur Bauzeit der Wiener Ringstraße ...... 84

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DIE WIENER RINGSTRASSE IM SPIEGEL DER GESCHICHTE

Die Ringstraße mit ihren Prachtbauten ist ein Wahrzeichen Römische Spuren Wiens und Symbol einer vergangenen Welt, die vom Glanz der Das Palais Epstein steht auf historischem Boden, dessen Habsburgermonarchie zeugt. Im Grunde genommen war sie Besiedlung bis in die Römerzeit zurückreicht. Zeichen einer neuen, aufstrebenden Gesellschaft. Nicht der Adel ließ sich hier in prachtvollen Palais nieder, sondern die „Zweite Das ehemalige Glacis, der aus militärischen Gründen unverbaut Gesellschaft“ – Fabrikanten, Großhändler und Bankiers, die der gebliebene Platz vor den mittelalterlichen Stadtmauern, auf „Ringstraßenzeit“ ihren Stempel aufdrückten. dem später die Ringstraße entstehen sollte, war nicht immer freies Gelände. Im Zuge des Baus der Tiefgarage unter dem Die noch unfertige Ringstraße bildete die Kulisse für den opu- Schmerlingplatz konnte anhand von Brunnen, Gräben und lent vom Historienmaler Hans Makart inszenierten Festzug Gruben der Nachweis einer römischen Besiedlung im Westen anlässlich der Silberhochzeit von Kaiserin Elisabeth und Kaiser des Legionslagers erbracht werden. Ausgrabungen förderten Franz Joseph I. im Jahr 1879. Über sie ging aber auch 1916 der auch Keramik aus dem 14. und 15. Jahrhundert zutage und Trauerzug mit dem Sarg des toten Kaisers. So war sie Schauplatz be legen gemeinsam mit Vorratsgruben und Mauerresten die sowohl letzter Prachtentfaltung als auch Vorahnung des Nutzung des „Josefstädter Glacis“ bis ins Spätmittelalter. Schreckens, den die Stadt und das Land noch zu erdulden hat- ten. Die Ausrufung der Republik am 12. November 1918 vor dem Parlament leitete den Umbruch ein, ein Weg, der über die noch fragile Demokratie der Ersten Republik führte und über den Exkurs: Glacis Justizpalastbrand des 27. Juli 1927 in die Zeit des autoritären Das französische Wort „Glacis“ bedeutet „Vorfeld“ und wird im Ständestaats mündete. Nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 und Zusammenhang mit dem Festungsbau verwendet. Es benennt dem Ende der Besatzungszeit 1955 hat sich Österreich zu einer eine leicht ansteigende Erdaufschüttung vor einem Graben. gefestigten Demokratie entwickelt, und das Parlament, einer der großen architektonischen Anziehungspunkte der Ring- Als „Glacis“ wurden in Wien große, früher unverbaute Flächen straße, steht im Zentrum dieser Demokratie. Die Ringstraße außerhalb der Wiener Festungsmauern bezeichnet, die als freies ist heute nicht nur touristischer Höhepunkt jedes Wien-Besuchs, Schussfeld bei Belagerungen dienten und Angreifern möglichst sie ist in erster Linie politisches und kulturelles Zentrum der wenig Deckung boten. Stadt, und an ihr wird Geschichte gleichsam ablesbar.

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DIE WIENER RINGSTRASSE IM SPIEGEL DER GESCHICHTE

Die mittelalterlichen Lucken und die Entstehung des Glacis Unter dem Babenberger Herzog Leopold VI. (1198–1230) wurde die Wiener Innenstadt mit einem rund 4.500 Meter langen Mauerring umgeben. Auf der Fläche davor entstanden bald kleinere Vorstadtsiedlungen, die man als „Lucken“ bezeichnete. Sie wurden von Menschen der unteren Mittelschicht der mittel- alterlichen Stadt bewohnt, also von jenen, die sich keine Häuser in der Stadt leisten konnten. Dabei handelte es sich in erster Linie um ärmere Handwerker und Händler. Aber auch Landwirte waren in diesen Lucken zu finden und bestellten Felder, die zwischen den einzelnen Gründen gelegen waren, und sogar kleinere Weingärten wurden ausgepflanzt. Geschützt waren die Siedlungen lediglich durch Holzverplankungen und lebende Hecken. Diese Siedlungen fielen 1529 der Ersten Türken belagerung zum Opfer. Aus militärischen Gründen wurde daraufhin, basierend Glacis (Parlamentsdirektion) auf einem kaiserlichen Befehl von 1558, die Errichtung von Häusern auf eine Entfernung von 95 Metern vom Stadtgraben Türkenbelagerung im Jahr 1683 stand, und zwar fand der Angriff untersagt und somit verfügt, den Streifen vor den Stadtmauern auf einer Front von rund 300 Metern statt – zwischen freizuhalten. Dies wurde im 17. Jahrhundert durch kaiserliche Burgbastei, die sich vor der Hofburg befand, und Löwelbastei, Ermächtigung nochmals bekräftigt, als die Stadtmauern ausge- an der Stelle des heutigen Burgtheaters. baut wurden und man Wien zur mächtigsten Festung Europas machte. Es wurden Bastionen gebaut, große Mauerdreiecke, die Noch heute befindet sich an der rechten Durchfahrt des heranrückenden Feinden wie ein Keil drohten. Verbunden Burgtheaters ein mit Eisenklammern fixierter Quaderstein mit waren sie durch einen vermauerten Erdwall, die eigentliche der Aufschrift „MDXXXXIIII“ (Jahreszahl 1544), der aus dem Stadtmauer. Die Stadtbefestigung hielt auch der Zweiten Bollwerk stammt. Sonst ist davon kaum etwas übrig, nur die

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zahlreichen Toten der Türkenbelagerung liegen noch heute Sandwüste“ glich und die Hauptquelle der Staubentwicklung in unter dem Areal der Hofburg begraben. der Stadt darstellte. Bei nasser Witterung sei er „ein Sumpf oder ein gefrorener Teich“ gewesen. Die Befestigung Wiens, die sich so gut gegen den Ansturm des türkischen Heeres bewährt hatte, konnte aber nicht mehr ver- hindern, dass Napoleon 1805 und 1809 nach Sprengung der Eine Prachtstraße und eine neue Zeit Vorwerke vor der kaiserlichen Burg in Schönbrunn einzog und damit die Habsburger tief demütigte. Abgesehen von diesem nicht besonders einladenden 1820 wurde das Äußere Burgtor errichtet, aber erst nach Erscheinungsbild von Teilen des Glacis, gab es seit dem 18. der Revolution 1848/1849 kam es zu weiterreichenden Jahrhundert, als sich die Befestigungsanlagen im Zuge der Änderungen. napoleonischen Kriege als nutzlos erwiesen, immer wieder Diskussionen über die Stadtmauern. Sie verhinderten eine struk- Der Kaiser verfügte schlussendlich im Jahr 1857, die Basteien zu turierte Stadterweiterung und schnitten die Innenstadt von den schleifen und das Glacis zur Verbauung freizugeben, das von der 1850 eingegliederten Vorstädten ab, den heutigen Bezirken II Bevölkerung damals als Erholungsraum geschätzt wurde. Auf bis IX. Projekte, wie man die Stadterneuerung auf dem Areal Anweisung Kaiser Josephs II. war 1770 rund um die Stadt eine und die Anbindung zu den Vorstädten städtebaulich lösen „Chaussae“ errichtet und der Raum dazwischen einige Jahre könnte, gab es zahlreiche, keines wurde verwirklicht. Ein Projekt später begrünt worden. Die noch heute gültigen Adressen wie war sogar von Erzherzog Johann, ebenfalls erfolglos, initiiert Heumarkt, Getreidemarkt und Viehmarkt sind ein Relikt für wei- worden. tere zivile Nutzungen des ehemaligen Glacis. Größere Mit seinem Handschreiben zur Stadterweiterung vom 20. De - Meinungsverschiedenheiten entstanden um das Areal zwischen zember 1857 an Innenminister Alexander Freiherr von Bach ver- Schottentor und dem heutigen Standort des Parlaments. Dieser fügte Kaiser Franz Joseph I. die Auflassung der Befestigung und Teil des Glacis diente als Paradeplatz und sah wie eine Steppe ermöglichte damit endlich die Verbindung der Innenstadt mit aus. Aus dem Nachlass des liberalen Politikers Cajetan Felder, den eingemeindeten Vorstädten. 1868 bis 1878 Bürgermeister von Wien, ist ein Zitat über den damaligen Zustand des Josefstädter Glacis übermittelt. Er Die Stadterweiterung diente nicht nur dazu, die drückende bezeichnete den „großen und fast unübersehbaren Raum“ als Wohnungsnot zu mildern, Ziel war vor allem auch die eine „trostlose Einöde“, die bei trockener Witterung „einer „Verschönerung der Residenz- und Reichshauptstadt“, wie es in

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DIE WIENER RINGSTRASSE IM SPIEGEL DER GESCHICHTE

dem Handschreiben hieß. Mit dem Bau eines Prachtboulevards Kaiser Franz Joseph I. sollte ein Zeichen gesetzt werden. Man wollte anderen Handbillet vom 20. Dezember 1857 an Innenminister Metropolen wie und Berlin nicht mehr nachstehen. Der Alexander Freiherr von Bach Ausbau der Residenzstadt Wien sollte die Macht der Habsburgermonarchie demonstrieren. Lieber Freiherr von Bach! Parallel zu dieser Prachtstraße wurde eine „Lastenstraße“ für den Es ist mein Wille, dass die Erweiterung der inneren Stadt Wien Gewerbeverkehr geplant, die von den Wienern „Zweierlinie“ mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung derselben genannt wurde, nach den Straßenbahnlinien E2, H2 und G2. mit den Vorstädten ehemöglichst in Angriff genommen und Diese wurden 1980 zwischen Alserstraße und Karlsplatz durch hiebei auch auf die Regulierung und Verschönerung Meiner die U2 abgelöst, die heute die Strecke vom Schottenring bis zum Residenz- und Reichshauptstadt Bedacht genommen werde. Stadion zurücklegt. Zu diesem Ende bewillige ich die Auflassung der Umwallung und Fortificationen der inneren Stadt, so wie der Gräben um dieselbe. Das Handschreiben des Kaisers an seinen Innenminister Jener Theil der durch Auflassung der Umwallung, der Forti- ficationen und Stadtgräben gewonnenen Area und Glacis- Veröffentlicht in: Gründe, welcher nach Maßgabe des zu entwerfenden EITELBERGER, Rudolf von (Hrsg.): Die preisgekrönten Entwürfe Grundplanes nicht einer anderweitigen Bestimmung vor- zur Erweiterung der inneren Stadt, Wien 1859, S. 8 f. behalten wird, ist als Baugrund zu verwenden und der daraus TIETZE, Hans (Hrsg.): Alt-Wien in Wort und Bild, Wien 1925/26, gewonnene Erlös hat zur Bildung eines Baufonds zu dienen, S. 114 f. zu welchem die durch diese Maßregel dem Staatsschatz er- wachsenden Auslagen, insbesondere auch die Kosten der Herstellung öffentlicher Gebäude, sowie die Verlegung der noch nöthigen Militär-Anstalten bestritten werden sollen. Bei der Entwerfung des bezüglichen Grundplanes und nach Meiner Genehmigung desselben bei der Ausführung der Stadterweiterung ist von nachstehenden Gesichtspunkten aus- zugehen:

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Mit der Wegräumung der Umwallung, der Fortificationen und Die fernere Erweiterung der inneren Stadt ist bei dem der Ausfüllung der Stadtgräben ist in der Strecke von der Kärntnerthore und zwar auf beiden Seiten desselben in der Biberbastei bis an die Umfassungsmauer des Volksgartens in der Richtung gegen die Elisabeth- und Mondscheinbrücke bis Art zu beginnen, dass längs dem Donaucanale ein breiter Quai gegen das Karolinenthor vorzunehmen. hergestellt und der vom Schottenthore bis zum Volksgarten gewonnene Raum theilweise zur Regulierung des Exercier - Auf die Herstellung öffentlicher Gebäude, namentlich eines platzes benützt werden kann. neuen General-Commandos, einer Stadtcommandantur, eines Opernhauses, eines Reichsarchives, einer Bibliothek, eines Zwischen diesen gegebenen Punkten hat zunächst die Stadthauses, dann der nöthigen Gebäude für Museen und Erweiterung der inneren Stadt in der Richtung gegen die Rossau Gallerien ist Bedacht zu nehmen und sind die hiezu zu bestim- und die Alservorstadt zu geschehen, einerseits dem Donau - menden Plätze unter genauer Angabe des Flächenausmaßes zu canale, andererseits der Grenzlinie des Exercierplatzes folgend, bezeichnen. jedoch mit Bedacht auf die entsprechende Einschließung der im Bau begriffenen Votivkirche. Bei der Anlage dieses neuen Der Raum vom Karolinenthore bis zum Donaucanale soll eben- Stadttheiles ist zuvörderst auf die Erbauung einer befestigten falls frei bleiben, desgleichen der große Exercierplatz der Caserne, in welcher auch die große Militär-Bäckerei und das Garnison vom Platze vor dem Burgthore an bis in die Nähe des Stabsstockhaus unterzubringen sind, Rücksicht zu nehmen, und Schottenthores und hat letzterer an den Platz vor dem hat diese Caserne Achtzig (80) Wiener Klafter von der Burgthore unmittelbar anzuschließen. Augartenbrücke nach abwärts entfernt, in der verlängerten Axe der dorthin führenden Hauptumfassungsstraße zu liegen zu Von der befestigten Caserne am Donaucanale an, bis zum gro- kommen. ßen Exercierplatze hat in gerader Linie ein Raum von Einhundert (100) Wiener Klafter Breite frei und unbebaut belassen zu wer- Der Platz vor Meiner Burg nebst den zu beiden Seiten desselben den. Sonst soll aber im Anschlusse an den Quai längs dem befindlichen Gärten hat bis auf weitere Anordnung in seinem Donaucanale rings um die innere Stadt ein Gürtel in der Breite gegenwärtigen Bestande zu verbleiben. von mindestens Vierzig (40) Klaftern, bestehend aus einer Die Fläche außerhalb des Burgthores bis zu den kaiserlichen Fahrstraße mit Fuß- und Reitwegen zu beiden Seiten auf dem Stallungen ist frei zu lassen. Ebenso hat der Theil des Glacisgrunde in der Art angelegt werden, dass dieser Gürtel eine Hauptwalles (Biberbastei), auf dem die meinen Namen führende angemessene Einfassung von Gebäuden abwechselnd mit Caserne liegt, fortzubestehen. freien zu Gartenanlagen bestimmten Plätzen erhalte.

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Die übrigen Hauptstraßen sind in entsprechender Breite und Ein Denkmal der Gründerzeit und des liberalen Bürgertums selbst die Nebenstraßen nicht unter Acht Klafter anzutragen. Die Ringstraße war auch als Signal nach innen gedacht, und Nicht minder ist auf die Errichtung von Markthallen und deren bereits der Ablauf der Planungsphase steht für den Aufbruch in entsprechende Vertheilung Bedacht zu nehmen. eine neue Zeit. Hatte sich das Militär zunächst den Weiter- bestand des Exerzier- und Paradeplatzes auf dem Josefstädter Zugleich ist auch bei der Entwerfung des Grundplanes über die Glacis vorbehalten und waren ursprünglich gegenüber der Stadterweiterung die Regulierung der inneren Stadt im Auge zu Hofburg noch militärische Kommandogebäude vorgesehen, so behalten und daher der Eröffnung entsprechender neuer traten diese militärischen Gesichtspunkte immer mehr in den Ausgänge aus der inneren Stadt unter Bedachtnahme auf die in Hintergrund und verschwanden schließlich aus der Planung. An die Vorstädte führenden Hauptverkehrs-Linien, gleichwie der ihre Stelle traten Bauten, die den nach den ver lorenen Kriegen Herstellung neuer, jene Verkehrslinien vermittelnden Brücken, von 1859 (gegen Italien) und 1866 (gegen Preußen) vom auf- die geeignete Beachtung zuzuwenden. strebenden Großbürgertum erzwungenen Übergang vom Zur Erlangung eines Grundplanes ist ein Concurs auszuschrei- Absolutismus zur konstitutionellen Monarchie symbolisierten. ben, und ein Programm nach den hier vorgezeichneten Insbesondere das Parlamentsgebäude verkörpert den politi- Grundsätzen, jedoch mit dem Beisatze zu veröffentlichen, dass schen Sieg des liberalen Bürgertums und die Demokratisierung im Übrigen den Concurrenten freier Spielraum bei Entwerfung gegenüber dem Absolutismus. Gemeinsam mit dem Rathaus, des Planes gelassen werde, gleichwie sonstige hierauf bezüg- der Universität, kulturellen Einrichtungen und der Börse bildet liche geeignete Vorschläge nicht ausgeschlossen sein sollen ... es ein mächtiges architektonisches Zeichen bürgerlicher, wirt- Die hiernach als die vorzüglichsten erkannten drei Grundpläne schaftlicher und politischer Macht sowie sozialer und kultureller sind Mir zur Schlussfassung vorzulegen, sowie über die weiteren Bedeutung. Dem stehen die Symbole der kaiserlichen Macht Modalitäten der Ausführung unter Erstattung der bezüglichen gegenüber, wie das zunächst geplante und nicht realisierte Anträge Meine Entschließung einzuholen sein wird. „Kaiserforum“ mit Neuer Hofburg und Hofmuseen sowie die Votivkirche. Die ideellen Prinzipien, die den einzelnen Sie haben wegen Ausführung dieser Meiner Anordnung Gebäuden zugrunde liegen, sollten durch die Wahl der sogleich das Entsprechende zu verfügen. Stilrichtungen zum Ausdruck gebracht und damit zusätzlich Franz Joseph m/p. betont werden. So weist der griechische Stil des Parlaments - gebäudes auf den Ursprung der Demokratie hin, der gotische

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Stil des Rathauses wiederum gilt – wie auch die Renaissance – Die Wiener Ringstraße – Gesamtkunstwerk als Inbegriff des Bürgertums im Gegensatz zum Barock als und städtebauliche Leistung Ausdruck absoluter kaiserlicher Macht. Den Startschuss für die Stadterweiterung bildete nach dem Der Aufstieg des bürgerlichen Liberalismus manifestierte sich Handschreiben des Kaisers von 1857 der internationale jedoch nicht allein in den politischen und kulturellen staatlichen Wettbewerb, der am 30. Jänner 1858 ausgeschrieben wurde. Repräsentationsgebäuden an der Ringstraße. Das selbstbewuss- Aus 85 Einsendungen ging das von den Architekten Ludwig te Bürgertum war aufgrund seines wirtschaftlichen Erfolgs auch Förster, Eduard van der Nüll, August Sicard von Sicardsburg finanziell in der Lage, seinen gesellschaftlichen Status durch ent- und Friedrich Stache vorgelegte Projekt als Sieger hervor sprechende Wohn- und Geschäftsbauten zum Ausdruck zu brin- (Theophil Hansen konnte krankheitshalber an diesem gen und somit auch auf diese Weise augenscheinlich den Wettbewerb nicht teilnehmen). Es sah eine um den Stadtkern Standesunterschied zum alten Adel zu verringern. Zwei Drittel verlaufende Allee vor, an der sich die wichtigsten Verwaltungs- aller Ringstraßenpalais wurden im Auftrag von Industriellen, und Kulturbauten des Reiches und der Stadt befinden sollten. Bankiers und Großhändlern errichtet, die damit ihren Eintritt in Am 1. Mai 1865 konnte der Straßenzug feierlich eröffnet werden, die gesellschaftliche Führungsschicht des Landes dokumentier- die endgültige Verbauung zog sich aber bis zum Beginn des ten. Die wichtigsten Vertreter dieses Bürgertums, das zu einem 20. Jahrhunderts hin. nicht geringen Ausmaß durch das jüdische Element geprägt Indem die Wiener Ringstraße öffentliche und private war, ließen sich am neuen Prachtboulevard nieder. So ent- Repräsentationsbauten gleichgewichtig miteinander vereint, wickelte sich gegenüber dem Adel, der „Ersten Wiener atmet sie den Geist ihrer Epoche, der „Gründerzeit“, und ist Gesellschaft“ mit ihren Palais in der Inneren Stadt, auf dem Areal daher auch ein beredtes Denkmal ihrer Entstehungszeit. Ein der- der Wiener Ringstraße eine neue Gesellschaftsschicht, die art geschlossenes baustilistisches Gesamtkunstwerk einer „Zweite Wiener Gesellschaft“. Zu den bedeutendsten Palais an Boulevardanlage wird man weltweit vergeblich suchen. Der Bau der Wiener Ringstraße zählen jene der Familien Todesco und der Wiener Ringstraße eröffnete nicht nur den unterschiedlichs- Epstein. ten Künstlern die Möglichkeit, ihre Ideen zu verwirklichen, sie stellt auch eine enorme städtebauliche Leistung dar. Noch heute profitiert das Verkehrswesen davon, dass damals die umliegenden Straßenzüge miteinbezogen wurden. Die Straße ist breit genug, sodass sie auch den modernen Verkehr

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bewältigt. Die Straßenbreite ist aber nicht als vorausblickende Entscheidung für ein zukünftiges hohes Verkehrsaufkommen zu verstehen, sondern hatte militärische Gründe. Im Fall einer Revolution ist eine so breite Straße kaum mit Barrikaden zu blockieren. Auch ist zu betonen, dass nahezu alle öffentlichen Gebäude bis heute ihren ursprünglichen Zweck erfüllen. Die nicht nur von den Wienerinnen und Wienern, sondern auch von den Gästen geschätzten Grünflächen in der Stadt sind unter anderem darauf zurückzuführen, dass man nach der Schleifung des Glacis der Bevölkerung einen Ersatz für die nun nicht mehr zur Verfügung stehenden Erholungsräume erhalten bzw. schaf- fen musste. Außerdem verstärken Grünflächen die optische Wirkung der Gebäude zusätzlich. Die Lage des Palais an der Ringstraße (Parlamentsdirektion)

Am Puls des technischen Zeitalters Mauern angelegt. Dahinter befanden sich Wasseranschlüsse, die Siehe: Schwarz, Otto: Hinter den Fassaden der Ringstraße: Geschichten – vom Dachreservoir gespeist wurden. Die Feuerwehr hätte von Menschen – Geheimnisse. Amalthea Verlag, Wien 2007, S. 217–237 dort aus gefahrlos löschen können, doch echte Feuergefahr bestand bis heute nicht. Als Leo Slezak als Tamino eine Kerze umwarf, bemerkte Gustav Mahler, wenn Slezak einmal exakt Beachtung verdienen auch die technischen Leistungen im singe, fange es gleich zu brennen an. Während einer Tosca- Rahmen der Ringstraßenbauten. So entsprach beispielsweise Aufführung begann einmal die Perücke der Sängerin zu der Brandschutz der neuen Oper den damals höchsten brennen. Ihr Bühnenpartner Placido Domingo löschte das Feuer Sicherheitsanforderungen. Noch heute ist einer der drei geistesgegenwärtig mit der Rotweinflasche, noch bevor die Brunnen in Verwendung, die früher das ganze Haus mit Wasser Feuerwehr eintraf. versorgten. Es wurde auch in riesige Reservoire im Dachgeschoß gepumpt. In jedem Stockwerk waren hinter der Bühne schmale Abgesehen vom umfassenden Brandschutz in der Oper, gab es Löschgänge mit hitzebeständigen, mit Löchern ver sehenen auch revolutionäre Neuerungen bei den Belüftungssystemen

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der Gebäude. Entlang des Rings wurden zahlreiche Lüf tungs - Ein beredtes Beispiel für überragende Akustik ist der Goldene tunnels gebaut, ein Netz von Gängen verlief zwischen den Saal des Musikvereins. Theophil Hansen hat zu diesem Zweck Grünflächen und den Prachtbauten, versehen mit Schleusen - einen Resonanzraum unter dem Saal geschaffen, der so niedrig türen, die je nach Bedarf in den Gebäuden den Zustrom von ist, dass man nicht aufrecht gehen kann. Aber wenn im Luft regelten. Diese Kanäle waren bis zu sechs Meter hoch und Goldenen Saal musiziert wird, schwingt dieses Untergeschoß vier Meter breit. Um der Luft einen Weg zu bahnen, wurde ein mit. Zur besonderen Akustik trägt auch der frei schwebende Schleusensystem angelegt, dessen tonnenschwere Tore mit Plafond bei, der nicht durch Säulen gestützt wird. Möglich ist Stahlseilen geöffnet und geschlossen wurden. So wird beispiels- das nur, weil das Gewicht des Dachs von einem Eisendachstuhl weise der große Festsaal im Wiener Rathaus dadurch belüftet, getragen wird. Die Kassettendecke ist vom Dachstuhl abge- dass die Luft vom Rathauspark angesaugt, unterirdisch in den hängt und ruht wie eine Membran über dem Saal, die ebenfalls Keller des Rathauses geleitet wird und dort über einen Ofen schwingen kann. läuft. Je nach Jahreszeit wird die Luft erwärmt oder direkt unter Für die Museen wiederum war die Beleuchtung von großer den Fußboden des Festsaals geblasen. Bedeutung. So plante Carl Hasenauer das Kunsthistorische Museum so, dass das Licht von außen einfällt und zwei Auch im Parlament und im Palais Epstein folgt die Belüftung die- Glasschichten durchdringt, eine am Dach und ein Mattglas. sem Schema, wobei im Parlamentsgebäude die Luft nicht nur Dazwischen befindet sich der eiserne Dachstuhl. Hier wird im erwärmt, sondern auch gekühlt werden konnte, indem man den Sommer die Übertemperatur abgefangen, denn durch das Luftstrom unter den Athenebrunnen mit seinem kühlen Wasser Mattglas dringt nur das Licht in die Säle, die Hitze wird nach führte. Unter den Sitzen des Historischen Sitzungssaals befinden außen geleitet. Über Jahrzehnte blieb das Tageslicht einzige sich Klappen mit einer Öffnung in den gleich großen Raum Lichtquelle im Museum, weshalb es schloss, wenn es draußen darunter, sodass jeder Sitz belüftet werden kann. Die Belüftung dunkel wurde. Heute wird das Gebäude elektrisch beleuchtet. wurde aber zum Problem, da die Luft bei der Auffahrtsrampe angesaugt wurde, weshalb auch vor wenigen Jahren im Zuge Das Palais Epstein ist unter anderem ein gutes Beispiel für ein des Rampenumbaus die Anlage erneuert und in einen Innenhof modernes Sicherheitssystem. Um die Bank im Erdgeschoß vor verlegt wurde. Im Palais Epstein befanden sich die Öfen im Einbrüchen zu schützen, wurde eine Konstruktion geschaffen, Keller, von hier aus gelangte die Warmluft über Lüftungskanäle mit der die Fenster mit Stahlplatten verbarrikadiert werden nach oben. Dieses Ab- und Zuluftsystem zieht sich durch alle konnten. Diese Stahlplatten wurden mittels Seilzügen hoch- Räume der Beletage. gekurbelt.

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Die Finanzierung der Ringstraße Punkt der Ringstraße, die dann auf beiden Seiten zum Donaukanal wieder abfällt, und in direkter Nachbarschaft zum Damals wie heute litt der Staat an Budgetknappheit. Für die damals noch zu erbauenden Parlamentsgebäude. Ursprünglich Finanzierung der Prachtstraße musste man sich daher etwas ein- war das Areal dem Adelscasino zugedacht, das sicherlich über fallen lassen. Die Lösung war einfach und zweckmäßig: Man Kapital verfügte, dem aber der Preis zu hoch war. Als Baubeginn machte sich das Repräsentationsbedürfnis des finanzkräftigen des Palais Epstein kann 1868 gelten, denn aus diesem Jahr stam- Großbürgertums zunutze. Jene Grundstücke im Bereich der men die ersten, bei der Baupolizei eingereichten Pläne. abgetragenen Befestigungen und des Glacis, die an den von der Regierung verwalteten Stadterweiterungsfonds übertragen und nicht für die Errichtung öffentlicher Gebäude benötigt wurden, wurden parzelliert und an private Investoren verkauft, zum Teil Der Verlauf der Ringstraße zu überhöhten Preisen. Mit den daraus lukrierten Einnahmen und ihre bedeutendsten Gebäude konnten die öffentlichen Bauten finanziert werden. Man ver- mied damit nicht nur eine Belastung der Staatsfinanzen, es • Schottenring – vom Franz-Josefs-Kai bis zur Schottengasse konnten sogar so hohe Einnahmen erzielt werden, dass der Benannt 1870 nach dem ehemaligen Schottentor und der Stadterweiterungsfonds einen Überschuss erwirtschaftete. Den Schottenbastei (Schottenkloster). Käufern wiederum wurden 30 Jahre Steuerfreiheit auf die erwor- benen Grundstücke zugesichert. Bedeutendste Gebäude: Votivkirche (Rooseveltplatz) Das Rathaus ist das einzige öffentliche Gebäude, das von der • Stadt Wien geplant wurde. Da diese aber bei der gesamten • Börse Immobilientransaktion leer ausging, achtete sie entschieden darauf, dass die vorhandenen Erholungsräume zum großen Teil • Dr.-Karl-Lueger-Ring – von der Schottengasse erhalten blieben. Daher verfügt die Wiener Innenstadt bis heute bis zum Rat haus platz über großzügige Grünflächen wie den Rathauspark, den Benannt am 27. April 1934 nach dem Wiener Bürgermeister Volksgarten, den Burggarten und den Stadtpark. Dr. Karl Lueger (1844–1910, Amtszeit 1897–1910). Auch Gustav Ritter von Epstein kaufte ein solches Grundstück, Ursprünglich wurde dieser Teil der Ringstraße als Franzensring und zwar das teuerste „an der Bellaria“. Es liegt am höchsten bezeichnet, ab November 1919 hieß er Ring des 12. November.

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Bedeutendste Gebäude: • Burgring – von der Bellariastraße bis zur Eschenbachstraße • Palais Ephrussi (gegenüber der Universität) Benannt 1863 nach dem dort anliegenden Hofburgareal. • Universität Wien Bedeutendste Gebäude: • Rathaus (Rathausplatz 1) • Naturhistorisches Museum • Burgtheater • Kunsthistorisches Museum • Dr.-Karl-Renner-Ring – vom Rathausplatz • Neue Hofburg () bis zur Bellariastraße Benannt am 18. Juli 1956 nach Dr. Karl Renner, der sowohl erstes Staatsoberhaupt der Ersten Republik 1918 als auch • Opernring – von der Eschenbachstraße erster Bundespräsident der Zweiten Republik 1945 war. bis zur Kärntner Straße Ursprünglich war dieser Abschnitt der Ringstraße Teil des Benannt 1861 bzw. ab November 1919 nach der Staats- Burgrings bzw. des Franzensrings (heute Dr.-Karl-Lueger- oper. In der Zwischenzeit (1917–1919) hieß dieser Teil der Ring), ab November 1919 hieß er Ring des 12. November Ringstraße Kaiser-Karl-Ring. (Tag der Ausrufung der Ersten Republik), ab April 1934 Bedeutendste Gebäude: Dr.-Ignaz-Seipel-Ring (Bundeskanzler vom 31. Mai 1922 bis zum 20. November 1924 und vom 20. Oktober 1926 bis • Akademie der bildenden Künste (Schillerplatz) zum 4. Mai 1929), ab August 1940 Josef-Bürckel-Ring • Staatsoper (nationalsozialistischer Gauleiter), ab April 1945 wieder Dr.-Ignaz-Seipel-Ring und ab Februar 1949 Parlamentsring. • Hotel Sacher (Philharmonikerstraße 4) Bedeutendste Gebäude: • Parlament • Kärntner Ring – von der Kärntner Straße bis zur Schwarzenbergstraße Palais Epstein • Benannt 1861 nach der in dieser Gegend gebräuchlichen • Justizpalast (Schmerlingplatz) topografischen Bezeichnung.

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DIE WIENER RINGSTRASSE IM SPIEGEL DER GESCHICHTE

In den Jahren 1917 bis November 1919 hieß dieser Abschnitt • Parkring – von der Johannesgasse Kaiserin-Zita-Ring. bis zum Dr.-Karl-Lueger-Platz Bedeutendste Gebäude: Benannt 1861 nach dem Stadtpark. • Palais Todesco (Kärntnerstraße 51) In den Jahren 1910 bis 1919 hieß dieser Abschnitt der Ringstraße Kaiser-Wilhelm-Ring. • Hotel Bristol Bedeutendste Gebäude: • Grand Hotel • Hotel Imperial • Palais Henckel-Donnersmarck (heute Radisson SAS Palais Hotel ) • Musikverein • Palais Leitenberger • Schubertring – von der Schwarzenbergstraße (heute Radisson SAS Palais Hotel Vienna) bis zur Jo han nes gasse • Kursalon Benannt 1928 nach dem Komponisten Franz Schubert • Palais Erzherzog Wilhelm (1797–1828). (Deutschmeisterpalais, heute Sitz der OPEC) Vorher hieß dieser Teil der Ringstraße Kolowratring. Leopold Graf Kolowrat-Krakowsky (1727–1809) war 63 Jahre lang lei- • Stubenring – vom Dr.-Karl-Lueger-Platz bis zur Urania tender Staatsbeamter unter vier Monarchen, unter anderem Benannt 1867 nach dem ehemaligen Stubentor österreichischer und böhmischer Vizekanzler, Hofkammer- und der Stubenbastei. präsident und Oberster Kanzler und Leiter der Vereinigten Hofstelle, also der Finanz- und politischen Verwaltung. Bedeutendste Gebäude: Bedeutendste Gebäude: • Museum für angewandte Kunst • Akademisches Gymnasium (Beethovenplatz 1) • Universität für angewandte Kunst • Palais Ludwig Victor (Schwarzenbergplatz 1) • Ehemaliges Kriegsministerium • Palais Wertheim (Schwarzenbergplatz 17) • Postsparkasse (Georg-Coch-Platz)

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Vertreter der Ringstraßenarchitektur • Friedrich Freiherr von Schmidt im Überblick Friedrich Schmidt wird als Erbauer des neuen Wiener Rathauses auch als „Gotiker“ der Wiener Ringstraße bezeichnet, obwohl er Die für die Planung und Ausführung der Ringstraßenbauten ver- auch zahlreiche Mietshäuser im Renaissancestil errichtete. Als antwortlichen Architekten bildeten eine Gemeinschaft von Dombaumeister von St. Stephan und auch bei der Fertigstellung Künstlern, die beruflich, aber teilweise auch familiär verbunden der Stiftskirche von Klosterneuburg stellte er sein Können und waren. Arbeiteten einige in Ateliergemeinschaften zusammen, Engagement in der Denkmalpflege unter Beweis. so kannten einander andere durch die Lehrtätigkeit an Heinrich Freiherr von Ferstel Architekturhochschulen oder durch ein Lehrer-Schüler- • Verhältnis. Heinrich Ferstel gilt als herausragender Vertreter des Histo - rismus. Er ging nicht nur als Sieger aus dem Wettbewerb für den Ludwig Christian Friedrich Ritter von Förster • Bau der Votivkirche hervor, sondern arbeitete auch bis zu sei- Als ältester an der Errichtung der Wiener Ringstraße beteiligter nem Tod an dem Neorenaissancebau der Neuen Universität. Architekt ist Ludwig Förster das Bindeglied zwischen der Architektur des Klassizismus und des Historismus. Theophil • Gottfried Semper und Carl Freiherr von Hasenauer Hansen trat später in sein Atelier ein und errichtete mit ihm Der Hamburger Gottfried Semper wurde von Kaiser Franz gemeinsam das Palais Todesco auf der Kärntner Straße. Hansen Joseph I. nach Wien geholt, um strittige Fragen bei der Planung heiratete auch die Tochter Försters. des Kaiserforums an der Ringstraße zu klären. In Kooperation mit Carl Hasenauer errichtete er die Hofburg, die beiden Hofmuseen Theophil Edvard Freiherr von Hansen • und das Burgtheater. Theophil Hansen zählt neben Friedrich Schmidt, Heinrich Ferstel Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg und Carl Hasenauer zu den vier „Architekturbaronen“, die von • Kaiser Franz Joseph I. aufgrund ihrer Verdienste in den Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg arbeite- Freiherrnstand erhoben wurden. Sein Hauptwerk ist das ten in einer Ateliergemeinschaft zusammen und unterrichteten Parlamentsgebäude, weiters ist er der Architekt unter anderem an der Akademie der bildenden Künste, wo sie beide Lehrer von des Palais Epstein, des Musikvereinsgebäudes, der Börse und Otto Wagner waren. Sie zeichneten für den Bau der Wiener der Akademie der bildenden Künste. Staatsoper verantwortlich.

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DIE WIENER RINGSTRASSE IM SPIEGEL DER GESCHICHTE

Soziale Aspekte zur Bauzeit und hatte vielleicht das Glück, von einem Mitglied des der Wiener Ringstraße Kaiserhauses angesprochen zu werden, was den gesellschaft - lichen Status weiter anhob. Die Zugehörigkeit zur sozialen Elite La toute Vienne wurde durch Auftreten, distinguierte Umgangsformen und entsprechende Kleidung unterstrichen. Die gleichen Verhal tens - Die Eigentumsverhältnisse an der Wiener Ringstraße belegen muster galten für die Parks, etwa für den Stadtpark mit dem sehr anschaulich den gesellschaftlichen Wandel. Unter den Kursalon, und für die Kaffeehäuser an der Ringstraße. Oberschichtangehörigen, die sich an der Ringstraße angekauft hatten, gehörten nur etwa fünf Prozent dem Hochadel an. Die Die soziale Durchlässigkeit war in der Gesellschaft des hier ansässigen Familien entstammten zum geringen Teil alt ein- Großbürgertums höher als beim Adel. Ausschlaggebend für gesessenen Wiener Bürgerfamilien. Die meisten sind aus ver- den Aufstieg war in erster Linie der wirtschaftliche Erfolg, bei schiedenen Teilen der Monarchie zugewandert, wie die Verlust des Vermögens der Abstieg in den Mittelstand und Epsteins, aber es finden sich darunter auch Bürgerliche aus dem verminderte Heiratschancen kaum vermeidbar. Deutschen Reich.

Repräsentiert wurde nicht nur durch prachtvolle Palais, sondern Die soziale Hierarchie auch in den Parks und Alleen der Ringstraßenzone, wo es Das Kleinbürgertum promenierte nur am Sonntagnachmittag strenge Reglements gab. Der Corso, der sich von der Oper bis zum im „Sonntagsstaat“, einer an der Oberschicht orientierten Schwarzenbergplatz erstreckte, wurde zur Flaniermeile. Hier traf Kleidung, an der Ringstraße. Die Vorherrschaft des Groß- sich „la toute Vienne“. Auch Kaiser Franz Joseph stieg aus seiner bürgertums wurde akzeptiert, die soziale Distanz blieb trotz Kutsche aus und mischte sich unters Volk, genauer gesagt, räumlicher Nähe immer spürbar. Oft wurde den klein- unter die Repräsentanten und Repräsentantinnen des Groß - bür gerlichen Spaziergängern offene Missachtung entgegen - bürgertums und des Adels. Karl Kraus hat dem „Ringstraßen- gebracht. corso“ und der „Sirk-Ecke“ in seinem lange Zeit als unaufführbar geltenden Stück „Die letzten Tage der Menschheit“ ein unver- Diese vertikale Hierarchie fand auch in den Wohnverhältnissen gessliches Denkmal gesetzt. Wer auf sich hielt, promenierte zur innerhalb der Palais ihren Ausdruck. Der erste Stock, die Mittagszeit über diesen Ringstraßenabschnitt und demonstrier- Beletage, blieb der Familie des Eigentümers vorbehalten und te damit, nicht an vorgegebene Arbeitszeiten gebunden zu sein. diente auch der Repräsentation. Die weiteren Stockwerke wur- Man pflegte soziale Kontakte, fädelte Heiratsverbindungen ein den vermietet, wobei die Wohnungsgrößen von Etage zu Etage

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ierenden Nationalversammlung und im späteren Nationalrat der Ersten Republik war daher die soziale Besserstellung der Hausbediensteten ein wesentliches Anliegen der ersten weib- lichen Abgeordneten.

Drasche, der „Ziegelbaron“ Der Bau der Wiener Ringstraße und die Stadterweiterung brach- ten der Baubranche ungeheuren Aufschwung. Vor allem die Ziegelindustrie profitierte von der regen Bautätigkeit. Ein bered- tes Beispiel für den wirtschaftlichen Erfolg in der Bauindustrie war Heinrich Drasche, der zum führenden „Ziegelbaron“ der Ringstraßenzeit avancierte. Wienerberger war eine Groß- industrie und übte beinahe ein Monopol aus, das alles umfasste, was mit Ziegeln zu tun hatte. Bereits beim Bau des Arsenals, einem reinen Ziegelbau, konnte Die Wiener Ringstraße (Ringstraßencorso) (Österreichische Nationalbibliothek) Drasche die Leistungsfähigkeit seines Betriebs und die Qualität seiner Arbeit unter Beweis stellen. Dabei entwickelte sich auch abnahmen und die Wohnungen meist auch über separate die Partnerschaft mit Theophil Hansen. Als Teilhaber der Firma Stiegen erreichbar waren. sorgte dieser auch dafür, dass das Monopol der Firma aufrecht- erhalten blieb. Der Erfolg zog auch viele Arbeiter/innen an, die Die schlechtesten Räumlichkeiten, niedrige und oft fensterlose, ein besseres Leben erhofften. Viele kamen aus Böhmen, woher schlecht belüftete Kammern, wurden dem Dienstpersonal zuge- auch der Ausdruck „Ziegelböhm“ stammt. Der „Böhmische wiesen. Dabei handelte es sich meist um Frauen aus länd lichen Prater“ im 10. Wiener Gemeindebezirk war zu Beginn nichts Gebieten, die ihren Dienst ohne jeglichen arbeitsrechtlichen anderes als eine Vergnügungsstätte für diese Arbeiter/innen. Schutz versehen mussten. Lange Arbeitszeiten, keine soziale Absicherung, völlige Abhängigkeit vom Dienstgeber – das war Der Eintritt in den Betrieb war mit vielen Sozialleistungen ver- das Arbeitslos und Arbeitsleid dieser Leute. In der Konstitu- bunden. Es gab eigene Wohnungen, Krankenversorgungs -

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DIE WIENER RINGSTRASSE IM SPIEGEL DER GESCHICHTE

galt. Sie hatten somit kaum Möglichkeiten, ihren Lohn außer- halb des Betriebsareals auszugeben, und den Wert dieses Ersatzgeldes konnte Drasche selbst bestimmen. Dazu kommt, dass die Waren bei Wienerberger im Schnitt teurer waren als außerhalb. Heinrich Drasche kaufte auch ein Grundstück direkt gegenüber der Oper, auf dem er von Theophil Hansen ein prachtvolles Zinshaus errichten ließ, das seinen Namen trägt: Heinrichshof. Für Hansen bot sich damit die Gelegenheit, gegenüber der Oper – und damit gegenüber seinen Rivalen van der Nüll und Sicardsburg – einen repräsentativen Bau hinzustellen. Das gelang ihm auch, da die Oper der Dominanz dieses Gebäudes unterlegen war, was wiederum öffentliche Kritik an der Oper hervorrief. Der Heinrichshof galt als schönstes Mietshaus, das an Luxus alles bisher Dagewesene übertraf. Im Café im Erdgeschoß verkehrten Musiker wie Franz Lehár und Emmerich Kálmán sowie die großen Opernsängerinnen und Opernsänger. Die Heinrichshof (Österreichische Nationalbibliothek) Bomben, die am 12. März 1945 auf Wien fielen, beschädigten das Gebäude schwer. Da es nicht unter Denkmalschutz stand, wurde es auf Wunsch der Erben Drasches abgerissen. Heute stellen und Kindergärten. Das ganze Leben spielte sich inner- steht an seinem Platz der wenig attraktive Opernringhof. halb des Werksgeländes ab. Dafür nahm sich Wienerberger das Recht, das Leben der Arbeiter/innen nach puritanischen Gesichtspunkten zu regeln, was so weit ging, dass die Das Los der Bauarbeiter/innen Freizeitvergnügungen eingeschränkt waren. So war beispiels- Die Schattenseite des Baubooms war das Los der Bau- weise Kegelspielen verboten. Die Arbeiter/innen wurden groß- arbeiter/innen, die in erster Linie als Wanderarbeiter/innen aus teils auch nicht in bar bezahlt, sondern mit „Blechmarkerln“, Böhmen, Mähren, dem niederösterreichischen Waldviertel und einem Ersatzgeld, das nur in den Einrichtungen des Betriebs aus Westungarn, dem heutigen Burgenland, in überfüllten

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Zügen nach Wien kamen. Sie suchten während der Sommer - War die Situation schon während der Sommerzeit trist, so ver- monate in der Residenzstadt Wien Arbeit und kehrten mit schärfte sich die Lage im Winter, wenn es zu wenig Arbeit gab. Winterbeginn wieder in ihre Heimat zurück. Während dieser Zeit Hunger war der ständige Begleiter dieser Menschen. Auch wenn mussten vielfach die Frauen und Kinder die Arbeit in den küm- man ein bisschen für den Winter sparen konnte, war dies armse- merlichen Anwesen zu Hause allein bewerkstelligen. Oft mach- lig genug. Nahrung lieferten vielleicht ein bis zwei Ziegen, eine ten sich aber auch ganze Familien auf den Weg nach Wien, um Kuh oder ein selbst gefüttertes Schwein. Manche Männer fan- auf den Baustellen Arbeit zu finden. Weil Arbeitskräfte mangel den Gelegenheitsarbeiten als Holzfäller oder Treiber bei einer herrschte, stellte man oft ungelernte Hilfskräfte an, was die Jagd. Nur wenige hatten das Glück, auch über die kalte Sicherheit auf den Baustellen verminderte. Durch die Jahreszeit als Maurer beschäftigt zu sein, dies wurde aber von Beschäftigung von Arbeitern/-innen, die nicht deutsch spra- den Unternehmern ausgenützt. Sobald sich Arbeiter/innen chen, unterliefen die Firmen auch jene Standards, die öster- gegen unzumutbare Zustände wehrten, wurden sie entlassen. reichische Arbeiter/innen mühsam erkämpft hatten, ein Wer in der Stadt sesshaft war, war noch schlimmer dran. Für Phänomen, das auch heute nicht unbekannt ist. feuchte Wohnungen am Dachboden oder im Keller wurde hoher Zins verlangt. Die Kohle war so teuer, dass es sich die Tägliche Arbeitszeiten von 14 und 15 Stunden, harte körperliche Leute kaum leisten konnten zu heizen. Die Wohnungen wurden Tätigkeit und Mangelernährung führten zu schweren gesund- oftmals mit anderen Mietern geteilt. Manchmal reichte der Lohn heitlichen Schäden. Bauarbeiter/innen mussten oft bis zum nicht aus, um ausreichend Grundnahrungsmittel zu kaufen, Zusammenbruch arbeiten, auch das Risiko tödlicher Unfälle war auch wenn die Frauen ein bisschen dazuverdienen konnten. An hoch, was in der Öffentlichkeit allerdings kaum Beachtung fand. Sonn- und Festtagen wurde ab und zu Fleisch gegessen, aber Zur körperlichen Ausbeutung kamen niedrige Entlohnung und dann Pferdefleisch. katastrophale Wohnbedingungen in Massenquartieren, die den Familien keine Privatsphäre erlaubten. Es gab viele „Bettgeher“, Der Börsenkrach von 1873 und der darauf folgende Niedergang das waren Menschen, die keine eigene Wohnung hatten der Bautätigkeit führte zu Arbeitslosigkeit. Viele konnten sich nur und ein schlechtes Quartier mit anderen Bettgehern teilten. durch Notstandsarbeiten recht und schlecht über Wasser halten. Kinder mussten oft schon mit zwölf Jahren arbeiten, obwohl Die Gründung der Sozialdemokratie in Österreich 1888 hatte Kinderarbeit gesetzlich verboten war. Aber die familiären nicht unmittelbar mit dem Bau der Ringstraße zu tun, aber Verhältnisse machten das Mitverdienen notwendig, und die durch die schlechten Arbeitsbedingungen entstand eine Firmen hatten nichts gegen noch billigere Arbeitskräfte. Dynamik, die nicht mehr aufzuhalten war.

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DIE WICHTIGSTEN BAUTEN DER WIENER RINGSTRASSE UND IHRE ARCHITEKTEN IM DETAIL

DAS JÜDISCHE WIEN

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Die Gebäude der Ringstraße wurden im Stil des Historis mus Die Votivkirche wurde als Votivgabe (Dankgeschenk) der Völker errichtet. Der Historismus ist ein Phänomen des 19. Jahr - der Monarchie als Dank dafür errichtet, dass das Attentat auf hunderts, bei dem man auf ältere Stilrichtungen zurückgriff den jungen Kaiser Franz Joseph vom 18. Februar 1853 durch den und diese nachahmte. ungarischen Schneidergesellen Janos Libényi fehlgeschlagen ist. Libényi wurde verurteilt und gehenkt. Der bekannt bösartige Votivkirche Wiener Volksmund dichtete damals: „Aber es geschieht ihm schon recht – wieso sticht er so schlecht?“ • Architekt: Heinrich Ferstel Das Kaiserhaus plante die Votivkirche ursprünglich als habs bur- • Bauzeit: 1856 bis 1879 gisches Pantheon mit Heldendenkmälern davor. Aber eine sol- • Stil: Neugotik che Idee entsprach nicht mehr der gesellschaftlichen Ent- wicklung, sodass man sie wieder fallen ließ. Nur auf den Turm - • Standort: IX. Bezirk , in unmittelbarer Nachbarschaft spitzen der Votivkirche sitzt statt des üblichen Kreuzes die rudol- zur Universität Wien phinische Kaiserkrone, ein letztes Relikt einer Auffassung vom Kaisertum als höchster weltlicher Hüter der katholischen Kirche. Votivkirche (Foto Elmar Bertsch) Franz Josephs Bruder, Erzherzog Ferdinand Maximilian, der spätere Kaiser von Mexiko, rief „zum Dank für die Errettung Seiner Majestät“ zu Spenden für eine neue Kirche auf. Diesem Aufruf folgten rund 300.000 Bürger. Dennoch reichten die Spendengelder nicht aus und mussten durch eine hohe Subvention der Stadt Wien ergänzt werden. Nach 23 Jahren Bauzeit konnte die Votivkirche am 24. April 1879 anlässlich der Silberhochzeit des Kaiserpaares geweiht werden. Auf Anordnung des Kaisers war sie bis 1918 die katholische Garnisonskirche Wiens. Sie gilt als eines der bedeutendsten neugotischen Sakralbauwerke der Welt.

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Die Wiener Wertpapierbörse ist eine der ältesten Börsen der Welt. Auf Basis des Börsenpatents von Kaiserin Maria Theresia nahm sie mit Datum vom 1. September 1771 den Handel auf. Zunächst wurden nur Anleihen, Wechsel und Devisen gehan- delt, der Aktienhandel wurde erst 1818 aufgenommen. In der sogenannten Gründerzeit (zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts) begünstigte eine liberale Wirtschaftspolitik übereilte und zum Teil unsolide Unternehmensgründungen. Hemmungslose Spekulationen in Zusammenhang mit der Wiener Welt aus - stellung (Eröffnung 1. Mai 1873) führten zum Börsenkrach vom 9. Mai, der eine schwere Rezession zur Folge hatte. Etwa die Hälfte der Aktiengesellschaften verschwand wieder vom Kurs- blatt, für viele bedeutete dies den finanziellen Ruin. Es dauerte Jahre, bis sich der Aktienmarkt der Wiener Börse von diesem Börse (Frieda Rustler Gebäudeverwaltung) Rückschlag wieder erholt hatte. Im Dezember 1997 wurde die Wiener Wertpapierbörse mit der Österreichischen Termin- und Optionenbörse (ÖTOB) zur neuen Neue Börse Wiener Börse AG fusioniert. Sie ist seit 1999 voll privatisiert und die einzige Wertpapierbörse Österreichs. Die Börse übersiedelte • Architekt: Theophil Hansen im Jänner 1998 in Räumlichkeiten in der Strauchgasse und • Bauzeit: 1874 bis 1877 Wallnerstraße. Das Börsegebäude selbst steht heute im Besitz einer Privatstiftung und wird für Events vermietet. • Stil: Neorenaissance • Standort: Schottenring 16 Von 1860 bis zum Einzug in das neue Börsegebäude war sie gemeinsam mit der Nationalbank im Palais Ferstel unter- gebracht.

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Universität im damaligen Heiligen Römischen Reich und die älteste im deutschen Sprachraum. Um 1450 war sie die größte Universität des Reiches mit rund 6.000 Studenten, doch die Türkenbelagerung sowie die Glaubensspaltung führten zu ihrem Niedergang. Ferdinand I. versuchte gegenzusteuern und berief den Jesuitenorden, um die Universität zu einem katholi- schen Bollwerk auszubauen. Die Jesuiten behielten rund 150 Jahre ihre dominierende Stellung, und die Universität ver- zeichnete wieder steigende Studentenzahlen. Die mittelalterliche Universität war im sogenannten Stuben- viertel der Wiener Innenstadt angesiedelt, in dem sich noch heute das Jesuitenkollegium mit der Universitätskirche befin- det. In den Jahren 1753 bis 1755 ließ Maria Theresia ein neues Hauptgebäude unmittelbar neben dem Jesuitenkollegium Universität Wien (Universität Wien) errichten, heute Sitz der Akademie der Wissenschaften. Maria Theresia und vor allem Joseph II. drängten den Einfluss Universität Wien der Jesuiten gänzlich zurück, weil diese die weltlichen • Architekt: Heinrich Ferstel Fakultäten zu sehr vernachlässigten, die Universität wurde dem Staat unterstellt. Nach der Revolution von 1848, die sich auch • Bauzeit: 1873 bis 1884 gegen die Einschränkung der Lehr- und Lernfreiheit richtete, • Stil: italienische Renaissance verankerte Unterrichtsminister Leo Thun-Hohenstein die Lehr- und Lernfreiheit. Der Artikel 17 im Staatsgrundgesetz • Standort: Dr.-Karl-Lueger-Ring 1 („Die Wis sen schaft und ihre Lehre ist frei“) geht auf diese Die Universität Wien wurde am 12. März 1365 von Herzog Rudolf Bestrebungen zurück. IV. gemeinsam mit seinen Brüdern Albrecht III. und Leopold III. Die ersten Frauen nahmen im Jahr 1897 zunächst einmal an gegründet. Daher kommt der Name „Alma Mater Rudolphina“. der philosophischen Fakultät ihr Studium als ordentliche Sie ist somit nach der Karls-Universität in Prag die zweitälteste Hörerin nen auf. Die restlichen Fakultäten folgten mit einiger

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Verzögerung in den nächsten 25 Jahren. Nur an der katholisch- Das Palais Ephrussi wurde in den Jahren 1872 und 1873, wie die theologischen Fakultät wurden Frauen erst 1946 zugelassen. meisten Palais, als Zinshaus konzipiert, mit Verkaufslokalen im Die Universität Wien erhielt im Jahr 2002 eine neue Erdgeschoß, einer prachtvollen Beletage, die nur für die Familie Organisationsstruktur, womit Rechtsfähigkeit und Autonomie Ephrussi über eine repräsentative Stiege erreichbar war, sowie verbunden waren. Sie beherbergt 18 Fakultäten, die medizini- mit Mietwohnungen in den weiteren drei Stockwerken. Bauherr sche Fakultät wurde als Medizinische Universität Wien ausge- war der aus Odessa stammende Bankier und Großkaufmann gliedert. Ignaz Ritter von Ephrussi, einer der reichsten Bürger Wiens. Das Bankhaus Ephrussi & Comp. war wahrscheinlich noch größer als Den Auftrag zum Bau des neuen Universitätsgebäudes erhielt jenes der Epsteins. Dennoch ist die Familie Ephrussi in Wien Heinrich von Ferstel ohne Ausschreibung. kaum in Erinnerung geblieben. Ihr Glanz verblasste nach dem Ersten Weltkrieg, die Bank war bald darauf bankrott. Victor Ephrussi, der Sohn von Ignaz Ephrussi, musste mit beinahe Palais Ephrussi 80 Jahren noch die Verfolgung durch die Nazis erleiden, • Architekt: Theophil Hansen gemeinsam mit seinem Sohn wurde er von der Gestapo verhaf- tet. Er verlor alles und emigrierte nach England, wo er auch • Standort: Dr.-Karl-Lueger-Ring 14 starb.

Palais Ephrussi Seit 1969 ist das Palais im Besitz der Casinos AG, die hier (Casinos Austria) ihren Firmensitz hat.

Burgtheater • Architekten: Gottfried Semper und Carl Hasenauer • Bauzeit: 1874 bis 1888 • Stil: Neobarock • Standort: Dr.-Karl-Lueger-Ring 2

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ebenso uraufgeführt wie Opern von Gluck, Beethoven und Mozart. Am 17. Februar 1776 erklärte Kaiser Joseph II. das Theater zum „Teutschen Nationaltheater“. Ab 1794 trug es den Namen „k.k. Hoftheater nächst der Burg“. Unter dem berühmten Direktor Joseph Schreyvogel wurde Deutsch statt Französisch und Italienisch als neue Bühnensprache eingeführt. Die Habsburger betrachteten das Theater in erster Linie als Stätte zur privaten Erheiterung des Kaisers und seiner Familie, dessen Betrieb sie auch aus ihrer Privatschatulle bezahlten. Jeder Schauspieler und jede Schauspielerin musste daher auch zu einem Antrittsbesuch beim Kaiser erscheinen. Es ist daher erstaunlich, dass es Gottfried Semper gelang, Franz Joseph davon zu überzeugen, Burgtheater (Foto Georg Soulek) das neue Hofburgtheater aus dem geplanten Kaiserforum herauszulösen und an seinem heutigen Standort zu errichten. Das Burgtheater zählt zu den ältesten und bedeutendsten Bühnen Europas und ist noch immer das größte Sprechtheater Im Oktober 1888 übersiedelte das Theater in das neue Haus am im deutschen Sprachraum. Seine Geschichte begann vor rund Ring. Das Innere schmücken Gemälde von Gustav Klimt (z. B. 250 Jahren, also lange bevor das repräsentative Gebäude am Deckengemälde „Das Theater von Taormina“ über der Ring bezogen wurde. Damals gab Maria Theresia die Erlaubnis, Erzherzogstiege). An der Außenfassade befinden sich Porträt- ein an die Hofburg angrenzendes Ballhaus (am heutigen büsten von Calderon, Shakespeare, Molière, Schiller, Goethe, Michaeler platz) als Theater umzufunktionieren (hier wurde das Lessing, Halm, Grillparzer und Hebbel. Das neue Theater bot im Jeu de Paume – ein Vorläufer des Tennis – gespielt; ein neues Gegensatz zu den alten, engen Spielstätten ein weites Foyer, Ballhaus wurde in unmittelbarer Nähe errichtet und gab dem prachtvolle Pausenräume und einen herrlichen Blick auf die heutigen Ballhausplatz seinen Namen). Aus diesem „Theater Ringstraße. nächst der Burg“, das bald zu Wiens beliebtestem Theater Die Schauspieler/innen waren nicht so glücklich. Hugo Thimig wurde, entwickelte sich eine der ersten Adressen für deutsch- hielt in seinem Tagebuch fest: „Es spricht sich wie am sprachige Schauspielkunst. Werke von Grillparzer wurden dort Meeresstrand, ins Endlose ... Alles ist verzweifelt über die

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Schwerfälligkeit des neuen Bühnenapparats“. Alle mussten wild brachte zahlreiche Uraufführungen der Stücke von Nobel - gestikulieren und laut schreien, damit das Publikum sie wahr- preisträgerin Elfriede Jelinek sowie von Thomas Bernhard auf nehmen konnte. Das legendäre Burgtheaterdeutsch ist daher die Bühne. Sein Nachfolger Klaus Bachler wird im Herbst 2009 nichts anderes als eine schauspielerische Kompensation der von Matthias Hartmann als Leiter des Theaters abgelöst. akustischen Schwächen. Das Theater wies aber auch bauliche Mängel auf. Die Logenwände waren wegen der Feuergefahr Das Burgtheater ist heute eine GesmbH. Zu ihm gehören seit lackiert, sodass die Wiener bald von „Badekabinen“ sprachen. dem Jahr 1922/1923 das Akademietheater und seit einigen Das Ensemble beauftragte aufgrund all dieser Imponderabilien Jahren auch das Kasino am Schwarzenbergplatz als Spielstätte Katharina Schratt, beim Kaiser für einen Umbau zu inter- für Gegenwartsstücke und Spezialprojekte sowie das Vestibül venieren, der dann auch stattfand und im Herbst 1897 erfolg- im Burgtheatergebäude als Studiobühne. Gemeinsam mit der reich abgeschlossen werden konnte. Staatsoper und der Volksoper sind Burgtheater und Akademie- theater in der Bundestheater Holding GmbH zusammengefasst. Das Burgtheater ging sogar in die Kriminalgeschichte ein, nach- Der Bundestheaterkonzern ist der größte Theaterkonzern der Welt. dem am 8. Mai 1925 ein bulgarischer Student ein Revolver- attentat auf den Mazedonier Todor Panitza verübte. Während der nationalsozialistischen Diktatur wurden jüdische Schau- Wiener Rathaus spieler/innen entlassen oder verhaftet, der Spielplan und die • Architekt: Friedrich Schmidt Inszenierungen bedienten die NS-Ideologie. Bombentreffer im Bauzeit: 1872 bis 1883 Zweiten Weltkrieg beschädigten das Burgtheater schwer, • es brannte fast völlig aus. Um den Spielbetrieb wieder auf- • Stil: Neugotik nehmen zu können, wurde nach 1945 das Ronacher als Standort: Rathausplatz 1 Ausweichquartier benützt. Die Schauspieler/innen konnten erst • im Oktober 1955 an die alte Spielstätte am Ring zurückkehren. Das Wiener Rathaus ist Amtssitz des Bürgermeisters sowie Diese war in der Zwischenzeit umfassend renoviert und wieder- Tagungsort des Gemeinderats bzw. des Landtags. Über den hergestellt worden. Bauplatz des neuen Rathauses gab es große Meinungsverschie- den heiten. Das Areal, auf dem heute die Universität, das Rathaus Eine neue Ära im Burgtheater wurde unter der Direktion von und das Parlament stehen, diente ursprünglich als Paradeplatz, Claus Peymann in den Jahren 1986 bis 1999 eingeleitet. Er und der Kaiser war zunächst auch gegen eine zivile Nutzung.

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Der Turm in der Mitte des Gebäudes ist 97,9 Meter hoch. Darauf steht ein Wiener Wahrzeichen, der sogenannte „Eiserne Rathausmann“, ein Standartenträger in Rüstung, 3,5 (mit Fahne 5,4) Meter hoch. Beachtenswert ist auch der Festsaal des Rathauses mit einer Länge von 71 und einer Breite von 20 Metern. Er zählt zu den schönsten und größten Sälen an der Wiener Ringstraße und wird gerne für Großveranstaltungen und Bälle genutzt, etwa für den schon traditionellen Life Ball. Die Statuen auf dem Rathausplatz standen ursprünglich auf der Elisabethbrücke über dem Wienfluss im Bereich des heutigen Karlsplatzes. (Die Elisabethbrücke, erbaut von Ludwig Förster, wurde 1897 im Zuge der Regulierung des Wienflusses ab- gebrochen.) Die Figuren stellen historische Persönlichkeiten dar, deren Wirken große Bedeutung für Wien hatte: Rathaus (Foto: Media Wien) Babenberger Herzog Heinrich II. Jasomirgott Es kostete den damaligen Bürgermeister Cajetan Felder viel (1141–1177): Er erhob Wien zu seiner Residenz, eine wichtige Mühe und Standhaftigkeit, dem Kaiser diesen Bauplatz für die Urkunde aus seiner Zeit ist das Privilegium Minus. Stadt Wien abzuringen. Babenberger Herzog Leopold VI. der Glorreiche Das alte Rathaus befindet sich in der Wipplingerstraße. Aufgrund der stark steigenden Einwohnerzahl Wiens und der (1198–1230): Unter ihm erhielt Wien 1221 das Stadtrecht, das Ausweitung der eingemeindeten Flächen im 19. Jahrhundert babenbergische Österreich erreichte zu seiner Zeit höchstes wurde es jedoch bald zu klein. Ansehen. Das neue Rathaus ist der bedeutendste nicht kirchliche Bau Rudolf IV. der Stifter Wiens im neugotischen Stil. Der Architekt knüpfte an die (1358–1365): Zu seinen Verdiensten zählen der Ausbau von Tradition flämischer Rathäuser und damit an die mittelalterliche St. Stephan, die Gründung der Universität Wien und das Tradition städtischer Freiheit an. Privilegium Maius.

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Niklas Graf Salm Justizpalast Er war der Verteidiger Wiens bei der Ersten Türkenbelagerung 1529. • Architekten: Alexander Wielemans, Edler von Monteforte Rüdiger Graf Starhemberg • Bauzeit: 1875 bis 1881 Er verteidigte die Stadt bei der Zweiten Türkenbelagerung • Stil: Neorenaissance 1683. • Standort: Schmerlingplatz 1 Johann Bernhard Fischer von Erlach Der Architekt des Barock wurde berühmt mit Bauten wie Kaiser Franz Joseph I. ordnete „in steter Fürsorge für die Schloss Schönbrunn und der Karlskirche. Bedürfnisse der Rechtspflege und der Recht suchenden Bevölkerung“ den Neubau des Justizpalastes zur Unterbringung Leopold Karl von Kollonitsch der in Wien ansässigen Gerichtshöfe an. Das Haus hatte seitdem Der Erzbischof von Gran und Primas von Ungarn organisierte eine bewegte Geschichte. nach der Zweiten Türkenbelagerung die Betreuung von Waisenkindern und gründete die ersten Militärspitäler. Joseph von Sonnenfels Als Anhänger der Aufklärung reformierte er die Verwaltung unter Maria Theresia.

Parlament Siehe Broschüre „Neu Zusammen Geführt“.

Palais Epstein Nähere Ausführungen in dieser Broschüre. Justizpalast (Foto Manfred Seidl)

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Der Justizpalastbrand am 15. Juli 1927 hat die Geschichte der Kunsthistorisches Museum und Ersten Republik entscheidend geprägt. Bei einem Zusam - Naturhistorisches Museum menstoß zwischen Angehörigen des sozialdemokratischen „Republikanischen Schutzbundes“ und der aus antidemokrati- • Architekten: Gottfried Semper und Carl Hasenauer schen wie antisemitischen Kräften des nationalsozialistischen, • Bauzeit: 1871 bis 1891 bzw. 1889 großdeutschen und auch christlichsozialen Lagers zusammen- gesetzten „Frontkämpfervereinigung“ wurden zwei Un be tei - • Stil: italienische Renaissance ligte erschossen und fünf Schutzbündler verletzt. Im sogenann- • Standort: Burgring 7 ten „Schattendorfer Urteil“ vom 14. Juli 1927 wurden die drei an - geklagten Frontkämpfer freigesprochen, was zu heftigen Sowohl das Naturhistorische Museum als auch das Kunst- Zusammenstößen zwischen der großteils sozialdemokratisch historische Museum zählen zu den bedeutendsten und größten orientierten Arbeiterschaft und der Staatsmacht führte. Die Museen der Welt. Zwischen den beiden Museen befindet sich Polizei unter dem damaligen Polizeipräsidenten Johann das Maria-Theresien-Denkmal. Schober schoss wild in die Menge, dabei kamen 89 Im Naturhistorischen Museum werden heute rund 20 Millio - Demonstranten/-innen und vier Polizisten ums Leben, zusätz- nen Objekte wissenschaftlich betreut. Eine programmatische lich gab es rund 660 Schwer- und etwa 1.000 Leichtverletzte. Inschrift über dem Haupteingang des Gebäudes macht die auch Der Justizpalast wurde von der aufgebrachten Menge in Brand heute noch gültige Bestimmung des Museums deutlich: gesetzt. „Dem Reiche der Natur und seiner Erforschung“. Im Zuge des Wiederaufbaus erhielt das Gebäude ein zusätz - liches Stockwerk. Von 1945 bis 1955 beherbergte der Justiz - Den Grundstein der Sammlung legte Kaiser Franz I. Stephan von palast die Interalliierte Kommandantur Wiens. Lothringen, der Gemahl Maria Theresias und ein leidenschaft - Heute sind im Justizpalast der Oberste Gerichtshof, die licher Sammler. Er kaufte etwa um 1750 die damals größte und Generalprokuratur, das Oberlandesgericht, die Oberstaats- berühmteste Naturaliensammlung der Welt von dem anwaltschaft Wien und das Landesgericht für Zivilrechtssachen Florentiner Gelehrten Johann Ritter von Baillou. Sie bestand aus Wien untergebracht. Bemerkenswert ist die große Zentralhalle rund 30.000 Objekten, darunter seltene Fossilien, Schnecken, oder Aula, ein dreigeschoßiger, mit Glas gedeckter Arkadenhof, Muscheln und Korallen sowie kostbare Mineralien. Im Gegensatz der von einer überdimensionalen Statue der Justitia mit ver- zu vielen anderen fürstlichen Wunderkammern der Zeit war goldetem Schwert und Gesetzbuch dominiert wird. diese Kollektion bereits nach wissenschaftlichen Kriterien

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Naturhistorisches Museum (Naturhistorisches Museum) Kunsthistorisches Museum (Kunsthistorisches Museum)

geordnet. Franz Stephan gab für naturwissenschaftliche parierte Giraffe ein Loch in den Plafond schlagen musste, weil Sammlungsstücke enorme Summen an Geld aus, gründete 1752 kein Raum hoch genug war, um sie unterzubringen. die Menagerie in Schönbrunn, 1753 den Botanischen Garten Ein imposantes Detail des Neubaus ist die etwa 60 Meter hohe und ließ auch die erste wissenschaftliche Expedition nach Kuppel. Sie wird vom griechischen Sonnengott Helios als Übersee ausrüsten. Symbol für das Licht bekrönt. Die steinernen Statuen berühmter Die Sammlungen waren im Laufe der Geschichte so umfang- Wissenschaftler auf der Dachbalustrade und im prunkvollen reich geworden, dass die Räumlichkeiten in der Hofburg nicht Stiegenhaus und Stuckdekoration im Inneren versinnbildlichen mehr ausreichten und ein Neubau an der Ringstraße geplant die geschichtliche Erschließung der Welt und des Kosmos. wurde. Wie unerträglich der Zustand für die Verwahrung der Das Kunsthistorische Museum beherbergt die von den Objekte war, zeigt sich an der Anekdote, dass man für die prä- Habsburgern über Jahrhunderte zusammengetragenen Kunst -

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schätze. Acht verschiedene Sammlungen umfassen Objekte Auch beim Kunsthistorischen Museum versinnbildlichen vom alten Ägypten bis zur Neuzeit um etwa 1800. Besondere Außenarchitektur und Innenraum eine Programmatik. Die Schwerpunkte liegen in der Kunst der Renaissance und des Fassade illustriert in ihrem Aufbau die Bedingungen, die ein Barock. Der hohe Rang der Sammlungen und ihre Vielfalt sind Kunstwerk bestimmen: das Materielle im Parterre, das zum Großteil das Resultat der Vorlieben und Interessen von Kulturhistorische im Hauptgeschoß und als Krönung das Persönlichkeiten aus dem Hause Habsburg. Individuelle durch die Statuen der großen Künstler auf der Attika beziehungsweise der Balustrade. Im Inneren beeindrucken das Zur Sammlung im Museumsgebäude selbst gehören die Eingangsvestibül, das große Stiegenhaus und die zentrale Gemäldegalerie, die Ägyptisch-Orientalische Sammlung, die Kuppelhalle. Antikensammlung, die Kunstkammer und das Münzkabinett; in der Neuen Burg das Ephesos-Museum, die Sammlung alter Musikinstrumente und die Hofjagd- und Rüstkammer; die Schatzkammer im Schweizerhof in der Hofburg sowie die Wagenburg und das Monturdepot im Schloss Schönbrunn. Das Neue Hofburg Schloss Ambras in Innsbruck ist als eigenständiges Museum ebenfalls dem Kunsthistorischen Museum zugeordnet. Seit • Architekten: Gottfried Semper und Carl von Hasenauer, Emil Jänner 2001 sind dem Haus auch das Völkerkundemuseum und Förster, Friedrich Ohmann, Ludwig Baumann das Österreichische Theatermuseum im Palais Lobkowitz ange- • Bauzeit:1881 bis 1926 gliedert. • Stil: Neobarock Bevor die Kunstsammlungen des Kaiserhauses im heutigen Standort: Heldenplatz Museumsgebäude untergebracht wurden, waren sie über • Jahrhunderte hinweg an verschiedenen Orten und unter beeng- Die Neue Hofburg ist die letzte große Erweiterung des gesamten ten räumlichen Bedingungen verstreut. Kaiser Franz Joseph I. Hofburgareals. Semper und Hasenauer planten zunächst ein wollte dieser „kulturellen Misslichkeit“ ein Ende bereiten und Kaiserforum, eine zweiflügelige Anlage über die Ringstraße hin- nach dem Beispiel anderer Städte einen prunkvollen weg, mit dem Kunsthistorischen und dem Naturhistorischen Museumsbau errichten. Museum als Flanken und den Hofstallungen Fischer von Erlachs

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ter als etwa Otto Wagner oder Adolf Loos, und er verstand sich als Gegenpart zu den Erneuerern. Aber auch unter Franz Ferdinand entwickelte sich der Baufortschritt wegen Geldmangels nicht so, wie geplant. Die Arbeiter/innen, die mit gewerkschaftlicher Unterstützung Verbesserungen einforderten und zum Beispiel erfolgreich die Festsetzung eines Mindestlohns erreichten, bereiteten den Bauherrn zusätzlich Verdruss. Schließlich führte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu weiteren Hindernissen, sodass der Bau erst 1926 zu Ende geführt werden konnte. Heute beheimatet die Neue Hofburg die Lesesäle der Nationalbibliothek sowie das Museum für Völkerkunde und Teile des Kunsthistorischen Museums (Ephesos Museum, Hof-, Jagd- und Rüstkammer). In der Verbindung zum alten Teil liegt Neue Hofburg (Österreichische Nationalbibliothek) das 1958 geschaffene Kongresszentrum. Auf dem Heldenplatz, dem freien Gelände vor der Hofburg, stehen die Reiterstatuen der beiden bedeutendsten Feldherren, als Abschluss. Vollendet wurde nur etwa ein Drittel des Prinz Eugen von Savoyen und Erzherzog Karl. Politisch bedeu- Gesamtplans, nämlich die Neue Hofburg, die beiden Museen tend wurde der Heldenplatz am 15. März 1938, als Adolf Hitler und die Stallungen, das heutige Museumsquartier. Die vom Balkon der Neuen Hofburg, der zum Heldenplatz schaut, Planungen für das Kaiserforum überstiegen die vorhandenen den „Anschluss Österreichs“ an das Deutsche Reich verkündete. Geldmittel, und nach der Ermordung Kaiserin Elisabeths 1898 in Genf schloss Kaiser Franz Joseph endgültig mit dem Bauprojekt ab. Er löste das Hofbaukomitee auf und überantwortete das Projekt seinem Thronfolger Franz Ferdinand, der dem Architekten Ludwig Baumann die Bauleitung über die Neue Hofburg übertrug. Baumann war zur damaligen Zeit anerkann-

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Exkurs zum Hofburgareal • Auf der Seite des Josefsplatzes liegt die Hofbibliothek mit Die Bauten der Hofburg gehen bis auf das 13. Jahrhundert dem Prunksaal der Nationalbibliothek, die von Johann zurück. Die Babenberger residierten vorher am Platz „Am Hof“. Bernhard Fischer von Erlach begonnen und von seinem Sohn fertiggestellt wurde. Das älteste Burggebäude ist der Schweizerhof mit dem • Das äußere Burgtor wurde von Peter Nobile nach Plänen Schweizertor, hier sind heute Schatzkammer und • von Luigi Cagnola errichtet. Ursprünglich war es als Denkmal Burgkapelle zu sehen. für die Völkerschlacht bei Leipzig gegen Napoleon 1813 • In der Stallburg, die zwar nicht mit der Hofburg verbunden konzipiert. 1933/1934 wurde es zum Heldendenkmal für die ist, aber zum Komplex gehört, ist die Spanische Hofreitschule Gefallenen des Ersten Weltkriegs umgestaltet. 1945 kam ein untergebracht. Ehrendenkmal für die österreichischen Widerstandskämpfer • Gegenüber der Stallburg wurde von Johann Bernhard Fischer gegen den Faschismus hinzu. An der dem Heldenplatz zu- von Erlach in Zusammenarbeit mit seinem Sohn Joseph gewandten Seite ist in lateinischer Sprache der Wahlspruch Emanuel die Winterreitschule eröffnet, die im Revolutionsjahr Kaiser Franz I. zu lesen: „Die Gerechtigkeit ist das Fundament 1848 Tagungsort der ersten österreichischen parlamentari- der Herrschaft.“ schen Vertretung (konstituierender Reichstag) war. • Die Amalienburg gegenüber dem Schweizerhof ist nach der Witwe Kaiser Josephs I. benannt. • Mit beiden verbunden ist der Leopoldinische Trakt, der unter Kaiser Leopold I. um 1660 erbaut wurde. Dieser beherbergt heute die Amtsräume des Bundespräsi - denten. Gegenüber steht der Reichskanzleitrakt, wo sich zuletzt die Appartements Kaiser Franz Josephs I. befanden. Die Kaiserappartements sind dort genauso zu besichtigen wie das Sisi-Museum und die Silberkammer. • Zwischen Winterreitschule und Reichskanzleitrakt erstreckt sich der Michaelertrakt.

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ANHANG: DIE WICHTIGSTEN BAUTEN DER WIENER RINGSTRASSE UND IHRE ARCHITEKTEN IM DETAIL

Akademie der bildenden Künste • Architekt: Theophil Hansen • Bauzeit: 1872 bis 1877 • Stil: Neorenaissance • Standort: Schillerplatz 3 Die Akademie der bildenden Künste ist die älteste Kunstakademie Mitteleuropas. Sie beherbergt eine der ältesten und bedeutendsten Bibliotheken für Kunst und Architektur in Österreich mit einem Sammlungsbestand von rund 110.000 Bänden.

Das Kupferstichkabinett ist mit etwa 150.000 Zeichnungen und Druckgrafiken (mit Werken Dürers, Rembrandts und vieler ande- Akademie der bildenden Künste (Foto Roland Icking) rer) nach der Albertina die größte und bedeutendste Sammlung dieser Art in Österreich. Die Gemäldegalerie, Wiens älteste öffentlich zugängliche Bildergalerie, wurde ursprünglich als Erfolg der Absolventen und Absolventinnen bei, ein Beispiel ist Vorbildsammlung von Aufnahme- oder Preisstücken zu Valie Export. Studienzwecken konzipiert. Die Akademie der bildenden Künste hat ihre Wurzeln in der vom Hofmaler Peter Strudel im Jahr 1692 eröffneten privaten Heute verfügt die Akademie über den Status einer Kunstschule, der ersten allgemeinen Ausbildungsstätte für Kunstuniversität, an der so berühmte Künstler wie Fritz Wotruba Künstler außerhalb der Zunftordnungen. und Clemens Holzmeister tätig waren. Sie versteht sich als inter- nationales Experimentierfeld zeitgenössischer Kunst und Der Name der berühmten Strudelhofstiege im 9. Wiener Architektur und als Ort der Begegnung von Theorie und Praxis, Gemeindebezirk, der mit seinem Roman Wissenschaft und Kunst. Die an aktuellen Diskussionen und ein so eindrucksvolles literarisches Zeugnis gesetzt hat, geht Positionen orientierte Ausbildung trägt zum internationalen ebenfalls auf Strudel zurück.

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Zwischen 1812 und 1850 fungierte die Kunstschule auch als „Kunstbehörde der Nation“. 1872 wurde sie zur Kunst - hochschule erhoben und bald in dem von Theophil Hansen errichteten Gebäude untergebracht. Die Bedeutung der Akademie für das künstlerische Schaffen Österreichs lässt sich auch an den zahlreichen berühmten Künstlern und Künstlerinnen ablesen, die dort studiert und gelehrt haben – so zum Beispiel Anton Maulbertsch, der die österreichische Barockmalerei zu ihrem Höhepunkt führte, Franz Xaver Messerschmidt, Georg Ferdinand Waldmüller oder Hans Makart. Im 19. Jahrhundert waren es vor allem Architekten wie Theophil Hansen, Gottfried Semper, August Sicard von Sicardsburg, Otto Wagner und andere, die mit ihrem Schaffen besondere Akzente setzten und das Stadtbild der Metro- polen der österreichisch-ungarischen Monarchie bestimmten. Wiener Staatsoper (Wiener Staatsoper GmbH / Foto Axel Zeininger)

Die Wiener Staatsoper zählt zu den bedeutendsten Opern - bühnen der Welt und blickt auf eine lange Tradition zurück. Staatsoper Berühmte Direktoren waren unter anderem Gustav Mahler, • Architekten: Eduard van der Nüll und Richard Strauß, Karl Böhm, Herbert von Karajan, Lorin Maazel August Sicard von Sicardsburg; und Claudio Abbado. Seit 1991 steht das Haus unter der Leitung wiederaufgebaut von Erich Boltenstern von Ioan Holender, dessen Funktion ab der Saison 2010/2011 an Dominique Meyer übergehen wird. Als Generalmusikdirektor Bauzeit: 1861 bis 1869 • wird ihm der Dirigent Franz Welser-Möst zur Seite gestellt. Stil: Neorenaissance • Die Staatsoper hat eine Repertoiresystem, sodass jährlich rund • Standort: Opernring 2 50 verschiedene Opern gespielt werden, und zwar nahezu täglich, bis auf die Sommermonate Juli und August. Der

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Zuschauerraum bietet mehr als 2.250 Personen Platz. Das am 25. Mai 1869 mit Mozarts „Don Giovanni“ nicht mehr erleb- Orchester der Wiener Staatsoper ist Teil der Wiener ten. So war es ihnen auch nicht vergönnt, letzten Endes doch die Philharmoniker. Mit dem Burgtheater, dem Akademietheater Ehrungen mit Ordensverleihung durch den Kaiser mitzuerleben und der Volksoper ist die Staatsoper seit 1999 in der und die Früchte ihrer Arbeit zu ernten. Die Bedeutung ihrer Bundestheater Holding GmbH zusammengefasst. Arbeit lag nicht nur in dem prachtvollen Opernhaus, sondern vor allem in seiner Funktionalität und in seiner technischen Vorgänger der Staatsoper waren das Kärntnertortheater (unge- Ausstattung zur Vermeidung der Brandgefahr. fähr dort, wo sich heute das Hotel Sacher befindet) und das ehe- malige Hofburgtheater am Michaelerplatz. Die neue Heimstatt Im Zweiten Weltkrieg wurden der Zuschauerraum und die für das Hofoperntheater und die spätere k.k. Hofoper wurde als Bühne infolge eines Bombentreffers völlig zerstört. Nach der erstes Monumentalbauvorhaben an der Ringstraße ausgeschrie- Entscheidung des damaligen Bundeskanzlers Leopold Figl ben. Bald stellten sich jedoch große Schwierigkeiten ein, allein wurde die Oper wiederaufgebaut und konnte am 5. November die Fundierung auf dem unsicheren Grund dauerte mehr als ein 1955 mit Beethovens „Fidelio“ unter der Leitung von Karl Böhm Jahr. Die Architekten standen auch zwischen zwei Fronten – den wiedereröffnet werden. In der Zwischenzeit wurden die Volks - staatlichen Behörden und den Sonderwünschen des damaligen oper und das Theater an der Wien bespielt, wobei die erste Operndirektors – und litten unter dem Kompetenzwirrwarr. Vorstellung bereits am 1. Mai 1945 gegeben wurde. Unbe - schädigt blieben das Foyer und die Loggia mit den Fresken von Der Bau selbst wurde von der Bevölkerung nicht sehr geschätzt, Moritz von Schwind, das Hauptvestibül und die zentrale seine Architekten wurden deshalb auch angefeindet. Er konnte Treppenanlage sowie der Teesalon im ersten Stock. seine Wirkung gegenüber dem monumentalen Heinrichshof (wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und 1955 durch den Die heutige Staatsoper ist eigentlich das Werk des Architekten Opernringhof ersetzt) nicht entfalten. Außerdem wurde das Erich Boltenstern, der das Haus authentisch wiederaufgebaut Ringstraßenniveau nach Baubeginn der Oper um einen Meter hat. Dadurch war es möglich, die Technik dem neuesten Stand gehoben, sodass man im Volksmund bald von einer „versunke- anzupassen. Ein Wunderwerk ist auch die Bühne, die man dre- nen Kiste“ sprach oder einem „Königgrätz der Baukunst“. Diese hen, heben und senken kann. Hubpodien können Sänger/innen kritische Haltung, die auch von Kaiser Franz Joseph I. geteilt und ganze Bühnenbilder in die Höhe und Tiefe fahren lassen. wurde, war einer der Gründe, die Eduard van der Nüll in den Wird die 40 Tonnen schwere Drehscheibe nicht gebraucht, wird Freitod trieben. Nur wenige Wochen später starb auch sie zusammengeklappt und hochgezogen. Viel Diskussion gab Sicardsburg, sodass beide Architekten die Eröffnung der Oper es um den Eisernen Vorhang, für dessen Gestaltung der NS-

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ideologisch vorbelastete Maler Rudolf Eisenmenger verant- Hotel Sacher wortlich zeichnete. Künstler/innen der Moderne gestalten den (Hotel Sacher) Eisernen Vorhang seit 1998 jährlich neu.

Hotel Sacher • Architekt: Union Baugesellschaft, Wilhelm Fraenkel • Bauzeit: 1874 bis 1876 • Standort: Philharmonikerstraße 4 Das Hotel Sacher ist aus Wien heute nicht wegzudenken und stellt für die Touristen und Touristinnen einen fixen Programm - punkt im Rahmen jeder Stadtbesichtigung dar, auch wenn man nicht das nötige Kleingeld ausgeben will oder kann, hier ein Zimmer zu nehmen. Das Hotel wurde 1876 von Eduard Sacher ich!“, soll die Grande Dame der Sacher-Dynastie gesagt haben. eröffnet, und zwar auf jenem Grund, wo einstmals das berühm- Legendär war ihre Vorliebe für Zigarren und für kleine Hunde, te Kärntnertortheater stand. Das Hotel lag damit genau hinter von denen sie einige Hundert besessen haben soll. Auf ihre der neuen Hofoper, nannte sich daher auch Hotel de L'Opera. Leidenschaft, Fotos zu sammeln, geht die Sammlung von Sacher musste sich aufgrund der Nähe zur Oper auch im Bildern bedeutender Gäste zurück, die in der Lobby des Hotels Kaufvertrag verpflichten, hier niemals Theater zu spielen, um zu bewundern ist. keine Konkurrenz auf altem Theaterareal aufzubauen. Mit dem Niedergang des Hotels in Folge des Ersten Weltkriegs Eduard Sacher war der Sohn von Franz Sacher, dem Erfinder der zog sich auch Anna Sacher mehr und mehr zurück. 1934 erwarb Original Sacher-Torte. Er heiratete 1880 die 21-jährige Anna, die der Jurist und spätere Staranwalt Hans Gürtler gemeinsam mit nach seinem Tod 1892 das Kommando im Haus übernahm. dem Wiener Cafetier Josef Siller das Sacher, und noch heute Damit begann die eigentliche Epoche des Luxushotels, denn befindet sich das Hotel im Privatbesitz der Familie Gürtler, da die Anna Sacher verankerte es im Bewusstsein der noblen Welt. Ihr Erben Sillers ausbezahlt wurden. Wieder war es eine Ehefrau, verdankt das Haus seinen legendären Ruf. „Der Herr im Haus bin Hans Gürtlers zweite Gattin Poldi, die dem Hotel ihren Stempel

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aufdrückte. Nach einem Erbschaftsstreit ging das Haus auf Am Beginn der Geschichte des Hotels steht der Umbau eines Poldis Sohn Rudolf über, der von Hans Gürtler adoptiert worden Wohnhauses an der Ecke Kärntnerring 7/Akademiestraße in ein war. Hotel. 1892 wurde es eröffnet und nach der englischen Stadt Bristol benannt, da zu dieser Zeit alles Englische en vogue war. Auch heute wird das Fünf-Sterne-Hotel von zwei Frauen geführt, Der heutige Hotelkomplex befindet sich auf einem Areal mehre- den Eigentümerinnen Elisabeth Gürtler und Alexandra Winkler. rer dazu gekaufter und einverleibter Häuser, die zum Teil zu den Aber nicht nur das noble Hotel machte den Namen „Sacher“ ältesten Privatbauten der Ringstraße gezählt hatten. Vor allem weit über die Grenzen des Landes Österreich berühmt. Die das im Zuge des völligen Umbaus (1913–1916) abgerissene Original Sacher-Torte, um rund 50 Jahre älter als das Haus selbst, Wohnhaus am Kärntnerring 1 war das älteste Privathaus im ist heute wohl die bekannteste Torte der Welt. Die Geschichte Opernviertel, erbaut von Ludwig Förster. Für die Außenansicht der legendären Schokoladentorte mit Marillenmarmelade des Gebäudes wurde der Jugendstil gewählt. begann im Jahr 1832, als der 16-jährige Kochlehrling Franz Nach dem Anschluss 1938 nutzten die Nazis das Hotel, um hier Sacher am Hofe des Fürsten Metternich beauftragt wurde, ein hochrangige Staatsgäste zu empfangen. Zuvor wurden die besonders wohlschmeckendes Dessert für Gäste zu kreieren – jüdischen Vorbesitzer, die Brüder Schallinger, unter faden- die Geburts stunde der Original Sacher-Torte. Um diese ent- scheinigen Gründen zu einer Verzichtserklärung „zu Gunsten brannte ein jahrelanger Urheberrechtsstreit, der in den 1950er des Deutschen Volkes“ gezwungen. In den Jahren 1945 bis 1955 Jahren endete und dem Sacher das Recht zusprach, die im Haus war das Hotel Sitz der US-Botschaft, wo zahlreiche „Vier-Mächte- produzierte Torte exklusiv als original zu bezeichnen. Noch Treffen“ in angenehmer Atmosphäre stattfanden. heute wird dieses „süße Geheimnis“ in Handarbeit nach dem Rezept von 1832 zubereitet und in fast alle Länder der Welt Die Ecke Kärntnerstraße/Mahlerstraße ging als „Sirk-Ecke“ in die verschickt. Gesellschaftsgeschichte ein. Sie ist nach dem vornehmen Lederwarengeschäft des Deutschen August Sirk benannt und war Treffpunkt der eleganten Welt. Von hier aus spazierte man Hotel Bristol auf dem Corso zum Schwarzenbergplatz und zurück. Karl Kraus • Architekten des Umbaus 1913 bis 1916: Ladislaus Fiedler und lässt alle Akte seines Dramas „Die letzen Tage der Menschheit“ Pietro Polumbo an der Sirk-Ecke beginnen. • Standort: Kärntnerring 1/Kärntnerstraße 53–55

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Palais Todesco des unkultivierten Ringstraßenbarons wurde. Im Gegensatz dazu führte seine Frau Sophie einen berühmten Salon, in dem • Architekten: Ludwig Förster und Theophil Hansen sich die Crème de la Crème der damaligen Kunstszene traf, • Standort: Kärntnerstraße 51 (gegenüber der Staatsoper) darunter Hugo von Hofmannsthal. Auf sie und ihren Mann war das Wort des Schriftstellers Eduard von Bauernfeld gemünzt, der Das Palais Todesco gehört zu den bedeutendsten und frühesten sagte: „Jedes Licht hat seinen Schatten, jede Frau hat ihren Bauwerken der Ringstraßenepoche. Erbaut im Stil der Re - Gatten.“ naissance, weist es reichen figuralen Schmuck an der Außen- fassade und in den prachtvollen Räumlichkeiten der Beletage Das Todesco war Schauplatz der ersten Begegnung zwischen auf. Das Gebäude macht das Zusammenwirken von Architektur, Johann Strauß Sohn und seiner späteren Frau, der Malerei, Kunsthandwerk und Bildhauerei deutlich, weshalb man Opernsängerin Henriette Treffz, die zunächst mit einem der bei- es als Gesamtkunstwerk bezeichnen kann. Heute gehört das den Todesco-Brüder, Moritz, zusammengelebt hatte, mit dem Haus der Bundesländer-Versicherung. sie auch zwei Kinder hatte. Nach der Trennung von Moritz erhielt Begründet wurde der Reichtum der Familie Todesco von sie eine großzügige Abfindung, die es Johann Strauß ermöglich- Hermann Todesco, einem jüdischen Händler, der eine „Baum- te, ohne finanzielle Sorgen an seiner „Fledermaus“ zu arbeiten. woll-Gespinnst und Woll-Waren-Manufaktur“ aufbaute und auch mit Seife handelte. Ähnlich wie Epstein, war auch seine Persönlichkeit durch hohe ethische und soziale Ansprüche Grand Hotel geprägt. So entwickelte er beispielsweise ein umfassendes • Architekt: Carl Tietz Sozialprogramm für Arbeiter/innen. Er war im Judentum stark verwurzelt und schenkte der Gemeinde Pressburg eine israeliti- • Standort: Kärntner Ring 9 sche Schule, eine Knaben- und Mädchenschule sowie eine Das Grand Hotel Wien war nicht nur das erste Luxushotel in Kinderbewahranstalt. Todesco war auch Direktor der Wien- Wien, sondern auch Europas erstes Grand Hotel, eröffnet im Gloggnitzer-Eisenbahngesellschaft. Jahre 1870. Zum damaligen Zeitpunkt konnte es bis zu 500 Sein Sohn Eduard fiel oft durch sprachliche Entgleisungen und Gäste beherbergen, 200 Zimmer verfügten bereits über ein ungewollte Bonmots auf, die in der Gesellschaft als „Todesciana“ Badezimmer. Der Standort war und ist äußerst exklusiv, nämlich berühmt wurden. Auch die richtige Verwendung von in unmittelbarer Nähe zum Musikverein, zum Wiener Fremdwörtern war seine Sache nicht, sodass er zum Inbegriff Konzerthaus und zur Wiener Staatsoper. Der Gründer des Grand

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Hotels, der Hotelier Anton Schneider, hatte offenbar eine gute Nase: Als der Bau der Ringstraße beschlossen wurde, ging er davon aus, dass sich die Errichtung eines Luxushotels an diesem Boulevard rechnen würde. Da er aber keine Hotelkonzession erhielt, ließ er ein Zinshaus mit rund 300 weitgehend identi- schen Zimmern erbauen, aber bereits so, dass es problemlos in ein Hotel umgebaut werden konnte. Das Grand Hotel spielte auch eine Rolle in den dramatischen Ereignissen von Mayerling, da sich Kronprinz Rudolf und Mary Vetsera heimlich hier trafen. Mary Vetsera besuchte offiziell ihre Freundin, die Gräfin Larisch, die regelmäßig im Grand Hotel einige Zimmer bewohnte. Später war das Hotel beliebte Unterkunft für große Künstlerinnen und Künstler, wie Leo Slezak oder Paula Wessely. Hotel Imperial (Starwood Hotels) Ab 1989 wurde das Grand Hotel umfassend renoviert. in seinem neuen Palais niederlassen wollte, begann man, die Hotel Imperial Fundamente für das neue Musikvereinsgebäude auszuheben. Dieses verstellte ihm den freien Blick auf die Karlskirche, sodass • Architekten: Arnold Zanetti und Heinrich Adam er keine Freude mehr daran hatte und das Palais verkaufte. Im • Standort: Kärntner Ring 16 Zuge der Weltausstellung 1873 wurde es als Hotel von Kaiser Franz Joseph I. persönlich eröffnet. Heute werden dort öster rei- Das Hotel Imperial gilt als eines der besten und bekanntesten chische Staatsgäste untergebracht. Hotels weltweit. Ursprünglich stand das Haus im Besitz des Herzogs Philipp von Württemberg, der es in den Jahren 1862 bis Während der Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg diente der 1865 als Privatresidenz erbauen ließ. Er stand in Königgrätz auf Bunker auf der Seite der Canovagasse, der für die wenigen der Seite der Habsburger, und damit auf der Seite der Verlierer, Aufenthalte Hitlers in Wien gebaut worden war, als Zufluchtsort was auch finanzielle Einbußen nach sich zog. Als der Herzog sich für viele Menschen, vor allem auch für die Wiener Philharmo ni ker.

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Nach dem Krieg nutzten die Sowjets das Hotel. Wer sich wundert, dass die schöne Haupttreppe zur Beletage nicht in der Mitte, sondern auf der rechten Seite angelegt ist, muss sich die Situation von Wien Ende des 19. Jahrhunderts ver- gegenwärtigen. Das übliche Fortbewegungsmittel waren Kutschen, und diese benötigten ausreichend Platz zum Um- drehen, wenn die Herrschaft in der Einfahrt ausstieg. Daher musste die Haupttreppe ausweichen. Das vornehm ausgestattete Café Imperial wurde vom Begründer der Wiener Werkstätte, Josef Hoffmann, umgebaut, die Bilder malte Moritz von Schwind. Auch das Imperial ist für eine beson- dere Torte bekannt, die heute weltweit verschickt wird, wobei das Originalrezept aus dem 19. Jahrhundert nicht mehr über lie- fert ist. Musikverein (Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien)

Musikverein vollen Ausgestaltung – er gilt als bester Konzertsaal weltweit. • Architekt: Theophil Hansen Hier findet auch jährlich das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker statt, das in zahlreiche Länder übertragen wird. • Bauzeit 1866 bis 1869 Träger des Musikvereins ist die Gesellschaft der Musikfreunde in Stil: griechische Renaissance • Wien, neben der Wiener Konzerthausgesellschaft der wichtigste • Standort: Karlsplatz 6 Konzertveranstalter der Stadt. Das Archiv enthält eine der bedeutendsten Musiksammlungen Österreichs mit wertvollen Der Musikverein zählt zu den bekanntesten und schönsten Autografen und Komponistennachlässen. Konzertgebäuden der Welt. Der Große Musikvereinssaal, der oft auch als „Goldener Saal“ bezeichnet wird, ist berühmt und Die Gesellschaft ist älter als der Hansen-Bau, sie wurde bereits geschätzt wegen seiner hervorragenden Akustik und pracht- 1812 von Joseph von Sonnleithner gegründet. Er kam damit der

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Musikbegeisterung des aufstrebenden Bürgertums entgegen Der von Theophil Hansen erbaute „Musikverein“ wurde schließ- und trug den Bedürfnissen eines breiteren Publikums lich am 6. Jänner 1870 feierlich eröffnet. Dass das Gebäude in Rechnung. Wiens Konzertleben war bis dahin eine Domäne des Rekordzeit errichtet werden konnte, war nicht nur auf seine Adels, nun sollte die bürgerliche Öffentlichkeit die Musikpflege Arbeitswut zurückzuführen, sondern auch darauf, dass er beim selbst in die Hand nehmen. Die Genehmigung durch Kaiser Wandschmuck auf industrielle Fertigungen der Firma Wiener - Franz I., der den bürgerlichen Bestrebungen skeptisch gegen- berger von Heinrich Drasche zurückgreifen konnte. überstand, ließ zwei Jahre auf sich warten. Unterstützt wurde Sonnleithner von Erzherzog Rudolf, dem Bruder des Kaisers, der das Protektorat der schließlich 1814 offiziell genehmigten Palais Ludwig Victor „Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiser- (ab 1911 Militärcasino) staates“ übernahm. • Architekt: Heinrich Ferstel Die Konzerte fanden zunächst im kleinen und großen Redoutensaal statt, ab 1831 in einem eigens errichteten • Standort: Schwarzenbergplatz 1 Konzertsaal „Unter den Tuchlauben“, der sich mit seinen 700 Erzherzog Ludwig Viktor war der jüngste Bruder von Kaiser Sitzplätzen bald als zu klein erwies. 1863 schenkte Kaiser Franz Franz Joseph. Das Palais, das dem Stil der italienischen Joseph I. der Gesellschaft das Areal gegenüber der Karlskirche Renaissance nachempfunden ist, wurde 1869 fertiggestellt. und versprach zur Errichtung die Einkünfte aus zwei Aufgrund seines skandalträchtigen Lebenswandels musste sich Wohltätigkeitslotterien. Um weitere Geldgeber zu finden, sollte der Erzherzog auf Geheiß des Kaisers einige Zeit später nach jeder, der 2.000 Gulden in den Baufonds einzahlte, den Titel Salzburg-Kleßheim zurückziehen. Sein Palais ging 1911 an das „Gründer“ führen dürfen. Für Spender mit geringeren Summen Militärcasino. Der Festsaal dient heute dem Burgtheater als gab es das Etikett „unterstützendes Mitglied der Gesellschaft“. Probebühne und Aufführungsort. Zu den großzügigen Förderern zählte auch Gustav Ritter von Epstein. Gleich am Eingang des Musikvereinsgebäudes ist auf einer Ehrentafel noch heute sein Name an prominenter Stelle Palais Wertheim eingemeißelt. Dennoch war es schwierig, das Geld zusammen- zubekommen. • Architekt: Heinrich Ferstel • Standort: Schwarzenbergplatz 17

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Das Palais Wertheim wurde in den Jahren 1864 bis 1868 für den Geistesgeschichte, wie der Komponist Franz Schubert, die Industriellen Franz Ritter von Wertheim errichtet, der sein Autoren Johann Nestroy, Hugo von Hofmannsthal und Arthur Vermögen vor allem durch die Produktion von feuerfesten und Schnitzler, der Vater der österreichischen Verfassung, Hans einbruchssicheren Safes gemacht hat. Anlässlich der Kelsen, und der Nobelpreisträger für Physik, Erwin Schrödinger. Herstellung der 20.000sten Kassa dirigierte Josef Strauß die eigens für diesen Anlass komponierte Polka „Feuerfest“. Ferstel entwarf das bürgerliche Prachtgebäude als Gegenstück zum Palais Henckel-Donnersmarck Palais für den Adeligen Ludwig Victor. Mit den beiden • Architekten: Johann Romano und August Schwendenwein Gebäuden gelang es ihm, sich nach dem Bau der Votivkirche als „Ringstraßen architekt“ zu profilieren. 1910 wurde das Palais in • Standort: Parkring 14/Weihburggasse 32 ein Bürohaus umgebaut. Hugo Graf Henckel von Donnersmarck war einer der Pioniere der österreichischen Industrie. Er errichtete in Zeltweg ein Akademisches Gymnasium Puddling- und Walzwerk, das die ersten Panzerplatten in Österreich herstellte und später in den Besitz der • Architekt: Friedrich Schmidt Oesterreichisch-Alpine Montangesellschaft überging. Anstelle • Standort: Beethovenplatz 1 des Eisenwerks in Frantschach gründete er eine Natron - zellstofffabrik, aus der die heutige Frantschach AG hervorgegan- Das Akademische Gymnasium ist das älteste Gymnasium Wiens. gen ist. Das 1871/1872 errichtete Palais im Stil der Neo- Es befand sich ursprünglich im Dominikanerkloster. Im Jahr renaissance war ein Geschenk an seine zweite Frau. 1945 wurde 1553 unter Ferdinand I. als Jesuitenkolleg gegründet, war es es stark beschädigt und geplündert. Heute beherbergt es durch Jahrhunderte untrennbar mit der Universität verbunden. gemeinsam mit dem benachbarten Palais Leitenberger das 1802 wurde es von den Piaristen übernommen, seither unter- Radisson SAS Palais Hotel. richten dort weltliche Lehrer. Die nunmehrige Heimstatt des Gymnasiums am Beethovenplatz im Viertel des Schubertrings wurde von Friedrich Schmidt, wie das Wiener Rathaus, im neo- Palais Leitenberger gotischen Stil erbaut. Architekt: Ludwig Zettl Zu den Schülern des Akademischen Gymnasiums zählen • berühmte Persönlichkeiten der österreichischen Kultur- und • Standort: Parkring 16

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Bauherr war der Guts- und Fabriksbesitzer Baron Friedrich Franz In den Jahren 1991 bis 1993 wurde die Beletage des Palais origi- Josef Leitenberger, dessen Urgroßvater mit Leinen- und nalgetreu restauriert, die restlichen Räume in Hotelzimmer Baumwolldruck in Böhmen zu einem der Führenden in der umgewandelt. Das Gebäude gehört nun zum Radisson SAS Branche zählte. Das Palais lag hinter dem Corso, weshalb es auch Palais Hotel. nie den Glanz anderer Palais erreichte. Die Außenansicht zeigt wenig figuralen Schmuck, umso größeren Wert legte der Bauherr auf die Innenausstattung. Das Palais war auch eines der Kursalon gesellschaftlichen Zentren Wiens. Der Baron war einer der groß- • Architekt: Johann Garben zügigsten Kunstmäzene der Stadt und er engagierte sich beson- ders im Kampf gegen den Antisemitismus, was ihn auch mit • Standort: Johannesgasse 33 Theodor Herzl zusammenführte, dennoch unterstützte er des- Der Kursalon dient heute als Veranstaltungsort von Konzerten, sen Plan eines „Judenstaates“ nie. Seine Gattin Helene führte Firmenfeiern, Tagungen, Kongressen, Pressekonferenzen, einen berühmten Salon, in dem sich viele bekannte Künstler wie Bällen, Hochzeiten oder anderen privaten Festen. Das Gebäude Hugo Thimig und Adolf von Sonnenthal trafen. Im Palais Leitenberger verkehrte auch ein anderer berühmter Gast: Kronprinz Rudolf. Aufgrund seiner liberalen Auffassungen wurde er von der kaiserlichen Macht sowie von Informationen ferngehalten und suchte daher Kontakt mit gleichgesinnten Journalisten. Einer davon war Moritz von Szeps, der Leiter des Wiener Tagblatts, eine Zeitung, in der anonyme Artikel Rudolfs veröffentlicht wurden. Da es dem Tagblatt finanziell schlecht ging, intervenierte der Kronprinz bei Baron Friedrich Leitenberger, der jedoch den Ruin der Zeitung nicht aufhalten konnte. Friedrich Leitenberger, der ein Faible für schnelle Automobile hatte, kam bei einem Rennen in Bad Homburg nach einem Unfall ums Leben. Kursalon (Kursalon Betriebs GmbH)

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im Stadtpark, der im Stil eines englischen Landschaftsparks nach Ordensmitglieder bei großen Festlichkeiten meist zu Pferd Plänen des Landschaftsmalers Josef Selleny angelegt wurde, erschienen, war für die Stallungen viel Platz im Gebäude vor- sollte ursprünglich den Erholungswert der Parkanlage durch das gesehen. Dafür fehlten aber Räumlichkeiten für die Damen, Angebot von Wassertrinkkuren erhöhen. Bald nach seiner zumal man in der Funktion eines Hoch- und Deutschmeisters Fertigstellung im Jahr 1867 wurde der Kursalon jedoch einer unverheiratet sein musste. anderen Verwendung zugeführt, für die er heute noch be- Von 1945 bis 1974 war im Palais der Sitz der Bundespolizei- rühmt ist. direktion, seit 1981 steht es im Besitz der OPEC. Es wurde sehr Johann Strauß dirigierte 1868 hier sein erstes Konzert, womit der aufwendig restauriert, im Inneren verändert, aber die Kursalon mit seinen Tanzveranstaltungen und Promenaden - Repräsentationsräume wurden wieder in den Originalzustand konzerten zum Treffpunkt der Wiener Gesellschaft avancierte, versetzt. die hier Walzerseligkeit zelebrierte. Museum für angewandte Kunst (MAK) und Universität für angewandte Kunst Palais Erzherzog Wilhelm Architekt: Heinrich Ferstel (Hoch- und Deutschmeisterpalais) • • Bauzeit: 1868 bis 1871 bzw. 1875 bis 1877 • Architekt: Theophil Hansen • Stil: Neorenaissance • Standort: Parkring 8 • Standort: Stubenring 3 und 5 Dieses Palais – eines der schönsten an der Ringstraße – wurde im Stil der Neorenaissance von Theophil Hansen erbaut. Da Hansen An der 1864 erfolgten Gründung und Ausstattung des ehemali- wie üblich alles bis ins kleinste Detail plante, von der Außen - gen Museums für Kunst und Industrie, dem heutigen Museum architektur bis zu den Türschnallen und Fensterverschlüssen, für angewandte Kunst (MAK), war Gustav Ritter von Epstein kann man auch hier von einem Gesamtkunstwerk sprechen. beteiligt. Seine Ernennung zum Korrespondenten des Museums Auftraggeber war Erzherzog Wilhelm, Großmeister des für Kunst und Industrie soll er sogar als höchste Auszeichnung Deutschen Ordens, weshalb das Gebäude oft als „Deutsch- aufgefasst haben. meisterpalais“ bezeichnet wird. Es diente später auch als Das Museum ist das erste Kunstgewerbemuseum auf dem euro- Residenz der jeweiligen Hoch- und Deutschmeister. Da die päischen Kontinent und sollte als Vorbildsammlung für Künstler,

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in Wien entwickelte. Sie erlangte durch die Tätigkeit namhafter Lehrer wie Josef Hoffmann, Kolo Moser und Alfred Roller hohes Ansehen. 1941 bis 1945 wurde sie als „Reichshochschule für angewandte Kunst“ geführt, 1948 als Akademie vom Staat übernommen und 1970 zur Hochschule aufgewertet. Seit 1998 ist sie Universität. Das von Heinrich Ferstel erbaute Museum wurde am 15. November 1871 eröffnet, 1877 erhielt die Kunst gewerbe - schule auf dem angrenzenden Areal ihr eigenes Gebäude. Nachdem bereits 1900 die Administration des Museums und der Schule getrennt wurde, erfolgte die völlige Trennung beider Institutionen 1909.

Museum für angewandte Kunst MAK (Foto Gerald Zugmann/MAK) Ehemaliges Kriegsministerium (heutiges Regierungsgebäude) Industrielle und Publikum sowie als Aus- und Weiterbildungs- stätte für Entwerfer und Handwerker dienen. • Architekt: Ludwig Baumann Das MAK gehört zu den österreichischen Bundesmuseen, es • Bauzeit: 1909 bis 1913 erhielt im Jahr 2000 die Vollrechtsfähigkeit als wissenschaftliche Stil: Neobarock Anstalt. Außenstellen des MAK sind das Geymüller-Schlössel in • Pötzleinsdorf (Wien, 18. Bezirk) und das MAK Gegenwartsdepot • Standort: Stubenring 1 Gefechtsturm Arenbergpark im 3. Wiener Gemeindebezirk. 1995 Das Regierungsgebäude am Stubenring ist ein riesiger Kom- wurde die Außenstelle „MAK Center for Art and Architecture“ in plex mit einer Länge von 219 Metern. Es wurde als Los Angeles gegründet. Kriegsministerium für die Armee der österreichisch-ungarischen Aus dem Museum ging im Jahr 1867 die Kunstgewerbeschule Monarchie errichtet, nachdem das alte Gebäude des hervor, die sich zur heutigen Universität für angewandte Kunst Hofkriegsrats „Am Hof“ zu klein geworden war. Ludwig

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fügte über eine synchron gesteuerte Uhr und die Zimmer selbst waren mit Tageslicht versorgt. Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie wurden hier einige Ministerien untergebracht. Während der Zeit des Anschlusses bezog das Wehrkreiskommando XVII des Groß- deutschen Reiches mit seinen Ämtern alle Räumlichkeiten. Dieses Kommando spielte beim letztendlich missglückten Putschversuch gegen Hitler am 20. Juli 1944 eine maßgebliche Rolle. Carl Szokoll war der Verbindungsmann von Claus Stauffenberg und das Kriegsministerium somit ein Zentrum der Hitlergegner. Szokoll, der unerkannt bleiben konnte, war auch eine Hauptfigur in der geheimen „Operation Radetzky“, die den herannahenden sowjetischen Truppen die Stadt Wien ohne Ehemaliges Kriegsministerium größere Gegenwehr hätte übergeben sollen, aber die (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit) Aktivitäten wurden verraten. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude restauriert, die pompösen Baumanns klassisch historisches Projekt setzte sich beim Kuppelaufbauten von einst sind aber ebenso verschwunden wie Architektenwettbewerb gegen die sezessionistischen Entwürfe die Kaiser krone auf dem Doppeladler, dessen Flügelspannweite von Otto Wagner und Alfred Loos als Sieger durch und ent- 16 Meter beträgt. Im Gebäude sind heute Bundesministerien sprach den pompösen Wünschen Franz Ferdinands, insbeson- untergebracht. dere hinsichtlich des ausladenden Dachs und der markanten Mit dem ehemaligen Kriegsministerium verbindet man auch die Kuppeln. Vor dem ehemaligen Kriegsministerium befindet sich Radiogeschichte Österreichs. Telefon, Radio und Telegrafie das Radetzky-Denkmal. waren wichtige Kommunikationsmittel, besonders für militäri- Der imperiale und auch für damals nicht mehr zeitgemäße sche Zwecke in Zeiten der latenten Kriegsgefahr. Daher befand Eindruck des Gebäudes verschleiert den Blick darauf, dass eines sich im Kriegsministerium auch eine Hochleistungssendeanlage, der modernsten Bürogebäude seiner Zeit entstanden ist. Die über die man mit den Häfen in Pula und Istrien Verbindung Telefonanlage war durchgehend abhörsicher, jedes Zimmer ver- hatte. Dafür wurden besondere Frequenzen benutzt, die

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ANHANG: DIE WICHTIGSTEN BAUTEN DER WIENER RINGSTRASSE UND IHRE ARCHITEKTEN IM DETAIL

Sprechverbindungen über eine weite Distanz ermöglichten. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich aus dieser Sendeanlage die RAVAG, die erste österreichische Radio - gesellschaft, gegründet am 14. Juli 1924, die den Wellenbetrieb für zivile Zwecke benutzte. In weiterer Folge gab es ein tägliches Musik- und Vortragsprogramm. 1926 verließ die RAVAG mit ihrem „Stubenringsender“ das Kriegsministerium und über sie- delte in die Johannesgasse, wo das erste Funkhaus entstand.

Postsparkasse • Architekt: Otto Wagner Österreichische Postsparkasse (WAGNER:WERK Museum Postsparkasse) • Standort: Georg-Coch-Platz 2 Das Hauptgebäude der Österreichischen Postsparkasse AG in Bevölkerung den Spargedanken nahebringen, wobei die Wien wurde in der Zeit von 1904 bis 1906 errichtet und stellt Postämter als Ein- und Auszahlungsstellen fungierten. eines der bedeutendsten Werke des Jugendstils in Österreich Außerdem wollte man die Sicherheit der Einlagen durch dar. Staatshaftung gewährleisten sowie wichtige Finanzie rungs - mittel für den Staat bereitstellen. Arbeiter/innen und andere Die heutige Postsparkasse AG wurde 1883 nach britischem kleine Leute, die etwas zur Seite gelegt hatten, hatten sonst Vorbild („Post Office Savings Bank“) als „k. k. Postsparcassen- keine Möglichkeit, etwas auf ein Sparbuch bei einer Bank einzu- Amt“ errichtet. Grundlage dafür war die Annahme des zahlen. Ersparnisse zinsbringend anzulegen, bedeutete für viele Gesetzesentwurfs „betreffend die Einführung von Postspar - einen Fortschritt, da Anschaffungen besser geplant werden cassen in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und konnten. Ländern“ durch den Reichsrat im Jahr 1882. Die Regierungs - vorlage wurde von Dr. Georg Coch ausgearbeitet, dem Die Einführung des Postscheckverkehrs im Jahre 1887 war eine Begründer und ersten Direktor des Amtes. Man wollte damit der umwälzende Innovation. Der erste bargeldlose Zahlungsverkehr

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wurde von Georg Coch entwickelt und lenkte das Geldwesen Homepages: von Österreich ausgehend international in neue Bahnen. Ab www.burgen-austria.com 1926 wurde die Postsparkasse eine Anstalt öffentlichen Rechts • mit eigener Rechtspersönlichkeit. • www.aeiou.iicm.tugraz.at/ www.phdl.at Der Anschluss Österreichs an Deutschland hatte die Ein- • gliederung in die Deutsche Reichspost zur Folge. Alle Ver - • www.wien-konkret.at mögenswerte wurden nach Deutschland transferiert. 1945 • www.wien-vienna.at/blickpunkte nahm das in das Bundesministerium für Finanzen eingegliederte • www.stadt-wien.at Institut den Geschäftsbetrieb als „Postsparkassenamt“ wieder www.starwoodhotels.at auf und erhielt 1970 mit Inkrafttreten des PSK-Gesetzes die • www.votivkirche.at organisatorische und rechtliche Selbstständigkeit zurück. 1996 • wurde die PSK in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Durch • www.wienerborse.at/about/history den Erwerb der Aktien der Österreichischen Postsparkasse AG • www.univie.ac.at/universitaet/geschichte zu 74,82 Prozent durch die Bank für Arbeit und Wirtschaft AG • www.ogh.gv.at (BAWAG) und zu 25,18 Prozent durch die PSK Unternehmens- www.nhm-wien.ac.at beteiligungsgesellschaft mbH entstand die drittgrößte Banken- • gruppe Österreichs. • www.khm.at • www.akg-wien.at Für die Beschreibung der einzelnen Ringstraßengebäude • www.kursalonwien.at/kursalonwien wurde auf folgende Werke und Websites zurückgegriffen: • www.akbild.ac.at • Schwarz, Otto: Hinter den Fassaden der Ringstraße: • www.staatsoper.at Geschichten – Menschen – Geheimnisse. Amalthea Verlag, www.musikverein.at Wien 2007 • www.mak.at • Dmytrasz, Barbara: Die Ringstraße. Eine europäische Bauidee. • Amalthea Verlag, Wien 2008 • www.bmwa.gv.at/BMWA/ministerium/Haus/default.htm • www.bawagpsk.com/bawagpsk/__UeberUns/ Unternehmen/Firmengeschichte/nav.html

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ANHANG: DIE WICHTIGSTEN BAUTEN DER WIENER RINGSTRASSE UND IHRE ARCHITEKTEN IM DETAIL

DIE WICHTIGSTEN ARCHITEKTEN Wie so viele andere der großen Ringstraßenarchitekten war DER WIENER RINGSTRASSE auch Theophil Hansen kein gebürtiger Wiener. Am 13. Juli 1813 in Kopenhagen geboren, besuchte er von 1824 bis 1837 die dor- tige Königliche Kunstakademie, lernte bei Gustav Friedrich Theophil Edvard Freiherr von Hansen Hetsch und wurde während eines achtjährigen Studien auf - enthaltes in Athen zum Architekten ausgebildet. geb. 13. Juli 1813 in Kopenhagen gest. 17. Februar 1891 in Wien 1838 erhielt er ein Reisestipendium nach Deutschland, wo er in Berlin die Bauten Friedrich Schinkels studierte. Anschließend fuhr er über Dresden, Prag und München nach Italien (Verona und Venedig) und schließlich nach Athen. Von 1838 bis 1846 lebte er in Athen und befasste sich eingehend mit der antiken und byzantinischen Baukunst. Er unterrichtete an der Polytechnischen Schule (1840–1843), nahm an der Auf- nahme antiker Baudenkmäler teil und errichtete seit 1842 erste selbstständige Bauten. Im Jahr 1846 übersiedelte Hansen auf Einladung des Architekten Ludwig Christian Friedrich Förster nach Wien und trat in dessen Atelier ein. Es entstanden erste Bauten in Wien in Zusam- menarbeit mit Förster, dessen Tochter Sophie Hansen 1851 ehe- lichte. Von 1852 an war Theophil Hansen als selbstständiger Architekt in Wien tätig. Hier und in Athen errichtete er zunächst vor allem Zinswohnhäuser, Palais und Villen, ab den 1860er-Jahren auch große öffentliche Bauten. In der Zeit von 1868 bis 1884 wirkte er als Professor für Baukunst an der Akademie der bildenden Theophil Hansen (Parlamentsdirektion) Künste in Wien und avancierte zu einem der bedeutendsten

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Architekten seiner Zeit von internationalem Ruf und Wirkung. • Villa Baron Pereira in Altenberg bei Greifenstein 1867 wurde er in den Ritterstand, 1884 in den Freiherrnstand (1846 bis 1849) erhoben. Seine Lehrtätigkeit setzte er bis zu seiner Emeritierung • Waffenmuseum im Arsenal (heute Heeresgeschichtliches im Jahre 1883 fort, im gleichen Jahr löste er auch sein Baubüro Museum) (1850 bis 1856) auf, blieb jedoch planend und zeichnerisch bis kurz vor seinem Schloss Hernstein in Niederösterreich für Erzherzog Leopold Tod am 17. Februar 1891 aktiv. • (1856 bis 1880) Während bei den Bauten seiner Frühzeit byzantinische Formen • Evangelische Kirche am Matzleinsdorfer Friedhof in Wien in betonter Farbigkeit überwiegen, schuf er in den 1860er- (1857 bis 1858) Jahren die meisten Bauten der Wiener Ringstraße im Stil der Akademie der Wissenschaften in Athen (1859 bis 1887) italienischen Hochrenaissance, um sich später einer von ihm • selbst als „griechische Renaissance“ bezeichneten Formen - • Evangelische Schule am Karlsplatz in Wien (1859 bis 1862) sprache des Historismus zuzuwenden. • Heinrichshof am Wiener Opernring gegenüber der Staatsoper (1945 zerstört) (1861 bis 1863) Höhepunkt seines Schaffens ist das Parlamentsgebäude in Wien, in dem er seine Idealvorstellung einer Monumentalarchitektur • Palais Todesco an der Wiener Kärntnerstraße (gemeinsam mit im hellenistischen Stil verwirklichte. Mit dem Gebäude wollte er Ludwig Förster) (1861 bis 1864) insbesondere dem liberalen Bürgertum der Epoche nach dem • Hoch- und Deutschmeisterpalais für Erzherzog Wilhelm am Durchbruch zur konstitutionellen Monarchie ein Denkmal Parkring in Wien (1864 bis 1868) setzen. Prominent schräg gegenüber der Hofburg gelegen, • Musikvereinsgebäude in Wien (1866 bis 1869) prägt das Parlamentsgebäude bis heute den Charakter des Palais Epstein in Wien (1868 bis 1872) Wiener Prachtboulevards wesentlich mit. Gemeinsam mit dem • benachbarten Palais Epstein bildet es ein beeindruckendes • Palais Ephrussi in Wien (1872 bis 1873) „Hansen-Ensemble“. • Akademie der bildenden Künste in Wien (1872 bis 1877) • Börsegebäude in Wien (1874 bis 1877) Seine bedeutendsten Bauten • Parlamentsgebäude in Wien (1874 bis 1883) • Sternwarte in Athen (1843 bis 1846) • Evangelische Kirche in Wien-Gumpendorf (1846 bis 1849)

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ANHANG: DIE WICHTIGSTEN BAUTEN DER WIENER RINGSTRASSE UND IHRE ARCHITEKTEN IM DETAIL

Otto Wagner Von 1894 bis 1913 war Otto Wagner Professor und Leiter einer Spezialklasse für Architektur an der Akademie der bildenden geb. 13. Juli 1841 in Penzing bei Wien (heute 14. Bezirk) Künste in Wien, die als „Wagner-Schule“ die herausragendsten gest. 11. April 1918 in Wien Architektenpersönlichkeiten der Moderne in der Donaumonar - chie hervorbrachte (Max Fabiani, Josef Hoffmann, Jan Kotera, Joseph Maria Olbrich, Josef Plecnik und andere).

Die Bauwerke der ersten Schaffensperiode, die zum Teil in Zusammenarbeit mit Otto Thienemann entstanden, sind ganz in der Tradition des Historismus in Formen des Barock und der florentinischen Renaissance verwurzelt. In dieser Phase wurde auch die Villa Epstein in Baden bei Wien (1867) errichtet. Neben eigenen Bauten führte Wagner auch als Baumeister fremde Entwürfe aus, wie es beim Palais Epstein der Fall war.

In den 1880er Jahren bildete sich bei Wagner die Vorliebe für klassizistische Formen aus. Durch die Auseinandersetzung mit dem Jugendstil wandte er sich in den 1990er-Jahren zuneh- mend einer an Funktionalität, geometrischen Formprinzipien und konstruktiven Ordnungsprinzipien orientierten Architektur Otto Wagner (Parlamentsdirektion) zu, die zum Bruch mit der Tradition und der Artikulierung eines „Nutzstils“ als Zukunftsstil gipfelte. Als Bahnbrecher der Otto Wagner studierte in den Jahren 1857 bis 1859 Architektur Moderne kommen Otto Wagner im Städtebau, in der Archi - an der Architekturschule des Polytechnischen Instituts in Wien. tekturtheorie und als Baukünstler größte Verdienste zu. Von 1860 bis 1861 besuchte er die Bauakademie in Berlin bei Carl Ferdinand Busse und von 1861 bis 1863 setzte er seine In seiner Funktion als künstlerischer Beirat der Kommission Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei für Wiener Verkehrsanlagen und der Donauregulierungs- August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll fort. kommission prägte er mit den Bauten für die Wiener Stadtbahn

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(1894–1901) und der Donauregulierung (1894–1898) das Ludwig Christian Friedrich Ritter von Förster Wiener Stadtbild wie kein anderer Architekt. geb. 8. Oktober 1797 in Ansbach (Deutschland) gest. 16. Juni 1863 in Bad Gleichenberg Seine bedeutendsten Bauten Ludwig Förster wurde am 8. Oktober 1797 in Ansbach, • Preis im Wettbewerb um den Kursalon im Wiener Stadtpark Deutschland geboren. Er zählt zu den bedeutendsten Persön - (1863) lichkeiten des österreichischen Historismus. Sein Projekt für die • Baden, Villa Gustav Epstein, Rainerweg 1–3 (1867) Gestaltung der Wiener Ringstraße, das er gemeinsam mit • Wien, Miethaus Bellariastraße 4 (1869 bis 1870) Eduard van der Nüll, August Sicard von Sicardsburg und Friedrich Stache vorgelegt hatte, ging im Architekten - Budapest, Synagoge (1870 bis 1873) • wettbewerb als Sieger hervor. Von 1861 bis 1863 war Förster • Wien, Grabenhof (gemeinsam mit Otto Thienemann) (1874) Mitglied des Wiener Gemeinderats. Kurz vor seinem Tod, • Wien, Miethaus Lobkowitzplatz 1 (1884) am 14. Juni 1863, wurde er in den Adelsstand erhoben. • Baden, Villa Hahn, Weilburgstraße 81 (1886) Förster studierte in München und Wien. Ab 1828 leitete er eine • Wien, erste Villa Wagner, Hüttelbergstraße 26 (1886 bis 1888) lithografische Anstalt und gründete 1836 die „Allgemeine • Wien, Bauten für die Wiener Stadtbahn (1894 bis 1901) Bauzeitung“, die sich zum wichtigsten Publikationsorgan des Bauwesens in der Monarchie entwickelte. Von 1843 bis 1846 Wien, Schleusenanlage Nussdorf (1894 bis 1898) • wirkte er als Professor an der Akademie der bildenden Künste. • Wien, Ankerhof, Spiegelgasse 2 (1894 bis 1895) Ab 1839/1840 war er freischaffender Architekt. In seinem Atelier • Wien, Miethäuser Linke Wienzeile 38 und 40 (1898 bis 1900) arbeitete neben Otto Wagner auch Theophil Hansen, sein • Wien, Postsparkasse (1904 bis 1906; erweitert 1910 bis 1912) Schwiegersohn. Förster war mit Hansen in den Jahren 1846 bis Wien, Kirche am Steinhof (hl. Leopold) (1904 bis 1907) 1852 in Gemeinschaft tätig. Sein besonderes Interesse galt dem • künstlerischen Nachwuchs und technischen Neuerungen. • Wien, Wilhelminenspital, Lupusheilstätte (1910 bis 1913) • Wien, Miethäuser Döblergasse 2 und 4 (1911 bis 1912) Seine bedeutendsten Bauten • Wien, zweite Villa Wagner, Hüttelbergstraße 28 • Synagoge in Wien-Leopoldstadt (1853 bis 1858; 1938 zerstört) (1912 bis 1913) • Synagoge in Budapest (1859)

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ANHANG: DIE WICHTIGSTEN BAUTEN DER WIENER RINGSTRASSE UND IHRE ARCHITEKTEN IM DETAIL

• Evangelische Kirche in Gumpendorf (1846 bis 1849) Seine bedeutendsten Bauten • Schießstätte im Arsenal (1846 bis 1849) • Votivkirche in Wien (1856 bis 1879) • Elisabethbrücke über die Wien am Karlsplatz (1850 bis 1854; • Palais Ferstel an der Freyung in Wien, das auch das bekannte im Zuge der Wienfluss-Regulierung abgebrochen; Café Central beherbergt (war ein Bank- und Börsegebäude; die Figuren stehen heute am Rathausplatz) 1860) • Palais Todesco in der Kärntnerstraße 51 (1861 bis 1864; • Museum für Kunst und Industrie (das heutige Museum gemeinsam mit Theophil Hansen) für angewandte Kunst; 1868 bis 1871) • Kunstgewerbeschule (heute Universität für angewandte Kunst Wien; 1875 bis 1877) Heinrich Freiherr von Ferstel • Hauptgebäude der Universität Wien (1873 bis 1884) geb. 7. Juli 1828 in Wien • Zentralanstalt für Meteorologie auf der Hohen Warte gest. 14. Juli 1883 in Wien (1870 bis 1872) Ferstel wurde als Sohn eines höheren Bankbeamten aus Prag am • Ringstraßenpalais wie das Palais Ludwig Victor 7. Juli 1828 in Wien geboren. Er studierte an der Wiener (ab 1911 Militärcasino) und das Palais Wertheim am Kunstakademie Architektur bei Eduard van der Nüll und August Schwarzenbergplatz Sicard von Sicardsburg. Mit seinem Entwurf für einen neu- gotischen Kirchenbau im Stil der französischen Kathedralen gewann er den Wettbewerb um den Bau der Votivkirche. Carl Freiherr von Hasenauer Damit wurde er schlagartig berühmt, errichtete weitere öffentli- geb. 20. Juli 1833 in Wien che Gebäude in der Wiener Innenstadt sowie an der Ringstraße und wandte sich später einem strengeren Stil zu. Als Professor gest. 4. Jänner 1894 in Wien am Polytechnikum in Wien beeinflusste er viele junge Hasenauer schuf insbesondere Monumentalbauten im Stil des Architekten in stilistischer Hinsicht. Neubarock. Zu seinen Lebzeiten wurde er auch der „bauende Makart“ genannt. Seine Lehrer waren August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll. In den Jahren 1872 bis 1873 war er für die Wiener Weltausstellung als Chefarchitekt

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tätig. Ein bekanntes Gebäude in diesem Zusammenhang ist die Gottfried Semper Rotunde. 1873 wurde Hasenauer in den Freiherrnstand erhoben. geb. 29. November 1803 in Hamburg Gemeinsam mit Gottfried Semper entwarf Hasenauer die beiden gest. 15. Mai 1879 in Rom Hofmuseen, das Burgtheater und die Neue Hofburg. Nach dem Zerwürfnis mit seinem Partner leitete er die Errichtung der Gottfried Semper war Architekt und Kunsttheoretiker. Nachdem Hofbauten allein. Hasenauer war immer bemüht, die Architektur er Jus und Mathematik an der Universität Göttingen studiert nicht allein in den Vordergrund zu stellen, sondern er strebte, hatte, nahm er im Jahr 1825 das Studium der Architektur in ähnlich wie Theophil Hansen, die Verschmelzung aller Kunst- München auf. In den Jahren 1843 bis 1849 lehrte Semper als arten in einem malerisch-farbenprächtigen Gesamt kunst werk Professor für Baukunst in Dresden und machte auch die an. Sein berühmtestes Bauwerk abseits der Ringstraße ist die Bekanntschaft mit Richard Wagner, musste jedoch wegen seiner Hermesvilla im Lainzer Tiergarten. Teilnahme an der Revolution 1848 fliehen. Sein Lebensweg führte ihn daraufhin nach Paris und London, wo er sich bei der Seine bedeutendsten Bauten Weltausstellung 1851 engagierte. Schließlich wurde Semper • Kunsthistorisches und Naturhistorisches Museum nach Zürich berufen, wo er von 1855 bis 1871 am Polytechnikum (1871 bis 1891) Professor war. In Dresden baute Semper auch die berühmte Oper, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, aber in ihrem Burgtheater (1874 bis 1888) • ursprünglichen Erscheinungsbild neu errichtet werden konnte. • Neue Hofburg (1881 bis 1894) Palais Lützow (1870) Im Jahr 1871 erhielt Semper von Kaiser Franz Joseph I. die • Einladung, gemeinsam mit Carl Hasenauer das Kaiserforum am • Hermesvilla im Lainzer Tiergarten (1882 bis 1886) Ring zu gestalten. Dass ein Mann wie er mit dem Ausbau der • Maria-Theresien-Denkmal (1888) kaiserlichen Residenz beauftragt wurde, ist bemerkenswert, • Grillparzer-Denkmal (1889) schließlich hatte sich Semper, der im äußerst reaktionären Sachsen aufgewachsen ist, aktiv an der Revolution im Jahr 1848 beteiligt und war ein Verfechter des republikanischen Gedankens. Er stellte den Revolutionären sein Wissen für den Bau von Barrikaden zur Verfügung, die bald nach ihm benannt wurden (Semper-Barrikaden).

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ANHANG: DIE WICHTIGSTEN BAUTEN DER WIENER RINGSTRASSE UND IHRE ARCHITEKTEN IM DETAIL

Semper und Hasenauer bauten gemeinsam die beiden Hof - Lehrer für Baukunst an die Akademie in Mailand berufen, ab museen und das Burgtheater. Nach Differenzen mit Hasenauer 1859 lehrte er als Professor für mittelalterliche Kunst an der zog Semper sich 1876 aus der Bauleitung zurück und verbrach- Akademie der bildenden Künste in Wien. Dort leitete er ab 1865 te den Rest seines Lebens überwiegend in Rom. Er beeinflusste auch eine Spezialschule für Architektur. Im Jahr 1863 wurde er insbesondere den Europäischen Theaterbau sowie die Ent - zum Dombaumeister von St. Stephan ernannt. stehung der Kunstgewerbemuseen. Er ist Verfasser bedeuten- Schmidt verhalf dem neugotischen Backsteinbau in der österrei- der kunsttheoretischer Schriften und trug vor allem zur chischen Sakralarchitektur zum entscheidenden Durchbruch Ausbreitung der Neorenaissance bei. und etablierte den neugotischen Stil auch im Bereich der öffent- lichen Gebäude, wie beim Wiener Rathaus. Als einer der Seine bedeutendsten Bauten Hauptmeister der Ringstraßenära genoss Schmidt internatio- • Dresdner Oper (1841) nales Ansehen und erhielt auch außerhalb der österreichischen • Kunsthistorisches und Naturhistorisches Museum Grenzen bedeutende Bauaufträge. Schmidt verband seine (1871 bis 1891) baukünstlerische Tätigkeit wiederholt mit restauratorisch denk- • Burgtheater (1874 bis 1888) malpflegerischen Aufgaben. Als Denkmalpfleger baute er beispielsweise die Stiftskirche Klosterneuburg um. Neben seiner Neue Hofburg (1881 bis 1894) • künstlerischen Tätigkeit engagierte sich Schmidt auch politisch und war von 1866 bis 1870 Mitglied des Wiener Gemeinderats. Friedrich Freiherr von Schmidt 1889 wurde ihm darüber hinaus ein Sitz im Herrenhaus des öster reichischen Parlaments verliehen. Er wurde geadelt und geb. 23. Oktober 1825 in Frickenhofen zum Wiener Ehrenbürger ernannt. (Württemberg/Deutschland) gest. 23. Jänner 1891 in Wien Seine bedeutendsten Bauten Friedrich Schmidt studierte am Polytechnikum in Stuttgart • Lazaristenkirche in Wien (1862) Architektur und trat im Jahr 1843 als Steinmetz in die Kölner Akademisches Gymnasium (1863) Dombauhütte ein. Er beteiligte sich auch am Architekten wett - • bewerb für die Wiener Votivkirche, unterlag aber seinem • Kirche Maria vom Siege (1875) Konkurrenten Heinrich Ferstel. Im Jahre 1857 wurde er als • Neues Wiener Rathaus (1872 bis 1883)

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• Restaurierung bzw. Umbau des Stifts Klosterneuburg, bildenden Künste. Sicard von Sicardsburg starb kurz nach dem der Burg Waidhofen an der Ybbs und der Pfarrkirche Freitod seines Geschäftspartners im 55. Lebensjahr an Tuber - Jedenspeigen kulose.

August Sicard von Sicardsburg Seine bedeutendsten Bauten (gemeinsam mit Eduard van der Nüll) (auch: Siccard von Siccardsburg) Hofoper (1861 bis 1869; heute Wiener Staatsoper) geb. 6. Dezember 1813 in Budapest • • Carltheater (1846 bis 1847; im Zweiten Weltkrieg zerstört) gest. 11. Juni 1868 in Weidling bei Wien • Kommandogebäude und Kasernen des Arsenals Gemeinsam mit Eduard van der Nüll baute Sicardsburg die (1849 bis 1856) Wiener Staatsoper, den ersten Monumentalbau der Neuen • Haas Haus am Graben (1866 bis 1868; 1945 zerstört) Wiener Ringstraße. Die beiden Architekten prägten ent- • Allein errichtete er den Sockel für das Erzherzog-Karl- scheidend die österreichische Architektur des spätroman- Denkmal und das Prinz-Eugen-Denkmal am Heldenplatz tischen Historismus und beeinflussten noch später über ihre (1859 und 1865). Schüler (unter anderem Carl Hasenauer) den Baustil des 19. Jahrhunderts in Wien. Sicard von Sicardsburg studierte am Polytechnikum in Wien und Eduard van der Nüll wurde 1835 Assistent, in welcher Funktion er auch zeitweise geb. Anfang Jänner 1812 in Wien seinen Lehrer Peter von Nobile unterstützte. Mit seinem gest. 4. April 1868 in Wien Studienkollegen Eduard van der Nüll unternahm Sicardsburg in den Jahren 1839 bis 1843 ausgedehnte Studienreisen nach Eduard van der Nüll studierte zunächst an der Akademie der Italien und Frankreich. Die beiden gingen auch eine lebenslange bildenden Künste bei Peter von Nobile und wurde selbst im Arbeitsgemeinschaft ein, wobei Sicardsburg mehr für den tech- Jahr 1844 dort Professor. Als Lehrer und Baukünstler errang er nisch-organisatorischen Teil zuständig war, Eduard van der Nüll gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Sicardsburg eine eher für den ästhetisch-dekorativen Teil. Im Jahr 1843 erreichte führende Stellung unter den österreichischen Architekten der ihn die Berufung als Professor an die Wiener Akademie der Spätromantik. Beide entwickelten wiederholt monumentale

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ANHANG: DIE WICHTIGSTEN BAUTEN DER WIENER RINGSTRASSE UND IHRE ARCHITEKTEN IM DETAIL

Projekte und vertraten eine aufgeschlossene und freie Auffassung von Architektur als Gesamtkunstwerk ohne Bindung und Stilnormen. Sie konnten sich aber nicht gegen die von Friedrich von Schmidt und Theophil von Hansen vertretene Spezialisierung durchsetzen. Der Auftrag für das Wiener Opernhaus zählt zu ihren Hauptwerken, führte aber zu Anfeindungen und Schwierigkeiten. Auch Kaiser Franz Joseph artikulierte sein Missfallen. Dies ertrug Eduard van der Nüll nur schwer. Zu dieser psychischen Belastung kam eine Gefäßerkrankung, sodass er noch vor Vollendung des Baus den Freitod wählte.

Seine bedeutendsten Bauten Siehe August Sicard von Sicardsburg.

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DAS JÜDISCHE WIEN Von Günther Schefbeck

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ANHANG: DAS JÜDISCHE WIEN

Von der Verfolgung zur Toleranz nachdem seine Mutter Maria Theresia noch deutliche Züge eines religiös motivierten Antisemitismus hatte erkennen lassen.

Die Geschichte der Juden in Wien bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Duldung und Verfolgung. 1194 erst- Von der Toleranz zur Gleichberechtigung mals in Wien nachweisbar, lebten die Juden zunächst im getto- Die josephinische Toleranzgesetzgebung war durch das artigen Viertel um den später sogenannten Judenplatz. Vom Bestreben des Kaisers motiviert, wirtschaftlich wertvoll erschei- Babenberger Herzog Friedrich II. erhielten sie 1244 eine nende Bevölkerungsgruppen nachhaltig in den österrei- „Judenordnung“, die in den meisten Nachbarländern rezipiert chischen Staat zu integrieren. Dazu zählten auch die Juden, für wurde. Für die erste Welle systematischer Verfolgung und die eigene Toleranzpatente erlassen wurden. Für Wien galt das- Vertreibung der Wiener Juden, die „Geserah“ in den Jahren 1420 jenige vom 2. Jänner 1782. Wenn den Juden das Recht zur und 1421, zeichnete Herzog Albrecht V. verantwortlich. Als Ausübung von Handwerken und Gewerben – jedoch ohne Begründung wurden angebliche Verbindungen der Juden mit Meister- und Bürgerrecht –, zur Errichtung von Großhandlungen den Hussiten und der Vorwurf der Hostienschändung herange- und zur Anlage von Fabriken zugestanden wurde, dann machte zogen. Die hohen Schulden, die nicht nur der Herzog bei den dies die wirtschaftliche Motivation deutlich; wenn schikanöse Wiener Juden hatte, mögen das tatsächliche Motiv gewesen Vorschriften wie Kleiderordnungen und Ausgehverbote für sein. Die Erfordernisse der Finanzierung des Dreißigjährigen Juden aufgehoben wurden, dann stand das für eine allgemein Krieges dürften Kaiser Ferdinand II. bewogen haben, den Juden vereinheitlichende Tendenz, die den Josephinismus kenn zeich- 1624 die Ansiedlung im Unteren Werd zu gestatten, wo ein nete. Diesem Zweck diente auch die verordnete „Ein - neues Getto errichtet wurde. Die nächste Vertreibungswelle deutschung“ jüdischer Personennamen. Eine Gleichstellung ins- folgte schon 1669 unter Kaiser Leopold I., und an der Stelle des besondere im Hinblick auf die Religionsausübung war mit der Gettos entstand die Leopoldstadt. Toleranzgesetzgebung jedoch nicht verbunden. Öffentlicher Gottesdienst blieb den Juden verboten. Diesmal vergingen nur wenige Jahre, bis sich Juden wieder in Wien ansiedeln durften, weil ihre Finanzkraft zur Finanzierung Nach dem Tod Josephs II. wurden neue Beschränkungen für die der Türkenkriege und des Österreichischen Erbfolgekrieges Juden eingeführt, von denen sie erst die Revolution von 1848 benötigt wurde. Bis zur rechtlich verbürgten Toleranz war es befreite. Die „Pillersdorf’sche“ Verfassung gewährte erstmals freilich noch ein weiter Weg: Sie gewährte erst Kaiser Joseph II., allen Staatsbürgern die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit

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ANHANG: DAS JÜDISCHE WIEN

sowie das Recht zur Erwerbung von Grundbesitz, das den Juden Ausständig war noch eine gesetzliche Regelung der äußeren bis dahin grundsätzlich vorenthalten geblieben war, Erwerbs - Rechtsverhältnisse der israelitischen Religionsgesellschaft. freiheit und freien Zugang zu allen Ämtern und Würden. In wei- Dieses Gesetz, das auf dem Prinzip der Einrichtung einheitlicher terer Folge wurden alle Judensteuern aufgehoben. Nach jüdischer Kultusgemeinden mit weitgehender Autonomie Rückschlägen in der Zeit des Neoabsolutismus erlangten die basierte, wurde 1890 beschlossen. Vorangegangen waren aller- Juden aber in der konstitutionellen Monarchie ihre bleibende dings heftige Debatten im Abgeordnetenhaus, in denen sogar rechtliche Gleichstellung. die alten Ritualmordvorwürfe gegenüber den Juden wiederbe- lebt wurden. Erschüttert von den Äußerungen, die in der Plenardebatte gefallen waren, stellte der vom Ausschuss Die Juden und das Parlament gewählte Berichterstatter über den Gesetzentwurf die Frage: Erst mit dem Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte „Sind das Taten der Nächstenliebe?“ Die liberale Ära ging zu der Staatsbürger vom 21. Dezember 1867 wurden alle noch Ende, und ein neuer Antisemitismus machte sich auch im bestehenden Beschränkungen der gleichen staats- und privat- Parlament immer stärker bemerkbar. rechtlichen Stellung der Juden dauerhaft beseitigt. Dieses Staatsgrundgesetz bildete einen Teil der „Dezember - verfassung“, die das von liberalen Politikern dominierte Jüdische Parlamentarier Abgeordneten haus des Reichsrats dem Kaiser als Preis für seine Bereits am Anfang des österreichischen Parlamentarismus stand Zustimmung zu der in Umsetzung des „Ausgleichs“ mit Ungarn in vorderster Front ein jüdischer Parlamentarier: Adolf Fischhof, erforderlichen Gesetzgebung abgerungen hatte. Das Staats - der in der Märzrevolution „der Freiheit eine Gasse“ gebahnt grundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger hatte und daraufhin als einer von vier jüdischen Abgeordneten legte deren Gleichheit vor dem Gesetz ebenso fest wie das Recht in den Reichstag gewählt worden war, wo er der Perma - zu freiem Liegenschaftserwerb und die Erwerbsfreiheit. Es nenzkommission präsidierte und dem Verfassungs ausschuss gewährleistete allen Menschen die Glaubens- und Gewis sens - angehörte. Auch in der weiteren Geschichte des österrei- freiheit ebenso wie allen gesetzlich anerkannten Kirchen und chischen Parlamentarismus haben jüdische Abgeord nete stets Religions gesellschaften das Recht zur gemeinsamen öffent - eine wichtige Rolle gespielt. Unter ihnen befanden sich assimi- lichen Religionsausübung. Die Juden galten in der österrei- lierte Juden, beispielsweise in der deutschliberalen Fraktion chischen Rechtsordnung als Religionsgemeinschaft, nicht als oder im Polenklub. Ebenso gab es am jüdischen Glau ben fest- Volks gruppe. haltende Abgeordnete, die sich als Interessenver treter der

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Juden ihres Wahlkreises verstanden, in den letzten Jahren der das kanonische Zinsverbot untersagt war, und so nahmen die Monarchie und in den ersten der Republik auch solche, die das Juden zum einen eine immer wichtiger werdende Stellung als Anliegen des Zionismus vertraten. Die Reichsrats wahl ordnung „Motor der Wirtschaft“ ein, zogen aber zum anderen auch Neid von 1907 hatte fünf Wahlkreise in Galizien und der Bukowina so und Hass ihrer Schuldner auf sich. Wenn die Vertreibung oder gebildet, dass eine Mehrheit für einen jüdischen Abgeordneten gar Ermordung der Juden von den bei ihnen bestehenden möglich war. Schulden befreien konnte, war der Weg zum Pogrom nicht weit. In der parlamentarischen Präsenz assimilierter Juden hatten die War in der kurzen liberalen Ära der 1860er- und 1870er-Jahre 1880er-Jahre eine Wende gebracht: Als sich unter den Parteien endlich die rechtliche Gleichstellung der Juden erreicht worden, der deutschsprachigen Volksgruppe die maßgebliche Orien- so löste bereits der „Börsenkrach“ von 1873, für den jüdische tierung vom Deutschliberalismus hin zum Deutschnationa - Spekulanten verantwortlich gemacht wurden, neuen Anti- lismus verschob, der den Antisemitismus zum Programm punkt semitismus aus. Während sich der wirtschaftlich motivierte gemacht hatte, und in Wien die christlichsoziale Bewegung ent- Antisemitismus der Christlichsozialen gegen den politischen stand, blieb vielen Juden als größere politische Partei, in der sie und wirtschaftlichen Liberalismus richtete und diesen um die sich engagieren konnten, nur die aufstrebende Sozialdemo - Mitte der 1890er-Jahre in Wien endgültig überwand, begann kratie. sich gleichzeitig immer radikaler der rassische Antisemitismus der Deutschnationalen zu artikulieren. Die ihm zugrunde liegen- de Rassenideologie sollte, wie ein zeitgenössischer Kritiker Antisemitismus in Wien schrieb, einem altertümlichen Vorurteil einen „Schein der Aufgeklärtheit“ und Wissenschaftlichkeit verschaffen. Dies war Ist der Antisemitismus auch ein Phänomen, das sich in Wien das Gedankengut, das der junge Adolf Hitler kennenlernte, als er ebenso wie anderswo in Europa bis ins Mittelalter zurückver- 1907 nach Wien kam. folgen lässt, so haben sich Formen und Argumente doch verändert. Die Entwicklungslinie zieht sich vom religiös über den wirtschaftlich zum rassisch motivierten Antisemitismus. Freilich dürfte das wirtschaftliche Motiv schon frühzeitig auch im Hintergrund eines sich in religiöse Formen kleidenden Antisemitismus gestanden sein: Seit dem 13. Jahrhundert war den Juden das Geldverleihgeschäft eröffnet, das Christen durch

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ANHANG: DAS JÜDISCHE WIEN

Jüdisches Wien – Demografie, Geografie, Soziales in Wien lebenden Juden schwanken für 1848 zwischen 4.000 und 20.000. Bis 1880 war die Zahl der in Wien (ohne Vor- orte) lebenden Juden auf rund 73.000 gestiegen, 1910 hatte Die jüdische Bevölkerungsentwicklung sie rund 175.000 erreicht (mit Vororten). Um die Mitte des 19. Jahr- hunderts lebte weniger als 1 Prozent der Juden der österrei- Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert lebten in der öster- chischen Länder in Wien, 1910 waren es mehr als 13 Prozent; reichisch-ungarischen Monarchie mehr als zwei Millionen der jüdische Bevölkerungsanteil Wiens lag bei fast 9 Prozent. Juden. Im österreichischen Reichsteil bekannten sich 4,7 Prozent der Bevölkerung zur israelitischen Religionsgesellschaft, im ungarischen 4,4 Prozent. Insgesamt dürfte damit fast ein Fünftel der damaligen jüdischen Weltbevölkerung seine Heimat in Die Sozialstruktur der Wiener Juden Österreich-Ungarn gehabt haben. Etwa zwei Drittel der österrei- Eine für das Jahr 1857 angestellte Untersuchung der Sozial- chischen Juden lebten in Galizien, dann folgten zunächst struktur der jüdischen im Vergleich zur christlichen Bevölkerung Böhmen und die Bukowina. Aus Galizien und Böhmen verlegten Wiens zeigt deutliche Unterschiede: Insgesamt erscheint die viele jüdische Familien, nachdem die Niederlassungsfreiheit jüdische Sozialstruktur „moderner“, was speziell für die gewährleistet war, ihren Wohnsitz nach Wien, woraus sich das Berufsstruktur mit ihrer Konzentration auf Handel und Bank- große Wachstum der dortigen jüdischen Bevölkerung erklärt. wesen gilt. Der Anteil an Handwerkern und Dienstboten ist Waren es zunächst oft zu Wohlstand oder sogar Reich- wesentlich niedriger als in der christlichen Bevölkerung. Unter tum gelangte jüdische Familien wie die Familie Epstein, die es den Börsenmaklern übertreffen die Juden die Christen sogar in in die Reichshauptstadt zog, so nahm gegen Ende des absoluten Zahlen. In der Perspektive des Jahres 1857 „modern“ 19. Jahrhunderts die Zahl der armen galizischen Juden stark zu, wirken auch die Familienstrukturen, zum Beispiel der geringere die in Wien bessere wirtschaftliche Chancen erhofften. Anteil Unverheirateter oder der geringere Altersabstand der Ehepaare. Die im Durchschnitt höhere Finanzkraft der Juden Für die Zeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kann die Zahl der kommt in diesen sozialstrukturellen Unterschieden ebenso zum in Wien lebenden Juden nur geschätzt werden, da viele von Ausdruck wie das geringere Maß an zünftischen Bindungen. ihnen die Niederlassungsbeschränkungen zu umgehen ver- mochten. Die Zahl der offiziell „tolerierten“ jüdischen Familien Viele der „tolerierten“ jüdischen Familien hatten schon zu wird für 1787 mit 66 angegeben. Bis zum Jahr 1847 verdreifach- Beginn des 19. Jahrhunderts zur Elite der Wiener Gesellschaft te sie sich auf 197. Die Schätzungen für die Zahl der tatsächlich gezählt. 1821 gab es bereits neun adelige jüdische Familien in

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Wien, deren Nobilitierung wirtschaftlicher Erfolg in Handel und erworbene „Dempfingerhof“ am Katzensteig, der heutigen Bankwesen vorangegangen war. 1836 war die Hälfte der Seitenstettengasse, wurde bereits einige Jahre später abgeris- Direktoren der Oesterreichischen Nationalbank geadelte Juden. sen und durch die von Joseph Kornhäusel architektonisch Diese Funktion sollten später auch Lazar/Leopold Epstein und gestaltete Synagoge ersetzt. Sie besteht bis heute, weil sie als nach ihm sein Sohn Gustav ausüben. Familien wie Arnstein, einzige der Wiener Synagogen das Jahr 1938 unzerstört über- Eskeles, Wertheimer oder Gomperz, ab der Jahrhundertmitte dauert hat. auch Epstein, nahmen im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Mit der Synagoge hatte die jüdische Gemeinde Wiens ihr reprä- und kulturellen Leben Wiens eine führende Rolle ein. An der sentatives geistiges Zentrum gefunden. Als Gemeinde formell Wende zum 20. Jahrhundert hatte sich die Sozialstruktur der anerkannt wurde sie erst nach der Revolution von 1848. In den Wiener Juden gewandelt: Nunmehr dominierten die armen 1860er-Jahren bürgerte sich die Bezeichnung „Kultusgemeinde“ Juden galizischer Herkunft, die oft als Kleinhändler oder ein. Diese wurde zur organisatorischen Drehscheibe für alle jüdi- Handelsangestellte tätig waren. Die durch den Weltkrieg aus- schen Einrichtungen. Dazu zählten neben den Synagogen und gelöste Binnenmigration löste eine letzte große Welle des Bethäusern Spitäler, wie zum Beispiel das von Anselm Salomon Zuzugs galizischer Juden nach Wien aus. Baron Rothschild errichtete Rothschild-Spital am Währinger Gürtel oder das von seinem Sohn Nathaniel gestiftete Jüdische Einrichtungen in Wien Neurologische Krankenhaus am Rosenhügel, aber auch Versorgungseinrichtungen beispielsweise für Blinde und Im Novemberpogrom des Jahres 1938 wurden in Wien mehr als Taubstumme, Altersheime, Waisenhäuser sowie Volks-, Haupt- 80 Synagogen und Bethäuser zerstört, das zeigt, wie groß die und Mittelschulen. Gustav Ritter von Epstein ließ sich als Zahl jüdischer Einrichtungen damals war. Die Anfänge waren Vorstandsmitglied der Kultusgemeinde insbesondere die bescheiden, denn nach der Vertreibung von 1669 hatte keine Waisenpflege angelegen sein. jüdische Gemeinde mehr in Wien bestanden. Die einzigen Einrichtungen waren der jüdische Friedhof in der Rossau und das auf dessen Boden 1698 vom Hofbankier Samuel Oppenheimer errichtete jüdische Spital. Die „tolerierten“ jüdi- Wohnen im jüdischen Wien schen Familien Wiens erhielten 1811 von Kaiser Franz I. die Stadtgeografisch verteilten sich die Wohnsitze der Wiener Erlaubnis zum Erwerb eines Hauses, zur Einrichtung einer Juden keineswegs gleichmäßig. Vielmehr bildeten sie deut- Lehranstalt, eines Bethauses und eines Frauenbades. Der damals lich ausgeprägte „Cluster“ entlang weit zurückreichender

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ANHANG: DAS JÜDISCHE WIEN

Traditionslinien. Die armen Juden, die Kleinhändler, Hausierer 1880er-Jahren – könnte gleichsam ein „virtuelles Adressbuch“ und Klein gewerbetreibenden, insbesondere auch die Zu - von Gustav und Emilie Epstein darstellen. wanderer aus Galizien, lebten konzentriert in der Leopoldstadt, wo im 17. Jahrhundert das Getto bestanden hatte. Der Volksmund sprach spöttisch von der „Mazzesinsel“. Alte jüdi- Zeugnisse des Wiener Judentums sche Siedlungstradition, auf das 16. Jahrhundert zurückgehend, gab es auch in der Rossau. Im späten 19. Jahrhundert siedelten Mehr als 65.000 jüdische Österreicherinnen und Österreicher sich am Alsergrund, schon der Nähe zur neuen Universität sind unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wegen, viele jüdische Gelehrte und Freiberufler an. Die Adresse er mordet worden; über 60.000 von ihnen stammten aus „Berggasse 19“ wurde weltbekannt. Am weitesten zurück ging Wien. Verfolgung, Vertreibung und Ermordung durch die die Tradition jüdischer Wohnsiedlung in der Inneren Stadt, wo Schergen des nationalsozialistischen Regimes haben die um den späteren Judenplatz bereits im 13. Jahrhundert das Tradition der jüdischen Gemeinde Wiens unterbrochen. Nach erste Getto entstand. Die Innere Stadt blieb ein Mittelpunkt 1945 konnte nur langsam wieder daran angeknüpft werden. An das alte Wiener Judentum, insbesondere an seine Blütezeit im jüdischen Wohnens, vor allem für die wohlhabenden und 19. und frühen 20. Jahrhundert, erinnern eindrucksvolle reichen Juden, die die Nähe zum Hof und zu den wirtschaft- Zeugnisse: lichen und gesellschaftlichen Zentren suchten. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts löste sich die Konzentration auf das Viertel um Die jüdischen Friedhöfe: Der älteste erhaltene jüdische die Synagoge in der Seitenstettengasse auf und es bildeten sich • Friedhof befindet sich in der Seegasse in der Rossau. Ab 1783 neue Schwerpunkte, zum Beispiel das „Textilviertel“ um den wurde über ein knappes Jahrhundert der Währinger jüdische Rudolfsplatz. Friedhof benutzt, hier liegt auch das Grab der Familie Epstein. Die reichsten unter den jüdischen Bürgern Wiens, die großteils Im Zuge der Anlage des Zentralfriedhofes wurde beim I. Tor nobilitierten jüdischen Großhändler und Bankiers, errichteten im Jahre 1877 eine jüdische Abteilung eingerichtet, 1916 ihre Palais an der Ringstraße, einige auch im vom Adel geschätz- eine zweite beim IV. Tor. Einer der ersten in der Ehrenreihe ten 4. Bezirk. Hinzu kamen Vorstadtpalais, zum Beispiel in Bestatteten war Gustav Ritter von Epstein. Döbling. Einen Querschnitt durch die Schicht des jüdischen • Die Synagoge: Die von Joseph Kornhäusel in den Jahren 1824 Großbürgertums und Geldadels und die Wohnsitzverteilung der bis 1826 erbaute Synagoge in der Seitenstettengasse 4 ist die wichtigsten Vertreter dieser sozialen Schicht etwa in den erste nach der josephinischen Toleranzgesetzgebung in Wien

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errichtete Synagoge, zugleich auch die einzige noch weiter und der 1867 endlich erreichten rechtlichen Gleichstellung bestehende. 1938 zwar verwüstet, aber nicht zerstört, wird sie schien ihnen eine Chance zu bieten, aufgenommen zu werden. seit 1945 wiederverwendet und lässt trotz baulicher Assimilationsdruck und Assimilationschance gingen Hand in Veränderungen die schlichte Eleganz ihrer Entstehungszeit Hand. Erstrebenswertes Ziel war dabei die Assimilation in die erkennen. Von anderen Synagogen – wie der von Ludwig jeweils dominante ethnische Gruppe: In den ungarischen Förster in der Tempelgasse 3 errichteten – sind nur Gebäude- Ländern waren das die Ungarn, in Galizien die Polen, in den teile erhalten. übrigen österreichischen Ländern die deutschsprachige • Privathäuser: Von den jüdischen Privathäusern stachen Bevölke rung. Auch in einer zweisprachigen Stadt wie Prag fühl- die Palais der zu Reichtum gelangten Großhändler- und ten sich jüdische Familien wie die Familie Epstein daher der Bankiersfamilien hervor. Unter den jüdischen Ringstraßen - deutschen Sprache und Kultur zugehörig, umso mehr in Wien. palais in der Substanz unverändert erhalten ist allein das Palais Das Spektrum jüdischer Identitäten reichte weit – von der tief Epstein. empfundenen und gelebten Verwurzelung im orthodoxen jüdi- schen Glauben bis hin zu radikaler Ablehnung alles Jüdischen, zu einer Form der Assimilation, die in Verleugnung der eigenen Kulturgeschichtliche Bedeutung Wurzeln mündete. Vielfältig waren die Zwischenstufen: des Wiener Judentums verschiedenste Ausprägungen religiöser Überzeugungen und Verhaltensformen zwischen Orthodoxie und Reform, zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit, bis hin zur Indifferenz, ebenso Jüdische Identitäten unterschiedliche Verschränkungen von religiöser, sozialer und Die Suche nach Identität war den Menschen in den letzten sprachlicher bzw. ethnischer Identität. Dies war oft auch im Jahrzehnten des Bestands der österreichisch-ungarischen Laufe eines Lebens mancher Wandlung unterworfen, wie etwa Monarchie nicht fremd. Religiöse und soziale Bindungen waren die Biografie Theodor Herzls zeigt. Der rassische Antisemitismus, aufgebrochen, nationale Bindungen gewannen neue, schärfere auf den Herzl mit der Entwicklung des Zionismus reagierte, zog Konturen. In besonderem Maße waren die Juden mit der Frage schließlich eine Trennlinie, die auch Assimilationsbereitschaft nach ihrer Identität konfrontiert. Während sie allein im länd - nicht überwinden konnte. lichen Galizien in festgefügten dörflichen Gemeinschaften lebten, sahen sie sich überall sonst am Rande einer Gesellschaft. Nur wirtschaftlicher Erfolg im Verein mit josephinischer Toleranz

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ANHANG: DAS JÜDISCHE WIEN

Jüdische Persönlichkeiten haben, gerade zur Jahrhundertwende hin aber auch immer Stefan Zweig entwickelt in der „Welt von Gestern“ ein mehr, die sich ausübend oder fördernd bleibende Verdienste „Drei-Generationen-Modell“ speziell für jüdische Familien- um Künste und Wissenschaften erwarben und Wien zur Kultur - geschich ten: „Im allgemeinen wird angenommen, reich zu wer- metropole des „Fin de Siècle“ machten. den sei das eigentliche und typische Lebensziel eines jüdischen Menschen. Nichts ist falscher. Reich zu werden bedeutet für Berühmte jüdische Familien in Wien ihn nur eine Zwischenstufe, ein Mittel zum wahren Zweck und keineswegs das innere Ziel. Der eigentliche Wille des Juden, Als 1873 der „Börsenkrach“ der gründerzeitlichen Hausse ein sein immanentes Ideal, ist der Aufstieg ins Geistige, in eine Ende setzte, waren unter den 16 Börseräten der Wiener Börse höhere kulturelle Schicht ... Darum ist auch fast immer im Juden - neun Juden. Einer von ihnen war Gustav Ritter von Epstein, die tum der Drang nach Reichtum in zwei, höchstens drei übrigen gehörten anderen bedeutenden jüdischen Familien an, Generationen innerhalb einer Familie erschöpft, und gerade die die in Bankwesen und Handel eine führende Rolle spielten. mächtigsten Dynastien finden ihre Söhne unwillig, die Banken, Äußerlich sichtbares Zeichen des wirtschaftlichen Erfolges und die Fabriken, die ausgebauten und warmen Geschäfte ihrer des mit ihm einhergehenden Eintrittes in die gesellschaftliche Väter zu übernehmen.“ Elite war in der Regel die Nobilitierung, die Gustav Ritter von Epstein 1866 zuteil geworden war. Lag der Anteil der Juden Die Familie Epstein ist ein Prototyp für diese These: Gustav, der unter den Nobilitierten im gesamten Zeitraum von 1701 bis Enkel Israels, der den wirtschaftlichen Aufstieg der Familie 1918 mit 4,3 Prozent (450 von 10.414) nur geringfügig unter begründet, und Sohn von Lazar/Leopold, der den Aufstieg voll- dem Bevölkerungsanteil, so war er gerade in der Gründerzeit endet hatte, begeisterte sich für die Künste und engagierte sich deutlich höher. Die erste Nobilitierung eines ungetauften Juden in Wohltätigkeit, übernahm aber das Geschäft mit wenig war erst durch Joseph II. im Jahre 1789 erfolgt. Mehr als zwei Enthusiasmus. Familien wie Gomperz, Lieben oder Wittgenstein Drittel der in den Adelsstand erhobenen Juden waren Bankiers, weisen in ihrer Familiengeschichte verwandte Muster auf, Großhändler und Fabrikanten. Zu den geadelten Familien zähl- geprägt von der Verlagerung des Interessenschwerpunkts von ten Arnstein, Auspitz, Biedermann, Boschan, Ephrussi, Epstein, der Wirtschaft über die Kultur bis zur Wissenschaft. Unter den Eskeles, Goldberger, Goldschmidt, Gomperz, Gutmann, Kaan, herausragenden jüdischen Persönlichkeiten Österreichs im 19. Königswarter, Lieben, Löwenthal, Mauthner, Minkus, Oppen - und frühen 20. Jahrhundert finden sich viele Menschen, die der heimer, Pereira, Rothschild, Schey, Springer, Taussig, Todesco, wirtschaftlichen Entwicklung entscheidende Impulse verliehen Wertheim, Wertheimer und Wodianer.

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86 der 115 geadelten jüdischen Familien Wiens sind später zum Heldenplatz hatte er freie Sicht auf die Hofburg. Weniger auffäl- Christentum übergetreten. Gerade in der gesellschaftlichen Elite lig, aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft zum Burggarten, schien die Assimilation besonders attraktiv zu sein. Oft war es aber ebenso prominent ist die Lage des Palais Schey, das der mit die Verschwägerung mit christlichen Familien, die den letzten Gustav Ritter von Epstein persönlich und geschäftlich verbun- Anstoß zur Konversion gab. In Wien scheint jedoch die dene Friedrich Baron Schey von den gefragten Ringstraßen- Assimilationschance ebenso als überdurchschnittlich groß emp- archi tekten Johann Romano und August Schwendenwein funden worden zu sein wie der Assimilationsdruck: Von 1891 bis erbauen ließ. Sie waren auch für die Ausführung des Palais des 1914 sind in Wien mehr als 12.000 Menschen aus der Israe liti - Bankiers und Präsidenten der Kultusgemeinde Jonas Ritter von schen Kultusgemeinde ausgetreten. Königs warter am Kärntner Ring verantwortlich. Der Architekt des Palais Epstein wiederum, Theophil Hansen, zeichnete auch für das Palais Ephrussi und gemeinsam mit Ludwig Förster Juden als Bauherren für das Palais Todesco verantwortlich, ein anderer der großen Ringstraßen architekten, Heinrich Ferstel, für das Palais Erst die Aufhebung der Beschränkungen in der Immobilien- Wertheim. Die jüdischen Bauherren trugen wesentlich dazu bei, besitzfähigkeit ließ ab 1848 Juden zu Bauherren werden. Durch der Ringstraße ihr bis heute markantes Gesicht zu verleihen. Errichtung repräsentativer Wohnbauten konnten sie nicht nur eine ihrer neuen gesellschaftlichen Stellung entsprechende Wohnumgebung, sondern auch architektonische Denkmäler Jüdisches Mäzenatentum schaffen. Bis dahin hatten sie zwar Fabriken errichten dürfen, Zu den glanzvollsten Salons der Ära des Wiener Kongresses nicht aber Wohnhäuser, und wenn ihnen ein hypothekarisch zählte jener der Baronin Fanny Arnstein, Gemahlin eines reichen belehntes Gebäude zufiel, so mussten sie es wieder verkaufen. jüdischen Bankiers. Christen und Juden, Adelige und Groß- Mit der Freiheit zum Erwerb von Immobilien fiel die Anlage der bürger, Diplomaten und Politiker trafen hier auf Dichter und Wiener Ringstraße zusammen. So überrascht es nicht, dass die Musiker wie die Schlegels, Varnhagen, Körner oder den jungen bedeutendsten jüdischen Familien Wiens ihre Palais an dem Meyerbeer. Hatten Arnstein und sein Kompagnon Eskeles zu neuen Prachtboulevard erbauen ließen. Die beiden vermutlich den herausragenden Vertretern der „tolerierten“ Juden Wiens in teuersten, weil der Hofburg am nächsten gelegenen Bauplätze den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gezählt, so ermög- an der Ringstraße wurden von Juden erworben: Gustav Ritter lichte es die freiere Atmosphäre nach 1848 den reichen Wiener von Epstein errichtete sein Palais nächst der Bellaria; über den Juden umso mehr, ihre Salons zu Mittelpunkten des

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ANHANG: DAS JÜDISCHE WIEN

gesellschaftlichen und kulturellen Lebens zu machen, insbeson- Exkurs dere durch das noch repräsentativere Ambiente der neuen Palais. Geprägt wurden diese Salons von den Gastgeberinnen wie Josephine von Wertheimstein, Sophie Baronin Todesco oder Informationen zu gesetzlich anerkannten Kirchen- und Reli - Emilie von Epstein. gionsgemeinschaften sowie zu staatlich eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaften sind auf der Website des Die jüdischen Bankiers, Großhändler und Industriellen förderten Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur (Kultus- das Wiener Kulturleben durch großzügige Spenden an alle kul- amt) zu finden: turellen Einrichtungen. Ohne die Beiträge von Juden wie Gustav Ritter von Epstein hätte weder das Musikvereinsgebäude erbaut http://www.bmukk.gv.at/ministerium/kultusamt/ noch das Museum für Kunst und Industrie, das heutige Museum Gesetzlich_anerkannte_Ki5433.xml für angewandte Kunst, eingerichtet werden können. Häufig bil- dete die Spendenbereitschaft das Bindeglied zwischen Liebe zur Kunst und Wohltätigkeit, wenn etwa künstlerische Veranstal- tungen für wohltätige Zwecke ausgerichtet wurden. Der nach- malige Wiener Oberrabbiner Moritz Güdemann berichtet zum Beispiel von „lebenden Bildern“ mit Musik im Hause Todesco, die 40.000 Gulden (in heutiger Währung kaufkraftmäßig rund 400.000 Euro) für das jüdische Taubstummeninstitut einbrach- ten. Er schreibt: „Ich selbst hatte nur einen Stehplatz am Eingang des Saales erwischt, aber hinter mir stand noch Gustav Epstein, einer der wichtigsten Wiener Bankiers ...“ Der sich so bescheiden im Hintergrund hielt, zählte stets zu den großzügigsten Mäzenen der Kunst und Spendern für die Wohlfahrt.

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Weiterführende Literatur aus der Parlamentsbibliothek

Palais Epstein, Ringstraße Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte Bernhard, Marianne: Zeitwende im Kaiserreich. Die Wiener Baltzarek, Franz et al.: Wirtschaft und Gesellschaft der Wiener Ringstraße: Architektur & Gesellschaft 1858–1906. Verlag Ringstrasse. Verlag Steiner, Wiesbaden 1975. Signatur der Kremayr & Scheriau, Wien 1993. Signatur der Parlaments- Parlamentsbibliothek: I-2.159/5. biblio thek: 51.769 Bruckmüller, Ernst: Sozialgeschichte Österreichs. Verlag Dmytrasz, Barbara: Die Ringstraße. Eine europäische Bauidee. Oldenbourg, Wien 2001. Signatur der Parlamentsbibliothek Amalthea Verlag, Wien 2008. Signatur der Parlamentsbibliothek: 48.122,2.A 73.950 Johnston, William M.: Österreichische Kultur- und Geistes - Hamann, Brigitte et al.: Die Geschichte des Palais Epstein: geschichte: Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848–1938. Geschichte, Restaurierung, Umbau. Verlag Löcker, Wien 2005. Böhlau Verlag, Wien 2006. Signatur der Parlamentsbibliothek: Signatur der Parlamentsbibliothek: 70.012 71.359,4.A Hamann, Brigitte: Das Palais Epstein im Lauf der Geschichte, in: Lichtenberger, Elisabeth: Wirtschaftsfunktion und Sozialstruktur Forum Parlament 2/2005. Signatur der Parlamentsbibliothek: der Wiener Ringstrasse. Böhlau Verlag, Wien 1970. Signatur der I-5.534/B, 2005,2 Parlamentsbibliothek: I-2.159/2 Schwarz, Otto: Hinter den Fassaden der Ringstraße: Geschichten – Menschen – Geheimnisse. Amalthea Verlag, Wien 2007. Signatur der Parlamentsbibliothek: 73.040 Springer, Elisabeth: Geschichte und Kulturleben der Wiener Ringstrasse. Verlag Steiner, Wiesbaden 1979. Signatur der Parlamentsbibliothek: I-2.159/2

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ANHANG: WEITERFÜHRENDE LITERATUR AUS DER PARLAMENTSBIBLIOTHEK

Kaiser Franz Joseph I., Habsburgermonarchie Geschichte Österreichs, Geschichte Wiens Csendes, Peter [Hrsg.]: Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs I.: Bled, Jean-Paul: Wien: Residenz – Metropole – Hauptstadt. Österreich 1848–1918 [das Tagebuch einer Epoche]. Verlag Böhlau Verlag, Wien 2002. Signatur der Parlamentsbibliothek: Kremayr & Scheriau, Wien 1991. Signatur der Parlaments- 64.465 bibliothek: 65.478 Sachslehner, Johannes: Wien: eine Geschichte der Stadt. Styria Drimmel, Heinrich: Franz Joseph: Biographie einer Epoche. Verlag, 2006. Signatur der Parlamentsbibliothek: 70.260 Amalthea Verlag, Wien 1992. Signatur der Parlamentsbibliothek: Vocelka, Karl: Geschichte Österreichs: Kultur – Gesellschaft – 51.699,3.A Politik. Styria Verlag, Graz 2000. Parlamentsbibliothek: 62.033 Wandruszka, Adam et al. [Hrsg]: Die Habsburgermonarchie 1848–1918. [8 Bände]. Wien: VÖAW. Signatur der Parlaments - bibliothek: I-2.083

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Impressum: Herausgeber: Parlamentsdirektion Wien Redaktion und internes Lektorat: Maria-Luise Janota und Martha Giefing Druck: Ueberreuter, Korneuburg Grafische Gestaltung: Bernhard Kollmann Lektorat: Christa Hanten Erste Auflage 2009 ISBN: 3-901991-16-6

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www.parlament.gv.at