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SWR2 Musikstunde

„Himmelstürmer Herzensbrecher – Eugen d´Albert zum 150sten Geburtstag“

„Der letzte Vorhang“ (5)

Von Jörg Lengersdorf

Sendung: Freitag, 11. April 2014 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Ulla Zierau

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Im Jahre 1904 muss Eugen d´Albert feststellen, daß seine Oper Tiefland immer noch bleischwer in den Regalen liegt. Konnte d´Albert vorher darauf hoffen, seinen Lebensunterhalt nur noch als Opernkomponist bestreiten zu können, muss er jetzt feststellen, dass er auf seine Einnahmen als Klaviersolist auf absehbare Zeit nicht wird verzichten können. Als Pianist ist er längst, was er als Tonsetzer noch werden will: unumstritten an der Spitze. 1904 geht Eugen d´Albert mit Frau Hermine auf Konzertreise durch Nordamerika. Die Reise entpuppt sich allerdings einmal mehr als Fiasko. Eugen hasst die vermeintlich dummen Fragen der Klatschreporter in den USA, auf Dinnerparties von millionenschweren Kunstmäzenen bekommt er Migräneanfälle.

Zu allem Überfluss fühlt d´Albert sich zudem als Künstler nicht ausreichend ernst genommen. Um einem New Yorker Klavierabend mehr Publicity zu ermöglichen, stellt der Veranstalter ihm den belgischen Geiger Eugene Ysaye als Stargast an die Seite. Offenbar erwartet das New Yorker Publikum Zirkusnummern mit Klavierbegleitung. Die wenig schmeichelhafte Kritik des Abends vom 25. Januar 1905 findet man noch heute in den Archiven der New York Times…

Musik 1, 3.40 Eugene Ysaye Ausschnitt aus: Paganini Variations Laurent Korcia, Violine Haruko Ueda, Klavier Werke von Kreisler, Ysaye, Paganini Naive V5344 82218605344 LC00540

Laurent Korcia und Haruko Ueda mit einem Ausschnitt aus den höllisch schweren Paganini Variationen für Violine und Klavier von Eugene Ysaye. Als der Supervirtuose Ysaye mit Eugen d´Albert 1905 in New York auftritt, da stehen die beiden Speerspitzen der virtuosen europäischen Instrumentalmusik gemeinsam vor amerikanischem Publikum. Beide gelten als die Besten ihres jeweiligen Fachs – trotzdem schreibt die Presse am nächsten Tag, Ysaye habe gekratzt und d´Albert zu viele falsche Töne produziert. 3

Beides klingt glaubhaft, Ysaye trinkt häufig ein Gläschen zuviel, und an Eugens Spiel wird ja tatsächlich mit zunehmendem Alter eine wachsende Nachlässigkeit bemängelt. Dann bricht Eugen einen Presseskandal vom Zaun, weil er amerikanischen Kritikern in einer Zeitungserklärung Bestechlichkeit unterstellt.

Die Wogen gehen hoch, so hoch, dass Eugen wegen angeblicher übler Nachrede juristische Konsequenzen befürchten muss. Fluchtartig reist das Ehepaar d´Albert mitten in der Tournee ab, heim nach Europa.

Tennisspielen, Studienreisen, nicht zuletzt die Arbeit an gleich zwei neuen Opern – wie immer sucht Eugen nach Niederlagen neue Ziele, als ihn eine alte Geschichte einholt, aber auf erfreulichste Art und Weise.

Musik 2, 0.58min Eugen d´Albert Der Zirkus kommt aus: 5 Stücke op. 32 Piers Lane Helios CDH55411 LC07533

Piers Lane mit einer Miniatur Eugen d´Alberts: der Zirkus kommt. Im Oktober 1907 wird Tiefland, die bislang eher schwerverkäufliche Oper, in Berlin inszeniert. Eine Zäsur im Leben d´Alberts, obwohl das Stück ja bereits Jahre alt ist. Die neue Berliner Aufführung wird ein Triumph, die Presse überschlägt sich ganz unerwartet, von jetzt an ist der Siegeszug des Werks nicht mehr aufzuhalten.

„So laut und einmütig war der Beifall, wie ich es in meiner zehnjährigen Rezensententätigkeit nicht erlebt habe“, das schreibt ein Journalist des Berliner Tagesspiegels. „Ich kenne kein Werk, abgesehen von den Wagnerschen Dramen,, das mich so gepackt und hingerissen hat“ schreibt die Nationalzeitung. „Das Publikum raste, es raste, wie ich es noch nie bei einer Premiere erlebt habe…“ schreibt die Vossische Zeitung. Der Berliner Lokalanzeiger nimmt hellsichtig die Zukunft vorweg, als er der Oper „Tiefland“ einen langen Siegeslauf prophezeit.

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Tatsächlich wird Tiefland mit etwas Verspätung die meistgespielte Oper der kommenden Saisons in Deutschland, weit vor Bizets Carmen, vor Wagners Dramen, vor Puccini, vor Leoncavallo, vor Mascagni. Die Kollegen Richard Strauss und Engelbert Humperdinck dürften vor Neid erblassen. Eugen d´Albert könnte ab 1907 allein mit den Einnahmen aus Tiefland bis zum Lebensende ein reicher Mann bleiben. Wenn da nicht die zukünftigen und zahlreichen Exfrauen wären. Auch Hermine d´Albert darf sich bald dazuzählen, als Eugen 1909 ausgerechnet eine Affäre beginnt mit einer Frau, in die sich auch sein Sohn Wolfgang verliebt hat…

Musik 3, 5.58min d'Albert, Eugen Textdichter/Übersetzer: Ewers, Hanns Heinz (1871-1943) {Oper in 1 Vorspiel und 1 Akt} Vorspiel Orchester: Dresdner Philharmonie Chor: Philharmonischer Chor Dresden Labelcode: 08492 Labelname: cpo Bestellnummer: 999692-2

1909 lernt Eugen d´Albert die legendäre Salonlöwin Ida Fulda kennen, die geschiedene Frau des Dichters Ludwig Fulda. Ausgerechnet Ehefrau Hermine sorgt für das erste Treffen der beiden, welches das Ende ihrer Beziehung zu Eugen einläuten wird.

Ida ist elegant und wortgewandt, gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen und sich ihrer Wirkung auf Männer ausgesprochen sicher. Ihr Exmann Ludwig Fulda hat ihr zu ihrem Verdruss ein sprichwörtlich gewordenes Bonmot angeheftet, das ihre Person sicher nicht ganz unzutreffend umschreibt: Ida Fulda gilt als, Zitat Ludwig Fulda, „wunderschöne Landschaft mit schlechtem Klima“. Eugen beginnt, zunächst noch von Hermine stillschweigend geduldet, eine heftige Affäre mit der Frau. Nicht zuletzt, um seinen eigenen Sohn als Nebenbuhler auszuschalten, der angeblich ebenfalls eine Affäre mit ihr hat, lässt sich Eugen schließlich von Hermine scheiden um Ida zu heiraten, Ehefrau Nummer 4. Der eifersüchtige Sohn Wolfgang ist am Boden zerstört, verfällt in tiefe Depressionen. 5

Ida nun sieht sich an Eugens Seite vor allem als Gastgeberin glamouröser Salons, eine Rolle, die ihm selten behagt… obwohl: in der nächsten Aufnahme hört man Eugen d´Albert selbst am Klavier auf einer Party, wo ihn das Gelächter der Umstehenden zu einer Zugabe bewegt…

Musik 4, 1.18min Eugene Goossens „The Puch and Judy Show“ Eugen d`Albert, Klavier Privataufnahme von einer Party um 1910

Eugen d´Albert spielt auf einer leider nicht näher definierten Party ein witziges Stück des britischen Komponisten Eugene Ainsley Goossens, erntet Lachen und spielt nochmal schneller. Ähnlich fröhlich darf man sich möglicherweise auch die Feste vorstellen, welche Ida d´Albert zu geben gewohnt ist. Sie ist in vielerlei Hinsicht eine echte Exzentrikerin, sie nimmt mit Eugen an spiritistischen Sitzungen teil und macht auch schon mal theatralische Szenen, wenn sie in der Öffentlichkeit aus Wut Champagnergläser in ihrer bloßen Hand zerdrückt, um anschließend mit großem Bahnhof ins Krankenhaus gebracht zu werden. Da Eugen in Idas Gesellschaft zunehmend jene Ruhe vermisst, die er zum arbeiten braucht, ist sein ursprüngliches Feuer für Ehefrau Nummer vier schnell erloschen. Während eines lautstarken Streits im Wiener Stadtbahnzug droht Ida Eugen, aus dem fahrenden Wagen zu springen. Eugen kommentiert kühl: „Bitte“. Ida springt, bricht sich ein Bein und zertrümmert gleichzeitig den letzten funktionierenden Eherest. Eugen leitet einmal mehr die Scheidung ein, Exfrau Hermine hilft beim Ausfüllen der Papiere, vielleicht hofft sie auf eine Renaissance der alten Beziehung, vergeblich… Eugen heiratet eine weitere, jüngere Frau, Gattin Nummer 5.

Indessen arbeitet Eugen an jener neuen Oper „die toten Augen“ Die Handlung in Kürze: Die blinde Jüdin Myrtocle, glücklich verheiratet, erhält durch ein Wunder ihr Augenlicht. Sehend ist Myrtocle dann aber von der Hässlichkeit ihres verwachsenen Mannes so sehr enttäuscht, dass sie so lange in die Sonne starrt, bis sie wieder erblindet.

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Musik 5, 2.45min d'Albert, Eugen Textdichter/Übersetzer: Ewers, Hanns Heinz (1871-1943) Die toten Augen {Oper in 1 Vorspiel und 1 Akt} Arie der Myrtocle aus dem 1. Akt Schellenberger, Dagmar Orchester: Dresdner Philharmonie Labelcode: 08492 cpo Bestellnummer: 999692-2

Dagmar Schellenberger begleitet von der Dresdner Philharmonie mit der Arie der Myrtocle aus dem ersten Akt der „toten Augen“ von Eugen d´Albert, einer der wenigen d´Albert Opern neben Tiefland, die heute noch sporadisch aufgeführt werden. Die zeitgenössiche Kritik hat einiges am holprigen Textbuch auszusetzen, aber wenig an der Musik, wie so häufig wird die tatsächlich fantastische Instrumentation d´Alberts hervorgehoben. Zur Genugtuung seiner Gegner hat er sich inzwischen vom italienischen Verismo wieder entfernt. Ein jüdischer Mythos, gekleidet in eine Art deutschen Impressionismus – einmal mehr hat der suchende d`Albert eine neue Sprache gefunden. 1916, während des ersten Weltkriegs, wird das Werk in Dresden aus der Taufe gehoben. Eugen steht mit dem Herzen erklärtermaßen auf deutscher Seite. Bei Konzerten in Berlin oder Weimar wundert sich Eugen in Briefen ausdrücklich darüber, wie das deutsche Kulturleben selbst im Krieg mit äußerster Präzision weitergeführt wird. Aus Berlin schreibt er nach Haus: „Hier geht alles ruhig weiter… das sollten unsere Feinde sehen…“

Musik 6, 2.26 Präludium BWV541 J. S. Bach, Bearb. D´Albert Piers Lane, Klavier Hyperion CDA67709 LC07533

Piers Lane mit Eugen d´Alberts Klavierbearbeitung des Präludiums BWV 541. Ehefrau Nummer 5, Friederike alias Fritzi d´Albert ist nach der exaltierten Lebensabschnittsgefährtin Ida wieder eine Frau, die Eugen beruflich den Rücken freihält. Eine Partnerin, „endlich jung und unverwöhnt“, wie Biografin Charlotte Pangels die Neue charakterisiert. Für Eugen lernt sie Stenografieren, schreibt in Schönschrift seine 7 diktierten Briefe, um des Künstlers empfindliche Augen zu schonen und stickt Monogramme in seine Taschentücher.

Dennoch ist auch dieser Ehe Nummer 5 keine Dauer beschieden. Während des Weltkriegs kriselt die Beziehung, die Partner sehen sich kaum. Eugens Erfolg als Dirigent, Pianist und Komponist ist inzwischen so groß, daß er sich beständig auf Reisen befindet, selbst die letzten Kriegsmonate scheinen wenig Einfluss auf seinen Berufsalltag zu nehmen, auch wenn ihn die deutsche Niederlage empfindlich schmerzt.

Nach dem Krieg kommt es zu einer Aussprache, das Paar hat sich auch wegen der zwei gemeinsamen Kinder gerade noch einmal zusammengerauft, als Eugen wenig später seiner Fritzi erklärt, er habe gerade endlich die wahre Frau seines Lebens getroffen, er werde sich scheiden lassen – zum fünften Mal, und wieder heiraten, zum sechsten Mal.

Musik 7, 1.42min Eugen d´Albert Falters Flammentod aus: 5 Stücke op. 32 Piers Lane Helios CDH55411 LC07533

Piers Lane mit „Falters Flammentod“, einem Stück, das Eugen d´Albert Anfang der zwanziger Jahre komponiert, und das bereits eine neue Richtung in seinem Schaffen weist. Mit Harmonie geht er, der große Romantiker, Sohn eines Glasgower Tanzmusikers, jetzt entschieden freier um, man vermeint französische Einflüsse zu hören und nicht zuletzt zumindest einen Fingerzeig in Richtung Atonalität. Interpret und d´Albert Spezialist Piers Lane bemerkt dazu augenzwinkernd in einem Aufsatz: „näher als in diesem winzigen Stück konnte d´Albert beim besten Willen nicht an Schönberg heran.“ Die harmonisch ambitionierteste Oper Eugen d´Alberts ist sicher der 1923 entstandene „Golem“, auch wenn der Komponist ja bereits in seinen „toten Augen“ Inspirationen im musikalischen Impressionismus gesucht hatte. D´Albert ist ein Bewunderer der Musik Debussys, dennoch durfte man ihn bis jetzt doch eher als einen erklärten Konservativen bezeichnen. Im „Golem“ nimmt d´Albert erstmals in einer Oper behutsamen Kontakt mit der Tonsprache der deutschen Moderne 8 auf. Um die gleiche Zeit wie der „Golem“ entsteht beispielsweise Alban Bergs Wozzeck. Direkte Verwandtschaften gibt es keine, aber d´Albert hat hörbar von der neuen Zeit gekostet.

Musik 8, 1.44min Eugen d´Albert Vorspiel zu „der Golem“ Beethoven Orchester Bonn Stefan Blunier MDG 9371637-6 LC 06768

Das Beethovenorchester Bonn unter Stefan Blunier mit dem Vorspiel zu Eugen d´Alberts drittletzter Oper „Der Golem“. Die Initialzündung zur Komposition dieser Oper zeitigte eine der schrägsten Anekdoten im Leben Eugen d´Alberts. Angeblich bringt ihn eine hellseherisch begabte Frau mit künstlerischen Visionen auf den Gedanken, eine mystische Oper zu schreiben. Diese Frau heisst Margit Labouchere, scheint der Typus steinreiche gelangweilte Bürgersfrau zu sein, und hat am 5. April 1923 eine geisterhafte Erscheinung. Eine Stimme diktiert ihr in dieser Nacht einen Brief, in dem sie den ihr bislang völlig unbekannten Eugen d´Albert um eine Unterredung bittet, Zitat: „Meister, ich muss Sie sehen, eine Macht, die über mir ist, zwingt mich, ich gehorche“ Die unwiderstehliche Macht, welche Margit Labouchere diesen Brief schreiben lässt, diktiert ihr dann auch noch die Adresse des Hotels, in dem Eugen sich gerade aufhält. Der bekommt das knappe Billet zum Frühstück und wittert ein aufregendes Abenteuer.

Das alles ist kaum zu fassen, und zum Verständnis der weiteren Handlung sei gesagt, dass Eugen d´Albert tatsächlich seit seiner Ehe mit Ida mit okkulten Praktiken vertraut ist. Er glaubt die Geschichte vielleicht wirklich, ist möglicherweise auch neugierig und besucht die hellsichtige Margit Labouchere am nächsten Tag in ihrem Hotel. Die öffnet die Tür und erklärt Eugen: „Meister, ich habe die Zukunft gesehen, sie müssen eine Oper schreiben, der Geist befielt es…“ Unnötig, zu erwähnen, dass Eugen eine Affäre mit der Frau beginnt.

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Musik 9, 3.21min Eugen d´Albert Schlussszene aus „der Golem“ Beethoven Orchester Bonn, Alfred Reiter, Stefan Blunier MDG 9371637-6 LC 06768

Alfred Reiter, Bass, als Rabbi Löw, kabbalistischer Gelehrter, der Leben aus Lehm zeugen kann, und der seine eigene monströse Schöpfung schließlich zerstören muss. Die Schlussszene, „Ruhe auch Du, Golem“, aus Eugen d´Alberts Oper, das Beethovenorchester Bonn wurde hier geleitet von Stefan Blunier.

„An Isis“ steht als Widmung über der Opernpartitur, wie die ägyptische Göttin nennt sich Eugen d´Alberts Geliebte Margit Labouchere, welche nach ihrem eigenen Empfinden die Golem Oper maßgeblich inspiriert hat. Dass Eugens sechste und letzte Ehefrau Hilde die Geschichte mit den okkulten Eingebungen der Geliebten, ohne die Eugen angeblich nicht arbeiten kann, nicht glaubt, versteht sich von selbst.

Lange Freude hat Eugen d´Albert indes weder an seiner Geliebten noch an seiner neuen Oper. Der Golem wird allenfalls ein Achtungserfolg, Margit Laboucheres Visionen von der Unsterblichkeit, welche d´Albert vor allem mit dieser Oper erlangen werde, erweisen sich als eher kurzsichtig, zu düster, zu spröde, zu wenig spektakulär ist jene Oper im Vergleich zu „Tiefland“. Einmal mehr sucht Eugen jetzt nach neuen künstlerischen Inspirationsquellen, und die findet er, der Amerikahasser, ausgerechnet in Blues und Ragtime…

Musik 10, 2.00min Eugen d´Albert Missie-Massa aus: 5 Stücke op. 32 Piers Lane Helios CDH55411 LC07533

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Auf einen langsamen Blues folgt: „In Dixieland I take my Stand…“ Auch ein solches Thema findet Eingang in Eugen d´Alberts Werk. Alma Mahler, Franz Werfel und der gute Freund Gerhart Hauptmann wussten zu berichten, daß Eugen d´Albert der amerikanischen Populärkultur ausgesprochen skeptisch gegenüberstand. In Gesellschaft wird der betrunkene d´Albert eines Tages regelrecht die Beherrschung verlieren, als Franz Werfel es wagt, das Wort Hollywood auch nur in den Mund zu nehmen. Dennoch betritt Eugen d´Albert kurz vor seinem Lebensende noch einmal ein neues, ein amerikanisches Experimentierfeld: Jazz. Oder vielmehr: er verwertet das, was man in Europa vom Jazz weiß.

1927 bringt Komponist Ernst Krenek eine turbulente Jazzoper auf die Bühne: Jonny spielt auf. Diese Oper macht den Jazz nachhaltig für die europäische Moderne fruchtbar. Und: das Werk wird ein Hit, mit unzähligen Aufführungen schon in der ersten Spielzeit. Der nach mehreren Opernenttäuschungen erfolgshungrige Eugen d´Albert fühlt sich von „Jonny spielt auf“ unter Druck und macht sich für das eigene Projekt einer Jazzoper an die Geschichte des Gentleman Einbrechers „schwarze Orchidee“.

Musik 11, 1.32 Massenszene aus: Die schwarze Orchidee Eugen d´Albert Nikola Davis – Jimmy, der Diener Sally du Randt – Lady Grace Chor und Orchester des Theaters Augsburg Rudolf Pielmayer Label Theater Augsburg LC02379

Eine echte Wiederentdeckung machte 2003 das Theater Augsburg mit dieser Neuauflage von Eugen d´Alberts „Schwarze Orchidee“. „Oh Gott, wie bunt, wie kindisch, die neue Welt…“ so heißt es im Text dieser Szene aus Eugen d´Alberts Jazzoper, die 1928 in Leipzig erstmals auf die Bühne kommt, und zumindest dem Publikum gefällt. Die Kritik reagiert kühler, findet in Eugens jüngster Schöpfung wenig Originelles, zu sehr scheint die schwarze Orchidee allenfalls ein Abklatsch der grelleren Oper „Jonny spielt auf“ von Ernst Krenek zu sein. Zudem trifft auch hier wieder ein Vorwurf, den man vielen der 11 einundzwanzig Opern von Eugen d´Albert machen kann: zu harmlos wirkt das Libretto, es fehlt dramatische Tiefe, eben jene fesselnde Spannung, wie sie von allen seinen Schöpfungen wohl nur „Tiefland“ auf die Bühne gebracht hat. Ausserdem führt die Jazzoper zum Bruch mit Eugens neuester Gefährtin. Die übersinnlich begabte Margit Labouchere, genannt Isis, Muse und Inspirationsquell d´Alberts, ist empört von der Vulgarität des Stoffes der „schwarzen Orchidee“. Zitat Margit: „D´Albert verlässt die hohe, ernste Richtung. Ich gehe diesen Weg nicht mit, ich ziehe mich zurück!“

Eugen kommentiert das Zerwürfnis kurz vor seinem Lebensende in einem Brief wie folgt: „Endlich bin ich Weiberfeind, Ich habe zu sehr durch die Frauen gelitten!“ Noch vier Jahre hat Eugen d´Albert 1928 zu leben, zum Weiberfeind wird er dennoch nicht langfristig, einmal wird er sich noch verlieben.

Musik 12, 4.33 Präludium (Fantasia) BWV 537 Johann Sebastian Bach Bearb.: Eugen d´Albert Piers Lane, Klavier Hyperion CDA67709 LC07533

Die Fantasia BWV537 in der Bearbeitung von Eugen d´Albert, Piers Lane, Klavier. Einen Opernerfolg darf Eugen d´Albert in seinen letzten Lebensjahren nicht mehr verbuchen, seine vorletzte Bühnenschöpfung „Die Witwe von Ephesus“ wird erst gar nicht aufgeführt, die allerletzte Oper „Mister Wu“ bleibt unvollendet.

Es dürfte kaum einen Komponisten geben, der stilistisch so vielseitig komponiert hat wie Eugen d´Albert. Der Erfolg von „Tiefland“ aber bleibt singulär, bis heute. Eine Lieblingsoper ausgerechnet von Adolf Hitler. Davon ahnt d´Albert vor seinem Tod 1932 allerdings noch nichts. Und das Ende kommt schnell. Sein Herz ist angegriffen. Seine letzten Monate verbringt er verbittert in Riga, einem Scheidungsparadies für ehemüde Männer. Hier versucht er wegen der günstigen Rigaer Rechtslage, sich 12 von Ehefrau Nummer 6 scheiden zu lassen, um seine letzte Geliebte, das Kindermädchen Virginia Zanetti, endlich heiraten zu können. Das deutsche Scheidungsrecht erlaubt Scheidungen nur in begrenzter Stückzahl. Ehe Nummer 7 bleibt Eugen d´Albert bis zum Tode versagt.

Musik 13, auf Schluss Eugen d´Albert Symphonisches Vorspiel zu „Tiefland“, op. 34 MDR Sinfonieorchester Leipzig Jun Märkl Naxos 8572805 LC 05537