Research Collection

Doctoral Thesis

Konstruktionen von Ambiente Wohnungsbau von Luigi Caccia Dominioni in Mailand, 1945-1970

Author(s): Mosayebi, Elli

Publication Date: 2014

Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-010290401

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ETH Library

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Dank Wie stets bei einer solchen Forschungsarbeit tragen im Hintergrund eine Vielzahl von Personen zum Gelingen bei. Ihnen allen gilt mein ganz herzlicher Dank: an allererster Stelle meinem Doktorvater Ákos Moravánszky für die zahlreichen anregenden und kritischen Gespräche, bei denen ich viel lernen durfte, und meinem Korreferenten Markus Peter für seine motivierenden und erhellenden Kommentare.

Luigi Caccia Dominioni und seine Familie haben in grosszügiger Bereitschaft ihr Archiv geöffnet und wichtige Kontakte vermittelt. Eine unverzichtbare Stütze war Antonio Caccia Dominioni, der meine Anliegen gegenüber der Familie zu vertreten wusste. Ohne das Wohlwollen der Bauherren, Bewohner und Architekten im Umfeld von Luigi Caccia Dominioni hätte diese Arbeit nicht geschrieben werden können. Angefangen bei Cino Zucchi, dem ich grundlegende Hintergrundinformationen und Kontakte verdanke, setzt sich die Reihe fort mit Aline Mondelli und Federico Maineri, Elena Mondelli, Carlina Dubini-Soldini, Maria Luisa Siccardi, Agostino Mari, Cecilia Pirelli, Anna und Giordano Zucchi, Vittore Ceretti, Luisa Somaini, Marta Sala, und Olga Lualdi bis zu Glauco und Anna Marchegiani, den ehemaligen Mitarbeitern Caccia Dominionis, die meinen Recherchen engagiertes Interesse entgegenbrachten und meine zahllosen Fragen geduldig und rasch beantworteten.

Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Laurent Stalder, Oya Atalay Franck, Kornel Ringli und Lukas Zurfluh, gaben in intensiven Diskussionen und Unterhaltungen, die im Rahmen der Doktorandenkolloquien und PhD-Talks an der ETH Zürich oder bei inoffiziellen Anlässen ausserhalb der Hochschule stattfanden, fruchtbare Denkanstösse. Wichtig war der konstruktive fachliche Austausch mit Sabine von Fischer, die mich auch durch die Endphase der Dissertation begleitete. Dagmar Reichert hat nicht nur wertvolle Hinweise beigesteuert, sondern schenkte mir vor allem ihre kontinuierliche moralische Unterstützung während des gesamten Projekts. Unverzichtbar war das sorgfältige und präzise Lektorat von Ulrike Steiner.

Ebenso möchte ich den Kolleginnen und Kollegen in Mailand für ihr Interesse und ihre Unterstützung danken. Fulvio Irace hat sich Zeit genommen für meine Fragen und wichtige inhaltliche Ergänzungen geliefert. Maria Vittoria Capitanucci war bei den Archivrecherchen in Mailand behilflich, und Roberto Dulio hat dem Forschungsprojekt Literatur aus seiner persönlichen Bibliothek zur Verfügung gestellt.

Keinen geringen Anteil am Gelingen der Dissertation hatten meine Familie und die beiden Grossmütter, die in der Schlussphase Unschätzbares geleistet haben. Ramin Mosayebi sei gedankt für die gute Stimmung. Christian Inderbitzin danke ich für alles. 4

Zusammenfassung ...... 7

Summary ...... 8

1. Einleitung ...... 9

1.1. Zum Begriff des Ambiente im Wohnungsbau Luigi Caccia Dominionis ...... 10

1.2. Fragestellung und Forschungsgegenstand ...... 11 1.3. Methoden und Begriffe ...... 12

1.3.1. Identität ...... 16 1.3.2. Distinktion ...... 17

1.4. Stand der Forschung ...... 17 1.5. Quellen ...... 19

1.5.1. Archive ...... 20 1.5.2. Interviews ...... 24

1.6. Aufbau der Arbeit ...... 25 2. Ambiente ...... 27

2.1. Begriff und These ...... 27 2.2. Ambiente ...... 28

2.2.1. Aktuelle Begriffsdefinitionen ...... 28 2.2.2. Begriffsgeschichte vor 1930 ...... 29

2.2.3. Der Begriff im historischen Kontext der Arbeit ...... 31

2.2.3.1. Gustavo Giovannonis Konzeption von ambiente ...... 31

2.2.3.2. Ernesto Nathan Rogers Konzeption der preesistenze ambientali ...... 34 2.2.3.3. Paolo Portoghesis Definition von ambiente und ambientamento ...... 41

2.2.3.4. Lucio Fontanas Konzeption der ambienti spaziali ...... 43 2.2.3.5. Roberto Alois Verwendungen von ambiente ...... 46

2.2.3.6. Gio Pontis Verwendungen von ambiente ...... 47 2.3. Ambiente – zwischen gestalteter Kontinuität der Geschichte und gestalteter Kontinuität des Raumes .... 49 3. Rekonstruktion ...... 51

3.1. Begriff und These ...... 51

3.2. Politik, Gesellschaft und Architektur in der unmittelbaren Nachkriegszeit ...... 52 3.2.1. Politik und Gesellschaft ...... 52

3.2.2. Gesellschaft und Identität ...... 55 3.2.3. Architektur und Wiederaufbau ...... 57

3.2.3.1. Wiederaufbaupläne aus dem Schweizer Exil ...... 57 3.2.3.2. Wiederaufbau durch Private ...... 59 5

3.3. Rekonstruktionen ...... 61 3.3.1. Die Ausstellung Oggetti per la casa, VII. Triennale, 1947 ...... 62

3.3.2. Wohnung der Familie Caccia Dominioni im Dachgeschoss der Via De Amicis 47, 1947 ...... 68 3.3.3. Der Familienpalast an der Piazza Sant’Ambrogio 16, 1948–1951 ...... 70

3.3.3.1. Der Abriss des Altbaus gegen den Willen der Denkmalpflege ...... 70 3.3.3.2. Der neue Familiensitz im Vergleich zum zerstörten Palazzo ...... 75

3.3.3.3. Kontextuelle, materielle und ideelle Kontinuitäten ...... 78 3.3.3.4. Grundrissentwicklung ...... 81

3.3.3.5. Rezeption: «un vero e proprio restauro» ...... 85 3.3.3.6. Fazit ...... 91

3.3.4. Umbau und Einrichtung des Palazzo Zucchi, 1961–1962 ...... 92 3.4. Fazit: Rekonstruktion ...... 95

3.5. Das Museum als Wohnhaus ...... 96

3.5.1. Neue Ausstellungskonzepte: «museo abitabile», museo attivo», «museo vivente» ...... 96

3.5.1.1. Umbau und Sanierung der Pinakothek der Biblioteca Ambrosiana, 1959 und 1966 ...... 98 3.5.2. Das Wohnhaus als Museum ...... 100 4. Konstruktion ...... 104

4.1. Begriff und These ...... 104

4.2. Konstruktionen in der Zwischenkriegszeit ...... 105 4.2.1. Erste Arbeiten im Gruppo Universitaria Fascista ...... 106

4.2.1.1. Das Radio als Apparat ...... 107 4.2.1.2. Das Radio als «Musikinstrument» ...... 112

4.2.1.3. Geschirr und Besteck ...... 112 4.2.1.4. Kronleuchter ...... 115

4.2.1.5. Fazit ...... 116 4.3. Politik, Gesellschaft und Architektur in den wirtschaftlichen Boomjahren ...... 117

4.3.1. Wirtschaftswunder und gesellschaftliche Transformation, 1958–1963 ...... 118 4.3.2. Bauspekulation, Wohnbaupolitik und Privatisierung ...... 119

4.3.3. Das Ende der Prosperität: Die Anni di piombo ...... 120 4.4. Konstruktionen in der Nachkriegszeit ...... 121

4.4.1. Bestrebungen und Konzepte zur «Einheit der Künste» ...... 123 4.4.1.1. Die sintesi delle arti im Movimento arte concreta, Mailand 1948–1958 ...... 123

4.4.1.2. Die «Synthèse des arts plastiques» im internationalen Austausch ...... 125 4.4.1.3. Die «Unità delle arti» an der IX. Triennale 1951 ...... 128

4.4.1.4. Die Mostra d’arte sacra an der IX. Triennale 1951 ...... 129 6

4.4.1.5. Die Mostra dello standard an der X. Triennale 1954 ...... 131 4.4.1.6. Fazit ...... 132

4.4.2. Die Ausstellung Colori e forme nella casa d’oggi, Como 1957 ...... 133 4.4.2.1. Caccia und Somaini ...... 134

4.4.2.2. BBPR und Fontana ...... 135 4.4.2.3. Zevis Kritik ...... 135

4.4.2.4. Fazit ...... 136 4.4.3. Die Zusammenarbeit zwischen Francesco Somaini und Luigi Caccia Dominioni ...... 136

4.4.3.1. Die Casa Rosales ...... 136 4.4.3.2. Mosaikfussboden ...... 138

4.4.3.3. Kaminzimmer am Corso Italia ...... 140 4.4.3.4. Plastik als Brüstung ...... 140

4.4.3.5. Fazit ...... 141

4.4.4. Die Wohnung als Erweiterung der Körpers ...... 142

4.4.4.1. Suchende Linien - ästhetische Wirkungen ...... 143 4.4.4.2. Selbstversetzung in den zukünftigen Bewohner ...... 145

4.4.4.3. Fazit ...... 152 4.4.5. Wohnhaus an der Piazza Carbonari, 1955–1961 ...... 153

4.4.5.1. Die Projektentwicklung ...... 154 4.4.5.2. Die Fassade als schützende Hülle des alltäglichen Lebens ...... 159

4.4.5.3. Die Familienwohnung ...... 166 4.4. Fazit: Konstruktion ...... 172 5. Fazit: Konstruierte ambienti ...... 173

5.1. Von der Repräsentation von Geschichte im Raum zu einer neuen Raumkunst ...... 173 6. Anhang ...... 178

6.1. Luigi Caccia Dominioni: Herkunft, Ausbildung und Werdegang bis 1975 ...... 178

6.2. Quellen ...... 182 6.2.1. Archive ...... 182

6.2.2. Interviews ...... 183 6.2.3. Unpublizierte Typoskripte ...... 183

6.2.4. Literaturverzeichnis ...... 183 6.3. Abbildungen ...... 196

6.4. Abbildungsverzeichnis ...... 315 6.5. Lebenslauf ...... 319 7

Zusammenfassung Zwischen 1945 und 1970 entwickelt sich Mailand von einer bombardierten Stadt im Wiederaufbau zur wirtschaftlichen Metropole Italiens. Einhergehend mit rasanten Modernisierungsprozessen, wirtschaftlichem Aufschwung und gesellschaftlichem Wandel entsteht ein äusserst produktiver Grund, auf dem sich Architektur in einer Vielzahl experimenteller Projekte entfaltet.

Das Werk des Architekten Luigi Caccia Dominioni (*1913) steht emblematisch für diese Entwicklung. Er hat in Mailand während mehr als sechzig Jahren ein Œuvre geschaffen, das sich durch eine Heterogenität an Themen und Beschäftigungsfeldern auszeichnet. Seine produktivste Periode umfasst die Jahre 1945 bis 1970 und fällt damit in eine der spannungsreichsten Phasen der Mailänder Architekturgeschichte. Wohnbauten, Wohnungsumbauten und Einrichtungen machen den Hauptteil seines Werkes aus. Seine Klientel entstammt hauptsächlich dem Mailänder Bürgertum und Grossbürgertum, dessen Selbstverständnis sich infolge der Demokratisierungsprozesse der Nachkriegszeit und der ökonomischen «Boomjahre» zwischen 1958 und 1963 im Umbruch befindet und nach einer Erneuerung des architektonischen Ausdrucks ihrer Wohnungen strebt.

Gegenstand der Dissertation sind die zwischen 1945 und 1970 realisierten Wohnbauprojekte Caccia Dominionis und deren eingehende Analyse. Die Arbeit geht von der Grundthese aus, dass Caccias Architektur das Ergebnis einer dynamischen Wechselwirkung zweier Faktoren ist: zwischen den politischen und kulturellen Idealen, welche die Mentalität des Mailänder Grossbürgertums, dessen Diskussionen und Entscheidungen als Klientel von Künstlern, Architekten und Gestaltern beeinflusst haben, und den massgebenden intellektuellen Strömungen der Nachkriegszeit, die für die Formation und Berufspraxis der Architekten, ihre fachlichen Aspirationen charakteristisch waren.

Eine detaillierte und wissenschaftliche Studie der Wohnbauten Luigi Caccia Dominionis, die seine Architektur als Suche nach einem Ausdruck einer sich im Umbruch befindenden gesellschaftlichen Elite erforscht, liegt bislang nicht vor. Die Dissertation nimmt erstmals eine solche Analyse vor und leistet damit einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Wohnarchitektur der sozialen Elite Mailands in der Nachkriegszeit. Sie liefert zudem erstmals eine umfassende Untersuchung zum Begriff des ambiente und kann dadurch die Betonung des Phänomenologischen, die in der Architektur Caccia Dominionis erkennbar ist, theoretisch begründen. Die vorliegende Arbeit belegt damit, dass Luigi Caccia Dominionis Architektur zwischen 1945 und 1970 aus dem Austausch mit zahlreichen Persönlichkeiten Mailands und den dort vertretenen Positionen hervorgeht. Das Aufzeigen dieser vielseitigen Bezugnahmen korrigiert das Bild eines häufig als Aussenseiter bezeichneten Architekten. 8

Summary Between 1945 and 1970, evolved from a bombed city being rebuilt to ’s economic metropolis. Rapid modernization, economic boom, and social change combined to provide an extremely productive foundation on which architecture could evolve in a number of experimental projects.

The work of the architect Luigi Caccia Dominioni (b. 1913) is emblematic of this evolution. Over more than sixty years, he created an oeuvre in that city that is characterized by heterogeneous themes and areas of activity. His most productive creative period was from 1945 to 1970 and hence falls in this exciting period of the architectural history of Milan. Residential buildings, conversions, and interior designs make up the major part of his work. His clientele was largely from the upper-middle class of Milan, a group whose self-image was changing as a result of the democratization processes of the postwar period and the economic boom years between 1958 and 1963. They were seeking to renew the architectural expression of their homes.

The subject of this dissertation is the residential projects Luigi Caccia Dominioni realized between 1945 and 1970. Its goal is to provide more detailed information about how these buildings were created. The basic thesis of this work is his architecture should be viewed as the result of a dynamic interaction of two factors. They are, first, the political and cultural ideal that influenced the mentality of the upper-middle class of Milan, their debates, and their decisions as the clients of artists, architects, and designers and, second, the crucial intellectual currents of the postwar period, which were characteristic of the formation and professional practice of architects and their professional aspirations.

No one has yet offered a detailed and scholarly analysis of Luigi Caccia Dominioni’s residential buildings that studies architecture as a search for a way that a social elite undergoing profound change could express itself. This dissertation undertakes such an analysis for the first time and in the process makes an essential contribution to the understanding of the residential architecture of Milan’s social elite during the postwar period. It also offers for the first time a comprehensive study of the concept of ambiente. Thanks to this study, the phenomenological emphasis evident in Caccia’s architecture can be grounded in theory. The present dissertation thus proves that Luigi Caccia Dominioni’s architecture between 1945 and 1970 resulted from exchange with numerous personalities and positions in Milan. Demonstrating these diverse connections will help correct the image of an architect who has often been called an outsider. 9 1. Einleitung

Luigi Caccia Dominioni ist ein Mailänder Architekt, der Zeit seines Lebens nicht in der ersten Reihe des architektonischen Diskurses stand. Sucht man in Publikationen und Archiven nach Stellungnahmen des Architekten, wird man kaum fündig. In Debatten zog er es stets vor, die anderen sprechen oder schreiben zu lassen. Die Gründe für sein hohes Mass an Zurückhaltung sind vielgestaltig. Abgesehen von seinem Misstrauen gegenüber Theorien und Akademien dürfte auch der familiäre Hintergrund des Architekten eine gewisse Rolle gespielt haben. Luigi Caccia Dominioni kam am 7. Dezember 1913 im alten Familienpalast an der Piazza Sant’Ambrogio in Mailand als drittes von sechs Kindern zur Welt. Der Vater, Ambrogio Caccia Dominioni (1874–1949) war Anwalt und Bürgermeister von Morbegno (1912–1920), die Mutter Maria Paravicini1 entstammt wie der Vater einer adligen lombardischen Familie. Camillo Caccia Dominioni (1877– 1946), Caccias Onkel, war Kurienkardinal in Rom unter dem Pontifikat Papst Pius’ XII.2 Die gesellschaftlich und finanziell privilegierte Ausgangslage verhalf Caccia in seiner Laufbahn als Architekt zu künstlerischen Freiheiten, da er nicht primär Geld verdienen musste, und garantierte im unmittelbaren Umfeld direkte Bauaufträge. Darüber hinaus handelte es sich bei seinen Bauherren um Persönlichkeiten, die Diskretion forderten und ihre Wohnbauten als Privatangelegenheit betrachteten.

Dank des Interesses seitens publizistisch tätiger Architekten, wie Ernesto Nathan Rogers3 und Gio Ponti,4 wurden Caccia Dominionis Projekte bis 1970 dennoch rege in der Fachliteratur besprochen. Danach wurde sein Werk aus politischen und ideologischen Gründen diskreditiert und publizistisch gemieden.5 Die schwierige Rezeptionsgeschichte ist neben Caccias diskreter Haltung mit eine der Ursachen, weswegen die Forschung seinem Werk bis heute wenig Beachtung geschenkt hat.6

Caccia Dominioni war der Architekt einer gesellschaftlichen Schicht Mailands, die sich selbst als Elite betrachtete. Zu ihr zählten Unternehmer, Politiker, Künstler, Ingenieure, Anwälte und Architekten. Caccia fand seine Bauherren über ein enges Netzwerk von Freunden und Bekannten, die ihn schätzten und weiterempfahlen. Zu seinen Auftraggebern gehörten der Unternehmer Leopoldo Pirelli (1925–2007), der Politiker und Unternehmer Piero Bassetti (*1928), der Bauunternehmer Camillo Bianchi,7 die Bauunternehmerin Anna Bonomi Bolchini (1910–2003), die Familien Falck, Mondelli und Zucchi. Die Klientel aus diesem Kreis war «ihrem» Architekten in hoher Loyalität verbunden. So ist zu erklären, dass

1 Das Geburtsjahr Maria Paravicinis ist nicht bekannt. Vermutlich 1887 geboren, starb sie 1949.

2 Der Stammbaum der Familie findet sich im Libro D’Oro della Nobilità Italiana, Bd. 20, S. 279. Er ist bis ins 11. Jahrhundert belegt. Ardito oder Ardizzone Caccia wurde von Kaiser Heinrich V. zum Herr von Novara ernannt. Daraus erklärt sich der Beiname der Caccia Dominionis, Signori di Sillavengo. Sillavengo ist bis heute eine Gemeinde der italienischen Provinz Novara im Piemont.

3 Zum Lebenslauf von Ernesto Nathan Rogers siehe Anm. 111.

4 Zum Lebenslauf von Gio Ponti siehe Anm. 201.

5 Tafuri 1989, S. 67 und 86.

6 Zum Stand der Forschung siehe Kap. 1.4.

7 Camillo Bianchi (*1904) war Ingenieur und realisierte im Stadtzentrum von Mailand zahlreiche Projekte. Sein Todesjahr wird aufgrund seiner unveröffentlichten Biografie auf das Jahr 2000 geschätzt. Bianchi 1994. 10

Caccia – wie andere Mailänder Architekten – als Hausarchitekt bestimmter Familien galt und für sie über mehrere Generationen und Familienzweige hinweg baute.

Innerhalb seines beruflichen Netzwerks von Bauherren, Bauunternehmern, Handwerkern und Ingenieuren gilt Caccia als virtuose Persönlichkeit, die in Mailand mit seinem Fahrrad zwischen Büro und Baustelle unterwegs war und häufig letzte Änderungen direkt vor Ort anordnete. Humor, strenge Arbeitsmoral und tiefe Religiosität prägten seinen Charakter. In seinen unveröffentlichten Memoiren erinnert sich der Bauunternehmer Camillo Bianchi:

Altra mattina: si incontra col famoso falegname Colombo Ermanno in altro cantiere per poi raggiungersi in C.so Italia; sono in bicicletta e scommettono su chi dei due arriva prima in C.so Italia. Vedo arrivare il Gigi Caccia trafelato e mi chiede dove è il Colombo, non c’è ancora. Era arrivato primo lui e ne godeva come un bambino. Mi raccontava di essere andato in viaggio di nozze a Roma per salutare lo zio Cardinale e la moglie resta a letto con un febbrone. Va a trovare lo zio Cardinale alquanto depresso, e lo zio: «che diamine non cacciarti – dominionati».8

Caccias Leben fällt in eine spannungsreiche Phase der Mailänder Architekturgeschichte. Mehrere historische Prozesse waren für seinen Werdegang entscheidend: der Übergang vom Faschismus zur Demokratie, die Verwandlung Mailands von einer kriegszerstörten in eine wiederaufgebaute, modernisierte Stadt und die Entwicklung von einer agrarisch geprägten Gesellschaft in eine des Massenkonsums. Die vielschichtigen und tiefgreifenden soziopolitischen Veränderungen innerhalb einer kurzen Zeitspanne hatten massgeblichen Einfluss auf die künstlerische Praxis des Architekten Luigi Caccia Dominioni sowie die Wünsche und Bedürfnisse seiner Bauherrschaft.

1.1. Zum Begriff des Ambiente im Wohnungsbau Luigi Caccia Dominionis

Die Bauten und Projekte Luigi Caccia Dominionis, insbesondere seine Wohnarchitektur zwischen 1945 und 1970, zeichnen sich durch unterschiedliche, teilweise sogar divergierende Themenfelder aus. Auffälliges Merkmal innerhalb des grossen Spektrums seiner Tätigkeiten als Architekt und Möbeldesigner ist das Fehlen eines einheitlichen und wiedererkennbaren architektonischen Ausdrucks. Auf diese Besonderheit des Werks haben zahlreiche Autoren hingewiesen.9 Die Rezeption im Italien der fünfziger und sechziger Jahre betonte zudem Caccias Experimentierfreude und Eklektizismus. Ernesto Nathan Rogers charakterisierte Caccias Haltung als «vivace sperimentalismo».10 Für den Kunsthistoriker Pier Carlo Santini war die stilistische Ausrichtung Caccias «quella di un brillante, fluido, disinvolto eclettismo»,11 und Giacomo Polin betrachtete in den achtziger Jahren die Bauten als «eclettismo come aderenza ai problemi che i diversi temi offrono».12 In einem seiner seltenen Interviews äusserte sich Caccia 1963 selbst:

8 Ebd., S. 107.

9 Giacomo Polin spricht von der «l’assenza di un linguaggio». Polin 1984, S. 42. Siehe auch Staufer 1996, S. 27.

10 Rogers, «Due palazzi» 1959, S. 31.

11 Santini 1967, S. 92.

12 Polin 1984, S. 47. 11

Può darsi che per questi miei propositi io sia considerato un architetto romantico, mentre forse ciò significa semplicemente essersi liberato da certe pastoie del razionalismo. Io mi ritengo piuttosto uno sperimentatore, esposto perciò al continuo pericolo di commettere errori anche notevoli, che non esito a riconoscere molto francamente. Ciò non di meno il progettare è per me sempre una gioia, ed io preferisco comunque il rischio di sbagliare a quello di adattarmi ad un'espressione convenzionale.13

Der thematische Reichtum resultiert aus Caccia Dominionis Absicht, einzigartige Lösungen in Abhängigkeit des Ortes, der Aufgabenstellung und des Bauherrn zu finden.14 Die daraus entwickelte Architektur sprengte das vorherrschende rationalistische Verständnis und führte zu einer «Sprache», die sich im Kontext der italienischen Nachkriegsarchitektur «al di fuori di ogni convenzione di ‘modernità’»15 positionierte.

Die Ausgefallenheit von Caccias Architektur lässt sich exemplarisch an dem mehrgeschossigen Wohn- und Geschäftshaus am Corso Italia 20–26 darstellen (Abb. 132–136, 140–142). Der im Auftrag und in Zusammenarbeit mit dem Ingenieur und Bauunternehmer Camillo Bianchi von 1956 bis 1961 errichtete Gebäudekomplex16 schliesst mit zwei sechsgeschossigen Flügeln am Corso Italia an die bestehende Bebauung des Strassenblocks an. Zwischen den wie schlanke Wohntürme wirkenden Trakten spannt ein flacher dreigeschossiger Baukörper. Dessen Horizontalität wird durch eine durchgehende zweigeschossige Fensterfront aus Stahl betont, die leicht aus der Flucht der Fassadenebene hinausgesetzt ist. Das Gebäude ist mit kleinen, dunkelroten Keramikplatten verkleidet. Die seitlichen Trakte muten wie Ecktürme eines mittelalterlichen Kastells an, die Konstruktion der horizontalen Fensterfront erinnert an die Schaufenster der Verkaufsetagen Pariser Warenhäuser des 19. Jahrhunderts.

Ein weiteres Charakteristikum ist die Gestaltung und Materialisierung der Hofeinfahrt und der anschliessenden Zugänge zu den Wohnungen (Abb. 145–147). Diese Erschliessungsflächen folgen im Grundriss organischen Figuren und leiten auf verschlungenen Wegen durch höhlenartige Räume zu den Wohnungen. Die Verkleidung der Wände mit glänzenden, karamellfarbenen Keramikplatten und das gedimmte Kunstlicht unterstreichen den Eindruck des Organischgewachsenen und Grottenartigen. Für Bewohner und Besucher wird ein räumliches Spektakel inszeniert, das optische Wahrnehmung und körperliche Erfahrung gleichermassen involviert.

Caccia Dominioni kombinierte hier unterschiedlichste architektonische Motive und Themen: den Skelettbau mit Walmdach und französischen Fenstern, die Rezeption mittelalterlicher Burgenarchitektur in Verbindung mit der organischen Formung der Erschliessungsräume, die massive Fensterfront über den in Arkaden gesetzten Fenstern im Erdgeschoss.

13 Luigi Caccia Dominioni zit. n. Gentili 1963, S. 3.

14 Die besondere Bedeutung des Bauherrn betonte Caccia bereits in einem sehr frühen Aufsatz: «…conoscere il cliente, il suo lavoro, le sue esigenze, le sue occupazioni, i suoi divertimenti, le sue passioni...», zit. n. Ponti 1941, S. 28.

15 Santini 1967, S. 91.

16 Den Baueingabeplänen zufolge umfasst der Komplex 39 000 m3. Zur Strasse tritt er nur mit der kurzen Front am Corso Italia in Erscheinung und entwickelt sich weit in die Tiefe der Parzelle. Im Hof steht zudem ein zehngeschossiger Wohnturm («Bidone»), der 1961 fertiggestellt wurde. 12

Das Eklektische wie der hohe Grad an räumlicher Inszenierung lassen sich an anderen Wohnbauten Caccias, die in der vorliegenden Arbeit ebenfalls besprochen werden, in unterschiedlicher Ausprägung festmachen. Sie sind Ausgangspunkt der Dissertation und begründen über weite Strecken die Schwierigkeit der Historiografie, Caccias Bauten einer Richtung zuzuordnen. Es stellt sich somit die Frage, ob zeitgenössische architektonische Konzepte die Herausbildung einer solchen Architektursprache begünstigten oder ob die Wohnbauten das Resultat einer isolierten Position im Kontext der Mailänder Nachkriegszeit sind.

Wie die Recherchen zur Biografie aufzeigen, arbeitete Caccia Dominioni in der Nachkriegszeit immer wieder mit verschiedenen Architekten und Künstlern zusammen.17 Von massgeblicher Bedeutung war seine persönliche Verbindung mit dem Architekten Ernesto Nathan Rogers (1909–1969).18 Die intellektuelle Persönlichkeit Rogers lenkte und prägte als Redaktor der Zeitschrift Domus und vor allem Casabella- Continuità, als Mitglied des CIAM-Rats und als Professor am Polytechnikum den Mailänder Architekturdiskurs nachhaltig. Die Verbreitung seiner phänomenologisch geprägten Idee der preesistenze ambientali oder des ambiente im Mailand der fünfziger Jahre ist seinen vielschichtigen Tätigkeiten geschuldet.19 Rogers’ ambiente bezeichnete das Konzept einer historisch gewachsenen und geschichtlich bedingten Stadt. Er forderte von den Architekten, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen, und ihre Bauten als Teil dieser Geschichte zu entwerfen.20 Für Rogers bildeten Caccia Dominionis Projekte den architektonischen Nachweis für die Gültigkeit seiner Theorie. Explizit hält er fest, Caccias Arbeiten seien das Resultat der Auseinandersetzung und Einbettung in die preesistenze ambientali.

[...] il vivace sperimentalismo di Caccia, non alieno da altre e più discutibili esperienze, come quelle di tentare un linguaggio più popolare fino a rasentare il folclore per inserirsi nelle preesistenze ambientali degli agglomerati rurali, qui ha estratto il senso della città con coerenza di stile e senza concedere a compiacimenti di gusto […].21

Diese Zuweisung erfolgte nicht nur vonseiten Rogers’. Aldo Rossi (1931–1997) merkt gemeinsam mit Luciano Semerani (*1933) und Silvano Tentori22 1961 zum Ausdruck von Caccias Wohn- und Geschäftshaus am Corso Italia kritisch an:

Ma anche qui stiamo cadendo nella farsa; se si guarda l’ultima casa di Luigi Caccia Dominioni in corso Italia a Milano si scopre che tutto il problema dell’ambientamento si risolve nel riportare a Milano l’atmosfera di Portofino e il gioco diventa irritante.23

17 Auf die einzelnen Kooperationen wird im Folgenden eingegangen.

18 Die verschiedenen Stationen ihrer biografischen Verflechtung werden in dieser Arbeit ausgeführt. Zum Lebenslauf von Ernesto Nathan Rogers siehe Anm. 111.

19 Rogers 1955.

20 Rogers Konzept von ambiente ist in detaillierter Form in Kap. 2.2.3.2. nachzulesen.

21 Rogers, «Due palazzi» 1959, S. 31.

22 Die Lebensjahre Tentoris konnten nicht ermittelt werden.

23 Rossi/Semerani/Silvano 1961, S. 30. 13

Pier Carlo Santini (1924–1993) bezeichnet Caccias architektonische Absicht 1967 als «rinvenire una continuità ambientale».24 Auch die jüngere italienische wissenschaftliche Literatur und Forschungsarbeiten bekräftigen die Bedeutung der Idee des ambiente für Caccias Œuvre. So kommt Elena Brigi 1988 in ihrer Tesi di laurea über Luigi Caccia Dominioni zu dem Schluss:

[Le architetture] ci mostrano come nella sua opera siano presenti quella serie di tematiche portate avanti da Rogers, nella seconda metà degli anni ’50, riguardanti il problema dell’ambientamento e quindi la creazione di un rapporto di continuità tra le forme del passato e quelle del presente.25

Für Maria Antonietta Crippa liegt Caccias entwerferische Leistung «nell’armonizzazione di ogni suo progetto con l’ambiente».26 Nicht zuletzt bestätigt Fulvio Irace die wesentliche Rolle von Rogers für Caccias entwerferische Arbeit.27

Caccia Dominionis biografische Verflechtung mit dem Werdegang von Ernesto Nathan Rogers sowie die Äusserungen in zeitgenössischen Fachzeitschriften und aktuelleren Forschungsarbeiten zum ambiente-Bezug in Caccias Werk legen nahe, das Konzept des ambiente im Mailänder Kontext als zentrales Thema dieser Dissertation zu behandeln, auch im Hinblick auf die Erschliessung neuer Erklärungsansätze. Der Umstand, dass über den Begriff und die Idee des ambiente im Architekturdiskurs der Mailänder Nachkriegszeit bislang wenig Forschungsarbeit geleistet wurde, lässt diese Vertiefung umso dringlicher erscheinen.28

Zu Beginn der Untersuchungen war klar, dass sich ambiente nicht einfach mit «Kontext» oder «Atmosphäre» ins Deutsche übersetzen lässt. Der spezifische Bedeutungsumfang, den das Wort im Italienischen hat, musste herausgearbeitet werden, um die Dimensionen dieses besonderen Konzepts in seiner Vielschichtigkeit zu erfassen. Eine genaue Bestimmung des Begriffs durch eine detaillierte historische Auseinandersetzung sollte zeigen, ob er sich auch als methodischer Begriff zur Beschreibung und Erklärung des Eklektischen wie auch Räumlichen in den Wohnbauten Caccia Dominionis eignen würde.

Wie in Kapitel 2.3. dargestellt, lassen sich zwei Konzepte von ambiente identifizieren, die den Diskurs in Mailand der fünfziger und sechziger Jahre prägten: ambiente als gestaltete Kontinuität der Geschichte und ambiente als gestaltete Kontinuität des Raumes. Ersteres ist von den Ideen der italienischen Denkmalpflege zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt, Letzteres von den Debatten wichtiger Mailänder Künstler, die ein Programm für eine neue Verbindung von Kunst und Architektur verfassten.

24 Santini 1967, S. 91.

25 Brigi 1987/88, S. 449.

26 Crippa 1996, S. 6.

27 Irace/Marini 2002, S. 19 und 220.

28 Vor kurzem hat Carsten Ruhl in seiner Studie über Aldo Rossi den Begriff des ambiente bei Ernesto Nathan Rogers behandelt und dabei auch die Konzepte Gustavo Giovannonis, Paolo Portoghesis und Lucio Fontanas gestreift. Ruhl 2013, S. 28–30. Jorge Otero-Pailos hat den intellektuellen Austausch zwischen Rogers und Enzo Paci in seiner Dissertation untersucht. Otero-Pailos 2002, S. 33–104. Adrian Forty führt den Begriff context aus und klärt dabei das ambiente-Verständnis von Rogers. Forty 2000, S. 132–134. In der italienischen Forschungswelt scheint grundsätzliche Einigkeit darüber zu bestehen, was ambiente alles bedeuten kann. Dies mag der Grund sein, weswegen der Begriff zwar in zahlreichen italienischen Publikationen vorkommt, allerdings bisher nie in seiner ganzen Komplexität ausgeführt wurde. 14

Beide Konzepte ermöglichen neue Einsichten in die Wohnarchitektur Luigi Caccia Dominionis: Zum einen lässt sich zeigen, dass ambiente im Nebeneinander verschiedenster historischer Schichten – im Stadtraum wie im Interieur – ersichtlich wird. Caccias Bauten sind als Bestandteile des ambiente konstruiert und repräsentieren Geschichte und Geschichten im Raum. Sie schaffen neue historische, städtebauliche wie auch ideelle Kontinuitäten und konstruieren damit eine fiktive Vergangenheit. Im Bereich des Wohnungsbaus wird dadurch die erneuerte gesellschaftliche Stellung und Identität der Bauherrenfamilie zum Ausdruck gebracht. Dieser Aspekt wird im Kapitel 3 «Rekonstruktion» detailliert ausgeführt.

Zum anderen zeigt die Untersuchung in Kapitel 4 «Konstruktion» erstmalig auf, dass das künstlerische Programm der sintesi delle arti Einfluss auf die Wohnarchitektur Caccia Dominionis hatte. Gerade seine enge Zusammenarbeit mit dem Künstler Francesco Somaini beförderte ein neues Raumkonzept, das der Bewegung, der Dynamik und der Wahrnehmung verpflichtet ist. Caccia erprobte die sich daraus ergebenden organischen Grundrisse zuerst im Wohnungsbau.

Beide Konzepte von ambiente beziehen sich gleichermassen auf den Aussenraum wie auf den Innenraum: Ebenso wie das Arrangieren von Artefakten aus unterschiedlichen historischen Epochen ein wichtiges Thema des Interieurs gehobener Wohnkultur ist, gibt es von den fünfziger Jahren an in Caccias Werk städtebauliche Planungen, die geschwungene Figuren und organische Formen nachzeichnen.29 Die «Symmetrie» zwischen Innen- und Aussenraum deutet Caccia in folgendem Zitat an:

L’appartamento è una microcittà, con i suoi percorsi, i suoi vincoli, gli spazi sociali e quelli privati. […] Figurarsi se non sono urbanista! Lo sono fino al midollo: i miei ingressi, le mie scale, persino i mobili sono soluzioni urbanistiche. 30

Das phänomenologisch geprägte ambiente eignet sich als methodischer Begriff zur Analyse des Wohnungsbaus, weil in der Wohnarchitektur grundlegende Werte des menschlichen Seins und Lebensraums verhandelt, in Raum übersetzt und gestaltet werden müssen.

Die vorliegende Dissertation nimmt erstmals eine umfassende Untersuchung zum Begriff des ambiente vor und kann damit die Betonung des Phänomenologischen, die in der Architektur Caccia Dominionis zutage tritt, theoretisch begründen. Sie weist nach, dass Caccias Umgang mit Geschichte, die Akzentuierung des Räumlichen und seine Wahrnehmung auf unterschiedlichen Konzepten desselben Begriffs beruhen. Sie belegt damit, dass Luigi Caccia Dominionis Architektur von 1945 bis 1970 aus dem Austausch mit zahlreichen zentralen Persönlichkeiten Mailands und der von ihnen vertretenen Positionen hervorgeht. Das Aufzeigen und Darstellen dieser vielseitigen Verknüpfungen und Einflüsse eröffnet neue Sichtweisen auf die Architektur der Wohnbauten und korrigiert das Bild eines häufig als Aussenseiter bezeichneten Architekten.

29 Vgl. Quartier «Milano San Felice» in Segrate (1967–1975, zusammen mit Vico Magistretti) und der Wohnkomplex des Golf Club Monticello in Como (1972–1985).

30 Luigi Caccia Dominioni zit. n. Crippa 1996, S. 9. 15

1.2. Fragestellung und Forschungsgegenstand

Ziel der Dissertation ist es, vertiefte Erkenntnisse über die Wohnarchitektur Luigi Caccia Dominionis, die er grossteils im Auftrag von Bauherren aus der gesellschaftliche Elite Mailands realisierte, zu gewinnen und den Architekten und sein Schaffen in den Kontext seiner Zeit einzuordnen.

Gegenstand ist eine Auswahl der zwischen 1945 und 1970 realisierten Wohnbauten. Die Beschränkung auf eine bestimmte Schaffensperiode und Werkgruppe ist sinnvoll, da Luigi Caccia Dominioni während dieser Jahre auf dem Gebiet des Wohnbaus, des Interieurs und des Möbeldesigns seine grundlegenden Entwurfsverfahren entwickeln und die herausragendsten und innovativsten Projekte realisieren konnte.

Identität und Lebensform des Grossbürgertums, sein Verhältnis zur Materialkultur können dabei nicht allgemein untersucht werden. Die Analyse individueller Fälle ist notwendig, um die dynamischen zeitlichen Vorgänge zu erfassen. Daher wurden Wohnbauten ausgewählt, deren Entstehungsgeschichte und Nutzung sich über Archivrecherchen und Interviews mit Bauherren und Bewohnern möglichst detailliert und komplett rekonstruieren lassen. Acht Projekte werden vorgestellt: Wohnhaus an der Piazza Sant’Ambrogio 16 (1948– 1950), Wohnung an der Via Visconti di Modrone (1950), Wohnkomplex am Corso Italia 20–26 (1957–1964), Wohnhaus an der Via Vigoni 13 (1955–1959), Wohnhaus an der Piazza Carbonari 2 (1960–1961), Wohnung an der Via Cappuccio 21 (1961–1962), Wohnhaus an der Via Gesù 13 (1960–1962), Wohnhaus an der Via Cavalieri del Santo Sepolcro 6 (1962–1966).31 Die konkrete Belebung des Raumes, als von Architekten imaginiert und von den Bewohnern realisiert, bildet eine wichtige Basis für die Dissertation. Es konnte ein Fundus an Bildern und Symbolen sowie eine besondere Materialkultur ausgemacht und damit die spezifischen Charakteristika der Wohnarchitektur Caccia Dominionis beschrieben werden.

Eine detaillierte und wissenschaftliche Analyse der Wohnbauten Caccia Dominionis, welche die Architektur als Suche nach einem Ausdruck einer sich im Umbruch befindenden gesellschaftlichen Elite erforscht, liegt bislang nicht vor. Die Dissertation leistet damit einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der grossbürgerlichen Wohnarchitektur Mailands in der Nachkriegszeit.

1.3. Methoden und Begriffe

Die Grundthese der Arbeit betrachtet Luigi Caccia Dominionis Wohnarchitektur als Ergebnis einer dynamischen Wechselwirkung zweier Faktoren: zum einen die politischen und kulturellen Ideale, welche die Mentalität der sozialen Elite, ihre Diskussionen und Entscheidungen als Klientel von Künstlern, Architekten und Gestaltern beeinflusst haben, zum anderen die massgebenden intellektuellen Strömungen der Nachkriegszeit, die für die Formation und Berufspraxis der Architekten, ihre fachlichen Aspirationen charakteristisch waren.

Dafür war eine intensive Auseinandersetzung mit der Industriestadt Mailand nach dem Zweiten Weltkrieg und während der wirtschaftlichen Boomphase notwendig. Das Studium des Architekturdiskurses erfolgte hauptsächlich anhand der Publikationen der Zeitschriften Casabella-Continuità und Domus sowie anhand

31 Die ausgewählten Projekte konnten auch fotografisch dokumentiert werden. Sie sind im Abbildungsteil aufgeführt. 16 der Ausstellungsbeiträge der Triennalen zum Thema Wohnen. Ergänzend wurden weitere Zeitschriften und die entsprechende Sekundärliteratur herangezogen.

Zur Beurteilung der kulturellen Ideale und der Mentalität von Mailands Gesellschaftselite in der Nachkriegszeit wurden neben dem Studium der entsprechenden Sekundärliteratur anhand eines Fragenkatalogs Interviews mit Bauherren und Bauherrinnen, ehemaligen Mitarbeitern sowie Fachplanern aus dem beruflichen Netzwerk Caccia Dominionis geführt (siehe Kapitel 1.5.3.). Zudem wurden die Interieurs der Wohnungen fotografisch dokumentiert.

Auf die Bedeutung des Begriffs ambiente im Architekturdiskurs Mailands während der Nachkriegszeit wurde bereits hingewiesen. Er wird im Kapitel 2 detailliert und differenziert untersucht. Zu den weiteren Begriffen, die zur Erschliessung der Mentalität der sozialen Elite Mailands sowie ihrer Entscheidungspraxis grundlegend sind, gehören Identität und Distinktion. Sie werden im Folgenden kurz dargestellt.

1.3.1. Identität

Im Hinblick auf die Situation der sozialen Elite Mailands ist der Identitätsbegriff Homi Bhabhas hilfreich, da er eine zeitliche Dimension einführt, die eine perspektivische und prozesshafte Lesart zulässt.32 Er trägt der Komplexität einer dynamischen (nicht monolithischen) Identitätsfindung Rechnung und fügt zudem eine «psychologische Dimension»33 hinzu. Bhabha zeigt in Die Verortung der Kultur, inwiefern Vergangenheit und Zukunft für die Konstruktion der Identität von Bedeutung sind. Bhabha spricht von einem «Zwischenraum», der durch das Zusammentreffen mindestens zweier Kulturen entsteht und in dem «intersubjektive und kollektive Erfahrungen von nationalem Sein (nationness), gemeinschaftlichem Interesse und kulturellen Wert verhandelt» werden.34 Die Gegenwart ist für ihn kein punktueller Moment in der Geschichte, sondern ein «Schwellenraum», der weder als «Bruch oder Verbindung mit der Vergangenheit und der Zukunft gesehen» wird.35 Bhabha vergleicht den «Schwellenraum» metaphorisch mit einem «Treppenhaus».36 Ihm zufolge kann dort ein dynamischer Prozess des Hinauf- und Hinabsteigens zwischen festen Bezugspunkten stattfinden, der die Möglichkeit eines Identitätsbegriffs eröffnet, der auf «Hybridität» und «Differenz» basiert und nicht auf Homogenität und Eindeutigkeit.

Wie in den Kapiteln 3 «Rekonstruktion» und 4 «Konstruktion» dargestellt, wird das Selbstverständnis der Mailänder Elite in der Phase zwischen 1945 und 1970 zweimal unterminiert, aufgebrochen und verschoben: zuerst angesichts der politischen Umwälzungen infolge des Faschismus und der Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs in der Zeit nach 1945, sodann durch die gesellschaftlichen Umwälzungen im Zuge des Demokratisierungsprozesses während der wirtschaftlichen Boomjahre. Die Perspektive ist einmal in die

32 Der Kulturtheoretiker analysiert die Konstruktionen von Identitäten im postkolonialen Kontext. Bhabha 2007. Anna Maria Torriglias Publikation Broken Time, Fragmented Space stützt ihre Analyse der italienischen Kultur der Nachkriegszeit auf Bhabhas Identitätsbegriff, S. xv–xvi.

33 Torriglia 2002, S. xv.

34 Bhabha 2007, S. 2.

35 Ebd., S. 6.

36 Ebd., S. 5. 17

Vergangenheit gerichtet und die Wahrnehmung der Gegenwart vom Wunsch bestimmt, das Vergangene zu überwinden, ohne den Bezug dazu zu verlieren, das andere Mal geht der Blick in die Zukunft, die Wahrnehmung der Gegenwart ist geprägt vom Wunsch der Bauherren, «modern zu sein», ohne sich der durch den Demokratisierungsprozess erstarkten Mittelklasse anzugleichen.

Ob die Perspektive nach rückwärts oder nach vorn gewandt ist – in beiden Fällen sind Caccias Bauherren bestrebt, ihr Selbstverständnis als Elite zu erneuern und ihre Vorrangstellung zu behaupten. Die Architektur wird dabei zum Ausdruck der Sehnsucht einer revidierten Identität.

1.3.2. Distinktion

Zur Sicherung ihrer sozialen Stellung setzte die gesellschaftliche Elite Mailands «Distinktionspraktiken» ein.37 Gemäss Bourdieu dienen solche Praktiken dem Subjekt dazu, sich einmalige «exklusive» Unterscheidungsmerkmale anzueignen, um die besondere soziale Stellung in der Gesellschaft auszudrücken. Den Erwerb von Kunst sieht Bourdieu als Distinktionspraxis par excellence, weil diese finanzielle «Verschwendung» allein den Zweck hat, «symbolisches Kapital» anzuhäufen und soziale Differenz herzustellen.

Aus Bourdieus Überlegungen ergeben sich Erklärungsansätze für einige Praktiken Caccia Dominionis und seiner Bauherren. Kapitel 3 «Rekonstruktion» behandelt demnach auch Caccias spezifischen Umgang mit historischen Referenzen und Objekten in seinen Wohnbauten. Die historisierenden Elemente an den Fassaden zum einen, das Sammeln und Ausstellen von antiken Möbeln, Büchern, Gemälden zum anderen dienen der Repräsentation von «symbolischem Kapital». Sie demonstrieren nach aussen den hohen sozialen Status der Familie und fungieren im Kreis der Eingeweihten als identitätsstiftender Code.

Wie wiederum die Bauherren Caccias ihre ambivalenten Bestrebungen, modern zu sein, ohne dabei den gesellschaftlichen Status gegenüber der erstarkten Mittelklasse zu verlieren, das Programm der sintesi delle arti nutzen, ist eines der Themen in Kapitel 4 «Konstruktion». Durch die sintesi delle arti können sie die eigene Wohnung als ein Zusammenspiel von Kunst und Architektur betrachten. Die luxuriöse Wohnung als einzigartiges und authentisches Kunstwerk wird dadurch selbst zum «symbolischen Kapital», das als Option gegen Massenkonsum und Massenreproduktion die Differenz zur Mittelklasse sicherstellen kann.

1.4. Stand der Forschung

Der Grossteil der Literatur über Luigi Caccia Dominioni und sein Werk stammt aus Veröffentlichungen der fünfziger und sechziger Jahre. Es sind zumeist Zeitschriftenartikel über einzelne Projekte, die damit zum primären Quellenmaterial gehören.

Von den siebziger bis zu den achtziger Jahren wurde über Leben und Werk des Architekten kaum publiziert. In Leonardo Benevolos (*1923) mehrfach (1964, 1978 und 1988) aufgelegter Architekturgeschichte fehlt

37 Bourdieu 1982, S. 438–440. 18 jeder Hinweis auf ihn.38 Cesare de Seta (*1941) erwähnt in der 1981 publizierten L’architettura del Novecento hauptsächlich Caccias Leistungen als Möbeldesigner, das architektonische Werk wird lediglich mit dem Wohnhaus an der Piazza Carbonari thematisiert.39 Auch Manfredo Tafuri (1935–1994) hat in seiner Storia dell’architettura italiana von 1982 für Caccia nur zwei kurze und abschätzige Notizen übrig.40

Die «Wiederentdeckung» Luigi Caccia Dominionis erfolgt 1984 mit dem Aufsatz des Architekturhistorikers Giacomo Polin «Un architetto milanese tra regionalismo e sperimentazione: Luigi Caccia Dominioni». Der Text beginnt mit dem Satz «Doppo un oblìo editoriale durato per tutti gli anni settante e fino ad oggi, pubblichiamo un certo numero di architetture di Luigi Caccia Dominioni»41 und beabsichtigt, den aus dem Blickfeld der Rezeption geratenen Architekten wieder in den Diskurs aufzunehmen. Der Artikel umfasst eine Werkschau mit 32 Projekten und liefert damit erstmals eine Übersicht zu Caccias vielschichtigem Schaffen.

Drei Jahre später folgt in der Zeitschrift Ottagono Fulvio Iraces Beitrag «The Discreet Charm of Architecture»,42 worin der Rezeptionsgeschichte von Caccias Œuvre nachgegangen und eine erste Bewertung der Arbeitsweise und Projekte vorgenommen wird, begleitet von einer kleinen Werkschau mit 16 Projekten – hauptsächlich Wohnhäusern. Bemerkenswert ist der Verweis auf die besondere Beziehung zwischen Architekt und Bauherrschaft sowie eine erste Einordnung der Arbeiten in eine spezifisch mailändisch-bürgerliche Kultur zwischen Tradition und Innovation.

In ihrer 1988 an der Universität in Florenz eingereichten, unveröffentlichten Diplomarbeit «Luigi Caccia Dominioni. Architetto Milanese» dokumentiert die Architektin Elena Brigi 24 in Mailand stehende Gebäude und geht deren Planungsgeschichte nach.43 Ihr Werk- und Literaturverzeichnis bildete eine hilfreiche Basis für die vorliegende Dissertation.

Maria Antonietta Crippa rückt 1996 in der von Bruno Zevi herausgegebenen Reihe Gli architetti. Universale di architettura mit dem Heft Luigi Caccia Dominioni. Flussi, spazi e architettura die Person des Architekten und seine Entwurfsarbeit ins Zentrum der Betrachtung.44 Es werden insgesamt 47 Projekte abgebildet (18 aus dem Bereich Möbel und Produktgestaltung sowie 29 Architekturprojekte). Die Publikation klammert bewusst den soziokulturellen und wirtschaftlichen Kontext, in dem die Projekte entstanden, aus. Die essayistischen Texte beabsichtigen keine wissenschaftliche Untersuchung.45

38 Benevolo 1988.

39 De Seta 1981, S. 204, 220, 222, 226, 231, 240–241.

40 Tafuri 1986, S. 87 und 112.

41 Polin 1984.

42 Irace 1988.

43 Brigi 1987/88.

44 Crippa 1996.

45 Die Heftreihe widmet sich der Darstellung ausgewählter Architektenpersönlichkeiten der Moderne; sie untersucht deren Entwurfsarbeit sowie die bauliche Umsetzung einzelner Projekte und möchte damit einen Beitrag zur Erfassung der Vielfalt der Tendenzen innerhalb der Moderne leisten. 19

Erst der auswärtige Blick der Schweizer Architektin und Professorin Astrid Staufer vermochte in einem 1996 publizierten Artikel auf die Besonderheiten von Caccia Dominionis Entwurfverfahrens hinzuweisen.46 In detaillierten Analysen gelingt ihr ein neuer Zugang zu seiner entwerferischen Praxis.

Ein detaillierter Eintrag zu Luigi Caccia Dominionis Leben und Werk findet sich im Dizionario dell’architettura del XX secolo, das Carlo Olmo in den Jahren 2000 und 2001 in sechs Bänden herausgegeben hat.47 Von Interesse ist der Hinweis auf die Verwandtschaft der Möbelproduktion zwischen den Wiener Werkstätten von Josef Hoffmann und dem von Caccia Dominioni und 1947 gegründeten Möbelunternehmen Azucena.

Die von Fulvio Irace kuratierte Ausstellung Stile di Caccia, die im Castelvecchio in Verona anlässlich von Caccia Dominionis 89. Geburtstag im Dezember 2002 eröffnet wurde, verschaffte dem Leben und Werk des Architekten erstmals eine Gesamtwürdigung.48 Der Ausstellungskatalog enthält ein Werkverzeichnis mit allen wichtigen Wohnbauten sowie eine umfangreiche Bibliografie und ist damit ebenfalls eine wesentliche Quelle für die Dissertation.49

In ihrer 2004 am Mailänder Polytechnikum abgeschlossenen Dissertation stellt Federica Monetti eine Auswahl von Bauten, Interieurs, Möbeln und Designprodukten ins Zentrum der Betrachtung.50 Die beabsichtigte systematische Bewertung und Einordnung wird nicht umgesetzt. Der Arbeit mangelt es an methodischem Vorgehen sowie einer Schlussfolgerung.

Insgesamt betrachtet ist zum Leben und Werk von Caccia Dominioni bis anhin wenig geforscht und publiziert worden. Systematische Untersuchungen fehlen gänzlich, da die erforderlichen Grundlagen dafür nicht zusammengetragen wurden. Bei der dafür notwendigen Sichtung der Archive in Mailand und Morbegno konnte im Zuge des Forschungsprojekts viel wertvolles, ungesichtetes und unveröffentlichtes Material entdeckt werden, aus dem sich neue Aspekte zur Arbeitsweise des Architekten ergeben.

1.5. Quellen

Die Dissertation erschliesst vier Bereiche primärer Quellen. An erster Stelle stehen die realisierten Wohnbauten, Wohnungsumbauten und -einrichtungen Caccia Dominionis. Die ausgewählten Projekte befinden sich zumeist in ihrem originalen Zustand (einschliesslich der Möbel und Interieurs Caccias), sie wurden alle durch Besichtigungen und Begehungen vor Ort analysiert und dokumentiert.

46 Staufer 1996. Der Artikel basiert auf einer Diplomwahlfacharbeit, die bei den damaligen Gastdozenten Markus Peter und Marcel Meili zwischen 1988 und 1990 entstand.

47 D’Amato 2000.

48 Stile di Caccia. Luigi Caccia Dominioni. Case e cose da abitare, Verona, Museo di Castelvecchio, Sala Boggian, 7. Dezember 2002–9. März 2003, kuratiert von Paola Marini und Fulvio Irace. Zur Ausstellung ist ein gleichnamiger Katalog erschienen. Irace/Marini/Dominioni 2002.

49 Nach den Recherchen in den Archiven in Mailand und Morbegno dürfte die Zahl der Projekte weit über 200 liegen.

50 Monetti 2004. 20

Den zweiten bedeutenden Fundus bilden die Archive (siehe Kapitel 1.5.1.). Ein dritter Bereich umfasst sämtliche, aus der Schaffenszeit des Architekten stammende Literatur zum Thema Wohnkultur (siehe Literaturverzeichnis). Den grössten Umfang machen dabei Artikel in Fachzeitschriften aus, hinzukommen Beiträge in Ausstellungskatalogen (u. a. der Triennale) sowie thematische Buchpublikationen mit Besprechungen zu Caccia Dominionis Projekten. Caccia selbst hat abgesehen von zwei Artikeln nichts selbst geschrieben und publiziert.51 Der letzte Bereich der Quellen besteht aus Interviews mit Bewohnern, Mitarbeitern und Fachleuten aus dem beruflichen Umfeld des Architekten (siehe Kapitel 1.5.2.).

1.5.1. Archive

Privatarchiv Luigi Caccia Dominioni (APLCD) Das private Archiv Luigi Caccia Dominionis ist an zwei Orten untergebracht. Das Hauptkonvolut der Pläne, die für die vorliegende Arbeit relevant waren, befinden sich im Keller der Familienvilla in Morbegno. Es handelt sich grossteils um Unterlagen zu den bis 1975 realisierten Projekten. Caccia hatte dieses Material vor seinem Umzug von Mailand nach Monaco im Jahr 1975 nach Morbegno bringen lassen. Es konnte zu Beginn der Arbeit gesichtet und fotografisch dokumentiert werden. Das zweite Konvolut befindet sich in Caccias Büro in Mailand. Auch dieses Material wurde sporadisch gesichtet. Da es nicht in den Zeitrahmen der Untersuchung fällt, wurde es nicht fotografisch dokumentiert.

Das Privatarchiv ist in einem ungeordneten Zustand. Die vorhandene Werkliste ist nicht vollständig. Zudem ist die Zusammensetzung der jeweiligen Projektunterlagen sehr heterogen. Nur in wenigen Fällen sind die Projekte komplett dokumentiert. Dieser Umstand ist nicht nur auf die fehlende Organisation des Archivs zurückzuführen, sondern lässt auch wichtige Schlüsse auf die Arbeitsweise Luigi Caccia Dominionis zu: Caccia gehört zu den Architekten, die wenn möglich immer mit denselben Handwerkern zusammenarbeiteten und die Details gern direkt auf der Baustelle bestimmten. Diese Praxis mag ein Grund für die wenigen Ausführungspläne in den Archiven sein.52

Der Mangel an Detailplänen erklärt sich auch daraus, dass Caccia die Projekte oft mit Bauunternehmen realisierte. Die Arbeitsteilung erfolgte in ähnlicher Form wie heute zwischen Architekt und Generalunternehmen. Caccia lieferte den Entwurf sowie die Leitdetails, das Bauunternehmen setzte das Projekt um. Vermutlich wurden die Ausführungspläne bei den jeweiligen Bauunternehmen, die mit Caccia zusammengearbeitet haben, wie Ferrobeton oder Bonomi e Comolli, aufbewahrt. Ein Hinweis darauf ist der Umstand, dass die Ausführungspläne des Wohnhauses der Familie Mondelli an der Piazza Carbonari bei der

51 Caccia Dominioni/Castiglioni/Castiglioni 1946.

52 Der Historiker James Ackerman führt die auf Kommunikation und nicht auf Ausführungspläne basierte Arbeitspraxis zwischen Architekt und Handwerker am Beispiel der Architekturpraxis der Renaissance aus. Es scheint, dass eine verwandte Praxis im Mailand der fünfziger und sechziger Jahre noch Gültigkeit besass. Ackerman 1954, S. 8. 21

Baufirma Mondelli aufgefunden werden konnten. Die Firmen Ferrobeton und Bonomi e Comolli existieren heute nicht mehr.53

Ein Hindernis bei der Erschliessung der kompletten Projektpläne ist zudem die fehlende Wertschätzung solcher Unterlagen im Kreis der Mailänder «Professionalisten». So gab der Ingenieur Vittore Ceretti (*1920), der mit Caccia das Wohnhaus an der Via Massena realisiert hat, die Auskunft, dass er die Ausführungspläne dieses Projekts nicht mehr besitze.54 Das gleiche gilt für Caccia: Es ist das Bauwerk, das zählt, und nicht die Planunterlagen.

Diese schwierige Ausgangslage machte es notwendig, auf die Plansätze der Behörden, das heisst auf die Baueingabepläne der Stadtarchive von Mailand zurückzugreifen. Zu Beginn der Archivrecherche wurde mit Hilfe der vorhandenen Dokumentationen in der älteren Forschung sowie eines auf der Grundlage von Caccias Privatarchiv angefertigten Registers eine Werkliste aller Mailänder Wohnbauten des Architekten erstellt, die in die Periode zwischen 1936 und 1975 fallen. Anhand dieser Übersicht wurden Gesuche an die städtischen Archive in Mailand gestellt, um Einsicht in die Projektakten zu erhalten und das Planmaterial des teilweise lückenhaften Privatarchivs des Architekten zu vervollständigen.

Die Organisation der städtischen Archive in Mailand ist wenig transparent. Wie sich im Laufe der Recherche herausgestellt hat, wird das gesuchte Material an unterschiedlichen Orten aufbewahrt.

Öffentliche städtische Archive in Mailand

Comune di Milano, Archivio storico civico, Via Deledda 16 (ASC) Im Archivio storico civico werden die amtlichen Bauakten der Stadt aus den Jahren zwischen 1928 und 1983 aufbewahrt. Dazu gehören Bau- und Abbruchgesuche, Baubewilligungen und Baufreigaben des Amtes für Städtebau, der Feuerpolizei und in einzelnen Fällen auch des Amtes für Denkmalschutz, die Korrespondenz zwischen Bauherr und Architekt und den erwähnten Ämtern der Stadt. Darüber hinaus sind in einigen Fällen notarielle Einträge zu Haus- oder Landkäufen zu finden.

Die nach Strassennamen und Hausnummern geordneten Unterlagen ermöglichten auch die Einsicht in ältere, den Projekten Caccia Dominionis an derselben Hausnummer vorausgehenden Baumassnahmen und geben somit Aufschluss über den Zustand vor dem Eingriff durch Caccia. Obschon das Archivio storico civico den für die Forschungsarbeit zeitlich relevanten Bestand abdeckt, war nur ein Bruchteil des erforderlichen Materials hier zu finden.

Comune di Milano, Ufficio Visure, Via Pirelli 39 (UVM) Ein weiteres Teilstück der gesuchten Unterlagen konnte im Büro der städtischen Verwaltung zur Einsichtnahme laufender Bauprojekte ausgemacht und dokumentiert werden. Der Ufficio Visure verwaltet

53 Ferrobeton wurde von Carlo Feltrinelli (1881–1935) gegründet und realisierte u. a. den Torre Velasca für BBPR. Bonfanti 1973. Die von Anna Bonomi Bolchin gegründete Firma Bonomi e Comolli war für die Ausführung des Pirelli-Turms von Gio Ponti verantwortlich. http://www.150anni.it/webi/stampa.php?wid=1939&stampa=1. (Abgerufen am 10. September 2013.)

54 Gespräch mit Vittore Ceretti, 10. Dezember 2009, Mailand. 22 sämtliches Planmaterial, das bis zum heutigen Zeitpunkt bearbeitet wird. Dazu gehören gleich wie im Archivio storico civico alle Baugesuche sowie die offizielle Korrespondenz. Auch hier ist das Material nach Adressen geordnet. Die bürokratischen Strukturen dieses Verwaltungsapparats verursachten erhebliche Wartezeiten.

Comune di Milano, Ufficio Agibilità: Via Edolo 19 (UAM) Der Grossteil der gesuchten Planakten befindet sich im «Büro für Bewohnbarkeit» (agibilità). Die «Agibilità» ist ein Zertifikat, das die bautechnische Qualität und die Einhaltung aller Sicherheitsnormen garantiert. Sie entspricht einer amtlichen Bauabnahme, welche die Funktionstüchtigkeit des Hauses feststellt. Sie muss vor Einzug der Benutzer vom Bauherren eingeholt werden.

Der hier entdeckte Bestand enthält die gleiche Art von Akten wie die beiden anderen Archive und ist auf die gleiche Weise geordnet. Über die Gründe, weshalb die Pläne hier aufbewahrt werden, lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise konnte die Übergabe an das Archivio storico civico bislang aus Platznot und wegen mangelnder Arbeitskraft nicht erfolgen.

Comune di Milano, Archivio storico civico, Biblioteca Trivulziana (ASCT) Um die Baugeschichte und damit den Zustand einiger ausgewählter Häuser vor den Eingriffen durch Caccia Dominioni zu rekonstruieren und dadurch mehr über die Gründe der baulichen Veränderungen in Erfahrung zu bringen, wurde das Archivio storico civico der Biblioteca Trivulziana konsultiert, wo die amtlichen Unterlagen zum städtischen Bauwesen aus den Jahren zwischen 1385 und 1927 aufbewahrt werden. Die Materialsuche war nur in Teilen erfolgreich.

Comune di Milano, Soprintendenza per i Beni Architettonici e Paesaggistici di Milano (ASBAP)

Ein weiteres Konvolut der relevanten Unterlagen befindet sich im Archiv der Mailänder Denkmalpflege, wo die Akten zu allen denkmalgeschützten Objekten im Stadtgebiet liegen. Hier konnte einiges wichtiges Planmaterial sowie Korrespondenz zwischen dem Amt und Caccia Dominioni gesichtet und fotografisch aufgenommen werden.

Resultate der Aktensichtung in den öffentlichen Stadtarchiven Die neuen Informationen aus den Bauakten der Denkmalpflege und aus dem Archiv der Biblioteca Trivulziana zeigen die durch Luigi Caccia Dominioni vorgenommenen baulichen Massnahmen auf und liefern zusätzliche Erkenntnisse über die Beweggründen, die entweder zu einem Umbau oder einem Abriss geführt haben. Die Dokumente sind entscheidende Bausteine, um die Lücken in der jeweiligen Projektgeschichte zu schliessen.

Die Namen der in den Akten erwähnten Fachplaner wie Ingenieure, Ausführungsunternehmer oder Bauleiter, aber auch Investoren und Bauherren geben Aufschluss über die Zusammensetzung der am jeweiligen Projekt beteiligten Personen und damit über das berufliche Netzwerk des Architekten. Darüber hinaus liefert das Material wertvolle Hinweise zur Baukultur Mailands innerhalb des untersuchten Zeitraums. 23

Archiv der Triennale di Milano (TRN) Das Archiv der Triennale di Milano wurde in den letzten Jahren systematisch aufgearbeitet und steht seit kurzem Forschenden zur Verfügung. Luigi Caccia Dominioni hat zwischen 1936 und 1968 mehrfach als Aussteller oder Kurator an der Triennale mitgewirkt. In den Akten des Archivs konnten die entsprechenden Protokolle der Sitzungen zur Vorbereitung und Themenfindung dieser Ausstellungen gesichtet und fotografisch aufgenommen werden. Darüber hinaus besitzt die Triennale Fotografien, welche die Realisierung der kuratorischen Konzepte dokumentieren. Insgesamt liefert das Archiv der Triennale weitere aufschlussreiche Informationen zum Betätigungsfeld des Architekten, seinem Netzwerk und den brisanten architektonischen Themen und Debatten der untersuchten Periode.

Nachlass Francesco Somaini (AFS) Die Zusammenarbeit zwischen dem Künstler Francesco Somaini und dem Architekten Luigi Caccia Dominioni ist ein weiteres wichtiges, bislang kaum erforschtes Gebiet. Die Tochter Somainis, die Kunsthistorikerin Luisa Somaini, widmet sich seit 2008 der Archivierung des Nachlasses ihres Vaters. Sie hat ein – allerdings nicht ganz vollständiges – Register der Kooperationen zwischen Somaini und Caccia Dominioni publiziert, das eine Basis für die vorliegende Untersuchung war.55 Zu den Arbeiten gehören Mosaikfussböden, Bronzeplastiken, Kamineinfassung und Malereien, die in zahlreichen Häusern und Wohnungen Caccias integrale Bestandteile der Ausstattung sind. Neben Bildmaterialien und Skizzen, die das Werk ihres Vaters dokumentieren, konnte Luisa Somaini im Gespräch weitere wesentliche Einblicke in das Zusammenwirken von Künstler und Architekt beitragen.

Archiv des Politecnico di Milano (APM) Im Archiv der Mailänder Polytechnikums sind im «Registro degli Studenti Iscritti alla Scuola Preparatoria e di Applicazione per gli Architetti Civili» alle Zeugnisse der Studienzeit Luigi Caccia Dominionis aufbewahrt. Diese belegen die obligatorischen und fakultativen Unterrichtsfächer, die der Architekturstudent belegte. Die Zeugnisse geben auch Aufschluss über dessen besondere Kompetenzen und Interessen während der Ausbildung. Weitere Unterrichtsmaterialien konnten nicht ermittelt werden.

Nachlass Piero Portaluppi (APP) Eine Recherche im gut organisierten Privatarchiv Piero Portaluppis, Architekt und Lehrer Caccia Dominionis, zu weiterem Unterrichtsmaterial sowie nach Korrespondenz zwischen den befreundeten Architekten brachte keine relevanten Resultate zutage.

Archiv Azucena Um 1947 gründete Luigi Caccia Dominioni gemeinsam mit Ignazio Gardella und Corrado Corradi Dell’Acqua das kleine Unternehmen Azucena. Die Firma für die Herstellung und den Vertrieb von Möbeln besteht nach wie vor, verfügt aber über kein geordnetes Archiv. Dennoch konnten zahlreiche Skizzen und Zeichnungen zu einigen wichtigen Möbelentwürfen eingesehen und digitalisiert werden. Ausserdem besitzt die Firma eine Werkliste aller in Serie produzierten Möbel, die sie für das Forschungsprojekt zur Verfügung stellte.

55 Barilli u. a. 1984, S. 37–38. 24

Archivio Epistolario di Gio Ponti, Via Rovani 11 (AEGP) Der auf Anfrage zugängliche schriftliche Nachlass Gio Pontis wird von dessen Enkel Paolo Rosselli betreut. Die dort entdeckten acht Schreiben – sechs von Ponti an Caccia Dominionis, zwei von Caccia an Ponti – unterstreichen in ihrem lockeren Umgangston das freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden Architekten. Interessant ist ein Schreiben Pontis an Caccia vom 23. April 1959, worin er ihm verspricht, ihn demnächst dem New Yorker Philip Johnson vorzustellen.

Schweizerisches Bundesarchiv Bern (BAR) Die Recherchen im Schweizerischen Bundesarchiv dienten dazu, Caccias Dominionis Aufenthalt im Internierungslager im schweizerischen Mürren von 1943 bis 1945 zu bestätigen. Darüber hinaus konnten keine für die Forschungsarbeit relevanten Unterlagen ausfindig gemacht werden.

Weitere Archive Im Archivio dello Stato in Rom wird ein Register aller Personen aufbewahrt, die in der Partito Nazionale Fascista eingeschrieben waren. Laut der E-Mail-Antwort vom 4. Oktober 2011 war Luigi Caccia Dominioni nie Mitglied der faschistischen Partei.

Das Studio Museo Achille e Pier Giacomo Castiglioni in Mailand befand sich zum Zeitpunkt der Anfrage am 16. Februar 2011 im Umbau. Da hier nur Archivalien aus dem Zeitraum zwischen 1975 und 2002 lagern, wurde es nicht weiter berücksichtigt.

Die E-Mailanfrage vom 19. Mai 2012, ob die Fondazione Lucio Fontana in Mailand über Dokumente verfügt, die einen brieflichen Austausch zwischen Caccia Dominioni und Lucio Fontana bestätigen, wurde von der Leiterin des Archivs telefonisch verneint.

Der Nachlass der Mailänder Architektengruppe BBPR (Banfi, Belgiojoso, Peressutti, Rogers) wurde laut Auskunft des Architekturhistorikers Luca Molinari vor wenigen Jahren in das Politecnico di Milano überführt. Wegen eines Streits zwischen den Nachfahren und den Verantwortlichen am Polytechnikum sind gemäss Molinari sämtliche Unterlagen auf unbekannte Zeit unter Verschluss und nicht einsehbar.56

1.5.2. Interviews

Luigi Caccia Dominioni Im Laufe der vorliegenden Arbeit wurden bei den Angaben zu den untersuchten Projekten Widersprüche zwischen den schriftlich belegten Informationen in den Archivalien und den mündlichen Aussagen Luigi Caccia Dominionis festgestellt. Wegen der bekannten Problematik der Oral History und im Hinblick auf das hohe Alter des Architekten wurde auf weitere Interviews mit ihm verzichtet.

56 Luca Molinari hat eine Dissertation über Ernesto Nathan Rogers verfasst und als «letzter» den Nachlass von BBPR eingesehen. Molinari 2008. 25

Bauherren Im Zusammenhang mit den Besichtigungen der von Caccia Dominioni entworfenen und noch erhaltenen Wohnbauten und Interieurs konnten Interviews mit ehemaligen Bauherren geführt werden. In den Gesprächen wurde erörtert, woher sich Bauherren und Architekt kannten, weswegen sie ihn beauftragten und wie und wo sie vor dem Einzug in die neue Wohnung gelebt haben. Zudem sollten Erkenntnisse zum persönlich-biografischen Hintergrund der Bewohnerinnen und Bewohner gewonnen werden. Die Auskünfte in den insgesamt fünf Interviews mit Bauherrenfamilien deuten auf ein enges soziales Netzwerk des Architekten hin.

Mitarbeiter Während des ersten Rechercheaufenthalts in Mailand konnten zwei ehemalige Mitarbeiter Caccia Dominionis ausfindig gemacht werden, die in der für das Forschungsprojekt relevanten Zeitphase für ihn tätig waren. Der Architekt Glauco Marchegiani und die Architektin Anna Risari arbeiteten von 1960 bis 1970 in seinem Büro. Die wiederholten Gespräche mit dem Ehepaar ergaben profunde Einblicke in den beruflichen Alltag, die Arbeitsprozesse und die thematische Schwerpunkten des Architekten.

Fachplaner Interviews mit dem Ingenieuren Vittore Ceretti, dem Bauunternehmer Roberto Moro und dem Bauleiter Renzo Panicho lieferten weitere unverzichtbare Indizien zur Baupraxis Caccia Dominionis während der sechziger und siebziger Jahre.

1.6. Aufbau der Arbeit

Anhand ausgewählter Wohnbauten will die Dissertation der Thematik und Entwicklung der Architektur Luigi Caccia Dominionis während seiner Hauptschaffensperiode zwischen 1945 und 1970 nachgehen. Es geht somit nicht um eine Darstellung seines Gesamtwerks, sondern vielmehr um das Aufzeigen und Einordnen seines Verständnisses von Architektur am Beispiel von Wohnhäusern in zwei kurz aufeinanderfolgenden, spannungsreichen historischen Phasen in der Stadtentwicklung Mailands, der des Wiederaufbaus und der des wirtschaftlichen Booms.

Nach einer Einführung geht es im ersten grossen Kapitel «Ambiente» um die Untersuchung und Ausführung des Schlüsselbegriffs der Dissertation. Es lassen sich zwei Konzepte von ambiente ermitteln: ambiente als gestaltete Kontinuität der Geschichte und ambiente als gestaltete Kontinuität des Raumes. Die anschliessenden Kapitel «Rekonstruktion» und «Konstruktion» gehen den beiden Konzepten mit Blick auf deren Rolle in der entwerferischen Arbeit Caccia Dominionis nach.

Rekonstruktion und Konstruktion als architektonische Praktiken Luigi Caccia Dominionis lassen sich nicht – wie noch zu Beginn der Forschungsarbeit vermutet – zwei präzis umrissenen historischen Phasen zuordnen. Beide Praktiken sind sowohl in der Zwischenkriegszeit, in der unmittelbaren Nachkriegszeit und während der Boomjahre anzutreffen. Dennoch lässt sich festhalten, dass die Phase des Wiederaufbaus und die der Boomjahre je für sich einen Brennpunkt darstellt, der die Praktiken der Rekonstruktion oder Konstruktion unterschiedlich gewichtete. 26 27 2. Ambiente

2.1. Begriff und These

Im Architekturdiskurs der Mailänder Nachkriegszeit gehörte ambiente zu den Schlüssel- begriffen.57 Zwischen 1930 und 1970 haben die unterschiedlichsten Persönlichkeiten der Architekturszene Mailands und Italiens den Begriff nicht nur häufig verwendet, sondern ihn auch inhaltlich auf je eigene Art und Weise geprägt.58 Im Laufe seiner langen, weit zurückreichenden Geschichte hatte der Begriff einen grossen Bedeutungsumfang erlangt. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt ambiente als Neologismus und bot sich vermutlich auch deswegen für neue Deutungen und Aneignungen an.59 Im Unterschied zu anderen zentralen Begriffen dieser Periode wie «Kontinuität», «Geschichte» oder «Tradition» fand ambiente erst um 1930 Eingang in das Vokabular der italienischen Architektur. In der Phase des Wiederaufbaus erfuhr ambiente die wichtigste inhaltliche Prägung, wurde Mitte der sechziger Jahre zu einem stehenden architekturtheoretischen Begriff60 und blieb bis in die siebziger Jahre dank mehrerer semantischer Verschiebungen von Brisanz.61 Ambiente als Begriff und Konzept spiegelt wie kein anderes Wort den Zeitgeist der italienischen Architektur zwischen 1930 und 1970.

Ambiente eignet sich somit im besonderen Mass als methodischer Begriff zur «Entschlüsselung» der Debatten in der Architektur der Mailänder Nachkriegszeit. Anhand der Begriffsgeschichte lassen sich die wechselnden räumlichen, ästhetischen und sozialen Anliegen und Zielsetzungen der Architekten nachvollziehen. Die folgende analytische Darlegung der wegweisenden Definitionen von ambiente dient dazu, die Entwicklung des Begriffs in seiner Komplexität und in seinem Bedeutungswandel im Hinblick auf den historischen Kontext der hier untersuchten Wohnbauten Luigi Caccia Dominionis zu erfassen.

Nach der Darstellung der aktuellen Definitionen von ambiente (Kapitel 2.2.1.) schafft das anschliessende Kapitel (2.2.2.) einen Überblick über die Bedeutungen, bevor der Begriff um 1930 Aufnahme in das architektonische Vokabular fand. Schwerpunkt ist das dritte Kapitel (2.2.3.), das einzelnen massgebenden Begriffsbestimmungen gewidmet ist. Dabei wird zwischen den Kategorien «Konzeption» und «Verwendung» unterschieden, zwischen den theoretisch ausgearbeiteten Konzepten von ambiente und allgemeineren Anwendungen des Begriffs. Die erste Gruppe umfasst die wesentlichen theoretischen Positionen zum Thema ambiente, die im Mailand der Nachkriegszeit virulent waren. Zu deren Protagonisten gehören Gustavo Giovannoni (1873–1947), Ernesto Nathan Rogers, Lucio Fontana (1899–1968) und Paolo Portoghesi (*1931). In der zweiten Gruppe werden Texte anderer architektonisch wie publizistisch

57 Ambiente steht hier auch stellvertretend für seine zahlreichen Wortbildungen wie ambientale, ambientarsi, ambientamento, ambientazione, ambientismo.

58 Siehe dazu ausführlich Kap. 2.1.3.

59 Die schrittweise Akzeptanz des Begriffs im Italienischen bis 1930 ist nachzulesen bei Michaëlsson 1939.

60 Architekturtheoretisch geprägt hat den Begriff der Römer Architekt Gustavo Giovannoni; siehe Giovannoni 1929. Als «stehender Begriff» kann ambiente spätestens nach seinem Eingang in Paolo Portoghesis Dizionario enciclopedico di architettura e urbanistica betrachtet werden; siehe Portoghesi 1968.

61 Brisanz erhielt der Begriff im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Umweltschutzes und der Umweltethik Mitte der siebziger Jahre. Siehe dazu die Definition bei Romano 1977, S. 393–416. 28 bedeutsamer Personen behandelt, die am ambiente-Diskurs nicht beteiligt waren, aber den Begriff verwendeten und ihr eigenes Verständnis für diesen entwickelten. Zu diesen Persönlichkeiten zählen Roberto Aloi (1897–1981) mit seinen vielbeachteten und weitverbreiteten Buchreihen, insbesondere L’arredamento moderno, sowie Gio Ponti mit seinen einflussreichen Zeitschriften Domus und Stile. Damit wird die gesamte Tragweite der Diskussion um den Begriff des ambiente im Mailänder Kontext umrissen.

2.2. Ambiente

2.2.1. Aktuelle Begriffsdefinitionen

Im Dizionario Garzanti, wie das Grande dizionario della lingua italiana moderna aus dem Jahr 1998 kurz genannt wird, sind sechs verschiedene Definitionen zu ambiente aufgeführt.62 Gemeinsam ist allen Bedeutungen, dass sie das bezeichnen, was «um etwas herum ist».63 Dazu gehören der «physische Ort» und die «die biologischen Bedingungen, unter denen ein Organismus existiert». Mit ambiente ist auch die Gesamtheit «aller sozialen, kulturellen und moralischen Bedingungen» benannt, die auf einen Menschen einwirken. Ebenso kann es einen «Komplex von Bedingungen» beschreiben, welche die Entwicklung eines «historischen, sozialen oder kulturellen Phänomens» sichtbar machen. Ambiente meint ausserdem einfach «Lokal, Zimmer oder Innenraum». Nicht zuletzt dient es im Bereich der Informatik als Name eines Computersystems. Im Dizionario Garzanti ist zudem eine Reihe von Wortbildungen auf der Basis von ambiente zu finden. Das Verb ambientare etwa bedeutet «sich eingewöhnen», ambientamento «Eingewöhnung» oder «Harmonisierung eines neuen Gebäudes mit dem bestehenden architektonischen Ambiente». Ambientazione wird im Theater oder im Kino zur Bezeichnung der Szenerie verwendet, ein ambientatore ist ein «Raumgestalter» oder «Szenograf».

In der Enzyklopädie La piccola Treccani von 1995 wird eine inhaltsgleiche Erklärung vorgenommen.64 Ambiente ist auch hier der «Raum, der den Menschen oder eine Sache umgibt». Auch die kurze Definition in der Grande Enciclopedia von Zanichelli von 2007 stimmt mit den bisher genannten überein.65

Die inhaltliche Bestimmung von ambiente bewegt sich im heutigen Sprachgebrauch in einem weiten Radius räumlicher, kultureller, soziologischer und ökologischer Semantik. Was implizit in den Wortbildungen zum

62 Zur Darstellung der aktuellen Begriffsdefinitionen wurden neben dem Grande dizionario della lingua italiana moderna die aktuellsten Ausgaben weiterer Enzyklopädien herangezogen: Zanichelli 2007; Piccola Treccani 1995. Die Wörterbücher und Enzyklopädien der Verlage Garzanti, Zanichelli und Treccani gehören zu den gebräuchlichsten italienischen Nachschlagewerken des 20. Jahrhunderts.

63 Grande dizionario 1998, S. 119.

64 Piccola Treccani 1995, S. 369.

65 «Complesso delle condizioni esterne all’organismo, in cui si svolge la vita vegetale e animale», in: Zanichelli 2007, S. 83. 29

Ausdruck kommt, ist ein wechselwirksames Verhältnis zwischen Mensch und ambiente. Das ambiente prägt den Menschen, umgekehrt ist der Mensch in der Lage, das ambiente zu gestalten.66

2.2.2. Begriffsgeschichte vor 1930

Ein Überblick über die Begriffsgeschichte von ambiente vor 1930 soll die Bedeutungsinhalte zusammenfassen, die das Wort vor der Aufnahme in das architektonische Vokabular besass. Damit wird zum einen der erhebliche Bedeutungsumfang des Wortes erläutert und zum anderen auf Bedeutungsnuancen hingewiesen, die möglicherweise dazu geführt haben, das Wort ambiente in das Vokabular der Architektur zu übernehmen.

Der Literaturwissenschaftler und Romanist Leo Spitzer (1887–1960) geht in seinem 1942 in zwei Teilen erschienenen Aufsatz «Milieu and Ambiance» der semantischen Entwicklung des altgriechischen περιέχειν («periechein») bis zum italienischen ambiente der Neuzeit nach.67 Er untersucht die Geschichte des Wortes im Kontext der europäischen Sprach- und Ideengeschichte. Da periechein zur Beschreibung räumlicher Vorstellungen benutzt wurde, basiert Spitzers Vorgehen auf dem Vergleich der vorherrschenden Raummodelle der jeweiligen Zeit mit den dazugehörigen Begriffen und ihren Definitionen, angefangen mit dem Wort periechein über das lateinische ambiens, das neulateinische medium bis zum französischen milieu von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit. Er zeigt auf, wie die Bezeichnungen milieu und ambiance respektive ambiente und medium historisch und inhaltlich miteinander verflochten sind.68 Gemäss Spitzer ist eine «Filiation von Aristoteles’ periechein über die mittelalterlichen Übersetzungen und diejenigen der Renaissance bis hin zum italienischen ambiente» nachweisbar.69

Das altgriechische περιέχειν beschreibt laut Spitzer das, «was uns umgibt und umfasst».70 Aus periechein spricht die altgriechische Vorstellung der Verbundenheit von «Universum und Menschen».71 Die «umgebende Luft, der Raum, der Himmel, die Atmosphäre und das Klima»72 galten, so Spitzer, im antiken

66 Zu weiteren zeitgenössischen Enzyklopädien, die auf den ambiente-Begriff eingehen, auf die aber in diesem Kapitel nicht eingegangen wird, siehe Carlo Truppi, «Ambiente» in: Enciclopedia filosofica, Bd. 1, hg. vom Centro di Studi Filosofici di Gallarate, Mailand: Bompiani, 2006, S. 327–332, insbes. S. 330–331: «V. Po(i)etica dei luoghi»; Mariachiara Tallacchini, «Ambiente » in: Enciclopedia filosofica 2006, Bd. 1, S. 332–333; «Ambiente» in: Enciclopedia, Bd. 1, hg. von Ruggiero Romano, Turin: Einaudi, 1977, S. 393–416. Der Eintrag Truppis stellt eine zwar interessante, aber eher poetische Interpretation dar, er bietet keine umfassende wissenschaftliche Recherche zum Begriff und seinem Bedeutungswandel. Tallacchini fokussiert lediglich die Umweltethik. Auch der Eintrag in der Enciclopedia von 1977 beleuchtet nur die ökologische und ethische Dimension des Begriffs.

67 Spitzer 1942. Spitzers Aufsatz stellt bis heute den einzigen umfassenden literaturhistorischen Beitrag zum Begriff ambiente dar. Er ist eine Antwort und Kritik auf die kurz zuvor erschienene Abhandlung von Karl Michaëlsson zu «Ambiance»; siehe Michaëlsson 1939. Die folgenden Ausführungen beruhen auf Spitzer.

68 Zu Spitzers methodischem Vorgehen vgl. Spitzer 1942 [Teil 2], S. 198–200.

69 Spitzer 1942 [Teil 1], S. 26.

70 «that which surrounds, encompasses», ebd., S. 2.

71 Spitzer 1942 [Teil 2], S. 198.

72 «all-embracing air, space, sky, atmosphere, climate», Spitzer 1942 [Teil 1], S. 2. 30

Griechenland als Einflusskräfte auf den Körper und Geist,73 und dieses Umgebende war erfüllt mit «Äther»,74 einem «geistigen, geheimnisvollen Fluidum […], das in den Menschen […] einströmt».75 Periechein bringt die Fähigkeit der Griechen zum Ausdruck, das «Umgebende» nicht als eine «kalte Abstraktion» zu begreifen, sondern als etwas «Organisches», «Lebendes» und damit auch «Leibliches», was «beschützerische» Eigenschaften besitzt.76

Das klassische Latein der Römer kannte gemäss Spitzer das Substantiv ambiente nicht, nur das Verb ambire existierte.77 Dieser Umstand war ein Hinweis auf die nicht vorhandene Vorstellung einer grossen und alles umfassenden Kraft.78 Erst die mittelalterliche Kosmologie wies wiederum Übereinstimmungen mit dem altgriechischen Weltbild auf. Was allerdings in der mittelalterlichen Bedeutung fehlt, ist die «Wärme», «Vitalität» und «Aktivität» des altgriechischen Konzepts.79

Im Italienischen tauchte ambiente Spitzer zufolge erstmals in Galileo Galileis (1564–1642) posthum 1656 veröffentlichten Kosmologie als aria ambiente auf.80 Galileo verstand unter aria ambiente ein mathematisches Raumsystem.81 Der mathematisch geprägte Begriff verkürzte sich im 17. Jahrhundert zu ambiente und geriet im Italienischen immer mehr in Vergessenheit. Isaac Newton (1643–1727) benutzte in seinen Arbeiten das Wort medium für Raum und verdrängte damit ambiente gänzlich aus dem mathematisch- physikalischen Diskurs.82 Erst als das soziologische Konzept des milieu, das der französische Historiker und Philosoph Hyppolite Taine (1828–1893) entwickelt hatte, in Italien Eingang fand, wurde das vergessene ambiente im Italienischen wieder auferweckt.83 Für Taine war das milieu das «Aggregat der Einflüsse oder Bedingungen, welche das Sein, die Entwicklung, das Leben, oder das Verhalten einer Person oder einer Sache formen oder beeinflussen».84 Obwohl die Italiener bei der Übersetzung von milieu in ambiente auf

73 «active upon the human constitution», ebd.

74 Ebd., S. 6.

75 Ebd., S. 5.

76 Ebd., S. 9–11.

77 Der Wortstamm «ire» bedeutet «gehen», das Präfix «amb-» «herum», «ringsum» oder «auf beiden Seiten». Georges 1983, S. 359.

78 Spitzer 1942 [Teil 1], S. 17.

79 Ebd., S. 20.

80 Spitzer 1942 [Teil 1], S. 1.

81 Ebd., S. 8, Anm. 8.

82 Ebd., S. 36.

83 Spitzer 1942 [Teil 2], S. 201. Auch das französische milieu hat eine Reihe semantischer Verschiebungen und Bedeutungserweiterungen erlebt. Bevor es als soziologisches Konzept Italien erreichte, war das Wort ein Begriff aus der Biologie. Wie Spitzer darlegt, war milieu das medium, worin Organismen leben und wovon sie abhängig sind. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der biologische Begriff um den soziologischen erweitert, bis milieu vergleichbar mit dem antiken ambiente das komplette Ensemble der äusseren Bedingungen und Umstände bezeichnete, die ein individuelles menschliches Leben beeinflussen.

84 Hyppolite Taine, Histoire de la littérature anglaise, Bd. 1, 9., durchgeseh. und erw. Aufl. Paris: Hachette, 1895. Zit. n. Spitzer 1942 [Teil 1], S. 2. 31 ihre eigene, aus dem Lateinischen abgeleitete Bezeichnung zurückgriffen,85 erschien das Wort noch um 1900 als Neologismus. Erst um 1935 war ambiente fest im italienischen Wortschatz verankert.86

Spitzer beendet seinen Exkurs zum italienischen Sprachgebrauch mit zwei aufschlussreichen, jedoch nicht weiter ausgeführten Thesen: Ambiente bezeichne zuweilen nicht unbedingt den umgebenden Raum, sondern eher die «subjektive Stimmung» einer Person, und die italienische Sprache habe die Tendenz, alte Bedeutungsschichten in neue einzuschliessen.87 Spitzers zweite Anmerkung impliziert, dass im Italienischen hinter der Taine’schen Begriffsdefinition auch die Bedeutungsnuancen der Vergangenheit mitschwingen.

Es stellt sich die Frage, welche Facetten der Bedeutung ambiente im Sprachgebrauch der Architekten seit den 1930er Jahren besass und welche Bedeutungsinhalte zur Aufnahme des Wortes in das architektonische Vokabular beitrugen. Während über Letzteres nur spekuliert werden kann, sei hier vorweggenommen, dass die Architekten ambiente als räumliches Konzept begriffen, das aus einer Summe von Faktoren mit einer veränderlichen und gestaltbaren Ordnung besteht. Deren Gefüge befand sich spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg in einer prekären Lage und musste deswegen vor weiterer Veränderung und Zerstörung geschützt werden. Ambiente war ein Raumkonzept, das die Beziehung des Menschen mit seiner unmittelbaren Umgebung auslotet, seine Verantwortung ihr gegenüber einfordert und damit auch die Verortung des Menschen in seinem Lebensraum vornimmt.

2.2.3. Der Begriff im historischen Kontext der Arbeit

Im Folgenden werden die verschiedenen Konzepte von ambiente im architekturhistorischen Kontext der Arbeit erläutert. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei Ernesto Nathan Rogers gewidmet, der die theoretische Debatte in Mailand in der Nachkriegszeit entscheidend bestimmt hat. Alle nachfolgenden Konzeptionen von ambiente basieren auf seiner Definition. Sie fusste ihrerseits wiederum auf Gustavo Giovannonis denkmalpflegerisch geprägter Vorstellung von ambiente in den dreissiger Jahren.

2.2.3.1. Gustavo Giovannonis Konzeption von ambiente

Bereits vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war im Zuge der «Erfindung des städtebaulichen Erbes»88 die Idee des ambiente als ästhetisches, historisch gewachsenes, wertvolles und schützenswertes Ensemble

85 Spitzer 1942 [Teil 2], S. 201.

86 Die einzelnen Phasen bis zur sprachlichen Akzeptanz des Begriffs sind bei Karl Michaëlsson und seiner Untersuchung von Alfredo Panzinis Dizionario moderno (Erstausg. Mailand: Hoepli, 1905), des mehrfach aufgelegten Wörterbuchs für italienische Neologismen, nachzulesen. Michaëlsson 1939, S. 113. Spitzer 1942 [Teil 2], S. 201.

87 Spitzer 1942 [Teil 2]

88 Choay 1997, S. 146–152. 32 eingeführt worden.89 Der Römer Architekt, Ingenieur und Kunsthistoriker Gustavo Giovannoni90 hatte die Basis für seine Konzeption von ambiente bereits zwischen 1911 und 1913 gelegt.91 Publiziert und eingehend ausgeführt hat er seinen theoretischen Ansatz in seinen beiden Hauptwerken Questioni di architettura nella storia e nella vita92 von 1929 und den 1931 erschienenen Vecchie città ed edilizia nuova.93

In «L’ambiente dei monumenti»94 plädiert Giovannoni dafür, das Baudenkmal nicht losgelöst von seinem unmittelbaren städtischen oder natürlichen Kontext zu betrachten, sondern als organisch verbundenen Bestandteil seiner Umgebung, seines ambiente.95 Er weist darauf hin, dass Gebäude für gewisse natürlich gewachsene oder künstlich gebaute ambienti entworfen worden seien und diese folglich die spezifischen «Räume, Gesteinsmassen und Farben» der Umgebung reflektierten.96 Die Zerstörung des ambiente wiegt für Giovannoni gleich schwer wie die des eigentlichen Baudenkmals. Er geht sogar soweit, die Perspektive und das Licht, die das Monument einrahmen und inszenieren, als schützenswert einzustufen. Auch der umgekehrten Blickrichtung aus dem Inneren eines Gebäudes nach aussen spricht er grossen Wert zu.97 Dieser optische Aspekt ist von besonderem Interesse, da er der Wahrnehmung der Bauwerke eine gewichtige Bedeutung beimisst und dadurch den zu schützenden Raum auf ganze Szenen und folglich auch Stadtensembles ausweitet. Giovannonis Prinzipien haben den Diskurs der italienischen und internationalen Denkmalpflege nachhaltig geprägt.98

Die ästhetische Dimension des ambiente unterstreicht Giovannoni auch in dem wenig später erschienenen Buch Vecchie Città ed Edilizia nuova. Die moderne Stadt sei nicht nur ein sozialer und kinetischer Organismus, sondern auch ein ästhetischer, den es als «Kulturerbe» – «patrimonio meraviglioso di bellezza» – zu schützen gelte.99 In seiner Schrift geht es folglich um den Schutz eines historisch wertvollen

89 Laut dem Architekturhistoriker Zucconi fand Giovannoni für die Entwicklung seiner Vorstellung von ambiente wichtige Vorbilder in den Artikeln der Zeitschrift Emporium. Zucconi/Bonaccorso 1997, S. 44.

90 Gustavo Giovannoni (1873–1947) repräsentiert wie wohl kein anderer das Ideal des «totalen Architekten». Giovannoni gehört zu den einflussreichsten Theoretikern und Praktikern seiner Zeit, der im Bereich der Denkmalpflege und Urbanistik einen grossen Beitrag geleistet hat. Ein Profil Giovannonis mit den wichtigsten Lebensstationen findet sich ebd., S. 9–64.

91 Ebd., S. 40–42.

92 Giovannoni 1929.

93 Giovannoni 1931.

94 Der Aufsatz ist die Überarbeitung eines Vortrags, den Giovannoni 1918 vor der Associazione artistica tra i cultori di architettura in Rom gehalten hatte. Publiziert wurde der Text erst viele Jahre später in Giovannoni 1929, S. 185–212. Vgl. auch Zucconi/Bonaccorso 1997, S. 110.

95 Françoise Choay definiert Giovannonis ambiente-Konzept folgendermassen: «Der Begriff Ambiente bezeichnet die positiven Einwirkungen auf die Wahrnehmung, die aus der Verknüpfung der Elemente innerhalb eines Stadtgefüges resultieren.». Choay 1997, S. 250, Anm. 65.

96 Giovannoni 1929, S. 188.

97 Ebd., S. 187 und 199.

98 Giovannoni hat massgeblich an der Charta von Athen von 1931 mitgearbeitet. Die Charta stellte ein internationales Regelwerk zum Umgang mit Restaurierung und Denkmalpflege auf. Zucconi/Bonaccorso 1997, S. 36 und 120–126.

99 Vgl. das Kap. «La città come organismo estetico». Giovannoni 1931, S. 112–142; das Zitat siehe S. 113. 33

Gefüges und darüber hinaus um den gesamten urbanen Kontext bis hin zu Fragen der Stadterweiterung. Das Buch sei ein regelrechtes «Traktat» über «die Kunst eine Stadt zu bauen», urteilen die Architekturhistoriker Zucconi und Bonaccorso.100 Das vormals denkmalpflegerische Konzept lieferte Giovannoni den theoretischen Rahmen für eine urbanistische Argumentation.101 Es handelte sich um einen Versuch der Synthese von Denkmalpflege und Städtebau.102 Als moderner Urbanist plädierte Giovannoni dafür, dass Stadtplanungen und -erweiterungen übergeordneten Regulierungsplänen folgen und nicht die Summe von Einzelinitiativen darstellen sollten. Das vom Konzept des ambiente abgeleitete Ziel der Homogenität und Kontinuität im Stadtraum lasse sich nur dann erreichen, wenn derselbe Architekt gleichermassen den Stadtplan wie das einzelne Haus entwerfen würde.103 Ebenso gelte es, die alten Stadtkerne in Stadterweiterungspläne zu integrieren. Seinem Prinzip des ambientismo fügte Giovannoni später das Prinzip des diradamento hinzu, wonach kleine Lichtungen im historischen Stadtkörper erlaubt seien, welche die Qualitäten eines Monuments freilegten, aber das Gesamtgefüge durch Neubauten nicht zerstörten.104

Die inhaltliche Nähe zu dem 1955 von Ernesto Nathan Rogers publizierten Aufsatz «Le preesistenze ambientali»105 kommt im Folgenden deutlich zum Ausdruck:

La città, la borgata, il quartiere, la piazza, il giardino, la via, vanno dunque considerati come opere d’Arte, come «organismi viventi», per usare l’espressione del Buls; e l’Arte deve valersi di tutte le possibilità offerte dai mezzi moderni e creare con essi forme nuove. L’estetica edilizia del passato può solo in rari casi offrire ad essa modelli; più direttamente invece può dare il grande ausilio della esperienza e determinare con le condizioni ambientali una continuità di rapporti. La tradizione, espressa da elementi permanenti, diventa inizio di vita nuova.106

Die Stadt als «lebender Organismus» müsse laufend modernisiert werden, wobei dieser Prozess ständig nach neuen Ausdrucksweisen suche. Die Bewahrung und Berücksichtigung des ambiente sorge dafür, die «Kontinuität der Beziehungen» zwischen alt und neu zu gewährleisten. Hier werden einige spätere Schlüsselbegriffe von Rogers vorweggenommen.107 Auch die sprachliche und inhaltliche Verwandtschaft zwischen Giovannonis «condizioni ambientali»108 und Rogers’ «preesistenze ambientali»109 ist ein Indiz

100 Zucconi/Bonaccorso 1997, S. 50.

101 Ebd., S. 52.

102 Ebd., S. 61.

103 Ebd., S. 53.

104 Vgl. ebd., S. 151–156 und 156–158. Zu Beispielen Giovannonis für solche Aufwertungen siehe Giovannoni 1931, S. 249.

105 Rogers 1955.

106 Giovannoni 1931, S. 116.

107 Dazu gehören «esperienza», «continuità dei rapporti», «tradizione» und «elementi permanenti». Die Begriffe spielen bei Rogers eine massgebende Rolle.

108 Giovannoni 1931, S. 116.

109 Rogers 1955. 34 dafür, dass Rogers Giovannonis Texte gut gekannt hat. An einer Stelle in «Le preesistenze ambientali» schreibt Rogers sogar direkt von den «condizioni ambientali», ohne eine Quelle zu nennen.110

2.2.3.2. Ernesto Nathan Rogers Konzeption der preesistenze ambientali

Ernesto Nathan Rogers’111 übernahm im Dezember 1953 als Chefredaktor die Wiederauflage der Zeitschrift Casabella-Continuità, die er in den nächsten elf Jahren zu einer führenden kritischen Instanz machte.112 Er betonte, er verlege eine «engagierte» Zeitschrift, wobei er das französische Wort «engagé» verwendete113 und Casabella-Continuità damit ideologisch in eine Reihe mit der von Jean-Paul Sartre (1905–1980) geprägten Zeitschrift Les Temps modernes stellte.114 Diese Form des Schreibens forderte die «Verantwortung» des Intellektuellen gegenüber der Gesellschaft ein.115 Bereits in der ersten Ausgabe, die unter Rogers verlegt wurde, war über dem Namen Casabella der Schriftzug Continuità gedruckt. Casabella allein, so Rogers im ersten Editorial, sei ein zu banaler Titel, um das Programm einer Zeitschrift wiederzugeben.116 Casabella-Continuità hingegen umfasste ein vielschichtiges Programm. Zu allererst bezeichnete der neue Titel die Wiederauflage der Zeitschrift nach der Zäsur durch den Faschismus und den Zweiten Weltkrieg.117 Die Wahl des Beinamens Continuità muss im Kontext der fünfziger Jahre und den

110 Ebd., S. 3. Wie gut Rogers Giovannonis Ansatz gekannt haben muss, zeigt die Debatte, die er mit Roberto Pane (1897–1987) führte. Der Architekt und Architekturhistoriker Pane war ein Schüler Giovannonis und setzte sich für einen methodischen Ansatz beim Bauen im historischen Kontext ein. Rogers seinerseits verteidigte die schöpferische Methode des Architekten. Rogers publizierte den Austausch in Casabella-Continuità, vgl. Rogers/ Pane 1957. Siehe auch Di Biase 2010.

111 Ernesto Nathan Rogers (1909–1969) ist eine der intellektuellen Schlüsselfiguren der Architektur der italienischen Nachkriegszeit. Als Sohn eines Briten und einer Italienerin wuchs er in Triest und Zürich auf. Er studiert von 1927 bis 1932 am Polytechnikum in Mailand, danach gründete er dort zusammen mit Gian Luigi Banfi (1910–1945), Ludovico Barbiano di Belgiojoso (1909–2004) und Enrico Peressutti (1908–1976) die Architektengruppe BBPR. Als Jude verbrachte er die Jahre während des Zweiten Weltkriegs im Exil, unter anderem in Schweizer Internierungslagern in Vevey, Mürren und Winterthur. Zwischen 1946 und 1947 war er Direktor der Zeitschrift Domus. La casa dell’uomo, seit 1947 Mitglied des CIAM-Rats, nach 1952 folgten Lehraufträge am Polytechnikum in Mailand, wo er 1964 zum ordentlichen Professor ernannt wurde. Von 1953 bis 1964 leitete er die Zeitschrift Casabella-Continuità. Auch international galt Rogers als anerkannte Kapazität. 1959 unterrichtete er an der Universität in Berkeley, Kalifornien. In jenen Jahren lehnte er verschiedene Lehraufträge ab, etwa am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, an der Harvard University, in Yale sowie an der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Vgl. Bonfanti 1973, S. A 140–142.

112 Der folgende Abschnitt wurde in leicht abgeänderter Fassung publiziert in Mosayebi 2012, S. 190–191.

113 «Architectural Review e Casabella sono, dal punto di vista culturale, le riviste più engagées del mondo», Rogers 1959, S. 2.

114 Mit Elio Vittorinis Il Politecnico besass Italien von 1945 bis 1947 eine Entsprechung zu Jean-Paul Sartres «engagierter» Zeitschrift Les Temps modernes. Wie Anna Boschetti ausführt, pflegte Sartre als Herausgeber mit Vittorini einen intensiven Austausch. Beide verfolgten ähnliche Ziele, nämlich «die Entdeckung der ‘Verantwortung’ des Schriftstellers». Vgl. Boschetti 2004, S. 190.

115 Der Freiraum der Zeitschrift bot den Architekten die Möglichkeit einer intellektuellen Rekonstruktion, was im Hinblick auf die verhinderten öffentlichen Projekte und die grosse Bauspekulation in den fünfziger Jahren, von denen die Architekten zum Grossteil ausgeschlossen waren, plausibel scheint.

116 Rogers 1953, S. 2.

117 Casabella war vor dem Krieg von Giuseppe Pagano (1896–1945) geleitet und während des Faschismus von 1941 bis 1946 fünf Jahre eingestellt worden. 1946 publizierten Franco Albini und Giancarlo Palanti drei Nummern unter dem Titel Casabella-Costruzioni. In den folgenden sechs Jahren, zwischen 1947 und 1953 war die Zeitschrift erneut eingestellt. 35 politischen, kulturellen und ökonomischen Umwälzungen auch als Leitspruch gegen die vorherrschenden Krisen betrachtet werden.118

1955 publizierte Rogers in Casabella-Continuità seinen programmatischen Text «Le preesistenze ambientali e i tempi pratici contemporanei», in dem er seine Vorstellung von ambiente formulierte. Seine Definition der preesistenze ambientali ist eng mit den Begriffen continuità und tradizione verflochten. Rogers bezog die Referenzen für seine Konzeptionen von ambiente, continuità und tradizione aus unterschiedlichen Quellen. Zu seinen bevorzugtesten Autoren zählte der englische Schriftsteller Thomas Stearns Eliot (1888–1965), aus dessen Abhandlung «Tradition and the Individual Talent» von 1919 Rogers wesentliche Anregungen für seine Überlegungen zu continuità und tradizione erfuhr. 119

Eliots’ Aufsatz behandelt die Frage der Bewertung eines literarischen Kunstwerks. Dessen Bedeutung lässt sich nach Ansicht Eliots’ nur in dessen Beziehung zur gesamten überlieferten Literatur messen. Eliot fordert vom Künstler, sich aktiv mit der literarischen Tradition seines Landes oder seiner Kultur auseinanderzusetzen. Tradition ist für ihn etwas Umfassenderes als der lineare Prozess der Überlieferung von einer Generation zur nachfolgenden. Tradition «konnte nicht ererbt, sondern musste durch harte Arbeit erworben werden».120 In der Auseinandersetzung mit der Tradition erlange der Künstler historischen Verstand. Mit «historical sense» meint Eliot ein umfassendes geschichtliches Wissen und ein Bewusstsein dafür, dass die Gegenwart aus der Zeitlosigkeit der Vergangenheit und der Zeitlichkeit der Gegenwart dialektisch hervorgehe. Für ihn ist der historische Verstand des Künstlers die Voraussetzung, dass sein Kunstwerk als traditionell gelten kann und damit in der Gegenwart Gültigkeit besitzt.

This historical sense, which is a sense of the timeless as well as of the temporal and of the timeless and of the temporal together, is what makes a writer traditional. And it is at the same time what makes a writer more acutely conscious of his place in time, of his own contemporaneity.121

In Eliots’ «historical sense» spiegelt sich Rogers’ continuità wider: Mit continuità ist kein linearer (kontinuierlicher) Zeitbegriff gemeint, sondern eine Auffassung von Zeit, in der die Vergangenheit in der Gegenwart präsent bleibt und die Gegenwart dadurch immer auch historisch bedingt ist. Eliots’ Überlegungen sind in Rogers’ Vorstellung von Tradition deutlich spürbar, wenn Rogers konstatiert, dass die «Tradition nichts weiter als die Gleichzeitigkeit aller Erfahrungen»122 sei und dass continuità «historisches Bewusstsein»123 bedeute.

«L’ambiente è il luogo di queste preesistenze», so Rogers 1955 in seinem berühmten Editorial zu «Le preesistenze ambientali e i temi pratici contemporanei», «e sarebbe vago e indeterminato ognuno che non ne

118 Rogers, «Continuità o crisi» 1957, S. 3.

119 Eliot 1982. Auf Rogers’ häufige Bezugnahme auf Eliot weisen Giannetti/Molinari 2010, S. VIII–X, und Forty 2000, S. 132, hin.

120 Eliot 1982, S. 37.

121 Ebd.

122 «La tradizione non è che la compresenza delle esperienze […].» Rogers 1958, S. 21.

123 «Continuità […] significa coscienza storica […].» Rogers 1953. Rogers übernimmt damit Eliots’ «historical sense». 36 sentisse l’influenza».124 Rogers’ ambiente bezeichnet die Idee einer historisch gewachsenen und damit geschichtlich bedingten Stadt. Im Nebeneinander verschiedener historischer Schichten der Stadt fand Rogers den Nachweis für die gleichzeitige Präsenz vergangener Epochen vor: «Considerare l’ambiente significa considerare la storia» und weiter «[e]ssere moderni significa semplicemente sentire la storia contemporanea nell’ordine di tutta la storia […].»125

Es ist wichtig zu betonen, dass es in Rogers Editorial um die Konzeption eines «processo creativo», eines kreativen Prozesses,126 geht, insofern liest sich sein Text als künstlerisch-methodisches Vorgehen für Architekten: «Costruire un edificio in un ambiente già caratterizzato dalle opere di altri artisti impone l’obbligo di rispettare queste presenze nel senso di portare la propria energia come nuovo alimento al perpetuarsi della loro vitalità».127 Dahinter verbirgt sich auch die Vorstellung, dass das ambiente etwas Wertvolles sei, das «respektiert» werden müsse und nicht zerstört werden dürfe, und dass neue Bauwerke den Bestand selbst «erneuern» würden.

Auch Eliot befasste sich mit der Ankunft des Neuen im historischen Bestand.128 Für ihn bildet der Bestand, die Gesamtheit aller Monumente,129 eine «ideale» und «vollständige» Ordnung. Die Erweiterung dieser existierenden Ordnung um einen neuen Bestandteil bewirke die Veränderung des Bestehenden wie auch des Neuen. Die Auffassung, dass ambiente nicht etwas Beständiges und Stabiles, sondern durch das fortwährende Eintreffen von Neuem veränderlich und formbar ist, stimmt mit derjenigen Rogers’ überein. Dauerhaftigkeit ist für Rogers allein in der Verbindung des ambiente zur Vergangenheit gegeben.130

Mit der Wiederherstellung der Geschichtlichkeit der Architektur wandte sich Rogers gegen die proklamierte Geschichtslosigkeit131 der Moderne der Zwischenkriegsjahre und gegen einen naiv verstandenen Rationalismus. Seine ambiente-Konzeption ist auch als Zeitkritik zu verstehen, mit der er den vorherrschenden Antagonismus zwischen «moderner» und «traditioneller» Architektur aufzulösen beabsichtigte und die moderne Architektur zum Teil der Tradition erklärte. «Modernität» war für Rogers das Ergebnis der Kontinuität von Geschichte. Damit widersetzte er sich einem Verständnis von «modern», das sich auf Kosten der Geschichte der Innovation, dem technologischen Fortschritt und der Idee des immer Neuen, verpflichtet und das in der Tradition gewissermassen eine zweite Natur menschlichen Seins sieht,

124 Rogers 1955, S. 4. Rogers benutzte die Begriffe preesistenze ambientali und ambiente synonym.

125 Rogers 1955, S. 5. Adrian Forty geht auf Rogers Verständnis von ambiente im Kapitel über «Context» ein. Forty 2000, S. 132–135.

126 Rogers 1955, S. 5

127 Ebd.

128 Adrian Forty weist darauf hin, dass in Eliots’ Gedicht Rogers Konzeption von ambiente und dessen Verflechtung mit continuità und Geschichte deutlich wird. Forty 2000, S. 132.

129 Meint Eliots mit den «existing monuments» die literarischen Kunstwerke, sah Rogers’ in ihnen die gebauten Monumente der Stadt.

130 Rogers 1955, S. 5.

131 Dass die Geschichtslosigkeit eine «Geschichtkonstruktion» der Moderne selbst war, hat Werner Oechslin in mehreren Aufsätzen gezeigt. Siehe etwa Oechslin 2012, S. 64. 37 womit nicht nur alle Erzeugnisse «traditionell» sind, sondern auch ihre Mechanismen, Vorgänge und Techniken. Zudem brachte gerade diese radikale Vorstellung von «modern» den stereotypen Ausdruck der weissen Moderne hervor. Dazu Rogers:

Ma il grande equivoco sorge quando si persiste a considerare lo «stile» del Movimento Moderno dalle apparenze figurative e non secondo le espressioni di un metodo che ha tentato di stabilire nuove e più chiare relazioni tra i contenuti e le forme entro la fenomenologia di un processo storico-pragmatico, sempre aperto, che, come esclude ogni apriorismo nella determinazione di quelle relazioni, così non può essere giudicato per schemi.132 Essere moderni significa semplicemente sentire la storia contemporanea nell’ordine di tutta la storia e cioè sentire la responsabilità dei propri atti non nella chiusa barricata di una manifestazione egoistica, ma come una collaborazione che […] aumenta ed arricchisce la perenne attualità delle possibili combinazioni formali di relazione universale.133

Im Zentrum von Rogers’ Konzeption von ambiente, continuità und tradizione steht ein rehabilitierter Traditionsbegriff. Seine Editorials in Casabella-Continuità können als beharrliche Versuche betrachtet werden, die Modernität der Tradition nachzuweisen. In seinen Texten forderte Rogers die jüngere Architektengeneration auf, ihre «Verantwortung gegenüber der Tradition»134 wahrzunehmen und innerhalb der Tradition zu arbeiten.135

Enzo Paci und die Phänomenologie136 Rogers’ Konzeption von ambiente, continuità und tradizione entstand im intellektuellen Austausch mit dem Phänomenologen Enzo Paci (1911–1976).137 Die beiden Männer verband eine langjährige Freundschaft.138 Paci hatte 1951 die Zeitschrift für Kultur und Philosophie Aut aut in Mailand gegründet, die er gemeinsam mit dem Kunstkritiker Gillo Dorfles (*1910) leitete. Rogers verfasste einige Artikel für Aut aut, umgekehrt lud er Paci gelegentlich ein, für Casabella-Continuità zu schreiben. 1957, mit Erscheinen der 214. Ausgabe der Zeitschrift, engagierte Rogers Paci als festes Mitglied des Redaktionsvorstands. Mit Paci hielt die Phänomenologie Edmund Husserls (1859–1938) und Maurice Merleau-Pontys (1908–1961) Einzug in die Redaktion. Sein Einfluss auf die Architekten war so gross, dass die Jüngeren in der Redaktion, wie Vittorio

132 Rogers, «Continuità o crisi», 1957, S. 3.

133 Rogers 1955, S. 5.

134 Rogers, «Le responsabilità» 1954.

135 Rogers, «Tradizione» 1957.

136 Der Text des gesamten folgenden Abschnitts wurde in leicht abgewandelter Form publiziert in Mosayebi 2012; siehe Abschnitt «Phänomenologie als Mittel gegen die Krise» S. 175–179.

137 Enzo Paci (1911–1976) war seit 1951 Professor für theoretische Philosophie an der Universität in Pavia, seit 1958 an der Universität in Mailand. Paci gilt als Vertreter des italienischen Existentialismus. Eine umfassende Biografie des Philosophen liegt bis heute nicht vor, die ausführlichsten Informationen finden sich in der Publikation von Amedeo Vigorelli, einem Schüler Paces. Siehe Vigorelli 1987.

138 Otero-Pailos 2002. 38

Gregotti (*1927), seine Vorlesungen an der Universität in Mailand besuchten.139 1954 war Paci als Gastredner an die X. Triennale eingeladen.140

Enzo Pacis Phänomenologie bildet den theoretischen Rahmen für Rogers ambiente. 1957 publizierte Paci in Casabella-Continuità den Aufsatz «L’architettura e il mondo della vita», der die grundlegenden Fragen, was Architektur ist und wie der Architekt zu neuen Formen findet, erörtert.141 Pacis Ausführungen setzen bei der Ästhetik Benedetto Croces (1866–1952) an, der zu Beginn seiner Laufbahn eine scharfe Trennung zwischen dem Praktischem und dem Schönem vorgenommen hatte. Croces Zuordnung der Kunst zur Sphäre des Schönen und der Technik zu der des Praktischen hält gemäss Paci einer genauen Prüfung nicht stand. Gerade Architektur lasse eine rigide Einteilung in den einen oder anderen Bereich nicht zu. Croce selbst habe den scharfen Antagonismus in Laufe seines Lebens aufgelöst, «das Primat der ästhetischen Form»142 über das Praktische aber nicht aufgegeben: Im besten Fall könne bei Croce «Funktion sublimiert zu ästhetischer Form» finden. Für Paci hingegen entsteht Kunst aus der Auseinandersetzung mit «dem Leben, den alltäglichen Bedürfnissen, praktischen Zielen, Funktionen, Ängsten, psychologischen, sozialen und natürlichen Bedingungen». Architektur gehe aus der Synthese von Schönheit und Nützlichkeit hervor.

Aber wie findet diese Synthese zur architektonischen Form? Paci untersucht in der Folge das «Verhältnis der ‘Natur’ als sozialhistorische Rahmenbedingung menschlichen Seins und den Wert der Architektur als ästhetische Konstruktion».143 Der Marxismus habe noch die «ökonomischen Gesellschaftsverhältnisse» zur Bedingung der «ästhetischen Form» erklärt. Dieses «dogmatische Konzept» müsse revidiert werden, denn die Bedingungen seien nicht nur ökonomischer Art, sondern beständen aus einer «komplexen Gesamtheit von Faktoren». In der Architektur seien diese Faktoren «materieller, funktionaler, geografischer und kontextueller Art, ebenso spielen der psychologische Charakter einer Bevölkerung, die Art und Weise der Kommunikation und die historischen Traditionen eine Rolle». Sie umfassten die gesamte Welt der gelebten Erfahrung, die Paci mit den Worten des deutschen Philosophen Wilhelm Dilthey (1833–1911) als «Erlebnis» definiert. Gemäss Dilthey sind im Erlebnis die gesamten geistigen Eignungen des Menschen eingeschlossen: «[…] der fühlende, wollende und vorstellende Mensch verhält sich im ‘Erleben’ unmittelbar und in der ganzen Breite seiner geistigen Empfänglichkeit zu den Gegebenheiten der Welt und erfährt so die Lebenswirklichkeit in der Mannigfaltigkeit ihrer Bezüge».144 Um wieder mit dem «lebendigen Fluss der Erfahrung»145 und damit mit der Lebenswelt in Kontakt zu treten, müsse sich der Mensch, so Paci, von

139 In einem Interview mit Jorge Otero-Pailos bestätigt Vittorio Gregotti die grosse Bedeutung der Phänomenologie für die Architekten der Zeit und hebt das freundschaftliche Verhältnis zwischen Rogers und Paci hervor. Der junge Gregotti gehörte seit der Wiederauflage der Casabella-Continuità durch Rogers im Dezember 1953 zur Redaktion. Otero-Pailos 2000.

140 Pacis Vortrag wurde auch ins Englische übersetzt. Paci 2002.

141 Paci 1957.

142 Ebd., S. 53.

143 Ebd.

144 Bodammer 1987, S. 50–51.

145 «Soltanto se ci liberiamo da tutte le convinzioni precostituite, […] riusciamo ad entrare davvero in contatto con il flusso vivente della esperienza, con quello che Husserl indica come l’autentico e concreto mondo della vita o Lebenswelt». Paci 1957, S. 54. 39 vorgefassten Konzepten und Vorurteilen befreien. Erst dann sei es möglich, wie Paci mit Husserl erklärt, «die Dinge so zu sehen, wie sie sind»146. Für Paci ist die Lebenswelt die direkt und vorurteilslos wahrnehmbare äussere Welt.147 Authentische Kultur und damit architektonische Form könne nur in dieser direkten Auseinandersetzung mit der Lebenswelt entstehen:

Quando davvero ‘viviamo’ spazi e masse non ne facciamo un esperienza chiusa, immobile, che fissa spazi e masse secondo un rapporto e soltanto secondo quel rapporto. In realtà spazi e masse si muovono e sembrano quasi dirigersi verso forme nuove che noi anticipiamo, pre-vediamo. E’ la natura stessa, sono gli stessi materiali, l’ambiente geografico e sociale di cui facciamo viva esperienza, nel quale ci immedesimiamo, che si muovono in noi e noi ci muoviamo in quella natura e in quell’ambiente, fino al punto che non sappiamo più se sono la natura e la storia che in noi cercano nuove forme o se siamo noi che cerchiamo le forme verso le quali la natura e la storia sembrano dirigersi. Di fatto ogni esperienza profonda, ogni esperienza libera da convinzioni precostituite, ci fa sempre ritornare in modo novo alla Lebenswelt e vivere secondo nuovi rapporti.148

Paci erachtet das Eintauchen in die Lebenswelt und die Befreiung von vorgefassten Ansichten (Husserls «Epoché») als eine Notwendigkeit für die Tätigkeit der Architekten und erst dann für geglückt, wenn sie ihre eigene Person und Aufgabe nicht mehr von den Prozessen der Lebenswelt unterscheiden können: Die Trennung zwischen Subjekt und Objekt ist damit aufgehoben. Kohärent dazu äussert Rogers:

[…] e ci vogliono le forze di tutti gli uomini coscienti per stabilire, oggi, un'unità, un'unità dialettica, di principi e di azioni. Questa si può raggiungere se ognuno vive come individuo totalmente libero e totalmente inserito nella società.149

Das Kernstück seiner neuen Architekturkonzeption legte Enzo Paci in «La crisi della cultura e la fenomenologia dell’architettura contemporanea»150 dar. Im Zentrum stand wiederum die dialektische Verschränkung von Schönheit und Nützlichkeit.151 Technik habe einen konkreten wie praktischen Nutzen und erfülle damit ein menschliches Bedürfnis. Denn alles, was einem menschlichen Bedürfnis diene, besitze dadurch einen eigenen Wert.152 Andererseits drücke sich in der Schönheit des Objekts eine präzise Antwort auf die spezifischen geografischen und zeitlichen Faktoren aus, durch die das Objekt Form erhalten habe. Neue Form ist für Paci der Ausdruck des «Möglichen» in einer gewissen Zeit und an einem bestimmten Ort.153 Das Neue stehe somit aber immer in einer organischen Verbindung zur bereits existierenden

146 «vedere le cose come sono», ebd., S. 53.

147 Pacis «mondo della vita» beruht auf Husserls Konzeption der «Lebenswelt». Husserl hat keine eindeutige Definition der Lebenswelt formuliert, das folgende Zitat kommt einer Definition am nächsten: «Sie [die Lebenswelt] ist die raumzeitliche Welt der Dinge, so wie wir sie in unserem vor- und außerwissenschaftlichen Leben erfahren und über die erfahrenen hinaus als erfahrbar wissen». Husserls Konzeption von Erfahrung beruht auf der Idee einer direkten Erfahrung, «unter Ausschaltung der ‘Vermittlung’ prädikativer Urteile». Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie, hg. von Walter Biemel, 2. Aufl., photomech. Nachdruck, Den Haag: Nijhoff, 1976 (Husserliana 6), S. 141. Zit. n. Welter, 1986, S. 79.

148 Paci 1957, S. 54.

149 Rogers 1962, S. 1.

150 Paci 1960.

151 Ebd., S. 358.

152 Ebd., S. 357.

153 Veca 1978, S. 74. 40

Lebenswelt. «Veränderung ist [in einem solchen Modell] gewährleistet, da zwischen den Antworten und den Fragen eine konstante Unangemessenheit weiterbesteht».154 Ein ästhetisches Objekt verkörpert nach Paci das «Universelle im Besonderen»,155 weil es einem grundlegenden Bedürfnis diene und zugleich den zeitgeschichtlichen Moment manifestiere.

Rogers folgert in «Le preesistenze ambientali», dass es die Aufgabe der Architekten sei, eine einzige Realität in der Synthese zu schaffen. Er beschreibt die Methode des Entwerfens als Akt «zwischen Erfindung und Anpassung».156 Zum einen bedeutet ein solches Vorgehen, die Geschichtlichkeit des Vorgefundenen anzuerkennen, zum anderen das Neue mit dem Vorgefundenen zu verbinden. Rogers und Paci gehen davon aus, dass Bauwerke, die aus dieser Auseinandersetzung entstehen, das vorhandene ambiente palimpsestartig überschreiben und es dadurch aktualisieren. Implizit führen sie damit ein ästhetisches Programm in die Architektur ein, das Geschichte – in unterschiedlicher architektonischer Ausprägung – wieder in das Vokabular der Architekten einführt. Damit beabsichtigen Rogers und Paci nicht nur das Bild einer revolutionären, Geschichte negierenden, weissen Moderne zu revidieren, sie sehen darin auch eine Option des Widerstands gegen die Trivialität der aufkommenden Konsumkultur in Italien.

Wie abstrakt und theoretisch die Aufgabe war, die Rogers und Paci den Architekten auferlegten, zeigt sich in Manfredo Tafuris rückblickender Bewertung. Für ihn war die Atmosphäre der 1950er Jahre geprägt durch eine Lukacs’sche Stimmung, in der Architekten den nostalgischen Versuch unternahmen, die Entzweiung des «Inneren und Äusseren», der «Seele und der Handlung», wenn nicht zu «heilen, wenigstens künstlerisch zu repräsentieren».157

Rogers’ ambiente-Begriff hatte auf die Städtebautheorie auch international bedeutsame Auswirkungen:158 Neben Vittorio Gregottis Il territorio dell’architettura159 (1966) muss hier vor allem auf Aldo Rossis L’architettura della città160 von 1966 verwiesen werden. Adrian Forty bezeichnet Rossis Schrift als eigentliche Abhandlung über Rogers ambiente.161 Er kritisiert, dass Rossis ambiente-Begriff in der deutschen und englischen Ausgabe mit «Kontext» oder «context» in ungenügender und einschränkender Weise übersetzt wurde.162 Umgekehrt ist es gleichermassen unzulänglich, das englische environment als ambiente ins Italienische zu übertragen. Reyner Banhams 1969 publiziertes Werk The Architecture of the Well- Tempered Environment etwa erschien 1978 im Italienischen unter dem Titel Ambiente e tecnica nell’architettura moderna. Es sei hier lediglich vermerkt, dass der Bedeutungsreichtum von ambiente und

154 Ebd.

155 Paci 1960, S. 357.

156 «tra invenzione e ambientamento», ebd., S. 5.

157 Ebd.

158 Forty 2000, S. 133.

159 Gregotti 1966.

160 Rossi 1966.

161 Forty 2000, S. 133–134.

162 Ebd. 41 seine Verwurzelung im Italienischen das Wort für Übersetzungen in andere Sprachen äusserst schwierig macht.

2.2.3.3. Paolo Portoghesis Definition von ambiente und ambientamento

In dem sechsbändigen Monumentalwerk Dizionario enciclopedico di architettura e urbanistica, das unter der Leitung des Architekten und Architekturhistorikers Paolo Portoghesi zwischen 1968 und 1969 veröffentlicht wurde, sind die Begriffe ambiente und ambientamento aufgeführt.163 Ambiente beschreibt gemäss dem Eintrag die «Luft um einen Körper herum» oder einen «begrenzten Raum». Ausserdem ist vermerkt, ambiente werde im architektonischen Kontext fälschlicherweise als «Synomym für Zimmer, Raum oder Saal» benutzt.164 Eine neue Verwendung finde ambiente im Zusammenhang mit Fragen der Ökologie. Diese jüngste (und bis heute geläufigste) Bedeutungserweiterung erfuhr der Begriff mit dem Aufkommen eines erhöhten Umweltbewusstseins Ende der sechziger Jahre, als ambiente und der dem Wort innenwohnende Aspekt des Schützens nicht mehr nur auf die Stadt bezogen wurden, sondern auch die Natur, die Landschaft oder das Territorium miteinschlossen.

In dem weitaus umfassenderen Eintrag zu ambientamento geht es um eine entwerferische Praxis. Der Autor des Eintrags, Marcello Petrignani,165 definiert das Wort zunächst als:

Ricerca di una relazione ottimale di una parte con un tutto al fine del mantenimento, o comunque della salvaguardia, delle caratteristiche proprie dell’insieme in cui la parte stessa viene ad inserirsi. All’a. si associa comunemente il significato di salvaguardia di una realtà naturale o di una tradizione storica preesistente.166

Ambientamento ist demnach ein Prozess, in dem das diffizile Verhältnis zwischen alt und neu eingemessen werden muss, und der dazu dient, den Erhalt des Ganzen zu sichern. Dieses Ganze bezeichnet Petrignani verallgemeinernd als «natürliche Realität» oder als «bestehende, historische Tradition»,167 Im Weiteren beschreibt er die Qualitäten des städtischen ambiente etwas eindeutiger:

All’ambiente urbano poi è da attribuirsi un significato più specifico di vano esistenziale ricco di memorie e tradizioni, che assume significati di particolare pregnanza; caratteristico inoltre per l’eterno conflitto tra il suo «divenire» e le sue «forme», in quanto tali, rappresentano delle costanti.168

Das städtische ambiente ist für Petrignani gleichsam von monumentaler Qualität, darin eingeschrieben sind gesellschaftliche, historische und kulturelle Werte wie Tradition und Erinnerung. Im Widerstreit zwischen den Kräften des Neuen und denjenigen des Alten liege das Potential, aber auch die Problematik dieser

163 «ambientamento», S. 93–95, «ambiente», S. 95, in: Portoghesi 1968.

164 «nella terminologia architettonica si usa impropriamente come sinonimo di vano, stanza, locale», ebd., S. 95. Diese korrektive Bemerkung ist irritierend, da in den später erschienenen Enzyklopädien und Wörterbüchern genau diese Bedeutung aufgeführt wird.

165 Marcello Petrignani ist Architekt und war Professor für Architektur an der Universität von Bari. Sein Geburtsjahr konnte nicht ermittelt werden.

166 Portoghesi 1968, S. 93.

167 «una realtà naturale o una tradizione storica preesistente», ebd.

168 Ebd. 42 entwerferischen Praxis. Petrignani ortet die Ursachen zeitgenössischer Kontroversen in verzerrenden Bewertungen dieser Polaritäten.

Der Autor sieht in der «Erweiterung des ambiente-Konzepts vom Schutz des einzelnen Monuments auf den gesamten Stadtkörper eine junge Errungenschaft».169 Sie markiere die «Entstehung der modernen Urbanistik», die das «Feld der Denkmalpflege auf den konservatorischen Erhalt ganzer Quartiere ausgedehnt» habe.170 Petrignani greift bei seinen Überlegungen auf frühe Theorien der Denkmalpflege zurück, er erwähnt Eugène Emmanuel Viollet-le-Duc (1814–1879) und John Ruskin (1819–1900) als zentrale Referenzen. Warum er aber die direkten Urheber des ambiente-Diskurses, insbesondere Gustavo Giovannoni und Ernesto Nathan Rogers, völlig übergeht, ist unverständlich bis frappierend.171 Stattdessen werden eine Reihe Zitate aus zeitgenössischen Publikationen zum Thema ambiente wiedergegeben. Eine Auswahl davon soll dies im Folgenden illustrieren.

Saverio Muratori (1910–1973) wiederholt 1960 in seinen Studi di una operante storia urbana di Venezia Rogers’ Aufforderung an die Architekten, sich vor dem architektonischem Eingriff mit der Geschichte des Ortes auseinanderzusetzen:

Spazio, ambiente e architettura vengono intesi in un complesso sistema di partecipazione dell’uomo al mondo circostante; nasce quindi la necessità di opportune conoscenze genetiche e storiche delle realtà urbane nelle quali si viene a operare.172

Giuseppe Ciribini (1913–1990) und Enrico Pellegrini173 argumentieren 1965 in Sul metodo in architettura, dass das ambiente prozesshaft entstehe und zudem für eine Vereinheitlichung der architektonischen Erscheinungen sorge. Auch hierhin findet sich Rogers Theorie der preesistenze ambientali:

Ambiente assume quindi un significato integrato in un processo unitario di natura ideativo-operativa proprio dell’architettura ed il tema dell’ambiente viene ad amalgamare ed unificare sostanzialmente qualunque iniziativa presa o prendibile nell’ambito unitario del Design.174

Piero Maria Luigi kommt 1966 in L’ambiente storico italiano zu dem Schluss, bei einem solchen entwerferischen Prozess handle es sich nicht nur um eine formale Annäherung zwischen alt und neu, sondern um eine Methode der Bezugnahme an und für sich:

L’incontro tra antico e nuovo non viene pertanto più a configurarsi in problemi di adattamento del linguaggio architettonico contemporaneo allo stile degli edifici

169 Ebd., S. 93–94.

170 Ebd., S. 94.

171 Die Nichtberücksichtigung von Giovannoni und Rogers verwundert umso mehr, wenn man die hohe Zahl nationaler und internationaler Referenztexte berücksichtigt, die der Autor zur Unterstreichung seiner These anführt.

172 Saverio Muratori, Studi di una operante storia urbana di Venezia, Rom: Istituto poligrafico dello stato, 1960. Zit. n. Portoghesi 1968, S. 94.

173 Die Lebensdaten Pellegrinos konnten nicht ermittelt werden.

174 Giuseppe Ciribini und Enrico Pellegrini, Sul metodo in architettura. Relazioni presentate al convegno sul metodo organizzato dalla società ingegneri e architetti in Torino per le celebrazioni del suo centenario, Turin: Quaderni di Studio, 1965. Zit. n. Portoghesi 1968, S. 94 43

preesistenti quanto in un problema di metodologia e di finalità del nuovo rispetto all‘antico.175

Es erstaunt nicht, dass sich Bruno Zevi (1918–2000) 1965 in einem in seiner eigenen Zeitschrift Cronache e storia publizierten Aufsatz mit dem Titel «Contro ogni teoria di ambientamento» dezidiert gegen die Konzeption von ambientamento ausspricht. Schliesslich kollidiert die retrospektive Perspektive dieses Entwurfsansatzes mit seinen Vorstellungen einer modernen Architektur. Auch aus seinem Text zitiert Petrignani Ausschnitte:

Mit der Ausrede, dass die moderne Architektur sich den historischen und monumentalen Zentren «anpassen» kann, begeht man in Italien zwei Delikte: man ruiniert das antike Stadtgewebe, indem man langsam die Gebäude ersetzt, und man ermordet die moderne Architektur, indem man sie zwingt, sich künstlich mit den Formen der Vergangenheit zu ,unterhalten‘ und ihr so ihre Vitalität nimmt. Man vinkuliert alles (in der Theorie) und zerstört alles (in der Praxis). […] Es muss Schluss gemacht werden mit den […] «mittelalterlichen Dramen». Das pseudo- moderne dagegen ist ein Instrument, um die Werte von gestern, von heute und von morgen zu modifizieren.176

Die Argumente und Beispiele unterstreichen, dass Petrignani bei der Definition der Begriffe ambiente und ambientamento vor allem den städtischen und denkmalpflegerisch zu schützenden Aussenraum im Sinn gehabt hat. Eine solche Definition greift jedoch zu kurz. Wie die Verwendung des Begriffs in der Fachliteratur der Architektur von den dreissiger Jahren bis in die sechziger Jahre zeigt, ist ambiente auch in Beschreibungen von Interieurs mit einem vergleichbar weiten Bedeutungsumfang zu finden. Weswegen die Autoren der beiden Einträge im Dizionario enciclopedico di architettura e urbanistica den Innenraum übergangen haben, ist nicht ersichtlich. Vermutlich schien ihnen dieser Bereich als zu unbedeutend.

2.2.3.4. Lucio Fontanas Konzeption der ambienti spaziali

Das Konzept der ambienti spaziali entwickelte sich im Werk des Künstlers Lucio Fontana während der unmittelbaren Nachkriegszeit in Mailand. Die Wortzusammensetzung «ambiente spaziale» ist bereits ein wichtiges Indiz für Fontanas Verständnis von ambiente. Wie aus seinen zahlreichen Manifesten hervorgeht,177 setzte der Künstler auf eine neues Konzept, das die Grenzen des üblichen, objektgebundenen Kunstverständnisses zu sprengen beabsichtigte. Fontana betrachtete Kunst nicht als Objekt wie etwa Malerei oder Plastik im Raum, sondern als eine Auseinandersetzung mit Raum selbst. Entsprechend nannte er seine künstlerische Vision «movimento spaziale» und die Künstler, die diesen Weg beschritten «artisti spaziali».178 Die Manifeste zum neuen, raumumfassenden Kunstverständnis, die Fontana kurz hintereinander zwischen 1947 und 1951 verfasste, entstanden aus einer Serie von Treffen und Diskussionen mit Künstlern unter

175 Piero Maria Luigi, L’ambiente storico italiano. Criteri per una difesa attiva, Rom: Cossidente, 1966. Zit. n. Portoghesi 1968, S. 94.

176 Zevi 1965, S. 213. Zitat nach der deutschen Übersetzung der Zeitschrift selbst.

177 Insgesamt verfasste Lucio Fontana in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern zehn Manifeste: 1. Manifiesto Blanco, Buenos Aires 1946, 2. Spaziali, Mailand 1947, 3. Circolare, Mailand 1948, 4. Spaziale, Mailand 1948, 5. Proposta di un regolamento – Movimento spaziale, Mailand 1950, 6. Manifesto dell’arte spaziale, Mailand 1951, 7. Manifesto tecnico, Mailand 1951, 8. Manifesto del movimento spaziale per la televisione, Mailand 1952, 9. Lo spazialismo e la pittura italiana nel secolo XX, Venedig 1953, 10. Spaziali alla XXIX Biennale di Venezia, Venedig 1958. Vgl. Fontana e lo Spazialismo 1987, S. 71.

178 «Proposta di un regolamento. Movimento Spaziale», 2. April 1950, Mailand. Ebd., S. 81. 44 anderem in der Galleria del Naviglio in Mailand, im Büro des Kunstkritikers Giampiero Giani (*1912) und im Studio der Architekten Ernesto Nathan Rogers, Ludovico Barbaiano di Begiojoso und Enrico Peressuti.179 Lucio Fontana war ausserdem auch Teil der Künstlergruppe Movimento arte concreta (MAC) in Mailand, die unter anderem von Gillo Dorfles (1910) und Bruno Munari (1907–1998) gegründet worden war.180

Lucio Fontanas ambienti spaziali weisen Verwandtschaften mit Rogers’ phänomenologischem Konzept des ambiente auf, äussern sich aber auf ganz andere Art und Weise. Bereits in seinem Manifiesto Blanco, das Fontana zusammen mit befreundeten Künstlern im November 1946 in Buenos Aires veröffentlichte, proklamierte er eine neue Kunstform als «Summe physikalischer Elemente: Farbe, Klang, Bewegung, Zeit und Raum, die sich zu einer physikalisch-psychischen Einheit vervollständigt».181 Antony White argumentiert, die Idee dieser neuen Synthese beruhe auf Fontanas Annahme, dass die «wissenschaftlichen und philosophischen Entwicklungen die menschliche Psyche so sehr verändert hätten, dass dadurch die traditionellen statischen Kunstformen überflüssig geworden seien».182 Eine synthetische Kunst sei proklamiert worden, die dem neuen «dynamischen Prinzip der Bewegung durch Raum und Zeit»183 entspreche. Fontana selbst schreibt dazu im Manifiesto Blanco:

La vita statica è scomparsa. La nozione di velocità è ormai una costante nella vita dell’uomo. […] L’estetica del movimento organico subentra all’esaurito estetica delle forme fisse.184

Die Idee einer Kunstform, die sich mit seiner unmittelbaren Umgebung, seinem ambiente, auseinandersetzt und erst in Beziehung zum ambiente zum Ausdruck findet, war in Fontanas Werk nicht neu. Bereits in den frühen Arbeiten der dreissiger Jahre interessierte er sich für die Auflösung des Kunstwerks als autonomes Objekt. Fontana entwickelte 1949 eine Serie mit dem Titel Ceramiche spaziali.185 Er überzog Keramikstatuen mit einer reflektierenden Glanzschicht, um das Kunstwerk in und mit dem Raum interagieren zu lassen. Ernesto Nathan Rogers stellte bereits 1938 fest, dass Fontanas Keramikarbeiten nicht isoliert betrachtet werden sollten, sondern in Beziehung zu ihrer Umgebung.186

Wie Fontana seine ambienti spaziali künstlerisch umsetzte, lässt sich am besten anhand zweier Installationen veranschaulichen. 1949 richtete der Künstler in der Galleria del Naviglio die Installation Ambiente spaziale a luce nera ein. Er brachte eine organischen Formen verpflichtete, figürliche Plastik aus Pappmaché an der

179 Ebd., S. 22. Valenti 2009, S. 22. Zur Beziehung Fontanas zu Rogers siehe White 2011, S. 136–137.

180 Auch die Mitglieder des MAC waren an einer grenzüberschreitenden Idee von Kunst interessiert und arbeiteten mit Architekten zusammen. Caramel 1994, S. 57–103.

181 «Concepiamo la sintesi come una somma di elementi fisici: colore, suono, movimento, tempo, spazio, reallizzando una unità fisico-psichica». Zit. n. Valenti 2009, S. 18. Das als Flugblatt erschienene Manifest wurde von Bernardo Arias, Horacio Cazeneuve und Marcos Fridman redigiert, Mitunterzeichner waren Pablo Arias, Rodolfo Burgos, Enrique Benito, César Bernal, Luis Coli, Alfredo Hansen, Jorge Rocamonte.

182 White 2011, S. 134.

183 Ebd..

184 Zit. n. Valenti 2009, S. 17.

185 White 2011, S. 141.

186 Rogers, «Lucio Fontana e le sue ceramiche», in: Natura, 1938. Zit. n. White 2011, S. 122. 45

Decke an und bemalte sie mit unterschiedlichen fluoreszierenden Farben. Die einzige Lichtquelle im Raum bestand aus ultraviolettem Licht, sodass die Figur selbst in kräftigen Farben zu leuchten schien. Wie die zeitgenössischen Kritiken berichten, betrachteten die Besucher nicht ein vor ihnen präsentiertes Kunstwerk, sondern waren in das Kunstspektakel involviert, weil ihre Körper und Kleidung das Licht ebenso reflektierten.187 Mit dieser Installation verband Fontana erstmals Architektur, Malerei, Plastik und den Betrachter zu einem ambiente spaziale.

1951, anlässlich der IX. Triennale di Milano, deren Leitthema «unità delle arti» lautete,188 hängte Fontana eine hundert Meter lange, gewundene Neonröhre in die repräsentative Treppenhalle (Abb. 111). Die mehrfach in Schlaufen gewundene Struttura al neon schien dynamischen, kreisförmigen Bewegungen zu folgen. Vorbild waren die Licht-Zeichnungen Pablo Picassos: 1949 hatte der Fotograf Gjon Mili durch Langzeitbelichtung die Bewegungen einer Lichtquelle festgehalten, mit der Picasso in die Luft zeichnete.189 Zum Ärger Fontanas belegte die zeitgenössische Kritik seine Installation mit den Worten «arabesque», «Spaghetti» oder «Lasso».190 Fontana hingegen sah in seiner Arbeit eine «fantastische neue Dekoration» oder ein «räumliches Konzept», aber nie ein autonomes «Objekt».

Die Wirkung, welche die Struttura al neon auf den Besucher hatte, schilderte François Stahly 1951 in Graphis:

The conception of space is no longer that of some neutral medium spreading impalpably inside four walls. The daring neon loop that swings through the air lends the volume of the hall from which the staircase ascends a substantiality measurable to the eye. The visitor who climbs the stairway is no longer the passive observer but takes part at every step in the relative displacement of perspectives and thus in the creation of the spatial design around him. 191

Fontanas ambienti spaziali forderten eine neue dynamische und synästhetische Raumerfahrung heraus, die den Menschen und seine Wahrnehmung gleichermassen miteinbezieht. Das neue Raumkonzept lässt Affinitäten zu Rogers’ und Pacis’ Phänomenologie erkennen. Zum einen eröffnete Fontana mit seiner räumlichen Kunst auch neue räumliche Erfahrungen und Wahrnehmungsweisen und verwischte die Grenzen zwischen dem wahrnehmenden Subjekt und dem künstlerischen Objekt. Zum anderen suchte er als Künstler die enge Zusammenarbeit mit Architekten, um Kunstwerke zu schaffen, die nicht autonom waren, sondern die er als integralen Teil des umgebenden städtischen Aussenraums oder häuslichen Innenraums betrachtete.192

187 Ebd., S. 154–155.

188 Pansera 1978, S. 370.

189 White 2011, S. 160–161.

190 Ebd., S. 159.

191 François Stahly, «IX Triennale. A New of Three-Dimensional Exhibition Design», in: Graphis, 7 (1951), Nr. 38, S. 458. Zit. n. ebd., S. 168.

192 Bereits 1949 begann Fontana mit zahlreichen Architekten zusammenzuarbeiten. Gemeinsam mit Osvaldo Borsani (1911–1985) konnte er bei der Gestaltung verschiedener Interieurs gehobenen Wohnens in Mailand Projekte realisieren. Valenti 2009, S. 89–117. Borsani hatte mit Caccia studiert. Annuario 1937, S. 179. 46

2.2.3.5. Roberto Alois Verwendungen von ambiente

Der Kunstmaler Roberto Aloi (1897–1981) publizierte zwischen 1934 und 1972 im Mailänder Hoepli Verlag über vierzig Bücher zu Themen der Architektur, Innenarchitektur und Einrichtung sowie der angewandten Kunst.193 Darin kommt das Wort ambiente zumeist als Synonym für Zimmer oder Innenraum zur Anwendung. In seltenen Fällen wird es in seiner erweiterten Bedeutung gebraucht, wie dies etwa in einem Ausschnitt aus dem Vorwort von Alois’ erster Ausgabe der Reihe L’arredamento moderno von 1934 zutage tritt:

Ho voluto pure dimostrare quanto gli artisti, i creatori d’oggi, si preoccupino di aderire strettamente alle esigenze della nostra epoca […] ideando oggetti rispondenti ad una armonia complessiva d’ambiente piuttosto che ad una bellezza particolarmente considerata194

Ambiente hier mit «Innenraum» gleichzusetzen, würde die Aussage verflachen. Die «komplexe Harmonie» scheint auf eine Ordnung hinzuweisen, die mehr umschreibt als bloss ein Zimmer. Zudem wird die Fähigkeit der Künstler herausgestrichen, auf aktuelle Bedürfnisse einzugehen, um damit einer «komplexen Harmonie» zu entsprechen.

Im dritten Band von L’arredamento moderno aus dem Jahr 1948 lässt sich eine weitere schwer zu interpretierende Textstelle ausmachen. Ugo Nebbia (1880–1965) schreibt im Vorwort:

[…] quali sono in realtà le espressioni della vita odierna, colta nell’ambiente stesso dove si svolge, cioè fra gli oggetti con cui l’arte decorativa e le industrie ad essa connesse meglio ne sanno definire le caratteristiche e le tendenze.195

Wiederum ist nicht ganz eindeutig, ob ambiente bloss den Innenraum bezeichnet oder ob hier ebenfalls von einem erweiterten Verständnis ausgegangen werden kann. Die Idee des ambiente als Raum, in dem nicht nur das alltägliche Leben stattfindet, sondern dieses ebenso zur Form findet, zeigt eine gewisse Verwandtschaft mit dem ambiente-Begriff bei Rogers und Pacis. Auch hier wird zwischen dem alltäglichen Leben und den Objekten des Alltags ein direkter Zusammenhang postuliert.

Ein direkter Verweis auf Enzo Paci ist erst Roberto Alois’ 1963 erschienener Publikation Camini e ambiente zu entnehmen.196 Bereits der Titel, in dem «camini» im Plural und «ambiente» im Singular verwendet wird, signalisiert, dass mit dem Wort ambiente ein übergeordneter Bedeutungsinhalt verbunden ist. Das Vorwort des Architekten Carlo Bassi (*1923) ist überaus aufschlussreich: Bassi zitiert Paci nicht nur, sondern er überträgt das städtebaulich-denkmalpflegerische Konzept des ambiente auf den Innenraum. Er geht sogar so weit, den Kamin zum Monument des Innenraums zu erklären:

193 Die Bücher sind sorgfältig recherchiert und bilden norditalienische sowie internationale Werke ab. Ebenso zeichnen sie sich durch eine anspruchsvolle grafische Gestaltung und ein qualitätsvolles buchbinderisches Handwerk aus. Laut der Homepage des Aloi-Archivs erfreuten sich die Bücher grosser nationaler und internationaler Beliebtheit. Mit der Publikation Nuove architetture a Milano, die 1959 erschien, wurde Aloi zum Ehrenmitglied des Collegio degli Architetti in Mailand ernannt. Siehe http://www.robertoaloi.com/ilibri.htm, abgerufen 19. Februar 2013. Die Serie L’arredamento moderno erschien zwischen 1934 und 1964 sieben Mal.

194 Aloi 1934, S. V.

195 Aloi 1948, S. 7.

196 Aloi 1963. 47

In questi casi il camino è sempre un «monumento» attorno al quale si quietano i rumori quotidiani e si ferma la vita della casa […].197

Aloi und Bassi wollen den Kamin zum unabdingbaren Bestandteil eines Wohnhauses erklären. Analog zu Rogers «Präexistenzen» wird auch der Kamin zum Bezugspunkt, der als traditionelles Element die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufrechterhält. Tatsächlich ist Rogers in Bassis Argumentation kaum überhörbar, wenn dieser fordert, dass das ambiente nach den Regeln der Tradition zu konzipieren sei:

E diremmo che questo è un modo di concepire l’ambiente secondo i vincoli di una tradizione bene individuata che ulteriormente approfondisce il senso di quella che abbiamo sentito come «moralità» del camino.198

Am Ende seiner Ausführungen zieht Bassi Enzo Pacis Diario fenomenologico von 1961 heran, um auf die Interdependenz des einzelnen Gegenstands und aller anderen umgebenden Dinge der Wohnung hinzuweisen. Eine vergleichbare Abhängigkeit sei zwischen dem Gegenwärtigen und dem Vergangenen auszumachen: Die Gegenwart sei Wiederaufwachen aus der Vergangenheit, sei nicht zuletzt auch «wiedergefundene Zeit» («tempo ritrovato»), wie Bassi mit Verweis auf Marcel Proust behauptet.199 Es wird eine «Symmetrie» zwischen dem Makrokosmos des Aussenraums und dem Mikrokosmos des Innenraums konstruiert. Im Interieur formen die Artefakte – analog den Bauwerken der Stadt – schützenswerte und wertvolle Ensemble. Bemerkenswert ist, dass Bassi über die historische Bedingtheit der Gegenwart sowie über die Abhängigkeit der einzelnen Gegenstände von ihrer jeweiligen Umgebung schreibt. Darin spiegeln sich unmissverständlich Rogers preesistenze ambientali.

Bassis Darstellung des Kamins als Monument des Innenraums ist an Pathos kaum zu übertreffen. Dennoch stellt der Text in zweierlei Hinsicht ein wertvolles Indiz dar: Er bestätigt, dass der ambiente-Begriff von Rogers und Pacis bis 1963 in Mailand eine gewisse Verbreitung und Akzeptanz gefunden hatte, zudem spricht die «Übertragung» des ursprünglich denkmalpflegerisch-urbanistischen Diskurses auf den Innenraum für eine Offenheit der ambiente-Konzepts.

2.2.3.6. Gio Pontis Verwendungen von ambiente

In Domus und Stile, zwei der führenden Zeitschriften für Architektur, Kunst und Design in den dreissiger bis sechziger Jahren, ist das Wort ambiente im Zusammenhang mit Inneneinrichtungen und Wohnungen überaus

197 Ebd., S. VIII.

198 Ebd., S. X.

199 Ebd., S. XXII. 48 häufig zu lesen.200 Ihr Chefredaktor Gio Ponti201 bezeichnete damit zumeist den Innenraum.202 Pontis scharfes Sensorium für Neues hatte dafür gesorgt, dass er das Wort bereits sehr früh benutzte. 1930 gab er das Buch L’ambiente moderno in Italia heraus, worin insgesamt 206 «moderne» italienische Innenräume abgebildet sind und mit ambiente der Innenraum oder das Interieur gemeint ist.203 Seine pragmatische Einstellung liess Ponti viele Jahre später das Wort «uniambientale» kreieren: «Un alloggio uniambientale» etwa ist für Ponti schlicht eine Einraumwohnung.204 In seinem 1957 publizierten Büchlein Amate l’architettura hingegen lassen sich Beispiele finden, die auf ein erweitertes Verständnis von ambiente schliessen lassen.205 Doch sein Desinteresse für dieses Konzept kommt überaus deutlich in der massiven Vereinfachung der Definition von ambientazione zum Ausdruck:

l’architettura attempata va d’accordo con la natura, perché la natura è vecchia206

In einem Brief, den Ponti seinem Kollegen Ernesto Nathan Rogers am 17. September 1958 zusandte, tritt sein ambivalentes Verhältnis gegenüber dessen Vorstellung von ambiente offen zutage.207 Ponti selbst hatte zwar die Verbindung von modernen und antiken Gegenständen im Interieur bereits in der Zwischenkriegszeit als dekorativ propagiert, doch war er gegen einen Eklektizismus:

Il mio sogno sarebbe che i giovani facessero rigorosi ambienti moderni dove avessero accoglienza esemplari antichi e sceltissimi, testimonianza di una ricerca difficile e non del conformismo che mette assieme, d’emblée tripoline, Thonet, Chiavari-tavolo di Gardella, putto [tutto?] barocco, e via via. Vorrei che accanto alla presenza dell’antico, sceltissimo non solo sul piano del gusto, ma anche sul quello dell’erudizione, ci fosse l’onorata presenza di cose d’oggi, e poi la voluto esperienza di uno stile, non eclettico, ma di totale unità, come s’han esempi antichi (i più belli).208

Wie gut Ponti Rogers’ Position gekannt haben muss, geht aus den anschliessenden Ausführungen hervor, in denen er Rogers’ mögliche Einwände gleich selbst vorwegnimmt. Er wisse, dass Rogers die Ansicht vertrete,

200 Zwischen 1930 und 1969 kommt ambiente 27 Mal in Titeln der italienischen Fachzeitschriften vor. Die Zahl Titel nimmt in den sechziger Jahren sprunghaft zu. Siehe Avery Index to Architectural Periodicals. In den Texten von Domus, Stile, und L’arredamento moderno wird das Wort ambiente zwischen 1940 und 1970 sehr häufig verwendet, fast ausschliesslich als Bezeichnung des Innenraums. Dasselbe Resultat ergibt die Prüfung der Enciclopedia pratica della casa, Mailand: Garzanti, 1939.

201 Der Mailänder Giò (Giovanni) Ponti (1891–1979) gehört zu den einflussreichsten italienischen Architekten des 20. Jahrhunderts. Sein Œuvre umfasst neben der Architektur Grafik, Malerei, Produktedesign und Möbel. Ponti war Gründer und Chefredaktor der Zeitschriften Domus und Stile. Zu seinen wichtigsten architektonischen Werken gehört der Pirelli-Turm, den er 1958 zusammen mit Pier Luigi Nervi (1891–1979) und Arturo Danusso (1880–1968) errichtete. Von 1936 bis 1961 war er ordentlicher Professor der Architekturfakultät am Mailänder Polytechnikum. Eine detaillierte Biografie ist nachzulesen in Licitra Ponti 1990.

202 In seinen eigenen Texten in Domus und Stile hat Ponti ambiente ausschliesslich als Bezeichnung für den Innenraum verwendet.

203 Ponti 1930.

204 1956 erschien Pontis Grundriss einer Einraumwohnung für vier Personen in Domus. Ponti 1956.

205 Ponti 1957.

206 Ebd., S. 196.

207 Ponti und Rogers schätzten sich gegenseitig. Das geht aus den insgesamt 210 Briefen in Pontis Archivio epistolario hervor. Ponti an Rogers, 17. September 1958, AEGP: CAT GP 030 DSC00293.

208 Ponti an Rogers, 17. September 1958, AEGP: CAT GP 030 DSC00293. 49 auch der Eklektizismus könne «eine Einheit, eine Kultur,» sein und Bildung und Geschmack seien nur schwer voneinander zu trennen.209 Ponti äussert die Befürchtung, dass die jungen Architekten sich zu wenig mit der modernen Technik auseinandersetzten, um daraus zeitgemässe architektonische Lösungen zu schaffen.

2.3. Ambiente – zwischen gestalteter Kontinuität der Geschichte und gestalteter Kontinuität des Raumes

Wie in dieser Übersicht der verschiedenen Theorien und Praktiken gezeigt wurde, beschreibt ambiente das Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner Umgebung als ausgesprochen vieldeutige und zum Teil sogar paradoxe Beziehung, die im Laufe der Geschichte entstanden ist und sich laufend fortentwickelt. Was das Wort ambiente tatsächlich bedeutet, erschliesst sich nur über den jeweiligen Zusammenhang seiner Anwendung.

Trotz der grossen Bedeutungsvielfalt und Komplexität lassen sich im Kontext der Mailänder Architekturdebatten der Nachkriegszeit zwei Konzepte festmachen, die den Diskurs prägten: ambiente als gestaltete Kontinuität der Geschichte und ambiente als gestaltete Kontinuität des Raumes.

Das erste Konzept von ambiente hatte der Römer Gustavo Giovannoni vorgezeichnet. Für ihn beschreibt ambiente das «Wesen der Stadt und der traditionellen städtischen Ensembles».210 Die Möglichkeiten architektonischer und städtebaulicher Eingriffe seien durch «den Respekt vor dem ambiente»211 beschränkt. Ernesto Nathan Rogers’ Verständnis von ambiente baut auf Giovannonis Ideen auf. Rogers plädiert ebenfalls für architektonische Lösungen, die der Kontinuität und Eingliederung des Neuen im historischen Bestand verpflichtet sind. Dass dadurch historische Authentizität strapaziert werden könnte, ist für Rogers sekundär. Er erachtet eine (wenn auch erfundene oder imaginierte) Kontinuität als bedeutungsvoller und ist gegen die Fragmentierung des Stadtkörpers in einzelne historische Episoden (was Giovannoni ebenfalls vermeiden wollte). Abweichungen zwischen den beiden Konzepten gehen auf den unterschiedlichen historischen Kontext ihrer Entstehung zurück. Ging es Giovannoni in den dreissiger Jahren um die Verteidigung des städtebaulichen Ensembles vor unbedachten Eingriffen, das heisst um Denkmalschutz, war Rogers nach dem Zweiten Weltkrieg um den Wiederaufbau eines stark beschädigten Stadtkörpers bedacht. Um den Anschein historischer Kontinuität herzustellen, sollten die Baulücken mit Gebäuden gefüllt werden, die als integrale Bestandteile eines historisch gewachsenen Stadtkörpers konzipiert sind.

Das zweite Konzept von ambiente als gestaltete Kontinuität des Raumes ist das Resultat einer neuen künstlerischen Praxis, welche die Überwindung der gängigen Grenzziehungen zwischen Kunst und Leben einforderte. Lucio Fontana entwickelte seine ambienti spaziali in der Absicht, Kunst und Architektur in einer neuen sintesi delle arti zu einer neuen Raumkunst zusammenzuführen. «Farbe, Klang, Bewegung, Zeit und

209 Ebd.

210 Choay 1997, S. 150.

211 Ebd. 50

Raum»212 gehen eine Verbindung ein und schaffen synästhetische Erlebnisse. In der gestalteten Kontinuität des Raumes findet die Idee einer neuen Raumkunst ihren Ausdruck, die visuelle, haptische und auditive Bezüge zwischen dem Menschen und dem ihn umgebenden Raum, seinem ambiente, herstellt und ihn damit in komplexe Wahrnehmungsprozesse involviert. Der Raum ist nicht endlich, nicht begrenzt, sondern dynamisch, bewegt und nach Endlosigkeit bestrebt.

Auch hierbei spielte Ernesto Nathan Rogers eine nicht unbedeutende Rolle. Es ist belegt, dass Fontana sein neues Raumkonzept im Büro von Rogers diskutierte,213 darüber hinaus zeugen Fontanas Schriften von grossen Affinitäten zu Rogers phänomenologischem Ansatz. In Mailand wurde in der Folge der Zusammenarbeit zwischen Architekt und Künstler einen besonderer Wert beigemessen, die 1957 in der Ausstellung Colori e forme nella casa d’oggi in der Villa Comunale dell’Olmo in Como einen öffentlichen Höhepunkt fand.

Die beiden Konzepte von ambiente sind im Mailand der Nachkriegszeit nicht unabhängig voneinander entstanden, sondern im zeitlichen und geografischen Nebeneinander. Beiden gemein ist, dass sie von einer inneren, das heisst historischen und materiellen Verbundenheit der Welt ausgehen und die Kategorie des Raumes, seine Beschaffenheit, seine Bedeutung und seine Wahrnehmung, ins Zentrum stellen. Die Idee des ambiente als gestaltete Kontinuität der Geschichte und als gestaltete Kontinuität des Raumes entwickelte sich in den Jahren 1945 bis 1970 in einem politischen und kulturellen Klima der Brüche, Umwälzungen und Hybridisierung.

Wie in den folgenden Kapiteln «Rekonstruktion» und «Konstruktion» gezeigt werden soll, fanden beide Konzepte von ambiente gleichermassen im Innenraum wie im Aussenraum eine architektonische Entsprechung. Denn es sind Inneneinrichtungen anzutreffen, die auf der Verbindung von «moderno e antico»214 basieren und damit wie die städtebaulichen Eingriffe der Kontinuität und Integration des Neuen im Alten verpflichtet waren. Umgekehrt ist die Überwindung der Grenzziehung zwischen Kunst und Architektur auch bei architektonischen Interventionen im Aussenraum (Fassadengestaltung, öffentliche Passagen, Stadtplanungen) festzustellen. Das Kapitel «Rekonstruktion» untersucht entsprechend die gestaltete Kontinuität der Geschichte, das Kapitel «Konstruktion» die gestaltete Kontinuität des Raumes. «Konstruktion» scheint dabei in besonderem Mass als methodischer Begriff geeignet, weil es in beiden Fällen um den Entwurf einer alternativen Vergangenheit oder Gegenwart handelt, die sich als Gegenmodelle zur vorherrschenden Realität verstanden.

212 Manifiesto Blanco, Buenos Aires, 1946. Zit. n. Valenti 2009, S. 18.

213 White 2011, S. 136–137.

214 Caccia Dominioni 1947. 51 3. Rekonstruktion

3.1. Begriff und These

Bauliche Rekonstruktion bedeutet heute im engen Sinn die «Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes untergegangener […] Kulturdenkmäler».215 Voraussetzung für die Rekonstruktion ist die Anerkennung des zerstörten Baus als wertvolles Denkmal, das die Gesellschaft an ein bestimmtes Ereignis oder eine zeitgeschichtliche Phase erinnert. Anders als bei einer «Restaurierung» werden «Denkmäler, deren originaler Zustand nicht mehr erkennbar, sondern nur noch erschließbar ist, rekonstruiert. Dabei werden Fragmente in ihre erschlossene ursprüngl. Ordnung gebracht» und durch Ergänzung der fehlenden umgebenden Teile zu einem Ganzen vervollständigt. Bauliche Rekonstruktion setzt demnach eine detaillierte historische Untersuchung in Archiven, Sammlungen und der entsprechenden Literatur voraus, auf deren Basis das Zerstörte wiederaufgebaut oder ergänzt werden kann. Das Ziel heutiger Rekonstruktionsarbeiten ist, dem zerstörten Original möglichst detailgenau zu entsprechen und seinen Fortbestand in der Zukunft zu sichern.

Im Kontext der Forschungen zu den Wohnbauten Luigi Caccia Dominionis ist mit «Rekonstruktion» eine andere Art der «Wiederherstellung» beschrieben. Diese bedient sich der Motive der Vergangenheit scheinbar frei und subjektiv und beruht nicht auf einer vorhergehenden wissenschaftlichen Recherche. Historisierende Elemente werden mit originalen Fragmenten zu einem neuen Bauwerk zusammengesetzt, ohne dabei die Unterschiede zwischen alten und neuen Bestandteilen kenntlich zu machen. Diese Arbeiten folgen dem Prinzip von «Nachahmung, Anpassung, Zitat und Wiederholung».216

Ein solcher Umgang mit historischem und historisierendem Material deutet auf ein anderes Verständnis der Vergangenheit hin.217 Das Vergangene ist nicht «abgelaufen und deshalb festgelegt und abgeschlossen»,218 sondern über das Medium der Architektur nachträglich erneuerbar. Bei dieser Art der Rekonstruktion ist die zeitliche Perspektive der Architekten und Bauherren auf die Vergangenheit gerichtet. Die architektonisch- künstlerische Auseinandersetzung basiert auf retrospektiven Prozessen, das heisst, in den Bauten werden die Erlebnisse und Erkenntnisse der Vergangenheit verdichtet. Die durch die Architektur neu repräsentierte Geschichte entspricht somit einer Umdeutung der Vergangenheit. Diese «neue» Vergangenheit wird dadurch zur Fiktion oder «Projektionsfläche»219 der Gegenwart.

Rekonstruktion bedeutet im Hinblick auf die Wohnbauten Luigi Caccia Dominionis die Konstruktion einer alternativen Vergangenheit angesichts der Zäsur des Faschismus, der erheblichen materiellen Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs sowie des Beginns der Demokratisierungs- und Modernisierungsprozesse nach 1945.

215 Brockhaus 2006, S. 774.

216 Nerdinger 2010, S. 10.

217 Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann weist auf einen Paradigmenwechsel unseres Zeitverständnisses hin. Nicht der Zukunft wird die Qualität von «Erneuerung und Wandel» zugesprochen, sondern der Vergangenheit. In ihrem Aufsatz «Rekonstruktion. Die zweite Chance oder: Architektur aus dem Archiv» geht es allerdings um zeitgenössische Fragestellungen. Siehe Assmann 2010.

218 Ebd., S. 16.

219 Ebd. 52

Die Realisierung einer alternativen Vergangenheit muss als eigentliches Ziel von Caccias Arbeitsweise betrachtet werden. Das Ergebnis ist eine gestaltete Kontinuität der Geschichte.

3.2. Politik, Gesellschaft und Architektur in der unmittelbaren Nachkriegszeit

Die italienische Nachkriegsgeschichte ist von politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontinuitäten und Diskontinuitäten gekennzeichnet. Insbesondere die Jahre zwischen 1945 und 1948 nahmen eine ambivalente Entwicklung. Das Spannungsverhältnis zwischen «Kontinuität und Diskontinuität»220 äusserte sich in verschiedenen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens. Eine ganze Generation musste sich mit wechselnden «Erfahrungen, Modellen und Werten» auseinandersetzen: «Man bedenke nur, daß jene Alterskohorten und Generationen […] im Faschismus aufwuchsen, während des Zweiten Weltkriegs ihre Familien gründeten und Protagonisten der Überflußgesellschaft wurden».221 In den ersten Jahren nach dem Krieg schien ein Neubeginn in Form einer ricostruzione vielversprechend, er umfasste neben dem tatsächlichen Wiederaufbau auch die Option einer politischen und ideologischen Revision. Desgleichen verhiess die Wiederherstellung des alltäglichen Lebens die Rückkehr zum Lebensrhythmus und zu den Werten der Zwischenkriegszeit.

Aus den politischen Diskontinuitäten und Kontinuitäten jener kurzen Phase nach 1945 erschliesst sich die gesellschaftliche Problematik, in der sich der von einem verheerenden Krieg ausgelöste Übergang von der faschistischen Staatsform zur Republik als demokratisches und kapitalistisches System spiegelt.

3.2.1. Politik und Gesellschaft

Als mit Ferruccio Parri (1890–1981) im Juni 1945 ein Mitglied der sozialistischen Partito d’Azione und damit einer der wichtigen Anführer der Resistenza zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, schien die Realisierung linker, sozialistischer Ideale für einen kurzen Moment in Reichweite gerückt.222 Parris Regierung hielt knapp ein halbes Jahr, bereits im Dezember 1945 übernahm der Christdemokrat Alcide De Gasperi (1881–1954) mit der Unterstützung der Linken das Amt des Ministerpräsidenten.223 Die Partei, die Democrazia Cristiana, war 1942 heimlich im Haus des Stahlindustriellen (und späteren Bauherren Luigi Caccia Dominionis) Enrico Falck (1866–1947) gegründet worden.224 Bis zu den Wahlen am 18. April 1948 sollten sich Positionen der beiden grössten und einander entgegengesetzten politischen Fronten verhärten: die Christdemokraten mit Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika gegen das Lager der Arbeiterbewegung zusammen mit den Sozialisten und der Hilfestellung der Sowjetunion. Während die einen

220 Saraceno 1993, S. 521.

221 Ebd.

222 Ginsborg 1990, S. 72.

223 Ebd., S. 89.

224 Ebd., S. 48. 53 die Idee eines «konservativen, katholischen und kapitalistischen» Italien verfochten, setzten sich die anderen für ein «sozialistisches, säkulares und revolutionäres» Land ein.225

Nach dem deutlichen Wahlsieg am 18. April 1948 konnte die Democrazia Cristiana dank einer Koalitionspolitik ihre Vorherrschaft sicherstellen und ausbauen.226 Der Erfolg der Christdemokraten nach dem Krieg war neben dem politischen Geschick auf die massive finanzielle Unterstützung durch den Marshall-Plan der USA zurückzuführen. Indem die Amerikaner die italienische Wirtschaft mit allen Mitteln förderten, hofften sie, den Einfluss der Linken zu brechen.227 Damit zogen sie die Italiener kurz vor Kriegsende in den Bann der «Philosophie des Konsums und des schnellen Glücks».228 Für die intellektuelle Elite, die grösstenteils linke und marxistische Haltungen vertrat, war die Politik der Christdemokraten, die damit einhergehende Amerikanisierung Italiens sowie der Versuch der Marginalisierung ihrer Parteien seitens der katholischen Kirche und der Democrazia Cristiana eine schmerzliche Erfahrung. Schliesslich waren es vor allem die Sozialisten und Kommunisten gewesen, die während des Zweiten Weltkriegs vehementen Widerstand gegen den italienischen Faschismus und die deutsche Besatzung geleistet hatten.229

Ungeachtet der politischen Machtkämpfe Parris und Gasperis verblieben die Strukturen in den staatlichen Verwaltungen so, wie sie das faschistische Regime eingerichtet und kontinuierlich ausgebaut hatte.230 Der gesamte bürokratische Apparat wurde in den Jahren zwischen 1945 und 1948 weder in Frage gestellt noch einer grundlegenden Reform unterzogen. Die Commissione di epurazione etwa, die gegen Kriegsverbrecher vorgehen sollte und für die «Säuberung» öffentlicher Ämter von Personen mit faschistischer Vergangenheit verantwortlich war, versagte.231 Die bürgerlichen Gesellschaftsschichten der reichen Industriestädte Turin, Mailand und Genua als Kapitalgeber und Anführer der faschistischen Partei mussten sich keine Fragen zu ihrer Rolle und Position während des Ventennio, der zwanzig Jahre Mussolini-Herrschaft, gefallen lassen.232

Weshalb Italien seine faschistische Vergangenheit bis in die 1970er Jahre marginalisierte, ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen. Mit dem Erstarken der Resistenza-Bewegung gegen Ende des Krieges hat sich die historische Konstruktion einer in der Bevölkerung breit abgestützten Widerstandsbewegung gegen den Faschismus etabliert.233 Eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Zeit des Faschismus ist ausgeblieben. Auch der Umstand, dass die Resistenza mit einem ihrer wichtigsten Protagonisten, Ferruccio Parri, als

225 Ventresca 2003, S. 439.

226 Ginsborg 1990, S. 141–157.

227 Ebd., S. 115.

228 Branzi 1994 S. 596.

229 Zur Rolle der italienischen intellektuellen Linken nach dem Zweiten Weltkrieg siehe ebd.

230 Ginsborg 1990, S. 91.

231 Zur Wirkungslosigkeit der Politik der epurazione siehe ebd., S. 92–93.

232 Ebd., S. 73.

233 Bauerkämper 2006, S. 47. 54

Ministerpräsidenten 1945 zu politischer Macht kam, hat zur Konsolidierung dieser historischen Konstruktion geführt.234

Erst die jüngste Geschichtsforschung hat gezeigt, dass eine Mehrheit der italienischen Bevölkerung während und vor allem gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gegenüber Faschismus und Resistenza keine eindeutige Position beziehen mochte.235 Der Faschismus, der anders als etwa in der Vichy-Republik in Frankreich als genuin italienisches Gut betrachtet wurde,236 hatte vor Ausbruch des Krieges für einen entscheidenden Modernisierungsschub im Land gesorgt. Darüber hinaus war die Rolle und Bedeutung der Resistenza in vieler Hinsicht mehrdeutig und blieb insbesondere einer oberen, wohlhabenden gesellschaftlichen Schicht suspekt. Denn der Kampf der Partisanen hatte sowohl gegen die deutsche Wehrmacht wie auch gegen die Faschisten im eigenen Land gerichtet hatte.237 Der inneritalienische Krieg wurde gleichzeitig als patriotischer Kampf (gegen den Einmarsch der Deutschen) und als Bürgerkrieg (gegen faschistische Italiener) wahrgenommen.238 Der Partisanenkrieg nahm schliesslich auch die Züge eines Klassenkonflikts an, wenn man in Betracht zieht, dass die politische Linke die finanziellen Förderer, Führungskräfte und Nutzniesser des faschistischen Regimes – nicht zu Unrecht – im Umfeld wohlhabender Industrieller, Kapitalisten und Grossgrundbesitzer ortete.239

Die Situation der (Mailänder) sozialen Elite und ihr Selbstverständnis nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beschreibt der Historiker Paul Ginsborg:

The employing classes, particularly of the North, emerged from the war in some trepidation. At first […] they thought that only indefinite Allied occupation would save them from social revolution. But quite quickly, as the sincerity of Communist orders for restraint became apparent, they regained their self-confidence. Unlike their French counterparts, the Italian industrialists did not have to answer at the end of the war for a prolonged period of collaboration with the Nazis. Some were more compromised than others, but most had played that careful double game […] keeping in with the Germans while supplying information to the Allies and even funds to the partisans. They were also able to benefit from the fact that most sources of energy and industrial plant had been saved from destruction in the last few months of the war.240

Selbst in einer grossbürgerlichen Familie konnten ideologische Gegensätze koexistieren, wie aus den Kindheitserinnerungen der Mailänder Architektin Giuliana Gramigna (*1929) hervorgeht:

Papà era fascista. Questo me lo ricordo bene perché in casa nostra entrava, oltre il Corriere della Sera, anche Il Popolo d’Italia, e poi perché nessuno parlava male del Duce. Papà non era fascista come tanti, un fascista qualunque, di quelli con la «cimice» all’occhiello, che «avevano famiglia». Lui era fascista veramente. Prima di tutto era molto felice, e orgoglioso, di essere italiano, e certamente si sentiva in parte debitore verso il fascismo di questa sua fierezza. Non si occupava di politica, ma

234 Ginsborg 1990, S. 72.

235 Dunnage 1999, S. 89–90.

236 Pavone 1999, S. 11.

237 Ebd., S. 10.

238 Ebd.

239 Ebd. Bauerkämper 2006, S. 66.

240 Ginsborg 1990, S. 73. 55

della politica del regime toccava tutti i giorni, come si dice con mano, alcuni aspetti che gliene mostravano un volto indubbiamente positivo. […] Non sentivo mai parlare di politica, in casa. Eppure sono cresciuta consapevole che i due grandi amori della mamma, il papà e il Dèdo, avevano opinioni opposte. Capivo che si rispettavano.241

Innerhalb der sozialen Elite Italiens gab es gleichermassen Faschisten wie Antifaschisten. Hinzu kommt, dass zahlreiche Intellektuelle, welche die Politik Mussolinis unterstützt hatten, während des Abessinienkriegs (1935–1936) oder 1937 – im Jahr des grössten Popularitätsverlusts des Regimes – eine kritische Position gegenüber dem Faschismus bezogen. Das Jahr 1943 markierte die «letzte» Möglichkeit der Abkehr vom fascismo. Anfangs Juli landeten die Alliierten auf Sizilien, kurz darauf wurde Mussolini abgesetzt und damit die faschistische Partei offiziell aufgelöst. Nachdem die neue italienische Regierung Anfang September 1943 einen Waffenstillstand mit den Alliierten unterschrieben hatte, begannen die Deutschen mit Gegenmassnahmen, die in der Besetzung Roms und der Entwaffnung der italienischen Truppen gipfelten. Die offizielle Regierung flüchtete zu den Alliierten und erklärte Deutschland den Krieg. Zwischenzeitlich hatten die Deutschen Mussolini in einem Handstreich befreit und an die Spitze einer Gegenregierung, der Republicca Sociale Italiana (Republik von Salò) gesetzt. Sie erklärten alle italienischen Soldaten, die sich weigerten, auf ihrer Seite den Krieg fortzuführen, zu Militärinternierten. Damit umgingen sie den Status des Kriegsgefangenen und konnten mehr als eine halbe Million Italiener zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportieren. Bereits im Herbst 1943 waren 21 000 von insgesamt 29 000 italienische Soldaten in die Schweiz desertiert.242 Die dortigen Behörden nahmen die Italiener als militärische Flüchtlinge auf und brachten sie in Internierungslagern unter. Auch Luigi Caccia Dominioni gehörte zu jenen Deserteuren.

3.2.2. Gesellschaft und Identität

Mit dem Ende der Republik von Salò im April 1945 standen die «traditionellen» Verbündeten der faschistischen Partei, zu denen ranghohe Armeeangehörige, die katholische Kirche und das Industriebürgertum gezählt wurden,243 seitens der neuen linken Potentaten unter öffentlichem Verdacht der Kollaboration. Die Commissione di epurazione, die den Auftrag hatte, gegen Kriegsverbrecher und wichtige faschistische Personen vorzugehen, existierte allerdings nur kurz. Bereits im Juni 1946 verhalf eine Amnestie der gesamten italienischen Bevölkerung zu einem Neubeginn.244 Wie sehr dieser Prozess mit dem Verdrängen des Ventennio einherging, verdeutlicht Benedetto Croces berühmte «Klammer»:245 Selbst der Philosoph und Historiker bagatellisierte die faschistische Phase als «Verirrung in der neueren italienischen

241 Gramigna 1993, S. 19–20. Giuliana Gramigna stammt selbst aus dem grossbürgerlichen Milieu. Den Memoiren sind zu entnehmen, dass sie in der Ca’Brütta von Giovanni Muzio (1893–1982) aufgewachsen ist. Ihr Buch bietet wertvolle Einsichten in den Alltag des Grossbürgertums zur Zeit des Faschismus in Mailand. Gramigna hat am Mailänder Polytechnikum Architektur studiert und über italienisches Design und über die Mailänder Nachkriegsarchitektur publiziert.

242 21 000 von ihnen erreichten bereits im Herbst 1943 die Schweiz. Broggini 1993, S. 625.

243 Bauerkämpfer 2006, S. 58 und 66.

244 Erlassen durch den damaligen Aussenminister Palmiro Togliatti (1863–1964). Ginsborg 1990, S. 92.

245 Bauerkämper 2006, S. 48. 56

Geschichte»,246 womit er die Resignation zahlreicher Intellektueller in eine «komfortable Amnesie»247 sicherlich begünstigte.

Das Ausbleiben einer durchgehenden nationalen und selbstkritischen Auseinandersetzung mit dem Mussolini-Regime beförderte, dass auch in der 1946 proklamierten neuen Republik Italien die Autorität von Akteuren (Intellektuelle, Künstler und Politiker) der Zwischenkriegszeit nahezu ununterbrochen weiterwirkte. Zentrale Persönlichkeiten der Nachkriegszeit hatten in den Jahren des Ventennio die Schule und Universität besucht und damit während der prägenden Phase ihres Heranwachsens und ihrer Ausbildung unter dem Einfluss faschistischer Propaganda und Ideologie gestanden.248

Der Mailänder Ingenieur und Bauunternehmer Camillo Bianchi schildert die chaotische Situation im Mailand der unmittelbaren Nachkriegszeits:

Purtroppo continuano uccisioni e vendette fra ex partigiani comunisti, exfascisti, processi fasulli etc., nel caos generale, prima che si riorganizzi un’autorità ufficialmente riconosciuta. Tutte le mattine per le strade di Milano si trovano persone uccise, non si sa da chi, nè perchè. […] Dovunque c’è distruzione, le strade sono malandate e i ponti quasi tutti demoliti. Tutto da rifare. […] Nel frattempo ho ripreso il possesso del mio studio in Via Palestro. Incredibile! I tedeschi, pur incalzati dall’arrivo degli americani, hanno ritardato la partenza per lasciare i locali accuratamente puliti e in ordine.249

Die wohlhabende Elite Mailands befand sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs in einem transitorischen Zustand: nach einer faschistischen Vergangenheit, zu der sie ein ambivalentes Verhältnis hatte, und vor einer ungewissen Zukunft. Zahlreiche Männer der Oberschicht waren, um dem Krieg nach 1943 zu entkommen, in die Schweiz desertiert, wurden dort zwei Jahre in Internierungslagern festgehalten und kehrten erst 1945 nach Mailand zurück. Der Moment der Rückkunft wurde von manchem als traumatischer Einschnitt beschrieben.250 Nicht nur war die materielle Zerstörung Mailands schockierend, auch die nach dem Krieg infragegestellte Rolle und Position jener Elite war eine schmerzhafte und einschneidende Erfahrung.

Die gesellschaftliche Elite Mailands hatte angesichts ihres teilweise unterlassenen Widerstands gegen den Faschismus ihre gesellschaftliche, kulturelle wie auch politische Vormachtstellung und Selbstsicherheit für kurze Zeit verloren und wurde von den neuen, politisch linken Machthabern von ihren Spitzenplätzen auf die hinteren Ränge verwiesen. Es begann ein Prozess der Ausgrenzung – wenngleich von nicht allzu langer Dauer –, der gängige kulturelle Sichtweisen und Wertvorstellungen unterminierte und aufbrach. Der Boden, auf dem die Identität der Mailänder Elite gründete, erlitt damit eine folgenreiche Verwerfung. Daran änderte sich auch nichts, als bereits im April 1948 eine neue Phase einsetzte, in der die gesellschaftliche Elite dank

246 Ebd.

247 Torriglia 2002, S. 149.

248 Ebd., S. 149–150.

249 Bianchi 1994, S. 59–60.

250 Barbiano di Belgiojoso 1999, S. 100–104. Auch der Sohn Caccias, Antonio Caccia Dominioni, erzählt, dass der Gemütszustand seines Vaters nach der Rückkehr nach Mailand labil und verstört gewesen sei. Gespräch mit Antonio Caccia Dominioni, 11. März 2011, Mailand. 57 der politischen Weichenstellungen der Democrazia Cristiana ihre Position öffentlich rehabilitieren konnte. Gerade dieser Bruch in der Geschichte sowie in den individuellen Biografien markiert die Entstehung einer neuen Identität, deren Selbstwahrnehmung und Selbstrepräsentation zwischen der Gegenwart und einer schwierigen Vergangenheit lag.251

3.2.3. Architektur und Wiederaufbau

Die gesellschaftliche und politische Ambivalenz zwischen Diskontinuität und Kontinuität äusserte sich auch in der Architektur der unmittelbaren Nachkriegszeit.252 In zeitlicher Verzögerung zu den politischen Prozessen, aber in Entsprechung dazu sollte sich nach einer ersten Phase zwischen 1945 und 1948, die Möglichkeiten für Veränderung verhiess, eine zweite Phase der Ernüchterung einstellen.253

3.2.3.1. Wiederaufbaupläne aus dem Schweizer Exil

Luigi Caccia Dominioni verbrachte die letzten beiden Jahre des Zweiten Weltkriegs in einem Internierungslager in Mürren.254 Er gehörte zu der grossen Gruppe der Deserteure, die das Land verliessen, als unter der Kontrolle der Deutschen die Republik von Salò gegründet und Mussolini wieder als Duce eingesetzt wurde.

Caccia war Ende September 1943 vom Landhaus seiner Familie in Morbegno vermutlich über den Murettopass in die Schweiz geflohen. Laut den Schweizer Polizeiakten wurde er am 30. September 1943 in Vicosoprano im Bergell von den Behörden gefasst und am 5. Oktober in das Flüchtlingslager in Bargen gebracht.255 Am 15. Dezember 1943 erreichte er das Internierungslager in Mürren, wo er die kommenden eineinhalb Jahre bis zum 4. Juli 1945 verbringen sollte. Die Namensliste der internierten italienischen Männer, die zwischen 1943 und 1945 in Mürren stationiert waren, liest sich wie das Who’s who der Mailänder Gesellschaft.256

Nicht zuletzt deshalb muss Caccias Aufenthalt im «Campo ufficiali italiani internati» in Mürren für seinen späteren beruflichen Werdegang eine entscheidende Rolle gespielt haben. Ungefähr 1000 Flüchtlinge aus dem Offizierskorps waren dort in Hotels und Herbergen untergebracht.257 Die meisten Internierten stammten aus Norditalien und Mailand. Caccia lernte hier wichtige Persönlichkeiten seines zukünftigen beruflichen

251 Torriglia 2002, S. XVI. Siehe auch Homi Bhabhas Identitätskonzept im Kap. 1.3.1.

252 «At the end of the war, the confrontation with the fascist past had the effect of creating a marked contrast between a political discourse that stressed rupture and an everyday culture that often prized continuity». Scrivano 2005, S. 323.

253 Gregotti 1968, S. 41–42.

254 Schweizerisches Bundesarchiv, Eidgenössiches Kommissariat für Internierung und Hospitalisierung: Zentrale Ablage (1944–1945), E5791* 1000/949, Bd. 1021, Az. 00, Namensliste der internierten Italiener, 1939–1946.

255 Schweizerisches Bundesarchiv, Eidgenössisches Kommissariat für Internierung und Hospitalisierung: E5791* 1988/6, Bd. 1, Az. 23, s.v. Caccia Dominioni Luigi.

256 Broggini 1993, S. 663–689. «Al campo ufficiali di Mürren – svriveva il sottotenente Ugo Barzini – sono largamente rappresentate tutte le armi e le specialità, tutti i corpi e i gradi del disciolto Regio Esercito Italiano». Ebd., S. 628.

257 Ebd., S. 418. 58

Netzwerks kennen: so etwa den Ingenieur Vittore Ceretti (*1920), den späteren Bauherrn Carlo Somaini (*1915), Onkel des Künstlers Francesco Somaini, und den Kunsthistoriker Lamberto Vitali (1896–1992), mit dem er 1966 die Pinacoteca Ambrosiana umbauen sollte. Weitere prominente Insasssen waren der spätere italienische Ministerpräsident Amintore Fanfani (1908–1999), die Regisseure Luigi Comencini (1916–2007), Dino Risi (1916–2008) und Giorgio Strehler (1921–1997) sowie die Verleger Giulio Einaudi (1912–1999) und Giorgio Mondadori (1917–2009).

Auch Berufskollegen Cccias gehörten zu den Internierten: Ernesto Nathan Rogers, Angelo Mangiarotti (1921–2012), Maurizio Mazzocchi (*1908), Vico Magistretti (*1920–2006), Gustavo (*1920) und Vito Latis (1912–1996) sowie Luigi Fratino (*1919).258 Mit Rogers, Magistretti und Fratino sollte Caccia ebenfalls in der Nachkriegszeit zusammenarbeiten.

1989 erzählte Luigi Caccia Dominioni in einem Interview von seinen Erfahrungen als Internierter in Mürren:

Furono requisiti per gli ufficiali degli alberghi il Palace, il Grand Hotel, il Jungfrau, l’Edelweiss, il Bernina e per ogni albergo venne formata una squadra di calcio dov‘era riunita tutta la noblesse milanese: Dubini, Radice Fossati, Verga, Ragazzi, il conte Generoni. Si giocava architetti contro ingegneri e il commissario tecnico capiva subito chi era il più intelligente: il valore di ogni individuo diventava importante per come giocava. Nel complesso, Mürren era un ambiente moralmente sano. La maggior parte degli ufficiali viveva comi i clienti di un albergo e la sola paura era il possibile ricatto verso i familiari in Italia.259

Caccia verbrachte seine Zeit im Lager mit sportlichen Betätigungen und mit dem Malen von Filmplakaten für den von den Internierten gegründeten cinéclub.260

Die Abgeschiedenheit der Bergwelt fern von Familie und Heimat führte bei vielen Internierten zum «sindrome di Mürren»,261 einer durch Langeweile, Tatenlosigkeit und Heimweh verursachten Depression. Die Schweizer Behörden gestatteten auf Drängen der Italiener seit 1944, universitäre Kurse zu organisieren und erlaubten sogar einem Teil der Internierten, an Wiederaufbauprogrammen für Italien in dem dafür eigens eingerichteten «Camp universitaire italien de Lausanne» teilzunehmen.262 Im Juni 1944 wurde in Mürren die «Facoltà di Mürren» gegründet.263 Gleichzeitig rief Gustavo Connoletti (1886–1968) an der Universität Lausanne das «Centro studi per la ricostruzione italiana» ins Leben, dessen erklärtes Ziel es war, in Zusammenarbeit mit Schweizer Behörden und Firmen sich auf den Wiederaufbau vorzubereiten.264 Seinem Beispiel folgten kurz darauf Ernesto Nathan Rogers, Luigi Fratino und Maurizio Mazzocchi mit dem

258 Laut den Memoiren von Mazzocchi war auch Giulio Minoletti (1910–1981) Insasse des Lagers. Mazzocchi 2003, S. 147.

259 Broggini 1993, S. 419. Das Gespräch wurde im August 1989 in Celerina aufgezeichnet.

260 Ebd., S. 421. Brigi 1987/88, S. 26.

261 Broggini 1993, S. 421.

262 Ebd., S. 558–559.

263 Ebd., S. 421.

264 Ebd., S. 560. 59

«Centro studi per l’edilizia».265 Ihre Untersuchungen publizierten sie in der gleichnamigen Zeitschrift Bulletin du Centre d’étude pour le bâtiment.266 Sie hatten nichts weniger vor Augen als die Erneuerung der Architektur und des Städtebaus in Italien angesichts der bevorstehenden Aufgaben des Wiederaufbaus. Gemäss Mazzocchi hätte sich auch dieses Wiederaufbauprogramm in Zusammenarbeit mit Schweizer Firmen entwickeln sollen.267 Dank dem Architekten Alfred Roth (1903–1998) und Bruno Giacometti (1907– 2012) wurde das Centro im Februar 1945 nach Winterthur verlegt, wo es von der Nähe zur ETH Zürich profitieren konnte.268 Zu den Architekten, die nach Winterthur umziehen durften, gehörten unter anderem Rogers, Magistretti, Mazzocchi sowie die Brüder Latis.269

Caccia hat weder an den universitären Kursen in Mürren noch an den Wiederaufbauprogrammen in Lausanne teilgenommen.270 Über die Gründe seines Fernbleibens kann nur spekuliert werden. Als dreissigjähriger ausgebildeter Architekt hätte er wahrscheinlich nur die Rolle eines Dozenten im «Centro studi per l’edilizia» übernehmen können. Laut den Memoiren Mazzocchis kamen aber für die Schweizer Behörden nur diejenigen dafür in Frage, die – wie Mazzocchi selbst – bereits als wissenschaftliche Mitarbeiter unterrichtet hatten oder noch studierten.271 Caccia fiel vermutlich deswegen durchs Raster.

Trotzdem ist die Bedeutung seines Aufenthalts in Mürren für Caccias weiteren Lebensweg nicht zu unterschätzen. Nach Jahren der politischen Indoktrination müssen die Begegnungen mit Persönlichkeiten, die unterschiedlichste politische und künstlerische Ansichten vertraten, befreiend und gleichermassen anregend gewirkt haben. Im politischen Exil in einem Schweizer Bergdorf überwogen wohl die Gemeinsamkeiten zwischen den Internierten, als dass die politischen Überzeugungen dominierten. Die Vermutung liegt nahe, dass im stimulierenden Austausch der verschiedenen Meinungen die Rekonstruktion der Gesellschaft ihren Lauf nehmen konnte.

3.2.3.2. Wiederaufbau durch Private

Mailand wurde von Oktober 1942 bis August 1943 durch sieben Luftangriffe massiv beschädigt.272 Am härtesten war der mittelalterliche Stadtkern innerhalb der Cerchia dei Navigli getroffen: Von 78 000 Wohnungen waren 58 000 zerstört. Auch der Familiensitz der Caccia Dominioni war von den

265 Ebd., S. 561.

266 Bolletino del Centro studi per l’edilizia / Bulletin du Centre d’étude pour le bâtiment / Mitteilung der Zentrale für Bauforschung, 1944–1945. Insgesamt erschienen acht Nummern.

267 Mazzocchi 2003, S. 148–149.

268 Broggini 1993, S. 562–563. In Zürich wurde das Unternehmen «Bureau technique pour la reconstruction» getauft und von Roth wie auch Giacometti unterstützt. Mazzocchi, S. 149.

269 Broggini 1993, S. 563.

270 Laut den Polizeiakten unternahm Caccia am 2. Februar 1944 bis zum 30. März 1944 eine Reise nach Genf. Ob diese Reise in Zusammenhang mit dem für die italienischen Internierten eingerichteten Camp universitaire Genève stand, ist ungeklärt. Schweizerisches Bundesarchiv, Eidgenössisches Kommissariat für Internierung und Hospitalisierung: E5791#1000/949#1772*. Genève, Camp Universitaire.

271 Mazzocchi 2003, S. 147.

272 Donati 1995, S. 151. 60

Bombardierungen im August 1943 betroffen. Eine Kartierung aller zerstörten und beschädigten Häuser im Stadtzentrum Mailands ist Giuseppe De Finetti (1892–1952) zu verdanken (Abb. 40).273

Angesichts des hohen Bedarfs an Wohnungen in sämtlichen sozialen Schichten kreisten die Debatten in der unmittelbaren Nachkriegszeit darum, wie möglichst schnell Wohnraum geschaffen werden kann. Angespornt von den Herausforderungen entwickelten sich umfassende Diskussionen im ganzen Land. Gemäss dem Ökonomen und Politiker Piero Barucci (*1933) diskutierte man in dieser Zeit über alles, auch aus Mangel und Ausgleich zur fehlenden Übersicht zu den Problemen.274 Ein wichtiges Thema lautete Vorfabrikation und Industrialisierung des Baugewerbes. Man erhoffte sich dadurch, den fehlenden Wohnraum schneller und professioneller zur Verfügung stellen zu können. Die Industrialisierung des Baugewerbes hatte auch zu den inhaltlichen Schwerpunkten des Centro in Lausanne und Winterthur gehört.275

Auf die anfängliche Euphorie über die Möglichkeit der Professionalisierung des italienischen Bauwesens folgte bald die Ernüchterung.276 Staatliche Wiederaufbauprogramme, die rasche, koordinierte und technisch reife Lösungen hätten hervorbringen können, litten unter der grassierenden Korruption.277 Die Politik der Democrazia Cristiana sollte dafür sorgen, dass der wesentliche Teil des Wiederaufbaus von Privaten geleistet wurde: Der Anteil der öffentlichen Hand hingegen, der hauptsächlich durch das INA-Casa Programm (Istituto Nazionale Abitazioni) erbracht wurde, betrug in ganz Italien von 1948 bis 1963 nicht mehr als 16 Prozent.278 Privater Wiederaufbau und privater Wohnungsbau konnte sich zum grossen Protagonisten der Bautätigkeit der Nachkriegszeit entwickeln.

Der Architekt Maurizio Mazzocchi erinnert sich in seinen Memoiren an die Abkühlung seines anfänglichen Optimismus:

Da noi invece tutto nasceva all’insegna dell’improvvisazione e il poco che cominciava a concretarsi era in mano all‘incontrollato e disordinato fervore dei privati.[…] Il bla bla bla di convegni e dibattiti inconcludenti cominciavano a raffreddare il mio ottimismo. Nella mia testa c’era sopratutto la priorità casa, una necessità per milioni di senza tetto, priorità che si scontrava con altri interessi.279

In Mailand hatte der Wiederaufbau ohne staatliche finanzielle Hilfe durch die wohlhabende Elite unmittelbar nach Kriegsende begonnen. Architekten und Ingenieure wie Franco Albini (1905–1977), Gio Ponti, Ignazio Gardella (1905-1999), Piero Portaluppi (1888–1967), Camillo Bianchi, Arturo Danusso und nicht zuletzt Caccia, die bereits vor dem Krieg tätig gewesen waren, nahmen ihre Arbeit nach 1945 rasch wieder auf.

Der Tatendrang des Mailänder Unternehmer- und Bürgertums hatte schon in den Jahrzehnten zuvor die

273 De Finetti 1969. Ebenfalls publiziert in Donati 1995, S. 155.

274 Brunetti 1998, S. 36.

275 In Mailand fand am 4. September 1945 eine Tagung organisiert von der Assoziazione per la Casa zum Problem des Wiederaufbaus statt. Die Beiträge der Redner sind publiziert in ebd., S. 194–244.

276 Ebd., S. 90–93.

277 Ginsborg 1990, S. 246–247. Gregotti 1968, S. 44.

278 Ginsborg 1990, S. 247.

279 Mazzocchi 2003, S. 165. 61

Entwicklung der Stadt massgeblich geprägt. Dieser Eifer wurde durch Spekulation begünstigt.280 Dank des konstanten Anstiegs der Bodenpreise verhalf er den Bauherren zu finanziellen Gewinnen ohne Eigeninvestition. Angesichts des grossen Mangels an Wohnraum wurde die Spekulation für die Stadtbehörden zu einem willkommenen Motor des Wiederaufbaus.281

Vittorio Gregotti fasste die Situation so zusammen:

The lack of a sense of responsibility toward the state and the carelessness of local organizations made private enterprise the only organized body to take command. The result was the disorderly development of the underprivileged areas, the expedient rush to combine formally unassimilated themes and to pile them on inadequates sites, lacking public services and infrastructures. […] The bourgeoisie created the condominium and the «palazzina» (a building in which each owner has more than one floor, giving the effect of superimposed villa […].282

Letztendlich führte der Wiederaufbau nicht zu der erhofften Erneuerung des Baugewerbes. Die Probleme, unter denen das Bauwesen schon während der Zwischenkriegszeit gelitten hatte, bestanden weiter. Günstiges Handwerk und billiges Material taten ihr Übriges.283 Darüber hinaus zeichnete sich die Organisation des Baugewerbes durch eine überaus hohe Zahl kleinster Betriebe aus, die aus steuerlichen Gründen nicht expandieren wollten.284 Bauen blieb nicht zuletzt wegen der hohen Grundstückspreise teuer, und Architektur erhielt in dieser Struktur den Stellenwert eines «luxuriösen Gutes»285, das fast nur für die wohlhabende Elite verfügbar war.

3.3. Rekonstruktionen

Caccias Dominionis Arbeiten in der unmittelbaren Nachkriegszeit zeugen geradezu exemplarisch von der Auseinandersetzung mit der Problematik des Wohnens, des Wiederaufbaus und der Frage nach der richtigen «Rekonstruktion». Anhand von vier Fallstudien lassen sich «rekonstruktive Strategien» Caccias verifizieren, darstellen und diskutieren. Bei der Auswahl der Projekte wurde auf ein möglichst breites Spektrum an Aufgaben geachtet, um die These der Rekonstruktion als gestaltete Kontinuität der Geschichte differenziert zu veranschaulichen und um diese Praxis in ihren verschiedenen Dimensionen zu erfassen. Erwartungsgemäss fallen drei der Projekte in die Jahre kurz nach Kriegsende, in die Zeit des Wiederaufbaus, als der Blick auf die schwierige Vergangenheit angesichts der sichtbaren Zerstörungen und der politischen Veränderungen von grosser Brisanz war. Das vierte Beispiel bildet dahingehend eine Ausnahme. Der Umbau des Stadthauses der Familie Zucchi zeigt, dass die Strategie der Rekonstruktion nicht auf die Phase des Wiederaufbaus beschränkt war.

280 Rochat/Sateriale/Spano 1980, S. 10. Ginsborg 1990, S. 246.

281 Rochat/Sateriale/Spano 1980, S. 16–17.

282 Gregotti 1968, S. 64.

283 Rochat/Sateriale/Spano 1980, S. 8–10.

284 Ebd., S. 9.

285 Gregotti 1968, S. 64. 62

3.3.1. Die Ausstellung Oggetti per la casa, VII. Triennale, 1947

Konzeption Die Konzeption und Organisation der Ausstellung Oggetti per la casa anlässlich der VIII. Triennale di Milano im Frühling und Sommer 1947 gehörte zu den ersten Aufgaben, die Luigi Caccia Dominioni nach seiner Rückkehr aus dem Internierungslager in Mürren am 4. Juli 1945 übernahm.

Die erste Triennale nach dem Krieg widmete sich einem allumfassende Thema, das sich angesichts der durch die Kriegszerstörungen verursachten immensen Wohnungsnot geradezu aufdrängte: das Wohnen und die Wohnung. Zentrales Anliegen der Kuratoren war der soziale Wohnungsbau. Die Leitung der Triennale hatte der Rationalist Piero Bottoni (1903–1973) inne, ein politisch linker Architekt und ehemaliger Partisan. Im manifestartigen Programm war zu lesen:

Tema unico sarà la casa, il tema più reale, più sentito, più drammatico che è oggetto di angoscia, di desiderio, di speranza di milioni di europei. La Triennale rinunzierà, per questa volta, ad occuparsi di problemi retrospettivi o di scenografie, o di arredamenti di uffici, di negozi, di piscine, di ristoranti, ecc. o a fare la mostra dei fiori esotico o della grafica. La Triennale polarizzerà tutto il suo sforzo nell’unico tema della casa, della casa per tutti nelle sue varie accezioni o varianti.286

Die Vorbereitungen zur Triennale waren bereits im Sommer 1945, unmittelbar nach Kriegsende, angelaufen.287 Im Zentrum der Schau stand das Projekt für ein neues experimentelles und beispielhaftes Stadtquartier in Mailand, mit dessen Bau bereits im Herbst 1946 hatte begonnen werden können.288 Für das Quartiere Triennale 8, kurz QT8 genannt, wurden Systeme der Vorfabrikation entwickelt. Die architektonische Manifestation des sozialen Wohnungsbaus umfasste ein Areal von insgesamt 67 Hektaren westlich der Innenstadt. Ein Teil des Quartiers konnte bis zur Eröffnung der Triennale fertiggestellt werden, das gesamte Bauvorhaben sollte innerhalb eines Jahrzehnts verwirklicht werden. Mit der etappenweisen Realisierung des QT8 beabsichtigten die Verantwortlichen, die Öffentlichkeit über die neuesten Veränderungen im Wohnungsbau auf dem Laufenden zu halten. Das Projekt wurde nur in Teilen umgesetzt. Auch Caccia war an der Entwicklung der vorfabrizierten Modellhäuser beteiligt.289

Das QT8–Projekt wurde von begleitenden Ausstellungen zum Kernthema Wohnen ergänzt. Im Triennale- Gebäude am Parco Sempione vervollständigten Präsentationen zur Urbanistik, zur Theorie des Wohnens, zur Sonneneinstrahlung, zum Aussenraum, zur Vereinheitlichung und Industrialisierung des Bauwesens, zur

286 Zit. n. Pansera 1978, S. 340.

287 Ebd., S. 356, Anm. 6.

288 Ebd., S. 357–358. Die Idee eines modellhaften Quartiers, wo die neuesten städtebaulichen und architektonischen Errungenschaften demonstriert werden konnten, hatten Pietro Bottoni, Giuseppe Pagano und Mario Pucci bereits bei den Triennalen der Zwischenkriegstzeit geäussert. Ebd., S. 342.

289 In welcher Form Caccia beteiligt war, konnte nicht abschliessend ermittelt werden. Im Archiv des Architekten Luigi Caccia Dominioni konnten keine Unterlagen zur QT8 gefunden werden. Laut Pansera war er an der Entwicklung des Systems der Vorfabrikation beteiligt. Ebd., S. 337. In Iraces Werkverzeichnis ist sogar ein Wohnhaus für das QT8 aufgeführt. Irace/Marini2002. In der Publikation von Ciagà und Tonon über die Häuser des QT8 fehlt jeglicher Hinweis auf Beitrag Caccias. Ciagà/Tonon 2005. 63

Einrichtung und zu den «oggetti per la casa», den Gegenständen für das Haus, das Panoptikum zum Wohnungsbau.290

Für die Konzeption und Realisation der kleinen Ausstellung Oggetti per la casa waren fünf Personen verantwortlich. Intellektueller Leiter und auch Wortführer der Sektion war Ernesto Nathan Rogers. Ihm zur Seite standen Caccia, Luigi Fratino, Ettore Sottsass (1917–2007) und Lida Levi291 (*1922). Lida Levi führte an den vorbereitenden Sitzungen das Protokoll, war zusammen mit Fratino und Sottsass für die Umsetzung und bauliche Realisierung verantwortlich und koordinierte die Handwerker.292 In den Akten ist zudem noch der Architekt Franco Buzzi293 als Mitarbeiter aufgeführt.

Das früheste dokumentierte Treffen fand am 15. April 1946 statt.294 Piero Bottoni kam mit Rogers, Caccia und Fratino zusammen. Auf der Suche nach Kriterien für die Ausstellungsobjekte wurden zwei Kategorien festgelegt: für in Serie produzierte und für kunsthandwerklich hergestellte Objekte. Dass eine solche Kategorisierung nicht ganz den reallen Produktionsbedingungen entsprach, geht aus einer in Klammern hinzugefügten Bemerkung im Protokoll hervor: Auch handwerklich gefertigte Gegenstände gehörten zur ersten Kategorie, wenn sie sich prinzipiell zur industriellen Produktion in Serie eigneten.295 Die Kategorisierung wurde gemäss den Protokollen im Laufe des Juni und Juli 1946 verfeinert: Neben den Produktionsbedingungen sollte auch die Qualität der Objekte bewertet werden, hinzu kamen die Prädikate «dekorativ» und «praktisch».296

Gemäss Levis Protokollen wurde Caccia am 1. Juli 1946 und erneut am 7. Januar 1947 beauftragt, ein Verzeichnis der «oggetti per la casa» anzufertigen, auf dessen Basis die Kommission die Ausstellung aufbauen wollte (Abb. 34–36). In der Folge wurde ihm auch die Überwachung der Einrichtungsarbeiten übertragen:

Viene incaricato l’arch. Buzzi per la stesura del programma della sezione e l’arch. Caccia della compilazione dell’elenco del materiale che costituirà la mostra che servirà di base all’ulteriore sviluppo dei lavori della Commissione […]. 297 L'architetto Rogers insiste perchè venga mantenuta quest'ultima soluzione che permette ugualmente di mettere in rilevo le qualità e possibilità dell'artigianato italiano mediante la creazione di una prima parte dell’Esposizione riservata ad una

290 Pansera 1978, S. 336–337.

291 Lida oder Lyda Levi war laut Renata Broggini ebenfalls in der Schweiz interniert. «Imprenditrice e progettista. Nel ’47 partecipa all’organizzazione della Triennale di Milano, collabora delle edizioni Poligono sino al ’57, fonda nel ’63 un'azienda di produzioni per l’arredamento. Fa parte di numerose associazioni internazionali, tra cui l’UNESCO». Broggini 1993, S. 678.

292 Ottava Triennale 1947. S 171.

293 Buzzis Lebensdaten konnten nicht ermittelt werden.

294 Resconto sulla seduta della Commisione T8 «Ogetti per la casa». TRN: Triennale VIII, Oggetti per la casa, 15. April 1946.

295 «Gli oggetti di produzione industriale o di produzione artigianale ma adatti alla produzione di serie», ebd.

296 Scopi della Sezione T8 «Ogetti per la casa». TRN: Triennale VIII, Oggetti per la casa, 10. Juli 1946.

297 Breve Resconto sulla seduta della Commisione T8 «Ogetto per la casa», presenti: Arch. Rogers, Buzzi, Caccia, Frattini, Tevarotto. TRN: Triennale VIII, Oggetti per la casa, 1. Juli 1946. 64

specie di indice di oggetti tipo contrassegnati con il marchio T8, indice che presenterà tutti gli oggetti indispensabili nella casa dell’uomo moderno (Rogers).298 L’arch. Caccia viene incaricato di compilare la lista degli oggetti per la zona indice e di sovraintendere ai lavori di allestimento di questa stessa zona […].299

Caccias Verzeichnis der «oggetti della casa» ist lang und umfassend. Es ist nach den Nutzungen einer Wohnung geordnet. Es enthält die Gegenstände für Küche, Garderobe, Bad, Speisezimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Vorzimmer, Studio und Terrasse. Es folgt ein Anhang mit verschiedenen Lampen, Textilien, Blumen- und Pflanzenbehältern, und zuletzt sind die «oggetti di valore artistico» aufgezählt, zu denen Blumenvasen, religiöse Gegenstände, Gemälde, Plastiken und Rosenkränze gehören. In Klammern sind zudem elektronische Apparate wie Telefone, Radiogeräte und eine Sprechanlage aufgeführt. Die längste Liste betrifft den Essbereich. Sie demonstriert den hohen Detaillierungsgrad:300

Posate, piatti, bicchieri (in materiali varii) e stoviglie per servizio colazione del mattino, pranzo, the, liquori, frappè, coktail, gelati, punch (astucci, cassetti, carrelli) – bicchiere per acqua o vino – secchielli per ghiaccio – candelabri – oliere – saliere – insalatiere – salsiere – recipienti cibi caldi – cestini pane – allacciatovaglioli – centro da tavola girevole per il servizio dei commensali – centri da tavola varii – riscaldamento piatti in tavola – preparazione piatti in tavola –.301

Caccias Verzeichnis entsprach der luxuriösen Ausstattung einer grossbürgerlichen Wohnung. Er hatte die materielle Kultur und damit auch die Lebensweise der wohlhabenden Elite für eine Ausstellung rekonstruiert, die den sozialen Wohnungsbau für Bedürftige im Fokus hatte. Ausserdem ignorierte er die zuvor festgelegte Kategorisierung in «seriell» oder «handwerklich» sowie «praktisch» oder «schön».

Bewertung In einer so umfassend angelegten Schau zum Wohnungsbau auch die «Gegenstände für das Haus» auszustellen, ist naheliegend (Abb. 37–39). Schliesslich entsprach der grosse Bogen der VIII. Triennale dem weiten Betätigungsfeld der Architekten dieser Zeit. Dafür steht nicht zuletzt Rogers’ berühmter Slogan «dal cucchiaio alla città».302 Verwunderlich ist vielleicht der Titel der von Rogers, Caccia, Fratino, Sottsass und Levi verantworteten Ausstellung: Oggetti per la casa. Mit «oggetti» wurde ein Überbegriff gefunden, der mehr als die alltäglichen Einrichtungsgegenstände umfasst.

Die Ausstellungsideee steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Rogers’ zeitgleich in Domus publiziertem Aufsatz «La casa dell’uomo».303 Die Verknüpfung wird durch Lida Levis Protokoll vom 20. November 1946 bestätigt:

298 TRN: Triennale VIII, Oggetti per la casa, 7. Januar 1947.

299 Ebd.

300 In den Archivakten der Triennale zu dieser Ausstellung befindet sich eine handschriftlich verfasste Liste der möglichen Exponate, die von Caccia selbst stammen muss. TRN: Triennale VIII, Oggetti per la casa, 7. Januar 1947.

301 Elenco degli oggetti che interessano la T8 per le Sezione italiane. TRN: Triennale VIII, Oggetti per la casa, o. D.

302 Ernesto Nathan Rogers: «Qui, in questo settore delle arti applicate, dal cucchiaio alla città, secondo uno slogan che mi sono permesso spesso di ripetere, si realizzano tutti quei fenomeni dove continuamente agiscono in dialettica le componenti dell’utilità e della bellezza». Zit. n. La memoria e il futuro 1954, S. 31.

303 Rogers war nur kurz, von Januar 1946 bis 1948, Chefredaktor von Domus. Während dieser Zeit trug die Zeitschrift den programmatischen Untertitel: «La casa dell’uomo». 65

L’arch. Rogers propone invece di eiservare [riservare] una parete ad una specie di tabella degli oggetti indispensabili nella casa dell’uomo.304

Rogers publizierte den Text als Editorial anlässlich der Wiederauflage der Zeitschrift Domus im Januar 1946 nach einem Unterbruch von zwei Jahren.305 Das darin beschriebene Bild des beschädigten «Hauses des Menschen»306 dient ihm als Metapher für die Situation Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn es gilt nicht nur, das Land materiell instand zu setzen, seine moralische Genesung ist von gleicher Bedeutung. Für Rogers muss das «Haus des Menschen» nicht nur wieder aufgebaut werden, ebenso soll es mit den «unentbehrlichen Gegenständen» wieder eingerichtet werden.

Nessun problema è risolto se non risponde all’utilità, alla morale e all’estetica nello stesso tempo.307

Zu den «unentbehrlichen Gegenständen» gehört seiner Ansicht nach Praktisches und Nützliches wie Schönes und Überflüssiges gleichermassen. Die im Katalog der VIII. Triennale verfasste Stellungnahme Rogers’ spiegelt diese Argumentation wider:

Si è voluto esporre una serie di oggetti rappresentativi del gusto e delle pratiche esigenze attuali, tali che risolvessero in una sintesi l’utilità e la bellezza.308

Eine solche Klassifizierung stand im offensichtlichen Widerspruch zur Rhetorik der Moderne. Dieser Offenheit gegenüber funktionsloser Schönheit lag eine neue Haltung zugrunde, die in den «oggetti per la casa» einen «moralisch-sozialen» Wert ortete. Die Verantwortlichen der Ausstellung formulierten ihre Absicht im Protokoll ihrer Sitzung am 21. Juni 1946:

Perciò questo modo di valutazione, indifferentemente applicato a tutti gli oggetti considerati, non potrà naturalmente avere come base comune che un giudizio morale-sociale dall’oggetto stesso. La sezione propone quindi, inoltre, di usare varie forme di propaganda per chiarificare questa posizione morale-sociale dell’oggetto per la casa, posizione che dipende dalla situazione economica attuale e dalle possibili realizzazioni tecniche di notevole importanza sociale, in parte già attuate in altri paesi.309

Für Rogers war mit der Ausstellung Oggetti per la casa auch ein sozialer Aspekt verbunden , dies bringt er wenige Monate später in seinem Editorial für das November-Heft von Domus nochmals zum Ausdruck: Der Titel lautet programmatisch «Ricostruzione: dall’oggetto d’uso alla città»310:

304 Resconto sulla seduta della Commisione «Ogetti per la casa» tenutasi presso lo studio dell’arch. Rogers il 20 novembre 1946. TRN: Triennale VIII, Oggetti per la casa, 20. November 1946.

305 Rogers 1946.

306 «Da ogni parte la casa dell’uomo è incrinata», ebd., S. 2.

307 Ebd., S. 3.

308 [Rogers] 1947, S. 171.

309 Sezione T8 Oggetti per la casa. TRN: Triennale VIII, Oggetti per la casa, 21. Juni 1946.

310 Rogers, «Ricostruzione» 1946. Den Text des Editorials hatte Rogers am 3. November 1946 an der Konferenz des Schweizerischen Werkbunds vorgetragen. 66

Eine Kultur, eine menschliche Gesellschaft gibt sich auch durch das zu erkennen, was sie als erstes zum Wiederaufbau auswählt: Womit fängt man an? [...] was ist überflüssig? Und was ist notwendig?311

Mit dieser rhetorischen Frage demonstriert Rogers die Relativität der menschlichen Bedürfnisse in Abhängigkeit von sozialem Stand und Vermögen. Was für den einen überflüssig ist, ist für den anderen notwendig.

Bei uns hat ein Teil der Bürger einen höchst verfeinerten Grad von Zivilisation erreicht und hat daher ein Bedürfnis nach Dingen, die nicht mit den wirtschaftlichen Bedingungen der Massen in Einklang zu bringen sind; daher kommt es, dass diese privilegierte Minderheit es für gegeben betrachtet, Werke für den Wiederaufbau zu wählen, die zwar geeignet sind, einen exclusiven Lebensstandard auf einen Gipfelpunkt zu führen, aber im weiten Sinne des Wortes nicht von allgemeinem Nutzen sind.

Ebenso wie Rogers in sein Projekt «dekorative» und «praktische» Gegenstände einschliesst, richtet sich auch sein soziales Programm an den Mittellosen wie den Wohlhabenden gleichermassen. Rogers ist bestrebt, alle Italiener anzusprechen:

Von einem konkreten Gesichtspunkt aus betrachtet, muss der ganze Wiederaufbau, vom kleinsten Gebrauchsgegenstand bis zum grossen Problem des Städtebaus, in einer Weise reguliert werden, die der individuellen Freiheit Raum lässt und gleichzeitig der sozialen Gerechtigkeit Rechnung trägt.312

Für Rogers bietet die Massenproduktion zwar die Möglichkeit, die fehlenden Güter rasch herzustellen, sie birgt aber auch die Gefahr, die individuellen Bedürfnisse zu übergehen. Neben den notwendigen Gegenständen, die schnell und deswegen industriell fabriziert werden müssen, soll auch Raum bleiben für dekorative Produkte, die handwerklich gefertigt werden. Rogers beschreibt eine Skala mit zwei «entgegengesetzten Polen», auf der die Gegenstände des Hauses verortet seien: «[…] auf der einen Seite stehen die Maschinen[,]auf der anderen Seite die Kunst als freier Ausdruck der unbegrenzten Bedürfnisse des Geistes».313

Rezeption Angesichts der grossen finanziellen und materiellen Probleme in der Zeit des Wiederaufbaus provozierte die Ausstellung der «oggetti per la casa», eine Versammlung teurer, zu meist handwerklich produzierter Einzelstücke, in besonderem Mass und stiess in der Fachpresse auf Unverständnis.314 Auch zu Pietro Bottonis ambitioniertem sozialem Triennale-Programm, ein Haus für alle zu bauen, stand die Präsentation der luxuriösen Objekte im offensichtlichen Widerspruch und löste heftige Kritik aus. Man versuche, «dem Bourgeois zu imponieren».315 Rogers’ sozial-integrative Absichten fanden keinen Zuspruch. In Domus bemerkt er dazu in resigniertem Tonfall:

311 Ebd. Die deutsche Übersetzung des Editorials ist zusammen mit der englischen und französischen auf der Beilage zwischen den Seiten 2 und 3 auf grünem Papier, ohne Seitenangaben zu finden.

312 Ebd.

313 Ebd.

314 Pansera 1978, S. 341.

315 Ebd. 67

Of the «Section of Objects» – for personal reasons – I write with more difficulty. To repeat what has been said in the catalogue may become sickening, but it is perhaps not useless if I think of the strange comments, the misunderstandings, or even misleading opinions which the material collected has given occasion to.316

Fazit Mit seinem Verzeichnis der «oggetti per la casa» reflektierte Luigi Caccia Dominioni das Leben der wohlhabenden Elite Mailands, deshalb reicherte er die Liste der notwendigen Exponate um dekorative, für viele aber gleichsam überflüssige Objekte an. Der Grund, weswegen Rogers Caccias Liste befürwortete, ist seinem «versöhnlichen» politischem Programm geschuldet. Der Faschismus und der Zweite Weltkrieg hatten einen gesellschaftlichen Riss hinterlassen, der zwischen einer politisch linken und rechten, mittellosen und wohlhabenden und schliesslich auch gebildeten und ungebildeten Bevölkerungsschicht klaffte. So gesehen war die erste Triennale nach dem Krieg auch eine vermittelnde Unternehmung, welche die Differenzen aufzuheben und Solidarität herzustellen versuchte. Programmatisch stand dazu in Rogers’ Editorial «Domus, la casa dell’uomo»: «Si tratta di costruire una società».317

Die Ausstellung der unentbehrlichen Gegenstände für das Haus an der Triennale verkörpert den Versuch, durch die Rekonstruktion einer gesamten Kultur, die Elitäres und Grundlegendes verbindet, die Vergangenheit und Gegenwart der zweigeteilten Mailänder Gesellschaft in eine geeinte, versöhnte Bevölkerung zu verwandeln. Sie unterstreicht auch die enorme Bedeutung, die Rogers und Caccia den «Dingen für das Wohnen» beimassen. Diese Gegenstände als Ausdruck einer materiellen Kultur beschreiben im häuslichen Raum alltägliche Handlungen, Lebensweisen und Erfahrungen. Transferiert in den Ausstellungsraum an der Triennale erhalten sie Symbolcharakter und werden zu Erinnerungsstücken. Gemäss der Intention von Rogers und Caccia sollten sie eine historische Kontinuität zwischen Gegenwart und Vergangenheit schaffen und zugleich die gesellschaftliche Kontinuität sichern, indem über das Objekt und die Ausstellung Beziehungen zwischen unterschiedlichen sozialen Schichten hergestellt werden.

Die Arbeit Caccias in der Kommission ist ein wichtiger Beleg für den intellektuellen Austausch mit Ernesto Nathan Rogers. Nach der Ausstellung sorgte Rogers immer wieder dafür, dass Caccias Projekte in den von ihm herausgegebenen Zeitschriften Domus (1946–1948) und Casabella-Continuità (1953–1964) publiziert wurden. In der ersten Nachkriegsausgabe von Domus im Januar 1946 gehörte Caccia ausserdem zu den Autoren.318 Auch die Zusammenarbeit mit anderen Architekten, wie etwa Ettore Sottsass und Luigi Fratino im Rahmen der Ausstellung Oggetti per la casa, zeigt auf, dass Caccia in der Mailänder Architekturszene integriert war und die ihm später zugewiesene Aussenseiterrolle Ende der vierziger Jahren nicht den Tatsachen entspricht.319

316 Rogers, «Experience 1947. Zit. n. der auf grünen Blättern gedruckten englischen Übersetzung, eingefügt zwischen Seite 38 und 39, ohne Seitenangaben.

317 Rogers, «Domus, la casa dell’uomo 1946, S. 3.

318 Der Artikel über die Kälte in Europa ist eine von zwei Publikationen, die eindeutig Caccia zugeschrieben werden können. [Caccia Dominioni] 1946.

319 Staufer 1996, S. 26. 68

3.3.2. Wohnung der Familie Caccia Dominioni im Dachgeschoss der Via De Amicis 47, 1947

Aus Angst vor Zerstörungen hatten die wohlhabenden Bevölkerungsschichten Mailands 1943, als auch Italien Kriegsgebiet wurde, ihre Stadtwohnungen evakuiert und ihre Wohnsitze in die ländlichen Gebiete nördlich der Stadt verlegt. Den wertvollsten Teil ihres Mobiliars – Kunst, Gemälde, Plastiken, aber auch das nicht weniger wichtige Vermächtnis familiärer Alltagsgegenstände – nahmen sie mit. Den Rest verstauten sie in den Kellern ihrer Stadthäuser. Der Ingenieur und Bauunternehmer Camillo Bianchi berichtet in seinen Memoiren:

Trovo poi una casa per sfollare a Comerio, in provincia di Varese, dove ci sistemiamo, noi al primo piano, e la famiglia di Toti, sorella di Lelia, al piano terreno; c’è anche l’orto – grande risorsa durante la guerra – e Lelia si appassiona alla coltivazione. lo dormo a Milano il meno possibile e vado avanti e indietro con la Nord. 320

Nach dem Krieg wurde das Zurückgelassene geborgen und fand erneut Eingang in das private Interieur. Bevor die Wohnhäuser wieder bezogen werden konnten, waren allerdings häufig umfangreiche Renovationen nötig. Der Prozess des Ausräumens, Restaurierens und Neueinrichtens ging nicht ohne wesentliche Veränderung einher: Das Verhältnis von Raum und Interieur und die Beziehung zwischen alt (historischer Bausubstanz oder antikem Mobiliar) und neu (aktuellen baulichen Eingriffen oder modernem Mobiliar) wurde dabei eingemessen.

Diese Erfahrung teilte auch der Architekt Luigi Caccia Dominioni. Als er 1945 nach Mailand zurückkehrte, war der Familienpalast an der Piazza Sant’Ambrogio zusammen mit einem Grossteil der Innenausstattung stark beschädigt. Caccia musste für sich und seine Ehefrau Natalia Tosi bis zum Einzug in den wiederaufgebauten Palast 1951 nach einer Zwischenlösung suchen. Diese fand er ganz in der Nähe im Dachgeschoss der Via De Amicis 47.321 Ernesto Nathan Rogers publizierte im September 1947 in Domus unter dem Titel «Moderno e antico in un sottotetto» Fotografien und Pläne der von Caccia frisch ausgebauten und eingerichteten Dachwohnung (Abb. 28–33).322

Auffallend ist die Kargheit der Einrichtung. Teppiche am Boden und Gemälde an den Wänden fehlen, abgesehen von drei barocken Portraits von Familienmitgliedern. Moderne und antike Möbel als singuläre Objekte sind die eigentlichen Protagonisten der Einrichtung: Eine Stehlampe, Caccias Tisch T2 sowie Beistelltische und Sessel, die bereits in Publikationen vor dem Krieg zu sehen waren, sind kombiniert mit Sesseln, Stühlen, Kommoden und einem Sekretär aus dem 18. Jahrhundert. Die repräsentativeren Räume wie Wohnzimmer und Herrenschlafzimmer sind zudem von einer doppelt gewölbten Decke aus weissem Gips gefasst. Die untere Lage der Dachkonstruktion ist nicht verkleidet: Massive, unbehandelte Holzbalken durchstossen die vergipste Deckenwölbung.

Das Einräumen und Einrichten ging einher mit einem Prozess der Auswahl und resultierte in einer Ausdünnung der gesamten Ausstattung – ein Vorgang, der nicht nur bei zahlreichen privaten Wohnhäusern

320 Bianchi 1994, S. 54.

321 Auskunft von Antonio Caccia Dominioni.

322 [Rogers], «Moderno e antico 1947. 69 der gesellschaftlichen Elite zu beobachten war, sondern auch in den öffentlichen Ausstellungsräumen der Museen.323 Die grossen finanziellen und materiellen Defizite in der unmittelbaren Nachkriegszeit führten zu sparsamen und bescheidenen Interieurs. Das ästhetische Ideal des «moderno e antico», das die bürgerlichen Interieurs der Vor- und Zwischenkriegszeit geprägt hatte, erfuhr in dieser unmittelbaren Nachkriegszeit eine Neubestimmung.

Wie verankert das Nebeneinander von modernen und antiken Gegenständen im bürgerlichen Interieur in Italien war, 324 zeigt folgender Eintrag in der Enciclopedia pratica della casa aus dem Jahr 1939:

Se possedete qualche pezzo antico veramente bello e autentico, mettetelo pure in vista in salotto, anche accanto a mobili moderni: armadi, consolles, vetrine, cassettoni, cassapanche vi possono stare benissimo, magari adorni con qualche pezzo di vera stoffa antica o di bella stoffa moderna.325

Die Verbindung antiker und moderner Gegenstände wurde als besonders dekorativ erachtet.326 War das «Antike» – das «aus einer vergangenen Epoche Stammende» – Zeugnis der weit zurückreichenden Familiengeschichte, signalisierte das «Moderne» – das «dem neusten Stand Entsprechende» – eine fortschrittliche, aufgeschlossene und aufgeklärte Lebenshaltung. In der Kombination belegten sie den hohen gesellschaftlichen Status der Familie und dienten dem Kreis der Eingeweihten als identitätsstiftender Code. Ausgeschlossen wurden all jene, die keinen Zugang zu Information und Innovation hatten und denen Tradition, Geschichte, Bildung und Kultur fehlten.

Wurde das Zusammenspiel von Modernem und Antikem in der Zwischenkriegszeit als Raumgestaltung zur Darstellung und Vermittlung der eigenen privilegierten Wirklichkeit empfohlen, muss diese Gegenüberstellung in der unmittelbaren Nachkriegszeit in einem frisch ausgebauten Dachgeschoss anders bewertet werden.

Die sorgfältige Zusammenstellung in der Dachwohnung Caccias bestand aus geretteten Fragmenten des Familienmobiliars. Es war Caccias Erfahrung, die er in den Zwischenkriegsjahren gesammelt hatte, zu verdanken, dass das Interieur nicht in die einzelnen Bestandteile zerfiel, sondern trotz der heterogenen Objekte als Komposition erschien. Auch der Verfasser des Domus-Artikels lobt das glückliche Arrangement der unterschiedlichen Gegenstände. Es beruhe auf einem «schwierigen Spiel der Komposition», ohne in eine «kalte Aneinanderreihung» von Ausstellungsstücken zu zerfallen, sondern jedes Element in die vorgesehene Atmosphäre einzubinden.327 Waren die Wohnungseinrichtungen der Zwischenkriegszeit mit dem Anspruch der gestalterischen Vollendung konzipiert, basierte das eher bescheidene Interieur der unmittelbaren Nachkriegszeit auf der Ästhetik des Unvollendeten und Offenen. Diese «transitorische Gestaltung» brachte

323 Morello 1997, S. 403. Zum Vergleich zwischen den Privathäusern und den Museen siehe Kap. 3.4.1.

324 Beispielhaft dafür stehen Franco Albinis Inszenierungen. Siehe A. M. M. 1937/38, S. 4–5.

325 Enciclopedia pratica della casa 1939, S. 125.

326 Siehe Mosayebi 2013.

327 «Questo ci pare il merito maggiore di Caccia: l’aver creato un insieme di volumi armoniosi […] entro qui sviluppare quel suo gioco difficile di composizione con i colori, con i mobili, nuovi o antichi, senza mai cadere nell’allineamento freddo di pezzi da esposizione, anzi interpretando, legando ogni elemento in questa atmosfera prevista». [Rogers], «Moderno e antico» 1947, S. 13. 70 den geistigen Zustand der Menschen sehr viel besser zum Ausdruck, enthielt doch die Ästhetik des Fragments auch «ein Stück Vanitas- und Melancholie-Metaphorik».328

Fazit Die innenräumliche Komposition in der Dachwohnung Caccia Dominionis an der Via De Amicis bestand aus einer Sammlung von Artefakten, die aus ihrem ursprünglichen Kontext in einen neuen versetzt wurde. Die vor Kriegszerstörung geretteten Gegenstände erfuhren über die Auswahl und die Ausstellung im Interieur eine enorme ideelle Aufwertung als Erinnerungsträger und identitätsstiftende Symbole der Familie und ihrer Geschichte. Die fein austarierte Anordnung und Aufstellung von alten und wenigen modernen Gegenständen kann als Rekonstruktion des «privaten Museums» der Familie bezeichnet werden. Die Wohnung als Museum des Hauses Caccia Dominioni sichert den Bezug zur Vergangenheit in einem schwierigen historischen Augenblick und gewährleistet die Kontinuität der Familiengeschichte. Die Offenheit und das Fragmentarische dieser häuslichen Ausstellung versinnbildlichen den transitorischen Moment zwischen der belasteten Vergangenheit und einer ungewissen Zukunft.

3.3.3. Der Familienpalast an der Piazza Sant’Ambrogio 16, 1948–1951

Die Geschichte der Zerstörung und der Neuerrichtung des Familienpalasts der Caccia Dominioni ist exemplarisch für den Wiederaufbau der bombardierten, denkmalgeschützten Privatpaläste im Zentrum von Mailand: Sie illustriert den Widerstand der privaten Bauherren gegenüber staatlichen Auflagen, ihren Wunsch nach einem neuen und modernisiertem (nicht modernen!) Heim, die nach 1948 schwindende Durchsetzungskraft der Denkmalpflege, die Folgen der Bodenspekulation und schliesslich das Verständnis der Architekten für den «richtigen» restauro. Luigi Caccia Dominions Projekt für den Wiederaufbau des Familiensitzes demonstriert, wie im Neubau die familiäre Identität neu verortet wird.

3.3.3.1. Der Abriss des Altbaus gegen den Willen der Denkmalpflege

Im Jahr 1928 war in den italienischen Städten ein Programm zum Schutz der Kulturgüter in Kraft getreten.329 1930 wurden die Denkmalpfleger aller Provinzen aufgefordert, für den Fall eines Krieges Pläne zur Evakuierung wertvoller Kunstgegenstände und zum Schutz wichtiger Bauten vorzubereiten. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde der Palazzo der Familie Caccia Dominioni zusammen mit 114 weiteren privaten Mailänder Stadthäusern unter Schutz gestellt.330

328 Moos 2007. Das Arrangement von alten und neuen Gegenständen im italienischen Interieur beschreibt auch der amerikanischen Architekturpublizist George Everard Kidder Smith (1913–1997) in Italy Builds: «I know of no contemporary interior, for instance, which boasts of everything freshly designed from ash trays to walls. Indeed, if such were possible financially – and it rarely is – the tasteful, rich Italian mind would find such an interior not simpatico. Such rigidity, such self-conscious organization and inflexibility would not be acceptable. But more than just combining elements from the past with products of today, pains are taken to see to it that the old enhances the new and the new flatters he old. I have seen Belgioioso, Peressutti and Rogers create a modern living room that makes an antique Persian rug look handsomer that it ever did in a pasha’s palace. And the delight of Albini’s own flat depends to no small degree on its inlaid antique furniture and ancestral portraits [...].» Kidder Smith 1955, S. 123.

329 Marrucci 2004, S. 170.

330 Ebd., S. 169. 71

In Mailand war zwischen 1935 und 1942 der Architekt Gino Chierici (1877–1961) für den Denkmalschutz zuständig. Seine Strategie zeichnet sich durch eine Reihe von präventiven Massnahmen aus. Als besonders wirkungsvoll sollten sich die fotografische Dokumentation und die Vermessung der geschützten Gebäude erweisen,331 dank derer auch der Palast der Caccia Dominioni erfasst wurde (Abb. 41). Chiericis Bemühungen sollten sich als überaus wertvoll erweisen, denn die Zerstörungen in der Innenstadt von Mailand während des Zweiten Weltkriegs waren verheerend.

Bei den Bombardierungen im August 1943 war auch das Stadthaus der Caccia Dominioni an der Piazza Sant’Ambrogio stark beschädigt worden (Abb. 42–43).332 Nur die Aussenmauern hatten dem Angriff der Alliierten widerstanden. Gino Chierici übermittelte am 1. Oktober 1944 Ambrogio Caccia Dominioni, dem Vater Luigis, das offizielle Schreiben des Ministero dell’Educazione Nazionale, dem zufolge das Gebäude 1939 als geschützt eingestuft worden war.333

Problematik privaten Wiederaufbaus Der Wiederaufbau der öffentlichen Monumente konnte nach Kriegsende in Angriff genommen und mit öffentlichen Geldern finanziert werden.334 Hingegen konnte nur ein Bruchteil der Besitzer der zerstörten, denkmalgeschützten privaten Stadthäuser auf eine finanzielle Unterstützung durch den Staat zählen. Chierici schildert die Situation am 19. März 1944 in einem Brief an das Ministero dell’Educazione Nazionale:

[…] tutti i mezzi a mia disposizione per impedire la cosa sono stati da me posti in atto […] d’altro canto non si può ignorare come noi oggi siamo impegnati, con tutte le nostre forze a salvataggio dei massimi monumenti pubblici cittadini […] per i palazzi privati ci è necessaria la volenterosa collaborazione dei privati. Perciò debbo dichiarare che l’opera della Soprintendenza resterà, per i palazzi, quasi sempre inefficace se non si riuscirà a far sì che il proprietario abbia e senta egli stesso l’interesse a che il crollo non avvenga. Questo non si può ottenere che mediante un provvedimento che rimuova o abbassi l’onere fiscale del trapasso di immobili sinistrati dichiarati monumenti nazionali.335

In Chiericis Schreiben kommt die Problematik der Situation zum Ausdruck: Viele Besitzer waren gegenüber den Auflagen des Denkmalschutzes, mit der Sicherung und dem möglichst detaillierten Wiederaufbau ihres Stadthauses rasch zu beginnen, äusserst widerwillig eingestellt. Denn die Vorgaben verhinderten jede eigenverantwortliche Veränderung der Bauten, die sich teilweise über Generationen hinweg im Besitz der Familie befanden und die immer wieder umgebaut, saniert und modernisiert worden waren. Die Auflagen wurden als einschneidender Eingriff in die Privatsphäre und die Souveränität verstanden, die nicht zuletzt auch finanziellen Profit verhinderte. Man bedenke nur, dass die teuren Renovations- und

331 Ebd., S. 171.

332 Dazu ausführlicher Marrucci u. a. 2004, S. 266–267.

333 «Sulla richiesta del Ministro dell’Educazione Nazionale, si chiede, ai sensi e per gli effetti dell’art. 2-3 della legge 1° giugno 1939 – XVII, N. 1089, la trascrizione dell’atto, che si unisce alla presente in copia conforme. Con tale atto è stato notificato, a norma dello stesso citato art. 2–3 e per gli effetti di cui alla legge 1° giugno 1939-XVIII, N. 1089, l’interesse particolarmente importante del seguente immobile: Casa Luigi Caccia Dominioni del Sec. XIX in Piazza S. Ambrogio 16 sito nel comune di Milano segnato in Catasto al numero 2781».ASBAP: la cart. E/3/1104, Prot. N.2644, 1. Oktober 1944.

334 Marrucci 2004, S. 181.

335 Marrucci u. a. 2004, S. 183 und 188, Anm. 59. 72

Wiederaufbauarbeiten nicht durch Erträge zusätzlich vermietbarer Fläche ausgeglichen werden konnten. Die Missachtung denkmalpflegerischer Vorgaben durch viele der Bauherren provozierte schriftliche Mahnungen. Belegt sind Aufforderungen an 68 Besitzer denkmalgeschützter privater Wohnbauten,336 darunter findet sich auch ein Schreiben an die Familie Caccia Dominioni.

Schlagabtausch zwischen der Denkmalschutzbehörde und der Familie Caccia Dominioni Am 22. September 1945 ermahnte Giovanni Rocco,337 der Nachfolger Gino Chiericis, die Familie Caccia Dominioni, dass sie als Besitzer eines denkmalgeschützten Hauses verpflichtet seien, die Auflagen der Soprintendenza per i Beni Architettonici e Paesaggistici di Milano einzuhalten.338 Allfällige Einstürze oder Beschädigungen geschützter Häuser fallen, gemäss dem Wortlaut der Depesche, vollständig in die Verantwortung der Besitzer:

[i proprietari] […] hanno l’obbligo, data la monumentalità dell’edificio posseduto, di preservarlo dalla totale rovina o da ulteriore danneggiamento […] Nel caso di non ottemperanza alla Legge, si ricorda che la Soprintendenza ha la facoltà di esproprio e ne far uso.339

Der Grund für die Ermahnung war klar. Die Problematik hatte bereits Gino Chierici im Frühjahr 1944 erkannt:

Gli incendi hanno devastato la maggioranza dei palazzi patrizi [...] Nello stesso tempo mi viene segnalato che in moltissimi casi il proprietario non può o non è disposto a incontrare le spese per il rafforzamento [...] ma ha interesse che il crollo avvenga [...] La speculazione spinge il prezzo delle aree fabbricabili del centro della città [...] e si può comprendere come [...] si pongano in atto quotidianamente quei piccoli ma validi mezzi che facilitano il crollo stesso.340

Die von Giovanni Rocco verfasste Warnung zeigte bei der Familie Caccia Dominioni und einem Grossteil weiterer Eigentümer nicht die gewünschte Wirkung. Von insgesamt 115 unter Denkmalschutz stehenden und bombardierten privaten Stadthäusern wurden 54 vollständig ersetzt.341 Die Volumen der Neubauten waren in vielen Fällen wesentlich grösser als die der zerstörten Palazzi, so auch der Ersatzbau für das Stadthaus Caccia Dominioni.

Am 29. Mai 1948 informierte die Immobiliare Società Ambrosio, hinter der Namen sich die Familie Caccia Dominioni verbarg, die Soprintendenza in einem knappen Schreiben über den Fortgang der Arbeiten und den unabwendbaren partiellen Abriss der Mauern: «[…] si sta procedendo a parziale demolizione della parti di muratura che non risultino sane».342 Es wurde die baldige Präsentation eines neuen, bereits ausgearbeiteten Projekts versprochen. Die Antwort des neuen Denkmalpflegers Guglielmo Pacchioni (1882–1969) folgte

336 Ebd., S. 183.

337 Die Lebensdaten Roccos konnten nicht ermittelt werden.

338 ASBAP: la cart. E/3/1104, Prot. N. 1084 S. T., 22. September 1945.

339 Ebd.

340 Marrucci u. a. 2004, S. 182–183.

341 Ebd., S. 184.

342 ASC: Piazza Sant’Ambrogio 16, Prot. N. 2136, 29. Mai 1948. 73 umgehend und in scharfem Ton. Er weist die Società Ambrosio darauf hin, dass das Gebäude unter Denkmalschutz stehe und Änderungen von der Soprintendenza bewilligt werden müssten.343 Sollte das neue Projekt der Denkmalpflege nicht innert einer Woche vorgelegt werden, drohe der Società die «Zwangsunterbrechung der Bauarbeiten».344

Tatsächlich war der alte Palast in der Zwischenzeit abgerissen worden, die Bauarbeiten wurden als Folge der Missachtung während zweier Monate unterbrochen.345 Die Angelegenheit hatte mittlerweile derart an Brisanz zugenommen, dass sich der 34-jährige Caccia veranlasst sah, Hilfe von aussen zu holen. Erst vier Monate später, am 11. Oktober 1948, verfasste er seine schriftliche Antwort an die Soprintendenza, der er ein Gutachten der E.L.S.E. (Edilizia Lavori Sottosuolo Estrazioni), einer Firma für Aushubarbeiten, beilegte.346 Caccia adressierte das Schreiben an Pacchioni persönlich. Er erklärte, Untersuchungen der Kellergewölbe und der Mauern hätten gezeigt, dass die Qualität der Bausubstanz dürftig sei. Schliesslich hätten sich die konsultierten Experten wie Professor Danusso, Ingenieur Weisz sowie die Techniker der Firma E.L.S.E. gegen den Erhalt der Mauern ausgesprochen. Am Ende des Schreibens schlug Caccia einen Handel vor, von dem er ausgehen konnte, dass ihn die Denkmalpflege ablehnen würde. Falls der alte Palast ohne Modifikationen und Aufstockungen wiederaufgebaut werden müsse, bitte er die Denkmalpflege um eine finanzielle Beteiligung in der Höhe der Ausgaben sowie in der Höhe des ökonomischen Verlusts, den das Grundstück durch die Bauauflagen erfahren würde. 347 Die zweite Option, die Caccia Pacchioni unterbreitete, lautete:

[...] o, dovendo abbattere la vecchia construzione, construire una casa nuova con progetto nuovo senza riferimento alcuno alla vecchia costruzione.348

Das Gutachten des E.L.S.E-Ingenieurs Dietrich bestätigte Caccias Schreiben, ebenso das um einen Monat später datierte Gutachten des Ingenieurs Arturo Danusso.349 Die Wahl Danussos als weiterer Gutachter war sehr geschickt. Als Professor für Ingenieurwesen am Mailänder Polytechnikum, als versierter Fachmann, der beim Wiederaufbau der ebenfalls stark beschädigten Kirche Sant’Ambogrio beratend tätig war,350 und nicht zuletzt als Mitglied des Mailänder Rotary Clubs genoss er nicht nur eine hohe Glaubwürdigkeit, sondern war

343 ASC: Piazza Sant'Ambrogio 16, Prot. N. 2158, 2159, 2160, 5. Juni 1948.

344 Ebd.

345 Aus den Akten der Soprintendenza geht nicht hervor, ob das neue Projekt zwischenzeitlich präsentiert wurde. Die ersten Pläne des Neubaus wurden zur Erlangung der Baubewilligung erst 1949 vorgelegt.

346 Luigi Caccia Dominioni, ASC: Piazza Sant’Ambrogio 16, Prot. N. 3685, 11. Oktober 1948.

347 «Se mi è permesso dare il mio parere esso è il sequente: 1°) otenere le vecchie murature e ricostruire la casa com’era senza modificare la vecchia facciata senza inserindovi un piano, sanando però la parte malata di cui sopra ed in detto caso si chiede l’intervento della Soprintendenza con una cifra che compensi le maggior spese ed i danni derivanti dalla ‘diminuito economica’ che la proprietà subisce. 2°) o, dovendo abbattere la vecchia construzione, construire una casa nuova con progetto nuovo senza riferimento alcuno alla vecchia costruzione». Ebd.

348 Ebd.

349 ASC: Piazza Sant’Ambrogio 16, 8. November 1948.

350 Marrucci u. a. 2004, S. 237. 74 auch ein einflussreiches Mitglied der Mailänder Oberschicht.351

Pacchionis Antwort erfolgte postwendend. Die Auflage, die alten Mauern zu erhalten, wurde zurückgenommen und die Bauarbeiten durften fortgeführt werden. Was aber bestehen blieb, war die Bindung an den Denkmalschutz.352 Am 15. Dezember 1948 verfasste Caccias Vater Ambrogio Caccia Dominioni eine eindringliche Bittschrift an Guglielmo Pacchioni, worin er ihn ersuchte, die Angelegenheit nicht weiter zu verzögern. Er machte Andeutungen, dass ein erneuter Aufschub mit beträchtlichen finanziellen Schäden verbunden sei:

La famiglia Caccia ha termini perentori, che si avvicinano inesorabilmente: questi non sono osservati dalla proprietà della casa danni possono essere ingenti. Certo che la famiglia Caccia qualora dovesse subire tali danni dovrebbe tutelarsi con eventuale azione.353

Pacchioni zeigte sich davon wenig berührt. Die Auseinandersetzung sollte noch ein knappes Jahr andauern. Während dieser Zeit erfolgte ein weiterer Schlagabtausch zwischen Pacchioni und Ambrogio sowie Luigi Caccia Dominioni, bei dem ein erneuter Baustopp drohte. Erst eine Unterredung zwischen Caccia und dem Direttore generale della antichità e belle arti, Guglielmo De Angelis d’Ossat, konnte die Wogen glätten. De Angelis verfasste am 13. Oktober 1949 ein Schreiben, in dem er die Angelegenheit herunterspielte. Die Sache sei aus Sicht des Denkmalschutzes nicht wichtig, und man solle das Projekt, das von der Stadt bereits bewilligt worden sei, akzeptieren.354 Zudem stand mittlerweile die Soprintendenza unter einer neuen Leitung. Luigi Crema hatte im August 1949 die Nachfolge Pacchionis angetreten.355 Der Personalwechsel war für die Beendigung des Streitfalls sicherlich mit ausschlaggebend.

Kritik an mangelnder Durchsetzungskraft und Bauspekulation

Die Rekonstruktion der Privatbauten im Zentrum von Mailand gestaltete sich nicht nur im Fall der Familie Caccia Dominioni schwierig.356 Die Besitzer widersetzten sich mehrheitlich dem Gebot des Denkmalschutzes, den zerstörten Bau entsprechend dem Willen der Soprintendenza wiederherzustellen. Die Soprintendenza ihrerseits verfügte nur beschränkt über die nötigen finanziellen Mittel, um den Wiederaufbau privater Immobilien selbst zu bestreiten. Guglielmo Pacchioni informiert in einem Brief an das Ministero della Pubblica Istruzione über die Situation:

È noto che la gravissima deficienza di alloggi, conseguenti alle distruzioni e ai danneggiamenti di circa 14.000 edifici ha centuplicato la speculazione edilizia e […] opere arbitrarie sono ovunque iniziatite, anche profittando che il nuovo regolamento edilizio non è stato ancora approvato […] La collaborazione tra uffici del Comune e

351 Arturo Danusso war von 1946 bis 1948 Präsident des Mailänder Rotary Clubs. Dodici anni 1938, S. 189. Anm. 1.

352 ASC: Piazza Sant’Ambrogio 16, Prot. N. 4001, 4002, 4003, 8. November 1948.

353 Ambrogio Caccia Dominioni, ASC: Piazza Sant'Ambrogio 16, Prot. N. 4658, 15. Dezember 1948.

354 De Angelis, ASC: Piazza Sant’Ambrogio 16, 13. Oktober 1949.

355 Die Lebensdaten Cremas konnten nicht ermittelt werden. Der Architekt Luigi Crema war von August 1949 bis September 1966 Denkmalpfleger in Mailand. Cecchi 1995, S. 469, Anm. Nr. 156.

356 Zur Problematik des Wiederaufbaus der von der Denkmalpflege unter Schutz gestellten Privathäuser siehe Marrucci 2004, S. 182–186. 75

questo ufficio è volta a limitare gli abusi ma il gran numero di progetti da esaminare e costruzioni da controllare ha ostacolato notevolmente l’opera del Comuni il quale inoltre non ha provveduto a ricostruire la sua Commissione edilizia.357

3.3.3.2. Der neue Familiensitz im Vergleich zum zerstörten Palazzo

Der zerstörte Familienpalast Der Wohnsitz der Familie Caccia Dominioni befindet sich bereits seit 1547 an der Piazza Sant’Ambrogio.358 Der Palazzo war zuletzt im 19. Jahrhundert verändert worden.359 Auf Fotografien und Plänen besticht der Eckbau durch seine einfache Volumetrie, die homogenen und vergleichsweise schmucklosen Fassaden und die regelmässig gesetzten, vertikalen Fenster. Durch zwei umlaufende Gesimse erfahren die Fassaden eine klassische Dreiteilung, das dazwischenliegende Mezzaningeschoss wird dadurch ausgeblendet. Auffällig ist das über alle Geschosse durchgehende robuste Quadermauerwerk, das dem Gebäude einen gewissen Wehrcharakter verleiht. Diagonale Gitterwerke vor den Fenstern des Sockelgeschosses unterstreichen diese Lesart. Einzig vier regelmässig gesetzte Balkone auf der Höhe des Piano nobile sind als Geste der Zuwendung zum öffentlichen Raum zu deuten. Die Innenräume waren laut einer Notiz der Denkmalpflege «riccamente decorati con stucchi e rifiniture di gusto neoclassico».360 Der repräsentative Charakter des plastischen Baukörpers deutete eine hohe Abstammung der Bewohner an, tarnte aber zugleich das Innere und schützte vor Blicken.

Der Palazzo der Caccia Dominioni besass die «caratteri tipici dell'architettura del tardo-neoclassicismo milanese».361 Die strenge Behandlung der Strassenfassaden, welche die Mailänder Stadtpaläste auszeichnet, ist gemäss der Kunsthistorikerin Susan Caroselli darauf zurückführen, dass die lombardischen Städte bis zu Beginn des 14. Jahrhunderts Schauplätze konstanter politischer Unruhen waren.362 Ein Wohnhaus musste daher so gestaltet werden, dass es zugleich als Festung und als Schutzschild gegen Gewalt wirkte.363 Adlige Familien errichteten sogenannte Rochette, deren Fassaden die «Notwendigkeit des Schutzes» widerspiegelten: Die Wände waren dick, die Fenster schmal und im Erdgeschoss hoch in der Wand angebracht. Der Schmuck beschränkte sich deswegen vor allem auf der rückwärtigen Hofseite sowie die Innenräume. Äussere Zeichen von Reichtum und Status wurden vermieden. Der Wehrcharakter änderte sich im Laufe der Jahrhunderte kaum, auch nachdem sich die politische Situation in Mailand gefestigt hatte. Für Caroselli besteht ein Grund dafür darin, dass eine alte und unveränderte Fassade auf eine weit zurückreichende Familiengeschichte verweist.364 Gerade in Mailand, wo die Bedeutung einer Familie vor

357 Ebd., S. 184.

358 Irace/Marini 2002, S. 87.

359 Marrucci 2004, S. 266. 1920 hatte Alberico Barbiano di Belgiojoso, der Vater von Ludovico, eine Erweiterung an der Via San Vittore realisiert. Irace/Marini 2002, S. 87.

360 Marrucci u. a. 2004, S. 266.

361 Marrucci u.a. 2004, S. 266.

362 Caroselli 1985, S. 14.

363 Ebd.

364 Ebd., S. 17. 76 allem an der Dauer ihrer Bürgerschaft und weniger am gesellschaftlichen Stand gemessen wurde, war eine alte Fassade auch ein Statussymbol.

Die Umstände, die bis anhin den Erhalt der Stadthauses der Caccia Dominioni gesichert hatten, waren nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegend anders. Der Wehrcharakter des Palasts war angesichts moderner Bedrohungslagen obsolet geworden. Weitere Gründe, welche die Familie bewogen, die Reststücke des Altbaus zugunsten eines kompletten Neubaus zu räumen, waren die Vergrösserung des Familiensitzes, die Realisierung mehrerer auch vermietbarer Wohnungen sowie die technische Modernisierung und die Ausstattung des Stadthauses mit mehr Komfort.

Die neue Platzfassade Die neue Platzfassade hat fünf Geschosse, die zwischen seitlichen Mauerflanken eingespannt sind (Abb. 50). Zwei markante Loggien – im zweiten und im obersten Geschoss – springen über die gesamte Fassadenlänge zurück und fassen die beiden dazwischenliegenden dritten und vierten Obergeschosse ein. Die Loggienrückwände sind mit dunklen, feinen Holzlatten verkleidet und bilden einen wirkungsvollen Kontrast zum hellen Sockelgeschoss in hellem Beola-Granit und dem rotbraunen Putz der übrigen Geschosse. Die Sockelplatten der Platzfassade unterscheiden sich in ihren Dimensionen von den Steinen der kurzen Seitenfassade zur Via San Vittore. Sie sind grossformatiger und im vertikalen Läuferverband verlegt, wodurch ihre bekleidende Funktion erkennbar wird. Die durchlaufenden Einschnitte der beiden Loggien stellen den tragenden, muralen Charakter des dritten und vierten Geschosses in Frage. Die beiden verputzen Geschosse scheinen zu «schweben» oder wie Balken zwischen die seitlichen Mauerflanken gespannt zu sein. Dies kann durchaus als Ausdruck eines «modernen» Form- und Kompositionswillens betrachtet werden.

Die Differenzierung der Fassade entspricht der inneren Gliederung. Hinter den kleinen Fenstern des Sottoterreno befinden sich bis heute die Arbeitszimmer Luigi Caccia Dominionis. In den Loggia-Geschossen waren ursprünglich Wohnungen untergebracht, die an Bekannte oder Mitarbeiter des Büros vermietet wurden.365 In den beiden rotbraun verputzten Stockwerken liegen die Wohnräume der Familie Caccia Dominioni.366

Die Besonderheit der Fassade besteht in den grossen Loggien zur Piazza Sant’Ambrogio. Welche Relevanz haben sie im alltäglichen Gebrauch und welchen ideellen Wert repräsentieren sie? Die geringe Tiefe der Loggia von 90 Zentimetren lässt darauf schliessen, dass es nicht vorrangig um die Realisierung eines Aussenraums mit komfortabler Aufenthaltsqualität ging, sondern um die Einführung eines räumlichen Abstands zwischen Stadt und Haus.367 In den Loggia-Geschossen wird der Blick auf die Kirche Sant’Ambrogio und die Mailänder Stadtsilhouette durch Geländer und Stützen sowie Decke und Boden gefasst und zurückgenommen. In den übrigen Geschossen hingegen ist die Verbindung von innen nach

365 Die beiden langjährigen Mitarbeiter Glauco und Anna Marchegiani bewohnten zehn Jahre die Wohnung direkt über Caccias Büro. Gespräch mit Glauco Marchegiani, 27. Januar 2010, Mailand.

366 Die strikte Aufteilung wurde im Verlauf der Zeit aufgehoben. So wurden auch Wohnungen im 4. und 5. Geschoss an Bekannte vermietet.

367 Dafür spricht auch die Tatsache, dass die Loggia kaum je benutzt wird. 77 aussen unmittelbarer. Dahinter könnte die Absicht stehen, einer der inneren Gliederung entsprechenden Hierarchie in der Fassade und in den Bezügen zum Aussenraum Ausdruck zu verleihen.

In Daniele Donghis (1861–1938) weitverbreitetem Handbuch Manuale dell’architetto werden Loggien, offene Gallerien, Veranden, Terrassen und Altane als konstitutive Bestandteile einer gehobenen, freistehenden Villa genannt.368 Donghi verweist insbesondere auf den «pittoresken» Wert von Loggien und Terrassen, da sie Innen- und Aussenraum optisch zueinander in Beziehung setzen. Die Blickbeziehung hat für ihn Vorrang gegenüber dem tatsächlichen Gebrauch des Aussenraumes. Darüber hinaus erwähnt er, dass in knappen räumlichen Verhältnissen, wie es bei Mietshäusern oft der Fall ist, Bow-Windows die Terrassen und Loggien ersetzen sollen.369 Dass er diese Alternative in Betracht zieht, bestätigt ebenfalls Donghis Primat der Blickbeziehungen.

Mit dem Einsatz des Loggien-Elements beim Neubau des Stadthauses der Caccia Dominioni ist die Bezugnahme auf den Typus der freistehenden Villa evident. Das Motiv der Loggia wird dabei sogar in den Bereich des Luxuriösen gesteigert, denn die Loggien der Casa Caccia Dominioni haben rein ästhetischen und damit symbolischen Charakter. Sie repräsentieren Vornehmheit, Reichtum und Status.370

Gänzlich anders müssen die Aussenräume auf der Rückseite betrachtet werden (Abb. 52). Jedes Obergeschoss besitzt auf der Hofseite einen durchgehenden Balkon. Die Fassade wird durch ein weit auskragendes Dach abgeschlossen, das derselben Geometrie folgt wie die darunterliegenden Balkonböden. Diese hängen an feinen Zugstäben am Dach. Die Bezugnahme auf die case di ringhiera, den Mailänder Typus des Laubenganghauses, ist hier explizit. Es finden sich die für diesen Typus charakteristischen Geländer aus Eisenstaketen. Hinter der Balkonschicht liegt mit den Küchen, Bädern und Räumen des Personals eine primär als Servicezone zu bezeichnende Raumschicht. Auch bei den Balkonen der Hofseite ist wiederum nicht die Aufenthaltsqualität entscheidend, stattdessen handelt es sich hier um einen praktischen Bereich, der auf einer Tiefe von 1,2 Metern für die täglichen Haushaltsarbeiten genutzt werden kann.

Die Mehrfarbigkeit der neuen Fassade mit den dunklen Loggien, den hellen Steinen im Sockel und dem rotbraunen Verputz darf als Referenz auf die Polychromie der Antike verstanden werden. Die naturfarbene, braune Tonalität verweist aber auch auf vernakuläre lombardische Architektur wie auf frühchristliche oder antike Bauwerke in Mailand, die – ihrer Haut entledigt – den reinen Ziegel zur Schau stellen. Schliesslich lässt sich das Rotbraun ebenso aus dem unmittelbaren Kontext erklären: Der Neubau steht gegenüber Sant’Ambrogio, einer der ältesten Kirchen Mailands, deren Fassade aus Ziegelmauerwerk eine verwandte Tönung besitzt. Diese farbliche Orientierung hat neben der kontextuellen sicherlich auch symbolische Bedeutung: Sie demonstriert die enge Verbindung der Caccia Dominioni mit der katholischen Kirche.

368 Ebd., S. 76.

369 Ebd., S. 76.

370 An dieser Stelle sei auf ein weiteres Projekt Caccias verwiesen, bei dem er sich den erwähnten architektonischen Themen gleichermassen bedient. Die Planungungen für den Konvent und das Institut der Beata Vergine Addolorata verlief parallel zum Neubau an der Piazza Sant’Ambrogio: rotbraun glasierte Ziegel, markant auskragende Dachtraufe sowie zwei Loggien (eher Laubengänge?), die dazwischenliegende Geschosse rahmen. Die ornamentale Ausführung der Brüstungen erinnert an die kalligrafischen Geländer des Familienpalasts. 78

Ein wichtiges Detail der Fassade bilden die kunstvollen Geländer der Fenster (Abb. 51, 66, 71). In Anlehnung an ein im Barock verbreitetes herrschaftliches Schmuckelement formen die geschwungenen, filigranen Stahlstäbe kalligrafische Spiegelmonogramme: ACD und MP, die Initialen von Caccias Eltern Ambrogio Caccia Dominioni und Maria Paravicini. Sie sind so gefertigt, dass die Monogramme vom Stadtraum wie vom Wohnraum aus lesbar sind. Von aussen betrachtet werden für den Passanten die Besitzer sichtbar.371 Von innen aus gesehen überlagern sich die Initialen mit der Kirche Sant’Ambrogio und der Stadtsilhouette Mailands und signalisieren für Bewohner und Besucher die Verbundenheit der Familie mit der Stadt.

3.3.3.3. Kontextuelle, materielle und ideelle Kontinuitäten

Obschon der traditionsreiche Familiensitz zugunsten eines Neubaus abgerissen wurde, sind zahlreiche Massnahmen auszumachen, die Kontinuitäten zwischen Alt- und Neubau, Gebäude und städtebaulichem Kontext, dem konkreten Projekt und einer ideellen Architektur herstellen. Darin ist die Absicht zu erkennen, durch vielschichtige Bezüge eine kulturräumliche Verortung vorzunehmen. Für Caccia gibt es viele «Geschichtslagen»372. Die Verknüpfungen mit der Geschichte und den Geschichten verweisen auf die den Geschichtslagen inhärenten Bedeutungsschichten, das Projekt wird dadurch mit fiktionalem Gehalt aufgeladen. Caccia betont damit den abbildenden und darstellenden Charakter der Architektur, ihn interessiert «das Bauwerk als erdichteter Ort, als künstlerische Fiktion».373

So lassen sich beispielsweise auch die beiden bronzen Hundeskulpturen im Eingangsportal des Palazzo Caccia Dominioni erklären (Abb. 53). Die Wach- oder Jagdhunde markieren und beschützen den Zugang zum Haus – eine Referrenz auf ein bis in die Antike zurückgehendes Motiv – es sei nur an den das Tor zur Unterwelt bewachenden Zerberos der griechischen Mythologie oder das berühmte «cave canem»-Mosaik vor einem Hauseingang in Pompeji erinnert. Sie gehen auf ein antikes Vorbild zurück, den berühmten Molosserhund im Belvedere-Hof des Vatikan, eine von mehreren römische Kopien nach griechischem Original, die in zahlreichen Nachbildungen, auch in Gips und spiegelbildlich, tradiert wurde.374 Das Stadthaus in Mailand wird dadurch in Bezug zu Landvillen, Landleben und Jagd gesetzt, einem Topos, der für den Lebensstil der Familie Caccia Dominioni von grosser Bedeutung ist.

Durch Rückgriffe oder «Rekurse» auf bestehende Vorbilder versuchte Caccia, Kontinuitäten zwischen Gegenwart und Vergangenheit herzustellen. Er wandte dabei drei unterschiedliche Strategien an.

371 Die restlichen Wohnungen wurden unter den Familienangehörigen (teilweise auch Caccias Brüdern) aufgeteilt oder vermietet.

372 Welsch 1988, S. 106.

373 Heinrich Klotz zit. n. ebd., S. 22.

374 Lochman, http://www.skulpturhalle.ch/sammlung/highlights/2004/12/molosserhund.html (abgerufen am 27. Januar 2014). Nach Auskunft der Familie handelt es sich um Kopien einer Bronzeskulptur aus dem 16. Jahrhundert. Interessanterweise kommt das Hundemotiv im Vestibül der Villa Necchi (1932–1935) von Piero Portaluppi ebenfalls vor. 79

Rekonstruktion als kontextueller Rekurs Anhand der Pläne und KorrespondenzimArchivio storico civico sowie im Archiv der Soprintendenza per i Beni Architettonici e Paesaggistici, die den Planungsprozess des Neubaus der Casa Caccia Dominioni dokumentieren, liessen sich interessante Wendungen in der Planungsgeschichte aufdecken (Abb. 44–46).375 Die erste ànderung des Entwurfs knapp zwei Monate nach der Baueingabe im Februar 1949 war die Einführung einer zweiten Loggia über dem Sockelgeschoss, wie auf den Revisionsplänen vom 19. April 1949 zu erkennen ist.376 Die Fenstereinteilung und die Stützen der zusätzlichen Loggia entsprechen der bereits ursprünglich vorgesehenen Loggia des fünften Geschosses. Anders als in der Endfassung hat die untere Loggia in der Version vom April 1949 noch eine geringere Höhe, da die Schlusssteine des Sockels zugleich als Brüstungen gedacht sind. Mit der Einführung einer zweiten Loggia geht das Haus mit dem Nachbargebäude, das zeitgleich von den Architekten Asnago & Vender errichtet wurde, eine optische Verbindung ein, die sich aus einer durchgehende Linie ergibt: Ein feines Simsband, das über den Fenstern des ersten Obergeschosses des Nachbarhauses verläuft, findet in der oberen Kante von Caccias Loggia seine Fortsetzung. Die Tatsache, dass die beiden Wohnhäuser gleichzeitig geplant und gebaut wurden, lässt auf eine Absprache zwischen den Architekten schliessen.377

Die Wirksamkeit der optischen Verbindung der Bauten wird zudem über eine zweite Linie gestärkt, die sich aus der gleichen Traufhöhe und dem gleich tiefen Dachüberstand ergibt (siehe Abb. Umschlag). In einer früheren, undatierten Ansicht des Hauses von Asnago & Vender endet die Fassade auf der Brüstungshöhe des Dachgeschosses (Abb. 47–48). In der gleichen Zeichnung ist bereits das Gesims über dem zweiten Obergeschoss eingetragen. Das bestätigt die Vermutung, dass Caccias Einführung der Loggia im ersten Obergeschoss und Asnago & Venders Erhöhung der Frontfasssade mit der Ausbildung der Dachtraufe nachträglich vorgenommen wurden und auf eine Vereinbarung unter den Architekten zurückgehen müssen. Einen eindeutigen Beleg dafür liefert ein Brief, den Asnago & Vender 1959 im Zusammenhang mit dem Ausbau des Dachgeschosses an die Stadt Mailand verfassten:

L’arretramento in esame, meno affondato, corrisponde alla profondità del loggiato della casa attigua ora ricostruita [...] e con lo stesso forma una continuità atta a determinare uno scomparto di architettura unitaria […].378

375 Ausserdem wurden die Pläne im Nachlass des Architekten gesichtet. Da diese in den meisten Fällen nicht datiert sind, sind sie für eine Rekonstruktion des Planungsprozesses nicht hilfreich. Erste Baueingabe: ASC: Piazza Sant’Ambrogio 16, 10. Februar 1949.

376 Revisionseingabe: ASC: Piazza Sant’Ambrogio 16, 19. April 1949.

377 Die Architekten Mario Asnago (1896–1981) und Claudio Vender (1904–1986) waren ebenfalls Wohnbauarchitekten in Mailand. Sie führten von 1928 bis 1970 ein Büro und schufen ein vielschichtiges Werk von 259 erfassten Projekten. Die meisten davon sind Wohnbauten. Zucchi/Cadeo/Lattuada 1999, S. 217. Beide Architekten fanden über die Malerei zur Architektur, was sich in einzigartigen Fassadengestaltungen äusserte. Zu den Biografien von Asnago & Vender siehe Zucchi/Cadeo/Lattuada 1999, S. 209–212. Luigi Caccia Dominioni war mit Asnago & Vender eng befreundet. Dies geht aus einem Interview hervor, in dem er antwortet: «Io sono più vicino a Asnago & Vender, che conoscevo personalmente e frequentavo spesso nelle ore dopo il lavoro. Con Asnago & Vender eravamo legati dalla frequentazione dello stesso barbiere». Irace/Marini 2002, S. 220. Der Auftrag für das Haus an der Piazza Sant’Ambrogio erfolgte 1948, eine erste Variante wurde am 28. August 1948 präsentiert. Zucchi/Cadeo/Lattuada 1999, S. 116. Über eine allfällige Zusammenarbeit ist hier nichts vermerkt. Wie gut Caccia mit den Architekten Asnago & Vender befreundet war, geht aus e

378 Zu dem Schreiben vom 17. März 1959 siehe Zucchi/Cadeo/Lattuada 1999, S. 118. 80

Die Gründe für solche gestalterischen Massnahmen dürften vielschichtig gewesen sein: Um Auflagen seitens der Stadt und der Denkmalpflege zu vermeiden, die einen stärkeren Kontextbezug einfordern würden, halfen die gegenseitige Verständigung und entsprechende architektonische Bezüge zwischen den beiden Bauten. Bei einer entsprechenden Aufforderung durch die Behörden hätte man immer auf das Nachbarsgebäude verweisen können. Caccia hatte im Zusammenhang mit dem Abriss der alten Fassade einen langwierigen Prozess mit der Denkmalpflege erlebt, der zu grossen zeitlichen Verzögerungen geführt hatte. Einen weiteren Aufschub galt es zu vermeiden. Der Bewegrund von Asnago & Vender für die Angleichung geht aus einer direkten Aufforderung der Commissione igienico-edilizia vom April 1949 hervor:

Occorre si trovi una soluzione che si adegui all’ambiente e che risolva in modo soddisfacente i raccordi volumetrici con le case adiacenti. Il rivestimento della facciata in travertino, verbalmente dichiarato dal progettista, non si ritiene adatto.379

Offensichtlich konnten die ergriffenen Massnahmen die Commissione igienico-edilizia überzeugen, denn das Haus wurde am Ende doch mit weissem Travertin bekleidet.

Aus Sicht der Bauherrschaft, der Familie Boretti, mag die Erhöhung der Fassade zudem eine willkommene Entscheidung gewesen sein. Sie war wie die Besitzer des Nachbarhauses eine ebenso alteingesessene, grossbürgerliche Mailänder Familie, die wohl kaum Interesse daran haben konnte, neben dem Familienpalast der Caccia Dominioni untergeordnet in Erscheinung zu treten. Dass die Fenster der Fassade aus der Achse nach links gerückt sind, ist ein weiterer architektonischer Hinweis auf die angestrebte Nähe zum benachbarten Palazzo.

Rekonstruktion als materieller Rekurs Luigi Caccia Dominioni rekurriert bei der ricostruzione des Familiensitzes nicht nur auf den städtbaulichen Kontext, sondern auch auf die Materialität des Vorgängerbaus. Caccia verwendet für die Seitenfassade an der Via San Vittore dieselben Steine, aus dem bereits das Mauerwerk des Altbaus bestanden hatte. Dies legt ein Vergleich der Steine in Dimension und Materialität nahe. In den Eingabeplänen für den Neubau ist noch ein anderes, grossformatigeres Fugenbild zu erkennen, erst die «Ausführungspläne» im Nachlass des Architekten zeigen die kleineren Steine, wie sie auf den Aufnahmen des alten Palazzo zu sehen sind. Diese These der Wiederverwendung wird durch den Umstand gestärkt, dass die Aussenmauern des Familienpalasts die Bombardierungen überstanden hatten und nach dem Krieg ein grosser Mangel an Baumaterialien bestand. Auch Caccias ursprüngliche Absicht, wie beim Altbau drei Fenster pro Geschoss in die schmale Strassenfassade zu setzen, unterstreicht, dass beim Wiederaufbau der Seitenflanken eine Kontinuität mit dem alten Palazzo angestrebt wurde.380

379 Ebd., S. 116.

380 ASC: Piazza Sant'Ambrogio 16, Archivio Deledda, 24. Februar 1949. Gemäss der E-Mail-Korrespondenz vom 1. August 2011 mit Antonio Caccia Dominioni, der seinen Vater dazu befragt hat, wurden die alten Steine nicht wieder verwendet. Ob dies tatsächlich zutrifft, muss offen bleiben. Dagegen sprechen die erwähnten Veränderungen im Entwurfsprozess sowie die Knappheit der Baumaterialien nach Kriegsende. 81

Rekonstruktion als ideeller Rekurs Caccias Rückbindung der Gegenwart in die Vergangenheit, um den Neubau in ein historisches Kontinuum zu stellen, reicht über den alten Familienpalast hinaus. Das Motiv der Loggia unter einem weitauskragenden Dach und des relativ hohen Sockelgeschosses haben mit dem aus dem aus dem 14. Jahrhundert stammenden Palazzo Davanzati in Florenz ein bekanntes architektonisches Vorbild, das bespielsweise auch in Alfredo Melanis verbreiteter Publikation Architettura italiana gerühmt wird: «[…] particolarmente il palazzo Davanzati già Davizzi, il più grandioso e meglio conservato ad onorare l’architettura civile e fiorentina del XIV sec. la quale in nessuna regione d’Italia, piucchè a Firenze e in Toscana, sale a alta maestà».381 Caccia kannte die florentinische Architektur aus eigener Anschauung von seinen Reisen während des Studiums.382

Ebenfalls an der Piazza Sant’Ambrogio und damit in unmittelbarer Nachbarschaft zum Familienpalast steht die Casa Piana des Architekten Adolfo Zacchi (1877–1968) aus dem Jahr 1920. Hier finden sich wiederum das Motiv des Loggia und des hohen Sockels, auf dem die Bogenfenster des Piano nobile direkt aufsetzen – in ganz ähnlicher Weise sind die Fenster des ersten Obergeschosses in Caccias Baueingabe vom 24. Februar 1949 behandelt. Verwandtschaften ergeben sich auch in der Farbigkeit und Tonalität der Fassaden.

3.3.3.4. Grundrissentwicklung

Der Palazzo der Familie Caccia Dominioni entsprach in seiner ursprünglichen Grundrissdisposition einem einfachen Bautypus bestehend aus tragenden Fassadenmauern und einer primär tragenden Mittelwand (Abb. 60–64). Die Wandstärken lassen vermuten, dass auch die Querwände mehrheitlich tragend ausgebildet waren. Nach Donghis Klassifikation der Grundrisstypen könnte man den Altbau als einen «Corpo di fabbrica doppio con muro longitudinale e muri trasversali in linea» bezeichnen.383 Beim Neubau wählt Caccia stattdessen eine Skelettstruktur und schafft damit andere Voraussetzungen für die Grundrissentwicklung (Abb. 54–59). Trotzdem gibt er den Typus nicht grundsätzlich preis: Die Fassaden bleiben tragend, und die beiden Stützenreihen zeichnen die tragende Mittelwand des Altbaus nach oder können als Auflösung derselben verstanden werden.

Auch bei der Nutzung wurden gegenüber dem Altbau Modifikationen vorgenommen. Der alte Palazzo war ausschliesslich von der Familie und den Hausangestellten bewohnt worden, es hatte somit eine hohe Durchlässigkeit zwischen den Geschossen bestanden: Der Altbau war die Stadtresidenz einer Familie von Stand. Das ist allein schon an dem repräsentativen Treppenhaus erkennbar, das alle Geschosse auch räumlich miteinander verband. Der Neubau hingegen ist als Geschosswohnungsbau (in diesem Sinne ein «moderner» Typus) ausgelegt und verfügt über zwei bis drei separate Wohnungen pro Geschoss, die über zwei verschiedene Treppenhäuser erschlossen werden. Auffallend ist die kreisrunde Form der Treppenhäuser, die sich durch ihre spezifische Geometrie kohärent zum Skelettbau verhalten, indem sie anders als die Treppe im Altbau von der Orthogonalität einer tragenden Struktur befreit sind.

381 Melani 1930, S. 426.

382 Die Familienalben der Caccia Dominioni dokumentieren Fotografien zahlreiche Reisen in Italien, darunter auch nach Florenz. Gespräch mit Antonio Caccia Dominioni, 11. März 2011, Mailand.

383 Donghi 1906, S. 221. 82

Im Altbau hatte die Tragstruktur die Raumstruktur im Inneren im Wesentlichen vorgegeben; zwischen Trag- und Raumstruktur bestand weitgehende Kongruenz und Abhängigkeit. Im Neubau wurden mit der Skelettbauweise offenere Bedingungen geschaffen. Dennoch lehnt sich Caccia an die Struktur des Vorgängerbaus an: Die beiden Stützenreihen zeichnen die primäre Raumstruktur vor, zwei Raumschichten entlang der Fassaden und dazwischen ein Korridor- und Erschliessungbereich (Achsmasse 5,50, 3,50 und 5,50 Meter, inklusive dem dahinterliegenden Balkon). Die Stützen sind zudem an keiner Stelle freistehend, sondern überall in die Wände eingebunden: Auch die Raumstruktur des Neubaus konstituiert sich aus raumumschliessenden, wenn auch nicht tragenden Wänden. Das Potential einer «freien, modernen» Grundrissentwicklung nutzt Caccia einzig an untergeordneten Stellen wie den Trennwänden der Wohnungen in der Korridorschicht oder der hofseitigen Serviceschicht. Zudem unterstützt der Skelettbau eine freie Disposition der Wohnraumgrössen auf den einzelnen Geschossen. Schliesslich übernimmt Caccia das klassische Motiv der Enfiladen. Im Altbau waren die Türen – in der für die Mailänder Palazzi typischen Bauweise – auf der Fensterseite der Wand angeordnet. Im Neubau sind gemäss den Plänen nur zwei Enfiladen im zweiten Obergeschoss zu finden. Die Türen sitzen nun entweder in der Mitte oder auf die Gangseite der Wand.

Ähnlich der Abhängigkeit zwischen Trag- und Raumstruktur bestand beim Altbau auch eine Übereinstimmung zwischen Innenraum und Fenster. Die Fenster befanden sich in der Regel symmetrisch in der Wandfläche eines Raumes. Im Neubau ist der direkte Bezug zwischen Raum und Fenster aufgelöst: Die Öffnungen richten sich regelhaft nach der Tragstruktur und sind jeweils in die Mittelachse zweier Stützwände gesetzt (Achsmass 4,50 Meter). Das Verhältnis der Fenster zum Raum ist insofern «freier», als Caccia die Raumgrössen unabhängig von der Tragstruktur und den Fensterpositionen bestimmt. Vorrang besitzt vielmehr der eigentliche Bedarf an Fläche je nach Nutzung eines Raumes.

Die Gegenüberstellung der Grundrisse von Altbau und Neubau zeigt, dass Caccia beim Entwurf für den neuen Familiensitz zwar «moderne» Element einsetzt, letztlich aber bei seinem zweiten grösseren Bauprojekt, das er nach dem Krieg realisiert, die «rekonstruktiven», rekursiven Aspekte überwiegen und der Grundriss dem «Modell» eines Mailänder Stadthauses verpflichtet bleibt. Das mag hinsichtlich des stadträumlichen Kontexts und des Selbstverständnisses der Familie Caccia Dominioni nicht überraschen. Trotzdem lässt sich festhalten, dass Caccia in diesem frühen Projekt Strategien anlegt, die er als Architekt im Laufe seiner Karriere weiter bearbeiten und verfeinern wird. Damit ist insbesondere sein Umgang mit der Skelettbauweise angesprochen, die nicht von einer völligen typologischen Befreiung des Grundrisses ausgeht, sondern ihr Potential vielmehr in einer «Individualisierung» der einzelnen Geschosse sieht: Der Baukörper wird zu einem Behälter, der unterschiedliche Wohnräume und Wohnungen aufnimmt und sich weitgehend «neutral» zu seinem Inneren verhält. Caccia wurde deshalb bereits an der Piazza Sant’Ambrogio zum «Innenarchitekt» seines eigenen Hauses. 83

Die Familienwohnung 1954 publizierte Gio Ponti in der Zeitschrift Domus die Familienwohnung des Architekten Luigi Caccia Dominioni an der Piazza Sant’Ambrogio.385 Die Fotografien der Wohnung zeigen nicht viel vom privaten Leben, lassen aber ein paar aufschlussreiche architektonische Aspekte erkennen (Abb. 64–67).

Das Vestibül in die Wohnung im 4. Obergeschoss ist ein Glanzstück architektonischer Inszenierung. Der kleine Eingangsraum beschreibt im Grundriss ein einfaches Rechteck, das auf der Eingangsseite durch um 45 Grad gedrehte Wandstücke beschnitten wird. Wände und Decke sind vollständig mit grünem, aufgerauten Tuch (Billardtisch-Stoff) bespannt und erwecken bei Ponti den Eindruck vom Inneren eines Kleiderschranks. Diese Wirkung wird durch feine, gepunktete «Nähte» aus rundköpfigen bronzenen Tapeziernägeln verstärkt, mit denen das Tuch auf der Wand befestigt ist. Sie zeichnen im dunkelgrünen Futteral die horizontalen Raumkanten zwischen Wand, Boden und Decke sowie die beweglichen Türblättern nach. Dass hier auch ein Verwirrspiel getrieben wird, zeigt sich an den abgedrehten Eingangswänden: Auf beiden Wänden beschreiben die Bronzenähte ein Türblatt, obschon nur in einer der Flächen tatsächlich eine Tür sitzt, die Eingangstür zur Wohnung. Der Eingangsbereich, als Schwelle zwischen aussen und innen, ist so als intimer Raum konzipiert worden, der die Wohnung von der Aussenwelt isoliert:

Il piccolo ingresso, rivestito in fustagno verde [Barchent, auf der linken Seite aufgerauter Baumwollflanell]; è un ambiente chiuso e ben finito come un armadio; guarnizioni e attaccapanni in ottone, specchi Luigi Filippo. Su una colonnina in noce lucido, il busto di un antenato in marmo bianco. Uno dei pannelli di fondo è la porta d’entrata. Lampada di Azucena.385

Vor dem dunkelgrünen Hintergrund heben sich Kleiderhaken, Spiegel, Büste und Pendellampe als helle, reflektierende Körper ab. An den beiden abgedrehten hinteren Wandstücken sind zwei identische Spiegel angebracht, die wegen der Raumgeometrie im 90-Gradwinkel zueinander hängen, sodass der Betrachter aus einer gewissen Distanz sein Konterfei aus zwei verschiedenen Blickwinkeln vierfach abgebildet sieht. Der theatralische Effekt wird durch die kunstvolle Rahmung der Spiegel mit festlich geschwungenen Kordeln noch gesteigert.

In der Mitte des Vestibüls hängt die Pendellampe Ls 1, die erste Lampe, die Caccia nach dem Krieg entwickelte. Sie wurde laut dem Firmenkatalog der Azucena 1948 entworfen. Form und Material, sowohl des Gehäuses und als auch der Halterung an der Decke, erinnern an Gaslampen des 19. Jahrhunderts (Abb. 67– 68). Diese Beleuchtungskörper bestehen aus einer hohlen Glaskugel mit seitlichen Befestigungen für Kordeln oder Ketten, die an der Decke montiert werden; am unteren und oberen Ende der Kugel sind Metallgefässe angebracht, welche die Chemikalien zur Entzündung der Flammeenthalten. Caccias Lampe setzt sich wie die alten Leuchter aus einer Glaskugel und zwei bronzenen Halterungen oben und unten zusammen. Die Aufhängung an die Decke erfolgt über eine schwere bronzene Kette. Was Caccia an der Fassade des Hauses im grossen Massstab explizierte, wiederholt sich in der Wohnung im Kleinen: Wiederum wird nicht vorrangig Aktualität und Modernität im Ausdruck gesucht, sondern durch eine formale Anlehnung an einen bekannten Gegenstand Kontinuität zu Erprobtem und Bekanntem geschaffen.

Die weisse Marmorbüste eines Vorfahren der Caccia Dominioni ergänzt das sorgfältig zusammengestellte

385 Ebd., S. 17. 84

Ensemble um ein weiteres Element (Abb. 67). Sie steht auf einem Postament gegenüber der zweiflügeligen Tür, die vom Vestibül in den Korridor führt. Bei geöffneter Tür schaut die Büste in die Wohnung hinein und vermittelt dadurch zwischen den Wohnräumen und dem Vestibül (Abb. 64). Der Blick zurück vom Korridor in den Eingangsraum entfaltet monumentale Wirkung: Ein klassizistischer steinerner Türrahmen, gerettet aus dem Trümmerschutt des alten Palazzo, fasst die axial positionierte weisse Büste vor dunkelgrünen Grund. Es scheint, als ob die Vergangenheit aus dem ihr zugewiesenen Raum auf und in die Gegenwart schaut. Neben der theatralischen Komponente ist auch eine moralisch-ermahnende zu erkennen. Auf der Schwelle zwischen Innen- und Aussenraum kreuzt sich der Blick des Vorfahren mit dem des Nachkommen.

Non si tratta semplicemente di pezzi antichi in interni moderni. Il vestibolo molto piccolo e l’anticamera, non molto vasta nè lunga, sono impostati in un ordine simmetrico e con una prospettiva monumentale anche nelle piccole dimensioni dell’ambiente. Nella sala da pranzo, illustrata nelle due pagine che seguono, i quattro grandi busti barocchi di marmo, impostano l’arredamento nel gusto, più sorprendente, fuori scala. 386

Der an das Vestibül anschliessende Korridor ist ein nüchterner, sehr viel weniger inszenierterRaum mit gelben Wänden. Die weitaus bescheidenere Ausstattung besteht aus einer Serie von Stühlen, einem Gemälde (beides aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts), einem rot-schwarzer Puff und einer Bücherwand. Das einzig «moderne» Element ist die Wandlampe. Der kleine Schirm der «Lampada da parete Lp 5»387 ist aus prismatisch strukturiertem Glas, die Fassung aus eloxiertem Aluminium, Arm und Wandbefestigung aus glänzendem Messing.

La porta tra il vestibolo e il corridoio, con ante a ventola ricoperte in panno verde, è una vecchia porta di casa del 1830, rimessa in opera: stipite in legno laccato finto marmo. L’anticamera ha pareti gialle; libreria in legno laccato bianco, con ripiani rosso sangue di bue; il puff cilindrico è in velluto rosso con zoccolo nero; le seggioline e il quadro sono del primo ottocento. 388

Die vielfältigen Vergangenheitsbezüge setzen sich im Nippes, arrangiert auf dem Kaminsims im Esszimmer, fort (Abb. 65): eine französische Pendeluhr aus dem 18. Jahrhundert, ein ausziehbares Fernrohr, eine Vase aus Bassano und ein Leporello mit Fotografien von Familienangehörigen. Darüber hängt das grossformatige Gemälde einer Vorfahrin aus dem 18. Jahrhunderts. Auf violett lackierten Postamenten markieren vier Büsten je eine Ecke des Raumes (Abb. 66). Die barocken Kunstwerke aus weissem Marmor stellen die vier Jahreszeiten dar. In der Mitte des Raumes spiegelt die Oberfläche eines ovalen Tisches das einfallende Licht. Es handelt sich erneut um ein Möbel Caccias, den circa 1947 entworfenen Tisch T 3.389 Die Beine des Tisches sind aus weiss lackiertem Eisen und zusammenklappbar, die Platte ist schwarz lackiert. Die drei an die Wand geschobenen Stühle sind ebenfalls aus der Azucena-Serie und tragen die Bezeichnung P 1.390 Das Fenster wird seitlich von weissen Gardinen gerahmt, daneben vervollständigt eine antike chinesische Vase die ausgestellten Requisiten.

386 Ebd., hier S. 16.

387 So verzeichnet in der nicht datierten Werkliste der Firma Azucena. Archiv Azucena.

388 Ponti, «Interni a Milano» 1954, S. 17.

389 So verzeichnet in der nicht datierten Werkliste der Firma Azucena. Archiv Azucena.

390 Ebd. 85

3.3.3.5. Rezeption: «un vero e proprio restauro»

Bereits kurz nachdem die Casa Caccia Dominioni an der Piazza Sant’Ambrogio 1951 fertiggestellt war, würdigte der Architekturhistoriker und Kritiker Agnoldomenico Pica391 den Bau in der Architekturzeitschrift Spazio:

Vorremmo dire che qui, dove tutto è stato rifatto a nuovo, non solo, ma secondo modi nuovi e intenzionalmente esenti da pedaggi tradizionali, si è giunti a un vero e proprio restauro, cioè alla creazione di un’architettura che, nei rapporti ambientali […] riassume esattamente la parte giocata un tempo dall’architettura che la precedette.392 Il portone d’ingresso, ad arco scemo con la grande cartella di ferro verniciato, l’androne a volta, la nitida parete di beola verso via S. Vittore, la proporzione allungata delle finestre, le bellissime scale elicoidali dell’interno, sono tutti elementi soliti insolitamente usati e composti, elementi che soltanto una estrema accortezza e raffinatezza di gusto hanno potuto validamente dedurre da fonti vagamente settecentesche (e cioè illustri e anche troppo note) nel ritmo sorprendente di una espressione inedita e architettonicamente pura.393

Picas positive Beurteilung hebt einige Besonderheiten hervor. Im Hinblick auf die Frage der Qualität des restauro hält er das Stadthaus für ein ausgesprochen gelungenes Beispiel. Diese Aussage erstaunt, handelt es sich doch um einen Neubau.394 Pica erachtet den restauro deswegen als geglückt, weil die Architektur des Neubaus in seinen Bezügen zum ambiente dasjenige wieder aufnehme, was zuvor der Part des Vorgängerbaus gewesen sei. Für Pica offenbart gerade die freie Interpretation eines herrschaftlichen Wohnsitzes den wahren Charakter des historischen Ortes und des verschwundenen Familienpalasts. Pica verortet damit den restauro in den Bereich des freien Entwurfs und betrachtet ihn nicht als Disziplin, die auf der Basis einer Quellenrecherche das Bauwerk in seinen ursprünglichen, möglichst authentischen Zustand zurückversetzen will. Die Prämisse für eine solche entwerferische Haltung scheint ihm jedoch zumindest ein der Aufgabe angemessenes Wissen sowie ein entsprechender «Geschmack»395 zu sein.

Die Voraussetzungen für die Mailänder Kultur des restauro in der Nachkriegszeit bildeten die Lehren des vorangegangenen Jahrhunderts, insbesondere diejenigen des Architekten und Ingenieurs Camillo Boito (1836–1914).396 Auch das restauro-Verständnis Luigi Caccia Dominionis beruht auf Ideen von Boito, Gaetano Moretti (1860–1938) und vor allem Ambrogio Annoni397 (1882–1954). Moretti und Annoni waren beide Professoren am Mailänder Polytechnikum und Caccias Lehrer.

391 Agnoldomenico Pica (1907–1980) diplomierte 1931 als Architekt am Mailänder Polytechnikum; er hatte unter anderen bei Ambrogio Annoni studiert.

392 Pica 1951, S. 82.

393 Ebd., S. 84.

394 «la sostanziale nobilità della dimora antica», ebd., S. 82.

395 Ebd., S. 84.

396 Amadeo Bellini zeigt auf, dass Camillo Boitos Lehren wesentlichen Einfluss hatte auf Gaetano Moretti und Ambrogio Annoni und deren Überlegungen zum restauro. Zur Entwicklung der Kultur des restauro in Mailand siehe Bellini 1988, S. 663.

397 Eine detaillierte Biografie Annonis findet sich bei Bellini 2008. 86

Restauro-Theorien: «ricomposizione stilistica», «ricostruzione storica» und «caso per caso» Die Debatten über den richtigen Umgang mit dem Baudenkmal entwickelten sich in Mailand im 19. Jahrhundert zwischen zwei unterschiedlichen Positionen: dem stilistischen und philologischen restauro.398 Das stilistische Prinzip geht davon aus, dass der Restaurator über Wissen und Interpretation in der Lage ist, das Bauwerk in seinen originalen Zustand zurückzuversetzen.399 Damit werden Veränderungen, die das Bauwerk über die Jahrzehnte erfahren hat, «rückgängig» gemacht. Die philologische Methode hingegen fordert eine detaillierte, «wissenschaftliche» Recherche, anhand der Entscheidungen über das Aussehen des Monuments getroffen werden können.400

Das philologische Prinzip wurde von dem Architekten, Ingenieur und Kunsthistoriker Camillo Boito entwickelt. Er setzte sich damit gegen eine Verfälschung der Geschichte und für die Authentizität des Kunstwerks ein. Das «dialektische Vorgehen» Boitos zeigt sich in seinem Aufsatz «Conservare o restaurare» von 1893.401 Hier führt er die Ideen von John Ruskin, William Morris und Eugène Viollet-le-Duc zu einer «subtilen Synthese»402 zusammen: Ruskin und Morris ist die Idee der Authentizität des Kunstwerks geschuldet, was eine Wertschätzung der Spuren der Zeit sowie der bauliche Erweiterungen und Veränderungen mit sich bringt.403 Mit Viollet-le-Duc argumentiert Boito für den «Vorrang der Gegenwart über der Vergangenheit». Für Boito bedeutet dies, dass trotz des verlangten Respekts vor dem Bestand auch verändernde Eingriffe legitim sind.

Gaetano Moretti vertrat eine intellektuell offene Haltung gegenüber architektonischen Vorbildern und entwerferischen Methoden.404 Er forderte seine Schüler auf, sich von der vorgefassten Formensprache zu lösen und, «ausgehend vom Studium der vergangenen Architektur und den Bedürfnissen der aktuellen Gesellschaft, eine Forschung zu einer gegenwärtigen Architektur in der freien Interpretation von Formen und Proportionen» anzugehen.405 In den Jahren zwischen 1895 und 1907 war Moretti als Denkmalpfleger in der Lombardei tätig und arbeitete zusammen mit Boito an der Instandsetzung teilweise bedeutender lombardischer Monumente.406

Anders als Boito interessierte sich Moretti weniger für Theoriegebäude.407 Insgesamt setzte er sich für eine «grössere kreative Freiheit» im restauro ein und stand damit eher für eine stilistische Position. In dieser

398 Bellini 1988, S. 668.

399 Annoni 1946, S. 12–13.

400 Ebd., S. 14.

401 Boito 1893. Zur Position Boitos in der Theorie der Denkmalpflege siehe Choay 1997, S. 122–123.

402 Choay 1997, S. 122.

403 Ebd., S. 123.

404 Zu Moretti als Architekt und Professor siehe Rinaldi 1988, S. 613.

405 Ebd., S. 614

406 Ebd., S. 616.

407 Bellini 1988, S. 673. 87

Hinsicht war Ambrogio Annonis Ablehnung von Regelwerken zweifellos von Morrettis Haltung geprägt.408 Moretti war Annonis Lehrer, Mitarbeiter und späterer Schwiegervater.409 Annoni hat sein Konzept des restauro in Scienza ed arte del restauro architettonico zusammengefasst, einem schmalen, italienisch- englischen Buch, das von seinem Schüler Carlo Perogalli (*1921) herausgegeben wurde und unmittelbar nach Kriegsende 1946 erschien.410

Ambrogio Annoni bemühte sich um eine Revision der bestehenden Theorien zum restauro. Bezugnehmend auf das stilistische und philologische Prinzip entwickelte er eine dritte Methode, in der er beide Grundsätze zusammenzuführen versuchte: das freie Prinzip der Interpretation und Erfindung mit der systematischen (und daher von ihm als wissenschaftlich bezeichneten) Regel der Analyse und Vermessung.

Für Annoni waren beide Prinzipien getrennt voneinander angewendet problematisch, weil sie zu historischen Verfälschungen führen können. Hinsichtlich des ersten Prinzips, der «ricomposizione stilistica», ging er mit Boito einig, wonach das Bestreben, ein Bauwerk in einen stilistisch reinen Zustand zu versetzen, oftmals Verfälschungen und Zerstörungen verursache und die Wahl des Stils sowie die entsprechende Restaurierung letztendlich von der Willkür und Vorliebe der Restauratoren abhängig sei.411 Problematisch sei jedoch ebenso das andere Prinzip der «ricostruzione storica», dessen Grundsätze auf einer archäologischen und damit für Annoni auf einer bloss vermeintlich wissenschaftlichen Recherche beruhen. Die Gefahr bestehe darin, dass die im Vorfeld der Restaurierung gesammelten Daten, wie Pläne und Dokumente, nicht dem authentischen ursprünglichen Zustand des Bauwerks entsprechen könnten.412 Die mögliche Verfälschung sei daher umso gravierender, weil sie vorgebe, auf historisch gesicherten Fakten zu beruhen.413 Die potentielle Geschichtsverfälschung der historischen Restaurierung bewertete Annoni sogar schwerwiegender als die ästhetische Verfälschung des stilistischen restauro.414 Annonis Ansatz einer zeitgemässen Theorie der Restaurierung lag deshalb in der Synthese des stilistischen und philologischen Prinzips.

Per restauro non si intenderà più nè ricomposizione stilistica, nè ricostruzione storica; ma conservazione, sistemazione, avvaloramento del edificio.415

Wie bereits Boito bewertete auch Annoni den Gebrauchswert und damit den Gegenwartswert eines Gebäudes höher als dessen historischen Wert. Dieser Vorrang äusserte sich etwa in der Unterscheidung zwischen «edifici morti» und «edifici vivi».416 Während sogenannte tote Bauten, wie die Ruinen von Rom, Ostia, Pompeji oder Herculaneum lediglich vor dem Verfall bewahrt werden sollten und bauliche Erweiterungen

408 Ebd., S. 673.

409 Bellini, http://www.cisui.unibo.it/annali/12/testi/10Bellini_frameset.htm (abgerufen am 7. März 2014.)

410 Annoni 1946.

411 Ebd., S. 13.

412 Ebd., S. 14.

413 Ebd.

414 Ebd.

415 Ebd.

416 Ebd., S. 15–20. 88 oder Veränderungen nur im Einzelfall erlaubt seien,417 müsse man mit «lebendigen» Häusern anders verfahren. Hier seien grössere Veränderungen möglich. Noch im Gebrauch befindliche Häuser wie «Kirchen, Basiliken, Abteien, Klöster [und] Palazzi […]» dürften an die Erfordernisse der Zeit angepasst werden. Hier sei sogar eine «libera intonazione»418 möglich, die jedoch auf Basis rationalen Abwägens erfolgen müsse.

Da es bei solchen baulichen Eingriffe kein rigides Regelwerk geben könne, plädiert Annoni für ein Vorgehen «caso per caso»:

[…] ed ogni buon restauro […] se determina particolarmente da sè. È quella teoria del «caso per caso», che è eminentemente realizzatrice, ma che richiede un complesso e delicato senso di studio, di gusto, di sincerità, e di equilibrio: in una sola parola: di armonia.419

Was die Darstellung dieser drei Positionen zum restauro nahelegt, bestätigt auch der Architekturhistoriker Amadeo Bellini, wenn er konstatiert, dass es es immer eine grosse Diskrepanz zwischen der Theorie und der tatsächlichen Praxis im restauro gegeben habe.420 Oftmals seien aus Mangel brauchbarer Hinweise «historische Hypothesen» gebaut worden.

Unterricht am Politecnico di Milano Zu einer solchen Praxis hat auch massgeblich die Ausbildung am Mailänder Polytechnikum beigetragen. Der Unterricht unter der Leitung Gaetano Morettis glich trotz der unterschiedlichen Auffassungen in den Grundzügen bis Ende der zwanziger Jahre demjenigen unter Camillo Boito. Nach einem zweijährigen Vorbereitungskurs «eigneten sich die Studenten die Elemente der architektonischen Sprache an, indem sie Studien, Vermessungen und grafische Zeichnungen sowohl der klassischen Stile wie auch der mittelalterlichen Monumente und solchen der Renaissance anfertigten.»421 Im anschliessenden dreijährigen Vertiefungskurs der Scuola speciale per architetti civili wurden die architektonischen Stile systematisch vertieft: Die griechische und römische Antike im ersten Jahr, Renaissance, Risorgimento und Barock sowie «studi sui restauri architettonici» im zweiten und schliesslich im dritten Jahr neben Studien zum restauro auch «esercitazioni sulle principali architetture del Medio Evo […]». Dieser Ausbildungsverlauf änderte sich später nur geringfügig. Das Studium der historischen Stile im zweiten und dritten Jahr wurde zugunsten einer generelleren Untersuchung der «traditionellen Architektur» aufgegeben.422 Hinzu kamen technische, konstruktive und organisatorische Lehrinhalte.423

417 Ebd., S. 17.

418 Ebd., S. 19.

419 Ebd., S. 19–20.

420 Bellini 1988, S. 667.

421 Rinaldi 1988, S. 618.

422 Ebd., S. 620.

423 Die Struktur der Architekturausbildung ist in den Annuari des Mailänder Polytechnikums aufgeführt. Für Caccia Dominioni sind folgende Annuari relevant: Annuario anni accademici 1930–1931, 1931–1932, 1932, bis Annuario anno accademico 1936–1937, 1937. 89

Neben Moretti lehrte Piero Portaluppi als weiterer Professor am Politechnikum.424 Sein Interesse für theoretische Fragen des restauro war gering, das zeigt sich an seinen zahlreichen Projekten in diesem Bereich, wo er die Grenzen des restauro auslotete.425 Sein spezifischer Umgang mit Geschichte bei Renovationsprojekten oder bei Wiederaufbauten nach dem Krieg macht deutlich, dass Caccias Dominionis Verständnis des restauro weitgehend mit Portaluppis Haltung übereinstimmt. Wie der Architekturhistoriker Guido Zucchoni ausführt, betrieb Portaluppi beim Wiederaufbau der Casa degli Atellani (1919–1952) einen «esercizio di stile», indem der Architekt es wagte, verschiedene Sprachen an unterschiedlichen Teilen des Hauses anzuwenden.426 Zucconi nennt Portaluppis Bauten «Montagen»,427 mit denen Portaluppi beabsichtigt habe, die durch den Krieg geschlagenen Löcher im historischen Bestand wieder «zuzunähen».428

Als Caccia in den dreissiger Jahren am Polytechnikum studierte, wurde in Morettis wie in Portaluppis Entwurfskursen die praktische Anwendung verschiedener historischer Formensprachen unterrichtet, die das genaue Studium der vergangenen Stile durch architektonische Aufnahmen und Entwürfe mit sich brachte. Morettis eigene eklektizistisch geprägte Architektur sowie die Schwerpunkte der Lehre dieser Zeit vermittelten den Studenten einen Katalog historischer Formen – ein «moderner Stil» fehlte darin.

Ambrogio Annoni war über vierzig Jahre, von 1909 bis 1952, als Assistent, ausserordentlicher und ordentlicher Professor an der Architekturfakultät des Politecnico tätig. In den Jahren zwischen 1931 und 1936, als Caccia Architekturstudent war, unterrichtete Annoni «Organismi e forme dell’architettura», Kunst- und Architekturgeschichte sowie Vermessung. Zudem wirkte er bis zu Morettis Pensionierung im Jahr 1934 an dessen Kurs «Architettura e composizione» mit.429 Laut der Architekturhistorikerin Carolina di Biase war Annoni zwischen 1932 und 1936 an insgesamt 57 Lektionen pro Woche aktiv beteiligt.430 Seine starke Präsenz macht verständlich, weshalb das restauro, das Studium vergangener Stile und deren Integration in den Entwurf am Politecnico eine solches Gewicht erlangten und so nachhaltige Auswirkungen zeigtigten.

Mit Blick auf die wenigen erhaltenen Unterrichtstafeln wird ersichtlich, dass Annoni nur selten Übungen durchführte, in denen die Studenten das «Einfügen eines ‘modernen’ Elements in einem alten Bauwerk»431 übten, viel öfter mussten sie bei den zu restaurierenden Gebäuden die «mutmassliche formale Einheit»432 wiederherstellen, indem sie beispielsweise später hinzugefügte Elemente, die nicht dem originalen Stil des Bauwerks entsprachen, entfernten. In der Publikation Organismi e forme dell’architettura, die Annonis Assistenten 1952 herausgaben, ist eine Liste von 643 Studentenarbeiten publiziert, die im gleichnamigen

424 Recherchen in Portaluppis Archiv haben keine Unterrichtsmaterialien zutage gebracht.

425 Zucconi 2003, S. 271.

426 Ebd.

427 Ebd., S. 272.

428 Ebd., S. 275.

429 Di Biase 1988, S. 700.

430 Ebd.

431 Ebd., S. 702.

432 Ebd., S. 703. 90

Kurs zur Untersuchung architektonischer Prinzipien angefertigt wurden.433 Moderne Themen und Werke bildeten dabei die Ausnahme. Zu ihnen gehörten gerade einmal derer vier: die Bauten des amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright,434 die Art Nouveau in Belgien,435 die englische Bewegung436 sowie die Mailänder Architektur des 19. Jahrhunderts.437

Annonis Bewertung von Baudenkmälern beeinflusste die Entwurfsarbeit ganzer Generationen von Architekten nachhaltig. Diese Einschätzung bestätigt Ernesto Nathan Rogers in seinem Nachruf den Kollegen und vormaligen Lehrer in Casabella-Continuità im Frühsommer 1954.438 Rogers unterstreicht Annonis Leistungen auf dem Gebiet des restauro und im Fach «Caratteri stilistici e costruttivi dei monumenti». In besonderem Mass habe Annoni seinen Studenten die Methode des «caso per caso» vermittelt, wonach jedes Bauwerk in seinen Besonderheiten erfasst werden solle, bevor es durch Restaurierungsarbeiten erneuert und damit unwiderruflich verändert werde.439 Dieser Denkansatz sei nicht nur für den restauro gültig, sondern habe sich auf die gesamte Kunstpraxis ausgeweitet.440

Fazit Was in den Lehren von Moretti und Annoni sowie im Nachruf von Rogers offensichtlich wird, ist die Verflochtenheit zwischen Entwurf und Restaurierungstheorien. In Morettis Entwurfskursen am Mailänder Polytechnikum wurde systematisch die praktische Anwendung verschiedener historischer Formensprachen unterrichtet, die sich die Studenten durch architektonische Aufnahmen und Entwürfe genauestens aneignen mussten. Umgekehrt schloss Annoni in seiner Theorie des restauro die Kreativität und Einbildungskraft des Entwerfenden mit ein. So gesehen waren die Grenzen für die Architekturstudenten zwischen freiem Entwurf und stilistischem restauro fliessend.

Warum Agnoldomenico Pica – der 1931 sein Architekturstudium am Poltecnico abgeschlossen hatte – Caccia Dominionis Neubau an der Piazza Sant’Ambrogio als restauro bezeichnete, lässt sich vielleicht folgendermassen in seinem Sinn erklären: Caccia hat das robuste Quadermauerwerk an der langen Platzfassade des Bauwerks «entfernt», weil es als nicht mehr angemessen schien. «Dahinter» ist eine Fassade

433 Annoni 1952.

434 Ebd., S. 8. und 44.

435 Ebd., S. 18.

436 Vermutlich ist mit «il movimento inglese» die englische Arts-and-Crafts-Bewegung gemeint. Ebd., S. 30.

437 Ebd., S. 33.

438 Rogers 1954, S. iv.

439 Auch Giorgio Grassi (*1935) hebt die Bedeutung des Konzepts «caso per caso» hervor: «Zu bemerken ist vor allem, dass Ambrogio Annoni die letzte bedeutende Persönlichkeit war, die sich vollumfänglich der Frage der Erhaltung und Restaurierung des baukünstlerischen Erbes gewidmet hat. Inmitten der Slogans und Gemeinplätze stellt seine Theorie des ‘von Fall zu Fall’ immer noch einen grundlegenden Bezugspunkt dar». Grassi 1979.

440 Sowohl in Interviews mit der Autorin benutzte der Architekt Luigi Caccia Dominioni die Wendung «caso per caso» um den Einzelfall oder die spezifische Lösung im Projekt zu unterstreichen. Darauf angesprochen verneinte er ein detaillierteres Wissen über die Hintergründe des «caso per caso». Gespräch mit Luigi Caccia Dominioni, 4. August 2003, Celerina. 91

«zum Vorschein» gekommen, welche die angestrebte formale Einheit zwischen Architektur, Geschichte der Bewohner und der Stadt viel besser artikulieren konnte.

3.3.3.6. Fazit

Der Abriss und der Neubau des Palazzo an der Piazza Sant’Ambrogio demonstriert die Selbstsicherheit der Familie Caccia Dominioni gegenüber staatlichen Auflagen und denkmalpflegerischen Instanzen. Es muss davon ausgegangen werden, dass sie aus finanziellen Überlegungen ein erhebliches Interesse an der Demolierung und Wiedererrichtung ihres Stadthauses hatten. Darüber hinaus wusste Luigi Caccia Dominioni aufgrund seiner Ausbildung am Mailänder Polytechnikum, was ein «richtiger» restauro ist.

Der Vergleich von Alt- und Neubau zeigt wesentliche Veränderungen auf. Der Wehrcharakter des alten Palazzo wurde völlig abgelegt. Anders als der Altbau, wo keine Unterscheidung zwischen Platz und Strasse existierte, wird beim Neubau die Platzfassade zur Hauptfassade aufgewertet und die kurze Strassenfassade zur sekundären Seite degradiert. Eine Folge dieser Neuinterpretation der stadträumlichen Situation ist die Zerlegung des Baukörpers in einzelne Flächen und Scheiben.

In der Strategie einer «Zergliederung» und «Verflachung» der Fassadenarchitektur erfahren die einzelnen Teile eine Verselbstständigung. Die Platzfassade und die Strassenfassade können, einem Vexierbild ähnlich, in Kontinuität mit den jeweils angrenzenden Häusern und in gewisser Weise autonom gelesen werden oder als Bestandteile derselben Gebäudeecke. Dadurch stellt sich keine «instantan-ganzheitliche Erfassung der Fassade [ein], sondern nur sukzessive Übergänge»441 der Ansichten. Dies entspringt einer eklektizistischen Haltung, die laufend auf Vergangenes und Gegenwärtiges rekurriert, diese aber nicht zu einer neuen Einheit verschmilzt, sondern die einzelnen Teile als sichtbare Stücke belässt. Eine solche Komposition erklärt sich zum einen aus der familiär-gesellschaftlichen Situation in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als nicht zuletzt das Bedürfnis und der Druck enorm gewesen sein muss, sich – entgegen der bisherigen Abschottung gegenüber dem sozialen Umfeld der Stadt – zugunsten einer Öffnung nach aussen neu zu organisieren. Zum anderen ist die Komposition als Folge der Architekturausbildung zu betrachten, die Luigi Caccia Dominioni am Polytechnikum in Mailand durchlief, wo eine grundsätzliche und wertfreie Verfügbarkeit historischer Stile vermittelt wurde. Voraussetzung für einen dergestaltigen Fassadenaufbau ist eine Skelettbaukonstruktion, denn nur diese Bauweise erlaubt den Zusammenhang von Verschiedenem im Nebeneinander.

Mit dem Neubau an der Piazza Sant’Ambrogio wurde «authentische Geschichte» in Gestalt des alten Familienpalasts abgerissen, um einer anderen Form von Geschichte Raum zu geben. Diese neue, subjektiv geprägte und komponierte «Geschichte» dient der Konstruktion der eigenen Identität. Was in der neuen und spezifischeren Ausgestaltung der Fassaden zum Ausdruck kommt, ist eine Umwertung: die Identität der Besitzer, ihre Teilnahme am öffentlichen Leben, aber auch ihre weit zurückreichende Geschichte und ihr Anspruch auf einen hohen Rang innerhalb der Gesellschaft sollen erkennbar sein.

441 Welsch 1988, S. 124. 92

3.3.4. Umbau und Einrichtung des Palazzo Zucchi, 1961–1962

Als das Ehepaar Giordano Zucchi (*1928) und Anna Maria Zucchi (*1930) um 1960 in Mailand auf der Suche nach einer neuen Wohnung war, fiel ihr Augenmerk auf einen Strassenblock im Stadtzentrum. An der Kreuzung zwischen Via Cappuccio und Via Santa Valeria standen mehrere Wohnungen in herrschaftlichen Häusern zum Verkauf. Laut den Akten des Ufficio Agibilità war die Società Immobiliare di Porta Vercellina Besitzerin des gesamten Komplexes.442 Als Verantwortlicher für die Rekonstruktionsarbeiten hatte der Ingenieur Steno Majnoni d’Intignano gezeichnet.443 Gemäss ihrer eigenen Aussage hatte Anna Maria Zucchi zunächst eine Wohnung im Inneren des Strassenblocks mit Aussicht auf einen begrünten Hof bevorzugt.444 Für die Wohnung an der Via Cappuccio hätte es wenige Interessenten gegeben. Auch die Zucchi konnten sich erst, nachdem Luigi Caccia Dominioni vehement darauf insistiert hatte, zum Kauf der Wohnung an der engen und wenig belichteten Strasse durchringen. Der Entscheid, Caccia als Architekten zu beauftragen, war vor dem Kauf des Stadthauses gefallen. Caccia wollte nur dann für das Ehepaar bauen, wenn sie sich seiner Wahl anschliessen würden.445 Die Räumlichkeiten der künftigen Wohnung waren von einer Buchdruckerei gewerblich genutzt worden und in einem schlechten baulichen Zustand.

Anna Maria Zucchi kannte Caccias Arbeiten aus der Fachzeitschrift Domus.446 Caccia galt in den sechziger Jahren in Mailand bereits als renommierter Architekt und Experte für Wohnungen und Wohnungseinrichtungen der gesellschaftlichen Elite. Vermutlich begegneten sich Bauherrin und Architekt über Anna Maria Zucchis Vater Virgilio Dagnino.447 Seit den sechziger Jahren besass Dagnino eine Villa in der Pineta di Arenzano, einer Ferienanlage mit Villen, die Caccia gemeinsam mit Ignazio Gardella, Vico Magistretti und Gio Ponti in den fünfziger Jahren für sich und Gleichgesinnte hatte errichten lassen.448

Die Auftraggeber Der grosse finanzielle Wohlstand der Zucchi war dem beachtlichen Erfolg der gleichnamigen Textilfirma geschuldet.449 Giordano Zucchi war der zweitjüngste Sohn des Firmengründers Vicenzo Zucchi (1892– 1957), der 1920 in Mailand einen Betrieb zur Verarbeitung von Leinen eröffnet hatte. 1946, im Alter von

442 UAM: Via Cappuccio 21, 17. November 1960.

443 In den Planakten ist nur Steno Majnoni d’Intignano Unterschrift zu finden. Seine Lebensdaten konnten nicht ermittelt werden. Caccia als Architekt des Umbaus ist in den Akten nicht erwähnt. UAM: Via Cappuccio 21, 17. November 1960.

444 Gespräch mit Anna Maria Zucchi, 3. Dezember 2009, Mailand.

445 Laut der Aussage von Anna Maria Zucchi hatte Caccia die Familie vor die Wahl gestellt, er werde nur dann mit ihnen planen, wenn sie sich für seine Präferenz entscheiden würden. Ebd.

446 Ebd.

447 Virgilio Dagnino (1906–1997) war Politiker, Journalist, Industrieller, Ökonom, Pataphysiker, Partisan in der antifaschistischen Bewegung. Nach dem Krieg wurde er in den Vorstand zahlreicher Unternehmungen gewählt, darunter der UNRRA, Banca popolare di Milano. Er pflegte freundschaftliche Beziehungen zu Künstlern wie Enrico Baj, Roberto Crippa, Raymond Queneau und nicht zuletzt Lucio Fontana. Dagninos Archiv (Fondo Virgilio Dagnino) befindet sich im Archivio storico civico der Stadt Mailand. Locatelli/Pozzi, http:// www.lombardiabeniculturali.it/archivi/soggetti-produttori/persona/MIDC000A2A/ (abgerufen am 4. März 2014).

448 Franzone/Patrone 2010.

449 Zur Firmengeschichte des nach wie vor produzierenden Textilunternehmens siehe Negri/Rebora 2002, S. 181. 93

18 Jahren übernahm Giordano das auf dreihundert Mitarbeiter angewachsene Familienunternehmen. Unter seiner Leitung und der seines jüngsten Bruders Manlio Zucchi entwickelte sich die Firma zu einem Imperium im Bereich der Textilindustrie in Italien, spezialisiert auf Frottierstoffe und Bettbezüge. Mit Anna Maria Dagnino heiratete Giordano Zucchi in eine Familie ein, die wie die seine der gehobenen Mittelschicht angehörte. Den Biografien des Ehepaars Zucchi ist gemein, dass die Vätergeneration einer Arbeiterfamilie entstammte und ihren hohen gesellschaftlichen Rang durch unternehmerische und intellektuelle Leistung erworben hatte.

Sozialer Aufstieg Der Kauf des alten Palazzo an der Via Cappuccino 21 bedeutete für die Zucchi die Ankunft im erlesenen Kreis des Mailänder Grossbürgertums. Gerade der Erwerb eines zwar historisch wertvollen, aber hinsichtlich des Komforts unbequemen Stadtpalasts erscheint als eine «Distinktionspraktik»450 par excellence. Bei diesem Entscheid überwog die symbolische Aneignung eines teuren Liebhaberobjekts gegenüber dessen praktischem Nutzen. Vorraussetzung für eine solche Aneignung ist ein erlesenes «Distinktionsvermögen»451 der Besitzer, welche die Fähigkeit besassen, die auch immatriell-kulturellen Qualitäten des historischen Bauwerks zu schätzen. Mit dem Erwerb der herrschaftlichen Wohnung im Stadthaus demonstrierten die Zucchi folglich ihre «Vornehmheit», «Bildung»452 und Zugehörigkeit zur Elite. Ähnlich verhält es sich mit der Beauftragung des Architekten Luigi Caccia Dominioni. Als Aristokrat war Caccia Teil dieser Elite und kannte die Gepflogenheiten des gehobenen Lebens aus eigener Erfahrung. Anna Maria Zucchi war Caccias gesellschaftlicher Hintergrund wichtig. Er sei nicht nur ein Aristokrat, sondern auch der «Schlüsselhalter» der Kirche von Sant’Ambrogio und gehöre damit zur auserwählten nobilità nera.453 Mit der Wahl Caccias vertraute das Ehepaar die Konzeption ihres privaten Lebens einem Insider an, der dafür sorgen sollte, dass die Wohnung und die Innenausstattung dem neuen Rang der Arrivierten entsprechen würden.454

Umbau Der Gebäudeflügel, in dem sich noch heute die rund 400 Quadratmeter grosse Wohnung befindet, liegt zwischen der engen Via Cappuccio und einem kleinen Innenhof. Die Grundrissdisposition, deren ursprüngliche Struktur von Caccia nur geringfügig verändert wurde, ist einfach. Die repräsentativen, für die Öffentlichkeit bestimmten Räume sind an den Strassenfassaden aufgereiht und orientieren sich zur Stadt (Abb. 247–252). Am Innenhof gruppieren sich die Schlafzimmer der Eltern und Kinder sowie der Dienstbotenbereich (Abb. 253–255). Sämtliche Räume entlang der Fassaden zur Strasse, rund die Hälfte der Wohnfläche (200 Quadratmeter), dienen der Repräsentation (Abb. 242–243): die Eingangshalle oder atrio, die Wohnhalle, das Studio und der Speisesaal. Die Räume wurden sorgfältig im klassizistischen Stil

450 Bourdieu 1982, S. 438.

451 Ebd., S. 440.

452 Ebd., S. 441.

453 Gespräch mit Anna Maria Zucchi, 3. Dezember 2009, Mailand. nobilità nera und aristocrazia nera gelten als stehende Begriffe für die katholische Aristokratie.

454 Der Umzug brachte laut Zucchi viele Veränderungen des alltäglichen Lebens mit sich. Sie benötigte mehr Personal, musste auf die richtige «Etikette» achten, das Leben sei insgesamt «mondäner» geworden. Ebd. 94 restauriert. Farbige Terrazzoböden, weiss gekalkte Wände mit umlaufenden Deckenfriesen sowie grau gestrichene, gestemmte Türblätter mit aufgesetztem Türstock im Bereich der Enfiladen sind durchgehende Charakteristika. Caccia beschränkte sich massgeblich auf die Restaurierung der vorhandenen Gebäudestruktur. Einzig mit den innenliegenden Fenstern im Atrium und in der Wohnhalle griff er in die Substanz ein. Die sonstigen baulichen Massnahmen betreffen vor allem die Anpassung der privaten Räume, der Badezimmer und der Küche. Im Bereich der Schlafzimmer zog Caccia ein Mezzaningeschoss ein, um mehr Fläche zu gewinnen.

Im Grundriss dominiert die scharfe Trennung in einen öffentlichen und privaten Bereich. Eine Mittelwand teilt den gesamten Gebäudeflügel in zwei gleich grosse Lebensbereiche. Durchdringungen beider Sphären gibt es nur wenige: Vom Atrium und der Wohnhalle führen Tapetentüren in die Privaträume. Umgekehrt öffnen sich innere Fenster vom Mezzaningeschoss der Schlafzimmer in die Wohnhalle und das Atrium. Sie sind als kleine Balkone ausgebildet, deren steinerne Kragplatte und Staketengeländer im Grundriss die Form sich überschneidender Ovale haben (Abb. 244–245). Die Balkone verstärken und inszenieren die räumliche Trennung, sie provozieren surreale und theatralische Effekte: Der Austritt und die Aussicht aus dem intimen Bereich des Privaten verschafft Einblicke in die Sphäre des Öffentlichen. Das barockanmutende Spiel mit dem Innen und Aussen wird durch die strenge, gleichwohl ebenfalls barocke Enfilade der repräsentativen Wohnräume konterkariert, wie sich überhaupt der Eindruck eines historischen Interieurs denn auch beim genauen Hinsehen verflüchtigt. Die scharfen und einfachen Profile der Kragplatte und der Gewände der inneren Fenster zeigen dem Eingeweihten, dass es sich nicht um echte Historie handelt, sondern um inszenierte Geschichte.

Ausstattung Der Grossteil der repräsentativen Innenausstattung wurde in Ermangelung eines ererbten Hausstands käuflich erworben. Caccia brachte Anna Maria Zucchi zu einem Antiquitätenhändler namens Da Galli ausserhalb von Mailand und beriet sie beim Kauf einer adäquaten Einrichtung. Gemäss ihrer Aussage stammten die dort erstandenen Gemälde und Möbel aus dem berühmten Castello di Donnafugata auf Sizilien.455 Die Zucchi übernahmen damit einen Teil der Kunstsammlung einer untergegangenen adeligen Dynastie und nobilitierten sich damit selbst.

Fazit Durch den Kauf sowie die Instandsetzung eines alten Palazzo zum Stadthaus des Ehepaars Zucchi und die Einrichtung einer repräsentativen Wohnung mit einem antiquarisch erworbenen Hausrat wurde eine neue historische Vergangenheit der Familie rekonstruiert, die deren neu erlangtem Stand in der Gesellschaft besser entsprach.

455 Das Castello di Donnafugata wurde in seiner heutigen Form in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts von Baron Corrado Arezzo de Spuches di Donnafugata (1824–1895) erbaut und hat Giuseppe Tomasi di Lampedusa (1896– 1957) zu dem gleichnamigen Schauplatz in seinem Roman Il Gattopardo (1958) inspiriert. Anna Maria Zucchi zufolge hatte die teilweise Zerstörung des Schlosses durch ein Erdbeben dazu geführt, dass Teile der Innenausstattung versteigert wurden. Es sei Caccias Aufmerksamkeit zu verdanken, dass die Gemälde entdeckt worden seien. Sie hätte die Leinwände zusammengerollt und unbeachtet in einer Ecke des Raumes gefunden. «Wir hatten Glück!» Ebd. 95

Die Ausstattung der Repräsentationsräume besteht nahezu ausschliesslich aus antiken Möbeln. Der Eindruck, dass die Restaurierung und Einrichtung des Hauses in den sechziger Jahren stattfanden, wurde sorgsam unterdrückt. Die einzige «moderne» Ausnahme ist ein Glastisch mit Chromstahlbeinen von Azucena in der Wohnhalle. Die Möblierung konzentriert sich jeweils in der Raummitte, darum herum ist alles übrige Mobiliar arrangiert und bildet einschliesslich der Gemälde an den Wänden symmetrische Kompositionen. Die Repräsentationsräume werden über eine Enfilade entlang der Fassade erschlossen, sodass sich deren Hauptbereiche vom Bewegungsfluss befreit in der Gebäudetiefe öffnen. Dem Besucher offenbart sich beim Durchschreiten vom Atrium bis in den Speisesaal eine Folge von Innenraumszenen aus einer vergangenen Epoche. Das wenige Licht, das über die enge Strasse einfällt, taucht die hohen Räume in beständige dämmerige Atmosphäre und erhöht den «Alterswert» des Interieurs. Damit findet die Selbstinszenierung der Zucchi als alteingesessene Familie mit weit zurückreichender Geschichte im Raum des «privaten Museums» zu seiner Vollendung.

3.4. Fazit: Rekonstruktion

Die Ausstellung Oggetti per la casa auf der VIII. Triennale di Milano 1947 und Luigi Caccia Dominionis Wohnung an der Via De Amicis, die er nach dem Krieg bezog, demonstrieren die herausragende Bedeutung, die Caccia den alltäglichen Dinge für das Wohnen beimisst. Besonders augenfällig wird dies an der Schau für die Triennale, wenn Caccia darauf verzichtet, Schönes von Notwendigem zu trennen. Eine Grenzziehung zwischen Nützlichem und Schönem ist aus seiner Perspektive unverständlich. Denn auch Schönheit erfüllt für ihn einen Zweck.

Die vor der Zerstörung geretteten oder verschonten Objekte – seien es Gegenstände oder auch Bauten – erfuhren als Fragmente und Überbleibsel einer vergangenen Zeit in der schwierigen Situation der Nachkriegszeit eine Wertsteigerung. Die Dinge des Alltags besassen Symbolcharakter und verwiesen auf die ihnen inhärente Geschichte. Man kann behaupten, dass ihr Symbolwert ihren eigentlichen Gebrauchswert überstieg. Das in der Zwischenkriegszeit propagierte Raumkonzept «Moderno e antico» erlangte unmittelbar nach 1945 auch eine politische Dimension. Die erhaltenen Objekte sorgten für Selbstvergewisserung und Kontinuität in einem Moment der Zäsur und des politischen Umbruchs.

Der hohe Symbolwert der Dinge für das Wohnen war auch für die Einrichtung der Wohnung der Familie Zucchi bestimmend. Neben dem historischen Stadthaus an der Via Cappuccio vermittelt das Interieur mit dem antiquarisch erworbenen Mobiliar eine weit zurückreichende und «noble» Vergangenheit, die dem in den sechziger Jahren erworbenen neuen gesellschaftlichen Status besser entsprechen sollte. Anders formuliert, repräsentieren für Caccia die oggetti Geschichte und Geschichten im Raum.

Darüber hinaus ist die künstlerische Praxis, Dinge auszuwählen, in einen anderen Raum zu transferieren und neu anzuordnen, ein wichtiger Hinweis auf den eklektizistischen entwerferischen Ansatz Caccias. Dieses gestalterische Verfahren ist sicherlich auch der enormen Bedeutung des Museumsbaus der Nachkriegszeit geschuldet (siehe Kapitel 3.5.)

Auch im grösseren Massstab der Architektur lässt sich eine vergleichbare Herangehensweise feststellen. 96

Beim Neubau des Familienpalasts der Caccia Dominioni an der Piazza Sant’Ambrogio hat Caccia mit einer Vielzahl von Bezügen, Zitaten und Anspielungen in der Fassade einen neuen, mit Geschichte und in Geschichten verwobenen Bau geschaffen. Stilistische Anleihen, Anverwandlungen und architektonische Zitate gehören zu diesem entwerferischen Prinzip. Der Architekt wählt die «Materialien» der Geschichte und verbindet die Geschichtslagen zu einer neuen Ordnung und damit zu einem neuen Sinnzusammenhang. Wiederum geht es um Repräsentation von Geschichte im Raum.

Die neue Vergangenheit dient dem Architekten und dem Bauherrn dazu, die eigene oder fremde Identität zu erfinden. Die alteingesessenen, adeligen Caccia Dominioni beabsichtigten, ihr Selbstbild zu «modernisieren», ohne dabei den Bezug zur Vergangenheit zu verlieren. Die arrivierte Unternehmerfamilie Zucchi war bestrebt, eine Geschichte herzustellen, die dem jetzigen gesellschaftlichen Stand und Ansehen angemessen wäre.

3.5. Das Museum als Wohnhaus

Dieses exkursartige Kapitel zu neuen Ausstellungskonzepten im Museumsbausoll zeigen, von welcher Aktualität der Topos des Museums in der Nachkriegszeit war und welche ausgeprägte Parallelen zum Wohnungsbau der gesellschaftlichen Elite bestanden. Ausstellen im Interieur, der Wohnraum als privates Museum sowie das breite Interesse der Mailänder Architekten für Geschichte und historische Artefakte waren die Themen, die Museumsbau und Wohnungsbau verbanden.

3.5.1. Neue Ausstellungskonzepte: «museo abitabile», museo attivo», «museo vivente»

Die Forderung nach neuen Ausstellungskonzepten und damit der Wunsch nach einem neuen Museumstypus wurde erstmals 1949 mit Giulio Carlo Argans (1909–1992) Aufsatz «Il Museo come scuola» laut.456 Darin postuliert er, dass Kunstwerke Erfahrungen auslösten, welche die Kraft besässen, «die Tätigkeiten des alltäglichen Lebens in einer Zeit und an einem definierten Ort zu situieren».457 Das Studium der Kunst verschiedener historischer Epochen vermittle damit auch den «geschichtlichen Prozess menschlicher Erfahrung». Argans Überlegungen beruhten auf John Deweys (1859–1952) Art as Experience.458 Mit Dewey folgert Argan, dass «Kunst als Erfahrung» betrachtet werden müsse und dadurch zur «Bildung» beitrage.459 Darauf basierend zieht er das radikale Fazit: «Se arte è educazione, il museo deve essere scuola».460

Einige Jahre später, 1953, erschien in der Zeitschrift Comunità der Artikel «Il museo attivo» verfasst von Licisco Magagnato (1921–1987), Direktor des Museo Civico in Bassano del Grappa, Mitbegründer der Associazzione Nazionale dei Musei di Enti Locali e Istitutionli (ANMIL) und späterer Direktor der Museen und Gallerien in Verona. Argans Aufsatz klingt in Magagnatos Sätzen deutlich nach. Magagnato fordert, das

456 Argan 1949, S. 64–66.

457 Ebd., S. 65.

458 Dewey 1934.

459 Argan 1949, S. 65.

460 Ebd. 97

Museum dürfe nicht mehr ein «Mausoleum» für bedeutsame Werke sein, sondern müsse ein aktiver Ort der «Bildung und des Studiums, ein Zentrum für das Aufbewahren und das Restaurieren, ein touristisch effizientes und [gut] erschlossenes Monument» werden. 461

Vergleichbar argumentierte 1956 der Kunsthistoriker und Direkter des Castello Sforzesco, Costantino Baroni (1905–1956). Er prägte den Begriff des «museo abitabile»462 und befand, dass es an der Zeit sei, die «Kunstwerke in lebendigen Räumen wieder zum Leben zu erwecken».463 Eine Möglichkeit, das zu erreichen, sei, das «Museum als Wohnhaus» zu betrachten. Für Baroni benötigt das Kunstwerk nicht eine besondere Architektur der Inszenierung, sondern soll in alltäglichen Räumen ausgestellt und betrachtet werden können.

[…] l’ambiente di tutti i giorni dove il capolavoro non ha più bisogno di ammantarsi della misteriosa venerabilità di sedi antiche e cariche di storia e di colore […].464

Die Idee des «museo abitabile» wie des «museo attivo» gemein war die Absicht der «Wiederbelebung» des Museums als soziale Institution und dessen Konzeption als Bildungsstätte in Interaktion mit dem Alltag der Menschen. Beide Konzepte müssen in Zusammenhang mit der Idee des «museo vivente» gesetzt werden. Das «museo vivente» basiert auf dem englischen «living museum» und entstammt der Konzeption des angesehenen deutschen Museumsdirektors Alexander Dorner.465 1958 verfasste der Kunsthistoriker Carlo Ludovico Ragghianti (1910–1987) ein gleichnamiger Aufsatz in der Zeitschrift selearte, worin er den Begriff, seine Bedeutung und Entwicklung im deutschen und amerikanischen Raum kritisch betrachtete. Anlass dafür hatte ihm das Erscheinen von Samuel Caumans Publikation The Living Museum. Experiences of an Art Historian and Museum Director. Alexander Dorner gegeben.466

«Museo vivente» (living Museum) è una locuzione […] non a tutti chiara nel suo effettivo significato […] «museo vivente» vuole esprimere non soltanto una determinazione museografica, ma questa come proiezione particolare di una concezione di vita, di cultura, di educazione.467

Ragghianti bedauert, dass sich das Museum immer mehr von aktuellen gesellschaftlichen und kulturellen Fragen entfernt habe und die Lücke zwischen Kunst und Wissenschaft dadurch zunehmend aufklaffe. «E l’abisso che separa arte e scienza nella nostra società si fa sempre più vasto».468 Dorners Verdienst besteht für Ragghianti darin, dass dieser die Kunstwerke nicht als Objekte betrachtete, die ausserhalb der Zeit stehen, sondern sie als Ausdruck der jeweiligen historischen Epoche erachtete.469 Sein hoher didaktischer

461 Licisco Magagnato, «Il museo attivo», in: Comunità, 7 (1953), Nr. 17, S. 56–62. Zit. n. Morello 1997, S. 408.

462 Fulvio Irace weist auf das Konzept des «museo abitabile» hin. Irace 2002, S. 396.

463 «far rivivere le opere d’arte in ambienti vivi». Costantino Baroni, «Interesse del Museo», in: Città di Milano 73 (1956), Nr. 3. Zit. n. ebd., S. 396.

464 Ebd., S. 396–397.

465 Der deutsche Kunsthistoriker Alexander Dorner (1893–1957) war ein einflussreicher Museumsdirektor, Hochschullehrer und Präsident der Kestner-Gesellschaft in Hannover. 1937 emigrierte er in die USA und wurde 1941 Direktor des Museums der Rhode Island School of Design.

466 Cauman 1958. Zwei Jahre später erschien die deutsche Übersetzung. Cauman1960.

467 Ragghianti 1958, S. 21.

468 Ebd., S. 23.

469 Ebd., S. 23–24. 98

Anspruch habe Dorner zu aussergewöhnlichen Inszenierungen motiviert: Er habe die Kunstwerke in ihrem eigenen historischen Kontext auszustellen versucht, weswegen er für jedes von ihnen eine spezifische Szenografie entwickeln habe lassen.470 Kunst ist gemäss Dorner auch eine «essentiell historisch- psychologische Erfahrung»,471 die für den Betrachter entsprechend aufbereitet werden muss. Ragghianti äussert sich zwar negativ über Dorners übertriebene und ablenkende Inszenierungen, da die zusätzlichen historisierenden Motive neben den eigentlichen Kunstwerken willkürlichen Charakter besässen.472 Doch dies änderte nichts an seiner Wertschätzung für Dorners bedeutende Leistung auf dem Gebiet der Museografie, denn es sei Dorner gelungen, dem Museum als öffentliche Institution neue Impulse zu verleihen.

All diesen neuen Ausstellungskonzepten gemein ist ein grosses Interesse an einer stärkeren Verbindung des Museums als Refugium für Wertvolles mit dem alltäglichen Leben. Museen sollten als Bildungsstätten, als Wohnhäuser oder als «lebende Museen» einen «einzigen kulturellen Komplex»473 bilden.

3.5.1.1. Umbau und Sanierung der Pinakothek der Biblioteca Ambrosiana, 1959 und 1966

Caccia wurde im Dezember 1959 beauftragt, einen Entwurf zur Erweiterung der Pinakothek der altehrwürdigen Mailänder Biblioteca Ambrosiana zu erstellen.474 Das Projekt wurde nicht realisiert, ist aber im Nachlass des Architekten in zwei Schnitten und einem Grundriss dokumentiert (Abb. 239–241).475 Erst viele Jahre später erhielt Caccia unter anderen Voraussetzungen nochmals den Auftrag zur Sanierung der Pinakothek, die er 1966 durchführte. 1959 bestand die Aufgabe darin, mehr Ausstellungsfläche für die Kunstwerke der Pinakothek zu schaffen. Wie Fulvio Irace aufzeigt, behandelte Caccia die Räume der Pinakothek in derselben Art, wie er bei Umbauten und Erweiterungen historischer Wohnhäuser vorging.476 Die hohen Säle erhalten Galerien mit feinen Geländern aus Eisenstaketen. Weitere Räume werden aus dem Dachgeschoss «ausgehoben». Sie sind mit einer mehrfach gewölbten Decke ausgezeichnet, wie Caccia sie analog in nahezu allen Dachausbauten privater Palazzi einziehen liess. Die Massnahmen waren Teil des architektonischen Repertoirs, das Caccia bei den Umbauten von Stadthäusern entwickelt hatte und nun auf das Museum übertrug. Dafür sprechen nicht zuletzt auch die Bewegungslinien auf der Grundrisszeichnung, welche die Wegführung der Besucher antizipieren und damit eine räumliche Dramaturgie festlegen.477

Dass Caccia den Umbau der Pinakothek auf dieselbe Art und Weise anging, wie die Transformationen der alten Stadthäuser Mailands, lag sicherlich an den wesentlichen Gemeinsamkeiten der Aufgabenstellungen.

470 Ebd., S. 26. Dorners Überlegungen basierten gemäss Ragghianti massgeblich auf der Kunsttheorie Alois Riegls, die er in den Bereich der Museografie zu übersetzen beabsichtigte.

471 Ebd., S. 28.

472 Ebd., S. 31.

473 Ebd.

474 Die folgenden Ausführungen basieren auf Irace 2002, S. 395.

475 Ebd., S. 394 und 408, Anm. 17.

476 Ebd., S. 395.

477 Ebd. 99

Es ging um den Eingriff in eine historische Gebäudesubstanz, mit dem Ziel, mehr Fläche zu gewinnen. Mit dieser Problematik war er dank seinen Erfahrungen im Umbau zahlreicher Palazzi vertraut. Gerade der grosse Mangel an Wohnraum in den Nachkriegsjahren hatte bei den Besitzern häufig zu dem Entschluss geführt, die Dachgeschosse auszubauen oder in die hohen Räume Galerien einzuziehen. Darüber hinaus besassen die Hauseigentümer häufig Kunstsammlungen, die es ebenfalls zu integrieren und arrangieren galt. Somit verstand sich Caccia auch darauf, Kunst auszustellen.

Caccias erster Entwurf für die Pinacoteca Ambrosiana von 1959, in dem er das Museum als «casa dell’arte»478 interpretiert, weist Berührungspunkte mit den neuen museografischen Konzepten der fünfziger Jahre auf. Nach Caccias Verständnis ist das Museum eine Institution, die heterogene Anliegen und Funktionen verknüpfen kann. Das Museum als Wohnhaus ist folglich nicht ausschliesslich ein Raum für die Kunst, sondern primär ein Raum des Menschen, worin auch Kunst ausgestellt wird. In dieser Unterscheidung offenbart sich eine Vorstellung, die der Kunst eine untergeordnete Bedeutung beimisst. Kunst ist zwar integraler Bestandteil einer Raumausstattung, nicht aber alleinige Protagonistin einer räumlichen Szenografie. Kunst wird damit weniger musealisiert und bleibt in die Geschehnisse des alltäglichen Lebens involviert. Dieses Konzept lässt sich schliesslich auch mit einem didaktischen Anspruch in Einklang bringen, der Kunst als Bildung und Forschungsgegenstand betrachtet.

Caccias 1966 realisierte Umbau- und Sanierungsarbeiten in der Pinacoteca Ambrosiana betrafen andere Räume, primär diejenigen im Erdgeschoss. Hinsichtlich der zurückhaltenden Inszenierungen der Kunstwerke sind allerdings durchaus Übereinstimmungen mit dem Projekt von 1959 zu entdecken. Deutlich wird dies etwa in Caccias Szenografie für das bedeutendste Kunstwerk der Pinakothek: den Karton für Raffaels berühmtes Fresko der Schule von Athen im Vatikan aus dem Jahr 1510. In der eigens dafür geschaffenen Sala di Raffaello herrscht das akademische Anliegen vor: Die riesige Zeichnung präsentiert sich dem Besucher noch heute in dieser «Aula»479 als wissenschaftliches Objekt zur Betrachtung und zur Diskussion. Dass sich die Architektur zur optimalen Rahmung des Gemäldes dem Werk «unterordnet»,480 ist für den Betrachter gut ersichtlich. Die Realisierung des Umbauprojekts war der Mäzenin Giulia Devoto Falck481 zu verdanken. Sie sorgte nicht nur für die nötigen finanziellen Ressourcen, sondern war auch zuständig für die Zusammenstellung der Fachleute. Mit Gian Alberto Dell’Acqua (1909–2004), Lamberto Vitali482 (1896– 1992) und Luigi Caccia Dominioni hatte sie drei bedeutende Personen vorgeschlagen, die zu der gesellschaftlichen und intellektuellen Elite Mailands zählten.483

478 Ebd. Der Ausdruck stammt von Irace, er kommt im Titel seine Aufsatzes vor sowie auf S. 397.

479 Ebd., S. 400.

480 Ebd., S. 401.

481 Zur Geschichte der Unternehmerfamilie Falck siehe Negri/Rebora 2002, S. 165–167.

482 Der Kunsthistoriker und Sammler Vitali Lamberto war Präsident der Associazione di Brera und Verfasser mehrerer kunstgeschichtlicher Monografien. Er war zwischen 1943 und 1945 zusammen mit Caccia im Internierungslager von Mürren. Irace 2002, S. 408, Anm. 12. Broggini 1993, S. 689.

483 Irace 2002, S. 391. 100

3.5.2. Das Wohnhaus als Museum

In den Privaträumen, die Caccia einrichtete, wurde nicht einfach gewohnt. – Mit der Ausstattung und dem Mobiliar wurde das Leben der Bewohner in aller Deutlichkeit in einer fein komponierten Ordnung arrangiert. Wertvolle Kunstobjekte und Dinge des Gebrauchs einschliesslich der Möbel wurden im Interieur zu einer Sammlung angeordnet und zur Schau gestellt. Als Angehörige der oberen Gesellschaftsschichten besassen die Bewohner stets Sammlungen von Artefakten. Zu den Exponaten gehörten neben Kunst – Malerei und Plastik – , vor allem Alltagsgegenstände wie Vasen, Gläser, Aschenbecher und Spiegel, aber auch sakrale Objekte wie Rosenkränze, Kreuze, Marienbilder und nicht zuletzt gerahmte Fotografien der Familie und Verwandten.

Bereits in den ersten Innenräumen, die Caccia nach Abschluss seines Studiums 1940 gestalten konnte, bildete die Frage des Ausstellens der häuslichen Gegenstände ein Kernthema. Beispielhaft dafür steht das in der Zeitschrift Stile publizierte Interieur, das Caccia für den Grafen S. in Mailand arrangierte (Abb. 23– 25).484 An der Rückwand des Schlafzimmers montierte er eine hölzerne Vorrichtung aus vertikalen Leisten, auf denen in regelmässigen Abständen Haken geschraubt waren, um Fotografien und persönliche Gegenstände aufzuhängen (Abb. 24). Damit baute Caccia die persönliche Wechselausstellung des Bewohners ein, die nach Belieben verändert werden konnte. Gio Ponti brachte es so auf den Punkt:

Vediamo, dopo l’epoca delle pareti liscie e nude, apparir questi giochi di parete fatti per sistemare le fotografie di persone e di luoghi cari, per i ricordi, per le intime fantasie.485

Luigi Caccia Dominionis Bauherren beschrieben die Aufgabe des Architekten häufig mit der Wendung «sistemare la casa».486 «Sistemare» bedeutet einrichten, regeln oder in Ordnung bringen. Das heute weitaus geläufigere Wort zur Bezeichnung der Tätigkeit eines Architekten ist «progettare la casa», was «das Haus entwerfen» heisst. «Sistemare» verweist auf ein anderes Verständnis der Aufgabe des Architekten. Diese bestand damals nicht im Planen und Realisieren von Häusern, sondern vorwiegend im Einrichten von Räumen. Grossbürgerliche Familien hatten meistens einen «Hausarchitekten», der sämtliche ihrer Wohnungen – von der Stadtwohnung bis zur Villa auf dem Land – über mehrere Generationen hinweg vollständig einrichtete. «Sistemare» meint, den geerbten und erworbenen Sammlungen und Möbeln im Interieur einen Platz zuzuweisen und zu einer neuen Ordnung im Raum zusammenzustellen. Die Aufgabe des Architekten war damit vergleichbar mit derjenigen eines Kurators des privaten Lebens.

Caccias spezifischer Umgang mit Geschichte und historischen Artefakten im Interieur privater Wohnbauten wie auch die Verwendung historischer und historisierender Referenzen in der Architektur findet im Kontext des Museumsdiskurses seiner Zeit eine inhaltliche Entsprechung. Umgekehrt zeigte die Entwicklung neuer Ausstellungskonzepte für öffentliche Sammlungen eine Annäherung an das Konzept eines Wohnhauses. Beiden Bauaufgaben gemein ist die Konservierung, Vermittlung und Instrumentalisierung von Geschichte.

484 Ponti, «Interni di città 1941. Abbildung des Interieurs auf S. 24.

485 Ebd. Bildunterschrift.

486 In den Interviews verwendeten die Bauherren häufig die Formulierung «sistemare la casa», um zu charakterisieren, worin sie die Caccias Aufgabe sahen («L’abbiamo incaricato per sistermarci la casa»). 101

In der Idee des Museums eingeschrieben ist der Erhalt eines bedeutungsvollen Artefakts als Zeugnis von Geschichte. Im Raum des Museums ist jedes geschichtliche Objekt gleichwertig. Aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgenommen, entbehren die Artefakte ihrer «natürlichen» Umgebung. Im Raum des Museums erweitert sich die inhärente Bedeutung des Artefakts um abstraktere Werte und Sinngehalte. Im Musealen geht es folglich nicht primär um «historisch gewachsene» Geschichte, sondern um arrangierte Geschichte. Das Aufeinandertreffen verschiedener historischer Artefakte ist im Museum Programm. Der Leerraum zwischen den einzelnen Objekten wird durch den Besucher gefüllt, der das übergeordnete Narrativ, das «Unsichtbare»487 gedanklich dazu rekonstruiert. Diese räumlichen Arrangements dienen dazu, Geschichten und Geschichte zu illustrieren und zu vermitteln. Welche Geschichte vermittelt wird, ist Resultat der Auswahl und der Anordnung der Objekte. Der Architekt in der Rolle des Szenografen oder Kurators stellt die Objekte in einer von ihm konzipierten räumlichen Komposition aus und bestimmt darüber die zu vermittelnde Geschichte. Insofern werden im Raum des Museums ebenfalls Fiktionen der Vergangenheit entworfen.

Das hohe Mass, in dem der gehobene Wohnungsbau in Italien nach 1945 vom Museumsdiskurs der Zeit geprägt war, hat seine Ursache in den Folgen des Zweiten Weltkriegs. Mit dem Kriegseintritt Italiens im Jahr 1940 wurden die Kunstwerke aus den Museen in Schutzräume verbracht.488 Die Zerstörungen und baulichen Beschädigungen zahlreicher Museen führten dazu, dass die Häuser erst nach umfangreichen Sanierungen und Rekonstruktionsarbeiten wieder bezogen werden konnten. In den Jahren zwischen 1945 und 1948 mussten in Italien 150 Museen restauriert oder gänzlich rekonstruiert werden, bis 1965 folgten nochmals gleich viele.489 Zudem gehörten die Museumsbauten zu den prestigeträchtigsten Bauaufgaben der Zeit. Für die Architekten galten sie angesichts der grossen Zahl der verhinderten öffentlichen Projekte als eine der wenigen Möglichkeiten, für die Gesellschaft zu bauen. Darin erklärt sich auch, weswegen der Museumsdiskurs in der italienischen Nachkriegszeit eine im europäischen Vergleich viel höhere Gewichtung und Aufmerksamkeit erfuhr. Eine parallele Entwicklung lässt sich auch bei den Wohnhäusern der gesellschaftlichen Elite beobachten. Auch diese wurden aus Angst vor Zerstörungen durch die Bombenangriffe ausgeräumt und das Mobilar in Sicherheit gebracht. Nach dem Krieg mussten die geretteten Sammlungen und Objekte häuslichen Gutes häufig in neuen Interieurs wieder in eine – neue – Ordnung gebracht werden.490

Für die Instandsetzung der Museen in der Nachkriegszeit bildete der restauro-Diskurs die theoretische Prämisse.491 Die meisten Museen in Italien waren in denkmalgeschützten Bauten untergebracht. Ihre Rekonstruktion oder Sanierung erforderte deshalb eine enge Zusammenarbeit mit denkmalpflegerischen Instanzen. Ebenso war beim Wiederaufbau der architektonisch und historisch wertvollen Wohnpaläste die

487 Pomian 1998, S. 38–45.

488 Zur Museografie Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg siehe Morello 1997, S. 392.

489 Ebd., S. 399–400.

490 Siehe Kap. 3.2.2.

491 Zur Verflechtung der italienischen Museografie mit dem restauro-Diskurs der Nachkriegszeit siehe ebd. Insbesondere «Fortuna di un’idea (conclusioni)», S. 411–413, hier S. 412. 102

Konsultation der Denkmalpflege häufig erforderlich.492 Bei den Wohnungsumbauten Caccia Dominionis kommt hinzu, dass die meisten seiner Projekte innerhalb des mittelalterlichen Stadtkerns von Mailand stehen, weswegen Fragen des Verhältnisses zum ambiente, zum gewachsenen historischen Bestand, Fragen des «richtigen» restauro, unabhängig der Mitsprache denkmalpflegerischen Instanzen, nahezu immer eine Rolle spielten. Caccias häufige Tätigkeit im mittelalterlichen Stadtkern Mailands machte ihn zum anerkannten Experten für architektonische Eingriffe im historischen Baubestand.493

Die gegenseitige Beeinflussung von Museumsbau und gehobenem Wohnungsbau wurde noch dadurch bestärkt, dass es eine kleine Gruppe Architekten gab, die in beiden Bereichen gleichzeitig tätig war und herausragende Werke schuf. Zu ihnen zählen Franco Albini, Ignazio Gardella, BBPR, Carlo Scarpa und nicht zuletzt auch Luigi Caccia Dominioni. Ihre Arbeiten erfuhren in den Fachzeitschriften breite publizistische Aufmerksamkeit. Zu Albinis Leistungen im Museumsbau gehören die genuesischen Projekte wie der Palazzo Bianchi (1959–1951) und das Museo del tesoro di San Lorenzo (1952–1956). Carlo Scarpa arbeitete an der Renovierung und Einrichtung der Gallerie dell’Accademia (1946–1960) und an einigen Räumen des Museums Correr (1953) in Venedig. Die Sanierungen und die Einrichtung des Museo di Castelvecchio in Verona (1954–64) gelten als sein Hauptwerk. Ignazio Gardella war mit Scarpa und Giovanni Michelucci (1891–1990) am Wiederaufbau der Uffizien in Florenz beteiligt (1954–1956). In Mailand fand 1948 die Wiedereröffnung des Museums der Scala statt. Piero Portaluppi baute die Biblioteca Braidense in der Mailänder Kernstadt wieder auf, und 1951 wurde das Casa-Museo von Giangiacomo Poldi Pezzoli der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht.494 Caccia selbst erhielt 1959 mit der Restaurierung und dem Umbau der Pinakothek der Biblioteca Ambrosiana einen Auftrag, den er allerdings erst 1966 realisieren konnte.

Manfredo Tafuri bewertete die Bedeutung des Museums in der italienischen Architekturgeschichte der Nachkriegszeit folgendermassen:

The frustrations experienced by Italian architects in planning public housing were offset by achievements in the field of design and especially by accomplishments in museology. In designing «houses of art», the best Italian architects undoubtedly unleashed otherwise repressed aspirations: here their relationship with history was obligatory and direct, and strictly intertwined with pedagogical duties. Museum architecture seemed to sum up the principal themes of the fifties, now cleansed of unnecessary appurtenances. These themes ranged from the «civil» role of form to the encounter between memory and innovation, to the recovery of modes of representation associated with special occasions.495

Im grossen Interesse für das Museum als «Haus der Künste» spiegelt sich gemäss Tafuri der erstarkte Sinn der Architekten für Geschichte. Für ihn findet das von Rogers formulierte Konzept einer geschichtlichen

492 Zu den Bauaufgaben, die Caccia in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege realisierte, gehören die Villa Somaini in Lomazzo (1955) sowie in Mailand der Einbau der Banca Popolare Commercio e Industria (1959–1960), die Casa Aletti (1959–1960), der Convento Opera di S. Antonio (1959–1960), die Casa Bassetti (1962), die Pinacoteca Ambrosiana (1959–1969) und das Teatro e accademia dei Filodrammatici (1960–1962).

493 Diese Expertenrolle führte schliesslich auch zu Planungsaufträgen in der Kernstadt von Mailand. Zwischen 1956 und 1958 war er zusammen mit dem Denkmalpfleger Piero Gazzola (1908–1978) und Ludovico Belgiojoso für die Revision des Piano regolatore generale von Mailand zuständig. Di Lieto/Morgante 2009, S. 231–238.

494 Morello 1997, S. 400.

495 Tafuri 1989, Kap. 4: «Aufklärung II: The Museum, History, and Metaphor (1951–1967)», S. 49–95, hier S. 49. 103

Architektur, der Theorie der preesistenze ambientali, im Programm des Museums seine ideale Bauaufgabe,496 da sie die Auseinandersetzung mit Geschichte verlange.

Deshalb sieht Tafuri in der Errichtung des Torre Velasca und in der Restaurierung des Museo del castello durch die Architektengruppe BBPR auch die gleichen Absichten verwirklicht. In der formalen Aufladung der Architektur durch historische Artefakte werde die Zulässigkeit der eigenen Tradition bestätigt.497

Ein in Italien neues Phänomen war zudem, dass die Architekten auch den Auftrag für die Innenausstattung und Szenografie des Museums erhielten und damit eng mit der Museumsdirektion zusammenarbeiteten.498 Für den Historiker Paolo Morello bildete gerade diese zeitliche Kongruenz die Grundlage für eine inhaltliche Verflechtung zwischen restauro und Museografie. Schliesslich habe sich die Rezeption des Museums dadurch wesentlich verändert. In zeitgenössischen Publikationen seien Verwechslungen zwischen Museografie und restauro häufig vorgekommen, was ein weiteres Indiz für den engen inhaltlichen Zusammenhang sei.499 Licisco Magagnato schreibt dazu 1962:

la storia della museografia fa corpo con la storia stessa dell’architettura; da duecento anni a questa parte, gli scambi sono stati continui e costanti. […] i musei italiani più riusciti si caratterizzano rispetto agli stranieri proprio perché sono quasi tutti il frutto di un elaborato lavoro di restauro, e da questo punto di vista vanno essenzialmente giudicati.500 [die Geschichte der Museographie ist Teil derselben Architekturgeschichte; die Wechselwirkungen sind seit zweihundert Jahren kontinuierlich und konstant. […] die erfolgreichsten italienischen Museen sind das Resultat einer elaborierten Arbeit des Restauro, das macht sie für die Ausländer charakteristisch, und aus diesem Blickwinkel werden sie massgeblich bewertet.]

Die Verflechtung zwischen Museumsbau und gehobenem Wohnungsbau beruht auf einer Reihe chronologischer wie inhaltlicher Parallelen, beginnend mit dem Besitz von Sammlungen über das Aus- und Einräumen der Interieurs zum Schutz der wertvollen Kollektionen vor Kriegszerstörungen, die Beauftragung der gleichen Architekten für den Wiederaufbau und die Sanierung der Häuser und die Beteiligung der Denkmalpflege bis zum restauro-Diskurs zu nennen und der Erprobung neuer Ausstellungskonzepte in beiden Bereichen.

496 Ebd., S. 51.

497 Ebd.

498 Zur Zusammenarbeit zwischen Architekt und Museumsdirektor in der Nachkriegszeit siehe Morello 1997, S. 405. Wie Morello darlegt, war eine solche Zusammenarbeit in anderen Ländern, wie in den USA oder Deutschland, bereits seit den zwanziger Jahren verbreitet, in Italien fanden solche Kooperationen erst in den fünziger Jahren statt.

499 Ebd., S. 405.

500 Licisco Magagnato, In margine alla V settimana dei Musei. Architetti e leggi per i musei italiani, in: Comunità, 16 (Mai 1962), Nr. 99, S. 54–63. Zit. n. ebd. 104

4. Konstruktion

4.1. Begriff und These

Die Rekonstruktion dient Luigi Caccia Dominioni dazu, die Vergangenheit umzudeuten und umzuschreiben. Darin kommt ein Zeitverständnis zum Ausdruck, das die Vergangenheit nicht als «abgelaufen und deshalb festgelegt und abgeschlossen» betrachtet,501 sondern als über das Medium der Architektur nachträglich form- und somit auch erneuerbar erkennt. Die neue Vergangenheit ist die Fiktion oder «Projektionsfläche der Gegenwart».502

Die Praxis Caccias kennt jedoch noch eine andere zeitliche Perspektive: die Konstruktion, die den Blick nicht zuerst zurück in die Vergangenheit wirft, sondern nach vorn in die Zukunft richtet – «Konstruktion» im Sinne von künstlerischer Auseinandersetzung und Bewältigung des Neuen. Dieser Perspektivwechsel kommt bei Caccia besonders dann deutlich zum Vorschein, wenn Modernisierungsschübe (wie in der wirtschaftlichen Boomphase von 1958 bis 1963) Mailand erfassen und die wohlhabende Elite sich in der ambivalenten Situation sieht, als Protagonistin der Industrialisierung und der technischen Erneuerung die ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Transformationsprozesse herbeigeführt zu haben, die aber zugleich die bestehende gesellschaftliche Hierarchien verschieben und dadurch ihre Führungsposition herausfordern und unterminieren.

Die architektonische Antwort auf solche Umbrüche besteht wiederum in einem Rückgriff auf die Vergangenheit. Durch die Wiederbelebung des alten Formats des Gesamtkunstwerks im Programm der sintesi delle arti lotet Caccia die Möglichkeiten einer modernen Architektur für die Lebenswelt seiner Bauherren aus. In der Ästhetisierung der häuslichen Umgebung und der Schaffung einzigartiger Wohnräume kommt eine reservierte, kritische Haltung gegenüber Industrialisierung, serieller Produktion und Fortschrittsglauben zum Ausdruck. Das Programm der sintesi delle arti schuf den künstlerischen Rahmen, in dem Modernisierung möglich ist, distanziert sich jedoch zugleich von der aufbrechenden Massenkonsumgesellschaft.

Die Bauherren sahen sich angesichts der umwälzenden Modernisierungsprozesse als Bewahrer der traditionellen Werte und verlangten gleichzeitig nach einem architektonischen Ausdruck, der die Moderne in die Tradition integriert. In der Architektur Luigi Caccia Dominionis sahen sie genau diese Vorstellung verwirklicht, die Konstruktion einer alternativen Moderne, ohne die Bande mit der Tradition zu zerschneiden.503 Die Konzeptionierung ihrer Häuser und Wohnungen muss deswegen als ästhetische Erneuerung einer luxuriösen, traditionellen Architektur betrachtet werden sowie als Ausdruck einer intellektuellen Gegenwelt zum unorganisierten Staat und zur aufkommenden Massenkonsumgesellschaft.

501 Assmann, 2010, S. 16.

502 Ebd.

503 Gespräch mit Glauco Marchegiani, 27. Januar 2010, Mailand. 105

Konstruktion bedeutet im Kontext der Wohnbauten Caccia Dominionis die Konstruktion einer alternativen Gegenwart angesichts der umwälzenden Modernisierungs- und Demokratisierungsprozesse sowie des Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das Ergebnis ist die Ästhetisierung der häuslichen Lebenswelt als gestaltete Kontinuität des Raumes.

4.2. Konstruktionen in der Zwischenkriegszeit

Luigi Caccia Dominioni gehört der Generation an, die der italienische Schriftsteller Eugenio Montale (1896– 1981) als die «generazione naturaliter fascista»504 bezeichnete. Als Caccia 1932 sein Architekturstudium am Mailänder Polytechnikum begann, feierte das faschistische Regime bereits sein zehnjähriges Bestehen und war auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung angelangt.505 Caccia war zum Zeitpunkt der Machtübernahme Mussolinis am 31. Oktober 1922 acht Jahre alt und besuchte die Primarschule am Istituto Leone XIII in Mailand.506 Er durchlief nahezu seine gesamte schulische und universitäre Laufbahn unter faschistischem Einfluss. Als Architekturstudent gehörte er zusammen mit seinen zukünftigen Büropartners Livio (1911–1976) und Pier Giacomo Castiglioni (1913–1968) der Mailänder Sektion des «Gruppo Universitaria Fascista» (GUF) an.507 Der GUF war die höchste Stufe innerhalb der faschistischen Jugendorganisation Opera Nazionale Ballila.508 x«Neben der Schulung in faschistischer Ideologie waren seine Ziele sportliche Leistungen, Freizeitgestaltung und militärischer Vorunterricht mit obligatorischen wöchentlichen Übungen unter Leitung von Milizoffizieren».509 Teilnahmeberechtigt waren Studenten bis zum 26. Lebensjahr. Seit 1933 veranstalteten die lokalen GUF nationale Hochschulwettbewerbe in Sport sowie Kunst und Kultur.510 Diese «Littoriali» dienten der politischen Erziehung und der Kontrolle der Jugend.511 Der intellektuelle Spielraum an den Littoriali war relativ weit,512 einerseits um gegenüber den Studenten Kritikfähigkeit und damit Attraktivität zu signalisieren, andererseits um einen direkten Zugang zu skeptischen Stimmen zu erhalten. Die Littoriali der Kultur waren einer «intellektuellen bürgerlichen Jugend» vorbehalten.513 Dadurch sicherten sich die Faschisten den Zugang zu den oberen sozialen Schichten.

504 Eugenio Montale, «Una tragedia italiana» (1945) in: Auto da fé, Mailand: Il Saggiatore, 1966, S. 45. Zit. n. Bonfanti 1973, S. 1.

505 Benito Mussolinis «Marsch auf Rom» und seine Ernennung zum Ministerpräsidenten durch König Viktor Emanuel III. erfolgte am 31. Oktober 1922.

506 Brigi 1987/88, S. 13.

507 Im Katalog der VI. Triennale 1936 ist Caccia als einer der «Artisti del Guf» aufgeführt. Guida della Sesta Triennale 1936, S. 129.

508 Rüegg/Briggs 2004, S. 295.

509 Ebd.

510 La Rovere 2003, S. 266.

511 Ebd., S. 267.

512 Rüegg/Briggs 2004, S. 295.

513 La Rovere 2003, S. 276. 106

Auch wenn Luigi Caccia Dominioni nie offizielles Mitglied der faschistischen Partei wurde, stand ein Teil seiner frühen Projekte, die er zusammen mit den Gebrüdern Castiglioni erarbeitete, deutlich unter den Einfluss des Faschismus.514 Dies äusserte sich etwa in einer Ausstellung an der VI. Triennale 1936 mit dem Titel Priorità italiche nell’arte, für die Caccia zusammen mit Tito Bassanesi Varisco (1915–1998), den Brüdern Castiglioni, Luigi Claudio Olivieri und Carlo Pagani515 im letzten Jahr seines Studiums die Modelle und Zeichnungen anfertigte (Abb. 6–7). Als Kuratoren der Ausstellung sind die Architekten der Gruppe BBPR aufgeführt.516 Inhaltlich ging es um die Beweisführung der italienischen Vorherrschaft in Kunst und Architektur.

Die Arbeiten Caccias, die er während des Ventennio realisierte, standen unter Modernisierungsdruck. Der Druck ging vom faschistischen Staat aus, der bestrebt war, Italien in Technik und Industrie zu fördern, um damit die beanspruchte Vorherrschaft zu legitimieren.

4.2.1. Erste Arbeiten im Gruppo Universitaria Fascista

Caccia und die Castiglioni-Brüder beteiligten sich in den Jahren 1936 bis 1940 an mehreren Wettbewerben. 1936 – wenige Monate vor dem Diplom – nahmen sie gemeinsam mit Luigi Claudio Olivieri an einem Wettbewerb für eine «Caserma di Artiglieria divisionale» anlässlich der «Littoriali della cultura e dell’arte» teil, die 1936 in Venedig für angehende Architekten ausgeschrieben wurde. Zu den wichtigsten Exponenten der Jury gehörten Gio Ponti, Gian Luigi Banfi und Giuseppe Pagano. Die Gewinner waren Tito Varisco Bassanesi und Carlo Pagani des GUF Mailand. Das Projekt der Architekten Caccia, Castiglioni und Olivieri erreichte unter siebzig Wettbewerbseingängen den siebten Rang. Die Originalität ihres Projekts wurde in Casabella gewürdigt (Abb. 3–5).517

Als Caccia im Oktober 1936 das Architekturdiplom erhielt, war die Popularität des faschistischen Regimes stark im Sinken begriffen. Grund dafür waren die immensen finanziellen Verluste in den Jahren zwischen 1934 und 1937: Mussolinis imperialistische Aussenpolitik, darunter insbesondere der Äthiopienfeldzug und die militärische Unterstützung des Franco-Regimes in Spanien, hatte den Staatshaushalt von einem Überschuss von 7,4 Milliarden Lire in ein vernichtendes Defizit von 16 Milliarden Lire gestürzt.518 Wegen der Finanzkrise konnten seit 1937 kaum mehr staatliche Projekte realisiert werden.

Caccia und die Gebrüder Castiglioni beteiligten sich dennoch nach Abschluss des Studiums 1936 an

514 Nachforschungen im Archivio Centrale dello Stato in Rom haben keine Akten zutage gebracht, welche die Mitgliedschaft Luigi Caccia Dominionis in der faschistischen Partei belegen. Siehe E-Mail vom 4. Oktober 2011, gezeichnet «Sala Studio ACS»: «Le ricerche sull’architetto Luigi Caccia Dominioni hanno dato esito negativo».

515 Die Lebensdaten von Olivieri und Pagani konnten nicht ermittelt werden. Ihr Geburtsjahr liegt um das Jahr 1913.

516 Die Architekturstudenten gehörten den «Artisti del Guf di Milano» an. Die VI. Triennale fand von Mai bis Oktober 1936 statt. Guida della Sesta Triennale 1936, S. 129. 1932 bis 1934 war Livio Castiglioni «Vertrauensmann» des GUF der Architekturfakultät. Annuario anni accademici 1932–1933, 1933–1934 1934, S. 278. Annuario anno accademico 1934–1935 1935, S. 266. Von 1935 bis 1936 fungierte Pier Giacomo Castiglioni als Vertrauensmann des GUF, S. 240. Annuario anno accademico 1936–1937 1937, S. 253.

517 Pasqualini 1936, S. 20.

518 Bonfanti 1973, S. 2. 107 mehreren öffentlichen Wettbewerben.519 Zu den Wettbewerbsgewinnen gehörte 1939 das Projekt für eine Berufsschule in Vimercate, einer kleinen Stadt nördlich von Mailand (Abb. 8).520 Der Entwurf ist dem italienischen Rationalismus der dreisssiger Jahre verpflichtet und sucht seine Vorbilder in neoklassizistischen Repräsentationsbauten. Die publizierte Perspektivzeichnung zeigt eine monumentale Schulanlage bestehend aus formal reduzierten, kubischen Gebäuden bekleidet mit Stein. Faschistische Symbolik in Form eines kolossalen Säulenstumpfs und eines imperialen Adlers verweisen auf die herrschende Ideologie. Das für den Piazzale Mussolini in Vimercate bestimmte Gebäude sollte die Gründung des «Impero romano» feiern. Das Projekt kam nie zur Ausführung.521

An der VII. Triennale di Milano im Frühjahr 1940 waren Caccias Arbeiten an drei Ausstellungen gleichzeitig vertreten:522 an der Schau L’autarchia nelle costruzione,523 der Mostra Dei metalli e dei vetri524 und der Mostra dell’apparecchio radio525. Die Ausstellung L’autarchia nella costruzione wurde von der Sektion «Laureati e Diplomati» des GUF Mailand organisiert.526 Die Idee der Autarchie Italiens wurde vom Regime proklamiert. Insbesondere eine wirtschaftliche Unabhängigkeit sollte die ökonomische Stabilität des Landes in globalen Wirtschaftskrisen gewährleisten. Dieser Kurs wurde nach dem Äthiopienfeldzug (1935–1936) verstärkt, als Italien mit einschneidende wirtschaftlichen Sanktionen der internationalen Gemeinschaft belegt wurde. Darüber hinaus sollte die Schau auch die herausragenden künstlerischen und technischen Fähigkeiten der italienischen Ingenieure und Architekten in verschiedenen historischen Epochen vor Augen führen.527 Im letzten Monat der Triennale, am 10. Juni 1940, trat Italien auf der Seite Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg ein.

4.2.1.1. Das Radio als Apparat

Die Ausstellung zum Radiogerät an der VII. Triennale steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der stattlichen Propagandapolitik. Der italienische Hörfunk wurde massgeblich während des Ventennio

519 Zu den Wettbewerben, an denen Caccia zusammen mit Livio und Pier Giacomo Castiglioni teilnahm, zählen neben dem Wettbewerb für die Nazionale Caserme di Artiglieria Divisionale 1936 (7. Rang die Wettbewerbe für das Progetto di scuola di Vimercate, 1. Rang, 1939, das Centro Città di Fiume, 2. Rang, 1939, das «Centro Città di Morbegno», 1. Rang, 1941 und für «La casa dei Sindacati», 2. Rang, 1941. Irace/Marini 2002, S. 230.

520 n. d. r. 1939.

521 Caccia realisierte viele Jahre später, 1956 ein vollständig überarbeitetes Projekt für ein Schulhaus in Vimercate. Irace/Marini 2002, S. 230.

522 Die VII. Triennale wurde am 6. April 1940 eröffnet. Pansera 1978, S. 314.

523 VII Triennale di Milano, 1940, S. 76.

524 Ebd., S. 90.

525 Ebd., S. 180.

526 Zu den Kuratoren der Ausstellung gehörten neben Caccia und den Brüdern Castiglioni weitere junge Architekturstudenten wie Giuseppe Ciribini (1913–1990), Giovanni Albricci, Giuseppe Baselli, Guido Brambilla, Augusto Cavallari Murat, Eugenio Radice Fossati (1910–2000) sowie Mario Salvadè (falls nicht anders vermerkt, konnten die Lebensdaten der aufgeführten Architekten nicht ermittelt werden). Ebd., S. 76.

527 Pansera 1978, S. 319. 108 entwickelt. 528 Um 1924 lag Italien verglichen mit den anderen europäischen Ländern im Ausbau seines Hörfunks noch sehr weit zurück, und der Aufbau erfolgte insgesamt langsam und zäh.529 Mussolini erkannte im Radio ein wichtiges Medium zur Verbreitung seiner Propaganda und investierte seit 1926 in den Bau von Sendeanlagen, um das ganze Land zu erreichen.530 1926 hatte der Hörfunk 27 000 Abonnenten, 1928 61 500, 1931 176 000 und 1937 800 000.531 1939 wurden 1 170 000532 Abonnenten gezählt, was allerdings im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung von 43 Millionen immer noch wenig war. In Grossbritannien etwa kamen zur gleichen Zeit 9 Millionen Radiogeräte auf 46 Millionen Einwohner.533 Ein entscheidender Grund für die geringe Verbreitung war der hohe Preis für Abonnement und Radioapparat. 1930 kostete ein Radio ungefähr 2000 Lire, das jährliche Pro-Kopf-Einkommen betrug im selben Jahr 3000 Lire.534 Um die Situation zu verbessern, wurde im Juni 1933 ein Gesetz verabschiedet,535 das die Errichtung des Instituts «L’ente radio rurale» ermöglichen sollte, mit dem Ziel, dass der Hörfunk auch im Süden und in ländlichen Regionen empfangen werden konnte.536 Zusätzlich startete die zuständige Behörde des Regimes im April 1937 das Radio-Balilla-Projekt für ein kostengünstiges Radio, das nicht mehr als 430 Lire kostete und in Raten abbezahlt werden konnte.537

Parallel zu den politischen Weichenstellungen wurde der Gestaltung von Radiogeräten und -möbeln grosse Beachtung geschenkt. In Mailand wurden seit 1930 Ausstellungen organisiert, um neue Geräte zu lancieren. Ausserdem konnten Radiosendungen und Geräte im Rahmen der Littoriali-Wettbewerbe der GUF-Sektionen studiert werden.538 Die Beschäftigung Caccias und der Brüder Castiglioni mit dem Radio war somit hochaktuell und lag ganz im Trend der Zeit.

An der Mostra dell’apparecchio radio an der VII. Triennale 1940 lag die Betonung auf dem Radio als Apparat, als Maschine, und nicht als Möbel (Abb. 9–11). Caccia und die Gebrüder Castiglioni knüpften damit an die Erkenntnis an, zu der Gio Ponti und BBPR einige Jahre vorher gelangt waren und äusserten dies in Domus:

528 Monticone/Parola 1978, S. 1.

529 Die Entwicklung des Radios erfolgte in Italien langsam und mit zeitlicher Verspätung, obschon es ein Italiener gewesen war, Guglielmo Marconi (1874–1937), der 1895 den ersten Radioapparat entwickelt hatte. 1909 erhielt er für seine Arbeit an der Radiokommunikation den Nobel-Preis für Physik. Ebd., S. 1.

530 Ebd., S. 20. Cannistraro 1972, S. 129.

531 Ebd., S. 130 und 138.

532 Ebd., S. 145.

533 Forty 1986, S. 200.

534 Cannistraro 1972, S. 138.

535 Ebd., S. 135.

536 «Il villaggio deve avere la radio» lautet der berühmte Satz von Mussolini, den er am 4. Juli 1933 in der Zeitung Il popolo d’Italia publizierte. Zit. n. Monticone/Parola 1978, S. 88.

537 Cannistraro 1972, S. 138.

538 «I Littoriali della cultura e delt’arte e la radio», Radiocorriere, 26. November–3. Dezember 1933, «Littoriali della Radio», ebd., 18.–24. April 1937, S. 5. Zit. n. Cannistraro 1972, S. 139. 109

Alla VII Triennale abbiamo ripreso il tema eliminando per prima cosa la impropria denominazione «mobile radio». Il radioricevitore deve essere sopratutto un «apparecchio», una macchina, o se vogliamo uno strumento; e ancora una volta ci si può riferire al telefono, alla macchina da scrivere, al pianoforte, al termosifone ecc. dove tutte le parti componenti, compresi gli involucri protettivi, rispondono solamente ad una adeguata funzione e nei quali mai la parola «mobile» ebbe occasione di manifestarsi. Si potrà al massimo parlare di «custodia» della delicata apparecchiatura radioelettrica, ma si deve assolutamente abbandonare una programma di errori e insincerità.539

Ponti hatte in Zusammenarbeit mit der Società Anonima Nazionale del Grammofono540 bereits 1933 und 1936 zwei Wettbewerbe ausgeschrieben, um die formale Entwicklung des Radios zu beschleunigen.541 Der im Zeitraum von drei Jahren erfolgte Paradigmenwechsel vom «Radio als Möbel» zum «Radio als Apparat» ist sowohl in der Rhetorik als auch den Entwürfen der Gewinnerprojekte erkennbar. War der 1933 siegreiche Entwurf der Architekten Luigi Figini (1903–1984) und Gino Pollini (1903–1991) noch als hölzernes Schrankmöbel konzipiert, schlugen BBPR, die Gewinner von 1936, bewegliche und handliche Geräte aus Kunststoff vor, die entweder auf andere Möbel gestellt oder auf Rollen montiert im Raum frei positioniert werden konnten. Die Herauslösung aus der Domäne des Möbels sollte Anlass bieten, eine neue und spezifische Formensprache zu entwickeln.

Questo secondo concorso per apparecchi radio rivela un fatto sigificativo: l’avvicinamento alla forma tipica dell’apparecchio radio. Noi non sapremmo dire perché questo mobile radio è nato con un’impensabile parentela con un tavolino da notte di lusso o piccolo stipo: il mobile primitivo si è sbizzarrito in variazioni di stile Queen Anna e Chippendale, Tudor ed Elisabettiano.542

Die Ausstellung an der Triennale 1940 zeigte insgesamt zwanzig verschiedene Radiogeräte aus dem Atelier von Caccia und Castiglioni. Sie war das Resultat einer Untersuchung, die der Tüftler und Radioliebhaber Livio Castiglioni angeregt hatte.543 Im frischbezogenen Atelier wurden bereits seit 1936 mit Gipsmodellen verschiedene Versuche für ein Radiogehäuse unternommen. Anlass zur Beschäftigung hatte gemäss Livio Castiglioni der enttäuschende Ausgang des Radio-Wettbewerbs von 1936 gegeben, da keines der prämierten Objekte zur Realisierung kam.544 Das erklärte Ziel war, Prototypen zu entwickeln, die sich für die Produktion in Serie eigneten.

539 Caccia Dominioni/Castiglioni/Castiglioni 1940, S. 84.

540 Die Firma S. A. Nazionale del Grammofono wurde von Alfredo Bossi und Romolo Bossi geleitet. Später wurde sie unter dem Label «La Voce del Padrone, His Master’s Voice» bekannt.

541 Ponti 1933. Der Wettbewerb wurde von Domus und der Società Anonima Nazionale del Grammofono ausgeschrieben.

542 Ponti 1936, S. 27.

543 Der 1911 geborene Livio hatte vor seinem Architekturstudium zwei Jahre lange Ingenieurwissenschaften studiert und war an der technischen Herausforderung des neuen Gerätes mindestens so interessiert wie an der formalen Gestaltung. In der Erinnerung seines jüngeren Bruder (1918–2002) begann Livio bereits im Alter von 17 Jahren, Radioempfänger zusammenzubauen. Ausserdem war er unter dem Kürzel «i1iA» in den dreissiger Jahren an den ersten experimentellen Funkübertragungen der «Radioamatori» beteiligt. Scodeller 2003, S. 9.

544 Ebd. Bildunterschrift S. 26. 110

Im Bewusstsein, dass die Prototypen auch medial Aufmerksamkeit erlangen mussten, liessen die Architekten Werbefotografien anfertigen (Abb. 12–13).545 Auf den Aufnahmen sind die neuen Radiogeräte programmatisch mit unterschiedlichen Utensilien kombiniert. In Verbindung mit Pelzmänteln und Handtaschen aus Krokodil-Leder wurden die Radiogeräte zu Luxusobjekten stilisiert und adressierten die moderne Frau. In Kombination mit Telefon, Olivetti-Schreibmaschine, Aschenbecher und Büchern bereicherte das Radio das Arbeitszimmer des Mannes um einen weiteren unverzichtbaren Apparat.

Die Radio-Ausstellung an der Triennale wurde von den Architekten selbst kuratiert. Auffallend ist ihr hoher didaktischer Anspruch. Die Ausstellung war in zwei Bereiche gegliedert. Die Geräte wurden in solche für den privaten und solche für den öffentlichen Gebrauch unterschieden. Informationstafeln neben jeder Apparatur beschrieben das zugrundeliegende akustische Konzept sowie die mögliche Installation im Raum (Abb. 9–11).546 Aus heutiger Sicht verblüfft die grosse Vielfalt der Geräte. Neben kleinen Tischradios gab es ausladende Wandradios, batteriebetriebene Kompaktradios zum Tragen oder solche, die dank der Zweiteilung von Konsole und Lautsprecher entfernt voneinander aufgestellt werden konnten und damit ebenfalls eine gewisse Flexibilität aufwiesen. Auch die Materialien waren unterschiedlich. So kamen Holz, Kunststoff und Leder zur Anwendung.547

Die Unternehmer Giampiero Corbelli, Felice Cattaneo und Giuseppe Daniela548 der Fimi (Fabbrica italiana materiali isolanti) erwarben die Rechte an den Modellen 547 und 303 (Abb. 12). Fimi hatte bereit 1931 unter dem Markennamen Phonola eine kleine Serie von Radios produziert. Die Modelle der Architektengruppe Caccia und Castiglioni wurden im Anschluss an die Triennale in einer Stückzahl von je 3000 auf den Markt gebracht.549

Die Gestalt des später als Fimi-Phonola bekannt gewordenen, im Ausdruck futuristischen Radios verdient eine genauere Analyse. Die Form des Modells 547 basiert auf einem quadratischen Gehäuse von 24 x 24 Zentimetern. Eine zylindrisch geformte Hörmuschel ragt aus dem Gehäuse heraus und ist zum Benutzer um 45 Grad geneigt. Ebenso zeichnet sich das Bedienungsfeld mit Frequenzanzeige und Schaltknöpfen plastisch ab. Die Geräte waren in verschiedenen Farben erhältlich: weiss, dunkelrot, dunkelgrün, dunkelblau oder braun. Der neue Apparat hatte sich jeglicher Ähnlichkeit mit Möbelstücken entledigt und verkörperte eine gelungene Symbiose von Technik und Modernität. Auch die Materialität war neuartig: Die Gestalt des Radios profitierte von der enormen Formbarkeit von Kunststoff, in diesem Fall Bakelit. Die Gusstechnik ermöglichte eine industrielle Serienproduktion.

545 Ebd., S. 26–31.

546 «Mostra dell’apparecchio radio», in: VII Triennale di Milano 1940, S. 180.

547 Eine Zusammenstellung der verschiedenen Modelle findet sich in Caccia Dominioni/Castiglioni/Castiglioni 1940.

548 Die Lebensdaten der Unternehmer Corbelli, Cattaneo und Daniela konnten nicht ermittelt werden.

549 Scodeller 2003, S. 51. An der Ausstellung wurden verschiedene Modelle gezeigt, u. a. der 1939 entworfene «tipo a telefono», der später von der Phonola in drei Serien produziert wurde: Typus 547, 1940, 3000 Stück, Typus 563, 1941/42 2500 Stück, Typus 573, 2000 Stück 1945/46. Ebd., S. 51, Anm. 3. 111

Wie Livio Castiglioni 1941 ausführt, sollte die Ästhetik eines Radios unter Berücksichtigung der Faktoren Technik, einfache Handhabung und leichte Installation im Raum entwickelt werden:

Occorre risolvere il problema con razionalità perché l’estetica, che soddisfa il buon gusto, acquista dall’oggetto razionalmente studiato il suo maggior valore. L’apparecchio radio deve dunque risultare razionale […] ai fini della moderna tecnica costruttiva, razionale per l’uso dell’acquirente, e per la più comoda e appropriata sistemazione negli ambienti a cui è destinato.550

Eine solche Erklärung ist hinsichtlich der Rhetorik der Architekten aufschlussreich, greift aber zu kurz. Hinter der Vielfalt der ausgestellten Prototypen an der Triennale-Ausstellung stand die Strategie, möglichst viele potentielle Unternehmer anzulocken, um die Verkaufsaussichten zu erhöhen. Die Diversität der Radiogeräte demonstriert den grossen entwerferischen Einfallsreichtum der Architekten sowie ihr unternehmerisches Geschick. Warum ausgerechnet das avantgardistischste Radiogerät einen Abnehmer fand, bedarf einer genaueren Betrachtung.

Der Erwerb eines Phonola-Radios war ausgesprochen teuer. Das Modell Phonola 563 (nahezu identisch mit dem beschriebenen Modell 547) kostete laut der Werbebroschüre aus dem Jahr 1942 1750 Lire.551 Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen in Italien betrug zur selben Zeit 2428 Lire.552 Der Erwerb des futuristischen, kompakten Radiogeräts war zwar ausgesprochen teuer, der Preis lag jedoch, wie der Vergleich zu anderen Radiogeräten der Zeit zeigt, trotzdem nicht im obersten Segment.553

Wieso wurde der Apparat von Fimi produziert? Das Risiko, das die Hersteller mit der Produktion des Phonola-Radios eingingen, kann als relativ gering betrachtet werden. Eine Stückzahl von 3000 war zu niedrig, um bei einem Misserfolg die wirtschaftliche Stabilität der Firma zu gefährden. Die Werbebotschaft aber, die das neue, futuristische Gerät über das Unternehmen Fimi und dessen andere Produkte vermittelte, musste der Geschäftsleitung erfolgsversprechend genug erschienen sein: Denn der Apparat signalisierte höchstes technisches Raffinement und den Aufbruch in eine moderne Welt. Die Bedeutung dieses Signals erhält umso mehr Gewicht, als Italien 1941 noch überwiegend ein agrarisches Land war.554 Das Phonola- Radio brachte damit auch den Wunsch nach einer Industrialisierung des Landes zum Ausdruck.

Das Phonola-Radio besass jedoch noch eine weitere Eigenschaft, die es vom Angebot anderer Hersteller unterschied: Es war leicht und tragbar. Spätestens seit 1943 wurde es in einem passenden Koffer geliefert. Gerade in den Kriegsjahren, als die Bevölkerung zum Schutz vor Bombardierungen ihre Bleibe ständig wechseln musste, war ein transportables Radiogerät unentbehrlich. Es ermöglichte von überall den Erhalt überlebensnotwendiger Informationen.555

550 Livio Castiglioni, «La forma e l’estetica dei radioricevitori destinati alla casa», in: Radio Industria, 64 (1940), S. 114. Zit. n. Scodeller 2003, S. 26–27.

551 Ebd., S. 64.

552 Neufeld 1961, S. 538.

553 Die Marke UNDA Radio verkaufte Geräte zum Preis von 3300 bis 5200 Lire. o. T. [Werbung Radio UNDA] 1940.

554 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Italiens war 1941 im Agrarsektor beschäftigt. Lediglich 30 Prozent arbeiteten in der Industrie. Neufeld 1961, S. 527–528.

555 Eine Abbildung des Phonola-Radios im Koffer findet sich in Boselli 1993, S. 219. 112

4.2.1.2. Das Radio als «Musikinstrument»

Das ebenfalls aus dem Atelier Caccia Castiglioni stammende Gegenstück zum neuformulierten Paradigma «Radio als Apparat», das im Modell 547 Gestalt angenommen hatte, wurde – vermutlich gerade seiner Form wegen – nicht an der Triennale ausgestellt (Abb.15).556 Dafür fand es Eingang in eines der ersten Interieurs, das Caccia 1942 selbstständig einrichtete (Abb. 14).557 Als unbewegliches und sperriges Objekt war es als integrales Element der Raumgestaltung konzipiert. Es war raumhoch, die verschiedenen Bestandteile waren deutlich voneinander getrennt und auf eine futuristische Formgebung wurde verzichtet. Dennoch war die Gestalt auffällig und ungewöhnlich.

Das Radio besteht aus zwei schlanken Pfeilern aus Stahl, die zwischen Boden und Wand eingespannt sind. Im oberen Bereich ist der eigentliche Klangkörper montiert. Seine organische Form aus hellem Holz erinnert an den Resonanzkörper eines Streichinstrumentes oder an die Form der menschlichen Ohrmuschel. Darunter hängt die Konsole als dunkler Kasten aus Kunststoff, ausgestattet mit den notwendigen Schaltknöpfen und einer kleinen Frequenzanzeige. Auf den in Domus publizierten Fotografien steht das Radio an der Rückwand eines luxuriös eingerichteten Salons neben Sofas, Tischen und Stühlen, die alle von Caccia entworfen sind. Ein Klavier und ein Blasinstrument sind ebenfalls zu sehen und unterstreichen die gestalterische Anlehnung des Radioapparats an ein Musikinstrument. Dem Text in Domus zufolge versprach dieses Radio höchste akustische Qualität. Die Lautsprecher, Hoch- und Tieftonlautsprecher seien nach den letzten Regeln der Kunst der Elektro-Akustik konzipiert worden. Um mögliche Schallübertragungen von der Konsole auf die Lautsprecher zu vermeiden, war die Konsole mit elastischen Gummibändern zwischen die Stahlpfeiler gehängt.558

Die Funktionen Klingen und Hören hatten den Architekten ein gänzlich anderes Assoziationsfeld jenseits der Idee des «Apparats» eröffnet. Bedienen sie sich beim Phonola-Radio einer futuristischen Formensprache, um die Modernität des Geräts hervorzuheben, beabsichtigten sie mit diesem Radio, über Analogien zum Musikinstrument die Modernität im Surrealen zu verfremden. Repräsentierte das Phonola-Radio die anstehenden politischen und gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse und war als markttaugliches Produkt eine Reaktion auf «äussere» Bedingungen, scheint das Radio als Musikinstrument ausserhalb der Einflusssphäre der öffentlichen Geschehnisse und wirtschaftlichen Interessen zu liegen. Als kunstvoll verfremdetes Objekt reichert es den geschützten, privilegierten Raum des Privaten um ein weiteres Artefakt an und steht jenseits gesellschaftlichen Modernisierungsdrucks und politischer Ideologie. Das Imaginäre bildet die spezifischen Wünsche des Besitzers ab und schafft dadurch einen Ort der introvertierten Selbstbespiegelung.

4.2.1.3. Geschirr und Besteck

Die Unterscheidung zwischen handwerklich hergestellten oder in Serie produzierten Gegenständen sowie deren Zuordnung zu einer spezifischen sozialen Schicht, wie es bei den unterschiedlichen Radiogeräten zu

556 Auf den Fotografien der Radio-Ausstellung im Archiv der Triennale ist es jedenfalls nicht zu entdecken.

557 Ponti 1942.

558 Bramanti 2005, S. 29. 113 erkennen ist, ist auch bei anderen frühen Arbeiten Luigi Caccia Dominionis festzustellen. Das Geschirr und Besteck, das er gemeinsam mit den Brüdern Castiglioni entwickelt und produzieren hatte lassen, fand mit der Mostra dei metalli e dei vetri Eingang in die VII. Triennale von 1940. Diese Ausstellung wurde von Ignazio Gardella kuratiert.559 Die reichbestückte Schau enthielt auch Arbeiten von Franco Albini (1905–1977), Gian Luigi Banfi, Ercole Barovier,560 Ludovico Barbiano di Belgiojoso, Ugo Carà (1908–2004), D. A. Corradi,561 Piero Fornasetti (1913–1988), Enrico Peressutti (1908–1976) und Gio Ponti.

Von Caccia und den Castiglioni waren unterschiedliches Tafelgeschirr aus Metall und insgesamt sieben Essbesteck-Serien ausgestellt (Abb. 17–21).562 Die Arbeit an den Bestecken hatte gleichzeitig mit der Beschäftigung mit den Radiogeräten begonnen. Auch hierbei hatten die Architekten zur Formfindung mit Gipsmodellen experimentiert.563 Die Serien unterscheiden sich in Form und Materialität und deuten auf verschiedene Zielgruppen hin: Die luxuriöseste Variante ist das Besteck aus goldschimmerndem Vermeil und kobaltblauem Griffen aus Keramik, die darüber hinaus mit Monogrammen versehen sind. Diese Serie eignete sich demnach nicht für eine industrielle Fertigung. Aufschlussreich sind die Namen der produzierenden Firmen: Für die Silberarbeiten war Miracoli zuständig, für die Keramikgriffe Richard Ginori. Miracoli ist eines der ältesten Silberwarengeschäfte Mailands, gegründet 1912, die bis heute Nippes, Pokale und Dekorgegenstände von Hand anfertigt.564 Die Manufaktur Richard Ginori wurde 1735 in Florenz gegründet und produzierte 1940 ebenfalls handwerklich Porzellanwaren im obersten Preissegment.565 Am günstigeren Ende lag das in Aluminium gepresste Essbesteck der Firma Sambonet. Gegründet 1856, errichtete das Unternehmen bereits 1932 eine Fabrik zur industriellen Fertigung ihrer Produkte. Die Firmenleitung entwickelte 1938 ein neuartiges Verfahren zur Herstellung von rostfreiem Stahl sowie eine Methode zu dessen Versilberung. Neben den Bestecken stellten Caccia und die Brüder Castiglini noch andere Gegenstände des häuslichen Lebens aus: ein Teeservice aus Stahl sowie Teller und Schalen aus Aluminium. Als Hersteller sind Sambonet und die deutsche Firma Krupp aufgeführt.

Euphorisch beschreibt Gio Ponti in der Juni-Ausgabe von Domus die neue luxuriöse Besteck-Serie aus Vermeil und Porzellan:

Questa Triennale ha presentato dei «tipi» di posate di una destinazione superiore per materia ed eleganza di disegno. Sono le posate illustrate in queste pagine. Ma quelle qui riprodotte a colori, disegnate dagli architetti Luigi Caccia Dominioni e Castiglioni, eseguite da Miracoli in vermeil (come oggi è di moda) e con il manico di porcellana di Richard-Ginori, rappresentano, fra tutte, un «tipo» di tal

559 Pansera 1978, S. 309.

560 Die Lebensdaten Baroviers konnten nicht ermittelt werden.

561 Die Lebensdaten Corradis sowie der Vorname konnten nicht ermittelt werden.

562 Einige an der Triennale präsentierten Gegenstände der Architektengruppe Caccia Castiglioni sind aufgeführt bei Ponti, «Tipi» 1940.

563 Siehe die Fotografien der Gipsmodelle in Scodeller 2003, S. 20–21.

564 Auf der Homepage erklärt sich die Firma Miracoli zum ältesten Silberwarengeschäft Mailands. http:// www.romeomiracoli.com/traditionit (abgerufen am 12. März 2012).

565 Gio Ponti war zwischen 1923 und 1930 künstlerischer Leiter der Firma. 114

grandissimo stile, di tale purezza di forma e di disegno da farmi dichiarare che non esistono oggi, nella produzione di ogni altro paese, posate più belle.566

Die an der Mostra dei metalli e vetri ausgestellten Gegenstände des Ateliers Caccia Castiglioni sind aufschlussreich, weil sie die enge Zusammenarbeit von Caccia mit der Mailänder Kleinindustrie und dem Gewerbe aufzeigen. Die grosse Bandbreite der Produkte für verschiedene gesellschaftliche Schichten verweist auf die gleiche Strategie wie bei Radiogeräten. Sie kann zudem als Hinweis auf das Selbstverständnis der Architekten gelesen werden: Sie stellen Produkte für verschiedene Gruppen der Gesellschaft her. Damit werden soziale Unterschiede nicht in Frage gestellt, sondern konsolidiert. Die Gestaltgebung der Bestecke lässt daruf schliessen, wie die Architekten die Modernität des Ausdrucks in Abhängigkeit von der Käufergruppe bestimmen: Die luxuriöseste Ausführung für die Elite ist zugleich auch die traditionellste und handwerklichste. Die Form- und Farbgebung, Blau und Gold, versehen mit Monogrammen, ist Essbestecken des 18. Jahrhundert nachempfunden. Die modernste und günstigste Fassung aus Aluminium besteht aus einem Guss und kommt ohne jeglichen Dekor aus.

Woher kam das Interesse Caccias und der Brüder Castiglioni für den Neuentwurf häuslicher Gegenstände? Sie standen damit nicht allein, denn zahlreiche Mailänder Architekten gestalteten in dieser Zeit Besteck- Serien. Gio Ponti hatte Besteck- und Tafelserien für Krupp entwickelt. Auch die Architektengruppe BBPR hatte sich mit dem Thema auseinandergesetzt, ebenso Franco Albini. Das damalige Beschäftigungsfeld des Architekten schloss den Entwurf alltäglicher Gegenstände selbstverständlich mit ein, was wiederum auf die Art seiner Aufträge schliessen lässt: Der Architekt war der Einrichter einer sozialen Elite. Grossbürgerliche Familien hatten meistens einen «Hausarchitekten», der sämtliche Räume des Hauses oder der Wohnung vollständig einrichtete. Zu dem trug die schlechte wirtschaftliche Lage Italiens Ende der dreissiger Jahre, welche die Bauwirtschaft massiv blockierte, dazu bei, dass die Architekten versuchten, mit den Entwürfen von Besteck, Geschirr und Möbeln den Mangel an Bauaufträgen aufzufangen. Hinzukommt Mussolinis Autarchie-Doktrin, die den Import ausländischer Güter untersagte, um dadurch die Produktion der lokalen Industrie anzukurbeln. Bei Ausstellungen mit Messe-Charakter wie die der Triennale ging es immer auch um Wirtschaftsförderung, indem neue Produkte lanciert und auf den Markt gebracht wurden.

Die breite Vielfalt an Bestecken und Geschirrserien und deren unterschiedliche Herstellungsmethoden markiert den Übergang zwischen handwerklicher und industrieller Produktionsweise. Die industrielle Fertigung in Mailand war in den dreissiger Jahre im europäischen Vergleich immer noch sehr handwerklich geprägt. Adrian Forty argumentiert, dass in Manufakturen, wo handwerklich gearbeitet wurde, eine hohe Diversität der Produktion keinen zusätzlichen Aufwand mit sich brachte. Denn jedes Stück sei ohnehin eine Einzelanfertigung gewesen. Dies sei der Grund, weswegen Produzenten vor der Industrialisierung ein viel breiteres Sortiment geführt hätten. Erst die industrielle Herstellung in Serien habe eine massive Einschränkung der Produktevielfalt zur Folge gehabt.567

566 Ponti, «Tipi» 1940, S. 54.

567 Forty 1986, S. 88. 115

4.2.1.4. Kronleuchter

Als weiteres Objekt, das Caccia in der Zwischenkriegszeit realisierte, ist ein Kronleuchter für seine Schwester Chiara und ihren Ehemann Diego Melzi di Cusano.568 Der Kronleuchter wurde mitsamt dem Interieur in der März-Ausgabe der Zeitschrift Domus 1940 von Gio Ponti unter dem Titel «Contrasto e ambientazione» publiziert (Abb. 16). Die Fotografien zeigen einige von Caccia eingerichtete Haupträume im Familienpalast des Grafen Melzi di Cusano an der Strasse Monte Napoleone 18 in Mailand.569 Caccias Auftrag, den er in Zusammenarbeit mit den Brüdern Castiglioni 1939/40 ausführte, umfasste neben neuen Stühlen und Salontischen den Einbau eines imposanten Leuchters. Das Ehepaar Melzi di Cusano hatte bereits 1930 geheiratet und bis 1939 die Einrichtung ihres Palazzo sicherlich vervollständigt. Über die Gründe des Auftrags können nur Vermutungen angestellt werden. Vielleicht wollte die Schwester dem jüngeren Bruder die Möglichkeit bieten, ein kleines Projekt zu realisieren und damit sein Können für andere potentielle Bauherren aus den gehobene Kreisen der Stadt unter Beweis zu stellen, und dabei zugleich der eigenen Lebenswelt einen modernen Anstrich geben.

Der neue Leuchter mit neun Reflektoren überspannt die gesamten Decke des Salons. Er besteht aus einem Raumfachwerk aus Avional-Röhren,570 das an wenigen Stellen an der Decke befestigt ist (auf den Fotografien sind gerade einmal drei Hängeknoten zu erkennen). Den industriellen Charakter unterstreichen auch die Bezeichnungen der Konstruktionselemente im Domus-Artikel: «riflettori», «nodi in duralluminio fuso», «tubi isolanti flessibili in Isoflex», «tubi di avional anodizzato giallo».571 Das Gestänge an der Decke bildet einen markanten Gegensatz zum Rest des Interieurs, das den schweren, massiven Raumgestaltungen des 19. Jahrhunderts verpflichtet ist. Terrazzoboden, Stuckdecke, reichdekorierten Tür- und Wandfriese entsprechen einem neoklassizistischen Farben- und Formrepertoire. Im neuen Kronleuchter kommt eine ambivalente Haltung zum Ausdruck: Seine betont technische Ästhetik ist einer modernen Formgebung verpflichtet, zugleich wird durch eine goldene Farbgebung – die Aluminiumrohre sind gelb eloxiert – die Modernität des Leuchters abgeschwächt und der Lebenswelt der Hausbewohner angepasst.

Architekten und Bauherrschaft befürworteten offensichtlich die Integration zeitgemässer Technik in ein historisches Interieur, indem sie ihr eine starke Präsenz verliehen. Technischer Fortschritt und die Idee der Modernisierung des privaten Lebens wurde gutgeheissen. Möglicherweise deswegen, weil der Erwerb solch fortschrittlicher Gegenstände als Privileg erschien und deren Besitz auf einen aufgeschlossenen und fortschrittsliebenden Charakter des Eigentümers schliessen liess.

Der Umgang mit Neuem basiert auch auf einer Strategie der Aneignung. Das zeigt die goldene Farbe des Gestänge: Es wurde veredelt und damit in den Bereich des Luxuriösen gehoben. Der Einsatz von unbehandeltem Aluminium wäre vermutlich als zu anspruchslos und zu stark im industriellen Ausdruck verhaftet beurteilt worden. Der Präsenz der Technik im Alltag haftet zudem ein gewisser utopischer

568 Chiara wurde am 1909 geboren. Ihr Todesjahr konnte nicht ermittelt werden, ebenso wenig die Lebensdaten ihres Ehemanns.

569 Ponti, «Le polemiche» 1940.

570 Avional ist der Markenname einer Legierung aus Aluminium, Kupfer und Magnesium.

571 Ponti, «Le polemiche» 1940, S. 59. 116

Charakterzug an, denn aus der deutlichen Würdigung einer noch nicht durchgesetzten Industrialisierung spricht auch die – wenn auch verhaltene – Faszination und der Wunsch nach Veränderung.

Gio Ponti nahm in seinem Artikel «Contrasto e ambientazione» das präsentierte Interieur zum Anlass, um die Frage zu stellen, wie das Verhältnis von Altem, Bestehenden zu Neuem und Fremden sein sollte. Die Raumgestaltung der Architekten Caccia und Castiglioni irritierte ihn nicht wegen des Einbaus moderner Elemente in ein historisches Interieur. Er kritisierte, die Architekten hätten dem Kronleuchter eine derart starke Präsenz eingeräumt, dass er gleichbedeutend wie die bestehenden Strukturen der Vergangenheit erscheine.

Forse i barocchi avrebbero distrutto o totalmente trasformato l’ambiente, forse io pure l’avrei fatto. Questi architetti hanno preferito la coesistenza, senza porsi il problema, indifferenti a quanto non accendeva la loro passione. Questa è tutta confessata dalle amorose «nature morte» dei pezzi che compongono il telaio e le minori lampade.572

Der von Ponti für seinen Artikel gewählte Titel «Contrasto e ambientazione» war treffend für das Interieur: Die Zusammensetzung der Architektur aus kontrastierenden Elementen einerseits (die Gegenüberstellung antiker und moderner Gegenstände) und die dabei erfolgende Einpassung und Verbindung der einzelnen Teile in das bestehende Interieur andererseits, waren künstlerische Strategien, die Luigi Caccia Dominionis Arbeitsweise von Beginn an auszeichneten, und welche er in der Nachkriegszeit zunehmend verfeinern sollte.

4.2.1.5. Fazit

Die Projekte, die Caccia Dominioni in seiner Anfangsphase als Architekt während des faschistischen Regimes entwickelte, bewegen sich zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite finden sich die Arbeiten mit öffentlichem Charakter, die unter dem Druck der Modernisierung entstehen, im Ausdruck einer progressiven und der Staatsideologie konformen Formensprache verpflichtet sind und – im Falle der Geräte – in kleinen Serien industriell produziert werden können. Dazu zählen die frühen Wettbewerbsbeiträge, ebenso das futuristische Phonola-Radio und die Besteckserie aus Aluminium, die zudem für eine breite Bevölkerung konzipiert sind. Auf der anderen Seite stehen Projekte, die jenseits von politischer Ideologie und Modernisierungsdruck für den privaten Raum geplant werden. Sie entziehen sich weitgehend einer staatliche gesteuerten Weltanschauung, sie werden handwerklich als Einzelstück und auf Bestellung für einen bestimmten, wohlhabenden Auftraggeber entworfen und gebaut, wie die mit Monogrammen versehenen Bestecke, das Radio als Musikinstrument und nicht zuletzt der Kronleuchter für das adelige Ehepaar.

In der grossen Bandbreite der Betätigungsfelder zeigt sich das Selbstverständnis eines jungen Architekten zu Beginn seiner Laufbahn, der an Aufträgen interessiert ist und dafür sein gestalterisches Können umfassend zur Schau stellt. Zugleich tritt in den Projekten eine pragmatische Haltung gegenüber sozialen und politischen Themen zutage. Caccia operiert innerhalb des Feldes der Möglichkeiten seiner Zeit, ohne gesellschaftliche Konventionen in Frage zu stellen.

572 Ebd., S. 58. 117

Caccias frühe Arbeiten entstehen in einem besonderen zeithistorischen Moment. Italien und insbesondere Mailand befindet sich im Übergang von einer landwirtschaftlich geprägten zu einer industrialisierten Gesellschaft. Sie werfen ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis der sozialen Elite zur Moderne (der Ankunft des Neuen): Die gehobene Schicht der Gesellschaft (zu der Caccia auch zählt) stand der Industrialisierung, dem technischen Fortschritt und einem «futuristischen Ausdruck» im eigenen privaten häuslichen Bereich eher reserviert gegenüber und erachtete diese vor allem als Errungenschaften für eine breite Bevölkerung. Dank ihres Vermögens konnte sie sich den Komfort schon längst leisten, den die weitaus weniger priviligierte grosse Masse erst durch die Industrialisierung erreichte. Insofern ist die betont technische Ästhetik des Kronleuchters im historischen Interieur ein «Flirt» mit der Moderne und kein dringendes, leidenschaftliches Bedürfnis. Eine vergleichbare Haltung lässt sich bei Caccia und seinen Bauherren in der Nachkriegszeit auszumachen.

4.3. Politik, Gesellschaft und Architektur in den wirtschaftlichen Boomjahren

Die Geschichtsschreibung der Mailänder Nachkriegszeit betont die enormen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, welche die sogenannten Boomjahre zwischen 1958 und 1963 hervorriefen. Sie nimmt dabei die Perspektive «von unten» ein und fokussiert sich auf die Modernisierungsprozesse, welche die Lebensgewohnheiten der sozial und wirtschaftlich Benachteiligten, wie der Landbevölkerung, der Arbeiter und der Handwerker, veränderten.573 Die privilegierten sozialen Schichten geraten dabei völllig aus dem Blickwinkel. Luigi Caccia Dominioni selbst sowie seine Bauherren wie Camillo Bianchi, Piero Bassetti, Enrico Giorgio Falck, Leopoldo Pirelli, Emanuele Dubini (1908–2008) und die Familie Mondelli genossen noch vor den Boomjahren und sogar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs jene häuslichen Annehmlichkeiten, die sich weite Teile der Bevölkerung erst nach 196o leisten konnten. Insofern musste diese wohlhabende Elite die zweifellos enormen Transformationen, die sich vor ihren Augen abspielten und die sie als Industrielle, Unternehmer und Ingenieure sogar herbeigeführt hatten, aus einer gänzlich anderen Perspektive wahrnehmen und erleben.

Umgekehrt konzentriert sich die Architekturgeschichte der Mailänder Nachkriegszeit fast ausschliesslich auf die verfeinerte Baukultur und die hohe Qualität des Handwerks, die in den Projekten für diese privilegierte Schicht zum Tragen kommen. Bauten und Einrichtungen von BBPR, Gio Ponti, Asnago & Vender, Luigi Moretti (1907–1973), Vico Magistretti und nicht zuletzt auch Luigi Caccia Dominioni gelten als beispielhaft für die Mailänder Architektur der fünfziger und sechziger Jahre. Was dabei oftmals nicht berücksichtigt wird, ist, dass das Qualitätsniveau der Häuser und Interieurs gemessen an der gesamten Bautätigkeit Norditaliens aussergewöhnlich war. Die Zeitungen dieser Zeit sind voll von Meldungen eingestürzter Gebäude als Folge einer skrupellosen Bauwirtschaft, die minderwertige Häuser, ohne Rücksicht auf Baunormen und Sicherheitsvorschriften errichtete.574

573 Ginsborg 1990. Foot 2001. Saraceno 1993.

574 Ginsborg 1990. Francesco Rosis Film Le mani sulla città von 1963 erzählt die Geschichte der Bauspekulation in den Städten Italiens und zeigt dabei die Korruption, das Chaos des Baubooms und die leidtragende Bevölkerung. Der Film wurde 1963 am Filmfestival in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. 118

Die ausserordentlich qualitätsvollen und handwerklich raffinierten Wohnbauten und Einrichtungen, die Caccia in dieser Zeit für seine privilegierten Bauherren realisierte, müssen im Licht dieser Modernisierungsprozesse, der Bauspekulation und der Privatisierung betrachtet werden.

4.3.1. Wirtschaftswunder und gesellschaftliche Transformation, 1958–1963

Noch in den fünfziger Jahren gehörte Italien zu den wirtschaftlich und industriell «unterentwickelten»575 Ländern Europas. 1951 waren gerade einmal sieben Prozent aller italienischen Haushalte mit «Elektrizität, fliessendem Wasser und Toilettenanlagen» ausgestattet.576 Nur zehn Jahre später, 1961, gehörten solche Annehmlichkeiten zur gewöhnlichen Einrichtung.577 Zwischen 1958 und 1963 entwickelte sich Italien von einem landwirtschaftlich geprägten Land zu einer der «führenden Industrienationen des Westens».578 Das italienische Wirtschaftswunder spielte sich hauptsächlich in den nördlichen Regionen ab.579 Die Gründe für den ungemeinen wirtschaftlichen Schub sind vielgestaltig. Wesentliche Voraussetzungen dafür waren Paul Ginsborg zufolge das Ende des Protektionismus und die wirtschaftlich Öffnung des Landes.580 Ausserdem hatte die Industrie technologisch aufgeholt, und die Produkte waren genügend diversifiziert, um rasch mit einem breiten Angebot auf dem internationalen Markt erfolgreich agieren zu können.581 Ein entscheidender Vorteil der italienischen Wirtschaft waren darüber hinaus die ungemein niedrigen Kosten bei den Arbeitskräften.582 Die massgeblich am Export orientierte Wirtschaft hatte zur Folge, dass sich die Investition auf die Entwicklung «privater Konsumgüter luxuriöser Art»583 konzentrierte. Günstiger Wohnungsbau und öffentliche, soziale Einrichtungen wurden nicht gebaut. Das individuelle und private Glück des Einzelnen ging auf Kosten kollektiver und öffentlicher Aufgaben. «As such, the economic ‘miracle’ served once again to emphasize the importance of the individual family unit within Italian civil society».584 Das Wirtschaftswunder war insgesamt eine «private Angelegenheit».585

Das Wirtschaftswunder verursachte eine grundlegende Transformation der bestehenden hierarchischen Gesellschaftsstrukturen. Die Sozialhistorikerin Chiara Saraceno zeigt auf, wie der «Abstand» zwischen der privilegierten Bevölkerungsschicht und denen, die am unteren Rand der Gesellschaft lebten, sich in dieser

575 Ebd., S. 210.

576 Zu Italiens Boomjahren und den damit einhergehenden sozialen Transformationen siehe ebd., S. 210–253, hier S. 210.

577 Saraceno 1993, S. 535.

578 Ginsborg 1990, S. 212.

579 Ebd., S. 217.

580 Ebd., S. 213.

581 Ebd.

582 Ebd., S. 214.

583 Ebd., S. 216.

584 Ebd.

585 Ebd., S. 240. 119

Periode immens verkleinerte.586 Dieser Prozess war auch von «Ambivalenz» geprägt:587 Familien der Arbeiterklasse konnten sich Ende der fünfziger Jahre «Wohn- und Konsumgewohnheiten [leisten], die zehn Jahre zuvor undenkbar gewesen wären, […] [und] die Wohnraumstandards, die noch in den fünfziger Jahren für eine Mittelschichtfamilie typisch […] [waren], [waren] ihren Kindern zehn und erst recht zwanzig Jahre später nicht mehr erreichbar».588

Für Caccias Bauherren bedeutete der wirtschaftliche Boom zunächst hohe finanzielle Gewinne in ihren Unternehmen. Gleichzeitig verringerte sich der soziale Abstand zum Rest der Bevölkerung beachtlich. Diese Veränderungen waren der «vertikalen» und «horizontalen Mobilität»589 geschuldet, die der Ausbau der öffentlichen Administrationen, die Einführung und Etablierung des fordistischen Modells sowie die Migration der Bevölkerung von Süden in den Norden mit sich brachte.590 In direkterer Form gehörte die neugewonnene Mobilität dank zahlbarer Vespas und Kleinwagen zu den neuen Annehmlichkeiten des Alltags,591 ein Komfort, dessen sich Caccias Bauherren schon längst erfreuten. Camillo Bianchi führt in seinen Memoiren eine Liste der Fahrzeuge an, die er im Laufe seines Lebens erworben hat. Bereits 1936 kaufte er einen Fiat 1100, mit dem er eine Reise bis in die Niederlande unternahm.592 In der Nachkriegszeit gehörte ihm zunächst ein bescheidener Fiat Topolino, in den fünfziger und sechziger Jahren besass er gleich mehrere Autos wie einen Lancia Aprilia, Aurelia und Appia sowie einen Alfa 1900 und schliesslich einen Jaguar 3400.593

4.3.2. Bauspekulation, Wohnbaupolitik und Privatisierung

Die Regierungspartei Democrazia Cristiana verfolgte in den Boomjahren eine Wohnbaupolitik, die auf Privatisierung setzte und die Bauspekulation als willkommenen Motor der Wirtschaft und als Lösung für die fehlenden Wohnungen betrachtete.594 Laut Ginsborg wurden 1950 in Italien 73 400 Häuser gebaut, 1957 273 500 und 1964 450 000.595 Eindrückliches Zeugnis dieser enormen Bauspekulation liefert Italo Calvinos Roman La speculazione ediliza von 1963, in dem er die Verschandelung der Landschaft, die Verbauung der Meeresküsten wie auch die unwiederbringliche Beschädigung der Städte als kulturelle Artefakte beklagt.596

586 Saraceno 1993, S. 517.

587 Ebd., S. 536.

588 Ebd.

589 De Rita 1996, S. 25.

590 Ebd. S.

591 Ginsborg 1990, S. 242.

592 Bianchi 1994, S. 45.

593 Ebd., S. 98.

594 Ginsborg 1990, S. 246–247.

595 Ebd., S. 246.

596 Italo Calvino, La speculazione edilizia, Turin: Einaudi, 1963. Der Roman erschien bereits 1957 in der literarischen Zeitschrift Botteghe oscure. 120

Die Democrazia Cristiana betrieb mit der Unterstützung der katholischen Kirche im Bereich des Wohnungsbaus eine regelrechte Privatisierungspolitik. Wie die Autoren der Anthologie La casa in Italia 1945–1988 darlegen, basierte die Wohnbaupolitik der Partei auf liberalen und faschistischen «Idealen» und zeitigte bis in die siebziger Jahre weitreichende Konsequenzen.597 Auf ökonomisch-sozialer Ebene wurde «das Heim auf eine private Dimension reduziert […] [und der] Wohnungsmarkt zum privaten Problem» erklärt.598 Die politische Propaganda stilisierte das Haus zum «Refugium» der Familie «gegen die Schwierigkeiten der äusseren Welt», «unerschütterlich» und «unantastbar». Auf der Ebene des Konsums wurde das Heim zum «Symbol des Glücks», zum Versprechen für die harte Arbeit. Als ideologischer «Schutzwall der sozialen Stabilität» erfuhr das Eigenheim staatliche Förderung, wenn auch in geringen Mass.

Die politische Agenda für das Private und gegen das Öffentliche zeigte in der Architektur nachhaltige Folgen. Das Wohnhaus rückte – aus Mangel an öffentlichen Aufgaben – noch stärker in den Fokus der Diskussionen. Die Wohnung wurde zum Schauplatz und Schlachtfeld unterschiedlichster Interessen: als Gegenwelt zum öffentlichen Raum, als Bühne der Modernisierungsprozesse, als Hort der Tradition und der konservativen Werte und als Schutzstätte der Familie. Die Privatisierungsprozesse, die Bedeutung der Familie und die Verbreitung der Ideologie des Eigenheims liessen die eigene Wohnung, ihre Gestaltung und Einrichtung zu einem der zentralen Themen der italienischen Nachkriegsarchitektur aller Gesellschaftsschichten avancieren.

4.3.3. Das Ende der Prosperität: die anni di piombo

Die anni di piombo markieren das gewalttätige Ende dieser Periode des Aufschwungs und der wirtschaftlichen Prosperität.599 Als im Herbst 1973 die ökonomische Krise alle westlichen Industrieländer erreichte, war Italien ebenfalls betroffen. Die Anhebung des Ölpreises durch die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) hatte in Italien eine langjährige Inflation, die Entstehung eines Schwarzmarkts und ein enormes Defizit im öffentlichen Sektor zur Folge. Die wirtschaftlich instabile Situation beförderte zudem eine neue, politisch linksgerichtete Gewaltbereitschaft gegen die «herrschende Klassen».600 1970 gründete sich in Mailand die Untergrundorganisation der Roten Brigaden, die mit terroristischen Mitteln gegen die «Unterdrückung» der Arbeiter durch die Grossindustrie kämpften.

Anfänglich gerieten Unternehmen wie Pirelli ins Visier, im Laufe der Jahre weitete sich die Gewaltbereitschaft auch auf weniger prominente Persönlichkeiten aus Industrie und Politik aus.601 1974 kündigten die Roten Brigaden eine Verstärkung ihres «bewaffneten Kampfes» an und begannen mit

597 Rochat/Sateriale/Spano 1980, S. 7–25.

598 Ebd., S. 13.

599 Siehe dazu Ginsborg 1990, S. 351–354.

600 Ebd., S. 361–363.

601 Ebd., S. 362. 121 systematischen Anschlägen und Entführungen.602 Caccia Dominioni und seine Familie wurden ebenfalls Opfer solcher Bedrohungen. Gemäss seinem damaligen Mitarbeiter Glauco Marchegiani war dies einer der Gründe, weswegen Caccia 1975 sein Büro in Mailand schloss und mit der ganzen Familie für acht Jahre nach Monte Carlo zog.603

4.4. Konstruktionen in der Nachkriegszeit

Caccia Dominioni ging zwischen 1955 und 1973 eine vielschichtige Zusammenarbeit mit dem Künstler Francesco Somaini (1926–2005) ein.604 Die Kooperation zwischen Architekt und Künstler stellte im Mailand der Nachkriegszeit keine Ausnahme dar.605 Sie fand zwischen verschiedenen Protagonisten in unterschiedlichen Konstellationen und mit unterschiedlichen Absichten statt. Unter den Befürwortern lassen sich zwei Gruppierungen ausmachen. Auf der einen Seite standen die Künstler der Gruppe Movimento arte concreta (MAC), die für eine Verschmelzung der bildenden Künste «in ein grosses Ganzes»606 nach Vorbild des deutschen Bauhauses607 plädierten und sich damit auf die alte Idee des Gesamtkunstwerks beriefen.608 Solche Gemeinschaftsarbeiten wurden sintesi delle arti, unità delle arti oder arte totale genannt.

Auf der anderen Seite agierten die Vertreter des Kunsthandwerks, die sich von der Zusammenarbeit von Künstlern, Architekten und Kunsthandwerkern die Herausbildung eines spezifischen italienischen Designs versprachen und damit nationale und internationale Märkte erschliessen wollten. Gerade das italienische Kunsthandwerk hatte in mehreren Ausstellungen dank finanzieller Förderung seitens der USA weltweit grosse Aufmerksamkeit erfahren und wurde wegen seiner aussergewöhnlich hohen Qualität und insbesondere wegen der viel gepriesenen Individualität der einzelnen Möbelstücke zu einem der Exportschlager Italiens in der Nachkriegszeit. Als Protagonistin dieser zweiten Gruppe gilt etwa die staatlich geführte Einrichtung Ente Nazionale per l’Artigianato e le Piccole Industrie (ENAPI), die bereits in der Zwischenkriegsphase zur Modernisierung des italienischen Handwerks, Künstler, Architekten und Handwerker in «Kursen, Ausstellungen und Messen»609 zusammengebracht hatte. Ebenso gehört die Compagnia Nazionale Artigiana (CNA) zu dieser zweiten Gruppe.610 Die CNA war beispielsweise im

602 Ebd., S. 363.

603 Gespräch mit Glauco Marchegiani am 27. Januar 2010. Laut den Akten des Mailänder Politechnikums beantragte Caccia am 26. Juli 1973 eine schriftliche Beglaubigung seines Diploms für «Arbeiten im Ausland».

604 Francesco Somaini wurde am 6. August 1926 in Lomazzo (Como) geboren. Zur Biografie siehe Somaini o. J.

605 Caramel 1994, S. 57–103. Damaz 1956. Colori e forme nella casa d’oggi 1957.

606 Der Künstler Gianni Monnet, einer der Gründer des MAC schrieb: «[…] il problema più attuale e che si può dire il fondamentale dell’arte d’oggi […] è quella della collaborazione, anzi fusione in un tutto unico, di quelle che finora erano considerate la varie arti plastiche». Gianni Monnet, «Arte Concreta», in: Spazio, 2 (1951), S. 14. Zit. n. Caramel 1994, S. 94.

607 Ebd., S. 87.

608 Auf die zentrale Rolle Lucio Fontanas wurde bereits hingewiesen. Siehe Kap. 2.2.3.4. Fontana gehörte zum äusseren Kreis der Mitglieder des MAC.

609 Rossi, 2011, S. 139.

610 Um das italienische Kunsthandwerk zu «vermarkten», wurden weltweit Ausstellungen organisiert, darunter auch in Zürich. Forme nuove in Italia 1954. 122

November 1950 an der Ausstellung Italy at Work. Her Renaissance in Design Today im New Yorker Brooklyn Museum beteiligt. Dort waren auch einige Möbel der von Luigi Caccia Dominioni, Ignazio Gardella und Corrado Corradi Dell’Acqua 611 gegründeten Firma Azucena zu sehen.612

Die beiden unterschiedlichen Gruppierungen, die eine Kooperation zwischen Künstlern, Architekten und Kunsthandwerkern forderten, trafen an der IX. und X. Triennale di Milano 1951 und 1954 aufeinander. 1957 folgte eine Ausstellung in der Villa Olmo in Como zum Thema der Zusammenarbeit zwischen «Architekten, Maler, Bildhauer und Industriedesigner»613 mit dem Titel Colori e forme nella casa d’oggi. Caccia war an allen drei Veranstaltungen beteiligt. An der IX. Triennale kuratierte er mit dem Künstler Adriano Di Spilimbergo (1908–1975) die Mostra d’arte sacra, an der X. Triennale war er gemeinsam mit den Künstlern Ennio Morlotti (1910–1992) und Luciano Minguzzi (1911–2004) für die Mostra dello standard zuständig, und an der auch als Anti-Triennale betitelten Ausstellung in der Villa Olmo wurden Caccias Entwürfe für Möbel und Leuchten zusammen mit Skulpturen und Gemälden Francesco Somainis gezeigt. Somaini war ausserdem seit 1955 Mitglied des MAC.614 Caccias Kooperationen mit Künstlern belegen seine biografische Verflechtung und den inhaltlichen Austausch mit zentralen Persönlichkeiten und Positionen der Kunstwelt Mailands in der Nachkriegszeit.

Die langjährige Partnerschaft zwischen Caccia und Somaini beruht auf der Vorstellung einer Einheit der Künste, wie sie nach 1945 in verschiedenen, durchaus anders gewichteten Konzepten auch über Italien hinaus virulent war. Unter den spezifischen kulturellen Bedingungen in Italien kam dem Kunsthandwerk innerhalb der sintesi delle arti grosses Gewicht zu, was sich in einigen programmatischen Ausstellungen niederschlug, an denen auch Caccia und Somaini beteiligt waren. Somaini entwarf als Künstler für Caccias Projekte Bodenbeläge, Kirchenfenster, Kaminfassungen, Handläufe und Geländer und sorgte persönlich für die qualitativ sehr hochwertige Ausführung seiner Ideen.615 Einige Objekte wurden in der Folge durch Caccias Möbelfirma Azucena in kleinen Serien hergestellt und in Innenräumen eingebaut.616 Zudem arbeitete Caccia immer mit derselben Gruppe von Handwerkern zusammen, mit denen die höchste Qualität in der Ausführung seiner Bauten sicherstellen konnte.

Damit kommen zwei wichtige Aspekte der «Konstruktion» zum Ausdruck: Einzigartigkeit und serielle Produktion. Auf der einen Seite stehen die Individualisierung des Grundrisses und des Interieurs, die

611 Corradi dell’Acquas Lebensdaten konnten nicht ermittelt werden.

612 Zu den Architekten, deren Möbel ausgestellt wurden, gehörte neben Caccia auch Franco Albini, Gio Ponti und Carlo Mollino. Lucio Fontana war mit seinen Keramikarbeiten ebenfalls an der Ausstellung vertreten. Rogers 1950, S. 63.

613 «Regolamento della mostra», in: Colori e forme nella casa d’oggi 1957, o. S.

614 Somaini 2002, S. 29.

615 Barilli u. a. 1984, S. 188–209. Umgekehrt errichtete Somaini 1965/66 zusammen mit Caccia das Monumento ai Marinai d’Italia in Mailand, ein sechs Meter hohes Monument am Corso XXII Marzo zu Ehren der im Krieg gefallenen Marinesoldaten. An dem Projekt war gemäss eigener Aussage Caccias Bauherrn Bianchi beteiligt. Bianchi 1994, S. 83–85.

616 Hier sei erwähnt, dass Caccia in seiner Firma Azucena die gleichen Möbel mehrfach anfertigte und in unterschiedlichen Wohnungen einbaute. Die Produktion der Möbel folgte allerdings auf Bestellung, die Möbel waren insofern immer Einzelstücke. Das belegt auch der Variantenreichtum, in dem die Möbel realisiert wurden. 123

Steigerung der Wohnraumgestaltung in den Bereich des Luxuriösen und damit di «Totalästhetisierung aller Lebensbereiche»,617 die Kennzeichen der anderen Seiten sind Regularität, Serie und Wiederholung beispielsweise in Form der Skelettbauweise als neutrale Struktur, sich in verschiedenen Kontexten wiederholender Bauteile, gleicher konstruktiver Details, gleicher Materialien und in Form in kleinen Serien hergestellter Möbel. Die Singularität bildet ein Gegenmodell zu Industrialisierung, Serienfertigung und Konsumgesellschaft, in der seriellen Herstellung wird die Affirmation der Moderne deutlich.

4.4.1. Bestrebungen und Konzepte zur «Einheit der Künste»

4.4.1.1. Die sintesi delle arti im Movimento arte concreta, Mailand 1948–1958

Der Movimento arte concreta (MAC) war keine homogene Gruppe, sondern eine offenes Bündnis von Künstlern mit unterschiedlichen Schwerpunkten.618 Erklärte Vorbilder des MAC waren die niederländische De-Stijl-Bewegung und die Zürcher Konkreten um Max Bill (1908–1994).619 Das Gründungsdatum der Künstlergruppe fällt auf die Eröffnung der ersten Ausstellung am 22. Dezember 1948 in der Mailänder Buchhandlung Salto.620 Der Kunsthistoriker Luciano Caramel teilt die anschliessende zehnjährige Geschichte der für die italienische Kunstgeschichte sehr einflussreichen Gruppierung in zwei Phasen: Die erste Phase ist von der Gründung und Formation der Vereinigung geprägt, die durch unterschiedliche Ausstellungen, Kataloge und Texte medial auf sich aufmerksam machte; die zweite Phase beginnt 1953 und ist durch die Hinwendung des MAC zu räumlichen und architektonischen Fragestellung gekennzeichnet.621

Es war der Maler und spätere Kunsthistoriker Gillo Dorfles (*1910), der als Gründungsmitglied des MAC mehrere Versuche unternahm, ein schriftliches Programm der Bewegung zu verfassen.622 In Dorfles Ausführungen ging es zunächst um den Gegensatz zwischen konkreter und abstrakter Kunst. Die Kunstwerke müssten ohne «symbolische Bedeutung», ohne «formale Abstraktion» auskommen und ihr einziger Zweck sei, «die Rhythmen, Kadenzen, Akkorde zu erfassen, die unsere Welt der Farben so reich machen».623 Die Arte concreta sei die Suche nach «puren und ursprünglichen Formen», schreibt Dorfles zwei Jahre später und plädiert für den Einsatz «einfacher und offener» geometrischen Figuren.624 Er spricht sich für Zeichen aus, die sich aus «Schnörkeln», aus einem «dynamischen, nicht vollkommen bewussten und rationalen Impuls» entwickeln. Er setzte sich für den Gebrauch «formativer Archetypen» ein, die lange nicht

617 Hofmann 1983, S. 88–89.

618 Die Geschichte des MAC behandelt Caramel 1994, S. 84–86.

619 Ebd., S. 88.

620 Ebd., S. 86.

621 Ebd., S. 93.

622 Ebd., S. 90–91.

623 Gillo Dorfles, «Testo introduttivo», Ausst.-Kat. Fantasie colorate di Galliano Mazzon, Galleria Salto, Mailand, 1950. Zit. n. ebd., S. 90.

624 Gillo Dorfles, «Gli artisti del M.A.C.», Ausst.-Kat. Gli artisti del M.A.C., Galleria Bompiani, Mailand, 1951. Zit. n. ebd., S. 91. 124 mehr verwendet worden seien und die als Erzeuger neuer plastischer Anregungen erscheinen könnten.625 Auffälliges gemeinsames Merkmal dieser Definitionsversuche ist die Betonung der unvoreingenommenen Wahrnehmung sowie des Irrationalen und Unbewussten. Wie Caramel darstellt, zeigen die Gemälde dieser Zeit, «dynamische Wechselwirkungen, reziproke Spannungen, wo sich gegensätzliche Energien treffen, die im Benutzer über die Wahrnehmung dynamische mentale Prozesse auslösen».626

Die zweite Phase des MAC ist Fragen nach dem Raum und der sintesi delle arti verpflichtet. Der ausgebildete Architekt, Künstler und Gründungsmitglied des MAC Gianni Monnet (1912–1958) bekannte sich bereits 1951 zum Programm der «Synthese der Künste»: Das fundamentalste und aktuellste Problem der Kunst sei dasjenige der Zusammenarbeit, die Fusion der bildenden Künste «in ein grosses Ganzes» sei.627 In der ersten Ausgabe der Zeitschrift Arte concreta, die der MAC von 1951 an herausgab, wurden denn auch Lucio Fontanas Manifiesto blanco, das Manifest des Gruppo Spaziale Italiano sowie das französische «Manifeste du Groupe Espace» publiziert, um die hohe Relevanz und internationale Verbreitung der Thematik zu demonstrieren. Kurz darauf organisierte der MAC zwei Ausstellungen, die ganz der sintesi delle arti gewidmet waren. Die erste fand im Januar 1952 statt und zeigte unter dem Titel Materie plastiche in forme concrete verschiedenste Objekte in unterschiedlichen Kunststoffen von Zelluloid bis Plexiglas.628 Unter den beteiligten Künstlern waren Fontana, Dorfles, Monnet und Bruno Munari zu finden. Die zweite mit «Studi per forme concrete nell’industria motociclistica» überschrieben Schau wurde noch im selben Jahr in der Absicht organisiert, «den Industriellen zu beweisen, dass es eine Möglichkeit der Zusammenarbeit zwischen der Technik und der Kunst gibt».629 Um eine solche Verbindung zu institutionalisieren, gründeten die Mitglieder des MAC 1952 ein «Centro Studi», das in Bereiche wie «Urbanistik, Architektur, Farbe, Ausstellung-Feste, Bildhauerei» gegliedert war und Kurse in «Keramik, Bildhauerei sowie keramische Dekoration (geleitet von Fontana)» und «Grafik, Werbung, Einrichtung (geleitet von Munari) und Kunstgeschichte» durchführte. Das «Centro Studi» zog vor allem Architekten an und erweiterte die Mitgliederzahl des MAC erheblich.630

Eine weitere Wendung vollzog der MAC, als es 1954 zur Fusion mit der französischen Gruppe Espace kam. Diese war 1951 von dem Architekten, Bildhauer und Maler André Bloc (1896–1966) gegründet worden. Bloc hatte bereits 1952 eine ganze Nummer der von ihm herausgegebenen L’Art d’aujourd’hui den Italienern gewidmet (Abb. 102).631 Zu den bekanntesten Künstlern und Architekten, die dem MAC spätestens 1955 beigetreten waren, gehörten Mario Radice (1898–1987), Fontana, Munari, Michelangelo Conte (1913–1996) und Architekten wie Franco Albini, Carlo De Carli (1910–1999), Ettore Sottsass, Vittoriano Viganò (1919–

625 Ebd., S. 91.

626 Ebd., S. 93.

627 Gianni Monnet, «Arte Concreta», in: Spazio, 2, (1951), S. 14. Zit. n. Caramel 1994, S. 94.

628 Ebd., S. 94–95.

629 Ebd.

630 Ebd.

631 Degand 1952, S. II. Zu weiteren Artikeln über die italienische Kunst siehe S. 1–28. 125

1996) und Marco Zanuso (1916–2001).632 Caccias Partner Francesco Somaini war seit 1955 ebenfalls Mitglied der Gruppierung.633 Von 1957 bis 1958 war Somaini sogar im Exekutivausschuss der Bewegung und nahm an verschiedenen Ausstellungen in Mailand wie auch in Paris teil.634 Gemäss Caramel führte der Eintritt der Architekten in den MAC nicht dazu, dass sich die «utopische» Vorstellung einer sintesi delle arti hin zu einer «konkreten, modernen und professionellen» Strategie verwandelte, sondern mündete eher in eine bürokratisch aufgeblasene Organisationsstruktur. Wegen immer grösser werdenden Differenzen unter den Mitgliedern wurde der MAC 1958 aufgelöst.635

Die zweite Phase in der Geschichte des MAC ist insofern interessant, als das Programm der sintesi delle arti in eine kunsthandwerkliche Praxis mündete. Diese Wendung zeigt sich vor allem in der Themenwahl für die erwähnten Ausstellungen. Es scheint, dass den Initianten die Unterscheidung zwischen Kunsthandwerk und Kunst nicht wichtig war, mehr noch, dass in ihren Augen das Kunsthandwerk neben der Architektur auf ideale Weise die angestrebte Synthese erfüllen konnte. Das Fehlen einer übergeordneten Theorie im MAC hat eine solche Gleichsetzung sicherlich begünstigt.636

Ebenso bemerkenswert ist die Thematisierung des Materials Kunststoff in einer der beiden Ausstellungen. Kunststoff galt als modernes und industrielles Material, das, ob gegossen, gepresst oder modelliert, jede beliebige Form annehmen kann. Seine Nutzung erfordert den Formwillen eines Gestalters. In dem formlosen Material Kunststoff ist die Verbindung zwischen industrieller Produktion und plastischer Bearbeitung bereits angelegt, es muss daher den Künstlern als idealer Stoff zur Synthese von Kunst und Technik erschienen sein.

4.4.1.2. Die «Synthèse des arts plastiques» im internationalen Austausch

Der Diskurs um eine neue «Synthese der Künste» unter Architekten, Malern und Bildhauern wurde auch ausserhalb Italiens – allerdings unter ganz anderen Bedingungen und Fragestellungen – geführt. An der 7. CIAM-Konferenz 1949 in Bergamo bildete die Frage der synthèse einen der Schwerpunkte. 1954 widmete André Bloc der «Synthèse des arts» eine ganze Ausgabe der L’Art d’aujourd’hui637 (Abb. 103), und 1956 erschien eine Publikation von Paul Damaz (1917–2008) mit dem Titel Art in European Architecture. Synthèse des Arts.638 Die Unterschiede zwischen den international geführten Diskussionen und jenen in Mailand lassen die Besonderheit der italienischen Situation anschaulich hervortreten.

632 Caramel 1994, S. 98.

633 Somaini 2002, S. 29.

634 Ebd., S. 36, Anm. 16.

635 Caramel 1994, S. 99.

636 Ebd., S. 85.

637 Synthèse des arts 1954. Die Zeitschrift wurde von André Breton herausgegeben.

638 Damaz 1956. 126

Im Vorfeld der 7. Konferenz der Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM) 1949 in Bergamo639 hatten der Kunsthistoriker Sigfried Giedion (1888–1968), Vorsitzender der für die Tagung zuständigen Kommission,640 und der Künstler Hans Arp (1886–1966) im Rahmen eines Treffens des CIAM- Rates am 4. und 5. März 1949 in Paris die Beziehung zwischen Architektur und Kunst zu einem der Schwerpunkte des Kongresses erklärt.641 Den Teilnehmern wurde eine «Questionnaire sur la synthèse des arts plastiques» vorgelegt,642 mit den folgenden drei Fragen: «1. Existe-t-il des rapports entre les Arts plastiques, et quels sont-ils? La collaboration est-elle possible entre l’architecte, le peintre et le scupteur et de quelle façon? 3. L’homme de la rue est-il en état de réceptivité devant las manifestations de cette synthèse?»643

Die Stellungnahmen der einzelnen Diskutanten offenbaren die unterschiedlichen Ziele, die mit einer solchen Synthese verbunden wurden. Generell war man sich jedoch darüber einig, dass die Beziehungen zwischen den Künsten wiederhergestellt werden und Zusammenarbeiten möglich sein müssten. Die dritte Frage wurde am kontroversesten erörtert. Allerdings blieb offen, inwiefern die Synthese der Künste überhaupt zu realisieren wäre. Im Hinblick auf die Debatten in Mailand unterschieden sich die Stellungnahmen in Bergamo durch ihre dezidiert politischen Anliegen.

Ernesto Nathan Rogers war ebenfalls in Bergamo anwesend. Er erklärte dort, dass man sich in den Jahren zuvor darum bemüht habe, die «Architektur vom Ornament zu befreien».644 Loos habe zwar Recht gehabt, das Ornament als Verbrechen zu bezeichnen, aber nur im Bereich der Architektur. In den übrigen Künsten sei das Ornament immer noch notwendig. «L’art concret est une expression authentique de l’imagination par sa propres moyens. La relation entre les arts est donc aujourd’hui une relation enre individus libres».645 Rogers’ Stellungnahme erstaunt nicht, er hatte sich bereits 1946 anlässlich der Vorbereitungen der Ausstellung Oggetti per la casa dezidiert für das Dekor ausgesprochen.646

639 Die Konferenz begann am Samstag, den 23. Juli 1949, und dauerte bis zum darauffolgenden Samstag, den 30. Juli 1949. Auf dem Programm standen: 1. Urbanismus, 2. Bildende Künste, 3. Unterricht, 4. Industrialisierung, 5. Legislation, 6. Soziale Programme. CIAM 7 1979, S. 100.

640 Ebd. Zu den weiteren Mitgliedern der Kommission gehörten Max Bill, Van der Paardt, Vilhelm Laruitzen, Giuseppe Samonà, Gabriele Mucchi, Luigi Figini und Charalambos Sfaellos. und James J. Sweeney waren die geladenen Spezialisten, Spindle und Borachia die Sekretäre. Unter den italienischen CIAM-Mitgliedern, die an der Konferenz in Bergamo teilnahmen, waren ausserdem Franco Albini, Ludodovico Barbaiano di Belgiojoso, Piero Bottoni, Luigi Cosenza, Luigi Carlo Daneri, Ignazio Gardella, Gabriele Mucchi, Pietro Lingeri, Enrico Peressutti, Marco Pucci, Gino Pollini, Ernesto Nathan Rogers, Giovanni Romano und Giuseppe Samonà. Zu den italienischen «specialistes invités» gehörten neben Giulio Carlo Argan, auch Carlo Carrà, Marino Marini und Carlo Ludovico Ragghianti.

641 IIème Commission, Rapport B, in: ebd., o. S. [4. Seite].

642 IIème Commission, Compte-rendu de la Séance plenière, in: ebd., S. 1.

643 Ebd.

644 IIème Commission, Compte-rendu de la Séance plenière, in: CIAM 7 1979, S.2.

645 Ernesto Nathan Rogers in ebd., S. 2.

646 Siehe Kap. 3.3.1. 127

André Blocs monografische Ausgabe der L’Art d’aujourd’hui von 1954 zur «Synthèse des arts» ist eine historisch angelegte Beweisführung zur Legitimation der Synthese der Künste als kulturelle Praxis (Abb. 103).647 Neben den antiken Beispielen aus Griechenland wurden Bauten der italienischen Renaissance und des Barock zur Illustration herangezogen. Unter den zeitgenössischen Referenzen war die Villa Heimendinger in Strassburg publiziert, in der Sophie Taeuber Arp (1889–1943) 1927 Wandgemälde ausgeführt hatte. Ebenso war Piet Mondrians (1872–1944) Atelier und Wohnhaus in New York von 1944 abgebildet.648 Mit der Wahl dieser Künstler beriefen sich die Macher auf Vorbilder, die mit den italienischen Künstlern des MAC geistig verwandt waren. In dem längsten Text des Heftes propagierte der Journalist Roger Bordier (*1923) die Kunst als «service social»,649 und stellte sich gegen diejenigen, die sich der intimen und individuellen Kunst verschrieben hatten. In der Verbindung mit Architektur sollte die bildende Kunst als alltägliches, öffentliches Faktum eine gesellschaftliche Relevanz entwickeln. Im privaten Raum riskiere sie, unbeachtet in Vergessenheit zu geraten.650

Paul Damaz 1956 erschienene Publikation mit einem Vorwort von Le Corbusier (1887–1965) demonstriert das grosse Interesse an der Thematik aus der Perspektive eines US-Amerikaners.651 Die erklärte Absicht des Autors war, die durch die revolutionäre Moderne verlorengegangene «harmonische Einheit»652 zwischen den bildenden Künsten wiederherzustellen. Dass diese harmonische Einheit nicht unbedingt aus einer gleichberechtigten Partnerschaft zwischen Künstler und Architekt hervorgeht, macht Le Corbusier in seinem Vorwort deutlich. Seinem Verständnis nach ist der Künstler dem Architekten untergeordnet. Zwar räumt Le Corbusier die Möglichkeit eines Dialogs zwischen Künstler und Architekt ein, warnt aber auch vor der Gefahr, dass der Künstler die Sprache des Architekten nicht verstehen könnte.653

Paul Damaz’ hochwertig produzierter Band ist mit zahlreichen europäischen Beispielen aller historischen Epochen ausgestattet. Bemerkenswert ist seine Bewertung der italienischen Situation. Einerseits stellt er fest, dass Zusammenarbeiten zwischen Künstlern und Architekten in Italien häufiger stattfinden als in anderen europäischen Ländern, andererseits kritisiert er die Resultate, sie seien von «geringer Bedeutung» und eher «dekorativ».654 Das Problem liege darin, dass die meisten dieser Projekte für private Wohnhäuser geschaffen würden und die Italiener ihren esprit hauptsächlich für die Gestaltung von Innenräumen einsetzten.655 Zu den abgebildeten Mailänder Beispielen gehörte das 1951 fertiggestellte Wohnhaus von Marco Zanuso, dessen Fassade der Maler Giovanni Dova (1925–1991) gestaltet hatte, ein Handlauf der Künstlerin Antonia

647 Synthèse des arts 1954.

648 Seuphor 1954, S. 10–12.

649 Bordier 1954, S. 14.

650 Ebd.

651 Damaz 1956.

652 Ebd. S.3.

653 Ebd., S. viii.

654 Ebd., S. 79.

655 Ebd., S. 79–80. 128

Tomasini656 für ein Haus des Architekten Giulio Minoletti (1910–1981) oder Angelo Mangiarottis «Costruzione infinita».657

Es war offensichtlich in Italien schwierig, die sintesi delle arti als politisch motivierte Kunst von öffentlicher Relevanz zu verwirklichen. Kunst wurde in den meisten Fällen von privaten und vermögenden Bauherren gewünscht und bei ausgewählten Künstlern in Auftrag gegeben. Kunst war evidentermassen eher ein luxuriöses, repräsentatives Gut. Da die öffentliche Hand nur wenige Bauvorhaben oder Kunst im öffentlichen Raum realisierte, war Kunst in Italien, sofern der Künstler nicht selbst über finanzielle Mittel verfügte, zumeist Auftragskunst und deswegen kaum politisch.

4.4.1.3. Die «Unità delle arti» an der IX. Triennale 1951

Die Synthese der bildenden Künste war das übergeordnete Thema der IX. Triennale di Milano 1951. Im Exekutivausschuss sassen unter anderen der Architekt und Szenograf Luciano Baldessari (1896–1982) sowie der Architekt Franco Albini.658 Unter dem weiten Dach der «Unità delle arti» führten die Macher eine Reihe ganz unterschiedlicher Konzepte der Kooperation zwischen Künstlern, Handwerkern und Architekten auf. Da waren die Künstler, die raumgreifende Installationen entwarfen; den berühmtesten Beitrag lieferte Lucio Fontana mit seiner Neon-Skulptur über der grossen Treppe des Triennale-Gebäudes.659 Diese Kunstwerke waren punktuell in den Erschliessungsräumen ausgestellt, um den Besucher auf seinem Weg durch die Schau zu begleiten. Dann gab es staatliche Einrichtungen wie die ENAPI oder die CNA, die an der Modernisierung des italienischen Handwerks und dessen Verkauf interessiert waren und dafür Kunsthandwerker, Künstler und Architekten zusammengebracht hatten. Gio Ponti hatte mehrere Keramik-Ausstellungen kuratiert, wo Fontana nochmals mit Vasen und Wandtellern vertreten war. Zudem sind die zahlreichen Präsentationen von Leuchten, Stühlen oder ganzen Einrichtung zu nennen, die Möbelfirmen wie auch Architekten als Designer vorstellten. Nicht zuletzt reicherten die ausländischen Beiträge der Exponate an, indem sie je nochmals Kunst, Kunsthandwerk und Kunstgewerbe aus den jeweiligen Nationen zeigten.

Im Gegensatz zur heimischen Kritik war die internationale Rezeption der IX. Triennale weitaus positiver und von den ausgesprochen luxuriösen und raffinierten Möbeln sehr angetan.660 Die italienischen Rezensenten indes sahen sich angesichts der unpolitischen Ausstellungen ernüchtert. Das wirklich grosse Problem der Wohnungsnot war vernachlässigt worden. Das sozial engagierte Programm der VIII. Triennale, die Piero Bottoni geleitet hatte, war, wie der Stadtplaner Carlo Doglio (1915–1995) in Metron anmerkte, einer Triennale gewichen, die sich «eklektizistisch» gab und eine beschämende «Überwindung des Rationalismus»

656 Die Lebensdaten Tomasinis konnten nicht ermittelt werden.

657 Damaz 1956, S. 186, 188, 200–201. Zu Mangiarotti siehe Licitra Ponti 1952.

658 Zudem sind Marcello Nizzoli (1887–1969), Elio Palazzo (*1898) und Adriano Di Spilimbergo aufgeführt. Pansera 1978, S. 362.

659 Fontanas revolutionäre Neon-Skulptur wurde bereits im Kap. 2.2.3.4. besprochen.

660 Die IX. Triennale zeichnete sich durch hohe Internationalität aus. Auf die positive ausländische Kritik weist Catharine Rossi hin. Rossi 2011, S. 113 und 143–144. 129 darstellte.661 Zwar war Bottoni noch involviert, aber nur noch am Rande und ausschliesslich für die Realisierung des Quartiere Triennale 8 zuständig. Doglio meinte einen Rückfall in die Tradition des «neo- classico» zu erkennen. Die von Baldessari und Fontana realisierte Neon-Installation nannte er spöttisch «il [...] trionfo hollywoodiano di luci al neon e di lusso. […] Tutta decorazione, tutto formalismo». Doglios Kritik drückte aus, was viele politisch linke Intellektuelle angesichts der Politik der Democrazia Cristiana verspürten. Es gab jedoch auch Befürworter der Ausstellung. Allen voran Gio Ponti, der sich von der «selektiven» Schau von 1947 distanzierte und eine Triennale realisieren wollte, die offen für alle Tendenzen sei, um dadurch die «Umrisse des Fortschritts des Stils erkennbar» zu machen.662

Allerdings vertrat Ponti eine Idee der Einheit der Künste, die wiederum im Gegensatz zur Vorstellung Franco Albinis, einem der Mitglieder des Exekutivkomitees, stand: Ponti befürwortete die Kreation des Unikats, das «aussergewöhnliche Objekt», wohingegen Albini sich in der Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen, die Gestaltung und Produktion von «Gebrauchgegenständen» erhoffte.663

Die Vielschichtigkeit der Positionen, Exponate und Materialien, die unter dem Motto der «Unità» zusammentrafen, waren im Hinblick auf die «Genese» des italienischen Industriedesigns an der darauffolgenden X. Triennale grundlegend.664 Die vielgepriesene hohe Qualität des italienischen Handwerks, die «Individualität»665 der Produkte dank kleiner Serien und das grosse Interesse der US-Amerikaner an italienischem Handwerk und Design beförderte in Italien das Industriedesign als teures, luxuriöses und modernes Gut. Für eine kurze Zeitspanne wurde Industriedesign tatsächlich zu den bildenden Künsten gezählt, bevor es in den sechziger Jahren den Stellenwert eines gutgestalteten, käuflichen Gebrauchsgegenstand für die erstarkten Mittelklassen erhielt.666

Auch Luigi Caccia Dominioni war mit seiner eigenen Möbelmanufaktur Azucena Teil dieser Entwicklung. Trotzdem war er an einer intensiven Vermarktung und weiten Verbreitung seiner Möbel nicht interessiert. Diese Haltung tritt an der Mostra dello standard, die er für die X. Triennale 1954 kuratierte, deutlich zutage, als er die Idee des Standards durch ungewöhnliche Exponate dezidiert unterminiert.

4.4.1.4. Die Mostra d’arte sacra an der IX. Triennale 1951

Bereits an der IX. Triennale hatte Caccia mit der Mostra d’arte sacra sein szenografisches Geschick, mit wenigen Mitteln grosse Effekte zu erzielen, demonstriert (Abb. 95–97).

661 Carlo Doglio, «Accademia e formalismo alla base della Nona Triennale», in: Metron, 43 (1951). Zit. n. Pansera 1978, S. 386. Auch im Folgenden.

662 «[…] aperta a tutte le tendenze, affinché rappresenti lo speccio scrupoloso del costume attuale e da esso, e non dall’opinione della giunta, si possano riconoscere i lineamenti del procedere dello stile». Zit. n. ebd., S. 368.

663 Ebd.

664 Sparke 1998. Anty Pansera spricht von der «Nascita del design alla X Triennale». Pansera 1978, S. 72.

665 Sparke 1998, S. 65.

666 Ebd., S.67–68. 130

Caccia war gemeinsam mit dem Maler Adriano Di Spilimbergo und Luigi Figini beauftragt worden, in einer «Mostra dei concorsi del Duomo» die prämierten oder in die engere Wahl gezogenen Objekte dreier Wettbewerbe zu präsentieren, welche die Administration der Fabbrica del Duomo, die Bauhütte des Mailänder Domes, initiiert hatte. Mit den «Concorsi del Duomo» sollten ein Ersatz für ein Rosettenfenster und eine Bronzetür sowie neue Statuen für die Spitzen der Fialen gefunden werden.667

Die Mostra d’arte sacra fand im Salone centrale, der grossen inneren Halle des Triennale-Gebäudes, statt. Eigens eingezogene raumhohe, dunkel gestrichene Wände bildeten den Hintergrund für die plastischen Exponate in Form weisser Gipsskulpturen, die entsprechend ihrer künftigen Position montiert waren. So hingen die Statuen für die Fialen oben im Raum, die Gipse des Bronzeportals befanden sich auf Augenhöhe. Damit der Farbwechsel und die Reflexionen der Glasmalerei gut zur Geltung kamen, waren die Rosette und weitere Kirchenfenster in Wandöffnungen eingesetzt und wurden von der Rückseite beleuchtet. Zur Demonstration ihrer Pracht konnte das Licht in der Halle ausgeschaltet werden, um dem Farbenspiel eine höhere Wirkung zu verleihen.

Die drei Kuratoren bezogen in die Ausstellung zudem Kopien originaler Skulpturen aus dem Dom mit ein. Dazu gehörte die Nachbildung einer Statue aus dem 14. Jahrhundert, ein Abguss der Figur des heiligen Guerriero aus dem 15. Jahrhundert und eine massstäblich verkleinerte Reproduktion einer Tür.668 Das zukünftige Zusammenspiel der Figuren sollte im Ausstellungsraum vorweggenommen (simuliert) werden. Die Besucher konnten die neuen Objekte direkt mit den historischen Artefakten im Detaillierungsgrad, im Ausdruck und in den Proportionen vergleichen. Es sollte ihnen die formale Harmonie und dadurch auch die Kontinuität zwischen den alten und neuen Werken vor Auge geführt werden.

Auch Lucio Fontana war mit zwei Werken in der Ausstellung präsent. Neben seinem Wettbewerbsbeitrag für die Bronzetüre, welche die Jury des Concorso für eine Überarbeitung empfohlen hatte, wurde in der Reihe der Artefakte, die ausserhalb des Wettbewerbs standen, seine kleine Keramikstatue Vergine col bimbo gezeigt. Die Beteiligung Fontanas ist ein erneutes Indiz, dass Caccia Fontanas Position der sintesi delle arti vertraut war.

Trotz der Aufforderung der Triennale-Leitung – namentlich Franco Albini – unterliessen es Caccia, Spilimbergo und Figini, die Ausstellung durch zusätzliche Fotografien von Sakralbauten «anschaulicher» zu gestalten.669 Damit unterstrichen sie ihre Absicht, die religiösen Motive atmosphärisch und weniger didaktisch-dokumentarisch zu vermitteln. Gio Ponti beschreibt die Raumwirkung in einer Rezension:

«L’ambiente è oscuro, le statue a sinistra, sono illuminate di luce bianca, le statue a destra sono illuminate di luce arancione».670

667 Ponti 1951. In diesem Artikel ist der Gipsabdruck der Bronzetür Lucio Fontanas abgebildet.

668 TRN: IX Triennale, «Salone d’Onore. Mostra dei Concorsi del Duomo», o. D. [Ende März 1951].

669 In einem Schreiben an Figini und Caccia hielt Albini fest, dass er mit ihrer Entscheidung, auf Fotografien der Sakralbauten zu verzichten, nicht einverstanden sei. TRN: IX Triennale, «Lettera inviata ai signori arch. Luigi Figini, arch. Luigi Caccia Dominioni», 23. April 1951.

670 Ebd. Bildunterschrift S. 11. 131

Die reduzierte und kulissenhafte Ausstellungsarchitektur, die den Exponaten viel Raum schenkte, ist mit anderen kontrastreichen, auratischen Museumseinrichtungen der fünfziger Jahre in Norditalien vergleichbar. Man denke etwa an Franco Albinis Museum Palazzo Bianchi in Genua, das zeitgleich zwischen 1950 und 1952 entstand. Auch hier wurden die Artefakte aus den ursprünglichen Kontexten herausgelöst und in einer reduzierten räumlichen Disposition in Szene gesetzt.

Die Mostra d’arte sacra war gänzlich einer räumlich-atmosphärischen Inszenierung und damit einem synästhetischen Raumerlebnis verpflichtet. Die Inszenierung der Exponate stand ganz im Einklang mit der Idee der Synthese von Architektur und Kunst, von Raum und Objekt. Das ist nicht zuletzt auch auf die Aufgabenstellung zurückzuführen, denn im Kirchenbau ist die Idee des Gesamtkunstwerks seit jeher angelegt. Die Verweigerung, die Ausstellung durch Fotografien dokumentarischer zu gestalten, demonstriert die Eigenständigkeit der Kuratoren sowie ihr intensives Interesse an einer räumlichen Inszenierung. Die starke Präsenz Lucio Fontanas belegt die enorme Bedeutung der von ihm vertretenen Position einer Synthese der Künste in diesem architekturhistorischen Moment.

4.4.1.5. Die Mostra dello standard an der X. Triennale 1954

Drei Jahre später, an der X. Triennale standen die Frage der Kunst und ihr Bezug zu industrieller Produktion und zur Architektur erneut im Zentrum der Auseinandersetzung.671 Im Exekutivkomitee waren mit Lucio Fontana, Mario Radice und Attilio Rossi (1909–1994) die Künstler in der Überzahl. Auch der Architekt Marco Zanuso sass im Ausschuss. Als Mitglied des «gruppo Espace italiano»,672 des italienischen Ablegers der französischen Groupe Espace, gehörte er ebenfalls zu den Verfechtern der Synthese der bildenden Künste.673 Caccia Dominioni kuratierte zusammen mit den Architekten Gardella, Magistretti, Carlo Casati (1918–2004) und Mario Righini674 sowie den Künstlern Luciano Minguzzi und Ennio Morlotti die Ausstellung Mostra dello standard.675 Im Thema der Ausstellung kommt ein besonderer zeithistorischer Moment zum Ausdruck: Mailands Ökonomie befand sich 1954 im Übergang von einer handwerklich geprägten Produktion in eine Industriewirtschaft.676 Dieser Moment wird in der Mostra dello standard in besonderem Mass anschaulich. Laut Triennale-Katalog sollten dem Besucher die Möglichkeiten einer Einrichtung mit Serienmöbeln vorgeführt werden.677 Mit «Standard» war das in Serie hergestellte Möbel als Gegenstück zum handwerklich hergestellten Unikat bezeichnet.

671 TRN: X Triennale, DEC/fm, «Relazione della Giunta technica esecutiva sul Programma della Decima Triennale»), S. 2–3, 25. September 1953.

672 Caramel 1994, S. 98.

673 Zanuso hatte bereits 1947 mit Fontana zusammengearbeitet. Ebd., S. 123.

674 Die Lebensdaten des Architekten Righini konnten nicht ermittelt werden.

675 Die Ausstellung wurde auch in Domus von Gio Ponti positiv besprochen. Ponti, «I mobili standard» 1954.

676 Pansera 1978, S. 72.

677 Decima Triennale di Milano 1954, S. 105. 132

Laut den Protokollen richtete sich die Ausstellung an Wohlhabende und nicht an Bedürftige. Es sollte den Besuchern vermittelt werden, dass Standard nicht «Armut des Geschmacks und Langeweile im Ausdruck»678 bedeutet, sondern dass es möglich ist, mit Standard-Möbeln «herrschaftliche Effekte» zu erzeugen.

[…] la Giunta ha affidato ad artisti specializzati il compito di creare con oggetti standard sapientemente orchestrati in ambienti adatti, effetti di signorilità che hanno sorpreso il pubblico.679

Fotografien der Mostra dello standard zeigen teuer eingerichtete Interieurs durchsetzt mit kleinen antiquarischen Objekten, Gemälden und Büchern (Abb. 105–106). Die meisten Möbel stammen von Azucena, ergänzt durch ausländische Produkte. Die Inszenierungen des Mobiliars für eine wohlhabende Schicht demonstrieren zugleich ein Desinteresse an den ökonomischen Vorteilen der Serienanfertigung.680 Industriell hergestellte Möbel werden als neue Option für eine luxuriöse Einrichtung betrachtet, eine finanzielle Notwendigkeit für eine solche Art der Produktion besteht nicht. Die physische Verkörperung dieser Haltung war der hexagonale Billardtisch, der von Caccia und Magistretti entworfen und von der Mailänder Firma Hermelin hergestellt worden war (Abb. 107). Dieses aussergewöhnliche Ausstellungsexponat muss als gezielte Provokation und eigentliche Verweigerung des Standards zugunsten des originellen Einzelstücks gesehen werden.

4.4.1.6. Fazit

Das vom Movimento arte concreta geforderte Programm der Verbindung von Kunst, Handwerk, Technik und Architektur mündete an der X. Triennale in der Entstehung des italienischen Industriedesigns.681 Das starke Interesse am Kunsthandwerk auf Seiten der Mailänder Künstler ist mit das Resultat einer liberalen Ökonomie und fehlender öffentlicher Aufträge. Industriedesign bot Künstlern dank Serienproduktion die Chance, ein grösseres Publikum zu erreichen.682

Kunsthandwerk und später das in kleinen Serien hergestellte Möbel und Designobjekt gehörten zu den erfolgreichen Exportprodukten Norditaliens, gerade weil sie in den Augen der ausländischen Käuferschaft als einzigartig und aussergewöhnlich galten. Kunst unterliegt allerdings in einer solchen Konstellation der Politik und Mechanik des Konsums. Sie muss gefallen, einem Nutzen dienen und eine Käuferschaft überzeugen, damit sie erworben wird. In einem solchen Verhältnis fällt der Künstler in die Rolle des Gestalters eines komfortableren Lebens.

Luigi Caccia Dominioni bewies mit der Mostra dello standard seine Skepsis gegenüber dem Konzept des Standards. Zwischen Franco Albini, der sich in der Zusammenarbeit von Künstlern mit Kunsthandwerkern

678 TRN: X Triennale, «Relazione della Giunta technica esecutiva sul Programma della Decima Triennale», o. D., S. 2.

679 Ebd.

680 Pansera 1978, S. 398.

681 «La nascita del design alla X Triennale», ebd., S. 72.

682 Ausserhalb Italiens erfuhr das Industriedesign kaum dieselbe Bedeutung. André Bloc liess Kunsthandwerk oder Industriedesign in seiner Publikationen gänzlich beiseite. Synthèse des arts 1954. Bei Damaz wurden zwar ein paar italienische Beispiele aus diesem Bereich gezeigt, gleich aber mit dem Prädikat «dekorativ» gerügt. Damaz 1956, S. 79. Bei CIAM 7 in Bergamo wurde dieses Thema ebenfalls übergangen. 133 und Industriellen die Herstellung von «Gebrauchsgegenständen» 683 erhoffte, und Gio Ponti, der diese Zusammenarbeit als Grundlage für die Kreation «aussergewöhnlicher Objekte» betrachtete, ist Caccias Position wohl näher bei Ponti anzusiedeln. Caccia wollte den Beweis erbringen, dass man mit (oder trotz) in Serie hergestellten Möbeln einzigartige Innenräume schaffen kann. Caccia zeigte damit seinen Bauherren auf, wie sie «modern» sein können, ohne einem einheitlichen Standard entsprechen zu müssen und damit in Gleichförmigkeit abzusinken.

4.4.2. Die Ausstellung Colori e forme nella casa d’oggi, Como 1957

Die im Juli 1957 in der Villa dell’Olmo in Como organisierte Ausstellung Colori e forme nella casa d’oggi war ebenfalls der Zusammenarbeit von Künstlern, Architekten und Kunsthandwerkern gewidmet, zu denen neu die «Designatori industriali», die Industriedesigner,684 hinzukamen. Anders als bei den Mailänder Triennalen ging die Ausstellung auf eine Initiative von Künstlern zurück. Im Exekutivkomitee waren drei Mitglieder des MAC vertreten, neben Somaini der Maler Mario Radice in der Funktion des Präsidenten und der Künstler Manlio Rho (1901–1957).685

Der Titel war eine Referenz an eine Ausstellung, welche die französische Künstlergruppe Espace 1954 im französischen Biot mit dem Titel Architecture – Couleurs – Formes veranstaltet hatte.686 André Bloc, Mitglied der Gruppe Espace und Chefredaktor von L’Art d’aujourd’hui und L’Architecture d’aujourd’hui, gehörte mit Le Corbusier zum Ehrenkomitee der Ausstellung in Como,687 die wie die Schau in Biot als «Anti-Triennale»688 betitelt wurde, da zahlreiche Architekten, die in Como mitmachten, der im gleichen Jahr stattfindenden XI. Triennale aus Protest gegen deren reformbedürftiges Formats fernblieben.689

683 Pansera 1978, S. 368.

684 «Designatori industriali» war eine neue Berufsbezeichnung. «Regolamento della mostra», in: Colori e forme nella casa d’oggi 1957, o. S.

685 Zu den Mitgliedern des Komitees gehörten ausserdem Carlo Piatti (Sekretär), Salvatore Alberio, Fulvio Cappelletti, Silvio Longhi, Betto Lotti und Ico Parisi. Ebd.

686 Auch hier ging es um die Frage der Zusammenarbeit zwischen Künstler und Architekt: «Il est bien évident qu‘après tant d’années d’isolement des artistes, les premières propositions établies en collaboration avec les architectes, ne peuvent pas représenter un aboutissement. […] L’intervention des peintres et des sculpteurs, dans l’Architecture, n’est plus une addition gratuite ou maladroite». «Espace. Architecture, couleurs, formes» 1954. Die Ziele der Künstlergruppe wurden regelmässig seit 1950 in L’Architecture d’aujourd’hui publiziert. Ausserdem widmete André Bloc in der Mai-Juni-Ausgabe seiner Zeitschrift L’Art d’aujourd’hui ein ganzes Heft der Synthese der Künste. Synthèse des arts 1954.

687 Im Ehrenkomitee sassen bedeutende Persönlichkeiten der Mailänder Kunst- und Kulturwelt, zu den bekanntesten gehören: Piero Portaluppi, Pietro Lingeri, Adriano Olivetti, Tommaso Ferraris, Gio Ponti, Ernesto Nathan Rogers, Bruno Zevi. Dass der Sekretär der Triennale, Tommaso Ferraris, ebenfalls dem Ehrenkomitee angehörte, zeigt, dass der Begriff «Anti-Triennale» überdacht werden müsste. Neben André Bloc war auch Le Corbusier als Mitglied des Ehrenkomitees aufgeführt. «Comitato d’onore» in: Colori e forme nella casa d’oggi 1957, o. S.

688 Alfred Roth, der als Jurymitglied ebenfalls an der Ausstellung in Como anwesend war, schrieb in seiner Rezension, die modernen Mailänder Architekten hätten ein Protestschreiben an die Direktion verfasst, mit der Aufforderung das Konzept der Triennale «gründlich zu überprüfen». Da die Direktion diese Kritik unbeachtet gelassen habe, hätten viele namhafte Mailänder Architekten die Teilnahme an der Triennale verweigert. Roth 1957.

689 «L’opposizione dell’MSA all XI Triennale», in: Pansera 1978, S. 78–85. 134

Francesco Somaini konnte als Mitglied des Exekutivkomitees Architekten zur Teilnahme einladen. Somainis Aufforderung folgten Luigi Caccia Dominioni für eine gemeinsame Ausstellung und vermutlich auch die Architektin und spätere Bauherrin Caccias Elena Mondelli für eine eigene Ausstellung mit der Künstlerin Gabriella Sala.690 Caccia gehörte im Übrigen nicht zu den protestierenden Architekten, seine Möbel waren in Mailand und in Como zu sehen.691

Die Organisatoren der Ausstellung verfolgten ehrgeizige Ziele, die sie im Vorwort des Ausstellungskatalogs ausführten:

[…] il comitato […] ha inteso mettere a fuoco il problema della architettura degli interni considerata come il punto di maggiore aderenza delle arti plastiche alla vita. E‘ per questo che la Mostra nasce della collaborazione di artisti, pittori, scultori, architetti, in modo da riportare a nuova vita l’antico concetto di unità delle Arti nell’affrontare le soluzioni delle esigenze dell’uomo.692

Der Fokus der Ausstellung lag auf der Wiederbelebung des «alten Konzepts der Einheit der Künste» im Bereich des Innenraums, wo die Macher die grösste inhaltliche Überschneidung zwischen Kunst und Leben orteten.

4.4.2.1. Caccia und Somaini

Die Einrichtung von Caccia und Somaini im Erdgeschoss der Villa war ein Vorschlag für ein zeitgemässes Direktionsbüro mitsamt dem dazugehörigen Sitzungszimmer (Abb. 158–159).693 Caccia und Somaini teilten die im Grundriss rechteckige Halle in zwei Bereiche, die sie durch Podeste aus Holz leicht anhoben, um den Ausstellungscharakter der Einrichtung zu betonen. Auf die Besucher mussten diese Arrangement wie kleine Bühnenräume wirken, da zudem geschwungene Paneele aus lackiertem Holz die dahinterliegende Wand abdeckten und damit den szenischen Charakter der Installation hervorhoben. Der Saal der Villa und die Ausstellung waren trotz der Separierung von Raum und Einbauten aufeinander abgestimmt. So war der Schreibtisch des Direktors in die Raumachse gestellt, das Sitzungszimmer hingegen besetzte die Ecke zwischen dem Ein- und Ausgang des Salons, sodass der Besucher zwischen den beiden Einrichtungen hindurchschreiten musste und die Exponate von immer neuen Perspektiven aus betrachten konnte. Somainis dynamische Gemälde waren an den Holzpaneelen montiert, eine kleine Plastik stand auf dem Podest im Bereich des Direktionsbüros.

Die Abbildungen im Ausstellungskatalog zeigen, dass Somainis Kunstwerke die Gestaltung des Innenraums sicherlich bereicherten, aber Kunst und Architektur hier keine erkennbare und überzeugende Synthese der

690 Colori e forme nella casa d’oggi 1957, S. 82–83 und 94–95. Gemäss Luisa Somaini hatte Francesco Somaini Caccia eingeladen, gemeinsam mit ihm an der Ausstellung mitzuwirken. Somaini 2002, S. 29.

691 Caccias Teilnahme an beiden Veranstaltungen schliesst allerdings nicht aus, dass er die Petition an die Direktion der Triennale unterschrieben hat. Gardella zum Beispiel stellte ebenfalls an beiden Orten aus, obschon er das Schreiben zuvor signiert hatte. Zevi 1971.

692 Vorwort von Lino Gelpi, Präsident der Ausstellung, Bürgermeister von Como in: Colori e forme nella casa d’oggi 1957, o. S.

693 Laut dem Katalog der Ausstellung war Corrado Corradi dell’Aqua für die Einrichtung zuständig. Corradi dell’Aqua gehörte neben Caccia und Ignazio Gardella zu den Geschäftsführern der Möbelfirma Azucena. Colori e forme nella casa d’oggi 1957, S. 52–55. 135

Künste eingehen, wie sie Caccia und Somaini anderswo gelingen sollte. Der Kunst kam in diesem Fall eine deutlich untergeordnete, man könnte sogar sagen «dekorative» Rolle zu.

4.4.2.2. BBPR und Fontana

Auch die von BBPR und Lucio Fontana gestaltete Einrichtung befand sich im Erdgeschoss der Villa (Abb. 156–157). Die Installation von Caccia/Somaini und BBPR/Fontana besetzten die beiden grössten Räume der Villa, BBPR war der prächtigste Saal zugewiesen worden. Es überrascht nicht, dass BBPR/ Fontana als einzige die Struktur der Villa berücksichtigten. Schliesslich passte die räumliche wie auch historische Auseinandersetzung mit dem Vorgefundenen sowohl zum Programm von Ernesto Nathan Rogers wie auch zu Lucio Fontanas Raum-Kunst. Die Gruppe stellte auf einem Schachbrett aus schwarzen und weissen Podesten abwechslungsweise ihre eigenen weissen Sessel «modello B.P.R».694 neben dunkle Stühle aus dem Bestand des Hauses. Die Inszenierung lebte von Kontrast und Harmonie und kann in der direkten Gegenüberstellung der modernen und alten Möbel als historischer Kommentar zur Entwicklung des Sessels aufgefasst werden.

4.4.2.3. Zevis Kritik

Die Kritik Bruno Zevis war bereits im Ausstellungskatalog publiziert.695 Seine Analyse der Ausstellung und des Themas zeigt scharfsichtig die Problematik der sintesi delle arti auf. Er argumentiert zunächst historisch und weist darauf hin, dass die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Kunstgattungen ein «abstraktes» Problem sei, jeder Stil habe sich stets «synchron» in allen Kunstgattungen ausgedrückt.696 Die moderne Periode bilde hierbei keine Ausnahme, man denke nur an Architekten wie Le Corbusier und die Kunstwerke von Fernand Léger oder Hans Arp. Ebenso konstatiert er, dass die Zusammenarbeit wohl nicht immer notwendig sei. Moderne Architekten wie Frank Lloyd Wright würden sich weigern, Gemälde in den Räumen ihrer Bauten aufzuhängen; für den amerikanischen Architekten habe ein Gemälde bestenfalls eine «korrektive Wirkung» auf eine misslungene Architektur.697

Hinsichtlich der Ausstellung bemerkte Zevi, die Kunst dominiere die Architektur dermassen, dass sie zur Nebensache werde. Beispielhaft dafür sei Gio Pontis Interieur, das die Architektur zu einer «Vitrine» degradiere, ebenso seien Elena Mondellis Innenräume vom Dekor kaschiert.698 Zevi stellt kritisch die Frage, ob die Architekten und Künstler mit einer solchen Methode nicht riskieren würden, zugunsten einer neuen «Szenografie» den eigentlichen Raum zu vernachlässigen.699 Er macht zudem darauf aufmerksam, dass man sich mit solchen Methoden dem «Illusionismus» hingebe, gegen den die Moderne eigentlich angekämpft habe.

694 Ebd., S. 38.

695 «Commento di Bruno Zevi», in: ebd., S. 133–140.

696 Ebd., S. 135.

697 Ebd., S. 136.

698 Ebd.

699 Ebd. , S. 137. 136

Für Zevi wird die in der Ausstellung angestrebte «continuità ambientale» nicht eingelöst. Architektur werde nur dann zu Kunst, wenn man den «Übergang zwischen physischem und imaginiertem Raum» zur Wirklichkeit werden lassen könne, wenn die «Leere gedacht, manipuliert, erweitert, unter Druck gesetzt oder zentrifugiert» werde, bis sich die Dimensionen des Raumes verändern.700 Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, sei, «direkt mit den Wänden zu arbeiten, indem man sie bewegt und artikuliert, indem man ihnen die Trägheit und Passivität» entziehe. In den letzten Worten ist Zevis Plädoyer für eine organische Architektur unüberhörbar.701

4.4.2.4. Fazit

Die Ausstellung Colori e forme nella casa d’oggi in Como bot die Gelegenheit, die Zusammenarbeit von Künstler und Architekten im Innenraum zu erproben. Auch wenn die angestrebte Synthese der Künste in den Einrichtungen nicht immer anschaulich wird, ist die Absicht der Künstler und Architekten, auch im Bereich der Architektur – neben dem Kunsthandwerk oder Industriedesign – zu neuen Lösungen zu finden, offenkundig. Darüber hinaus unterstreicht die Ausstellung die ausserordentliche Bedeutung, die dem Innenraum als Experimentierfeld für das Programm der sintesi delle arti beigemessen wurde.

Aus dem Kommentar Bruno Zevis spricht seine Vertrautheit mit dem Konzept des ambiente. Seine Kritik ist zweideutig, einerseits missfallen ihm die Rauminszenierungen der Ausstellung, weil sie Illusionen schaffen, andererseits räumt er ein, dass die angestrebte Synthese erreicht werden könnte, wenn der begehbare gegenwärtige Raum einen Bezug zu einem imaginierten herstellen würde. Inwieweit Illusion und Imagination sich für ihn unterscheiden, führt er nicht aus.

4.4.3. Die Zusammenarbeit zwischen Francesco Somaini und Luigi Caccia Dominioni

Die Synthese zwischen Kunst und Architektur ist bei Francesco Somaini und Luigi Caccia Dominioni dort am überzeugendsten, wo grundlegende Bestandteile der Architektur künstlerisch überformt werden und damit dem alltäglichen Tun die «Aura» einer besonderen, vielleicht sogar feierlichen Handlung verliehen wird. Dazu eignen sich raumbildende Bauteile – Boden, Wände und Decken –und alltägliche Elemente des Innenraums wie Türgriffe und Türblätter, Kamine, Brüstungen und Geländer.

4.4.3.1. Die Casa Rosales

Caccia lernte den Künstler Francesco Somaini 1954 durch einen Auftrag der Familie Somaini kennen.702 Dieses Engagement hatte Caccia seiner Bekanntschaft mit Francescos Onkel, Carlo Somaini, zu verdanken. Laut Francesco Somainis Tochter Luisa war Carlo Somaini zwischen 1943 und 1945 gemeinsam mit Caccia

700 Ebd. , S. 138.

701 Siehe dazu Zevi 1945.

702 Die Zusammenarbeit zwischen Caccia und Somaini beschreibt die Kunsthistorikerin und Tochter Somainis in Somaini 2002. Siehe auch Barilli u. a. 1984. 137 im Internierungslager in der Schweiz stationiert gewesen.703 Caccia hatte zudem kurz vor der Begegnung mit Francesco Somaini die Wohnung Carlo Somainis in Mailand eingerichtet.704

Die Familie Somaini besitzt in Lomazzo bei Como ein Anwesen mit grosser Gartenanlage aus dem 18. Jahrhundert, das 1978 unter Denkmalschutz gestellt wurde.705 Die Casa Rosales war 1890 von dem Comasker Textilunternehmer und späteren Parlamentarier Francesco Somaini, dem Grossvater des gleichnamigen Künstlers, gekauft worden.706 Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Anlage von der deutschen Wehrmacht als Kaserne genutzt und war danach in einem baulich desolaten Zustand.707 Caccia wurde mit der Renovation der Villa beauftragt, die auch den Einbau einer Bibliothek für die Büchersammlung Francesco Somainis miteinschloss (Abb. 114).708

Architekt und Künstler lernten sich dadurch in einer einzigartigen Situation kennen. Somaini war der Bauherr und Caccia sein Architekt. Daraus entwickelte sich trotz des erheblichen Altersunterschieds eine Freundschaft unter Gleichgesinnten. Beide stammten aus wohlhabenden und privilegierten Familien und teilten eine grosse Leidenschaft für handwerkliches Raffinement.709 Zudem besassen beide bereits ihr eigenes Renommé in ihrem jeweiligen Fachgebiet, was eine Begegnung auf Augenhöhe sicherlich begünstigte.

Im «Laboratorium»710 der Casa Rosales wurde der Grundstein einer 18 Jahre andauernden Zusammenarbeit gelegt.711 Caccia forderte Somaini auf, Plastiken zu entwerfen, die zu den Räumlichkeiten des Hauses in Beziehung treten. Somaini entwickelte neben Skulpturen und Malereien für die verschiedenen Räume auch zahlreiche architektonische Details: Geländer, Türknäufe als Knospen («pomoli ‘a bocciolo’»), Türgriffe in Kartoffelform («maniglie ‘a patata’») und Feuerböcke als flammende Blumen («alari ‘a fiore

703 Gespräch mit Luisa Somaini, 4. Juni 2010, Mailand. Siehe auch Somaini 2002, S. 36, Anm. 1.

704 Irace/Marini 2002, S. 95. Roberto Mondelli und seine Frau erwähnten im Gespräch, dass sie Carlo Somaini ebenfalls gekannt hätten und sich deswegen eine Wohnung von Caccia einrichten hätten lassen. Ihre Wohnung ist voll mit Gemälden Francesco Somainis.

705 Leoni 2005.

706 Irace/Marini 2002, S. 95. Der Grossvater gründete in Lomazzo die Cotonificio (Baumwollfabrik) Somaini und beschäftigte in den besten Jahren über 1000 Arbeiter. Die Fabrik schloss 1974. «La città di Lomazzo e suoi monumenti» o. J.. Laut Elena Mondelli kannten sich ihre Familien auch schon unabhängig von Caccia. Gespräch mit Elena Mondelli, 10. Dezember 2009, Mailand.

707 Gespräch mit Luisa Somaini, 14. Juni 2010, Mailand. Heute bewohnt Somainis Witwe Emiglia Rusconi Somaini die Villa an der Via degli Arconati 17 allein.

708 Laut Luisa Somaini besass ihr Vater eine grosse Kollektion von Büchern und Zeitschriften über alte, moderne und zeitgenössische Kunst, darunter Monografien zu Rodin, Wildt, Picasso, Lipchitz und die Zeitschrift L’Art d’aujourd’hui. Somaini 2002, S. 36, Anm. 18.

709 Somainis Wunsch, Künstler zu werden, gaben die Eltern erst statt, nachdem er an der Universität von Pavia ein Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen hatte. Gespräch mit Luisa Somaini, 14. Juni 2010, Mailand.

710 Somaini 2002, S. 29.

711 Die Zusammenarbeit begann 1955 und endete 1973. Barilli u. a. 1984, S. 37–38, führen 48 Mosaikfussböden auf, die Francesco Somaini entwarf. Somaini arbeitete nicht nur mit Caccia, sondern auch mit Gardella und Ico Parisi zusammen, wobei er mit Caccia sicherlich seine wichtigsten architektonischen Arbeiten realisierte. 138 fiammeggiante’»).712 Der Türgriff «a patata» fand später unter dem abgewandelten Titel «a melanzane» Eingang in die Produktserie von Azucena.

Wie Caccia und Somaini die Synthese von Kunst und Architektur umsetzen, lässt sich an drei architektonischen Elementen aufzeigen.

4.4.3.2. Mosaikfussboden

Das eindrücklichste Zeugnis des Zusammenwirkens von Caccia und Somaini liefern über vierzig Mosaikfussböden in Wohnungen, öffentlichen Passagen und Eingangshallen. (Abb. 117–119). Caccia wie Somaini waren fasziniert von den römisch-antiken Mosaiken in Piazza Armerina auf Sizilien oder dem Mosaik aus dem 12. Jahrhundert in der Kathedrale von Otranto in Apulien, wo ein Lebensbaum den Boden des gesamten Kirchenraums bedeckt. Dieses Bodenmosaik hatte bei Somaini nach einem Besuch in Otranto 1950 einen bleibenden Eindruck hinterlassen und war offensichtlich 1955 Gegenstand langer Erörterungen bei dem ersten Zusammentreffen mit Caccia.

L’opera musiva invade […] tutte e tre le navate della cattedrale e i tre alberi che vi sono rappresentati risaltano in maniera notevole sulla bianchezza uniforme del fondo. Era stato questo senso di decorazione totale a colpirmi e, in particolare, mi piaceva l’albero centrale, enorme, che si ramifica in cerchi penduli, quasi si trattasse di frutti, includenti rappresentazioni tratte dalle storie della Bibbia e della fantasia popolare. Il mosaico […] era stato oggetto di lunghe conversazioni con l’architetto Luigi Caccia Dominioni fin dagli inizi della nostra collaborazione risalente al 1955.713

Somainis Mosaikfussböden sind in einer besonderen Technik ausgeführt: Mosaiksteinchen aus Marmor werden dem gewünschten Bild gemäss auf einer nassen Fläche bestehend aus Marmorsand, Bindemitteln und Zuschlagsstoffen eingebracht (diese Technik basiert auf einer venezianischer Tradition, vergleichbar mit dem Terrazzo alla Veneziana). Das Verfahren entspricht einer Mischtechnik zwischen der klassischen Terrazzo-Herstellung, der keine Mosaiksteine enthält, und der Fertigung eines reinen Mosaikbodens. Der Vorteil einer solchen Mischung ist der geringere handwerkliche Aufwand und damit auch der im Vergleich zu einem reinen Mosaikboden günstigere Preis.714 Somaini begann seine vorbereitenden Studien jeweils mit farbigen Skizzen, die er direkt auf die Kopien der jeweiligen Grundrisspläne oder auf kleine Holztäfelchen zeichnete. Oftmals fertigte er Varianten an, die er dann mit Caccia besprach. Laut Luisa Somaini beschränkte sich Caccia auf eine Vorauswahl und überliess die Details dem Künstler.715 Bei der Ausführung der Mosaikfussböden arbeitete Somaini mit zwei verschiedenen Firmen zusammen.716

Für den Mosaikfussboden der Casa Rosales studierte Somaini seiner Tochter zufolge von März bis

712 Somaini 2002, S. 30.

713 Francesco Somaini zit. n. Barilli u. a. 1984, S. 35–36.

714 Für Elena Mondelli spielte dieses Argument eine Rolle. Gespräch mit Elena Mondelli, 10. Dezember 2009, Mailand.

715 Auf einer Skizze Somainis für den Fussboden des Klosters in Poschiavo notierte Caccia: «Questa soluzione è più bella convici le suore a fare questo disegno e non l’altro col ricciolo LCD». Zit. n. Somaini 2002, S. 37, Anm. 26. Gespräch mit Luisa Somaini, 14. Juni 2010, Mailand.

716 Die Firma Bernasconi Mosaici di Felice hat immer noch ihren Sitz in Como. In Mailand arbeitete Somaini zudem mit der Firma Fabrici-Biasoni. Ebd. 139

September 1956 kreisende Formen, zentrifugale Bewegungen oder Spiralformen, Motive, die aus seinen dynamischen Gemälden und Plastiken vertraut sind (Abb. 115–116). In der Eingangshalle entstand eine strahlende Sonne, in der Bibliothek und Wohnhalle ein Mosaik aus Ranken und Ammoniten, und ein grosses, weit offenes Auge besetzte den Fussboden im Speisezimmer. Auch hinsichtlich der Farben stimmten Caccia und Somaini überein. Rot-, Rosa-, Schwarz- und Grautöne, gebrannte Erde, Ocker und Gelb kamen zur Anwendung. Laut Luisa Somaini hatte ihr Vater bereits zuvor mit diesen Farben gearbeitet. Auch Caccia interessierte sich sehr für die «erdigen Farbtöne», wie die Fassaden seiner vor 1955 realisierten Bauten zeigen, wie etwa der rotbraunen Verputz des Mailänder Stadthauses seiner eigenen Familie an der Piazza Sant’Ambrogio oder die Klinkerfassade des Waisenhauses Beata Vergine Addolorata, das Caccia zwischen 1948 und 1954 baute.

Somainis Fussböden haben trotz abstrakter Formensprache einen hohen narrativen Gehalt. Die mit den Marmorsteinchen dargestellten dynamischen Linien und explosiven Figuren bestärken auch Caccias architektonische Absichten. Deutlich wird dies etwa in den Arbeiten für zwei Neubauten Caccias, den Bodenmosaiken in der Einfahrt des Wohnhauses am Corso Italia (1958–1960) oder in der Galleria Strasburgo (1953–1959), einer öffentlichen Passage mit Läden, wo die Zeichnung den Weg und den Bewegungsfluss der Menschen durch den Raum evoziert (Abb. 119).717

Somaini und Caccia waren nicht die ersten Künstler und Architekten, die architektonische Bauteile als Kunstwerke betrachteten und entsprechend bearbeiteten. Lucio Fontana schuf zu Beginn der fünfziger Jahre gemeinsam mit verschiedenen Architekten im Rahmen seiner als interventi spaziali bezeichneten Werke vergleichbare Projekte (Abb. 108, 112). Dabei bearbeitete er kunstvoll Wände, Decke und Bodenbeläge, die er mit Ornamenten überzog, mit kleinen Löchern durchstiess oder sogar aufschnitt (Abb. 110). Zwischen 1953 und 1955 entwickelte Fontana mit dem Architekten Renato Radici (*1917) ein Bodenmosaik für den Eingang des Wohnhauses an der Via Locatelli 5 in Mailand.718 Ebenfalls mit Radici entwarf er zwischen 1955 bis 1957 einen Mosaikfussboden für den Palazzo delle Esposizioni in Cantù, der grosse thematische wie auch gestalterische Ähnlichkeiten mit den Böden Somainis aufweist (Abb. 113).719 Der Boden in Cantù stellt sich, nach den Worten des Architekturhistorikers Claudio Cerritelli, mit seinen «alles umfassenden Wogen von Linien und einem ausgeglichenen Wechsel von Weiss und Schwarz»720 wie ein «bewegliches Territorium der Unterhaltung» dar und nicht zuletzt auch als ein «Ort des Übergangs», der dem Besucher das «Gefühl einer kontinuierlichen Fortentwicklung des Weges» vermittle, «einen Eindruck einer Bewegung, die

717 In den Jahren 1959 und 1965 konnte Somaini «Exklusivverträge» mit einer Galerie in New York abschliessen, die keine architektonischen Interventionen gestattete, weil sie diese nicht als Kunst erachtete. Um diese Verträge nicht zu «brechen», entwickelte Somaini eine zweite, abgeänderte Signatur für diese Werkgattung. Wie Luisa Somaini darlegt, war ihr Vater dadurch gezwungen, seine eigenen Projekte in wichtige und unwichtige Kunst einteilen. Barilli u. a. 1984, S. 34.

718 Valenti 2009, S. 100

719 Radici 1959. Cerritelli 2003. Valenti 2009, S. 100–101.

720 Claudio Cerritelli zit. n. Cerritelli 2003, S. 100. 140 sich sich im Akt der Fortbewegung durch den Raum verändert».721 Cerritellis Charakterisierung des Bodens in Cantù lässt sich ebenso als Beschreibung der Mosaikfussböden des Duos Somaini und Caccia lesen.

4.4.3.3. Kaminzimmer am Corso Italia

1961/62 konnten Somaini mit Caccia in der Privatwohnung seiner Mutter Luisa Bettoni Somaini mit dem Kaminzimmer ein einzigartiges Exempel der Synthese von Malerei, Plastik und Architektur realisieren (Abb. 137–139).

Der mächtige Kamin steht im Zentrum des polygonalen Raumes. Der Schaft, ein massiv wirkender Pfeiler, strebt baumartig nach oben, er wächst sich geradezu vom Boden in die Decke aus. Die Decke ist um den Pfeiler stark herabgezogen, was den Eindruck der organischen Einheit zwischen Kaminschaft und Plafond verstärkt. Feine weisse Linien ranken am Pfeiler hoch, winden sich mehrmals, greifen auf die Wölbung aus und überlagern die Zimmerdecke. Sie werden an den Rändern des Raumes feiner, dünner und laufen schliesslich aus. Die gewundenen Formen erinnern an Pflanzentriebe, Zweige oder Blumen, aber auch an funkende Flammen und an blitzende Lichtbögen eines Feuers. Die Zeichnung wurde in Sgraffito-Technik aus dem hellgrauen Putz von Decke und Pfeiler geritzt.

Die eigentliche Feuerstelle ist im unteren Teil des Kaminschafts eingelassen. Dieser ist nicht rund, sondern zeichnet im Grundriss ein Quadrat mit abgerundeten Ecken nach. Auf jeder Seite des Pfeilers ist ein kreisrundes, breit vorstehendes Blech eingesetzt, sodass der Eindruck entsteht, man könne das Spiel des Feuers von allen vier Seiten betrachten. Tatsächlich sind zwei Seiten der Öffnungen geschlossen, in den Blechrahmen kann das Brennholz gelagert werden. Der Boden ist mit dunklem Parkett belegt, die Wände sind mit Tapeten aus zartrosafarbener Seide bespannt. Selbst die Türen und Schrankflügel sind mit derselben Seidentapete bezogen. An den Wänden hängen Gemälde von Francesco Somaini mit vergleichbar dynamischen Motiven wie die Linienzeichnung auf dem Kamin. Es handelt sich um Studien für Plastiken, die Somaini etwa gleichzeitig schuf. Die Farbigkeit der Materialien im Raum stimmt mit der der Gemälde überein. Es herrschen Braun-, Rosa-, Grau- und Weisstöne vor.

Die Dominanz und Dynamik, die vom zentralen Kamin ausgeht, überträgt sich auf den ganzen Raum. Fast scheint es, dass sich der Raum um sein Zentrum, die Feuerstelle, herum, dreht.722

4.4.3.4. Plastik als Brüstung

Ein weiteres Werk, das beispielhaft die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Bildhauer vorführt, ist die Plastik im Wohnhaus an der Via Gesù 13. Das Stadthaus im Zentrum von Mailand, das Caccia 1962 grundlegend umbaute und sanierte, gehörte dem Unternehmer und Politiker Piero Bassetti und seiner Frau

721 Ebd., S. 102.

722 Der Raum existiert heute nicht mehr. Auf den Fotografien sind zudem die Möbel bereits ausgeräumt. 141

Carla Bonomi.723 Francesco Somaini wurde beauftragt, eine Skulptur für die Eingangshalle zu entwerfen. Die Bauherrschaft wählte die zu realisierende Plastik aus einer Serie von vorbereitenden Gemälden mit dem Titel Racconti aus (Abb. 267).724

Die schwere Plastik befindet sich in einer räumlich beengten Situation, auf dem zweitletzten Treppenlauf der Eingangshalle des Hauses. Sie bildet den fulminanten Auftakt in die Wohnung und erfüllt zugleich den Zweck einer Absturzsicherung. Das massive Objekt ist in Bronze gegossen. Seine Form weckt Assoziationen an einen abgebrochenen Flügel. Die enormen Dimensionen erreichen an der längsten Stelle bis zu viereinhalb Meter.

4.4.3.5. Fazit

Die Zusammenarbeit von Luigi Caccia Dominioni und Francesco Somaini lag im Einklang mit den vorherrschenden Mailänder Debatten die sintesi delle arte in den fünfziger Jahren. Ihre gemeinsamen Werke verkörpern die in Mailand vertretene Vorstellung einer «Synthese der Künste», die sich auf den privaten, individuellen und intimen Raum konzentriert und die von ausländischer Seite her kritisiert wurde.

Somaini schuf kunsthandwerkliche wie künstlerische Arbeiten für den Innenraum, Caccia trug die Architektur wie das Mobiliar zum Interieur bei. Nicht zuletzt scheinen ihre impulsiven und nicht rationalen Entwürfe sowie die Betonung des räumlichen synästhetischen Erlebnisses vom Vorgehen des MAC und Lucio Fontanas beeinflusst (siehe Kapitel 4.4.1.).

Die Bauherren waren darüber hinaus mit der Idee der Wohnung als ästhetisiertes Heim oder sogar Gesamtkunstwerk vertraut. In den höheren gesellschaftlichen Schichten war es üblich, dass ein Architekt die ganze Wohnung einrichtete und zur Ausgestaltung besonderer Elemente Künstler engagiert wurden. Auch der Erwerb von Kunst und ihre Präsentation im Interieur waren fest in der Tradition des gehobenen Wohnens verankert. Aus Sicht von Caccia und seinen Bauherren bedeutete das Programm der sintesi delle arti die Wiederbelebung einer alten Idee. Eine vergleichbare Position dürfte Gio Ponti eingenommen haben. Eine solche Vorstellung der Synthese von Kunst und Architektur entsprach seinem Ideal, das er bereits in der Zwischenkriegszeit vertreten hatte. Seine Zeitschrift Domus zeugt von dem eindringlichen Bestreben, Kunst, Architektur und Kunsthandwerk in der privaten Sphäre der Wohnung zu einer «einheitlichen Vision» des modernen und luxuriösen Heims zu verbinden.725

723 Carla Bonomi ist die Tochter der Bauunternehmerin und Politikerin Anna Bonomi Bolchini. Anna Bonomi erbte von ihrem Vater 1940 das Bauunternehmen Beni Immobili Italia, das ein grosses Portfolio an wertvollen Häusern im Stadtzentrum von Mailand besass. Anna Bonomi gründete die Firma Bonomi e Comolli, die unter anderem mit Gio Ponti das Pirelli-Hochhaus realisierte. Zusammen mit Luigi Caccia Dominioni und Vico Magistretti baute sie das Quartier «Milano San Felice» in Segrate (1967–1975). In den Plänen der Bauakten der Stadt Mailand ist Anna Bonomi als Besitzerin des Hauses an der Via Gesù 13 aufgeführt; ihre Firma hat hier einen anderen Namen: Bonomi e vecchi. Caccia zufolge gehörte Anna Bonomi Bolchini zu seinen liebsten Bauherrinnen. Ihr hatte er auch den Auftrag für ein Hochhaus in Monte Carlo zu verdanken. Die Lebensdaten ihrer Tochter Carla Bonomi konnten nicht ermittelt werden. Novelli o. J. Luzi 1984. Irace/Marini 2002, S. 221.

724 Barilli u. a. 1984, S. 31.

725 Ebd. 142

Somainis Werke stellten nicht einfach Episoden in Caccias Interieurs dar, sondern waren in eine besondere Räumlichkeit eingebettet. Dynamik und Explosivität der Motive Somainis verbanden sich mit dem Raum als Ganzes. Das Programm der sintesi delle arti brachte in den Wohnräumen Caccia Dominionis eine eigentliche Raumkunst hervor.

4.4.4. Die Wohnung als Erweiterung der Körpers

Nach 1955 erfuhren Caccias Wohnungsgrundrisse eine wesentliche Veränderung. Waren die früheren Grundrisse, wie etwa seines eigenen Hauses an der Piazza Sant’Ambrogio noch aus mehrheitlich rechtwinkligen Räumen zusammengesetzt, beginnt er in den darauffolgenden Jahren seine Innenräume plastischer zu modulieren, abzurunden, zu krümmen und zu knicken: Caccias Grundrisse geraten immer mehr in «Bewegung». Es mag kein Zufall sein, dass diese Entwicklung zur selben Zeit einsetzte, als die Zusammenarbeit mit dem Künstler Francesco Somaini anfängt. Somainis explosive Gemälde und dynamische Plastiken, die Assoziationen mit Bewegungsvorgängen wecken, müssen Einfluss auf Caccias Raumempfinden und sein Raumschaffen gehabt haben.

Anlass und Inspiration zu diesen bewegten Raumformen waren die Bewegungen des Menschen.726 Gemäss Caccia neigt der Mensch dazu, beim Gehen ein anhaltendes Fliessen zu bevorzugen und scharfe Richtungsänderungen in weichen Bögen auszugleichen. Der Mensch bewege sich eben nicht auf einer Geraden, sondern in Kurven:

Sì, ritengo che l’uomo si muova essenzialmente per linee curve, non in un percorso rettilineo, come la navetta di un telaio a va e vieni, ma per linee circolari, ovali o sinuose che siano. Questa forma, propria del movimento umano, è matrice della forma architettonica.727

Caccia spricht in diesem Zusammenhang von der «forma scivolante»,728 die überspitzt formuliert durch die tagtägliche «Abnutzung» der Innenräume durch die Bewohner entsteht. Es ist daher stimmig, dass Caccias Raumfiguren in den Erschliessungsbereichen die stärkste Bewegung erfahren und in den Dimensionen am grössten sind.

Körper und Raum sind für Caccia gewissermassen ursächlich miteinander verbunden. Formbildend sind die Bewegungsfiguren des menschlichen Körpers.

Chiunque «non viva ciecamente», dice molto bene quel mistico tedesco citato da Walter Pater in «Mario l’epicureo», «non cessa di costruire e decorare per sé, dalle esperienze vissute, tutte le parti della sua dimora» così che questa, alla fine, sia una specie di espansione della sua propria persona, del suo proprio corpo, a quel modo che il corpo, secondo la filosofia di Swedenborg, altro non è se non una proiezione, un’espansione dell’anima.729

Das Zitat aus Agnoldomenico Picas Vorwort im 1952 erschienenen fünften Band von L’arredamento moderno, Roberto Alois Standardwerk zur zeitgenössischen Einrichtung, weist darauf hin, dass die

726 Die beiden folgenden Abschnitte wurden in leicht abgeänderter Form publiziert in Mosayebi 2005. Hier ebd., S. 12.

727 Luigi Caccia Dominioni zit. n. Crippa 1996, S. 27.

728 Luigi Caccia Dominioni zit. n. ebd., S. 15.

729 Agnoldomenico Pica, Vorwort, in: Aloi 1952, S.V-IX, hier S. VI. 143 körperliche und davon ausgehend die geistige Korrespondenz zwischen dem Menschen und seiner materiellen Umwelt im Raum der Wohnung im Mailänder Kontext der fünfziger Jahre ein bekanntes Konzept war. Pica spricht anschliessend sogar von der «simpatia», die sich «zwischen dem Menschen und den Objekten», «dem Bewohner und der Einrichtung» als verbindende Kraft einstelle.730 In der Privatsphäre der Wohnung findet der Bewohner im Einklang mit seinen Dingen zu körperlicher Erholung und Trost. Darin spiegelt sich das Konzept des Komfort wieder. Vergleichbare theoretische Begriffe sind bei Caccia nicht zu verifizieren, aber es ist davon auszugehen, dass er damit vertraut war (schliesslich zeigte diese Ausgabe von L’arredamento moderno auch einige seiner Wohnprojekte). Ging Pica von einem ruhenden menschlichen Körper aus, der in seinen Dingen «eingebettet» ist, verwirklichte Caccia im Unterschied dazu die Vorstellung eines dynamischen Bewohners, der in seiner eigener Wohnung «unterwegs» ist.

4.4.4.1. Suchende Linien – ästhetische Wirkungen

Um eine Vorstellung von den Bewegungen der Bewohner zu gewinnen, vollzog Caccia in seinen Grundrissen mit unzähligen Linien ihre möglichen Wege im Raum nach. Die Linien sind nicht Ausdruck einer Recherche nach dem kürzesten oder effizientesten Weg, wie sie die deutschen Architekten der zwanziger Jahre unternahmen, sie demonstrieren vielmehr eine Suche nach der Schönheit der Bewegung selbst. In den Zeichnungen drückt sich ein hoher Genuss an der Dynamik der gekurvten Linie aus. Nur so lassen sich die zahlreichen Windungen und «Kapriolen» der handgezeichneten Linien in Caccias Grundrissen erklären, die zuweilen eher ornamental wirken, als dass sie echte Bewegung vorzeichnen.

Caccias grosse Passion für die gekurvte Linie findet sich an einer ganz anderer Stelle wieder (Abb. 330– 340). Bei der Möbelfirma Azucena sind neben Skizzen von Möbeln eine grosse Anzahl kalligraphischer Zeichnungen zu finden.731 Es handelt sich meist um Entwürfe für Monogramme, die später als Intarsien in Tischplatten oder Stuhllehnen eingesetzt wurden. Sie sind in der Anglaise, einer englischen Schreibtechnik, in Tusche oder Bleistift ausgeführt, mit vielen Verschlingungen, manchmal mit starken Abstufungen zwischen fett und fein, die durch den unterschiedlichen Druck der Hand entstehen. Zuweilen zeigen diese Skizzen aber nichts weiter als Ansätze von Schlaufen und Ranken, darin den suchenden Linien in den Grundrissen sehr nahe.732

Caccias dynamische Linienzeichnungen sind ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der bewegten Grundrisse. Die handgezeichnete, gekurvte Linie ist ein wichtiges Arbeitsinstrument. In ihr verknüpfen sich Caccias Vorstellung und die Wahrnehmung des Bewohners. Über die Linie entsteht eine enge Verbindung zwischen den Handbewegungen des Architekten, den organischen Formen seiner Grundrisse, den Bewegungen des Menschen im Raum und dessen Perzeption der Raumwirkungen.

730 Ebd., S. VII.

731 Die heutige Geschäftsführerin der Azucena, Carla Tosi, hat der Verfasserin einen Stapel loser Zeichnungen für die Forschungsarbeit zur Verfügung gestellt. Darunter befanden sich überraschenderweise rund 60 kalligraphische Zeichnungen.

732 Caccia ist ein überaus talentierter Zeichner. Er gehört zu den Künstlern, die mit wenigen Strichen eine Figur präzis umreissen können. Nicht von ungefähr malte er während seines Aufenthalts im Internierungslager in Mürren Plakate für die im Lagerkino gezeigten Filme. Sein grosses zeichnerisches Können erwähnten mehrere Bauherren sowie der ebenfalls in Mürren internierte Ingenieur Vittore Ceretti. Gespräch mit Vittore Ceretti, 10. Dezember 2009, Mailand. 144

Wohnhaus an der Via Vigoni 13 Auf einer Skizze für das Wohnhaus an der Via Vigoni 13733 zeigen unzählige Linien den möglichen Bewegungsfluss der zukünftigen Bewohner (Abb. 169). Die Grundrisse Caccias sind nicht das Resultat eines Setzens raumteilender Elemente, vielmehr gleicht Caccias entwerferisches Vorgehen dem eines von Rudolf Arnheim als «Gräber» oder «Schnitzer»734 bezeichneten Entwerfers, der in Wegen «Hauptkanäle, um die herum die stützende Materie sich anhäuft», sieht.735 So können auch die in Caccias Grundrissen seltsam anmutenden Verdickungen von Wänden, wie etwa im Treppenhaus an der Via Vigoni, als Restmasse eines Grabungsprozesses betrachtet werden. Nicht ihre Form ist entscheidend, sondern die Raumfigur, die sie bestimmen.

Caccia realisierte das Wohnhaus an der Via Vigoni 13 in den Jahren zwischen 1957 und 1960. Der Bauherr war Ingenieur Agostino Mari (*1922), der sich das Haus auf dem Grundstück seiner Frau bauen liess.736 Auf der Grundrisszeichnung sieht man beispielhaft, wie die Raumkanten durch den Bewegungsfluss des Menschen verformt scheinen, als wären die Raumfiguren das Ergebnis eines Schleifprozesses, verursacht durch den Gebrauch der Bewohner. Das Treppenhaus hat im Grundriss die Form eines geometrisierten Ovals. Seine Raumecken sind abgeschrägt und schnüren es so vom Eingangsbereich vor den Wohnungstüren ab. Es ergibt sich eine Zweiteilung, die aus zwei verschiedenen Bewegungsabläufen resultiert. Das Treppenhaus als Rückgrat des Wohnhauses steht sinnbildlich für das schnelle, vertikale Hinauf- und Hinabsteigen, der Eingangsbereich hingegen für das beruhigte und verlangsamte Eintreten. Selbst der Handlauf des Treppengeländers trägt zur Inszenierung der Bewegung bei: Er endet auf jedem Zwischenpodest in einem Schaft aus Messing, der durch eine Kugel bekrönt ist (Abb. 180–181). Wie Caccia erklärt, soll die hinabsteigende Person sich an der Kugel festhalten, um mit Schwung einer Drehbewegung folgend zum nächsten Treppenlauf zu gelangen.737

Die gekurvten Wegstrecken enthalten auch eine theatralische Komponente, indem für den Bewohner auch räumlich-emotionale Erlebnisse inszeniert werden sollen. Worin besteht der Unterschied zwischen einem gekurvten und einem geraden Weg? Auf einem geraden Weg ändert sich die Perspektive trotz Weiterschreiten nur wenig.738 Der daraus resultierende «visuelle Stillstand»739 erzeugt ein Gefühl von Langeweile. Gegenteilig ist es, wenn der Weg gekrümmt ist. Der Raum enthüllt sich erst in der Vorwärtsbewegung und nur in Sequenzen. Während die gerade Wegstrecke die Ereignisse schon von weitem preisgibt, tauchen die Motive beim gekurvten Weg plötzlich auf. Der Raumeindruck des geraden Ganges ist somit perspektivisch, während der des gekurvten als szenografisch beschrieben werden kann.

733 Teile dieser Untersuchung wurden in leicht veränderter Fassung bereits publiziert in Mosayebi 2005.

734 Arnheim 1980, S. 156. Luca Lotti beschreibt Luigi Caccia Dominioni als «Schnitzer» im Sinne von Arnheim. Lotti 1994, S. 46.

735 Arnheim 1980, S. 150.

736 Gespräch mit Agostino Mari, 4. Dezember 2009, Mailand.

737 Gespräch mit Luigi Caccia Dominioni, 4. August 2003, Celerina.

738 Arnheim 1980, S. 161.

739 Ebd., S. 161. 145

Der Architekt selbst meint dazu:

[…] ho sempre dato l’anima per farli (gli appartamenti) sembrare più grandi, per esempio allungando i percorsi, contrariamente a una certa moda che tende a ridurli. L’ingresso diretto in soggiorno non lo amo, perché non riserva sorprese. Mentre il compito dell’architetto, io credo, e anche quello di suscitare un succedersi di emozioni.740

Caccia setzt Wegsequenzen erzählerisch und dramaturgisch ein, entwerfen bedeutet für ihn «raccontare una storia».741 Der Blick ins Interieur verwandelt den Raum in eine Bühne, wo die Familienmitglieder in Szene gesetzt werden. An der Via Vigoni betritt der Besucher die Wohnung durch den im Grundriss linsenförmigen Eingangsbereich (Abb. 174). Es ist vom Wohnraum durch eine verglaste Türe getrennt und stellt den Ankommenden wie in einem Schaufenster aus. Durch einen grossen Spiegel, der über dem abgedrehten Kamin des Wohnraums angebracht ist, erfahren selbst die am Tisch im Speisezimmer Sitzenden von seiner Ankunft (Abb. 173). Umgekehrt überblickt der Ankommende ebenfalls die Räumlichkeiten. Die Zuordnung, wer Zuschauer und wer Akteur ist, gelingt nicht eindeutig, evident hingegen ist die theatralische Geste des Zusammentreffens. Die durch den Bewegungsfluss ausgeschiedenen Orte können zu Logen werden, von wo aus man die Aktivitäten der Familienangehörigen beobachten kann. Umgekehrt sind diese beruhigten Orte auch Bühnenräume, in denen die Bewohner schauspielern. Als Schauplatz des «Müssiggangs» unterscheiden sich Caccias Wohnungen grundsätzlich vom «Fortschritt» auf der promenade architecturale. «Der Weg bzw. das ‘Auf-dem-Wege-sein’ werden für Le Corbusier zum allgegenwärtigen Symbol des Reifens, des Lernens».742 Für Caccia ist der Weg eine Erzählung über das Erlebte und Erlebbare.

4.4.4.2. Sich-Hineinversetzen in den zukünftigen Bewohner

Caccia versetzt sich beim Entwerfen in die alltäglichen Handlungs- und Bewegungsabläufe der zukünftigen Bewohner. Dieser Akt wird in den suchenden Linien der Zeichnungen sichtbar, in ihnen verbinden sich Produktion und Rezeption des Raumes. Caccia beabsichtigt, durch einen bewegten Raum, die Körper seiner Bewohner in Bewegung zu setzen. Damit postuliert er, dass ein dynamisch gestalteter Raum einen nachahmenden Effekt auf den Körper des Menschen ausübt. Im Zentrum einer solchen Auffassung steht der menschliche Körper als Produzent und Rezipient visueller und sinnlicher Wahrnehmungen.

Woher kommt diese entwerferische «Methode» des Sich-Hineinversetzens? Das Sich-Einfühlen in die Persönlichkeit des Bauherrn galt offensichtlich bereits in der Zwischenkriegszeit als Vorraussetzung für die gute Qualität eines Entwurfs. Denn Caccia selbst betont schon früh, 1941 als 27-jähriger Architekt, von welch entscheidender Bedeutung die Einfühlung in den Bauherrn und die Kenntnis seines Charakters sei:

… conoscere il cliente, il suo lavoro, le sue esigenze, le sue occupazioni, i suoi divertimenti, le sue passioni ...743

740 Crippa 1996, S. 9.

741 Staufer 1996, S. 30.

742 Blum 1988, S. 14.

743 Luigi Caccia Dominioni zit. n. Ponti, «Stile di Caccia» 1941, S. 28 und 33. 146

Zentraler Ausgangspunkt für die enge Zusammenarbeit zwischen Architekt und Bauherr sei es, den Bauherrn zu kennen, in seinen Vorlieben und Abneigungen, seinen Leidenschaften und Fixierungen. Auf einem solch intimen Einblick in die Bedürfnisse und Wünsche seines Klienten beruht etwa der Umbau eines Schlafzimmers im Appartamento D. in Mailand. Gio Ponti publizierte das Projekt 1941 in Stile unter dem Titel «Stile di Caccia».744 Einleitend schreibt er dazu: «Aus dem Gebiet der Inneneinrichtung ist […] ein Beispiel von interessanter psichologischer Richtung gegeben, die die Leser interessieren wird. In derselben betont Architekt Caccia aus Mailand, dass man den Bewohner studieren muss, seine Beschaeftigungen, seine Vergnuegungen und seine speziellen Vorlieben; das alles muss man beruecksicktigen und ausdruecken».745

Die Fotografien zeigen das Schlafzimmer eines passionierten Lesers und Jägers. Hinweise darauf liefern die auf dem Schreibtisch verstreuten Bücher sowie Jagdgewehre und Ledertasche (Abb. 22). Dass der Bewohner dazu noch ein Tennisspieler sein muss, suggeriert eine weitere Aufnahme. Komplettiert wird der Artikel mit der Wiedergabe der schriftlichen Bestellung des Bauherrn, worin dieser vermerkt, dass er im Schlafzimmer neben Bett, Schrank, Schubladen und Schreibtisch auch seine Toilette sowie alle Dinge, die ihm gefallen, aufzustellen wünsche. Zudem wolle er auch, dass sein Gaudenzio-Ferrari-Gemälde746 in die Einrichtung integriert werde.747 Caccia liess die gesamte Länge der Rückwand mit einem groben Tuch aus Jute lose bespannen, davor stellte er zwei Holzständer, an denen das Kopfteil des Bettes, Lämpchen und Ablageflächen montiert sind. Die Holzständer vor der Stoffwand erinnern an eine Zeltkonstruktion, die temporär aufgestellt ist. Der provisorische und vorläufige Charakter wird zudem durch die Art der Aufhängung des Ferrari-Gemäldes verstärkt: In einem Goldrahmen hängt es an Messingdrähten zwischen den Holzständern vor dem groben Stoff! Der Unterbau des Bettes ist in grünes Tartantuch eingehüllt. Breite Lederriemen sorgen dafür, dass es nicht verrutschen kann. Lederriemen und Webmuster des Tuches rufen Assoziationen an Koffer und Reisen wach. Korbgeflechte und Korbstühle erwecken den Eindruck leichter Gartenmöbel für den Aussenraum. Es scheint, dass der Bauherr nicht nur gern jagte, sondern ebenso oft auf Reisen war, aus dem Koffer lebte und sich die Welt ansah.

Der Architekt als Kurator des privaten Lebens musste mit den Geheimnissen und Wünschen seiner Bauherrschaft vertraut sein.748 Das Sich-Hineinversetzen in die Bedürfnisse des Bauherrn und die Suche nach einem adäquaten Ausdruck seiner Persönlichkeit im Interieur waren massgebend für die innenräumlichen Kompositionen solch einer Ausstellung des Privaten. Die Inszenierung der privaten

744 Ebd.

745 So der deutsche Wortlaut in Stile. Die Stile-Redaktion übersetzte «Was fuer die Deutschen Leser in dieser Nummer von «Lo Stile» interessant ist». Ebd., o. S.

746 Gaudenzio Ferrari ist ein bekannter Renaissance-Maler, der ca. 1540 in Mailand gestorben ist.

747 Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich hierbei um eine Wohnung für einen anderen Caccia Dominioni – möglicherweise einen Bruder Luigis – handelt, ist gross. Der Titel von Pontis Artikel «Stile di Caccia» ist (bewusst) – auch in seinem Spiel mit dem Wort caccia, «Jagd» – mehrdeutig und lässt durchaus eine doppelte Lesart zu, ob mit «Caccia» der Architekt oder Bauherr gemeint ist.

748 Siehe dazu Kap. 3.5.2.. 147

Leidenschaften der Besitzer im Interieur war bereits in den dreissiger Jahren für Gio Ponti der Ausgangspunkt seiner Lehre als Professor für Innenarchitektur am Mailänder Polytechnikum:749

È il motivo sul quale io stesso baso tutto il mio insegnamento nella cattedra d’architettura d’interni alla Facoltà d’Architettura al Mailänder Polytechnikum. Il cliente, o meglio, l’abitatore è il «personaggio» che l’architetto deve assumere per creare un ambiente. Questo avvicinamento al’uomo è una nostra conquista, ed ha le sue singolari analogie con tendenze scientifiche e letterarie.750

Was die Innenräume von Mailands gesellschaftlicher Elite vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auszeichnete, war der Hang zum Theatralischen und damit zur Illusion. Deutlich wird dies etwa in Franco Albinis Installation eines Wohnraums an der VII. Triennale 1940 in Mailand. Albini inszenierte ein zweigeschossiges Wohnzimmer, das von einem Baum durchstossen wurde und dessen obere Etage er als Blumenwiese interpretierte. Mit der Konstruktion einer intimen Gegenwelt schufen sich die Bewohner eine abgeschottete, «zweite Natur im Interieur».751 Exemplarisch dafür stehen auch Carlo Mollinos (1905–1973) Innenräume, die er in den dreissiger und zu Beginn der vierziger Jahre in Turin gestaltete, oder auch die Einrichtung sehr viel unbekannterer Architekten wie etwa das Schlafzimmer von Franco Buzzi von 1941 (Abb. 27).

Auch in den Diskussionen an der X. Triennale di Milano 1954 um den Entwurf alltäglicher Gegenstände spielte die Einfühlung in den künftigen Nutzer eine Rolle. Die Veranstalter hatten neben der Ausstellung eine internationale Konferenz zum Thema Industriedesign organisiert, die von Enzo Paci koordiniert wurde.752 In seinem Vortrag an der Tagung definierte er den «Designer» nicht nur als Entwerfer neuer Formen, sondern auch als Entwerfer neuer Lebensweisen.753 Etwas konkreter äusserte sich dazu viele Jahre später Giulio Carlo Argan, der ebenfalls an der Konferenz 1954 beteiligt gewesen war:

The mental and physical behavior of the designer therefore becomes projected into that of the user or buyer of the product; the object then becomes only a means for imparting a standard of behavior. But if the object is nothing but a reflection of the design process, the rule of behavior it communicates is a designed behavior, or a design for behavior. The object teaches one how to act according to a plan for action: its human and social significance consists in the fact that, since behavior is a way of life, in designing objects one designs life itself.754

Hier kommt eine Methode zum Ausdruck, die ebenfalls mit dem Sich-Hineinversetzen operiert. Über die «Projektion» in den zukünftigen Benutzer soll ein Objekt geschaffen werden, das ein bestimmtes Verhalten vermittelt. Der Gestalter antizipiert (oder «erzieht» gemäss Argan!) den Benutzer über das Objekt, indem er durch den Entwurf Einfluss auf dessen Verhalten nimmt.

749 Gio Ponti unterrichtete seit 1936 Innenarchitektur am Mailänder Polytechnikum. Annuario anno accademico 1936– 1937 1937, S. 108. Caccias und Pontis Zeit am Politechnikum hat sich folglich um ein Jahr überschnitten. Ponti war jedoch nie Caccias Lehrer.

750 Ponti, «Stile di Caccia» 1941, S. 30.

751 Asendorf 1984, S. 87.

752 Pansera 1978, S. 77. Die Konferenz fand vom 28. bis 30. Oktober 1954 statt. Ebd., S. 99, Anm. 103. Eingeladen waren unter anderem Konrad Wachsmann (1901–1980), Max Bill und Walter Teague (1883–1960).

753 Der Vortrag erschien erst Jahrzehnte später in einer englischen Übersetzung. Paci 2002, S. 53.

754 Argan 1972, S. 359. 148

In Caccias Entwurfsarbeit hatte die Methode des Sich-Hineinversetzens in den vierziger Jahren seinen Anfang genommen und fand in den fünfziger Jahren im phänomenologisch geprägten Diskurs über die Entstehung neuer formaler Lösungen eine neue Bestätigung. Einmal mehr verbinden sich in Caccias Werk die Themen der Zwischenkriegszeit mit denen der Nachkriegszeit.

Es ist allerdings auch zu bemerken, dass Caccia in seinen Wohnungsgrundrissen zwar durch die Linien die Bewegungsfiguren seiner Bewohner vorwegnimmt, sie aber nicht bis ins Detail festlegt. Der deterministische Ansatz, der im Konzept der Einfühlung und Antizipation enthalten ist, gemäss dem der Architekt ein bestimmtes Verhaltensmuster entwirft, trifft auf Caccias Entwurfsarbeit nicht zu. Gerade in dem in seinen Wohnbauentwürfen vorherrschenden Thema der Bewegung zeigt sich, dass er von einer Vielzahl möglicher Bewegungsfiguren ausgeht.

Bewegungsfiguren Die Wegführungen und Bewegungen, die Caccia Dominioni in seinen Entwürfen vollzieht, können in drei Typen unterschieden werden: ovale Bewegungsfiguren, schlangenförmige Wege und Spiralen. Ein durchgehend auffallendes Charakteristikum ist, dass durch eine Krümmung und damit Verlängerung des Weges fehlende Vorräume und Vorzimmer kompensiert werden. Die Krümmung ist ein dramaturgisches Mittel, die Würde des Hauptraums vorzubereiten, doch nicht allein das: Sie lässt die Erschliessung der Wohnung wie des Hauses zu einer spannungsvollen, «bewegenden» Sequenz werden.755

Wohnhaus an der Via Vigoni

In der Wohnung Via Vigoni 13 folgt der Erschliessungsweg einer Schlangenlinie (Abb. 164). Vom Eingangsbereich bis zum Elternschlafzimmer vollzieht der Bewohner eine Serie feiner Bewegungen nach rechts. Der mittig liegende Korridor besteht aus einer Folge kleiner Kabinette, die nicht gerade aneinandergereiht sind, sondern stets seitlich an den nächstfolgenden Raum anknüpfen. Daraus ergeben sich drei Wegetappen. Ein linsenförmiges Atrium empfängt den Ankommenden. Über einen trichterförmigen Ausgang gelangt er in eine enge Schleuse, die wiederum an einen vergrösserten Verteilerraum anschliesst, um im Vorraum des Elternschlafzimmers zu münden. Die Wegführung gleicht einer Art rhythmischer Melodie, welche die Bewegung der Bewohner abwechslungsweise beschleunigt, umlenkt und bremst – oder, um ein Bild caccias zu gebrauchen, einem Slalomkurs, in den man sich hineinwirft und loslegt.

Sulla pianta, io parte e mi sbizzarrisco: sono uno slalomista come Thoeni, come Stemmark.756

Die Raumfolge auf der Slalomlinie entspricht einer zunehmenden Privatisierung. Der Weg beginnt mit Atrium und Wohnraum, führt vorbei an der Küche und den Waschräumen und endet in den Schlafzimmern.

755 Bestandteile der folgenden Untersuchung wurden 2003 in einer Wahlfacharbeit erarbeitet und publiziert in Mosayebi 2005.

756 Gustav Thoeni und Ingmar Stemmark waren Skiweltmeister in den siebziger Jahren. Caccia zit. n. Soncina 1988. 149

Die Zugänge zu den Wohnhäusern an der Piazza Carbonari und am Corso Italia

Anders als beim Haus an der Via Vigoni, das an die Strasse gebaut ist, beginnen beim Wohnhaus an der Piazza Carbonari 2 und beim Wohnturm am Corso Italia 20–26 die zuführenden Wege und Treppen bereits im Aussenraum, wie um den Ankommenden schon vor dem Betreten des Hauses auf den richtigen Weg zu bringen. Die Wege vor beiden Häusern sind geschwungen, in der Art eines natürlichen Pfades, und führen zu Stufen vor der Eingangshalle im Innern der Gebäude. Beim Wohnhaus an der Piazza Carbonari steht gar ein mächtiger Baum direkt vor der Aussentreppe, sodass der Eingang dahinter verdeckt ist (Abb. 221).757 Man muss diesem Hindernis in einem kleinen Bogen ausweichen. Über eine kurze Aussentreppe, deren untere Stufen zur ankommenden Person abgedreht sind, gelangt man zur verglasten Eingangstür. Im Inneren tut sich ein weiter, dunkler Raum auf. Langsam schreitet man die breiten Stufen zur Portiersloge hinauf, die seitlich in den Raum eingerückt ist. Die Loge ist verglast und spiegelt den Aussenraum wider. Im Weitergehen verengt sich der Raum leicht. Die linke Wand wölbt sich nach innen, umfasst so den Besucher und zieht ihn ins Innere. Erst im letzten Moment, vor der Lifttüre stehend, wird die Aufmerksamkeit durch das seitlich einfallende, natürliche Licht auf das Treppenhaus gelenkt und man gelangt durch eine scharfe Rechtsdrehung auf das Zwischenpodest. In der Eingangshalle vollzieht man insgesamt eine Bewegung um 180 Grad.

In der Eingangshalle im Wohnhaus Via Cavalieri del S. Sepolcro

Das lange Haus an der Via Cavalieri del S. Sepolcro 6 betritt man an seiner kurzen Seite (Abb. 288–299). Ein paar Stufen führen in die Eingangshalle im Hochparterre. Die Halle ist in ihrem vorderen Teil noch rechtwinklig, im rückwärtigen Teil knicken die seitlichen Wände ein, machen den Raum schmaler und markieren die Schwelle zwischen öffentlichem Entrée und privater Erschliessung. Das Fenster der Portiersloge am Ende der Halle ist in die eingeknickte Wand eingesetzt, sodass der Portier alle eintretenden Personen sofort im Blickfeld hat. Passiert man die Schwelle, krümmt sich der Raum, beide Wände wölben sich, greifen so um den willkommenen Besucher und lenken ihn zum prächtigen Treppenhaus, das von der Eingangshalle nicht zu sehen ist. Die einläufige Treppe ist repräsentativen Treppenanlagen des Barock verpflichtet. Durch ein grosszügiges Treppenauge dringt bis ins Erdgeschoss Tageslicht. Das Treppenhaus folgt im Grundriss einer ovalen Form, die Steigung der Stufen ist relativ flach, sodass das Steigen keine grosse Mühe bereitet.

In der Wohnung am Corso Italia

È scortese, quasi sgradevole, sottrarre all’ospite l’esperienza di entrare gradualmente, non tutto d’un colpo, in casa. L’essere accolti, infatti, l’inoltrarsi, deve avere una decisa e ben definita zona emotiva.758

In der Wohnung Somaini im Wohnturm «Bidone» am Corso Italia 20–26 folgt die gesamte Wegführung einer grossen Spiralbewegung (Abb. 130). Der Fahrstuhl ist leicht aus dem geometrischen Mittelpunkt der Wohnung gerückt. Trotzdem bildet er als Ankunftsort das physische Zentrum der Wohnung, um das sich sämtliche Wegsequenzen zu drehen scheinen. Die Lifttür öffnet sich am innersten Punkt der Spirale. Der

757 Wie die Besitzerin des Hauses erklärte, stand dieser Baum schon vor dem Bau des Hauses. Auf den Baueingabeplänen ist an derselben Stelle ein Baum (eine Zeder?) gezeichnet. Gespräch mit Elena Mondelli, 10. Dezember 2009, Mailand.

758 Crippa 1996, S. 25. 150 anschliessende Gang ist schmal und dunkel. Er presst den Ankommenden buchstäblich aus einer «Sackgasse» heraus, dieser muss sich zweimal nach links winden, um in den Wohnraum zu gelangen. Diese drehende Bewegung vollzieht man schnell und zielgerichtet. Der Auftakt ist eine Folge der Kompression im Fahrstuhl, als ob die harte, maschinelle Vertikalbewegung in eine weiche, menschliche Horizontalbewegung überführt wird, um dieser gewaltvollen Pressung in Form einer räumlichen Explosion einen Ausgang zu geben. Im Wohnraum angekommen hält man erleichtert inne. Ein weiter und ausladender Raum tut sich auf.

Bewegliche Räume Wie in der Wohnung Somaini übernehmen in Caccia Dominionis «bewegenden Räumen» Türen als bewegliche Bestandteile der Wände einen weiteren entscheidenden Part. Es scheint, dass die in Bewegung geratenen Grundrisse durch den besonderen Einsatz der Türen tatsächlich «beweglich» werden. In Caccias Innenräumen fällt nicht nur die vergleichsweise hohe Zahl Türen pro Wohnung auf, auch die verschiedenen Türformen ziehen Aufmerksamkeit auf sich. Neben Tapetentüren kommen Schiebetüren, Flügeltüren und ebenso Erfindungen wie etwa dreiblättrige Flügeltüren zum Einsatz. Sie bieten zum einen dem Bewohner die Möglichkeit, die Wohnung je nach Gebrauch zu verändern, zum anderen dienen sie dazu, wirkungsvolle Effekte zu inszenieren.

Eine Eigenart des Architekten sind raumhohe, schwarz lackierte und reflektierende Flügeltüren.759 Sie sind nicht mit Rahmen und Sturz als Ausschnitte in der Wand eingefügt, sondern als Wandgelenke direkt zwischen Boden und Decke eingespannt. Durch sie wird der Grundriss der Wohnung beweglich und veränderbar: Räume lassen sich entweder schwellenlos miteinander verbinden oder vollständig voneinander trennen.

Mit den solchermassen eingesetzten Türen sind zwei Momente der Instabilität verbunden: Es besteht eine Unklarheit der Zuordnung: Sind die Türen bewegliche Endstücke der Wand oder sind sie autonome, mobile Elemente wie Möbel? Eine Art der Irritation wird durch die optischen Effekte der schwarz lackierten Türoberflächen verursacht. Die oszillierenden Spiegelungen scheinen den physisch begrenzten Raum um virtuelle Raumfolgen zu erweitern.

Via Visconti di Modrone 34

Diese speziellen Flügeltüren hatte Caccia für eine Wohnung im siebten Geschoss eines Mehrfamilienhauses im Stadtzentrum von Mailand entwickelt. Die von Mario Mondelli760 realisierte Wohnung gehört Roberto und Sofia Mondelli761 und wurde um 1950 von Caccia umgebaut.

Die Wohnung Mondelli hat einen einfachen gekammerten Grundriss; von einem Mittelgang gehen zu beiden Seiten Räume ab (Abb. 75). Vor Caccias Eingriff war die Raumverteilung eindeutig: Westlich, der Diele (linker Hand des Eintretenden) lag die öffentliche Seite mit Wohn- und Speisezimmer und östlich, rechter

759 Caccia hat die meisten seiner Türen mit der Firma Lualdi produziert.

760 Das Geburtsjahr Mondellis ist 1893. Sein Todesjahr konnte nicht ermittelt werden.

761 Roberto Mondelli und seine Frau Sofia Walter Mondelli sind der Bruder respektive die Schwägerin von Giambattista Mondelli und Elena Mondelli. 151

Hand, die private Seite mit Arbeitszimmer und einem Schlafzimmer; das Schlafzimmer der Eltern befand sich am Ende des langen Korridors. Caccia nahm eine Umwertung des Grundrisses vor, indem er das Speisezimmer auf die private Seite setzte und den Mittelgang durchbrach, um eine räumlich interessante Querverbindung im Grundriss zu erzeugen. Die Wohnung besteht nun aus zwei sich kreuzenden Achsen, dem Korridor, der vom Eingangsbereich bis ins Schlafzimmer führt, und der neuen Verbindung zwischen Speisezimmer und Wohnhalle. Die vorher eindeutige Trennung zwischen öffentlichem und privatem Bereich ist zugunsten der neuen Querachse aufgehoben. Caccia löste das Problem, indem er in den aufgeschnittenen Korridor einen raffinierten Türmechansimus als regelrechte «Schleuse» einbaute.

Der Türmechanismus besteht aus vier Türblättern, zwei schmalen und zwei breiten, mit denen sich sechs verschiedene Raumkonstellationen schaffen lassen (Abb. 77–85), je nach gesellschaftlicher Situation: Alltag oder Festtag. Die Türen erlauben das Regulieren der Bewegungsflüsse der Bewohner, der Besucher oder des Personals. An Festtagen wird das volle Potential der Türen ausgeschöpft. Beim Empfang in der Diele können die Türen so eingestellt werden, dass der Blick in den privaten Bereich verstellt ist und der Besucher direkt ins Wohnzimmer geführt wird. Das Personal kann den Tisch im Speisezimmer anrichten, ohne dass es von den Besuchern erblickt wird, da die kleinen Türen den Blick in der Querrichtung behindern. Sollen die Gäste ins Esszimmer geführt werden, öffnen sich die kleinen Türblätter in Querrichtung und verschliessen zusammen mit den grossen Türflügeln den Mittelgang in der Längsachse.

Solch raffinierten Türmechanismen sind seit dem französischen Barock als «Dégagements» bekannt (Abb. 76). Auch noch in der 1884 erschienenen Baukunde des Architekten, die von dem Ingenieur Daniele Donghi 1893 in erweiterter Form als Manuale dell’architetto ins Italienische übersetzt und publiziert wurde, wird auf die Nützlichkeit solcher Verbindungen hingewiesen. Im Abschnitt «Gesellschafts- und Repräsentations-Räume» schlagen die Autoren eine Dégagement-Verbindung vor: «Nach Tisch, sowie bei Beginn der Festlichkeit ist es erwünscht, dass die Gäste in einer grösseren Zahl von Räumen sich frei bewegen können. Um bei festlichen Gelegenheiten eine Verbindung auch zwischen solchen Räumen herzustellen, die für gewöhnlich durch den internen Verkehr der Wohnung, also durch einen Korridor getrennt sind, bedient man sich häufig eines Degagements wie solches in Fig. 160 dargestellt ist. Die Schiebethür a wird dann bei Gesellschaften geöffnet, dagegen der Raum durch die Thüren b b gegen den Flur geschlossen. Selbstredend kann auch bei c eine Schiebethür angebracht werden».762

Anders als die Türen bürgerlicher Wohnhäuser des 19. Jahrhunderts sind Caccias Türen in der Wohnung Via Visconti di Modrone im Gewicht leicht und dadurch mühelos zu bedienen. Der spielerische Aspekt im alltäglichen Gebrauch ist eine wichtige Facette. Er kann sogar als Aufforderung zur Veränderung verstanden werden. Ein weiteres Merkmal der Türen ist die Abstraktion ihrer Form. Ohne Sturz und Rahmen, als schwarz lackierte, dünne Scheibe ausgebildet, entgehen sie der üblichen Vorstellung einer Tür. Viel treffender scheint eine Definition als bewegliche Wand oder Möbel.

Auch Speisezimmer und Arbeitszimmer sind durch eine , raumhohe, zweiflügelige Tür getrennt (Abb. 86– 88), die ebenfalls schwarz lackiert ist und stark reflektiert. Die Beziehung zwischen den beiden parallel zum

762 Baukunde des Architekten 1904, S. 108. 152

Korridor liegenden Räumen wird über zwei Spiegel betont, die an der jeweiligen Rückwand der Zimmer montiert sind. Bei geöffneter Tür entsteht auf der Längsachse durch die gegenseitigen Spiegelungen eine unendliche Raumflucht. Dieser Effekt wiederholt sich, wenn die Türen geschlossen sind. Fast scheint es, dass in der Spiegelung auf der Türoberfläche die Öffnung der Wand vorweggenommen wird. Auf der Tür multiplizieren sich auch die Glanzlichter des Kronleuchters im Speisezimmer und steigern damit die Pracht des wertvollen Artefakts. Unübertroffen bleibt allerdings die Wirkung bei geöffneter Tür: Virtueller und tatsächlicher Raum werden ineinander geblendet und vervollständigen im Auge des Betrachters den Raumeindruck.

Corso Italia

In dem 1958 bis 1960 von Luigi Caccia Dominioni am Corso Italia errichteten Wohnkomplex bezog um 1960 der Künstler Francesco Somaini eine Wohnung im Wohnturm, die Caccia auch einrichtete. Der vestibülartige Eingangsbereich ist mit dem Wohnraum und dem Esszimmer schwellenlos verbunden, die Schlaf- und Nebenräume hingegen sind in einer kleinteiligen Zellenstruktur untergebracht. Zum Wohnraum öffnen sich insgesamt drei unterschiedliche Türen. Die erste ist im Korridor zwischen Lift und Wohnraum angebracht (Abb. 148–149). Die zweiflügelige Tür ist so angeordnet, dass sie den Eingangsbereich in ein Vestibül verwandeln kann. Sie ist im gleichen grauen Farbton, wie die anliegenden Wände gestrichen. Im geschlossenen Zustand verschwindet der Korridor tatsächlich, einzig der unterbrochene Deckenfries deutet auf die Kontinuität des Raumes dahinter. Die zweite Tür ist ebenfalls eine doppelflügelige Tapetentüre (Abb. 151-152). Im geschlossenen Zustand kaum von der Wand zu unterscheiden, gibt sie im offenen Zustand den Blick auf den als Anrichte genutzten Korridor zur Küche frei. Die in ihrer Funktion wichtigste Tür befindet sich zwischen dem Wohnraum und dem privaten Bereich der Kinder (Abb. 155, 150). Ihre Bedeutung als raumbildendes Element ist analog zu den spiegelnden Türen in der Wohnung Via Visconti di Modrone durch eine glänzende dunkle Lackierung hervorgehoben. Die dreiblättrige Flügeltür ist nur an einem Zapfenband an Decke und Boden montiert. Indem sich mit ihr Raumkontinua nach Belieben steuern lassen, wird deutlich, dass die Grenzen zwischen den privaten und öffentlichen Bereichen der Wohnung nicht starr sind. Bei Bedarf, etwa bei Festen, verschmilzt der Wohnraum mit dem grosszügig bemessenen Verteilerraum des privaten Bereichs. Die Tür öffnet damit eine wichtige Achse quer durch die Wohnung.

4.4.4.3. Fazit

«Körper» und «Bewegung» sind von 1955 an die beiden konstituierenden Faktoren in den Wohnräumen Luigi Caccia Dominionis. Die Vorstellung eines bewegten, sinnlichen und wahrnehmenden Körpers wird zur Massgabe der Gestaltung. Der dynamisch gestaltete Raum hat seinerseits einen bewegenden Effekt auf den Körper des Bewohners. Der Körper wird dabei in doppeltem Sinn bewegt, zum einen physisch, zum anderen – über die Dramaturgie der Bewegung – auch emotional.763 Mit der Möglichkeit, den Grundriss durch spezielle Türen zu verändern, kommt noch eine weitere Dimension der Beweglichkeit hinzu: Der Bewohner selbst bewegt und verändert Teile seiner Wohnung je nach Bedürfnis.

763 Zu der «doppelten Bewegung» der Körper im Raum siehe Mosayebi 2005. 153

Eine Tendenz, die Wand aufzulösen und den Grundriss bis zu einem gewissen Grad flexibler zu gestalten, ist auch im Umfeld anderer Architekten und Bauherren der gesellschaftlichen Elite Mailands anzutreffen. Architekten wie Vico Magistretti, Marco Zanuso oder Cini Boeri (*1924) arbeiteten mit Vorhängen, Schiebetüren und mobilen Regalen (Abb. 99–101).764 Das wohl treffendste Beispiel hierfür ist Angelo Mangiarottis experimenteller Wandaufbau, der 1952 in Domus publiziert wurde (Abb. 98):765 eine Wand aus drehbaren Paneelen, auf welcher der amerikanischen Künstlers William Klein (*1928) beidseitig eine abstrakte Komposition gemalt hatte. Die Bezeichnung als «Costruzione infinita» verweist auf die unendlichen Möglichkeiten, den Raum durch das Öffnen der Paneele zu verändern – der Domus-Artikel nennt 140 Variationen. Das Projekt wurde auch in Paul Damaz Buch zur Illustration eines gelungenen Beispiels für die sintesi delle arti verwendet.766

Caccias neues Raumkonzept der bewegten und beweglichen Räume bringt nicht direkt eine neue Lebensform zum Ausdruck, sondern zeigt eher den Wunsch der Bauherren nach formaler Erneuerung. Caccia integrierte eine «moderne Flexibilität»767 in die bürgerliche Wohnung. Die beweglichen Türen erlauben, die sozialen Gepflogenheiten ohne Veränderung weiterzuführen und gleichsam ein neues lustvolles und verspieltes Element in die Wohnung einzubauen. Einzig die Leichtigkeit der Türen und die Tatsache, dass sie sich kaum verschliessen lassen, deuten auf eine Veränderung der Hierarchien innerhalb der Wohnung hin. Die Türen reichern den geschützten, privilegierten Raum des Privaten um ein weiteres Artefakt an.

4.4.5. Wohnhaus an der Piazza Carbonari, 1955–1961

Ein Beispiel par excellence für die Konstruktion einer alternativen Gegenwart und die gestaltete Kontinuität des Raumes ist das Wohnhaus, das Luigi Caccia Dominioni 1955 bis 1961 an der Piazza Carbonari 2 für die Familie Mondelli errichtete. Die detaillierte Baugeschichte des Stadthauses liefert aufschlussreiche Einblicke in die Arbeitsweise des Architekten. Ebenso zeigt sie den Wunsch der privaten Bauherrn nach einem modernen Heim, die Folgen der Bauspekulation, die Verdichtung der Peripherie von Mailand sowie das Selbstbild einer Familie der gesellschaftlichen Elite Mailands zum Zeitpunkt des italienischen Wirtschaftswunders.

764 Pagani/Borachia 1954.

765 Licitra Ponti 1952.

766 Damaz 1956, S. 95 und 200–201.

767 Bewegung, Veränderung und Flexibilität im Wohnungsbau waren ein Phänomen, das nicht nur die gesellschaftliche Elite betraf. Gemäss Georges Teyssot wurde in den sechziger Jahren «[u]nter dem Begriff der Flexibilität […] der Wille der italienischen Designer deutlich, auf die vielfältigen und widersprüchlichen Ziele der Kleinstwohnung einzugehen. Die raffinierter werdenden Ansprüche an den Komfort, aber auch der Ausdruck einer neuen ‘Freiheit’ im Innern der Wohnung, das Streben nach individuellen Für-sich-sein und die Erfordernisse der Familienkontrolle finden in diesem Grundsatz (Austauschbarkeit in der Nutzung begrenzter Räume) die Hoffnung, das Unflexible flexibel zu machen». Teyssot 1989, S. 122. 154

4.4.5.1. Die Projektentwicklung

Die Bauherrschaft: Elena Mondelli und Giambattista Mondelli Elena Sala Mondelli (*1927) stammt aus einer Comasker Familie mit weit zurückreichender unternehmerischer Tradition.768 Ihre Grosseltern besassen eine Textilfirma und waren im Seidenhandel tätig. Ihr Grossvater Febo Sala769 heiratete die Schweizerin Helene Tanner,770 die er auf seinen Geschäftsreisen im Appenzeller Herisau kennengelernt hatte. Ihre Familie besass einen Stickereibetrieb und fertigte unter anderem die berühmte Sankt Galler Spitze. Elenas Eltern Eugenio Sala771 und Gisella Locatelli772 setzten die Arbeit in der väterlichen Firma in Como fort. Auch Gisella Locatelli kommt aus einer Comasker Unternehmerfamilie, die ihr Vermögen mit der Produktion und dem Verkauf von Kerzen erworben hatte. Die wohlhabende Familie Sala ermöglichte ihrer Tochter eine gute Ausbildung. Elena studierte am Mailänder Polytechnikum Architektur und schloss 1951 bei Piero Portaluppi ab.773

Giambattista Mondelli (*1927) absolvierte gleichzeitig am Mailänder Polytechnikum ein Studium des Ingenieurwesens und schloss im akademischen Jahr 1950 ab.774 Giambattista stammt ebenfalls aus der Provinz Como, aus einer Bauunternehmerfamilie in Cernobbio. Sein Vater Commandante Mario Mondelli hatte zwar selbst nicht studiert, der wirtschaftliche Erfolg seiner Firma Impresa Mondelli775 erlaubte ihm, seinen drei Kindern Roberto776 (*1924), Giambattista (*1927) und Elena (*1929) ein Studium zu finanzieren.777

768 Gespräch mit Elena Mondelli, 10. Dezember 2009, Mailand.

769 Die Lebensdaten Febo Salas konnten nicht ermittelt werden.

770 Die Lebensdaten Tanners konnten nicht ermittelt werden.

771 Die Lebensdaten Eugenio Salas konnten nicht ermittelt werden.

772 Die Lebensdaten Locatellis konnten nicht ermittelt werden.

773 Elena Mondelli schloss laut dem akademischen Jahrbuch des Mailänder Polytechnikums im akademischen Jahr 1950/51 mit dem Titel «Dottore in Architettura» und der Abschlussarbeit «Zona del Carmine – Scuola d’arte, Artigianato, Biblioteca, Alberghi» mit 90/100 Punkten ab. Annuario anni accademici dal 1951–52 al 1954–55 1959, S. 631.

774 Giambattista Mondelli schloss laut dem akademischen Jahrbuch des Mailänder Polytechnikums im akademischen Jahr 1949–1950 mit dem Titel «Dottore in Ingegneria Civile» und der Abschlussarbeit «Architettura e composizione architettonica» mit 80/100 Punkten ab. Annuario anni accademici dal 1947–48 al 1950–51 1954), S. 631.

775 Die Firma Impresa Mondelli führte als Generalunternehmerin die Planungen für Architekten aus. Sie war vor allem in Norditalien tätig. Gespräch mit Elena Mondelli, 10. Dezember 2009, Mailand.

776 Roberto Mondelli schloss laut dem akademischen Jahrbuch des Mailänder Polytechnikums im akademischen Jahr 1947–1948 mit dem Titel «Dottore in Ingegneria Civile» und der Abschlussarbeit «Scuola elementare maschile e femminile a Milano» mit 95/100 Punkten ab. Annuario anni accademici dal 1947–48 al 1950–51 1954, S. 606.

777 Gespräch mit Elena Mondelli, 10. Dezember 2009, Mailand. 155

Elena und Giambattista Mondelli heirateten 1951, um noch im selben Jahr für ein zweijähriges Masterstudium an der Cornell University in die Vereinigten Staaten auszureisen.778 Giambattista war Stipendiat des angesehenen Fulbright-Programms, Elena finanzierte sich das Studium ebenfalls mit Stipendien.779 Giambattista schloss das Masterstudium mit einer Arbeit über Fachwerkträger ab, was ihm nach seiner Rückkehr nach Italien die Möglichkeit bot, am Bau der Autostrada del Sole mitzuwirken.780 Elenas Abschlussarbeit trug den Titel «Apartment Buildings for Italy».781 Sie arbeitete nach der Rückkehr als Architektin.782 Das Paar lebte von 1953 bis 1960 in einer Mietwohnung an der Viale Cogni Zugna in Mailand, danach während der Tätigkeit Giambattistas an der Autostrada del Sud von 1960 bis 1963 in Rom. Wieder in Mailand beteiligte sich Giambattista am väterlichen Unternehmen Impresa Mondelli, in das sein älterer Bruder Roberto bereits eingestiegen war.

Das Stadthaus an der Piazza Carbonari bezogen die beiden jüngeren Mondelli-Geschwister Giambattista und Elena mit ihren Familien erst 1963. Giambattista und Elena Mondelli bewohnten zusammen mit ihren drei Kindern Valeria (*1954), Eugenio (*1956) und Aline (*1959) das fünfte Obergeschoss. Elena Mondelli Quaglia und ihr Ehemann, der Ingenieur Emilio Quaglia,783 zusammen mit ihrem Sohn Michele (1953–1970) das sechste Obergeschoss.

Die Aufgabe: eine Villa oder eine «Casa popolare» Mario Mondelli hatte das Grundstück an der Piazza Carbonari mit einer zweigeschossigen Villa von dem Grafen Gian Pietro Cicogna Mazzoni (1918–2008) in der Absicht gekauft, es später seinen Kindern zu überschreiben.784 Als Elena und Giambattista Mondelli allerdings im Jahr 1955 das konkrete Angebot erhielten, lehnte das junge Ehepaar zunächst ab. Es sei eine hässliche Gegend gewesen, so Elena Mondelli, mit einem dreckigen Bächlein, in unmittelbarer Nähe verliefen die Geleise der Bahnverbindung zwischen den Stationen Garibaldi und Milano Centrale, und Mitte der fünfziger Jahre war die Piazza Carbonari noch vollgepfercht mit Baracken, in denen durch den Krieg obdachlos gewordene Menschen hausten.785 Ausserdem konnte sich das fortschrittliche Paar das Leben in einer historistischen Villa nicht vorstellen

778 Die Comaskerin Elena Mondelli lernte während ihres Masterstudiums an der Cornell University den damals 21- jährigen Peter Eisenman (*1932) kennen, der gleichzeitig im Undergraduate Program eingeschrieben war (Bachelor 1955). Laut Elena Mondelli hatte Eisenman bereits zu diesem Zeitpunkt grosses Interesse für die norditalienische Architektur. Sie hätten oft miteinander über Giuseppe Terragnis moderne Architektur diskutiert, und sie habe ihm bei Übersetzungen der italienischen Literatur ins Englische geholfen. Ebd.

779 Ebd.

780 Mondelli, «On the Solution of Rigid Frames» 1953.

781 Mondelli, «Apartment Buildings» 1953.

782 Im Verlauf ihrer Karriere als Architektin ging sie zwei Partnerschaften ein, mit Rosanna Silva und mit Renata Ripa. Sie arbeitete zudem für die Impresa Mondelli. Gespräch mit Elena Mondelli, 10. Dezember 2009, Mailand.

783 Die Lebensdaten Quaglias konnten nicht ermittelt werden.

784 Gemäss den Akten des Archivio civico storico wurde die Villa 1910/11 von dem Ingenieur Corrado Rossi für Elvira Angerer Comelli und Ernesto Angerer errichtet. Das Areal trug den Namen «La Maggiolina». Protokoll Nr. 8683/456. Wann die Villa an den Grafen Mazzoni verkauft wurde und wann sie in den Besitz Mario Mondellis kam, lässt sich nach Studium der Datenlage nicht rekonstruieren.

785 Gespräch mit Elena Mondelli, 10. Dezember 2009, Mailand. 156

(Abb. 182–184). Ein Haushalt in einem solchen Gebäude, der einen hohen Personalaufwand erfordert hätte, wäre zu kostspielig und zu aufwendig gewesen.786

Nach der Absage seiner Kinder entschloss sich Mario Mondelli eine «Casa popolare» im «tipo razionalismo»787 zu errichten, um dann das Grundstück mit Wohnungen gewinnbringend zu veräussern. Das Projekt, das er von dem Ingenieur Ugo Mazzola ausarbeiten und am 20. Juli 1957 bei den Behörden einreichen liess,788 sah ein neungeschossiges, 29,7 Meter hohes Haus vor (Abb. 185).789 Die Stadtverwaltung missbilligte die enorme Höhenentwicklung, daraufhin reichte Mondelli am 6. März 1958 eine überarbeitete Fassung ein (Abb. 186–187). Das Projekt hatte nun insgesamt sieben Geschosse und war 23,95 Meter hoch.790 Die amtliche Bewilligung dieser immer noch überdurchschnittlichen Höhe verdankte sich dem Verhandlungsgeschick Mario Mondellis. Ende der fünfziger Jahre war die Stadtverwaltung Mailands darum bemüht, den Grünanteil in der Stadt substantiell zu erhöhen. Es wurde eine Vergrösserung des Grünanteils der Parzelle vereinbart, im Gegenzug wurde das Mehr an Höhe autorisiert.791 Den Plänen zufolge wäre der Neubau auf der Stelle der Villa zu stehen gekommen und wäre mehrheitlich ihren Grundmauern gefolgt, nur ein kleines Nebengebäude sollte abgerissen werden. Der Gewinn an Grünfläche hätte lediglich 19 Quadratmeter betragen, genügte der Stadtverwaltung aber offensichtlich.792

In dieser Phase im Frühjahr 1958 entwickelten Giambattista Mondelli und seine Schwester Elena Mondelli Quaglia die Idee, nun doch an die Piazza Carbonari zu ziehen. Die veränderte Ausgangslage führte dazu, das Projekt der «Casa popolare» zu verwerfen: Es sei nach diesem Entscheid klar gewesen, dass für diese Aufgabe ein renommierter Architekt wie Luigi Caccia Dominioni beauftragt werden musste.793 Caccia sei zu der Zeit bereits ein bekannter Mann gewesen, ausserdem war er mit dem älteren Bruder der Mondelli- Geschwister Roberto befreundet.794 «Auf diese Art und Weise gab es uns einen gewissen Glanz. Und ich wollte gerne in einem Haus wohnen, das von Caccia konzipiert worden war».795

786 Die Küche lag dem Typus einer solchen Villa entsprechend im Untergeschoss.

787 Ebd.

788 Baueingabepläne des gesamten Projektentwicklung befinden sich im Archivio storico Milano in Mailand. ASC: Piazza Carbonari 2, 20. Juli 1957.

789 ASC: Piazza Carbonari 2, 23. Juli 1957.

790 ASC: Piazza Carbonari 2, 6. März 1958.

791 In einem Nachtrag schrieb Mondelli, dass das neue Haus den Anteil des Gartens vergrössere. ASC: Piazza Carbonari 2, 4. Oktober 1957.

792 Irace/Marini 2002, S. 115–116.

793 Gespräch mit Elena Mondelli, 10. Dezember 2009, Mailand.

794 Caccia hatte 1950 für Roberto Mondelli und dessen Frau Sofia Walter eine Wohnung an der Via Visconti di Modrone 34 umgebaut und eingerichtet; das Mehrfamilienhaus hatte Mario Mondelli gebaut. Zudem war die Comasker Familie Mondelli mit Carlo Somaini, dem Onkel Francescos, bekannt.

795 Gespräch mit Elena Mondelli, 10. Dezember 2009, Mailand. 157

Das Konzept: eine Villa auf einem Mehrfamilienhaus Bereits zwei Monate später, am 10. Mai 1958 wurde eine dritte Baueingabe eingereicht (Abb. 189–196).796 Caccias Unterschriften auf den Plänen bestätigen sein Engagement.797 Die neue Volumetrie spiegelt das Programm des Hauses deutlich: Auf ein fünfgeschossiges Mehrfamilienhaus ist eine zweigeschossige Villa gesetzt,798 der ganze Bau besteht aus der Stapelung zweier unterschiedlicher Haustypen. Die Villa ist deutlich vom Mehrfamilienhaus abgesetzt. Ihr Volumen ist kleiner und springt an der östlichen und westlichen Querseite leicht zurück (Abb. 195–196). Die Zweiteiligkeit wird zudem durch den Wechsel der Fassadenbekleidung und der Fenstertypen sowie durch ein umlaufendes Geländer markiert: Oben ist die Fassade verputzt sowie mit französischen Fenster mit Doppelflügeln und seitlichen Läden versehen, in der Klinkerfassade des unteren Teils sind horizontale Bandfenster mit Schiebeläden vorgesehen. Auffällig ist zudem die Komposition der Südfassade: der sichtbar geführte Servicelift, dessen Schacht sich im unteren Volumen als markanter vertikaler Schnitt abzeichnet, endet im oberen Teil in einer auskragenden Balkonplatte und einem Erker. In den Fensterformaten und der Materialisierung des unteren Gebäudeteils zeigen sich grosse Analogien zu Caccias Wohnhaus an der Via Ippolito Nievo 28 (1956–1960) (Abb. 327– 328), einem mit graublauem Klinkerfliesen bekleidetem Mehrfamilienhaus für die gehobene Mittelklasse.

Das Konzept einer «Villa auf einem Mehrfamilienhaus» findet auch im Inneren seine Fortsetzung. Das Prinzip der «Casa popolare» – ein Grundriss des gehobenen Mittelstands, organisiert um ein kleines Treppenhaus mit Servicelift und herrschaftlichem Fahrstuhl mit zwei Wohnungen pro Geschoss –, so wiederholte sich im Mehrfamilienhaus-Teil der Caccia-Planung. Die Grundrisse sind ebenfalls als Zweispänner organisiert und moderat ausgestattet (Abb. 192). Die beiden Wohnungen in der «Villa» hingegen bieten deutlich mehr Annehmlichkeiten (Abb. 193–194). Als Geschosswohnungen besitzen sie eine beträchtlich höhere Grundfläche. Zudem sind sie komfortabler ausgestattet: Beide Wohnungen verfügen über drei Bäder, von denen eines für die Haushaltshilfe vorgesehen ist. Auch die vielen Wandschränke verweisen auf eine gehobenere Lebenshaltung.

Caccias neue Volumetrie spiegelt zwar das Programm des Hauses, basiert aber auf den Abmessungen der Baueingabe der «Casa popolare» vom 6. März 1958, das heisst 23,95 Metern Höhe und eine Grundfläche von 14 x 21 Metern. Indem Caccia die bereits bewilligten Grundmasse für sein Projekt übernahm, ersparte er sich und den Auftraggebern eine weitere Verhandlungsrunde mit der Stadtverwaltung. Ein solches Vorgehen lässt Rückschlüsse auf die entwerferische Praxis des Architekten zu. Die Planung für die Piazza Carbonari offenbart ein hohes Mass an Anpassungsbereitschaft und Pragmatismus im Entwurf und einen Hang zum Eklektischen, der es erlaubt, zwei verschiedene Haustypen aufeinander zu «stapeln».

796 ASC: Piazza Carbonari 2, 10. Mai 1958.

797 Laut Elena Mondelli hat sie selbst die meisten Pläne gezeichnet. Wie die Arbeitsteilung zwischen Mondelli und Caccia verlief, lässt sich nicht genau rekonstruieren. Da im Privatarchiv des Architekten kaum Pläne des Projekts vorhanden sind, ist davon auszugehen, dass sämtliche Pläne Elena Mondelli und die ausführende Firma Impresa Mondelli zeichneten. Auf den Plänen fehlt zudem der übliche Plankopf des Büros von Luigi Caccia Dominioni.

798 Die entstandene Kubatur entsprach laut Maria Vittoria Capitanucci auch dem 1953 herausgegebenen Regelwerk des Piano Regolatore der Stadt Mailand, das vorgab, dass Häuser an Plätzen eine grössere Höhe haben, an unbedeutsameren Nebenstrassen aber niedriger sein sollten. Diese Bemerkung stimmt sicherlich, erklärt aber nicht die mehrfache geknickte Giebelfront des Hauses. Irace/Marini 2002, S. 115. 158

Das Projekt: das neue Stadthaus Erst die zwei Jahre später eingereichte, vierte Baueingabe vom 15. Dezember 1960 zeigt die Volumetrie und Fassade des ausgeführten Projekts (Abb. 199–202). Die Unterscheidung zwischen Villa und Mehrfamilienhaus war in der Zwischenzeit aufgehoben, die Fassade vereinheitlicht worden: Der Klinker ist durchgehend verlegt, und die horizontalen Bandfenster durchbrechen die gesamte Fassade. Zudem ist der Baukörper volumetrisch vereinfacht: Von den beiden Rücksprüngen an den kurzen Querseiten im fünften Obergeschoss ist nur noch einer zur Via Timavo zu erkennen. Zur stereometrischen Reduktion gehört auch, dass Balkon und Erker der vorhergehenden Projektfassung in einem einzigen, zwei Geschosse fassenden Erker zusammengeführt wurden. Ausserdem ist diese Komposition zusammen mit dem sichtbar geführten Liftschacht an die Nordfassade gerückt und bildet nun auf der Eingangsseite zur Piazza Carbonari das markante «Gesicht» des Hauses. Auf die französischen Fenster im ehemaligen Villa-Geschoss wurde vollkommen verzichtet, einzig die Balkonflügeltüren zum Osten weisen in ihrer vertikalen Proportion noch auf das ältere Projekt.

Wie kam es zu dieser Projektänderung? Die Käufer der unteren Geschosse waren allesamt Bekannte, Freunde und Familienmitglieder der Bauherrnfamilie, was die Vermutung nahelegt, dass die ursprünglich angedachte Hierarchisierung des Hauses der Bauherrschaft nicht mehr angemessen erschien. Der Blick ins Innere zeigt, dass sich die Grundrisse jedes Geschosses nicht bloss stark verändert haben, sondern den Anliegen und dem individuellen Programm des jeweiligen Käufers angepasst sind. Eine solche freie «Bespielung» des Grundrisses und Andaptierung an die Bedürfnisse der Bewohner lässt sich nur mit einer Skelettbauweise verwirklichen, die massgeschneiderte Grundrisse im Mehrfamilienhaus ermöglicht.

Die ikonische Figur des neuen Stadthauses ist damit das Resultat eines iterativen Entwurfsprozesses, der vorhergehende formale Entwicklungsschritte nicht verwirft, sondern in die neuen Projektfassungen integriert. Caccia reagierte affirmativ auf den Bestand, baute auf den «Umständen» auf, bezog die Bedingungen mit ein und stützte sich auf eigene Ansätze wie auch auf Entscheidungen, die andere vor seiner Mitarbeit gefällt hatten. Eine solche Haltung setzt nicht nur auf dem Bestand, als Summe aller Gegebenheiten, auf, sondern betrachtet sie als erforderliche Voraussetzung für die künstlerische Auseinandersetzung. Aus der pragmatischen Einstellung Caccias erklärt sich auch, dass er genau die gleiche Fassadengestaltung aus Klinker, Bandfenstern und Aluminium-Fensterrahmen, die er für das Wohnhaus an der Via Ippolito Nievo 28 (Abb. 328) entwickelt hatte, nun nochmals verwendete. Hinter der Entscheidung, das Gebäude in Skelettbauweise zu konzipieren, steht nicht allein der Wunsch nach Flexibilität der Grundrisse. Durch die Trennung der Tragstruktur vom Raumgefüge errichtete sich der Architekt seinen eigenen entwerferischen Spielraum, um im darauffolgenden Entwicklungsschritt zum «Innenarchitekten» seiner eigenen Architektur zu werden.

Die Wohnform: gestapelte Villen Laut den Akten des Notariats überschrieb Mario Mondelli das Grundstück am 3. Juni 1959 auf die Impresa Mondelli, seinen Kindern Giambattista Mondelli und Elena Quaglia Mondelli sowie einem weiteren 159

Ingenieur der Firma Mondelli, Francesco Weisz.799 Den grössten Anteil von 670/1000 erwarb die Impresa Mondelli zu einem Kaupreis von 10 300 000 Lire. Dieser Anteil wurde zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls an weitere private Eigentümer verkauft. Giambattista Mondelli sicherte sich einen Anteil von 140/1000.

Nach der Fertigstellung des Hauses 1961 sahen die Wohnverhältnisse folgendermassen aus: Das Hochparterre bewohnte die Familie Contini. Ihre Wohnung hatte auch Anteile im ersten Obergeschoss. Im selben Geschoss nahm sich die verwitwete Elena Mondelli Pietroboni, die Ehefrau von Mario Mondelli, eine Wohnung. Der Ingenieur Francesco Weisz wurde Eigentümer des gesamten zweiten Obergeschosses. Das dritte und vierte Obergeschoss gehörte der Familie Colombo, die ein Möbelunternehmen besass. Das fünfte Obergeschoss übernahm die fünfköpfige Familie Mondelli, und Besitzer des obersten Geschosses war die Familie Quaglia Mondelli (Abb. 203-211).

Das Stadthaus an der Piazza Carbonari entspricht dem Typus der «gestapelten Villa» oder der «villa multipla».800 Dabei handelt es sich um eine architektonische Verschränkung von städtischem Mehrfamilienhaus und freistehendem Palazzo.801 Caccia folgt dabei dem seit Giovanni Muzio bekannten Konzept des städtischen Wohnhauses als Stapelung einzelner Villen. In solchen Mehrfamilienhäusern umfassen die Wohnungen ein ganzes Geschoss mit grosszügigen, auf gehobene bürgerliche Wohnformen zugeschnittenen Grundrissen, jede Einheit wird als Privateigentum gehandelt. Bemerkenswert ist der Einsatz des Fahrstuhls: Er öffnet sich in solchen Häusern oftmals, und so auch im Stadthaus der Mondelli, direkt in die Wohnung und verbindet die Eingangshalle im Erdgeschoss unmittelbar mit dem privaten Wohnbereich. Dies suggeriert den Bewohnern, in einem eigenen Haus, einer Stadtvilla, zu leben, eine Illusion, aus der sich der Erfolg dieses Wohnhaustypus trotz der hohen Dichte an Bewohnern innerhalb eines Hauses erklären könnte.

4.4.5.2. Die Fassade als schützende Hülle des alltäglichen Lebens

1957 schrieb Gio Ponti:

Quando la nostra Architettura si riduce, forzatamente, alle facciate, non architettiamo, impaginiamo le finestre nella facciata: facciamo dei Mondrian coi cristalli: Asnago e Vender impaginano bellissime facciate, architettano una superficie, facendo dell’arte grafica.802

Ponti verweist hierhin auf zwei interessante Aspekte der Architektur von Asnago & Vender:803 die Deklaration der Fassade zur planen Leinwand und die Reduktion der Fenster auf eine abstrakte

799 Dokument des Notars Dr. Giuseppe Gallizia über den Verkauf und die Übertragung des Grundstücks von Mario Mondelli. ASC: Piazza Carbonari 2, 24. Oktober 1959. Francesco Weisz war während des Zweiten Weltkriegs ebenfalls in der Schweiz interniert gewesen und veröffentlichte im Bolletino del Centro studi per l’edilizia, dem Publikationsorgan des Camp universitaire italien de Lausanne, einen Artikel über Betonkonstruktionen. Bolletino del Centro studi per l’edilizia, 7–8 (1945), o. S.

800 Zum Begriff der «villa multipla» siehe Burg 1996, S. 95.

801 Der folgende Abschnitt wurde in leicht veränderter Fassung publiziert in Mosayebi 2008, hier S. 253 und 272.

802 Ponti 1957, S. 140.

803 Die folgenden beiden Abschnitte wurde in leicht veränderter Fassung publiziert in Mosayebi 2007, S. 13. 160

Komposition.804 Voraussetzung dieser radikal formulierten Auslegung einer Fassadengestaltung ist wiederum die Skelettbauweise. Der moderne Skelettbau brachte die vorgehängte, nicht tragende Curtain Wall hervor, derer sich Luigi Caccia Dominioni ebenfalls bediente.805 Beim Wohnhaus an der Piazza Carbonari wurden Wand und Öffnung – traditionell «volle» und «leere» Flächen – stofflich angeglichen und bilden zusammen eine schimmernde Haut aus reflektierendem Glas, silbernem Aluminium und glänzendem Klinker (Abb. 222). In seinem grafischen Ausdruck verschlüsselt die Fassade Aspekte des Gebäudeinneren wie Geschossigkeit, Ausrichtung und Raumzuordnung. Eine Besonderheit stellt das schwarz emaillierte Blindglas dar, das zwischen die Fensterbändern gesetzt ist und als Blende für silbern leuchtende Schiebeläden aus Aluminium verwendet wird. Die «Bildkomposition» der Fassade aus horizontalen Streifen mit schwarzen und weissen Feldern auf dunklem Grund erinnert an Gemälde der Vertreter der Arte concreta, insbesondere an die abstrakten Malereien von Manlio Rho (Abb. 104) oder Luigi Veronesi (1908–1998). Die Fassade als zweidimensionale Komposition tritt in einen markanten Gegensatz zur hohen Plastizität des Innenraums.806 Sie verleiht dem Haus seinen wahrhaft «exklusiven» Charakter und ist gleichsam die «Schutzhülle» des kostbaren Innenlebens.

Auf dieser Grenzfläche zwischen Innen- und Aussenraum, auf der Fassadenhaut, wird das einfallende Licht diffus reflektiert. Der Glanz und die Spiegelungen unterstreichen die abschirmende Eigenschaft der Fassade. Denn sie wirft den Blick des Betrachters zurück und verbindet sich durch die Reflexion von Tageslicht, Wetter und Jahreszeiten mit der städtischen Umgebung. Auf Zwischenzonen, überleitende Räume in Form von Loggien, Balkonen oder tief in der Fassadenebene liegenden Fenstern, die in feinen Abstufungen aus dem öffentlichen Stadtraum in die private Wohnung überleiten, wurde verzichtet. Der Innenraum entzieht sich damit dem Blick- und Wahrnehmungsfeld des (unerwünschten) Betrachters.

Die Skelettkonstruktion hätte durchaus einen optisch transparenten Bau mit grossformatigen Öffnungen erlaubt. Als umso entschlossener muss deswegen der Entscheid Caccias und der Familie Mondelli gegen Transparenz und für Opazität bewertet werden. Die Fassade, die Licht reflektiert, es aber nicht hindurch lässt, unterstreicht einmal mehr die scharfe Trennung zwischen innen und aussen. Die kleinen Fensteröffnungen legen Zeugnis ab, dass die modernen Paradigmen von Luft, Licht und Transparenz nicht dem Wunsch und Vorstellung von Architekt und Bauherrschaft entsprachen. Vielmehr hebt die Entscheidung, trotz des Skelettbaus relativ kleine Öffnungen zu setzen, zwei wichtige Aspekte der innenräumlichen Konzeption hervor: Einerseits sollte der Innenraum vor äusseren Einblicken wie auch vor allzu viel Lichteinfall geschützt werden. Andererseits ging es darum, von innen nach aussen gezielte Ausblicke zu konstruieren, statt durch grosse Panoramafenster die Grenzen zwischen innen und aussen zu verwischen und Wohnung und Stadtraum im Ausblick ineinander zu blenden.

804 Zur Behandlung der Fassade als Leinwand siehe auch Staufer 1996, S. 28. Staufer vermutet, Caccia habe «die bildkompositorischen Absichten eines frühen Mondrians [auf die Fassade] projiziert». Es liegt aber näher, die Gemälde der Künstler des MAC als Ausgangspunkt für Caccias Fassadenkomposition heranzuziehen.

805 Mit dem Geschäftshaus am Corso Europa 10–12 (1953–1959) hatte Caccia eine der ersten Curtain-Wall-Fassaden nach amerikanischem Vorbild in Italien realisiert. Ernesto Nathan Rogers, «Due palazzi» 1959.

806 Zum Antagonismus zwischen «Inhalt und Erscheinung» in Caccias Architektur siehe auch Staufer 1996, S. 26. 161

Caccias Wohnhaus an der Via Ippolito Nievo 28, das er kurz vor dem Stadthaus der Mondelli zwischen 1955 und 1957 realisiert hatte, stellt in vielerlei Hinsicht den «Prototypen» einer solchen Fassadengestaltung dar (Abb. 321–323, 327). Die Fassade ist ebenfalls aus Klinkerfliesen, besitzt die gleichen Bandfenster aus Aluminium, dieselben schwarz emaillierten Blindfenster sowie Schiebeläden aus Kunststoff. Der einzige Unterschied besteht in der Farbe des Klinkers. Caccia hatte sich dort für eine graublaue Tönung entschieden.

Im Begleitschreiben zur Baueingabe am 9. Dezember 1955 charakterisiert Caccia die Eigenschaften der Fassade:

Il sottoscritto Arch. Luigi Caccia Dominioni […] fa presente […] 4°) come la quattro facciate saranno costituite la finestre in alluminio e vetro ripetendesi con composta liberta con superfici pine e liscie e ricoperte in litoceramica a vernice vetrificate bleu-grigia con lucentezza e colore quindi simile a quello delle finestre stesse.807

Als wesentliche Eigenschaft wird der hochglänzende Klinker aufgeführt: Die blaugraue Keramikoberfläche sollte in der Farbigkeit den Fenstern nahekommen. Die stoffliche Angleichung zwischen dem Glas der Fenster und dem Klinker der Verkleidung war von Beginn an Programm und spiegelte sich in der Wahl Farbe. Die materielle Verwandtschaft von Klinker und Glas hatte Caccias Interesse geweckt.

Es gehört zudem zu den Eigenschaften von Klinker, dass die einzelnen Stücke farblich um Nuancen differieren. So erscheint die Fassade nicht als homogene Fläche, sondern changiert in Schattierungen zwischen Blau und Grau. Ein weiterer Entwicklungsschritt, den Caccia mit dem Bau des Wohnhauses an der Ippolito Nievo vollzog, war die Erfindung einer schmalen Klinkerfliese von 24 x 4,5 Zentimetern («litoceramica smaltata»808), die er vertikal verlegen liess. In seinen Projekten zuvor hatte er zumeist hexagonal geformte Klinkerfliesen verwendet (Abb. 328).809 Durch die vertikale Verlegung wird der bekleidende Charakter des Klinkers betont. Die Fassadenoberfläche weckt Assoziationen an die glatte, glänzende Haut von Reptilien oder an hängende Textilen mit vertikalem Faltenwurf.

Für das Stadthaus an der Piazza Carbonari entwickelte Caccia einen rotbraunen Klinker.810 Die Wahl einer solchen Tonalität erstaunt nicht, wenn man die Fassaden vorhergehender Projekte in Betracht zieht, wo Caccia bereits eine grosse Vorliebe für rotbraune, ziegelfarbene Töne gezeigt hatte.811 In den Baueingabeplänen wird die Farbe als «crème caramel» charakterisiert.812 Die rotbraune Fassade fügt dem komplexen Spiel mit der Wahrnehmung des Betrachters noch eine weitere Ebene hinzu, denn je nachdem aus

807 Luigi Caccia Dominioni, Brief an den Bürgermeister von Mailand. ASC: Ippolito Nievo 28, 9. Dezember 1955.

808 In den Baueingabeplänen wird die Bekleidung entweder mit «Klinker» oder «litoceramica smaltata» bezeichnet.

809 Konvent und Institut Beata Vergine Addolorata (1946–1955), Geschäftsgebäude Loro-Parisini (1951–1957)

810 Eine Anekdote der Familie Mondelli zufolge liess die Firma Litogres Ceramico die von Caccia entwickelte rotbraune Fliese zuerst an einer anderen Fassade verlegen. Deswegen sei ihr Stadthaus nicht das erste mit dieser Bekleidung, die Farbe sei aber für ihr Haus entwickelt worden.

811 Etwa beim Wohnhaus Piazza Sant’Ambrogio (1947–1950) oder beim Istituto della Beata Vergine Addolorata (1946– 1955).

812 «Crème caramel» von Hand notiert, ASC: Piazza Carbonari 2, 15. Dezember 1960. 162 welcher Perspektive das Gebäude betrachtet wird, erscheint es als schwerer und körperhafter rotbrauner Monolith oder als gläserne, lichtreflektierende Struktur.

Neue Baustoffe der Fassade Gio Ponti erklärt 1957 in seinem Manifest Amate l’architettura, was bis heute das Interesse der Architekten und Bauherren für das Material Klinker ausmacht: die hohe Widerstandsfähigkeit:

[…] essa faceva conto del tempo per farsi finire da lui, patinata, armonizzata, invecchiata come la Natura – la Natura è vecchia: oggi l’Architettura lotta contro il tempo con i materiali incorruttibili: alluminio, ceramica, cristallo, cemento (non errato dirla contro-natura: ma tutto quanto è di grande nell’uomo è contro la Natura […].813

Auch Elena Mondelli überzeugte die Klinkerfassade, weil eine solche Fassade nicht nur enorm widerstandsfähig sei, sondern sich sogar selbst im Regen reinige und sich damit kein Schmutz auf der Oberfläche ablagere.814 Anders als Putzfassaden bilden Klinkerfassaden keine Patina und widersetzen sich dem zeitlichen Verfall. Das gleiche gilt für Aluminium und Kunststoff. Beide Baustoffe zeigen kaum Spuren der Verwitterung. Darüber hinaus handelte es sich bei allen drei Baustoffen um relativ neue und für die Bauherren moderne Materialien.815

Klinker und Keramik

Klinker ist ein besonderes Material, das gläsern, reflektierend und zugleich opak ist. Caccia entwickelte in Zusammenarbeit mit der Firma Ceramiche Piccinelli in Mozzate, Provinz Como, eine spezielle glasierte Klinkerfliese, die er erstmals für das Wohnhaus an der Via Ippolito Nievo 28 verwendete (Abb. 327). In der Folge fanden solche Keramikfliesen derart grosse Verbreitung, dass sie heute als typische Fassadenbekleidung der Mailänder Nachkriegszeit gelten.816

Als Caccia in den fünfziger Jahren seine ersten Fassaden in Klinker ausführte, wurde dieser in Mailand noch selten eingesetzt. Die Einführung des eigentlich für Nord- und Mitteleuropa typischen Materials nach Italien ist dem Architekten Giovanni Muzio zu verdanken, der den Klinker zu Beginn der dreissiger Jahre buchstäblich nach Mailand importierte.817 Muzio hatte das Material auf seinen Reisen durch die Niederlande und Deutschland im Werk von Willem Marinus Dudok (1884–1974), Peter Behrens (1868–1940) und in den in Bauten des Backsteinexpressionismus in Hamburg und Amsterdam kennengelernt.818 Einer Anekdote

813 Ponti 1957, S. 12.

814 Gespräch mit Elena Mondelli, 10. Dezember 2009, Mailand.

815 Gio Ponti hatte diese Materialkombination aus Keramikmosaik und Aluminiumrahmen für die Fassade des technisch und statisch ausserordentlich raffinierten Pirelli-Hochhauses erprobt, das er zwischen 1957 und 1960 realisierte.

816 Caccia realisierte diese Art der Klinkerfassade mit den umgehenden Bandfenstern insgesamt dreimal: Neben dem Block an der Via Ippolito Nievo 28 und dem Stadthaus an der Piazza Carbonari konnte er 1964 ein Wohngebäude an der Via Ippolito Nievo 6 errichten. Die Fassade lässt sich folgendermassen typisieren: Alle drei Bauten befinden sich am «Stadtrand» von Mailand und sind freistehend. Die Skelettbauweise erlaubt einen individuellen Ausbau der einzelnen Wohnung nach den Wünschen der Eigentümer. Uniform war neben der statischen Struktur auch die Fassade, massgefertigt jedoch das Innere.

817 Capitanucci 2007. Die folgenden Ausführungen basieren auf Mangosio 2006.

818 Ebd., S. 597. 163 zufolge begeisterte ihn Klinker so sehr, dass er mit einigen Ziegeln im Gepäck nach Mailand zurückkehrte. Mit dem Palazzo dell’Arte, dem Triennale-Gebäude, im Parco Sempione errichtete Muzio zwischen 1931 und 1933 den ersten Klinkerbau Italiens.819

Für die Produktion des Klinkers in Italien trat Muzio mit verschiedenen Unternehmen in Kontakt.820 Nur eine Firma war damals in der Lage, hochwertigen und bezahlbaren Klinker herzustellen: die Firma Ceramiche Piccinelli, die Caccia in den fünfziger Jahren bei der Entwicklung seiner Klinkerfliese unterstützen sollte. Das neue, gegenüber dem Vorbild leichtere Material erhielt den kommerziellen Namen «Litoceramica» und «Italklinker». Entwicklung und Produktion des italienischen Klinkers fielen in die Phase der faschistischen Doktrin der Autarchie, welche die ökonomische Unabhängigkeit Italiens proklamierte und zur Ankurbelung der einheimischen Wirtschaft den Import ausländischer Güter untersagte. Auch wenn Klinker in Italien erst nach dem Zweiten Weltkrieg weite Verbreitung fand, war die Grundlagenforschung, welche die Entwicklung der Baukeramik in Italien ermöglichen sollte, massgeblich der faschistischen Politik geschuldet.821

Muzio verwendete am Palazzo dell’Arte noch den ganzen Klinkerziegel, den er statisch tragend einsetzte.822 Diese Konstruktion überzeugte aber wegen des erheblichen Gewichts des massiven, schneidend scharfen Ziegels sowie der immer noch hohen Kosten wenig. Piccinelli investierte daraufhin in die Entwicklung einer leichteren und weitaus günstigeren Klinkerfliese. Die Firma konnte in der Folge ein «breites Sortiment verschiedener Formate und Farbtönungen» zum Verkauf anbieten.823 Das Erzeugnis wurde erstmals 1932 an der Baumesse in Rom präsentiert, wobei die gestalterischen, physikalischen und nicht zuletzt auch die ökonomischen Vorteile gegenüber Natursteinverkleidungen besonders herausgestellt wurden.824 Das Material wurde in den folgenden Jahren wiederholt an der Mailänder Mustermesse ausgestellt (1933, 1934 und 1938),825 Piccinelli betrieb massive Werbung826 und sorgte dafür, dass das neue Produkt in Domus und Casabella publizistische Aufmerksamkeit erhielt.827 Die Verfahren zur Herstellung des Italklinkers konnten dank der Weiterentwicklung der Chemie und des Maschinenbaus während den vierziger und den fünfziger

819 Bernardini 2009, S. 14.

820 Mangosio 2006, S. 597.

821 Der Gründer der Firma Piccinelli, Conte Gian Battista Piccinelli (die Lebensdaten konnten nicht ermittelt werden) aus Bergamo pries anlässlich einer Rede mit dem Titel «Evoluzione dell’arte ceramica nell’architettura svolto» 1937 vor dem Rotary Club den Baustoff Keramik an: «[…] attraverso l’uso tradizionale dei materiali ceramici migliorati e perfezionati dalla tecnica di oggi, si vada creando un saldo legame fra l’architettura antica e quella moderna». Zit. n. Augelli 1997, S. 426.

822 Mangosio 2006, S. 597–598.

823 Ebd., S. 598.

824 Zur gleichen Zeit begann auch die Firma Società Anonima Canavesana Ceramiche e Reffrattari di Castellamento aus Turin mit der Produktion von Baukeramik zur Bekleidung von Fassaden. Ebd., S. 598.

825 Fotos des Ausstellungskiosks der Ceramiche Piccinelli auf der Fiera di Milano-Campionaria sind zusammengestellt bei Moccia 2009.

826 Ceramiche Piccinelli warben seit 1933 in Casabella, Domus und Architettura.

827 Gio Ponti publizierte auf der Titelseite des Domus-Heftes Nr. 107 im November 1936 ein mit Keramik bekleidetes Haus, die Domus-Ausgabe 155 zeigt 1940 Keramikfussböden. 164

Jahren verbessert werden und erreichten schliesslich einen hohen Perfektionsgrad.828 Die Firma Ceramiche Piccinelli schloss ihr Werk in Mozzate im Jahr 1967.829

Der enorme Erfolg, den Klinker bei den Architekten der Nachkriegszeit genoss, ist sicherlich auch auf Gio Pontis engagierte Befürwortung des Materials zurückzuführen.830 Pontis Zugang zum Material Keramik war jedoch ein gänzlich anderer als der Giovanni Muzios. Ponti hatte sich seit Beginn seiner Karriere als Architekt mit Keramik befasst.831 Sein Engagement als künstlerischer Berater der keramischen Manufaktur Richard Ginori zwischen 1923 und 1930 galt der Herstellung luxuriöser feinkeramischer Waren wie dekorativer Vasen, kleiner Figuren, Schalen und Teller. Seine Keramikfassaden entwickelte er erst seit 1957 in Zusammenarbeit mit der Keramikmanufaktur Joo.832 Mit dieser Firma entwarf er verschiedene Relieffliesen mit dem Titel Diamanti, die erstmals 1963 an der Fassade der Kirche San Francesco zum Einsatz kamen. Die prominenteste Fassade dieser Art in Italien ist wohl das Pirelli-Hochhaus (1957–1960), wo Ponti insgesamt 12 000 Quadratmeter Keramikmosaik mit Fliesen in der Grösse von 2 x 2 Zentimetern verlegen liess.833

Ponti hatte eine starke Affinität für die Wiener Architektur um 1900. Er war zu Beginn seiner Laufbahn in den zwanziger Jahren sehr vom Werk Otto Wagners (1841–1918) beeinflusst.834 Ausserdem war Ponti mit Josef Hoffmann (1870–1956) befreundet und publizierte 1935 in Domus ein Portrait über Hoffmann und die Wiener Werkstätten.835 Er realisierte 1936 die Innenausstattung des Palais Fürstenberg in Wien und kannte das Majolikahaus (1898–1900) von Otto Wagner sowie das Haus Portois & Fix (1899–1900) von Max Fabiani (1865–1962) aus eigener Anschauung.

Auf Lucio Fontanas «ceramica spaziale» soll ebenfalls verwiesen werden.836 Auch das Wohnhaus an der Piazza Carbonari erscheint je nach Lichteinfall als monolithischer Körper oder als Reflexionsfläche. Caccia entwickelte diese Art der Fassade für Bauten, die freistehend sind und damit als städtebauliche «Objekte», vergleichbar mit einem Monument oder einer freistehenden Plastik, in Erscheinung treten. Caccias Interpretation solcher solitärer architektonischer Objekte setzte auf eine Einbettung in die städtebauliche Umgebung durch einen allseitig reflektierendem Baukörper und nicht durch eine Fassadengestaltung, die über historisierende Elemente den Bezug mit dem unmittelbaren Kontext sucht.

828 Mangosio 2006, S. 598–599.

829 Ebd., S. 600. Die Firma Klinkersire schreibt auf ihrer Homepage, dass sie aus der Firma Piccinelli hervorgegangen sei.

830 In dem 1957 publizierten Manifest Amate l’architettura weist Ponti laufend auf die Vorteile von Keramik in der Architektur hin. Ponti 1957, S. 6, 12, 78, 144, 146, 148, 196.

831 Pirovano/Breschi 1983. Bojani/Pagliari/Rava 1987. Matteoni 2011.

832 Bojani/Pagliari/Rava 1987.

833 Susani 2005.

834 Miodini 2001.

835 Ponti 1935.

836 White 2011, S. 141. 165

Aluminium

Die Fensterrahmen des Wohnhauses an der Piazza Carbonari wurden in Aluminium ausgeführt.837 Wie Klinker kam Aluminium bei Bauten in den fünfziger Jahren ebenfalls relativ selten zum Einsatz. Neben der mangelnden Erfahrung, die man in Italien mit dem Material hatte, sorgte auch der relativ hohe Preis dafür, dass das Interesse sich in Grenzen hielt. Wiederum sind es – neben den amerikanischen – die Wiener Vorbilder, die für die Entwicklung und den Einsatz des Aluminiums in der Architektur Mailands eine wichtige Rolle gespielt haben dürften.838 Auch Aluminium gehörte, wie Ponti bemerkte, zu den hochwertigen Materialien, die sehr widerstandsfähig sind und ebenfalls kaum Spuren der Verwitterung und des Verfalles zeigen.

Kunststoff

Die verschiebbaren Läden an der Fassade des Wohnhauses an der Piazza Carbonari sind gemäss den Plänen aus Kunststoff.839 Kunststoff gehört wie Keramik und Aluminium in die Reihe der witterungsbeständigen Materialien. In den vierziger Jahren wurden die Grundlagen für einen neuen Verbundwerkstoff gelegt, Polyesterharz in Verbindung mit Glasfasern ermöglichte die industrielle Fertigung eines faserverstärkten Kunststoffs. Der neue Baustoff wurde erstmals 1954 als Hülle für militärische Radarstationen eingesetzt.840

Die Materialisierung der Fassade des Stadthauses an der Piazza Carbonari lässt unmissverständlich die Absicht erkennen, möglichst fortschrittliche, neue und resistente Baustoffe zu verwenden. Darin kommen zwei Aspekte zum Ausdruck, die das Selbstbild der Familie Mondelli und das des Architekten Caccia umreissen: Die neuen Materialien können als Zeichen des hohen Selbstbewusstseins der Mondelli verstanden werden, in gleichem Mass sprechen sie von dem dezidierten Willen zu einem «Neubeginn». Ging es beim Wohnhaus der Caccia Dominioni an der Piazza Sant’Ambrogio darum, eine weit zurückreichende Familiengeschichte mit der Gegenwart in Beziehung zu setzen, signalisiert die Fassade an der Piazza Carbonari das Gegenteil: den Aufbruch in eine neue historische Phase. Dank der Wahl der Baustoffe altert das Wohnhaus kaum. Auch diese Qualität steht im Gegensatz zum teilweise verputzten Stadthaus der Caccia Dominioni, auf dem sich das Alter deutlich abzeichnet. Das Stadthaus an der Piazza Carbonari glänzt noch heute und wirkt «sauber» und «neu».

In diesem Zusammenhang spielen auch der «Aussenlift» und der Erker aus Aluminium eine wesentliche Rolle. Sie erscheinen als «futuristische» Elemente: Die sichtbar geführte Liftkabine steigt wie eine Raumkapsel in einem Science-Fiction-Film vier Geschosse nach oben, um in der volumetrischen Auskragung zu verschwinden. Durch eine kleine Fensterluke erlebt die aufwärts- oder abwärtsfahrende Person die vertikale Bewegung nicht nur körperlich, sondern auch visuell. Auch dieses Element gehörte zu Caccia zum Prototypen des Klinkergebäudes: Bereits das Wohnhaus an der Via Ippolito Nievo 28 (Abb. 323)

837 ASC: Piazza Carbonari 2, 31. März 1961.

838 Bei Otto Wagners 1906 fertiggestellter Postsparkasse in Wien wurde an zahlreichen Stellen Aluminium verwendet.

839 ASC: Piazza Carbonari 2, 31. März 1961. [

840 Das erste Wohnhaus, das vollständig in Kunststoff ausgeführt wurde, steht in Frankreich und wurde in Zusammenarbeit mit dem Chemieunternehmen Camus et Cie. entwickelt. Engelsmann/Spalding/Peters 2010, S. 11. 166 besass zwei an der Fassade geführte, sichtbare Liftschächte. Die energiegeladene Liftkabine wird zur Metapher für das dynamische und wirtschaftlich aufstrebende Mailand der sechziger Jahre.

4.4.5.3. Die Familienwohnung

Grundriss Ausgangslage für die Grundrissentwicklung des Wohnhauses Piazza Carbonari ist ein als Skelettbau- Tragwerk, dass aus zwölf Betonpfeilern besteht (Abb. 204). Nur drei von ihnen sind im Innenraum gesetzt, alle übrigen befinden sich in der Fassadenebene, jedoch nicht in den Gebäudeecken. Unterzüge in der Fassadenebene wie auch im Inneren gewährleisten den Kräfteverlauf. Das im Grundriss diamantförmige Treppenhaus sorgt zusammen mit dem Liftkern ebenfalls für die Lastübertragung und hat zudem aussteifende Wirkung. In allen Wohnungen sind die Pfeiler in Wandschichten und Schränke eingebaut und deswegen nicht sichtbar. In der Wohnung der Mondelli im fünften Obergeschoss treten zwei Pfeiler in Erscheinung: in der Eingangshalle und in der Wohnhalle. Sie sind als hochwertige, runde Stützen gestaltet. Ihre Oberfläche besteht aus glattpoliertem und glänzenden stucco lustro, um den besonderen Stellenwert der beiden Stützen zu unterstreichen.

Die zellenförmige, weiche und scheinbar flexible Struktur der Räume steht im Gegensatz zum starren, rechtwinkligen Behälter der äusseren Gesamtvolumetrie.841 Die Haupträume zeichnen im Grundriss polygonale Flächen nach und sind nach Südosten orientiert. Nach Westen verdichtet sich die Zellstruktur bis hin zu den Bädern und hinter Tapeten versteckten Schränken. Die Anordnung des Grundrisses legt die alltäglichen Strukturen des gehobenen Familienlebens offen: Der «Personaltrakt» ist zwischen Küche und Kinderbereich gesetzt, weil die Amme und die Köchin an der Erziehung der Kinder beteiligt waren.842 Der Kinderbereich schliesst an das Schlafzimmer der Eltern an. Die Küche hat einen eigenen Zugang zum Speisezimmer, damit das Essen an den Tisch gebracht werden kann, ohne dass sich die Wege von Personal und Gästen kreuzen. Der Kindertrakt hat einen öffentlicheren Charakter als die Räume der Eltern, er wird über eine grosse Diele erschlossen und liegt in der Fortsetzung des Korridors, der vom Eingang in den privaten Bereich der Wohnung führt. Der Elterntrakt hingegen liegt «gut versteckt» hinter einer Schrankschicht und Ankleide und besitzt deswegen den höchsten Grad an Privatsphäre innerhalb der gesamten Wohnung.

Im Unterschied zu den Wohnungen in den unteren Geschossen liegen die repräsentativen Aufenthaltsräume wie Wohnhalle und Speisezimmer im Südosten, die Schlafzimmer hingegen im Südwesten. Laut Elena Mondelli hat ihre Ausbildung bei Piero Portaluppi zu dieser Entscheidung geführt; er habe seinen Studenten beigebracht, dass der Sonneneinfall in den südlichen Ländern im Gegensatz zu den nordischen zu stark sei, weswegen die Wohnräume nicht nach Südwesten ausgerichtet sein sollten, sondern nach Osten. Sie konnte in der eigenen Wohnung ihr Anliegen durchsetzen, für die anderen Hausbewohner, so die Architektin Mondelli,

841 Zum antagonistischen Verhältnis von Innen und Aussen in der Architektur Caccias siehe auch Staufer 1996.

842 Aline Mondelli zufolge gingen sie als Kinder bei kleinen Problemen zur Amme, bei grösseren zur Mutter und bei ernsthaften zum Vater. Gespräch mit Aline Mondelli, 21. Januar 2010, Mailand. 167 sei eine solche Idee keine Option gewesen – abgesehen von der Familie der Schwägerin, in deren Wohnung im obersten Geschoss die Räume auch so aufgeteilt sind.

Es mag überraschen, bei einer rund zweihundert Quadratmeter umfassenden Wohnung von Platznot zu sprechen. Beim Betrachten des Grundrisses scheint es allerdings einiges an entwerferischem Aufwand gekostet zu haben, das gesamte Programm mit repräsentativen Räumen, Verteilerräumen, Bädern und nicht zuletzt mit unzähligen Wandschränken unterzubringen. Die Wohnung war ursprünglich für sechs Personen gedacht. Neben den Eltern und den beiden Kindern lebten zwei Angestellte, eine Köchin und ein Kindermädchen, mit der Familie. Zudem wurde die Bauherrin während des Bauprozesses unerwartet mit dem dritten Kind schwanger, und Caccia oblag die Aufgabe, ein fünftes Schlafzimmer aus der Wohnung zu «extrahieren». Tatsächlich fällt auf, dass die Schlafzimmer der Kinder und der Angestellten gemessen am sozialen Status der Familie sehr klein sind und nur gerade acht bis zwölf Quadratmeter aufweisen. Zudem erstaunt das Grössenverhältnis zwischen Erschliessungsräumen und privaten Rückzugsräumen. Die grosszügige Erschliessungsfläche wurde auf Kosten der Schlafzimmer geschaffen.

Im privaten Raum der Familie Die Wohnung der Familie Mondelli ist ein sehr privater und ästhetisierter Raum. Dass die Mondelli trotz der Dichte an Bewohnern im Stadthaus einen hohen Grad an Privatsphäre genossen, war dem Typus der «villa multipla» geschuldet. Der gemeinschaftliche, öffentliche Bereich des Hauses endet im Erdgeschoss. Entsprechend seiner untergeordneten Bedeutung ist das Treppenhaus klein dimensioniert. Darüber hinaus hat der Portier im Erdgeschoss Kontrolle über ein- und ausgehenden Personen. Seine Loge ist so in den Grundriss gesetzt, dass er mühelos den Fahrstuhl und den Haupteingang überblicken kann. Eine Besonderheit bildet der zweite Aussenlift. Gab es in den Bürgerhäusern des 19. Jahrhunderts noch zwei Treppenhäuser, die für die Entflechtung der Wege von Hausbesitzern und Personal sorgten, erfand Caccia mit dem sichtbar geführten Lift den Servicefahrstuhl für die Hausangestellten.

Als weiteres Indiz für den absoluten Vorrang der Privatsphäre ist der Umstand zu bewerten, dass in der Wohnung Mondelli kein Gästezimmer für Besucher eingeplant wurde. Das hängt nicht nur mit den beengten Platzverhältnissen zusammen, sondern auch damit, dass wohlhabende Gäste eher in komfortablen Hotels übernachteten.843 Auch im Stadthaus der Caccia Dominioni werden selten Familienfeiern abgehalten.844 Die Familie besitzt in der Nähe von Como ein Landhaus, das sie für Feiertage und Familienfeste benutzt.845

Die Stadtwohnung ist der Rückzugsort der Familie Mondelli. Wie schon in der Wohnkultur des gehobenen Bürgertums des 19. Jahrhunderts wird auch hier zwischen Arbeitsleben und Familienleben strikt geschieden. Die klare Trennung von öffentlichen und privaten Bereichen in der Wohnung selbst ist ebenfalls ein Charakteristikum des grossbürgerlichen Wohnens. Jeder Raum wird nach seiner Funktion genau

843 Gespräch mit Elena Mondelli, 10. Dezember 2009, Mailand.

844 Die Mondelli besitzen ein Wochenendhaus in einem Resort mit grossem Golfplatz in Monticello, den Caccia über eine längere Periode zwischen 1960 und1970 realisierte, sowie ein Landhaus in der Nähe von Como. Für Familienfeiern und Festtage wurde meistens das Landhaus in Como benutzt. Ebd.

845 Ebd. 168 unterschieden und spezifiziert. Die räumlich offene Disposition der Wohnung Mondelli zieht jedoch keine so scharfen Grenzen. Bei Caccia sind die Übergänge von Wohn- zu Schlafbereich fliessend und leiten graduell von der öffentlichen Sphäre in die private über. Wieder setzt Caccia hierbei auf ein bewährtes gestalterisches Mittel: Ein von Francesco Somaini entworfener Mosaikfussboden durchzieht die dreiteilige Wohnhalle mit Vestibül und bindet diese Räume in einen kontinuierlichen, mäandrierenden Bewegungsfluss ein. Der Eindruck weicher Übergänge wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass die meisten Zimmertüren als Schwingtüren konzipiert und damit nicht abschliessbar sind.846 Den öffentlichsten Charakter im privaten Bereich hat Caccia den Kinderzimmern zugemessen.847 Wie Aline Mondelli, die Tochter der Bauherrin anmerkt, gab es für die Heranwachsenden kaum Rückzugsräume, da ihre Zimmer stets offenstanden (Abb. 231).848

Die Trennung zwischen öffentlichem und privatem Bereich ist in der Wohnung Mondelli zwar gegeben, jedoch innerhalb eines Kontinuums, das als zusammenhängende, mit Bedacht abgestimmte Folge von Eindrücken komponiert ist. Die einzelnen Räume erhalten zugunsten eines übergeordneten Konzepts keine spezifische Ausgestaltung. Vielmehr ist die Wohnung von einem durchgehenden Stimmungshorizont durchzogen, mit leichten Nuancierungen, aber keinen starken Kontrasten.

Der Innenraum der Wohnung ist vollkommen durchgestaltet (Abb. 224–232). Es kommen alle dafür zur Verfügung stehenden architektonischen Mittel zum Einsatz: die Durchbildung der räumlichen Figur, die Höhenentwicklung des Raumes, die Lichtregie und die Lichtmenge, die farbliche Stimmung und die Materialität der Oberflächen. Es scheint, dass die «Abkapselung» hinter der gläsern wirkenden Schutzhülle der Fassade gewissermassen kompensatorisch eine hochkomplexe und spannungsvolle Gestaltung des Innenraums mit sich brachte. In den sechziger Jahren zur Zeit der Erbauung stand der Reichtum und Luxus im Inneren der intimen Wohnung im scharfen Gegensatz zur rauen, urbanen Aussenwelt an der Peripherie von Mailand.

Die Feinheiten der Rauminszenierung werden beim Durchschreiten der Wohnung erfahrbar. Glanzlichter und Spiegelungen vor dem Hintergrund einer durchgehenden gedämpften Farbigkeit sind von essentieller Bedeutung. Der Weg vom Vestibül in die Wohnhalle führt vom Dunklen ins Helle, doch auch in der Wohnhalle lassen die vergleichsweise kleinen Fenster nicht viel Licht herein. Caccia habe sie überzeugt, berichtet Elena Mondelli, dass das Licht, das durch weit oben in der Wand liegende Fenster in den Raum falle, zu hell sei.849 Die ursprünglichen Tapeten in einem rötlichen «tabacco»-Farbton haben die «Innerlichkeit» der Wohnung zusätzlich betont. Die warme Farbe tauchte den Raum in eine gleichmässige, gedämpfte Stimmung und schuf den ausgeglichenen und beständigen Hintergrund für das alltägliche Leben der Bewohner.

Die dreiteilige Wohnhalle ist symmetrisch aufgebaut, sie besteht aus einem im Grundriss hexagonalen

846 Eine Ausnahme bildet das Elternschlafzimmer.

847 Deutlich wird das auch in der Wohnung Somaini am Corso Italia.

848 Gespräch mit Aline Mondelli, 21. Januar 2010, Mailand.

849 Gespräch mit Elena Mondelli, 10. Dezember 2009, Mailand. 169

Zentrum und zwei seitlichen Nischen. Die polygonalen Räume sind geometrisch voneinander abhängig. Die beiden Nischen in den Gebäudeecken ergeben sich durch die Setzung des hexagonalen Hauptraums. Ebenfalls Teil dieses Raumgebildes ist das Speisezimmer. Es bildet die vierte «Zelle» in der Kabinettstruktur und ist zwischen Treppenhaus und nördlicher Raumnische eingeschrieben. Die räumlichen Durchdringungen verleihen Speisezimmer und Wohnhalle eine flexible, gleichsam dehnbare Qualität. Die Wohnhalle wird vom Vestibül aus betreten. Die Decke ist hier leicht erhöht, die horizontale Kante ist dunkelgrau gestrichen und zeichnet ähnlich wie ein Deckenfries den hexagonalen Hauptraum nach. Laut Elena Mondelli gab ein Unterzug am Deckenrand entlang der Südwestfassade den Anlass, die gesamte Decke entlang der Fassaden bis zu den Raumnischen tiefer hängen zu lassen. Dadurch hat Caccia ein statisch notwendiges Element in ein räumliches Thema verwandelt. Die Symmetrie der Wohnhalle wird durch zwei Kamine in den seitlichen Nischen betont. Die Kamine wurden so eingebaut, dass sich in einem 45-Grad-Winkel auf die Mitte der Wohnhalle richten. Schwere Fassungen aus Bronze nach einem Entwurf Francesco Somainis rahmen die Kaminöffnungen. Die Kamine seien allerdings kaum je genutzt worden, so Elena Mondelli, weil die Heizung den Einsatz des Kamins unnötig gemacht habe und es überaus schwierig gewesen sei, in Mailand Holz zum Einfeuern zu finden.850

Gepolsterte Sessel, Sofas auf kleinen Rollen, Chaiselongues, gedrechselte Stühle sind im Zentrum der Wohnhalle um einen grossen verspiegelten Salontisch gruppiert. Obwohl alle hier aufgestellten Möbel von der Firma Azucena produziert wurden, stammen sie nicht aus derselben Serie. Caccia bevorzugte es, seine Möbelstücke paarweise einzusetzen, statt die Wohnung mit Möbeln derselben Serie einzurichten.851 In der nördlichen Raumnische sind ein Bücherregal, ein weiterer Salontisch und ein Arbeitstisch untergebracht, früher stand hier der Spieltisch der Kinder. In der südlichen Nische befindet sich gleich neben dem Kamin, unterhalb des Fensters der Fernseher. Im Speisezimmer steht ebenfalls ein Metalltisch mit sechs Catilina- Stühle der Firma Azucena.852 An den Wänden hängen Gemälde zeitgenössischer Kunst, welche die Familie Mondelli im Laufe der letzten vier Jahrzehnte erworben hat.853

Die Raumwirkung beruht zu einem entscheidenden Mass auf Lichteinfall und Lichtregie. Ins Zentrum der Wohnhalle fällt über die verglasten Balkontüren und die seitlichen Nischen. Tageslicht ein, das die Silhouetten aller Gegenstände nachzeichnet. Pflanzen, Möbel, Leuchten erscheinen dadurch schemenhaft. Die kontinuierliche Stimmung ist von Spiegelungen und Glanzlichtern durchsetzt. Auf dem glattpolierten Mosaikfussboden, dem Spiegel, den Gläsern, dem Aluminium und der Bronze verwandelt sich das einfallende Licht in flüchtige Funken. Es scheint, als ob die einzelnen Gegenstände nach ihrer Wirkung im Licht ausgesucht wurden.

Ein raffiniertes Detail des Interieur sind die Handkurbeln zur Bedienung der Schiebeläden (Abb. 238). Sie sind bei den kleinen Fenstern seitlich in die Leibung montiert und ermöglichen ein bequemes Öffnen und

850 Ebd.

851 Ebd.

852 Firmenkatalog Azucena:«Poltrona catilina» P 4.

853 Auf den Fotografien im Familienalbum, welche die Wohnung kurz nach Bezug im Frühjahr 1963 zeigen, hingen noch kaum Bilder an den Wänden. 170

Schliessen des Rollladens. Die Gestaltung und Handhabung erinnert an Kurbeln in Autos zur Bedienung der Seitenfenster.

Die Gestaltung der Räume im privaten Bereich der Wohnung fiel einfacher aus. Der Korridor zum Kindertrakt ist mit derselben roten Tapete bespannt, mit der früher die Haupträume bekleidet waren. Sein öffentlicherer Charakter wird zudem durch zwei ornamentale Öffnungen über den Türstürzen an den beiden Enden des Korridors hervorgehoben. Einen besonderen Stellenwert haben die Vorräume zu den Schlafzimmern. Ihre grosszügige Dimensionierung erlaubt es, sie nicht nur als Erschliessungsfläche, sondern auch anderweitig zu nutzen: Im Elterntrakt ist der Vorraum zu Schlafzimmer und Bad gleichzeitig Ankleide, im Kindertrakt ist der Vorraum gleichermassen Arbeits- und Aufenthaltsraum. Die komplexen und spezifischen Formen der kleinen Kinderschlafzimmer mit Bettnischen, Wandschränken und Arbeitstisch lassen die Zimmer selbst als massgefertigtes Möbel erscheinen. Auch im weitaus geräumigeren Elternschlafzimmer wurde jede Nische ausgebaut. Neben weiteren Einbauschränken bieten Vertiefungen am Kopfende des Bettes Platz für kleine alltägliche Utensilien.

4.4.5.4. Fazit

Stellt man sich die Frage, welche architektonischen Bestandteile des Stadthauses an der Piazza Carbonari Erfindungen darstellen, lässt sich festhalten, dass die Erneuerungen in der statischen Struktur und der Fassade zu suchen sind, nicht aber im Programm und der Ausgestaltung der Wohnung. Der Skelettbau ermöglichte die strukturelle Loslösung von Innenraum und Fassade. Dieser Befreiungsschlag erlaubte es, übereinanderliegende Wohnungen individuell auszubauen, und auch die Fassade als Curtain Wall unabhängig von der inneren Tragstruktur zu realisieren. Die Gestaltung der Fassade zeichnet genau diese neuen Möglichkeiten nach, indem die Fenster nicht nach strukturellen Prinzipien gesetzt sind, sondern einer freien Komposition entsprechen. Hinsichtlich der Fassade muss auch auf die hohe Resistenz und (relative) Neuartigkeit der eingesetzten Materialien hingewiesen werden, die der Architektur einen zeitlosen Aspekt verleihen, da die Materialien kaum altern.

Programm und Ausgestaltung des Innenraums folgen den Prinzipien des gehobenen bürgerlichen Wohnens. Der hohe Grad an Privatheit, die Verteilung und Beziehungen der einzelnen Räume, die Blickbeziehungen nach aussen als point de vue, die hohe architektonische Durchgestaltung der Wohnung und nicht zuletzt die Lichtregie greifen auf das Vorbild der bürgerlichen Stadtvilla zurück. Davon ausgenommen ist die plastisch durchgestaltete, zusammenhängende Innenraumfigur.

Die Plastizität des Innenraums stellt die sozialen Konventionen jedoch nicht in Frage, sondern verleiht ihnen einen neuen ästhetischen Ausdruck. Die Vermutung liegt nahe, dass Caccia Dominioni diese Raumfiguren auch aus Platznot entwickelte, um das gesamte bürgerliche Wohnprogramm auf einer begrenzten Fläche und mit demselben Mass an räumlicher Hierarchie und Würde realisieren zu können. Seine Lösung verwarf die kabinetthafte Raumstruktur der bürgerlichen Wohnung, in der die einzelnen Räume spezifisch und in Abhängigkeit ihrer Funktion ausgestattet sind. Die Erneuerung des Innenraums war möglicherweise die Konsequenz einer höheren Dichte und eines beschränkten Raumangebots. 171

Wie sehr Caccia um eine entwerferische Effizienz bemüht war, zeigt sein Vorgehen bei des Aussenhülle des Gebäudes. Die Klinkerfassade mit den umgehenden Bandfenstern ist die Wiederholung einer Fassadengestaltung, die er für ein Wohnhaus an der Via Ippolito Nievo 28 (Abb. 315–329) entworfen hatte und 1964 für ein weiteres Gebäude in derselben Strassen nochmals anwenden sollte. Caccia entwickelte den in der «Peripherie» liegenden Stadthaus-Typus mit einer generischen Struktur und Fassade, die nicht an einen spezifischen Ort gebunden sind, fertigte aber den Innenraum massgerecht auf die Bedürfnisse der Bewohner.

Inwiefern fand das Programm der sintesi delle arti im Wohnhaus an der Piazza Carbonari seinen Ausdruck? Die Zusammenarbeit mit Francesco Somaini war erneut von tragendem Gewicht. Das Kunsthandwerk, das alltägliche Gebrauchsgegenstände wie Fussböden, Türgriffe und Handläufe ästhetisch gestaltet, ist ein Mittel, die Illusion einer Gegenwelt im privaten Raum zu erzeugen – nicht nur weil etwa das Begehen des Mosaikfussbodens jene «feierliche Aura» erzeugt, von welcher der Kunsthistoriker Werner Hofmann spricht, sondern weil auch der handwerkliche Aufwand zur Konstruktion des Bodens dermassen hoch ist, dass der Fussboden von selbst in die Sphäre des Nicht-Notwendigen und damit Luxuriösen fällt und sich damit der gängigen Konsum- und Warenwelt entzieht. In der Wohnung der Mondelli beschränken sich Somainis «Kunstgriffe» zwar auf wenige Elemente, den Mosaikfussboden und die beiden zum Wohnraum symmetrisch angeordneten Kamine, dennoch verfügen sie über eine hohe räumliche Präsenz und sind unabdingbare Bestandteile des Zusammenspiels der gesamten architektonischen Disposition.

Im gleichen Sinne massgeblich ist auch die handwerkliche Ausführung. Caccia verfügte über einen Kreis auserwählter Handwerker, mit denen er ausschliesslich zusammenarbeiten wollte. Es ging ihm dabei nicht nur um Effizienz in der Kommunikation und im Austausch der Ideen, sondern er war bestrebt, die höchste handwerkliche Qualität sicherzustellen. In der Zeit des wirtschaftlichen Booms und der sich durchsetzenden seriellen Massenproduktion zu Beginn der sechziger Jahre muss hohes Qualitätniveau und das Möbel als handwerkliches Unikat einen vergleichbaren Stellenwert wie Kunsthandwerk eingenommen haben und eine Option des Widerstands gegen die aufkommende Konsumgesellschaft versprochen haben. Zu Caccias bevorzugten Handwerkern gehörten: Gino Anelli (Türknauf), Domenico Berti (Küchen, Stahlstücke), Signor Saita (Tapezierer), Gambetta (Möbelhersteller, Prototypen), Pierino Oppizi (Schlosser), Riva e Martignioni (Gipser), Colombo (Maler), Lualdi (Möbel und Türen), Fabrici und Biasoni (Mosaikfussböden).854 Diese Personen müssen den Künstlern vergleichbar ebenfalls als Autoren gelten, da sie einen wesentlichen Beitrag zur architektonischen Gesamtkonstruktion geleistet haben.

Schliesslich ist nochmals der Grundriss selbst zu nennen, der in Zusammenarbeit mit der Bauherrin Elena Mondelli entstand. Der hohe Grad an räumlichen Ereignissen und stimmungsvollen Raumsequenzen weist darauf hin, dass der Grundriss weitaus mehr ist, als die Notation der alltäglichen Bedürfnisse und lebensweltlichen Zusammenhänge seiner Bewohner. Im Grundriss ist bereits angelegt, was durch Ausstattung und Möblierung vervollkommnet wird. Hier wird die Illusion einer vornehmen, luxuriösen und zauberhaften Welt geschaffen, die im Fall der Wohnung Mondelli über die tatsächlichen räumlichen

854 Gespräch mit Luigi Caccia Dominioni, 4. August 2003, Celerina. 172

Verhältnisse hinwegtäuscht und die darüber hinaus eine Gegenwelt zur öffentlichen Welt der Arbeit, Politik und des Konsums verkörpert.

Die Ästhetisierung der privaten Lebenswelt drückt auch den Wunsch aus, sich der Wirklichkeit zu entziehen. Eine solche Haltung offenbart ein hohes Mass an Ambivalenz gegenüber den Modernisierungsprozessen. Wie bei Leopoldo Pirelli, Piero Bassetti oder auch eben bei der Familie Mondelli waren es genau dieselben Personen, die einerseits den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels vorantrieben und sich andererseits gleichzeitig im privaten Raum einen Gegenpol schufen. Für die Mondelli bildete die chaotische, schmutzige urbane Realität direkt an der Piazza Carbonari eine deutlich sichtbare und täglich erfahrbare Wirklichkeit, die sie empfindsam störte.

4.4. Fazit: Konstruktion

Das Wohnhaus an der Piazza Carbonari ist das Resultat einer technisch fortschrittlichen, in der Materialwahl innovativen Bauweise und trägt mit dem sichtbar geführten Lift sogar «futuristische» Züge in sich. Zugleich betonen die massgeschneiderten Grundrisse und der Innenausbau das Kunsthandwerkliche, Einzigartige und Luxuriöse: Affirmation einer industrialisierten und modernen Bauweise bei gleichzeitiger Distinktion gegenüber Serienproduktion, Konsumgesellschaft und durchschnittlicher Qualität. Mit der Konstruktion einer benjaminschen «Aura»855 wird eine alternative Gegenwart zur vorherrschenden politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Realität vorgeschlagen.

Die dabei eingesetzten architektonischen Mittel entwickelte Caccia in Zusammenarbeit mit Francesco Somaini. Von 1955 an verlässt er die Vorstellung einer statischen, rechtwinklig gegliederten Zimmerstruktur zugunsten fliessender, beweglicher und kontinuierlicher Räume. Die Wohnung wird als horizontale und nicht endliche Raumplastik begriffen, in der den eigentlichen Bewegungsflächen mehr Bedeutung zugesprochen wird, als den für Caccia statischen Rückzugsbereichen wie etwa Schlafzimmer und Bad. Mit Hilfe des Mediums der suchenden Linien versetzt er sich in den zukünftigen Benutzer, um so dessen Bewegungsfiguren zu antizipieren. Caccia geht von einem wechselwirksamen Verhältnis von Mensch und Raum aus. Der Raum ist in Bewegung gesetzt, gleichsam setzt dieser bewegte Raum den Menschen in Bewegung. Caccias Idee der Synthese der Künste schloss den Nutzer als Perzipienten und Auslöser der Bewegungsvorgänge mit ein.

855 Benjamin 1968, S. 19–20. 173 5. Fazit: Konstruierte ambienti

Ausgangspunkt der vorliegenden Forschungsarbeit war die Frage, inwieweit sich die zwischen 1945 bis 1970 realisierten Wohnbauten Luigi Caccia Dominionis historiografisch erfassen lassen. Neben der Heterogenität der architektonischen Themen im Werk des Mailänder Architekten lag eine weitere Schwierigkeit darin, dass Caccia zeit seines Lebens nicht an den architektonischen Debatten aktiv beteiligt und kaum publizistisch tätig war. Die Herausforderung bestand darin, Begriffe, Konzepte und Theorien festzumachen, die zum einen die grosse Bandbreite der entwerferischen Themen Caccias als Architekt zu erklären vermögen und zum anderen auch die Wünsche, Forderungen und Ideale der Bauherren spiegeln.

Der Blick in die Vergangenheit angesichts des Faschismus, des Zweiten Weltkriegs und der massiven Zerstörungen der Stadt Mailand und der Blick in die Zukunft angesichts der dringlichen, aber auch umwälzenden Modernisierungs- und Demokratisierungsschübe bilden die beiden Fluchtpunkte, zwischen denen sich der Aufbau und die grossen Argumentationslinien dieser Untersuchung aufspannen. Brennpunkte jener übergreifenden Transformationsprozesse waren die Phase des Wiederaufbaus und die der wirtschaftlichen Boomjahre. Innerhalb dieser Phasen sind unterschiedliche Handlungsmuster und Denkweisen zu erkennen, die sich jeweils aus der politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Brisanz des zeitgeschichtlichen Moments erklären. Während des Wiederaufbaus war der Begriff der «Rekonstruktion» von grosser gesellschaftlicher und kultureller Relevanz, in den Boomjahren abgelöst vom Begriff der «Konstruktion», die von Architekten und Bauherren die Auseinandersetzung und Verarbeitung der industriellen, gesellschaftlichen und kulturellen Modernisierungsschübe erforderten.

Es mag kein Zufall sein, dass in dieser von Wechseln und Brüchen geprägten Zeit zwischen Kriegsende 1945 und Ölkrise 1973 der architekturtheoretische Begriff des ambiente in Debatten und Texten der italienischen Nachkriegsarchitektur häufig verwendet wird und als Gegenentwurf zu den vorherrschenden Krisen für Kontinuität und Homogenität von Geschichte und Raum plädiert. Die ausgedehnte Recherche zu Genese und Gebrauch des Begriffs ambiente hat aufgezeigt, dass dieser zwischen 1930 und 1970 immer wieder von unterschiedlichen Autoren aufgegriffen und, inhaltlich variierend, interpretiert und geprägt wurde. Im Hinblick auf Caccias Wohnbauten erschienen zwei Konzepte von ambiente aufschlussreich: ambiente als gestaltete Kontinuität der Geschichte und ambiente als gestaltete Kontinuität des Raumes. Im abschliessenden Kapitel wird die Frage nach den Diskursen über ambiente aufgeworfen und der Bezug zu diesen dargestellt. Es gilt, Caccias «ambienti» den zentralen Konzepten von Ernesto Nathan Rogers und Lucio Fontana vergleichend gegenüberzustellen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzuzeigen und darüber Caccias Wohnbauten architekturhistorisch einzuordnen.

5.1. Von der Repräsentation von Geschichte im Raum zu einer neuen Raumkunst

Im Kapitel «Rekonstruktion» wird dargelegt, wie sich Caccia den architektonischen Motiven der Vergangenheit scheinbar frei und subjektiv bedient und diese zu neuen Architekturen verdichtet: Seine Bauten erscheinen dem flüchtigen Betrachter nicht als «typische» Gebäude der fünfziger oder sechziger Jahre, sondern als «historische» Architekturen, deren tatsächliches Alter schwer einschätzbar ist. Die durch die Architektur neu vermittelte Vergangenheit erzählt von den Bewohnern, dem von ihnen beanspruchten 174

Stand in der Gesellschaft und ihrem Selbstverständnis. Die Kriegsjahre und die «Befreiung» durch die Alliierten bedeuteten eine einschneidende Zäsur in den Biografien der gesellschaftlichen Elite, darunter auch die der Familie Caccia Dominioni. Die Zerstörung ihres angestammten Palazzo, die entwürdigende, aber rettende Flucht ins Schweizer Asyl und die damit verbundene zweijährige Abwesenheit, der Kollaps des Faschismus, die Rückkehr in ein demokratisches Land, die Deportationen und Tötungen von Freunden und Bekannten, die nebulöse Frage von Schuld und Unschuld haben die Selbstwahrnehmung und Selbstrepräsentation Caccias wie der sozialen Elite Mailands unterminiert und zur Veränderung gezwungen. Die Rekonstruktion nach 1945 war vom ambivalenten Wunsch geprägt, neu zu beginnen, ohne mit der schwierigen Vergangenheit zu brechen. Im wiedererrichteten Stadthaus an der Piazza Sant’Ambrogio kommt dieses revidierte Selbstverständnis zum Ausdruck. Das Wohnhaus hat seinen geschlossenen Wehrcharakter abgestreift und öffnet sich nun zur Stadt. Das aus den Ruinen neu zusammengesetzte «Gesicht» steht für Nobilität, Reichtum, Selbstbewusstsein, aber auch für Distanz und Nostalgie. Einem ganzheitlichen Weltbild ist ein zusammengesetztes gewichen. Das neue Antlitz ist streng und raffiniert, bekannt und überraschend zugleich. Der eingeweihte Betrachter wird über die zahlreichen Bezüge in einen Diskurs über Mailand, den Typus des Palazzo, die feudalen Bewohner und ihre Geschichte involviert.

In der architektonischen Praxis Caccias hat der spezifische Umgang mit Geschichte verschiedene Quellen, beginnend in den dreissiger Jahren mit der Ausbildung am Politecnico di Milano. Der Unterricht sah das Studium der wichtigsten Stile wie Renaissance, Barock und Mittelalter vor. «Moderne Architektur» war nicht Teil des Curriculums und wurde von aussen an die Studierenden herangetragen, das heisst, vor allem über Fachzeitschriften vermittelt. Moderne Bauten, wie etwa diejenigen des avantgardistischen Gruppo 7, stellten selbst im fortschrittlichen Norditalien eine Ausnahme dar.

Darüber hinaus standen Caccias Lehrer Gaetano Moretti und vor allem Piero Portaluppi einer «nackten» modernen Architektur kritisch gegenüber. Gerade Portaluppis Bauten sind bekannt für die meisterhafte «Parodie der Stile.»856 Caccias früher Wettbewerbsbeitrag für eine Kaserne, den er 1936 noch während des Studiums zusammen mit den Kommilitonen Luigi Claudio Olivieri und den Gebrüdern Castiglioni einreichte, zeigt ein im Ausdruck und im strukturellen Aufbau rationalistisches Projekt kombiniert mit einem Giebeldach aus Ziegel. Luigi Banfi kritisierte als Mitglied der Jury den Beitrag als «l‘errore del tetto». Was bereits sehr früh in Caccias Arbeit zutage tritt, ist die Selbstsicherheit, scheinbar Unvereinbares miteinander zu kombinieren und damit in den Augen des rationalistisch denkenden Banfi einen «Regelbruch» zu begehen. Die Ausbildung am Mailänder Polytechnikum vermittelte eine wertfreie Verfügbarkeit von Stilen und Motiven im Entwurf und beförderte bei Caccia einen eklektizistischen Ansatz.

Das von Rogers propagierte Konzept der preesistenze ambientali basiert auf der Überzeugung, dass die moderne Architektur nicht als Stil zu sehen sei, sondern als Methode, die sich formal laufend weiterentwickelt und stets als Ergebnis der Auseinandersetzung mit lokalen Gegebenheiten, den technischen Möglichkeiten und den kulturellen Werten zu betrachten sei. Die von ihm geforderte Auseinandersetzung mit der Geschichte, seine Theorie der Anpassung und Erfindung gründete in der Überzeugung, dass moderne Architektur als ebenso historisch bedingt angesehen werden muss, wie es die Architektur der Vergangenheit

856 Jakob 2003. 175 ohnehin ist. Rogers verstand es, die Lehren und Überzeugungen der Zwischen- und Vorkriegsjahre in die Bewegung der modernen Architektur zu integrieren. Seine Veröffentlichungen zu den weniger «radikaler» Positionen eines Auguste Perret, Henry van de Velde oder Adolf Loos untermauern Rogers’ Plädoyer für eine Moderne, die sich nicht als Bruch mit der Geschichte, sondern als deren Entwicklung begreift. In den Bauten von BBPR brachte Rogers seine Vorstellung einer solchen Fortentwicklung architektonisch zum Ausdruck.

In Caccia Dominionis Wohnbauten der Nachkriegszeit überlagern sich die Erkenntnisse und den Lehren des Mailänder Polytechnikums und Rogers’ Idee der preesistenze ambientali. Der eklektizistische Ansatz der Ausbildung zeigt sich, wenn Caccia geschichtliche Motive auswählt und in einer neuen Ordnung in der Architektur verdichtet. Dieser «zitathafte» Moment in Caccias Architektur ist den Bauten von BBPR fremd. Rogers’ ambiente-Konzeption kommt in Caccias Bauten jedoch dann zum Tragen, wenn er die lokalen Gegebenheiten neu interpretiert, darüber eine Vielzahl von Bezügen herstellt und damit Architektur in ihren spezifischen geografischen und historischen Moment verortet.

Im Unterschied zu Rogers scheint Caccia die Vorstellung vom «Fortschritt» der Architektur dank technischer Errungenschaften nicht zu teilen. Caccia steht der Idee der Progression mit Vorbehalten gegenüber. Seine Wohnbauten zeigen die Tendenz, die «Moderne» ebenso als «Stil» und damit als entwerferische Option zu betrachten. Caccias Skepsis gegenüber dem «Fortschritt» erklärt sich vor dem Hintergrund der in dieser Studie besprochenen Bauaufgabe, Wohnraum für die wohlhabende gesellschaftliche Elite Mailands zu schaffen.

Im Kapitel «Konstruktion» wird deutlich, dass die Bauherren Caccias gegenüber der Industrialisierung, Rationalisierung, Serienproduktion und damit einhergehend den Modernisierungsschüben ambivalent eingestellt sind. Neue technische Errungenschaften dienten aus ihrer Sicht vor allem als Möglichkeit zur Verbesserung der Lebenssituation der mittleren und unteren Schichten der Gesellschaft, da sie den Standard und Komfort, den sich weite Teile der Bevölkerung erst Ende der fünfziger Jahre leisten konnte, schon Jahrzehnte früher leben konnten. Als Industrielle, Unternehmer und Ingenieure waren sie gleichsam die Protagonisten dieser Modernisierungsprozesse. Die «Moderne», das heisst eine rationalisierte, industrialisierte und vorfabrizierte Architektur, erschien für Caccias Bauherren eher als eine Reduktion auf das Notwendige und damit ein Ausdruck von Mittellosigkeit und Mangel. Das Festhalten an Geschichte bedeutete hingegen Selbstvergewisserung und Selbstrepräsentation von Kultur, Reichtum, Bildung und Kompetenz. Die Verarbeitung von Geschichte in Fassaden und Innenräumen diente folglich auch der Herstellung und Sicherung sozialer Differenz, in einer Zeit, als Transformationsprozesse die Positionen als soziale Elite herausforderten.

Beispielhaft dafür steht das Wohnhaus des Industriellen und Unternehmers Leopoldo Pirelli, das Caccia zwischen 1962 und 1966 realisierte. Das Wohnhaus in der Innenstadt Mailands erscheint als ländliche Villa mit Satteldach und tief in die Fassadenhaut eingeschnittenen «Engadiner»-Fenstern. Im Inneren verbindet eine mächtige barocke Treppenanlage die Geschosse. Das Wohnhaus hat seine Vorbilder in vernakulärer Architektur und nicht in einer technisch raffinierten, im Ausdruck «modernen» Architektur, wie sie vielleicht passender zum Selbstbild eines der wichtigsten Unternehmer Italiens erscheinen würde. 176

Es wäre falsch, Caccia ein Desinteresse oder mangelnde Fachkenntnis gegenüber den neusten technischen Errungenschaften seiner Zeit zu unterstellen. In seinen Bauten zeigt sich auch ein grosses konstruktives Können und Wissen nicht zuletzt im Umgang mit neuen Materialien und Techniken. Im Bereich des gehobenen Wohnungsbaus erlaubten es die technischen und konstruktiven Möglichkeiten, eine eklektische Architektur zu kultivieren.

Dies wird vor allem in Caccias Verwendung der Skelettbauweise anschaulich. Seine hier vorgestellten Neubauten bestehen ausnahmslos aus einem Skelett in Stahlbeton. Die Trennung von Tragstruktur und Raumabschluss schafft die konstruktive Voraussetzung, Architektur mit unterschiedlichen architektonischen Motiven zu «bekleiden». Zudem ermöglicht es die Skelettbauweise, die einzelnen Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus auf die individuellen Bedürfnisse seiner Bauherren zuzuschneiden. Rationalisierung, Standardisierung und Serialität werden bei Caccia zu Voraussetzungen ihres Gegenteils, für die Realisierung von Unikaten. Das Skelett wird als Hilfskonstruktion herangezogen, ist aber nicht Ausdrucksmittel. Diese Erfindung erlaubt es Caccia, seinen eigenen «Prototypen» zu entwickeln, den er dreimal – mit den Wohnbauten an der Piazza Carbonari und am Ippolito Nievo 6 und 28 – umsetzen kann. Das Unikat wird im Seriellen hergestellt.

Das Programm der sintesi delle arti bot die Möglichkeit einer Modernisierung, die sich gleichwohl von der aufbrechenden Massenkonsumgesellschaft distanziert. Die Wohnbauten aus glänzendem Klinker «reflektieren» im wahrsten Sinne des Wortes das dynamische und aufstrebende Mailand der fünfziger und sechziger Jahre. Die modernen und resistenten Materialien lassen die Gebäude alterslos erscheinen. Die äussere Erscheinung sucht nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Geschichte, um das Wohnhaus zu verorten. Stattdessen ist das Gebäude über den Glanz und die Spiegelungen der Fassaden mit der Umgebung immateriell verbunden. Die Nähe zu Fontanas «ceramica spaziale» ist unübersehbar.

In Caccias organischer Raumkunst, die er seit 1955 in seinen Wohnungen in Zusammenarbeit mit Francesco Somaini erprobte und verwirklichte, zeigen sich weitere Übereinstimmungen mit den architektonischen Arbeiten Fontanas, die dieser zeitgleich mit verschiedenen Architekten realisierte. In der Ästhetisierung der Wohnung, in den beweglichen und bewegenden Räumen mit den visuellen, haptischen und kinetischen Momenten stellen sich zahlreiche Bezüge zwischen Mensch und Raum ein. Es gelingt, Kunst und Leben nicht nur nebeneinander, sondern auch in eine neue Verbindung zu setzen. Fontanas ambienti spaziali waren Installationen in einem endlos gedachten Raum. Caccias bewegende und bewegliche Räume spielen sich innerhalb eines präzis umrissenen Innenraums ab, innerhalb dessen Grenzen auch kontinuierliche und endlose Bewegungsverläufe geschaffen wurden. Die etymologische Wurzel des Wortes ambiente, «amb-ire», das «herumgehen» bedeutet und damit eine Raumerfahrung in Bewegung impliziert, findet in den Wohnräumen Caccias seinen spezifischen Ausdruck.

Aus dem Betrachtungswinkel der «Rekonstruktion» und «Konstruktion» lassen sich die Wohnbauten Luigi Caccia Dominionis zwischen zwei Polen einordnen: zwischen dem «Phantasma» der Geschichte, der Vergangenheit als imaginärer Fluchtpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung, sowie den Herausforderungen der modernen Welt, ihren Erzeugnissen und Möglichkeiten. Die Stadthäuser an der Piazza Sant’Ambrogio und der Piazza Carbonari stehen emblematisch für diese Pole. 177 178 6. Anhang

6.1. Luigi Caccia Dominioni: Herkunft, Ausbildung und Werdegang bis 1975857

Die Biografie konzentriert sich auf die wichtigsten Lebensstationen Luigi Caccia Dominionis innerhalb des in der vorliegenden Forschungsarbeit untersuchten Zeitrahmens zwischen 1913 und 1975. Die hohe Produktivität Caccias hat seit 1975 bis heute kaum nachgelassen. In der 2002 erschienenen Monografie zu Caccia sind weit über hundert Projekte aufgeführt, die nach 1975 entstanden sind.858 Caccia hat am 7. Dezember 2013 seinen hundertsten Geburtstag gefeiert. Er lebt und arbeitet immer noch im Stadthaus an der Piazza Sant’Ambrogio.

1913 Luigi Caccia Dominioni kommt am 7. Dezember 1913 im Familienpalast an der Piazza Sant’Ambrogio zur Welt. Der Vater, Ambrogio Caccia Dominioni (1874–1949) ist Anwalt und Bürgermeister von Morbegno (1912–1920), die Mutter Maria Paravicini (gestorben 1949) entstammt wie der Vater einer adligen lombardischen Familie. Die Heirat fand 1901 statt. Camillo Caccia Dominioni (1877–1946), Ambrogios Bruder, war Kurienkardinal in Rom unter dem Pontifikat Papst Pius’ XII.

Der Stammbaum der Familie findet sich im Libro d’oro della nobilità italiana.859 Er ist bis ins 11. Jahrhundert belegt. Ardito oder Ardizzone Caccia wurde von Kaiser Heinrich V. zum Herrn von Novara ernannt. Daraus erklärt sich der Beiname der Caccia Dominioni, Signori di Sillavengo. Sillavengo ist bis heute eine Gemeinde der italienischen Provinz Novara im Piemont. Luigi Caccia Dominioni hat fünf Geschwister. Carla (1907–1987), Chiara (*1909), Annibale (*1912), Pierpaolo (1915– 2011), Franca (*1918), Camillo (*1922). Annibale war Bürgermeister von Morbegno und Präsident der Banca popolare di Sondrio. 1931 Klassische Matur (Griechisch und Latein) am Liceo Manzoni, einer der bedeutendsten Ausbildungsstätten der Mailänder Oberschicht. Es wurde als drittes Lizeum in Mailand am 17. Februar 1884 an der Via Orazio 3 gegründet. Die Primarschule bis zum dritten Jahr des klassischen Lizeums hatte Caccia am Instituto Leone XIII besucht. Beginn des fünfjährigen Architekturstudiums am Politecnico di Milano. Zu Caccias wichtigsten Lehrern gehören Gaetano Moretti, Piero Portaluppi und Ambrogio Annoni. Zu seinen Kommilitonen zählen die Brüder Livio und Pier Giacomo Castiglioni. 1936 Caccia nimmt zusammen mit Livio und Pier Giacomo Castiglioni, Luigi Claudio Olivieri, Carlo Pagani und BBPR an der Ausstellung Priorità italiche in Arte im Rahmen der VI. Triennale di Milano teil. Kurator der Ausstellung ist Tito Varisco Bassanesi. Die jungen Aussteller gehören dem«Gruppo Universitaria Fascista» (GUF) an.860 Gemeinsam mit den Gebrüdern Castiglioni und Luigi Claudio Olivieri nimmt Caccia an dem Wettbewerb «Caserme di Artiglieria divisionale» per i Littoriali della cultura (sezione di architettura) in Venedig teil. Zugelassen werden 70 Teams, alle Mitglieder der GUF. In der Jury sind unter anderen Giuseppe Pagano, Gio Ponti und Gian Luigi Banfi.

857 Die Biografie basiert, wenn nicht anders vermerkt, auf Brigi 1988, S. 12–45. Sie wurde ergänzt durch Marchiegiani o. D. [ca. 1990], Irace/Marini/Dominioni 2002, S. 22.

858 Irace/Marini/Dominioni 2002, S. 232–234.

859 Libro d’oro, 1985–1989, S. 279.

860 Guida della Sesta Triennale 1936, S. 129. 179

Der erste Preis geht an T. Varisco Bassanesi und C. Pagani (GUF Mailand). Die Gruppe von Luigi Caccia Dominioni erreicht den siebten Rang. Diplom als «Dottore di Architettura» mit insgesamt 94 von 100 Punkten861

Staatsexamen in Venedig mit 186 von 280 Punkte, um die Arbeitserlaubnis zu erlangen862 Caccia lässt sich im Register des Berufsverbands der Architekten in Mailand eintragen. 1937 Caccia eröffnet zusammen mit Livio (1911–1979) und Pier Giacomo (1913–1968) Castiglioni ein Architekturbüro am Corso di Porta Nuova 52 neben dem Atelier von Giannino Castiglioni (1884–1971), Bildhauer und Vater seiner Partner.863

1939 Einberufung in den Militärdienst Caccia und die Gebrüder Castiglioni entwerfen einen Beleuchtungsapparat für das Haus der Grafen Melzi di Cusano. 1940 Teilnahme an drei Ausstellungen der VII. Triennale di Milano: – Mostra dell’apparecchio radio – L‘autarchia nella costruzione, organisiert vom GUF – Mostra dei metalli e dei vetri, Ausstellung der Besteck- und Geschirrserien gemeinsam mit den Gebrüdern Castiglioni Teilnahme an der XII mostra della radio. Auch hier werden die Radioapparate von Caccia und den Castiglioni ausgestellt. 1941 Heirat mit Natalia Tosi Teilrovierung und Sanierung des Familienpalasts an der Piazza Sant’Ambrogio in Mailand 1941–1943 Caccia wird zum Kriegsdienst eingezogen. 1943–1945 Flucht in die Schweiz, um der deutschen Wehrmacht und der Republik von Salò zu entkommen Caccia wird in der Schweiz als militärischer Flüchtling aufgenommen.864 Laut den Akten des Schweizerischen Bundesarchivs hat Caccia als «internierte ausländische Militärperson» folgende Stationen in der Schweiz durchlaufen:865

– 30. September 1943: Eintritt in die Schweiz in Vico Soprano, Bergell, Graubünden – 5. Oktober 1943: Flüchtlingslager Bargen – 5. Dezember 1943: Internierungslager Mürren – 11. Februar 1944: Genf – 30. März 1944: Mürren

861 Annuario anno accademico 1936–1937 1937, S. 179.

862 Ebd., S. 185. Registro degli Studenti Iseritti o. N., o. J. [Um 1936].

863 Scodeller 2003, S. 26 und 318.

864 Schweizerisches Bundesarchiv, Eidgenössiches Kommissariat für Internierung und Hospitalisierung: Zentrale Ablage (1944–1945), E5791* 1000/949, Bd. 1021, Az. 00, Namensliste der internierten Italiener, 1939–1946.

865 Schweizerisches Bundesarchiv, Eidgenössisches Kommissariat für Internierung und Hospitalisierung: E5791* 1988/6, Bd. 1, Az. 23, s.v. Luigi Caccia Dominioni Luigi 180

– 5. März 1945: Mürren – 4. Juli 1945: Grenzübertritt in Chiasso nach Italien In Mürren hat Caccia gemäss Elena Brigi für den Tourismusverband des Berner Oberlands Zeichnungen angefertigt sowie für die Filme, die im cinéclub des Lagers gezeigt wurden, Plakate gemalt. 1946 Caccia beendet die Zusammenarbeit mit den Gebrüdern Castiglioni und richtet ein eigenes Büro an der Via de Amicis ein. 1947 Teilnahme an der VIII. Triennale di Milano: – Mostra degli oggetti per la casa in Zusammenarbeit mit Luigi Fratino, Lida Levi, Ernesto Nathan Rogers, Ettore Sottsass und Franco Buzzi – Beteiligung an dem Projekt des Quartiere Triennale 8 (QT8) von Piero Bottoni Mitbegründer und Mitglied des Movimento Studi d’Architettura (MSA): Caccia hat nur selten an den Sitzungen teilgenommen. Gründung der Möbelfirma Azucena. Das Unternehmen entsteht aus der Freundschaft und in Zusammenarbeit mit Ignazio Gardella und Corrado Corradi dall’Acqua. «Azucena» sei der Name eines kleinen Hündchens gewesen, das Corradi gehört habe. Caccias Schwägerin Maria Teresa Tosi, die Schwester seiner Frau, wird als Geschäftsführerin angestellt.866 Ausbau und Einrichtung der eigenen Wohnung im Dachgeschoss der Via De Amicis 47 in Mailand 1948 Teilnahme an dem hochdotierten Wettbewerb «Il mobile singolo». Zu den anderen Teilnehmern gehören u. a. Ico Parisi, Ettore Sottsass, Vico Magistretti, Marco Zanuso und Franco Albini. Caccia ist mit zwei Möbelstücken vertreten. Wiederaufbau des Familienpalasts der Caccia Dominioni an der Piazza Sant’Ambrogio 16 in Mailand (1948–1950) Wohnung Via Visconti di Modrone 34 in Mailand 1951 Teilnahme an der IX. Triennale di Milano: – Mostra dei concorsi del Duomo – Mostra d’arte sacra in Zusammenarbeit mit Luigi Figini und Adriano Di Spilimbergo Jurymitglied der Commissione Diocesana di Arte Sacra zusammen mit Piero Portaluppi 1952 Geburt der Tochter Lavinia 1954 Teilnahme an der X. Triennale di Milano: – Mostra dello standard in Zusammenarbeit mit Ignazio Gardella, Vico Magistretti, Carlo Casati, Mario Righini sowie Luciano Minguzzi und Ennio Morlotti Geburt der Tochter Daria 1955 Beginn der Zusammenarbeit mit dem Künstler Francesco Somaini, Renovierung der Casa Rosales in Lomazzo (1955– 1956) Wohnhaus an der Via Vigoni 13 (1955–1959)

866 Gespräch mit Marta Sala, 29. Juni 2010, Mailand. 181

1956 Revision des Piano Regolatore Generale von 1953 für das Stadtzentrum von Mailand, auf die 1958 der Projektvorschlag «Racchetta» in Zusammenarbeit mit Ludovico Barbiano di Belgiojoso und Piero Gazzola867

Wohnhaus an der Via Ippolito Nievo 28 (1956–1960) 1957 Teilnahme an der XI. Triennale di Milano: – Mostra internazionale dell’abitazione – Alloggio Italiano Wohn- und Geschäftshaus am Corso Italia 20–26 in Mailand (1956–1964) 1957 Teilnahme an der Ausstellung Colori e forme nella casa d’oggi in der Villa Olmo in Como 1958 Wohnhaus an der Piazza Carbonari 2 (1958–1961) 1959 Geburt des Sohnes Antonio Projekt für den Umbau der Pinakothek der Biblioteca Ambrosiana in Mailand 1960 Teilnahme an der XII. Triennale di Milano: – Alloggio per il centro urbano in Zusammenarbeit mit Gae Aulenti (1927–2012) und Fulvio Raboni (1927–2000).868 – Sistemazione del percorso nel Parco in Zusammenarbeit mit Gae Aulenti, Pier Fausto Bagatti Valsecchi,869 Elena Balsari,870 Roberto Beretta,871 Antonio Grandi.872 Beginn der bis heute andauernde Zusammenarbeit mit der Türen produzierenden Firma Lualdi anlässlich der Errichtung der Ferienhäuser in Arenzano873

Ehrung mit dem Compasso d’Oro für den Stuhl «T12», den er in Zusammenarbeit mit den Gebrüdern Castiglioni im gleichen Jahr entwickelt hatte. Wohnhaus an der Piazza Carbonari 2 in Mailand (1960–1961) Wohnhaus an der Via Gesù 13 (1960–1962) 1960–1963 Bauaufträge ausserhalb Mailands in Brianza, Varese, Veltlin Wohnung an der Via Cappuccino 21 in Mailand (1961–1962) Wohnhaus an der Via Cavalieri del Santo Sepolcro 6 (1962–1966)

867 Di Lieto/Morgante 2009, S. 231–238.

868 Pansera 1978, S. 474–476.

869 Die Lebensdaten Bagatti Valsecchis konnten nicht ermittelt werden.

870 Die Lebensdaten Balsaris konnten nicht ermittelt werden.

871 Die Lebensdaten Berettas konnten nicht ermittelt werden.

872 Die Lebensdaten Grandis konnten nicht ermittelt werden.

873 Lualdi Porte, http://www.lualdiporte.com/EN/Products.aspx#doors|lcd87 (abgerufen 8. März 2014). Gespräch mit Olga Lualdi, 30. Juni 2010, Mailand. 182

1963 Nominierung zum Accademico di San Luca 1964 Ehrung mit dem Premio Orio Vergani für die besten Bauwerke der Mailänder Nachkriegszeit Teilnahme am Wettbewerb für das Theater Paganini in Parma. Weitere Teilnehmer sind u. a. Carlo Aymonino (1926– 2010), Aimaro Isola (1928), Roberto Gabetti (1925–2000), Paolo Porthogesi (*1931), Aldo Rossi (1931–1997). Caccias Projekt scheidet nach der ersten Auswahlrunde aus. 1965 Entwurf und Realisation (1967–1975) des für 6000 Bewohner geplanten Stadtquartiers «Milano San Felice» in Segrate in Zusammenarbeit mit Vico Magistretti 1966 Umbau und Sanierung der Pinakothek der Biblioteca Ambrosiana in Mailand 1967 Realisierung des Monumento ai Marinai in Mailand in Zusammenarbeit mit Francesco Somaini 1969 Wohnüberbaung Giardini La Viridiana in Zusammenarbeit mit Vico Magistretti 1970 Es folgen Projekte ausserhalb Mailands, in der Schweiz, in Monaco und an der Costa Azzurra in Sardinien 1972 Realisierung des Wohnkomplexes Golf Club Monticello (bis 1985) 1973 Teilnahme an der Ausstellung Cantù. Decima mostra selettiva in Cantù 1975 Umzug mit der gesamten Familie nach Monte Carlo, Monaco Realisierung des Wohnhochhauses Parc Saint Roman in Montecarlo dank der Vermittlung von Anna Bonomi Bolchini 1983 Rückkehr nach Mailand in das Stadthaus an der Piazza Sant’Ambrogio

6.2. Quellen

6.2.1. Archive

AEGP Archivio Epistolario di Gio Ponti, Via Rovani 11

AFS Nachlass Francesco Somaini

APLCD Privatarchiv Luigi Caccia Dominioni

APM Archiv des Politecnico di Milano

APP Nachlass Piero Portaluppi

Archiv Azucena 183

ASBAP Comune di Milano, Soprintendenza Beni Architettonici e Paesaggistici di Milano

ASC Comune di Milano, Archivio storico civico, Via Deledda 16

ASCT Comune di Milano, Archivio storico civico, Biblioteca Trivulziana

BAR Schweizerisches Bundesarchiv Bern

TRN Archiv der Triennale di Milano

UAM Comune di Milano, Ufficio Agibilità: Via Edolo 19

UVM Comune di Milano, Ufficio Visure, Via Pirelli 39

6.2.2. Interviews

Antonio Caccia Dominioni (ACD hat in zahlreichen Gesprächen während der gesamten Phase der Dissertation Fragen beantwortet)

Luigi Caccia Dominioni, 4. August 2003, Celerina; 22. Januar 2007, Mailand.

Vittore Ceretti, 10. Dezember 2009, Mailand.

Olga Lualdi, 30. Juni 2010, Mailand.

Glauco Marchegiani, 27. Januar 2010, Mailand.

Agostino Mari, 4. Dezember 2009, Mailand.

Marta Sala, 29. Juni 2010, Mailand.

Luisa Somaini, 14. Juni 2010, Mailand.

Anna Maria Zucchi, 3. Dezember 2009, Mailand.

6.2.3. Unpublizierte Typoskripte

Bianchi, Camillo, «Brani di una Vita», Mailand, 1994, unveröff. Typoskript, Archiv Camillo Bianchi.

Marchiegiani, Glauco, «Biografische Notizen zu ‘Luigi Caccia Dominioni di Ambrogio e di Maria Paravicini, nato a Milano il 7 dicembre 1913’», unveröffentl. Typoskript, o. D. [ca. 1990], Archiv Glauco Marchiegiani.

Mazzocchi, Maurizio, «Molte vite in una vita», Mailand 2003, unveröff. Typoskript, Archiv Maurizio Mazzocchi.

6.2.4. Literaturverzeichnis

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Annuario anno accademico 1934-–1935. Politecnico di Milano, Mailand: Tamburini, 1935. 184

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6.3. Abbildungen 197

Abb. 1 LCD, Maturitätsbestätigung, 1931

Abb. 2 LCD [mittlere Reihe, links], Abschlussfoto Architekturstudium, 1936 198

Abb. 3 Littoriale dell‘architettura, «Caserma di Artiglieria divisionale», 1936

Abb. 4 Littoriale dell‘architettura, «Caserma di Artiglieria divisionale», 1936

Abb. 5 Littoriale dell‘architettura, «Caserma di Artiglieria divisionale», 1936 199

Abb. 6 VI Triennale, «Priorità italiche in Arte», 1936

Abb. 7 VI Triennale, «Priorità italiche in Arte», 1936

Abb. 8 Architekturwettbewerb, «Progetto di scuola professionale per Vimercate», 1939 200

Abb. 9 VII. Triennale, «Mostra dell‘apparecchio radio», 1940

Abb. 10 VII. Triennale, «Mostra dell‘apparecchio radio», 1940

Abb. 11 VII. Triennale, «Mostra dell‘apparecchio radio», 1940 201

Abb. 12 Das Radio als Apparat, 1940 Abb. 13 Das Radio als Apparat, 1940

Abb. 14 Das Radio als «Musikinstrument» im Interieur, 1942

Abb. 15 Das Radio als «Musikinstrument», 1942 202

Abb. 16 Ein «Kronleuchter» im Interieur, 1940

Abb. 17 Besteck aus Vermeil mit Griffen aus Porzellan von Richard-Ginori, Produzent Miracoli, 1940

Abb. 18 Besteck aus Aluminium, Produzent Sambonet, 1940 203

Abb. 19 Besteck aus Vermeil, Produzent Miracoli, 1940

Abb. 20 Besteck aus Vermeil, Produzent Miracoli, 1940

Abb. 21 Besteck aus Vermeil mit Griffen aus Porzellan von Richard-Ginori, Produzent Miracoli, 1940 204

Abb. 22 «Stile di Caccia», 1941

Abb. 23 LCD, Wohnung für den Grafen S. in Mailand, 1941

Abb. 24 LCD, Wohnung für den Grafen S. in Mailand, 1941 205

Abb. 25 LCD, Wohnung für den Grafen S. in Mailand, 1941

Abb. 26 Franco Albini, Wohnraum, 1940

Abb. 27 Franco Buzzi, Schlafzimmer, 1941 206

Abb. 28 LCD, Wohnung an der Via De Amicis

Abb. 29 LCD, Wohnung an der Via De Amicis

Abb. 30 LCD, Wohnung an der Via De Amicis 207

Abb. 31 LCD, Wohnung an der Via De Amicis

Abb. 32 LCD, Wohnung an der Via De Amicis

Abb. 33 LCD, Wohnung an der Via De Amicis 208

Abb. 34 LCD, Liste der «Oggetti per la casa» für die VIII. Triennale, 1947

Abb. 35 LCD, Liste der «Oggetti per la casa» für die VIII. Triennale, 1947

Abb. 36 LCD, Liste der «Oggetti per la casa» für die VIII. Triennale, 1947 209

Abb. 37 VIII, Triennale, Ausstellung «Oggetti per la Casa», 1947

Abb. 38 VIII, Triennale, Ausstellung «Oggetti per la Casa», 1947

Abb. 39 VIII, Triennale, Ausstellung «Oggetti per la Casa», 1947 210

Abb. 40 De Finettis Kartierung der Kriegszerstörungen der Innenstadt Mailands,1969 [posthum veröffentlicht] 211

Abb. 41 Der Familiensitz der Caccia Dominioni, undatiert [ca. 1940]

Abb. 42 Der Familiensitz der Caccia Dominioni nach der Bombardierung im August 1943, undatiert, [ca. 1945]

Abb. 43 Der Familiensitz der Caccia Dominioni nach der Bombardierung im August 1943, undatiert, [ca. 1945] 212

Abb. 44 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Erste Baueingabe vom 10. Februar 1949

Abb. 45 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Revisionseingabe vom 19. April 1949

Abb. 46 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Eingabe vom 31. Dezember 1949 213

Abb. 47 Asnago, Vender, «Piazza Sant‘Ambrogio 14» für die Familie Boretti, 1948

Abb. 48 Asnago, Vender, Neubau an der «Piazza Sant‘Ambrogio 14» für die Familie Boretti, undatiert [ca. 1950]

Abb. 49 Die beiden Neubauten an der «Piazza Sant‘Ambrogio», undatiert [ca. 1958] 214

Abb. 50 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Platz- und Strassenfassade, 2011

Abb. 51 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», 2011 Abb. 52 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Hoffassade, 2011

Abb. 53 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Molosserhunde im Eingangsportal, 2011 215

Abb. 54 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Grundriss Erdgeschoss, 1949

Abb. 55 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Grundriss Mezzanin, 1949

Abb. 56 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Grundriss 1. Obergeschoss, 1949 216

Abb. 57 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Grundriss 2. Obergeschoss, 1949

Abb. 58 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Grundriss 3. Obergeschoss, 1949

Abb. 59 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Grundriss 4. Obergeschoss, 1949 217

Abb. 60 Zerstörter Wohnsitz «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Grundriss Erdgeschoss, undatiert [ca. 1940]

Abb. 61 Zerstörter Wohnsitz «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Grundriss Mezzanin, undatiert [ca. 1940]

Abb. 62 Zerstörter Wohnsitz «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Grundriss 1. Obergeschoss, undatiert [ca. 1940]

Abb. 63 Zerstörter Wohnsitz «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Grundriss 2. Obergeschoss, undatiert [ca. 1940] 218

Abb. 64 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Wohnung Caccia Dominioni, Diele mit Blick zum Eingangsbereich, 1954

Abb. 65 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Wohnung Caccia Dominioni, Kamin mit Portrait einer Vorfahrin, 1954

Abb. 66 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Wohnung Caccia Dominioni, Speisezimmer, 1954 219

Abb. 67 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Wohnung Caccia Dominioni, Eingangsbereich, 1954

Abb. 68 Abbildung einer herrschaftlichen Erschliessungshalle bei Daniele Donghi, 1893 220

Abb. 69 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Platzfassade, undatiert [ca. 1949]

Abb. 70 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Schnitt, undatiert [ca. 1949]

Abb. 71 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Studie Geländer, undatiert [ca. 1949] 221

Abb. 72 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Strassenansicht, undatiert [ca. 1949]

Abb. 73 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Treppenhaus, undatiert [ca. 1949]

Abb. 74 LCD, «Piazza Sant‘Ambrogio 16», Detailplan Fenster, undatiert [ca. 1949] 222

Abb. 75 LCD, Wohnung «Via Visconti di Modrone», Grundriss-Skizze, 2010

Abb. 76 «Degagement-Verbindung», 1893 223

Abb. 77 LCD, «Via Visconti di Modrone», Eingangsbereich mit Blick auf die «Degagement», 2010

Abb. 78 LCD, «Via Visconti di Modrone», Eingangsbereich mit Blick auf den privaten Korridor, 2010

Abb. 79 LCD, «Via Visconti di Modrone», Eingangsbereich mit Blick auf die «Degagement», 2010 224

Abb. 80 LCD, «Via Visconti di Modrone», «Degagement», Deckenausschnitt, 2010

Abb. 81 LCD, «Via Visconti di Modrone», «Degagement», offener Zustand, 2010

Abb. 82 LCD, «Via Visconti di Modrone», «Degagement», geschlossner Zustand, 2010 225

Abb. 83 LCD, «Via Visconti di Modrone», Verbindung von Speisezimmer und Wohnhalle, 2010

Abb. 84 LCD, «Via Visconti di Modrone», «Degagement», 2010

Abb. 85 LCD, «Via Visconti di Modrone», «Degagement», 2010 226

Abb. 86 LCD, «Via Visconti di Modrone», Verbindung von Speisezimmer und Arbeitszimmer, 2010

Abb. 87 LCD, «Via Visconti di Modrone», Verbindung von Speisezimmer und Arbeitszimmer, 2010

Abb. 88 LCD, «Via Visconti di Modrone», Speisezimmer, 2010 227

Abb. 89 LCD, «Via Visconti di Modrone», Wohnzimmer und Bibliothek, 2010

Abb. 90 LCD, «Via Visconti di Modrone», verschlossener Treppenaufgang, 2010

Abb. 91 LCD, «Via Visconti di Modrone», Wohnhalle, 2010 228

Abb. 92 LCD, Wohnung für den Künstler Ennio Morlotti, Eingangshalle, 1951

Abb. 93 LCD, Caccias Wohnung für den Künstler Ennio Morlotti, Wohnraum 1951

Abb. 94 LCD, Wohnung für den Künstler Ennio Morlotti, Schlafzimmer 1951 229

Abb. 95 IX. Triennale, «Mostra d‘arte sacra», 1951

Abb. 96 IX. Triennale, «Mostra d‘arte sacra», 1951

Abb. 97 IX. Triennale, «Mostra d‘arte sacra», 1951 230

Abb. 98 Angelo Mangiarotti mit William Klein, Wände als drehbare Paneele, 1952

Abb. 99 Ignazio Gardella, verschiebbare Wände, Villa Baletti, 1953 231

Abb. 100 LCD, Vorhänge im Interieur, undatiert [ca. 1952]

Abb. 101 Vico Magistretti, Vorhänge im Interieur, undatiert [ca. 1952] 232

Abb. 102 Die Kunstdebatten in Italien. André Bloc «Art d‘aujourd‘hui», Vol 3, 1952

Abb. 103 «Synthèse des arts», André Bloc «Art d‘aujourd‘hui», Vol 4-5, 1954

Abb. 104 Konkrete Kunst von Manlio Rho, 1953 233

Abb. 105 X. Triennale, «Mostra dello standard», 1954

Abb. 106 X. Triennale, «Mostra dello standard», 1954

Abb. 107 X. Triennale, «Mostra dello standard», 1954 234

Abb. 108 Lucio Fontanas Türgriff aus Keramik mit Zanuso und Menghi, Via Senato 11, Mailand 1947

Abb. 109 Lucio Fontana, «ceramica spaziale», 1949

Abb. 110 Lucio Fontanas Decke in Wohnzimmer aus Stuck, Täfelung und Neonlicht, 1949 235

Abb. 111 IX. Triennale, «struttura al neon», 1951

Abb. 112 Lucio Fontana «studio per pavimento», 1956

Abb. 113 Lucio Fontana und Renato Radici, Eingangshalle des «Palazzo delle Esposizioni», Cantù, 1957 236

Abb. 114 LCD und Francesco Somaini, «Bibliothek der Casa Rosales», 1957

Abb. 115 Francesco Somaini, «Studio per una scultura», Gemälde im Besitz von LCD, 1957

Abb. 116 Francesco Somaini, «Canto aperto», 1956 237

Abb. 117 Francesco Somaini, «Disegno per il mosaico pavimentale del Teatro Filodrammatici», 1970

Abb. 118 Francesco Somaini, Detail des ausgeführten Bodens im «Teatro Filodrammatici», 1970

Abb. 119 Francesco Somaini «Disegno per il mosaico pavimentale dell‘edificio in Corso Italia», 1958 238

Abb. 120 LCD, «Corso Italia 20-26», Grundriss Untergeschoss, 1958

Abb. 121 LCD, «Corso Italia 20-26», Grundriss Erdgeschoss, 1958

Abb. 122 LCD, «Corso Italia 20-26», Grundriss 1. Obergeschoss, 1958 239

Abb. 123 LCD, «Corso Italia 20-26», Grundriss 2. Obergeschoss, 1958

Abb. 124 LCD, «Corso Italia 20-26», Grundriss 3. Obergeschoss, 1958

Abb. 125 LCD, «Corso Italia 20-26», Grundriss 4. Obergeschoss, 1958 240

Abb. 126 LCD, «Corso Italia 20-26», Ansicht zur Strasse, 1958

Abb. 127 LCD, «Corso Italia 20-26», Schnitt, 1958

Abb. 128 LCD, «Corso Italia 20-26», Schnitt, 1958 241

Abb. 129 LCD, «Corso Italia 20-26», Wohnturm «Bidone», 1960, Grundriss-Struktur

Abb. 130 LCD, «Corso Italia 20-26», Wohnturm «Bidone», 1960, Grundrisse Erdgeschoss und Obergeschoss 242

Abb. 131 LCD, Strassenansicht vor Baubeginn [Abbruchgebäude links], undatiert [ca. 1958]

Abb. 132 LCD, «Corso Italia 20-26», Strassenansicht kurz nach Fertigstellung, undatiert [ca. 1960]

Abb. 133 Der Bauherr und Ingenieur Camillo Bianchi in der Hofdurchfahrt, «Corso Italia 20–26», undatiert [ca. 1980] 243

Abb. 134 LCD, «Corso Italia 20-26», Fassadestudie, 1958

Abb. 135 LCD, «Corso Italia 20-26», Fassadestudie, 1958

Abb. 136 LCD, «Corso Italia 20-26», Fassadestudie, 1958 244

Abb. 137 LCD und Somaini «Kaminzimmer im Corso Italia» 1962, für Luisa Bettoni Somaini, undatiert [ca. 1980]

Abb. 138 LCD und Somaini «Kaminzimmer im Corso Italia» 1962, für Luisa Bettoni Somaini, undatiert [ca. 1980]

Abb. 139 LCD und Somaini «Kaminzimmer im Corso Italia» 1962, für Luisa Bettoni Somaini, undatiert [ca. 1980] 245

Abb. 140 LCD, «Corso Italia 20-26», Strassenansicht, 2009

Abb. 141 LCD, «Corso Italia 20-26», Strassenansicht, 2009

Abb. 142 LCD, «Corso Italia 20-26», Fassadendetail, 2009 246

Abb. 143 LCD, «Corso Italia 20-26», Wohnturm «Bidone», 2003

Abb. 144 LCD, «Corso Italia 20-26», Wohnturm «Bidone», Eingang, 2003 247

Abb. 145 LCD, «Corso Italia 20-26», Eingangshalle, 2003

Abb. 146 LCD, «Corso Italia 20-26», Eingangshalle, 2003

Abb. 147 LCD, «Corso Italia 20-26», Eingangshalle mit Blick auf Portiersloge, 2003 248

Abb. 148 LCD, «Corso Italia, Bidone», Eingangshalle, 2003

Abb. 149 LCD, «Corso Italia, Bidone», Eingangshalle, 2003

Abb. 150 LCD, «Corso Italia, Bidone», «dreiblättrige Tür» 2003 249

Abb. 151 LCD, «Corso Italia, Bidone», Verbindung Esszimmer Küche, 2003

Abb. 152 LCD, «Corso Italia, Bidone», Verbindung Esszimmer Küche, 2003 250

Abb. 153 LCD, «Corso Italia, Bidone», Kinderzimmer 2003

Abb. 154 LCD, «Corso Italia, Bidone», Kinderzimmer 2003

Abb. 155 LCD, «Corso Italia, Bidone», Verbindung Wohnraum Kinderzimmer 2003 251

Abb. 156 Ausstellungskatalog «Colori e forme nella casa d‘oggi», Beitrag Fontana und BBPR, 1957

Abb. 157 Ausstellungskatalog «Colori e forme nella casa d‘oggi», Beitrag Fontana und BBPR, 1957

Abb. 158 Ausstellungskatalog «Colori e forme nella casa d‘oggi», Beitrag Caccia und Somaini, 1957 252

Abb. 159 Ausstellungskatalog «Colori e forme nella casa d‘oggi», Beitrag Caccia und Somaini, 1957 253

Abb. 160 LCD, «Via Vigoni 13», Grundriss Untergeschoss, 1959

Abb. 161 LCD, «Via Vigoni 13», Grundriss Hochparterre, 1959

Abb. 162 LCD, «Via Vigoni 13», Grundriss 1. Obergeschoss, 1959 254

Abb. 163 LCD, «Via Vigoni 13», Grundriss 2. Obergeschoss, 1959

Abb. 164 LCD, «Via Vigoni 13», Grundriss 3. Obergeschoss, 1959

Abb. 165 LCD, «Via Vigoni 13», Strassenansicht, 1959 255

Abb. 166 LCD, «Via Vigoni 13», Hofansicht, 1959

Abb. 167 LCD, «Via Vigoni 13», Modell, 1959

Abb. 168 LCD, «Via Vigoni 13», Fotografie nach Fertigstellung, 1976 256

Abb. 169 LCD, «Via Vigoni 13», Skizze mit suchenden Linien, 4. Obergeschoss, 1959

Abb. 170 LCD, «Via Vigoni 13», in der Wohnung im 4. Obergeschoss,1961

Abb. 171 LCD, «Via Vigoni 13», in der Wohnung im 4. Obergeschoss, Enfilade entlang der Fassade, 1961 257

Abb. 172 LCD, «Via Vigoni 13», Strassenansicht, 2003.

Abb. 173 LCD, «Via Vigoni 13», Blick vom Eingangsbereich in den Wohnraum, 2003

Abb. 174 LCD, «Via Vigoni 13», Eingangsbereich, 2003 258

Abb. 175 LCD, «Via Vigoni 13», im Korridor mit Blick zur Küche und Eingangsbereich, 2003

Abb. 176 LCD, «Via Vigoni 13», im Korridor mit Blick ins Schlafzimmer, 2003

Abb. 177 LCD, «Via Vigoni 13», Wohnhalle, 2003 259

Abb. 178 LCD, «Via Vigoni 13», Verbindung von Wohnhalle mit Speisezimmer, 2003

Abb. 179 LCD, «Via Vigoni 13», Türen der Küche 2003

Abb. 180 Abb. 181 LCD, «Via Vigoni 13», Treppenhaus, 2003 260

Abb. 182 «Piazza Carbonari 2», abgebrochene Villa, Grundriss Untergeschoss mit Küche, 1911

Abb. 183 «Piazza Carbonari 2», abgebrochene Villa, Grundriss Erdgeschoss, 1911

Abb. 184 «Piazza Carbonari 2», abgebrochene Villa, Ansicht Süd-Ost, 1911 261

Abb. 185 Ugo Mazzola, «Piazza Carbonari 2», erste Baueingabe, Ansicht neungeschossiges Wohnhauses, 20. Juli 1957

Abb. 186 Ugo Mazzola, «Piazza Carbonari 2», Revisionspläne, Ansicht siebengeschossiges Wohnhauses, 6. März 1958

Abb. 187 Ugo Mazzola, «Piazza Carbonari 2», Revisionspläne, Grundriss Erdgeschoss, 6. März 1958 262

Abb. 188 Ugo Mazzola, «Piazza Carbonari 2», Revisionspläne, Grundrisse Obergeschosse, 6. März 1958

Abb. 189 LCD, «Piazza Carbonari 2», 3. Baueingabe, Grundriss 1. Untergeschoss, 10. Mai 1958

Abb. 190 LCD, «Piazza Carbonari 2», 3. Baueingabe, Grundriss 2. Untergeschoss, 10. Mai 1958 263

Abb. 191 LCD, «Piazza Carbonari 2», 3. Baueingabe, Grundriss Hochparterre, 10. Mai 1958

Abb. 192 LCD, «Piazza Carbonari 2», 3. Baueingabe, Grundrisse 1. -4. Obergeschosse, 10. Mai 1958

Abb. 193 LCD, «Piazza Carbonari 2», 3. Baueingabe, Grundriss 5. Obergeschoss, 10. Mai 1958 264

Abb. 194 LCD, «Piazza Carbonari 2», 3. Baueingabe, Grundriss 6. Obergeschoss, 10. Mai 1958

Abb. 195 LCD, «Piazza Carbonari 2», 3. Baueingabe, Ansichten, 10. Mai 1958

Abb. 196 LCD, «Piazza Carbonari 2», 3. Baueingabe, Ansichten, 10. Mai 1958 265

Abb. 197 LCD, «Piazza Carbonari 2», Ansichten, 25. September 1958

Abb. 198 LCD, «Piazza Carbonari 2», Ansichten, 25. September 1958

Abb. 199 LCD, «Piazza Carbonari 2», 4. Baueingabe, Ansicht, 15. Dezember 1960 266

Abb. 200 LCD, «Piazza Carbonari 2», 4. Baueingabe, Ansicht, 15. Dezember 1960

Abb. 201 LCD, «Piazza Carbonari 2», 4. Baueingabe, Ansicht, 15. Dezember 1960

Abb. 202 LCD, «Piazza Carbonari 2», 4. Baueingabe, Ansicht, 15. Dezember 1960 267

Abb. 203 LCD, «Piazza Carbonari 2», Grundriss Untergeschoss, undatiert [ca. 1990]

Abb. 204 LCD, «Piazza Carbonari 2», Grundriss Erdgeschoss, undatiert [ca. 1990]

Abb. 205 LCD, «Piazza Carbonari 2», Grundriss Hochparterre, undatiert [ca. 1990] 268

Abb. 206 LCD, «Piazza Carbonari 2», Grundriss 1. Obergeschoss, undatiert [ca. 1990]

Abb. 207 LCD, «Piazza Carbonari 2», Grundriss 2. Obergeschoss undatiert [ca. 1990]

Abb. 208 LCD, «Piazza Carbonari 2», Grundriss 3. Obergeschoss, undatiert [ca. 1990] 269

Abb. 209 LCD, «Piazza Carbonari 2», Grundriss 4. Obergeschoss, undatiert [ca. 1990]

Abb. 210 LCD, «Piazza Carbonari 2», Grundriss 5. Obergeschoss, undatiert [ca. 1990]

Abb. 211 LCD, «Piazza Carbonari 2», Grundriss 6. Obergeschoss, undatiert [ca. 1990] 270

Abb. 212 «Piazza Carbonari 2», Wohnhaus nach Fertigstellung, 1961

Abb. 213 «Piazza Carbonari 2», Wohnhaus nach Fertigstellung, 1961

Abb. 214 «Piazza Carbonari 2», Wohnhaus nach Fertigstellung, 1961 271

Abb. 215 «Piazza Carbonari 2», in der Eingangshalle der 1961

Abb. 216 «Piazza Carbonari 2», im Wohnzimmer der Kamin von Somaini, 1961

Abb. 217 «Piazza Carbonari 2», im Wohnzimmer der Kamin von Somaini, 1961 272

Abb. 218 «Piazza Carbonari 2», im Wohnzimmer der Mosaikfussboden Somaini, 1961

Abb. 219 «Piazza Carbonari 2», Feier bei den Mondelli, undatiert [ca. 1980]

Abb. 220 «Piazza Carbonari 2», Feier bei den Mondelli, undatiert [ca. 1980] 273

Abb. 221 LCD, «Piazza Carbonari 2», Platzansicht, 2009

Abb. 222 LCD, «Piazza Carbonari 2», Ansicht vom Park, 2009

Abb. 223 LCD, «Piazza Carbonari 2», Fassade mit sichtbar geführter Liftkabine, 2009 274

Abb. 224 LCD, «Piazza Carbonari 2», 5. Obergeschoss, Eingangshalle mit Liftkabine, 2009

Abb. 225 LCD, «Piazza Carbonari 2», 5. Obergeschoss, Eingangshalle, 2009

Abb. 226 LCD, «Piazza Carbonari 2», 5. Obergeschoss, Wohnhalle und Speisezimmer, 2009 275

Abb. 227 LCD, «Piazza Carbonari 2», 5. Obergeschoss, Wohnhalle mit Somainis Kamin, 2009

Abb. 228 LCD, «Piazza Carbonari 2», 5. Obergeschoss, Speisezimmer, 2009

Abb. 229 LCD, «Piazza Carbonari 2», 5. Obergeschoss, Speisezimmer, 2009 276

Abb. 230 LCD, «Piazza Carbonari 2», 5. Obergeschoss, Diele zu den Kinderzimmern, 2009

Abb. 231 LCD, «Piazza Carbonari 2», 5. Obergeschoss, Diele, 2009

Abb. 232 LCD, «Piazza Carbonari 2», 5. Obergeschoss, im auskragenden Erker, 2009 277

Abb. 233 LCD, «Piazza Carbonari 2», 6. Obergeschoss, Blick von Wohnhalle ins blaue Zimmer, 2009

Abb. 234 LCD, «Piazza Carbonari 2», 6. Obergeschoss, im blauen Zimmer, 2009

Abb. 235 LCD, «Piazza Carbonari 2», 6. Obergeschoss, im blauen Zimmer, 2009 278

Abb. 236 LCD, «Piazza Carbonari 2», 6. Obergeschoss, im blauen Zimmer, 2009

Abb. 237 LCD, «Piazza Carbonari 2», 6. Obergeschoss, Wohnhalle, 2009

Abb. 238 LCD, «Piazza Carbonari 2», 6. Obergeschoss, Handkurbel für Fensterläden, 2009 279

Abb. 239 LCD, «Pinacoteca Ambrosiana», 1. Fassung, Schnitt, 1959

Abb. 240 LCD, «Pinacoteca Ambrosiana», 1. Fassung, Schnitt, 1959

Abb. 241 LCD, «Pinacoteca Ambrosiana», 1. Fassung, Grundriss-Studie mit bewegungsführenden Linien, 1959 280

Abb. 242 «Via Cappuccio 21», Baueingabe, Grundriss 1. Geschoss Wohnung Zucchi, undatiert [ca. 1960]

Abb. 243 «Via Cappuccio 21», Baueingabe, Grundriss 2. Geschoss Wohnung Zucchi, undatiert [ca. 1960] 281

Abb. 244 «Via Cappuccio 21» LCD mit Cino Zucchi auf dem Balkon im Interieur, undatiert [ca. 1965]

Abb. 245 LCD, «Via Cappuccio 21» Eingangshalle mit Blick in Wohnhalle, undatiert [ca. 1980]

Abb. 246 LCD, «Via Cappuccio 21» Wohnhalle, undatiert [ca. 1980] 282

Abb. 247 LCD, «Via Cappuccio 21» Eingangshalle, Blick in die Enfilade, 2009

Abb. 248 LCD, «Via Cappuccio 21» Wohnhalle, Blick in die Eingangshalle, 2009

Abb. 249 LCD, «Via Cappuccio 21» Eingangshalle mit inneren Balkonen und Tapetentüre im Hintergrund, 2009 283

Abb. 250 LCD, «Via Cappuccio 21» Speisehalle, 2009

Abb. 251 LCD, «Via Cappuccio 21» Speisehalle, 2009

Abb. 252 LCD, «Via Cappuccio 21» Speisehalle, 2009 284

Abb. 253 «Via Cappuccio 21» in der zweigeschossigen Halle im Elterntrakt, Blick auf die Galerie mit Bett, 2009

Abb. 254 LCD, «Via Cappuccio 21» in der zweigeschossigen Halle im Elterntrakt 2009

Abb. 255 LCD, «Via Cappuccio 21» Im Schlafbereich der Eltern, 2009 285

Abb. 256 LCD, «Via Gesù», Grundrisse Keller bis Eingangsgeschoss, 1960

Abb. 257 LCD, «Via Gesù», Grundrisse 1. bis 2. Geschoss, 1960

Abb. 258 LCD, «Via Gesù», Grundrisse 3. bis 4. Geschoss, 1960 286

Abb. 259 LCD, «Via Gesù», in der Wohnhalle im 4. Obergeschoss, 2010

Abb. 260 LCD, «Via Gesù», Blick in die Speisehalle im 5. Obergeschoss, 2010

Abb. 261 LCD, «Via Gesù», Speisehalle mit Oberlicht, 5. Obergeschoss, 2010 287

Abb. 262 LCD, «Via Gesù», Speisehalle mit Landschaftsbildern und Porzellan, 2010

Abb. 263 LCD, «Via Gesù», Speisehalle, Schränke und Räume hinter den Wänden, 2010

Abb. 264 LCD, «Via Gesù», Weg von der Küche ins Speisezimmer, 2010 288

Abb. 265 LCD, «Via Gesù», 4. Obergeschoss, Wohnhalle mit Bücherwand, 2010

Abb. 266 LCD, «Via Gesù», 4. Obergeschoss, in der Nische befindet sich eine Bar, 2010

Abb. 267 LCD und Francesco Somaini «Grande scultura per una scale» 1962, im Treppenhaus an der «Via Gesù», 2010 289

Abb. 268 LCD, «Via Cavalieri 6», Baueingabe, Situationsplan, 1962

Abb. 269 LCD, «Via Cavalieri 6», Baueingabe, Grundriss Untergeschoss, 1962

Abb. 270 LCD, «Via Cavalieri 6», Baueingabe, Grundriss Erdgeschoss mit Garten, 1962 290

Abb. 271 LCD, «Via Cavalieri 6», Baueingabe, Grundriss 1. Obergeschoss, 1962

Abb. 272 LCD, «Via Cavalieri 6», Baueingabe, Grundriss 2. Obergeschoss, 1962

Abb. 273 LCD, «Via Cavalieri 6», Baueingabe, Grundriss 3. Obergeschoss, 1962 291

Abb. 274 LCD, «Via Cavalieri 6», Baueingabe, Strassenansicht, 1962

Abb. 275 LCD, «Via Cavalieri 6», Baueingabe, Ansicht Eingang, 1962

Abb. 276 LCD, «Via Cavalieri 6», Baueingabe, Ansicht Garten, 1962 292

Abb. 277 LCD, «Via Cavalieri 6», Grundriss-Studie Erdgeschoss, 1962

Abb. 278 LCD, «Via Cavalieri 6», Grundriss Erdgeschoss, 1962 293

Abb. 279 LCD, «Via Cavalieri 6», Wohnung Pirelli, Wohnhalle im 3. Obergeschosse, undatiert [ca. 1970]

Abb. 280 LCD, «Via Cavalieri 6», Wohnung Pirelli, Blick von der Wohnhalle auf die Galerie, undatiert [ca. 1970]

Abb. 281 LCD, «Via Cavalieri 6», Wohnung Pirelli, Wohnhalle im 3. Obergeschoss, undatiert [ca. 1970] 294

Abb. 282 LCD, «Via Cavalieri 6», Wohnung Pirelli, 4. Obergeschoss, Dachgauben als Sofa-Nischen [ca. 1970]

Abb. 284 LCD, «Via Cavalieri 6», Wohnung Pirelli, Wohnhalle im Wohnhalle im 3. Obergeschoss [ca. 1970]

Abb. 283 LCD, «Via Cavalieri 6», Wohnung Pirelli, 2. Obergeschoss, Enfilade im Schlafgeschoss [ca. 1970] 295

Abb. 285 LCD, «Via Cavalieri 6», Wohnung Pirelli, 3. Obergeschoss, Blick zum Wintergarten [ca. 1970]

Abb. 286 LCD, «Via Cavalieri 6», Wohnung Pirelli, 3. Obergeschoss, Blick zur Speisehalle [ca. 1970]

Abb. 287 LCD, «Via Cavalieri 6», Wohnung Pirelli, Treppe vom 3.- zum 2. Geschoss [ca. 1970] 296

Abb. 288 LCD, «Via Cavalieri 6», Aussenansicht, 2010

Abb. 289 LCD, «Via Cavalieri 6», Eingangsportal 2010

Abb. 290 LCD, «Via Cavalieri 6», Eingangshalle mit Portiersfenster, 2010 297

Abb. 291 LCD, «Via Cavalieri 6», Portiersfenster, 2010

Abb. 292 LCD, «Via Cavalieri 6», Blick von der Portiersloge in die Eingangshalle 2010

Abb. 293 LCD, «Via Cavalieri 6», Eingangshalle, 2010 298

Abb. 294 LCD, «Via Cavalieri 6», Treppenhaus, 2010

Abb. 295 LCD, «Via Cavalieri 6», Blick zurück vom Treppenhaus zur Eingangshalle, 2010

Abb. 296 LCD, «Via Cavalieri 6», Lift und Wohnungseingang, 2010 299

Abb. 297 LCD, «Via Cavalieri 6», Treppenhaus, 2010

Abb. 298 LCD, «Via Cavalieri 6», Treppenhaus mit Oberlicht, 2010

Abb. 299 LCD, «Via Cavalieri 6», Treppenhaus, 2010 300

Abb. 300 LCD, «Via Cavalieri 6», Eingangshalle, 2011

Abb. 301 LCD, «Via Cavalieri 6», Erschliessungshalle, 2011

Abb. 302 LCD, «Via Cavalieri 6», Erschliessungshalle, 2011 301

Abb. 303 LCD, «Via Cavalieri 6», Vestibül und Schlafzimmer, 2011

Abb. 304 LCD, «Via Cavalieri 6», Schlafzimmer, 2011

Abb. 305 LCD, «Via Cavalieri 6», Wohnhalle, 2011 302

Abb. 306 LCD, «Via Cavalieri 6», Wohnhalle mit Blick in die Speisehalle, 2011

Abb. 307 LCD, «Via Cavalieri 6», Wohnhalle mit Blick in die Speisehalle, 2011

Abb. 308 LCD, «Via Cavalieri 6», Wohnhalle mit Blick in die Speisehalle, 2011 303

Abb. 309 LCD, «Via Cavalieri 6», Speisehalle, 2011

Abb. 310 LCD, «Via Cavalieri 6», Speisehalle mit Blick in den Servicetrakt, 2011

Abb. 311 LCD, «Via Cavalieri 6», Speisehalle, 2011 304

Abb. 312 «LCD, «Via Cavalieri 6», im Erschliessungsgang des Serviectrakts, 2011»

Abb. 313 «LCD, «Via Cavalieri 6», in der Küche, 2011»

Abb. 314 «LCD, «Via Cavalieri 6», in der Küche, 2011» 305

Abb. 315 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Baueingabe, Grundriss Untergeschoss und Hochparterre, 1956

Abb. 316 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Baueingabe, Grundriss Eingangsgeschoss und 1. Obergeschoss, 1956

Abb. 317 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Baueingabe, Grundrisse 2. und 3. Obergeschoss, 1956 306

Abb. 318 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Baueingabe, Grundrisse 4. und 5. Obergeschoss, 1956

Abb. 319 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Baueingabe, Grundrisse 6. und 7. Obergeschoss, 1956

Abb. 320 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Baueingabe, Grundrisse 8. und 9. Obergeschoss, 1956 307

Abb. 321 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Baueingabe, Ansicht Nord-West, 1956

Abb. 322 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Baueingabe, Ansicht Süd-West, 1956

Abb. 323 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Baueingabe, Ansicht Nord-Ost, 1956 308

Abb. 324 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Baueingabe, Detail Fassade mit horizontal verlegten Fliesen, 1955

Abb. 325 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Fotographie nach Fertigstellung, 1960

Abb. 326 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Fotographie nach Fertigstellung, 1960 309

Abb. 327 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Aussenansicht, 2005

Abb. 328 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Fenster mit Schiebeläden, 2005

Abb. 329 LCD, «Ippolitio Nievo 28», Eingangshalle, 2005 310

Abb. 330 LCD «Suchende Linien», Skizzen Azucena, undatiert

Abb. 331 LCD «Suchende Linien», Skizzen Azucena, undatiert

Abb. 332 LCD, «Suchende Linien», Skizzen Azucena, undatiert 311

Abb. 333 LCD, «Suchende Linien», Skizzen Azucena, undatiert

Abb. 334 LCD, «Suchende Linien», Skizzen Azucena, undatiert

Abb. 335 LCD, «Suchende Linien», Skizzen Azucena, undatiert 312

Abb. 336 LCD, «Suchende Linien», Skizzen Azucena, undatiert

Abb. 337 LCD, «Suchende Linien», Skizzen Azucena, undatiert

Abb. 338 LCD, «Suchende Linien», Skizzen Azucena, undatiert 313

Abb. 339 LCD, «Suchende Linien», Skizzen Azucena, undatiert

Abb. 340 LCD, «Suchende Linien», Skizzen Azucena, undatiert 314 315

6.4. Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: APM: «Registro degli Studenti Iscritti alla Scuola Preparatoria e di Applicazione per gli Architetti Civili» Abb. 2: Il Collegio degli architetti e ingegneri, Politecnico di Milano, Mailand, 2004 Abb. 3–5: Casabella, Vol. 100, 1936 Abb. 6–7: TRN: VI_08_0542–0543 Abb. 8: Rassegna di Architettura, Vol. 7, 1939 Abb. 9–11: TRN: VII_20_1335–1338 Abb. 12: Domus, Vol. 155, 1940 Abb. 13: Scodeller, 2003 Abb. 14: Stile, Vol. 21, 1942 Abb. 15: Scodeller, 2003 Abb. 16: Domus, Vol. 147, 1940 Abb. 17–21: Domus, Vol. 150, 1940 Abb. 22: Stile, Vol. 3, 1941 Abb. 23–25: Stile. Vol. 2, 1941 Abb. 26: Leet, 1990 Abb. 27: Stile, Vol. 11, 1941 Abb. 28–33: Domus, 222, 1947 Abb. 34–36: TRN: VIII Triennale, Oggetti per la casa Abb. 37–39: TRN: 08_04_0236–0237, 0289 Abb. 40: De Finetti, 1969 Abb. 41–43: ASBAP: E/3/1104 Abb. 44–46: ASC: Piazza Sant'Ambrogio 16 Abb. 47–48: Zucchi / Cadeo / Lattuada, 1999 Abb. 49: ASC: Piazza Sant'Ambrogio 16 Abb. 50: EM Abb. 51–53: Michael Heinrich Abb. 54–63: ASC: Piazza Sant'Ambrogio 16 Abb. 64–67: Domus, Vol. 294, 1954 Abb. 68: Donghi, 1893 Abb. 69–74: APLCD Abb. 75: EM Abb. 76: Donghi, Manuale dell'Architetto. Unione Tipografico Editrice, Turin, 1893 Abb. 77–91: EM 316

Abb. 92–94: Spazio, Vol. 4, 1951 Abb. 95–97: TRN: 09_12_0683–0686 Abb. 98: Domus, Vol. 268, 1952 Abb. 99: Domus, Vol. 290, 1954 Abb. 100–101: Quaderni di Domus, Nr. 10, 1951 Abb. 102: Art d'aujourd'hui, Vol. 3, 1952 Abb. 103: Art d'aujourd'hui, Vol. 4–5, 1954 Abb. 104: www.robertalietti.com/works/manlio_rho/manlio_rho_composizione_1953.html Abb. 105–107: TRN: X_05_0246, 0259, 0253 Abb. 108: Cerritelli, 2003 Abb. 109: White, 2011 Abb. 110–111: Valenti, 2009 Abb. 112–113: Cerritelli, 2003 Abb. 114–116: Irace / Marini, 2002 Abb. 117–119: AFS Abb. 120–132: UAM: Corso Italia 20–26 Abb. 133: Bianchi,1994 Abb. 137–139: AFS Abb. 140–144: EM Abb. 145–155: CMI Abb. 156–159: Colori e forme nella casa d'oggi, 1957 Abb. 160–168: UAM: Via Vigoni 13 Abb. 169–171: Domus, Vol. 380, 1961 Abb. 172–181: CMI Abb. 182–184: ASCT: Piazza Carbonari 2 Abb. 185–202: ASC: Piazza Carbonari 2 Abb. 203–211: Familie Mondelli Abb. 212–220: Familienalbum Mondelli Abb. 221–238: EM Abb. 239–241: Vanetti, 2002 Abb. 242–243: UAM: Via Cappuccio 21 Abb. 244–246: Familie Zucchi Abb. 247–255: EM Abb. 256–258: UAM: Via Gesù 13 Abb. 259–267: EM 317

Abb. 268–276: UAM: Via Cavalieri del Santo Sepolcro 6 Abb. 277–278: APLCD Abb. 279–287: Cecilia Pirelli Abb. 288–314: EM Abb. 315–326: UAM: Ippolito Nievo 28 Abb. 327–329: EM Abb. 330–340: Archiv Azucena 318 319

6.5. Lebenslauf

2012– Ordentliche Professorin für «Entwerfen und Wohnungsbau» am Fachbereich Architektur der Technischen Universität Darmstadt, Deutschland

2010–2011 Lehrbeauftragte für Architekturtheorie, Fachbereich Bau und Gestaltung, Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur

2008–2011 Doktoratsstipendium gefördert durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF)

2008–2009 Fellow Researcher bei Prof. K. Michael Hays an der Graduate School of Design, Harvard University, Cambridge (USA)

2007 Beginn der Dissertation «Luigi Caccia Dominioni und die Erneuerung der bürgerlichen Wohnkultur in Mailand um 1950»

2004–2008 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Architekturtheorie bei Prof. Dr. Ákos Moravánszky, Institut gta, Departement Architektur, ETH Zürich

2004 Gründung des Architekturbüros Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten mit Ron Edelaar und Christian Mueller Inderbitzin in Zürich

1997–2003 Architekturstudium, ETH Zürich

1997 Matura Typus B (Grosses Latein), Kantonsschule Limmattal, Urdorf

1977 20. August, geboren in Teheran, Iran