EINFÜHRUNG IN DIE ISOTOPENGEOCHEMIE
basierend auf Vorlesungen am Mineralogisch-Petrographischen Institut der Universität zu Köln zwischen 1988 und 1994 überarbeitet und ergänzt ab Winter 1999
HEINZ-GÜNTER STOSCH Institut für Angewandte Geowissenschaften Karlsruher Institut für Technologie (KIT-Campus Süd)
U Lu
Al U Hf Rb La Re
K
Th
Mn U Th
Sm K Pt La Cr Hf
Ar He Sr PbCa Pb
Ce Th Ba
NdMg Os W
Os He
Manuskript bitte nur zum eigenen Gebrauch verwenden! – Alle Rechte vorenthalten.
Dieses Skript ist bei einer Serie von Vorlesungen im Fach Mineralogie entstanden. Daraus ergibt sich, daß es sich weitgehend mit der Isotopengeochemie von magmatischen Gesteinen, untergeordnet von Sedimenten und Metamorphiten beschäftigt. Große Teile der Anwendungen der stabilen Isotope in den Umweltwissenschaften, der Paläobiologie, der Klimatologie werden Sie da- gegen hier vergeblich suchen, und ich bitte um Nachsicht für dieses Versäumnis. Ich erhebe weder Anspruch auf Vollständigkeit noch Aktualität oder Richtigkeit. Meine beschränkte Zeit wird es mir nur hin und wieder gestatten, das Skript zu aktualisieren, und auch dies nur in jeweils kleinen Bereichen, da ich die Isotopengeochemie in Karlsruhe nicht in der Lehre vertrete. Wenn Sie sachliche Fehler oder auch Druckfehler und sprachliche Unzulänglichkeiten feststellen, oder falls Ihnen sonstige beklagenswerte Zustände aufstoßen, teilen Sie mir dies bitte mit! Dank an: die aktiveren der Hörer/innen der damaligen Vorlesungen, namentlich D. Bosbach, U. Fleischer und G. Lorenz sowie an Herrn Kollegen W. Heinrich/Potsdam für Lob, Tadel und Hinweise, welche letztlich den Ausschlag für die Überarbeitung im Winter 1999 gaben. Dank weiterhin an Z. Berner vom IMG/Karlsruhe für diverse Diskussionen. Besonderer Dank gebührt Herrn R.L. Romer/Potsdam für Hinweise auf Fehler und für seine zahlreichen Verbesserungsvorschläge.
letztmals geändert am 12.12.2013
Inhaltsverzeichnis
Seite Bücher zur Isotopengeochemie ...... 1 Einführung ...... 3 Einleitung ...... 3 Geschichtliches ...... 4 Radioaktives Zerfallsgesetz ...... 5 Der Ursprung der Elemente ...... 9 Massenspektrometrie ...... 24 Isotopenverdünnungsanalyse ...... 29 Datierungsmethoden – allgemeine Bemerkungen ...... 32 Das K–Ar-Zerfallssystem (K–Ar- und Ar–Ar-Methoden) ...... 33 Die K–Ar-Methode ...... 34 Die 40Ar/39Ar-Methode ...... 39 Das Rb–Sr-Isotopensystem ...... 44 Das Rb–Sr-System als Mittel der Altersbestimmung ...... 45 Das Rb–Sr-System als Tracer ...... 51 Die Sr-Isotopenentwicklung der Meteorite und des Erdmantels ...... 51 Die Sr-Isotopenentwicklung der Ozeane...... 53 Das Sm–Nd-System ...... 55 Allgemeines ...... 55 Sm–Nd – Anwendung zur Datierung ...... 60 Nd-Isotope als Tracer und die Korrelation zwischen Sr- und Nd-Isotopen ...... 63 Modellalter...... 64 Zweikomponentenmischungen...... 69 Die Massenfraktionierung ...... 77 Das Lu–Hf-Isotopensystem ...... 85 Die Hf-Isotopensignatur des subozeanischen oberen Erdmantels ...... 90 Die Hf-Isotopenentwicklung der Erde ...... 91 Hinweise von den Hf-Isotopen auf das Ausmaß des globalen Recycling ...... 92 Das La–Ce-System ...... 95 Das K–Ca-System ...... 97 Die Re–Os-Methode ...... 99 Die U,Th–Pb-Methoden...... 109 Die U–Pb- und Th–Pb-Isochronenmethoden ...... 112 Konkordia und Diskordia ...... 114 Die Pb–Pb-Methoden („gewöhnliches Blei“ oder „common lead“) ...... 125 Die Fission-Track-Methode ...... 139 Die Ungleichgewichtsmethoden ...... 147 Geschichtliche Anmerkungen ...... 149 Die 210Pb-Überschußmethode ...... 150 Die Ionium-Überschußmethode ...... 151 Die 234U-Überschußmethode...... 154 Die 230Th/234U- und 234U/238U-Methoden ...... 156 238U–230Th-Ungleichgewichte in Vulkaniten ...... 161 Kosmogene Radionuklide ...... 167 Die 14C-Methode ...... 168 Das 10Be ...... 171 Kosmogene Radionuklide in der Kosmochemie ...... 180 Die Beschleuniger-Massenspektrometrie ...... 185
I Inhaltsverzeichnis
Seite Edelgase und ausgestorbene Radionuklide...... 186 3He/4He ...... 186 Xenon ...... 195 182Hf-182W-Chronometer ...... 199 146Sm–142Nd-Chronometer ...... 206 Stabile Isotope • Allgemeines...... 214 Wasserstoff und Sauerstoff...... 225 Sauerstoff und Wasserstoff in Hydro- und Atmosphäre ...... 226 Sauerstoff und Wasserstoff in der Lithosphäre ...... 234 Kohlenstoff ...... 252 Stickstoff ...... 258 Schwefel ...... 260 Calcium ...... 267 Eisen und andere schwere Elemente ...... 269 Literaturzitate ...... 275
II Einführung in die Isotopengeochemie
1.0 Bücher zur Isotopengeochemie
C. J. Allègre (2008) Isotope Geology Cambridge University Press, Cambridge, 512 Seiten, 42 € [recht gut lesbares umfassendes Lehrbuch von einem der derzeit bedeutendsten Isotopengeochemiker; das Buch hätte ein besseres Lektorat verdient] A. Basu & S. Hart [Herausgeber] (1996) Earth Processes – Reading the Isotopic Clock Geophysical Monograph 95, American Geophysical Union, Washington, 437 Seiten, 65 US-$ [zusammenhanglose Einzelartikel von Fachautoren, von Prozessen in der frühe- sten Zeit der Erde bis hin zur industriellen Pb-Verschmutzung reichend] R. Bourdon, G.M. Henderson, C.C. Lundstrom S.P. & Turner [Herausgeber] (2003) Uranium-Series Geochemistry Reviews in Mineralogy & Geochemistry 52, Geochemical Society; Mineralogical Society of America, Washington, 656 Seiten [Abhandlung der Ungleichgewichtsmethoden in Einzeldarstellungen] D.J. DePaolo (1988) Nd Isotope Geochemistry Springer-Verlag, Berlin, 187 Seiten, vergriffen [spezielle Abhandlung eines des Sm–Nd-Isotopensystems] A.P. Dickin (1997) Radiogenic Isotope Geology Cambridge University Press, Cambridge, 490 Seiten, Paperback-Ausgabe ca. 35 £ [für die radiogenen Isotope ähnlich umfassend wie das „klassische“ Buch von Fau- re, aber im Gegensatz zu jenem stärker auf die Traceranwendungen in Petrologie/ Geochemie und Kosmochemie ausgerichtet] T. J. Dunai (2010) Cosmogenic Nuclides Cambridge University Press, Cambridge, 198 Seiten, ca. 35 £ [umfassende Darstellung eines Teilgebietes der Isotopengeochemie] G. Faure (1986) Principles of Isotope Geology 2nd Edition, John Wiley & Sons, New York, 608 Seiten, ca. 95 US-$ [umfassende Übersicht über radiogene und stabile Isotope] G. Faure, G (2001) Origin of Igneous Rocks: The Isotopic Evidence Springer Verlag, New York, 512 Seiten, 80 € [Darstellung der Entstehung von Magmatiten aus dem Blickwinkel der Isotopen- geochemie, geordnet nach geotektonischer Stellung, mit vielen Einzelbeispielen] L. Heaman & J.N. Ludden [Herausgeber] (1991) Applications of Radiogenic Isotope Systems to Problems in Geology Mineral. Assoc. Canada, Short Course Handbook 19, 25Can.$ [Spezielle Darstellung verschiedener Aspekte der Isotopengeochemie in Einzeldar- stellungen]
1 Bücher zur Isotopengeochemie
J. Hoefs (2004) Stable Isotope Geochemistry 5th revised and updated Edition, Springer-Verlag, Heidelberg, 244 Seiten, 64.15 € [umfassende Darstellung der Geochemie stabiler Isotope] C.M. Johnson, B.L. Beard & F. Albarède [Herausgeber] (2004) Geochemistry of Non- Traditional Stable Isotopes Reviews in Mineralogy & Geochemistry 55, Mineralogical Society of America; Geo- chemical Society, Washington, 454 Seiten [Geochemie der stabilen Isotope, vor allen Dingen der schwereren Elemente] T.K. Kyser [Herausgeber] (1987): Short Course in Stable Isotope Geochemistry of low tempera- ture fluids Mineralogical Association of Canada (Short Course Vol. 13), (452 Seiten) [sehr spezielles Werk mit Einzelkapiteln von Fachautoren] D. Porcelli, C.J. Ballentine & R. Wieler [Herausgeber] (2002) Noble Gases in Geochemistr y and Cosmochemistry Reviews in Mineralogy & Geochemistry 47, Geochemical Society; Mineralogical Society of America, Washington, 844 Seiten [Edelgase und ihre Isotopenzusammensetzung in Materialien der Erde, der Meteo- rite und anderer Körper des Sonnensystems] P. W. Reiners & T. A. Ehlers [Herausgeber] (2005) Low-Temperature Thermochronology, Reviews in Mineralogy and Geochemistry 58, Mineralogical Society of America & Geochemical Society, Washington, 622 Seiten [Beschreibung von Methoden wie Spaltspuren, (U–Th)/He, Ar–Ar in Einzeldarstel- lungen] Z. Sharp (2007) Stable Isotope Geochemistry Pearson Prentice Hall, Upper Saddle River, NJ, 344 Seiten [Das Buch beschränkt sich auf die „alten“ stabilen Isotope H, C, N, O und S; beson- ders umfassend sind Sedimente und Tieftemperaturprozesse behandelt] I. Tolstikhin & J. Kramers (2008) The Evolution of Matter – From the Big Bang to the Present Day Cambridge University Press, Cambridge, 532 Seiten, ca. 55 € [Der Untertitel sagt alles: Ein Parforceritt von der Entstehung des Universums bis zur Erde heute] J.W. Valley & D.R. Cole [Herausgeber] (2001) Stable Isotope Geochemistry Reviews in Mineralogy 43, Mineralogical Society of America, 662 Seiten, 32 US-$ [Geochemie stabiler Isotope in Einzeldarstellungen, von der Petrologie bis zur or- ganischen Geochemie reichend] J.W. Valley, H.P. Taylor Jr. & D.R. Cole [Herausgeber] (1986) Stable Isotopes in High Tempe- rature Geological Processes Reviews in Mineralogy 16, Mineralogical Society of America, 570 Seiten, 24 US-$ [umfassende, aber sehr spezielle Übersicht über die Fraktionierung stabiler Isotope bei magmatischen und metamorphen Prozessen] G.A. Wagner & P. Van den Haute (1992) Fission-Track Dating Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart, 285 Seiten, ca. 150DM [umfassende Darstellung der Spaltspurenmethode]
2 A. Radiogene Isotopensysteme
2.0 Einführung
2.1 Einleitung Jeder Atomkern eines chemischen Elementes hat die gleiche Ordnungszahl Z – bedingt durch die Zahl der Protonen. Verschiedene Kernarten desselben Elementes unterscheiden sich in der Anzahl der Neutronen N und damit in der Massenzahl A = Z + N. Solche ver- schiedenen Kerne eines Elementes bezeichnet man als Isotope. Kernarten ohne Beziehung zu einem Element werden Nuklide genannt, von denen 264 stabil sind. Isobare sind Nuklide mit identischer Massenzahl und gehören damit also verschiedenen Elementen an. Unter den Elementen gibt es 20, die nur aus einem einzigen stabilen Isotop zusammenge- setzt sind, die sogenannten Reinelemente [Be, F, Na, Al, P, Sc, Mn, Co, As, Y, Nb, Rh, I, Cs, Pr, Tb, Ho, Tm, Au, Bi]. Alle übrigen stabilen Elemente sind aus mindestens 2 in der Natur vorkommenden Isotopen aufgebaut, den Rekord hält Sn mit 10 stabilen Isotopen. In der Isotopengeochemie betrachtet und mißt man natürliche Variationen in der Isotopen- zusammensetzung einiger Elemente und versucht, daraus Schlüsse abzuleiten. Die Rein- elemente können daher nicht Gegenstand der Untersuchung sein. Isotopenvariationen können auf zweierlei Weise zustande kommen: a) durch Fraktionierung bei physikalisch-chemischen oder biochemischen Prozessen. Große Effekte zeigen dabei vor allem die leichteren und flüchtigen Elemente H, C, N, O, S, Se, Li, B, Mg, Si und auch Ca, dessen zwei häufigste Isotope mit 40 und 44 einen sehr gro- ßen Massenunterschied aufweisen). Wasserstoff z.B. besteht aus den stabilen Isotopen 1H 2 16 17 18 und H (D), Sauerstoff aus O, O und O. Bei der Verdampfung von H2O gehen die leich- ten Isotope beider Elemente etwas bevorzugt in die Gasphase (Atmosphäre). Bei der Photo- synthese nehmen die grünen Pflanzen das leichtest flüchtige der Kohlenstoffisotope, 12C,
bevorzugt aus dem Luft-CO2 auf. Fortschritte in der Meßtechnik führen dazu, daß bei immer mehr Elementen natürliche Isotopenvariationen gefunden werden, z.B. auch bei Fe. Beschreibung und Anwendung dieser Effekte ist der Gegenstand der Geochemie stabiler Isotope. b) Bei einigen der Elemente, die aus mehr als einem natürlich vorkommenden Isotop bestehen, unterliegt eines der Isotope dem radioaktiven Zerfall direkt oder über eine Kette von instabilen Produkten in einen anderen stabilen Kern, bei dem es sich immer um ein Isotop eines anderen Elementes handelt. In der Nuklearchemie bezeichnet man das radio- aktive Ausgangsnuklid meist als Mutternuklid (kurz „Mutter“), das Zerfallsprodukt als Tochternuklid (kurz „Tochter“). Betroffen von diesem Zerfallsprozeß sind also immer min- destens 2 Elemente. Beim α-Zerfall wird ein He-Kern emittiert; dadurch sinkt die Massen- zahl um 4 Einheiten, die Zahl der Protonen um 2. Beim β–-Zerfall zerfällt ein Neutron im Atomkern in ein Proton, ein Elektron und ein Antineutrino; die Massenzahl ändert sich dabei nicht, die Ordnungszahl erhöht sich um 1. Beim β+-Zerfall wandelt sich ein Proton unter Emission eines Positrons und eines Neutrinos in ein Neutron um; es entsteht also ein Element mit einer um 1 verringerten Ordnungszahl. Beim K-Einfang wird ein Elektron aus der K-Schale durch den Kern eingefangen; durch seine Reaktion mit einem Proton werden ein Neutron und ein Neutrino gebildet, und die Ordnungszahl sinkt um 1. Bei der Spontanspaltung schließlich zerfällt ein schwerer Kern in zwei ungleich große Bruchstücke unter Emission einiger Neutronen. Da magmatische, metamorphe und selbst sedimentäre Vorgänge immer auch eine chemische Fraktionierung zur Folge haben, findet man in der Natur eine mehr oder weniger große Variation der Verhältnisse des Tochterelementes zum Mutterelement einer radioaktiven Zerfallskette. Das wiederum führt über geologische Zeit-
3 Einführung
räume zu einer meßbaren Variation in der Isotopenzusammensetzung des Tochterelemen- tes. Diese Effekte sind Untersuchungsgegenstand der Geochemie radiogener Isotope. Iso- topenverhältnisse dienen einerseits zur Altersbestimmung, andererseits als Tracer zur Aufklärung petrogenetischer Prozesse.
Isotope Ausschnitt aus der 21.90 α-aktive Nuklide 160 Nuklidkarte 159 100 + - β β 158 24.87 Tb Die Zahlen in den Boxen geben die 138Ba ← 138La → 138Ce 157 15.68 158.92 prozentuale Häufigkeit des Isotops an 156 20.47 der Zusammensetzung des jeweiligen Elementes an. Die Zahlen auf der linken 155 14.73 Seite neben den Boxen stellen die 154 22.71 2.15 Massenzahlen dar. Die Zahlen unter 153 52.18 den Elementsymbolen stehen für das 152 26.72 0.200 Molekulargewicht des Elementes. 151 47.82 Gd 150 5.62 7.44 Eu 157.25 149 13.83 151.96 148 5.73 11.24 Isobare 147 14.97 146 17.22 Pm 145 11.30
144 23.85 3.09 Isotope 143 12.17 Sm 142 11.07 27.11 150.35 141 100 Nd 140 88.48 Pr 144.24 139 99.91 140.91 Massenzahl 138 71.66 0.089 0.250 Isobare 137 11.32 Protonenzahl 136 7.81 La 0.193 138.91 - 135 6.59 Ce β -Zerfall 134 2.42 140.12 β+-Zerfall, K-Einfang Ba α-Zerfall 137.34
ABBILDUNG 1 Ausschnitt aus der Nuklidkarte 2.2 Geschichtliches Im Jahr 1896 berichtete der Franzose Henri Becquerel* der Akademie der Wissenschaften zu Paris über seine Versuche mit U-Salzen, von denen er fand, daß sie eine Strahlung aus- senden, die Gase beim Durchtritt ionisiert – genauso wie die kurz zuvor entdeckten Rönt- genstrahlen. Davon inspiriert, begannen unmittelbar darauf Marie Curie und ihr Ehemann Pierre† auch andere Elemente und ihre Salze auf mögliche Eigenstrahlung zu untersuchen. Marie Curies Bemühungen führten zu der Entdeckung, daß auch Th eine durchdringende
* 1852–1908; Nobelpreis für Physik 1903 (eine Hälfte); die andere Hälfte ging an Pierre und Marie Curie.
4 A. Radiogene Isotopensysteme
Strahlung aussendet. Außerdem beobachtete sie, daß die natürlich vorkommenden Mine- rale und Erze von U und Th eine noch wesentlich stärkere Strahlung aussenden. Bei der Aufarbeitung von Pechblenden aus den Vorkommen von Joachimsthal im Erzgebirge gelang es den Curies, zwei neue stark strahlende Elemente zu isolieren, die sie Radium und Polonium nannten. Für die Entdeckung der Radioaktivität durften sich die Curies mit Bec- querel den Physik-Nobelpreis des Jahres 1903 teilen. 1899 gelang es Ernest Rutherford*, die radioaktive Strahlung in drei Komponenten aufzu- schlüsseln, die er Alpha, Beta und Gamma nannte. Die α-Strahlen ließen sich schon dur ch ein Blatt Papier absorbieren, die β-Strahlen durch eine dünne Metallfolie, die γ-Kompo- nente dagegen nur durch dicke Platten von Schwermetallen. Später wurde erkannt, daß die α-Strahlen aus He-Kernen bestehen, die β-Strahlen Elektronen sind und nur die γ-Kompo- nente elektromagnetische Strahlung ist, welche die Eigenschaft der Röntgenstrahlen auf- weist, fast immer aber wesentlich energiereicher ist. Rutherford war es auch, der mit seinen berühmten Streuexperimenten von α-Partikeln an Metallfolien Anfang des 20. Jahrhun- derts nachwies, daß die Atome einen sehr kleinen positiv geladenen Kern haben und von einer Hülle von negativ geladenen Elektronen umgeben sind. 2.3 Radioaktives Zerfallsgesetz Grundlage der Geochemie radiogener Isotope ist das radioaktive Zerfallsgesetz, das 1903 von Frederick Soddy† und Rutherford aufgestellt wurde. Die beiden schlugen vor, daß die Atome eines radioaktiven Kerns spontan unter Aussendung von Strahlung zerfallen. Nach ihrer Vorstellung ist der Zerfall begleitet von der Aussendung von α- und β-Partikeln, und die Intensität der Strahlung ist proportional zur Anzahl der vorhandenen radioaktiven Atome. Das faßten sie mathematisch in die Gleichung:
−dN/dt = λN [GL 1] Darin ist N die Zahl der radioaktiven Atome und λ die sogenannte Zerfallskonstante, wel- che die Wahrscheinlichkeit beschreibt, daß ein Atom pro Zeiteinheit zerfällt‡. Diese Glei- chung läßt sich umformen und integrieren zu:
dN −=∫ λ∫ dt [GL 2] N
oder −ln N = λt + C [GL 3] Die Integrationskonstante C läßt sich aus der trivialen Bedingung bestimmen, daß zur Zeit t = 0 eine ursprüngliche Zahl von radioaktiven Atomen No vorgelegen haben muß, d.h. − C = ln No [GL 4] Dies, in GL 3 eingesetzt, ergibt:
† Pierre Curie (1859–1906), französischer Physiker, und Marie Curie (1867–1934), polnisch–französi- sche Chemikerin und Physikerin; für die Entdeckung von Radium und Polonium erhielt M. Curie einen zweiten Nobelpreis (in Chemie) im Jahr 1911. * neuseeländisch–englischer Physiker (1871–1937), der „Vater der Kernphysik“, 1908 Nobelpreis für Chemie. Rutherford entwickelte ein einfaches Atommodell, das später von Niels Bohr wesentlich verbessert wurde. † englischer Physiker (1877–1956), Nobelpreis für Chemie 1921; Soddy formulierte um 1913 das Kon- zept der Isotope und zeigte, daß beim α-Zerfall ein Element mit einer um 2 verminderten Kern- ladungszahl entsteht. ‡ Bei den extremen Temperaturen im Innern größerer Sterne (ab dem He-Brennen, einige 100 Millio- nen Kelvin) kann die für uns normale Zerfallskonstante bei einigen β–-Strahlern sehr viel größer werden, z.B. um den Faktor 1010 für 176Lu[1],[2].
5 Einführung
− λ − ln N = t ln No [GL 5] − −λ ln N ln No = t −λ ln(N/No) = t −λt N/No = e
× −λt bzw. N = No e [GL 6]
In dieser Zerfallsgleichung stehen 2 Unbekannte, nämlich No und t. Man kann No jedoch eliminieren, wenn man die Anzahl der durch den Zerfallsprozeß entstehenden Tochter- nuklide D berücksichtigt, da
No = N + D [GL 7] ist. In GL 6 eingesetzt, ergibt sich damit: N = (N + D) × e−λt N × eλt = N + D
λ D = N × (e t − 1) [GL 8] Hierin ist N die Anzahl der Atome des radioaktiven Mutternuklids, die nach einer beliebi-
gen Zeit t von einer ursprünglich vorhandenen Anzahl No noch übrig geblieben ist. Das ist die grundlegende Gleichung, um Altersbestimmungen durchführen zu können, denn – zumindest prinzipiell – sind sowohl die Zahl der Tochternuklide als auch die Zahl der noch nicht zerfallenen radioaktiven Mutternuklide bestimmbar. Voraussetzung ist jedoch einer- seits, daß sich der Zerfall in einem geschlossenen System vollzieht, d.h. die gesamte Menge von Mutter- und Tochternuklid bleibt im betrachteten Gestein oder Mineral seit ihrer Bil- dung eingeschlossen. Die zweite Voraussetzung ist, daß λ für jedes radioaktive Nuklid eine Naturkonstante ist. Nach allem, was man weiß, ist das tatsächlich der Fall. Lediglich die Zerfallskonstante des K-Einfangs läßt sich in Einzelfällen geringfügig durch extreme Drücke erhöhen. Das mag nach einer Theorie von M. Dirac auch für die anderen Zerfalls- prozesse im Innern von Sternen gelten. Datierungen an Meteoriten mit verschiedenen Methoden (U–Pb, Sm–Nd, Rb–Sr, Lu–Hf) haben für das Alter unseres Sonnensystems aber Werte von 4.55 Ga ergeben und legen damit die Konstanz von λ nahe. Anstatt mit der Zerfallskonstanten λ rechnet man in der Isotopengeochemie häufig mit der Halbwertszeit T. Das ist die Zeit, nach welcher von einer ursprünglich vorhandenen Zahl
von radioaktiven Nukliden No genau die Hälfte zerfallen ist, also 1 N = /2 No 1 × −λT /2 No = No e 1 −λ ln( /2) = T ln 2 =λT
T = ln 2/λ [GL 9] So sind z.B. über den Verlauf der Erdgeschichte (ca. 4.55 Ga) bis heute rund die Hälfte der ursprünglich vorhandenen 238U-Atome (Halbwertszeit ca. 1 Erdalter), aber fast 99% der 235U-Atome (Halbwertszeit ca. 700Ma) zerfallen (siehe Abbildung 2). Die mittlere Lebensdauer τ ist die Zeit, nach der die Anzahl an radioaktiven Nukliden von
No auf N = 1/e abgefallen ist. Nachdem um die 1900 das Phänomen der Radioaktivität bekannt war, erkannte man auch rasch die potentielle Bedeutung für die Geologie, insbesondere die Frage nach dem Alter der Erde. Der bekannteste Physiker Englands im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, Wil- liam Thomson* – besser bekannt unter dem Namen (ab 1866) Lord Kelvin, berechnete die
6 A. Radiogene Isotopensysteme
Abkühlungsgeschwindigkeit der Erde unter der Voraussetzung, sie sei einmal geschmolzen gewesen. In einem berühmten Vortrag 1897 setzte Lord Kelvin das Alter der Erde mit zwi- schen 20 und 40 Ma an – eine Ansicht, die wegen seiner großen Autorität einen erhebli- chen Einfluß auf das Denken der damaligen Zeit ausübte. Einer Reihe von Geologen war dabei jedoch unwohl, da aus der Stratigraphie unter Anwendung des aktualistischen Prin- zips – Konstanz der Sedimentationsraten durch die geologische Geschichte hindurch – ein wesentlich höheres Alter seit dem Beginn des Kambriums abgeschätzt worden war. Mit Entdeckung der natürlichen Radioaktivität erkannten Physiker und Chemiker rasch, daß der radioaktive Zerfall ein exothermer Prozeß ist. 1904 war es Rutherford klar, daß der radioaktive Zerfall eine große Rolle für die Wärmeproduktion der Erde spielte und daß damit die Erde auf eine weit längere Abkühlungsgeschichte zurückblicken könnte als von Lord Kelvin berechnet. Darüber hinaus wurde Rutherford auch rasch klar, daß der radio- aktive Zerfall des Urans die Möglichkeit bietet, U-Minerale zu datieren. Er versuchte das, indem er die Menge an He maß, die in U-Minerale eingeschlossen ist.
1.0 Relative Abnahme der beiden 0.9 U-Isotope 238U und 235U über den Verlauf der Erdgeschichte 0.8 t i 0.7 238
e U k g
fi 0.6 u
Hä 0.5 e iv 0.4
relat 238U ca. 1 Halbwertszeit, 0.3 235 U 235U ca. 6.5 Halbwertszeiten 0.2
0.1
0.0 4.55 4.0 3.5 3.0 2.5 2.0 1.5 1.0 0.5 0 [heute] Zeit [Ga]
ABBILDUNG 2 Der Zerfall der beiden U-Isotope über den Verlauf der Erdgeschichte Zur selben Zeit (um 1904) fand ein mit Rutherford kooperierender Amerikaner namens Bertram Borden Boltwood*, daß das U/Ra-Verhältnis in den meisten U-Mineralen konstant ist, und er vermutete außerdem, daß Pb das stabile Endprodukt des U-Zerfalls ist. Aus dem U/Pb-Verhältnis von Uraniniten berechnete er dann deren Alter – in der Rückschau betrachtet sogar relativ exakt. Seine und Rutherfords Ergebnisse erhöhten das Alter der 1 Erde gleich auf rund /2 Milliarde Jahre. Einschränkend muß man aber ergänzend anfüh-
* 1824–1907, vielseitiger Physiker, der sich mit Problemen der Elektrizität, Hydro- und Thermodyna- mik befaßte. Für seine Verdienste um die Theorie und Praxis der elektrischen Signalübertragung, die Anwendung bei der Verlegung und Nutzung der transatlantischen Kabel zwischen Europa und Nordamerika fand, wurde W. Thomson zum Baron Kelvin of Largs geadelt (Kelvin ist der Name eines kleinen Flusses der durch den Campus der Glasgow University fließt, an der Thomson gearbeitet hat). Die absolute Temperaturskala ist nach Lord Kelvin benannt. * 1870–1927, Professor für Radiochemie an der Yale University (1910–1927). Boltwood entdeckte das Ionium (230Th) in der Zerfallskette von 238U, hielt es aber für ein neues Element.
7 Einführung
TABELLE 1: (wichtige) Methoden der Geo- und Kosmochronologie Isotopensystem Zerfall Zerfallsarta Zerfallskonstante Halbwertszeit 40 40 –10 -1 9 K–Ar K → Ar [ε] λε = 0.581×10 a T = 1.25 × 10 a [von Weizsäcker 1937, Aldrich & Nier 1948] Ar–Ar 40K → 40Ar [Merrihue & Turner 1966] Rb–Sr 87Rb → 87Sr [β–] λ = 1.42×10-11 a-1 oder T = 48.8×109 a λ = 1.393×10-11 a-1 [Hahn & Welling 1938, Hahn et al. 1943] Sm–Nd 147Sm → 143Nd [α] λ = 6.54×10-12 a-1 T = 106×109 a [Lugmair 1974] 138 138 – -12 -1 9 La–Ce La → Ce [β ] λβ ≈ 2.58×10 a T ≈ 97 10 a [Tanaka & Masuda 1982] Lu–Hf 176Lu → 176Hf [β–] λ = 1.865×10-11 a-1 T = 37.2×109 a [Herr et al. 1958, Patchett et al. 1980] Re–Os 187Re → 187Os [β–] λ = 1.666 ×10-11 a-1 T = 41.6×109 a [Herr et al. 1961, Luck & Allègre 1983] Pt–Os 190Pt → 186Os [α] λ = 1.542 ×10-12 a-1 T = 449×109 a [Walker et al. 1991] 40 40 – -10 -1 9 K–Ca K → Ca [β ] λβ = 4.962×10 a T = 1.25×10 a [Ahrens 1950, Marshall & DePaolo 1982] 238 206 – -10 -1 9 U–Pb U → Pb [8α,6β ] λα = 1.5512×10 a T = 4.468×10 a 235 207 – -10 -1 9 U → Pb [7α,4β ] λα = 9.848×10 a T = 0.7038×10 a 232 208 – -11 -1 9 Th–Pb Th → Pb [6α,4β ] λα = 4.9475×10 a T = 14.01×10 a Pb–Pb [207Pb/204Pb–206Pb/204Pb, 208Pb/ 204Pb–206Pb/204Pb] [Holmes 1946, Houtermans 1946] λ × -17 -1 Spaltspurenmethode (Fis- nutzt die Störungen aus, die in Kri- f = 8.46 10 a sion Tracks) stallen durch die Spontanspaltung von 238U erzeugt werden [Price & Walker 1962] 230 238 λ × -6 -1 × 3 U-Ungleichgewichtsme- Th – U 230 = 9.217 10 a T = 75.2 10 a thoden, anwendbar über die letzten ca. 3×105 a, auch wenn es durch einen Prozeß zur Trennung von 238U und seinen Folge- produkten, z.B. 230Th, kam [Picciotto & Wilgain 1954] kosmogene/ausgestorbene Radionuklide, produziert durch Wechselwirkung (Spallationsprozesse) der kosmischen Strahlung mit Materie (Atmosphäre der Erde, Oberfläche von Himmelskörpern ohne nennenswerte Atmosphäre, z.B. Mond) und/oder nur vorhanden im frühen Sonnensystem: 14 14 1 14 1 -4 -1 3 C [Libby 1946] N + n → C + H λ = 1.209×10 a T = 5.73×10 a 10Be λ = 0.500×10-6 a-1 T = 1.387×106 a 26Al 26Al → 26Mg [β+] λ = 0.968×10-6 a-1 T = 0.716×106 a 36Cl λ = 2.25×10-6 a-1 T = 0.308×106 a 53Mn 53Mn → 53Cr [ε] λ = 1.87×10-7 a-1 T = 3.7×106 a 92Nb 92Nb → 92Zr [ε] λ = 1.93×10-8 a-1 T = 3.6×107 a 107Pd 107Pd → 107Ag [β–] λ = 1.07×10-7 a-1 T = 6.5×106 a 146Sm 146Sm → 142Nd [α] λ = 1.02×10-8 a-1 T = 68×106 a 182Hf 182Hf → 182W [β–, β–] λ = 7.7×10-8 a-1 T = 9×106 a
a. α, β, ε = Zerfall durch α- oder β–-, β+-Strahlung bzw. Elektroneneinfang
ren, daß er auch mit Kenntnis des radioaktiven Zerfalls nicht zu einem auch nur annä- hernd richtigen Alter der Erde gekommen wäre, da er zu seiner Zeit keine Kenntnis vom
8 A. Radiogene Isotopensysteme
Mechanismus des Wärmetransports in der Erde haben konnte[3]. Die frühen Datierungsme- thoden, also die U,Th–He-Methode ist zwar zwischenzeitlich als unzulänglich betrachtet worden, weil man glaubte, daß Minerale das entstandene He diffusiv abgäben; inzwischen weiß man aber diese Methode in der „Thermochronologie“ einzusetzen, um – ähnlich wie mit der Spaltspurenmethode – die Abkühlungsgeschichte von Plutoniten und Metamor- phiten oder die Erosionsgeschichte von Gebirgen abzuleiten, denn wenn die Temperaturen genügend niedrig sind, verhalten sich die Minerale auch gegenüber He wie geschlossene Systeme[4]. In der Folgezeit bis heute sind zahlreiche Methoden der Geochronologie ent- wickelt worden, die sich von Fall zu Fall einsetzen lassen und z.T. sehr zuverläßlich sind. Die wichtigeren Methoden sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Es gibt noch einige andere Methoden, die in der Geologie oder Archäologie gelegentlich Anwendung zur Altersbestimmung finden wie Thermolumineszenz, Dendrochronologie oder Warwenchronologie; sie können jedoch nicht Gegenstand einer Abhandlung über Isotopengeologie sein. Unmittelbar einsichtig ist sicherlich, daß zum einen das Alter, zum anderen die Zusammensetzung einer Probe bestimmt, welche der aufgeführten Methoden prinzipiell geeignet sind, um eine gestellte Aufgabe zu lösen. 2.4 Der Ursprung der Elemente Die Elemente des Sonnensystems stammen im wesentlichen aus zwei Quellen*: • der primordialen Nukleosynthese in den ersten Minuten des Universums, • der Nukleosynthese in Sternen Das Alter des Universums wird nach den Daten der Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP) mit 13.7±1% Ga angesetzt[5],[6]. Nach dem Standardmodell war die Temperatur nach ≈3 Minuten nach dem kosmologischen Beginn, dem Urknall (Big Bang), soweit gefal- len, daß Protonen und ein geringer Anteil an Neutronen vorlagen; oberhalb von 109K wur- den Fusionsreaktionen zwischen den einfachsten Kernbausteinen möglich, z.B. p + p → D + e+ + ν; p + n → D + γ D + D → 3He + n n + D → T + γ n + 3He → 4He + γ (p = Proton, n = Neutron, e+ = Positron, ν = Neutrino, D = Deuterium, T = Tritium). Dane- ben entstand wahrscheinlich ein Teil des 7Li. Die häufigsten Kerne waren 1H (= p) und 4 He. Da es keine stabilen Nuklide mit den Massenzahlen 5 und 8 gibt, wurden Elemente mit Massenzahlen >7 durch Reaktion zwischen den beiden häufigsten Nukliden nicht gebildet. Am Ende der primordialen Nukleosynthese – ≈103s nach dem Urknall – soll die Materie des Universums zu etwa 76% aus Wasserstoff und 24% aus Helium und Spuren von Li bestan- den haben. Die Zusammensetzung des Universums erscheint überraschend, nämlich nur zu ca. 4% insgesamt aus Materie zusammengesetzt, die wir kennen. 23% ist der Anteil „dunkler Materie“ (die mit der bekannten Materie kaum oder nicht wechselwirkt) und der große Rest von 73% soll aus „dunkler Energie“ bestehen, deren Wesen unbekannt ist, der Schwerkraft entgegenwirkt und für eine Beschleunigung der Expansion des Universums verantwortlich gemacht wird[5].
* Ein lesenswertes populärwissenschaftliches Buch zu diesem Thema unter Betonung des histori- schen Aspektes ist: M. Chown (2002) Die Suche nach dem Ursprung der Atome, Deutscher Taschen- buch Verlag, München, 315 Seiten, 16 €
9 Einführung
380000a nach dem Urknall soll die Tempe- ratur des Universums auf unter 3000K gefallen sein; Elektronen und Atomkerne von H und He kombinierten zu neutralen Atomen. Strahlung konnte nicht mehr mit freien Elektronen wechselwirken, sondern sich frei fortpflanzen; das Universum wurde „durchsichtig“. Diese kosmische Hintergrundstrahlung wurde durch Deh- nung der Raumzeit zunehmend langwelli- ger und läßt sich heute im Mikrowellenbe- reich nachweisen; sie entspricht der Strahlung eines schwarzen Hohlraum- strahlers von (heute) 2.73K. Das „dunkle kosmische Zeitalter“ war mit der Bildung der ersten Sterne 200–300 Ma nach dem Urknall vorüber[6],[7]. Für die Bildung der Elemente schwerer als ABBILDUNG 3 Sternbildung im Nebel NGC He im Universum (mit Ausnahme von Li, 1748 in der Großen Magellanschen Wolke. Der Be und B) ist die stellare Nukleosynthese hellste (und heißeste) Stern hat eine Masse von verantwortlich. Die Lebensdauer von Ster- ca. 45 M . Der eher bescheiden aussehende nen hängt direkt von ihrer Masse ab: Je Stern exakt im Zentrum hat ca. 30 M und ist massereicher der Stern, desto rascher ver- fast 200000-mal heller als die Sonne. Sein hefti- braucht er seinen Vorrat an Brennstoff. ger Sternenwind hat bereits einen erheblichen Am Ende der Lebensdauer von Sternen Teil des Gase der Umgebung fortgeblasen und oberhalb von etwa 0.8 M (M = Masse ein „Loch“ von ca. 25 Lichtjahren Durchmesser unserer Sonne) steht ein Abwerfen der geschaffen. Aufnahme des Hubble Space Tele- Gase der Hülle; dadurch gelangen auch scope (http://oposite.stsci.edu/) schwerere Elemente in den interstellaren Raum und können als Saatmaterial für zukünftige Sterngenerationen dienen. Die erste Sterngeneration verfügte nur über H und He als Startmaterial; jüngere Sterne dagegen ent- halten zunehmend mehr Anteile an schwereren Elementen bei ihrer Bildung. Sterne entstehen durch lokale Kontraktion besonders kalter Bereiche (<10K) von Molekül- wolken (Abbildung 3), wobei je nach Größe der Molekülwolke Hunderte oder gar Tausende von Sternen gebildet werden können. Die Akkretion eines Sternes von der Größe der Sonne mag dabei rasch vonstatten gehen (105a[8]). Nach Ende der Akkretion ist ein Stern von 1 M erheblich größer als die Sonne und hat eine höhere Leuchtkraft; er kontrahiert nun unter dem Einfluß der Gravitation langsam weiter. Ein Stern von Sonnengröße durchläuft dann die T Tauri-Phase, bei welcher durch einen intensiven Sternenwind Gas und Staub aus der Umgebung fortgeblasen werden. Die Energie stammt in dieser Phase noch aus der Akkretion. T Tauri-Sterne sind Li-reicher als unsere Sonne; dies liegt wahrscheinlich daran, daß Li schon ab ca. 2.5×106K durch thermonukleare Reaktionen abgebaut wird[9]. Wenn durch die Kontraktion die Temperatur im Kern ca. 10×106K erreicht hat – bei einem Stern 7 von 1 M nach einigen 10 a, werden die Fusionsreaktionen gezündet, die He aus H auf- bauen. Sterne mit Massen von mindestens 0.08 Sonnenmassen erreichen dieses Stadium. Die Fusionsreaktionen werden dabei durch einen stark temperaturabhängigen quantenme- chanischen Tunneleffekt ermöglicht; ohne diesen Mechanismus würde die Kernverschmel- zung erst bei Temperaturen in der Größenordnung von 10×109K ablaufen. Auf diese Art der Synthese von Helium aus Wasserstoff wurde zuerst von Houtermans* und Atkinson† hinge- wiesen, nachdem Gamow‡ den α-Zerfall als Konsequenz des Tunneleffekts gedeutet hatte.
* Friedrich Georg Houtermans (1903–1966), deutscher Physiker; nach dem zweiten Weltkrieg wandte er sich dem Gebiet der Altersbestimmung zu. Nach ihm ist das Holmes-Houtermans-Modell der Ent- wicklung der Pb-Isotopenzusammensetzung der Erde benannt (siehe Seite 125).
10 A. Radiogene Isotopensysteme
Die stets ablaufende Fusionsreaktion (Proton–Proton-Zyklus) lautet
1H(p,e+ν)D(p,γ)3He(3He,2p)4He + 26.2 MeV[10] (MeV = Megaelektronenvolt) [GL 10]
Der Energiegewinn ergibt Spektralklasse sich dabei (und bei allen OBA FGK M Sonnen- anderen Fusionsreaktio- radien 100000 nen und in analoger W eise Blaue Rote Überriesen bei Zerfallsreaktionen) Überriesen 1000 R nach der Einsteinschen 10000 Gleichung E = mc2 aus dem 1000 Massendefekt*. Hauptreihe Riesen Der Stern erreicht mit die- 100 Rote 100 zur Sonne R iv sem Wasserstoffbrennen Zentralsterne die sogenannte Hauptreihe 10 planetarischer im Hertzsprung–Russell- Nebel
† raft relat 1 10 Diagramm (HR-Dia- k R Sonne gramm, Abbildung 4). Bei 0.1
etwas höheren Temperatu- Leucht ren von mehr als 14×10 6K Weiße Zwerge 0.01 0.1 gibt es eine konkurrierende R 1R Reaktion, die das Vorhan- 0.01 0.001 0.001 R 12 densein von C voraus- R setzt, welches die jüngeren Sterne aber bereits bei ihrer 50000 40000 20000 10000 7000 5000 3000 2000 Entstehung aus einer Oberflächentemperatur [K] molekularen Wolke erwor- ben haben; dies ist der ABBILDUNG 4 Eine Version des HR-Diagramms. Nach dem Ste- CNO-Zyklus – nach den fan-Boltzmann-Strahlungsgesetz ist die Leuchtkraft L proportio- Entdeckern auch Bethe‡– nal zur Oberfläche (oder dem Quadrat des Radius) und zur vier- Weizsäcker¶ -Zyklus ten Potenz der Temperatur. Blaue Sterne sind heiß, rote sind kalt. genannt, bei dem C, N und Die meisten Sterne befinden sich in ihrer Entwicklung auf der O als Katalysatoren die- Hauptreihe (Wasserstoffbrennen im Kern). Während ihrer T Tau- nen: ri-Phase sollte die Sonne heller (weil größer) und vielleicht etwas kühler gewesen sein als heute; ihre Position wird daher etwas 12C(p,γ)13N(e+ν)13C(p,γ)14N oberhalb und rechts der heutigen gewesen sein. Wenn der Was- (p,γ)15O(e+ν) 15N(p,α)12C + serstoff im Kern verbraucht ist, verlassen die Sterne die Hauptrei- 25.0 MeV [GL 11] he wieder nach rechts oben (massearme Sterne; die Sonne wird Oberhalb von ca. 20×106K zu einem Roten Riesen) bzw. rechts (massereiche Sterne). dominiert der CNO- Zyklus. Eine Nebenreaktion im CNO-Zyklus erzeugt zusätzliches 14N:
15N(p,γ)16O(p,γ)17F(e+ν) 17O(p,α)14N [GL 12]
† Robert d‘Escourt Atkinson (1898–1982) englischer Physiker und Astronom, lehrte ab den 1960er Jah- ren an der Indiana University ‡ George Gamow (1904–1968), russisch-amerikanischer Physiker; Gamow gilt mit seinen Studenten Ralph Alpher (1921–2007) und Robert Herman (1914–1997) auch als Erfinder der „Big Bang“-Hypo- these. Sie glaubten zunächst, alle Elemente seien beim Urknall entstanden und sagten die Existenz der kosmischen Hintergrundstrahlung voraus, die erst ≈20 Jahre später entdeckt wurde.
11 Einführung
Die Verweildauer eines Sterns auf der Haupt- TABELLE 2: Verweildauer von Sternen auf der reihe des HR-Dia- Hauptreihe des HR-Diagramms[8] gramms ist durch das Masse Oberflächen– Leuchtkraft Zeit auf Haupt- Wasserstoffbrennen im [Sonne = 1] temperatur [K] [Sonne = 1] reihe [Ga] Kern bestimmt und 25 35000 80000 0.003 macht den weitaus längsten Teil der 15 30000 10000 0.015 Lebensdauer des Sterns 3 11000 60 0.50 aus. Diese wiederum 1.5 7000 5 3 hängt sehr stark von 1 6000 1 10 der Masse ab (verglei- 0.75 5000 0.5 15 che Tabelle 2); masse- 0.50 4000 0.03 200 arme Sterne verbrau- chen ihren Kernbrennstoff erheblich langsamer als massereiche.
3.5 He-Schale wird ABBILDUNG 5 Entwicklung eines dünner; Expansion: AGB-Stern Sterns der Masse 5M , nachdem er 3.4 bei einer Oberflächentemperatur He-Brennen Hauptphase des 22 von 20000K und einer Leuchtkraft in dicker He-Brennens im 3.3 18 Schale von 600L die Hauptreihe des HR- Kern 9×106a 21 17 Diagramms verläßt (Punkt 1); nach 23 H-Brennen in 20 [10], leicht verändert 3.2 dicker Schale Konktraktion; He im 1.3×106a Kern geht zur Neige Beginn des 6 3α-Prozesses konvektive Hülle wird 16 log L/L 3.1 5 flacher, rasche Kon- 13 4 traktion 106a erste Phase des He-Brennens im 3.0 3 6 Kontraktionsphase Kern 6×10 a 15 2.2×106a H-Schale wird Phase der Roten 5 dünner 8×105a Riesen 5×10 a 2.9 Gesamtdauer des konvektive Hülle wird 10 H-Brennens im Kern tiefer: Fusionsprodukte 65×106a gelangen an Oberfläche 2.8 1 4.3 4.2 4.1 4.0 3.9 3.8 3.7 3.6 log TOberfläche
* Beim Proton–Proton-Zyklus bilden sich letztlich aus 4 1H-Atomen insgesamt 1 4He-Atom, 2 Positro- nen und zwei Neutrinos; außerdem bleiben 2 der 4 Elektronen des Wasserstoffs übrig. Der Massen- defekt ergibt sich damit zu m = 4×1.0078250 – 4.0026032 – 4×0.0005486 = 0.0265024 Massenein- heiten (die Neutrinos haben keine nennenswerte Ruhemasse) oder 0.0265024×1.6605402×10- 27 = 4.40083×10-29 kg. Für die Energiefreisetzung erhält man damit E = m×c2 = 4.40083×10-29 [kg] × 2997924582 [m2/s2] = 3.95527×10-12 [kg m2 s-2 = J] bzw. 3.95527×10-12 / 1.602177×10-13 = 24.69 MeV . Dazu kommt noch die Vernichtungsstrahlung von Elektronen und Positronen (1.02 MeV je Elek- tron–Positron-Paar), also 26.73 MeV. Davon werden ca. 2% durch die Neutrinos davon getragen, die nicht nennenswert mit Materie wechselwirken und dem System daher verloren gehen; es ver- bleiben 26.2 MeV. † benannt nach Ejnar Hertzsprung (1873–1967), dänischer Chemiker und Astronom, und Henry Norris Russell (1877–1957), amerikanischer Astronom an der Princeton University ‡ Hans Albrecht Bethe (1906–2005), deutsch-amerikanischer Physiker, seit 1935 an der Cornell Univer- sity in Ithaca, Nobelpreis für Physik 1967 für Arbeiten zur Energieumwandlung in Sternen; nach der Machtergreifung der Nazis in die USA emigriert. ¶ Carl Friedrich von Weizsäcker (1912–2007), Bethe und Weizsäcker erarbeiteten die Reaktionen dieses Zyklus unabhängig voneinander 1937–1939.
12 A. Radiogene Isotopensysteme
Wenn etwa 95% des Wasserstoffs im Kern verbrannt sind, kontrahiert der Kern wieder, weil nun der Strahlungsdruck des Kerns nicht mehr ausreicht, die Gravitationskräfte zu kom- pensieren[10]; der Stern verläßt die Hauptreihe des HR-Diagramms (Abbildung 5). Wenn etwa 99% des H im Kern verbrannt sind, erlischt dort die Fusion. Der Kern kontrahiert wei- ter und kühlt wegen der fehlenden Wärmequelle ab. Durch die Kontraktion des Kerns wird Gravitationsenergie frei, wodurch die H-Schale um den Kern so weit erhitzt wird, daß dort eine Fusion von H nach He einsetzt. Kleine Sterne, bei denen die Masse ihres He-Kerns <0.5 M ist (die Gesamtmasse <0.8 M ), schrumpfen bei zu niedriger Temperatur. Der nächste Schritt der Fusion, das He-Brennen, wird nicht mehr möglich, und ihre Entwick- lung ist beendet. Diese H-Schale der größeren Sterne wird mit der Zeit dünner, der Kern aber durch die Anla- gerung von He durch das Schalenbrennen mächtiger. Als Folge kontrahiert der Kern rascher und wird wieder heißer. Andererseits brauchen die Photonen aus der Fusionsquelle nun keinen so weiten Weg mehr nach außen wie zuvor, so daß sie die äußere Hülle des Sterns stärker aufheizen, in welcher der Temperaturausgleich konvektiv erfolgt. Die Hülle dehnt sich erheblich aus: der Stern ist zu einem (Roten) Riesen geworden. Wenn die Sonne dieses Stadium erreicht, wird sie sich bis ungefähr an die Erdumlaufbahn aufblähen. Infolge der effizienten konvektiven Durchmischung lassen sich Fusionsprodukte aus dem CNO-Zyklus (14N) in diesem Stadium auch in den Spektren der Sterne erkennen. Die Riesen sind nicht mehr in der Lage, ihre gesamte äußere Hülle an sich zu binden; Folge ist ein mehr oder minder starker Massenverlust, typischerweise von 0.1ppm M pro Jahr. Als Roter Riese wird die Oberflächentemperatur der Sonne zwar geringer sein als die heutige, aber infolge der erheblich größeren Oberfläche wird ihre Leuchtkraft weit über der heuti- gen liegen (vergleiche die berechnete Änderung der Leuchtkraft für einen 5 M -Stern in Abbildung 5 auf dem Weg von der Hauptreihe zum Roten Überriesen). Wenn die Temperatur im He-Kern des Sterns infolge Kontraktion und das Hinzufügen von Masse aus dem H-Schalenbrennen ca. 90×106K erreicht hat, setzt das stark temperaturab- hängige He-Brennen der 3α-Reaktion ein:
4He(α,γ)8Be(α,γ)12C + 7.3 MeV [GL 13] 8Be ist ein extrem instabiler Kern. Erst bei dieser hohen Temperatur wird die Reaktion ermöglicht; im thermodynamischen Gleichgewicht steht ein einziges Atom 8Be ca. 109 Atomen 4He gegenüber, und die Reaktion von He zu Be ist zudem endotherm (-0.1 MeV). Eine weitere wichtige Reaktion beim He-Brennen führt zum Sauerstoff:
12C(α,γ)16O + 7.16 MeV [GL 14] Des weiteren werden unter Umständen noch Ne und Mg gebildet[11]:
16O(α,γ)20Ne + 4.73 MeV [GL 15]
20Ne(α,γ)24Mg [GL 16] Als Nebenreaktion, die freie Neutronen liefert, die zum Aufbau schwererer Isotope und Ele- mente dienen können, sei genannt:
20Ne (p,γ) 21Na (e+ν) 21Ne (α,n) 24Mg [GL 17] Das im CNO-Zyklus gebildete 14N kann temperaturabhängig reagieren zu
14N(α,γ)18F(e+ν)18O(α,γ)22Ne [GL 18] Die letzte Teilreaktion erfordert besonders hohe Temperaturen und findet daher nicht immer statt. Aus diesen Reaktionen ist zu erkennen, daß die Nukleosynthese für die leich- ten Elemente (H, He, C, N, O) zu einer Dominanz der Isotope mit geraden Massenzahlen führt; Isotope von C, N und O treten beim H-Brennen nur untergeordnet auf.
13 Einführung
Beim He-Brennen dehnt sich der Kern des Sterns als Folge der Wärmeproduktion aus. Die Hülle um den Kern wird kälter und das H-Brennen setzt dort aus. Die Hülle kontrahiert, und der Stern wird vorüber- gehend kleiner. In masseärmeren Sternen setzt das He-Brennen mit kurzfristigen Instabilitäten schlag- artig ein (der sogenannte Helium-Blitz). Wenn das He im Kern verbrannt ist, liegt ein Gemisch aus weitgehend C und O vor, zu dessen weiterer Fusion erheblich höhere Temperaturen nötig sind, die in Sternen mit einem C–O-Kern unterhalb ca. 1.44 M (der Chandrasekhar-Grenze*) nicht erreicht werden. Nach Verbrauch des He im Kern schrumpft dieser wieder; die frei werdende Gravitationsenergie ABBILDUNG 6 Der Rote Überriese Be- bewirkt, daß die 3α-Reaktion in einer Hülle um den teigeuze (α-Orionis), ca. 600 Lichtjahre Kern zündet; um diese herum vollzieht sich weiter- entfernt, ≈750-mal größer und 20-mal hin die Verbrennung von H zu He: der Stern enthält schwerer als die Sonne sowie mit einen zwiebelschalenförmigen Aufbau. Die Hülle 1000-mal höherer Leuchtkraft ver- dehnt sich wieder aus: der Stern wird größer als je sehen. Beteigeuze ist ein veritabler zuvor. Unsere Sonne mag in diesem Stadium einen Kandidat für eine „baldige“ (innerhalb Durchmesser erreichen, der bis an die Umlaufbahn von vielleicht 105a) Supernova. Bild des Mars reicht. Massereiche Sterne (> ca. 8M ) wer- des Hubble Space Telescope (http:// den noch größer; sie werden dann Überriesen antwrp.gsfc.nasa.gov/apod/ genannt (Abbildung 6). Sterne auf diesem „asym- ap980419.html) ptotischen Riesenast“ (kurz: AGB-Sterne – asympto- tic giant branch stars; Abbildung 5) des HR-Diagramms verlieren noch mehr Masse ihrer Hülle als im Stadium der Roten Riesen. Das Abstoßen der Hülle erfolgt dabei im Spätsta- dium periodisch und katastrophal, z.B. als Folge der He-Blitze beim He-Schalenbrennen. Während eines solchen Ereignisses wirft ein Stern mit einer Masse von weniger als ca. 8 M die gesamte noch verbliebene Hülle ab; es bleibt der ausgebrannte C–O-Kern als heißer Weißer Zwerg zurück, der infolge seiner intensiven UV-Strahlung die Gashülle zum Leuch- ten anregt. Diese ausgestoßenen Gashüllen (Abbildung 7) sind als Planetarische Nebel
ABBILDUNG 7 Der Planetarische Ringnebel M57 im Sternbild Leier, ca. 2000 Lichtjahre entfernt und rund 1 Lichtjahr im Durchmesser. Der Weiße Zwerg, der die Gase ausgestoßen hat, ist unmittelbar im Zentrum als Punkt zu sehen. Weiße Zwerge haben zu Beginn Oberflächentemperturen von 105 K und mehr (hier ca. 120000K). Der innere Ring des Nebels (blau-violett) be- steht aus heißem Wasserstoff; es folgt ionisierter Sauerstoff (grün). Das äußere Rot ist ionisierter Stickstoff. Die Farben ent- sprechen ungefähr den tatsächlichen. Nach unserem derzeitigen Verständnis der Sternentwicklung wird die Sonne in vielleicht 6 – 7 Ga als ein Weißer Zwerg enden, nachdem sie ihre Hülle als pla- netarischer Nebel abgeworfen hat (http://oposite.stsci.edu/).
bekannt, die sich innerhalb von 105 Jahren soweit vom Weißen Zwerg entfernt haben, daß sie aufhören zu leuchten. Die Gashülle des ehemaligen Sternes reichert damit das interstel- lare Medium mit schweren Elementen an, die in einer fernen Zukunft in neue Sterne ein- gebaut werden. Der Weiße Zwerg, typischerweise von der Größe der Erde und einer Dichte
* Subrahmanyan Chandrasekhar, indisch-amerikanischer Physiker (1910 – 1995), Nobelpreis 1983 für seine Arbeiten über die Sternentwicklung
14 A. Radiogene Isotopensysteme um 109kg/m3, kühlt sehr langsam ab, bis er nach vielleicht 1 Ga eine Temperatur um 5000 K an der Oberfläche erreicht hat. In massereichen Sternen geht die Nukleosynthese weiter, und sofern ihre Anfangsmasse 9 größer als ca. 8 M ist, enden sie in einer Explosion. Bei einer Kerntemperatur um 0.6×10 K setzt das Kohlenstoffbrennen ein[11]; Neutrinos werden für den Energietransport wichtiger als Photonen:
12C(12C,n)23Mg – 2.63MeV (endotherm) [GL 19]
12C(12C,α)20Ne + 4.62MeV [GL 20]
12C(12C,p) 23Na + 2.24MeV [GL 21] Die erste dieser Reaktionen verläuft stark temperaturabhängig; bei 0.8×109K ist die Wahr- scheinlichkeit dieser Reaktion nur 0.01%, bei 2×109K aber schon gut 5%; die beiden ande- ren Reaktionen laufen mit gleicher Wahrscheinlichkeit ab. Es tritt noch eine Vielzahl wei- terer Reaktionen mit Protonen, α-Teilchen und Neutronen auf. Insgesamt entstehen beim C-Brennen signifikante Mengen an 16O, 20Ne, 23Na, 24Mg und 28Si. Ab ca. 1×109K zerfällt 20Ne durch Photodisintegration:
20Ne(γ,α) 16O [GL 22] Die dabei frei werdenden TABELLE 3: Entwicklungsstadien eines [8] α-Teilchen werden vor- Sternes von 25 Sonnenmassen wiegend durch noch vor- Temperatur Dichte im handenes 20Ne eingefan- Stadium im Kern [K] Kern [kg/m3] Dauer gen und reagieren damit H-Brennen 4×107 5×103 7 Ma zu 24Mg und dieses mit He-Brennen 2×108 7×105 0.5 Ma einem weiteren α zu 28 Si. × 8 × 8 Ab ca. 2×109K findet das C-Brennen 6 10 2 10 600 a 9 9 Sauerstoffbrennen statt, Ne-Brennen 1×10 4×10 1a wobei die beiden wichtig- O-Brennen 1.5×109 1×1010 0.5 a sten Reaktionen zu Phos- Si-Brennen 2.7×109 3×1010 1 Tag phor und Silizium führen: Kernkollaps 5.4×109 3×1012 <1 s Explosion ≈ 109 variabel Sekunden 16O + 16O → 31P + p+ 7.68 MeV [GL 23]
16O + 16O → 28Si + α + 9.59 MeV [GL 24]
ABBILDUNG 8 Modell des Aufbaus eines 1H, 4He massereichen Sternes unmittelbar vor seiner Explosion als Typ II-Supernova[10]. 1 → 4 Nach Ablauf des Si-Brennens im Kern 4 H He 56 4 → 12 4 → 16 zerfällt das gebildete Fe in Protonen 3 He C4 He O
und Neutronen, und der Kern kollabiert 12 X C → 20 24 28 32 40 zum Neutronenstern (gestrichelt ange- Ne, Mg, Si, S, Ca deutet), besonders massereiche Sterne wahrscheinlich sogar zu einem Schwar- 16 → 56 4 zen Loch, aus dem nicht einmal mehr 4 O Fe + 2 He Photonen entweichen können. 56Fe → 26p+30n
15 Einführung
Durch weitere Reaktionen bildet sich vor allem aus 31P das Isotop 32S, das am Ende des Sau- erstoffbrennens neben 28Si das häufigste Nuklid ist. Bei weiter steigender Temperatur setzt ab ungefähr 2.7×109K das Siliziumbrennen ein. Dabei ist die direkte Verschmelzung von zwei 28Si-Kernen wegen der hohen Coulomb-Bar- riere (gegenseitige Abstoßung) nicht möglich. Hunderte von Einzelreaktionen bauen viele Isotope der Elemente bis hin zu Fe und Ni auf. Hier endet die Fusion, weil 56Fe die höchste Bindungsenergie aller Isotope je Nukleon aufweist; das bedeutet, daß zur Bildung der schwereren Elemente Energie zugeführt werden muß. Zudem werden unter stabilen Bedin- gungen im Kern eines Sternes keine genügend hohen Temperaturen erreicht, um schwerere Elemente durch Reaktionen mit geladenen Teilchen aufzubauen. Dazu sind freie Neutro- nen nötig, bei deren Einfang durch einen Atomkern keine Coulomb-Barriere überwunden werden muß. Die Reaktionen vom Kohlenstoffbrennen bis zum Siliziumbrennen vollziehen sich zuneh- mend rascher (Tabelle 3). In der Modellvorstellung sollte jeder neue Schritt der Nukleosyn- these einher gehen mit dem Schalenbrennen des vorhergehenden Schrittes um den Kern herum. Um diese Schale herum befindet sich eine Schale, in welcher der nächst niedrige Fusionsschritt abläuft und so fort. Der Stern sollte demnach einen zwiebelschalenförmigen Aufbau zeigen (Abbildung 8). Nach Ablauf des Siliziumbrennens besteht der Kern weitge- hend aus 56Fe. Dichte und Temperatur sind nun so immens hoch geworden, daß die Pho- tonen eine genügend hohe Energie erreicht haben, um die Fe-Kerne spontan zu zerlegen:
56Fe(γ,4n)134He [GL 25]
4He(γ,2n)2p [GL 26] Die Elektronen im Kern können, auch wenn sie sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, keinen genügend hohen Strahlungsdruck mehr aufbauen, um der Gravitation standzuhalten. Der Kern des Sterns kollabiert, und die Elektronen werden in die Protonen „gepreßt“ und reagieren mit diesen zu Neutronen und Elektronen-Neutrinos:
p + β– → n + ν [GL 27] Der Kern des Sterns zerfällt in Sekunden- bruchteilen in einen extrem kompakten Neutronenkern von vielleicht 10 – 20 km Durchmesser bei einer Dichte von 4×1017 kg/m3 (Dichte von Atomker- nen) und einer Masse von 1.4 bis ≈ 3 M . Damit ist der Kern nun extrem steif und nicht weiter komprimierbar, aber ABBILDUNG 9 Der Crab-Nebel in ≈6500 Lichtjah- 11 zunächst extrem heiß (10 K). Die ren Entfernung, Relikt eines Supernova-Ausbruchs, innere Hülle des Sterns fällt mit sehr der nach chinesischen Quellen im Jahr 1054 sicht- hoher Geschwindigkeit nach unten, bar wurde. In seinem Zentrum befindet sich (nicht prallt am Kern ab und bildet eine nach sichtbar) ein Pulsar – ein Neutronenstern (http:// außen gerichtete Schockwelle, welche www.spacetelescope.org/images/html/ zusammen mit einer Flut von Neutrinos heic0515a.html). (Neutrino–Antineutrino-Paare, die durch die extreme Hitze des Neutronenkerns gebildet werden und helfen, den Kern abzu- kühlen und ihn zu stabilisieren) die äußere Hülle des Sterns fortbläst. Der massereiche Stern hat eine Supernova-Explosion vom Typ II erlitten (Abbildung 9). Das Material um den Kern herum wird sich durch die Schockwelle und die Neutrinos stark aufheizen. Die
16 A. Radiogene Isotopensysteme
Element- und Isotopenhäufigkeiten werden hier wahrscheinlich massiv verändert. Nach Berechnungen sollen insbesondere große Mengen an 44Ca, 48Ti, 49Ti, 52Cr, 55Mn und 56 Fe gebildet werden[11]. Zurück bleibt ein extrem kompakter, heißer(106K an der Oberfläche) und rasch rotierender (Millisekunden) Neutronenstern von nur wenigen (101 km) Kilome- tern Durchmesser. Im Millisekundenbereich bis in den unteren Sekundenbereich pulsie- rende Radioquellen (Pulsare) werden Neutronensternen zugeschrieben.
ABBILDUNG 10 Eta Carinae, ca. 7500 Licht- jahre entfernt, mit ungefähr 120 M einer der gewichtigsten bekannte Sterne (im Zentrum der zentralen Explosionswolke nicht auszumachen) in unserer Galaxis. Die äußere rote Hülle ist bei einer Explosion ent- standen, die um 1830 sichtbar gewesen ist und Eta Carinae damals zum zweithellsten Stern am Himmel gemacht hat. Eta Carinae ist rund 4×106-fach heller als unsere Sonne und hat bei der großen Masse eine nur ge- ringe Lebenserwartung (wenige Ma). Ster- ne dieser Masse gelten als extrem instabil und können jederzeit in einer „Hypernova“ enden, wobei der Kern direkt in ein Schwar- zes Loch zerfällt (mögliche Ursache „lan- ger“ Gammastrahlenblitze). Quelle: http:// www.seds.org/
Wenn die Masse des Kerns >3 M ist, gibt es keinen Gleichgewichtszustand für die Materie mehr: der Kern kollabiert zu einem Schwarzen Loch, einer sogenannten Singularität. Selbst Licht kann dann innerhalb des Schwarzschild-Radius*
2GM M =≈Kern [GL 28] RSchwarzschild 2 3 c M nicht mehr entkommen (G = Gravitationskonstante [6.67×10-11m 3/(kg×s 2)], c = Lichtge- schwindigkeit [3×108m/s], M = Masse). Damit erhält man für ein Schwarzes Loch der Masse 30 5 M (M = 1.99×10 kg) einen Schwarzschild-Radius von lediglich ≈14750m! Bei Sternen mit einer Anfangsmasse von mehr als rund 25 M endet der Kernkollaps in einem Schwar- zen Loch; damit ist wahrscheinlich keine Supernova-Explosion verbunden, sondern ein Gammastrahlenausbruch. Der Schwarzschild-Radius ist erstaunlicherweise proportional zu M und damit zum Volumen V und nicht proportional zu V1/3, so dass er mit der Masse überproportional wächst. Ein massives Schwarzes Loch im Kern einer Galaxie (1010 Son- nenmassen) hätte bereits einen Schwarzschild-Radius, der 2×105-mal dem Abstand Sonne– Erde entspricht. Die Explosionshülle der Supernova breitet sich mit einigen Dutzend Kilometern pro Sekunde in den interstellaren Raum aus und reichert diesen mit vielen – auch schweren – Elementen des Periodensystems an. Das hat seine Ursache darin, daß in der Nähe des Neu- tronenkernes extrem hohe Neutronenflüsse zur Verfügung stehen, die, vom 56Fe der inner- sten Hülle des Sterns ausgehend, insbesondere neutronenreiche Isotope der schweren Ele- mente durch den sogenannten r-Prozeß aufbauen können (r für rapid; siehe Abbildungen 11 und 12 zur Erläuterung). Auch die Existenz von Th und U in der Natur läßt sich nur so erklären.
* benannt nach dem deutschen Physiker und Astronomen Karl Schwarzschild (1873–1916), Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums in Potsdam
17 Einführung
Viele andere Isotope der schweren Elemente entstehen durch den s-Prozeß (s für slow , Abbildungen 11 + 12) bei geringen Neutronenflüssen über vergleichsweise lange Zeit. Als Entstehungsumgebung werden die Hüllen massereicher Sterne (>8 M ) genannt, die sich irgendwann zu Supernovae entwickelt haben bzw. entwickeln werden, und die inneren Hüllen der AGB-Sterne*. Dort werden durch Nebenreaktionen wie
22Ne(α,n) 25Mg [GL 29]
13C(α,n) 16O [GL 30] freie Neutronen gebildet, die von anderen Kernen wieder eingefangen werden können. Vor allem die erste dieser beiden Reaktionen soll in den massereichen Sternen von entschei- dender Bedeutung sein[13].
p nur s s, r s, r β-
(n,γ) s, r
p nur s s, r nur s r
s, r
s, r nur s s, r r r Protonenzahl Z Protonenzahl
s, r s, r r
β-
Neutronenzahl N
ABBILDUNG 11 Die drei für die Bildung der schwereren Elemente in Sternen relevanten Pro- zesse: Beim s-Prozeß (blaue Pfeile und Linien) fängt ein stabiler Atomkern ein Neutron ein; es entsteht ein Isotop desselben Elementes mit einer um 1 höheren Massenzahl. Wenn dieses Isotop stabil ist, werden weitere Neutro- nen eingefangen, solange bis ein instabiles Isotop gebildet wird, dessen β–- Halbwertszeit klein ist im Vergleich zur mittleren Zeitdauer für den Einfang eines weiteren Neutrons. Das Isotop zerfällt dann in ein gleich schweres Iso- top des Elementes mit der nächst höheren Ordnungszahl (gestrichelte rote Linien). Beim r-Prozeß (rote Pfeile und gestrichelte Linien – diese kennzeich- nen generell in der Skizze den β–-Zerfall) ist die Zahl der zur Verfügung ste- henden Neutronen so groß (die mittleren Einfangszeiten für Neutronen durch ein Nuklid liegen in der Größenordnung von 10-4s), daß radioaktive Isotope weitere Neutronen einfangen, bevor die β–-Zerfallsrate überwiegt.
* Paul W. Merrill (1887–1961) identifizierte 1952 Tc in Spektren von einigen Roten Riesen. Da das längstlebige Isotop, 98Tc, nur eine Halbwertszeit von 4.2 Ma hat, muß das Tc in den Riesensternen entstanden sein. Das wurde als Indiz für das Ablaufen des s-Prozesses in solchen Sternen gewertet.
18 A. Radiogene Isotopensysteme
Es entstehen neutronenreiche Nuklide. Erst wenn auf diese Weise Nuklide mit sehr kurzen Halbwertszeiten entstanden sind (diese Nuklide haben 10 – 20 Neutronen mehr als das schwerste stabilste Isotop des betreffenden Ele- mentes), vollzieht sich der β–-Zerfall rascher als der Einfang eines weiteren Neutrons. Die Dauer des r-Prozesses wird mit Sekunden angegeben; des- halb muß als Ursache ein explosiver Prozeß angenommen werden, z.B. eine Supernova. Inzwischen wird auch die Kollision zwischen zwei Neutronen- sternen eines Doppelsternsystems als Mechanismus diskutiert; dabei bilden sich nach Simulationen Spiralarme um ein massives Zentralobjekt (das zu ei- nem Schwarzen Loch wird?), in denen bei rascher Druckentlastung und ex- tremen Temperaturen eine Vielzahl von Nuklearreaktionen ablaufen könnte. Insgesamt 32 stabile Nuklide auf der neutronenarmen Seite der Elemente sind weder dem s- noch dem r-Prozeß zugänglich. Diese Nuklide sind stets mit nur geringen Häufigkeiten am Aufbau des jeweiligen Elementes betei- ligt. Für ihre Bildung wird ein p-Prozeß angenommen (p für Protonenein- fang). Im Innern massereicher Sterne stehen kurz vor oder bei einer Supernova-Explosion bei Temperaturen von 2 – 3×109K wahrscheinlich ge- nügend Protonen zur Verfügung, um aus den im s-Prozeß (oder r-Prozeß) gebildeten Nukliden durch (p,γ)-Prozesse die neutronenarmen Nuklide zu erzeugen. Bei diesen extremen Temperaturen sind (γ,n)-Prozesse (Photodi- sintegration) eine Alternative. Umgezeichnet nach [11]; siehe auch [12].
121 123
Sb, 51 p-Prozeß
⎫ ⎪ ⎪ ⎬ ⎪ ⎪ ⎭ 57.4% 2.8d 42.6% 112 114 115 116 117 118 119 120 122 124 nur s s + r s + r s + r s + r nur r nur r Sn, 50
1.0%112d 0.65% 0.35% 14.5% 7.7% 24.2% 8.6% 32.6%27h 4.6% 40m 5.8% Z 113 115 In, 49 r-Prozeß ⎧ ⎨ ⎪ ⎪ ⎩ 4.3% 95.7% 13s nur r- Prozeß 110 111 112 113 114 116 Cd, 48 Pfad des s-Prozesses
12.5% 12.8% 24.1% 12.2% 28.7%54h 7.5% 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74
N
ABBILDUNG 12 Illustration der s-, r- und p-Prozesse am Beispiel des Zinns. Sn ist das Element mit den meisten stabilen Isotopen (10), bedingt durch eine „magische“ Pro- tonenzahl (hier: 50). Der s-Prozeß verläuft über die stabilen Cd-Isotope, bis mit dem 115Cd ein Isotop erreicht ist, daß mit einer Halbwertszeit von 54h durch β–-Zerfall in 115In übergeht. Daraus bildet sich über Neutroneneinfang 116In, das mit einer Halbwertszeit von 13s in 116Sn zerfällt. Dieses ist dur ch das stabile 116Cd von einer Bildung über den r-Prozeß abgeschirmt, also ein reines „s-Isotop“. Durch erneuten Neutroneneinfang geht 116Sn in die stabi- len Isotope 117Sn bis 120Sn über. Diese vier Nuklide können aber genausogut durch den r-Prozeß entstehen, weil es keine stabilen Isotope leichterer Ele- mente mit diesen Massenzahlen gibt, so daß deren β–-Zerfall erst bei 117 Sn bis 120Sn endet. Wenn 120Sn ein weiteres Neutron einfängt, entsteht radio- aktives 121Sn, das mit einer Halbwertszeit von 27h in stabiles 121Sb zerfällt. Die stabilen Isotope 122Sn und 124Sn können deswegen nicht (oder nicht in beträchtlicher Menge) durch den s-Prozeß entstehen, sondern sind reine r- Prozeß-Nuklide. Für die stabilen Isotope 112Sn, 114Sn und 115Sn gibt es keine
19 Einführung
Bildungsmöglichkeiten durch s- oder r-Prozeß. Sie sind daher p-Prozeß-Nu- klide, was auch durch die geringe Häufigkeit nahegelegt wird. 115Sn könnte z.B. entstehen, wenn durch ein hoch energetisches Photon ein Neutron aus 116Sn entfernt wird. 114Sn könnte durch Protonenbeschuß von 113In (eben- falls ein p-Nuklid) erzeugt werden. Verändert nach [11] bzw. [17]. Der sogenannte p-Prozeß (p für Protoneneinfang und/oder Photodisintegration) schließ- lich ist für die Entstehung neutronenarmer stabiler Nuklide relevant (Abbildungen 11 und 12). Welche Isotope der schweren Elemente dem s- und welche dem p-Prozeß zugänglich sind, läßt sich Abbildung 13 entnehmen.
100 Fm Cf Cm 4s N = 126 r-Prozeß-Nuklide Pu N = 184 s-Prozeß-Pfad A = 208 U 90 Th U + Th A = 195 Ra Rn Po Z = 82 Pb 80 Hg Pt Os
N = 82 W Hf Z 70 Yb Er 2s A = 138 Dy r-Prozeß-Pfad Gd Sm für T = 109K 60 A = 130 Nd Ce Seltene Erden Ba Xe Te Z = 50 50 Sn Protonenzahl Protonenzahl Cd Pd β - Ru -Zerfall 0.5s Spaltung in zwei Kerne ungleich große N = 50 Mo 40 Zr Sr Kr Se Zeit für einen Aufbau- Ge zyklus ca. 5s 30 Z = 28
von Fe 20 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 160 170 180 190 Neutronenzahl N
ABBILDUNG 13 Die Bildung der Isotope der schweren Elemente durch s- und r-Prozeß. Der s-Prozeß folgt der blauen Kurve und endet beim 209Bi. Stabile Isotope eines Elementes mit ungerader Massenzahl haben in der Regel höhere Einfang- querschnitte für Neutronen als solche mit gerader Massenzahl. Erstere wer- den daher bevorzugt durch weiteren Neutroneneinfang beim s-Prozeß abgebaut. Daher sind die Isotope eines Elementes mit ungerader Massen- zahl in der Natur meist geringer als die Isotope mit gerader Massenzahl (das- selbe gilt auch für die Elemente mit gerader und ungerader Ordnungszahl, Abbildung 14). Die Existenz eines s-Prozesses ist belegt, seitdem 1952 in den Spektren von Roten Riesen das Element Tc nachgewiesen wurde[14] . Tc besitzt keine stabilen isotope. Die beiden längstlebigen Isotope weisen nur Halbwertszeiten um 4 Ma auf. Tc muß daher tief im Innern der Riesen syn- thetisiert und konvektiv an ihre Oberfläche transportiert werden. Durch den r-Prozeß entstehen neutronenreiche radioaktive Nuklide mit kurzen Halb- wertszeiten (durch die hellroten Felder ausgewiesen), die 10 bis 20 Neutro- nen mehr enthalten als stabile Isotope der jeweiligen Elemente. Dur ch mehrfache β–-Zerfälle entstehen stabile Isotope von Elementen mit höherer Ordnungszahl (rote Punkte). Dem r-Prozeß sind auf diese Weise Elemente bis zur Massenzahl von etwa 270 zugänglich. Bei den „magischen“ Neutro- nenzahlen 82 und 126 entsteht ein Rückstau, weil solche Nuklide im Ver- gleich zu den benachbarten stabiler sind und besonders kleine
20 A. Radiogene Isotopensysteme
Neutroneneinfangquerschnitte aufweisen. Ein zunächst entstandenes Sr- oder Y-Isotop mit 82 Neutronen wird demnach kein weiteres Neutron auf- nehmen, sondern β–-Zerfälle in andere Elemente erleiden, bevor weitere Neutronen eingefangen werden. Nach [11] bzw. [17], verändert.
H 10 10 in den ersten Minuten nach dem Urknall entstanden He 109 entsteht in Sternen der Hauptreihe (z.B. unserer Sonne) durch H-Verbrennung i 108
7 O Elemente, die in Roten Riesen 10 C synthetisiert werden Ne Si 6 Fe 10 N S Atomen S 6 Ar 105 Al Ca Ni Cr zu 10 104
iv Mn K Zn 103 Cu t relat i 2
e 10 Li Elemente, die in Typ II-Supernovae (r-Prozeß) und k Sr in Roten Riesen (s-Prozeß) gebildet werden B 1 Xe 10 Pb ufig entstehen in Molekülwolken Rb Mo ä Pd Pt durch Reaktionen mit Ce Nd Os H 100 Be kosmischer Strahlung I Ag La Hf -1 Sm 10 Th Re Lu U 10-2
H Be N Ne Al S K Ti Mn Ni Ga Se Rb Zr Tc Pd In Te Cs Ce Pm Gd Ho Yb Ta Os Au Pb Th He B O Na Si Cl Ca V Fe Cu Ge Br Sr Nb Ru Ag Sn I Ba Pr Sm Tb Er Lu W Ir Hg Bi U Li C F Mg P Ar Sc Cr Co Zn As Kr Y Mo Rh Cd Sb Xe La Nd Eu Dy Tm Hf Re Pt Tl
ABBILDUNG 14 Normierte Häufigkeit der Elemente im Sonnensystem[15],[16]. Der starke Ab- fall von Sauerstoff bis Titan spricht sehr für den Ursprung dieser Elemente durch Fusionsprozesse. Besonders häufig unter diesen Elementen sind Nukli- de mit Massenzahlen, die ganze Vielfache von 4 (He!) darstellen (12C, 16 O, 24Mg, 28Si, 32S, 40Ca, 44Ca, 48Ti, 52Cr, 56Fe). Jenseits von Fe oder Ni werden die Elemente durch Neutroneneinfang gebildet. Markant ist die im Vergleich zu den benachbarten Elementen geringere Häufigkeit der Elemente mit un- gerader Ordnungszahl (mit wenigen Ausnahme Nuklide mit ungerader An- zahl an Protonen und gerader Anzahl an Neutronen); dies ist Ausdruck der höheren Wirkungsquerschnitte für Neutroneneinfang der Elemente mit un- gerader Ordnungszahl. Die solare Häufigkeit der Elemente entspricht nähe- rungsweise (mit Ausnahme von H und He) auch der „kosmischen Häufigkeit“, wie sie in der Photosphäre vieler Sterne gemessen werden kann. Das Rohmaterial, aus dem die Sterne entstehen, scheint demnach zumin- dest in unserer Galaxis relativ gut durchmischt zu sein. Im Detail mag sich dieser Schluß allerdings als nicht ganz korrekt erweisen. Im galaktischen Halo gibt es viele alte (kleine) Sterne, während im Zentrum der Milchstraße viele massereiche junge existieren. Die stellare Entwicklung – und damit die Verteilung von schweren Elementen – wird sich daher im Zentrum von Ga- laxien erheblich rascher vollziehen als im Halo.
21 Einführung
Abbildung 14 zeigt die Häufigkeit der Elemente im Sonnensystem. Auffällig ist die sehr geringe Häufigkeit der leichten Elemente Li, Be und B. Diese werden bei der stellaren Nukleosynthese weitgehend ausgeschlossen. Das bei der primordialen Nukleosynthese entstandene 7Li wird in Sternen sogar bereits ab ca. 3×106K durch Reaktion mit Protonen weitgehend zu He abgebaut (Li-Gehalte in T Tauri-Sternen sind höher als in Sternen der Hauptreihe des HR-Diagramms). Man nimmt an, daß Li, Be und B ihre Existenz zum gro- ßen Teil Spallationsreaktionen in molekularen Wolken verdanken. Hochenergetische kos- mische Partikelstrahlung (insbesondere Protonen, α-Teilchen) trifft auf die Kerne schwere- rer Elemente (C, N, O) und zerlegt sie. Li, Be und B entstehen demnach nicht durch den Aufbau aus leichteren, sondern durch die Zerstörung schwererer Elemente.
In Abbildung 15 ist ein Vergleich 1 t der Häufigkeiten der leichteren i e SN II k Elemente gegeben, wie sie in Ne Al Fe
ufig Mg P
Supernovae vom Typ II und vom ä O Cr * 0 Typ Ia beobachtet werden . Diese C Si Ca Modellrechnungen scheinen zu Sc Ti S zeigen, daß eine bessere Überein- Mn -1 stimmung zwischen Supernovae H zur solaren V vom Typ II und der Materie des iv
Sonnensystems besteht als zwi- t relat i e
schen Typ Ia-Supernovae und dem k -2 SN Ia
Sonnensystem, mithin, daß das ufig Material des Sonnensystems in ä
massereichen Sternen syntheti- log H -3 siert worden ist. Einschränkend ist 10 20 30 40 50 60 zu sagen, daß die Häufigkeiten der Massenzahl leichten Elemente niedriger wer- den, wenn man für die Rechnun- ABBILDUNG 15 Vergleich der normierten (auf solare gen eine kleinere Masse für den Häufigkeit und auf 56Fe) Elementhäufigkeiten zwischen Stern annimmt, der in der Super- Supernovae vom Typ Ia und (für 25 M ) vom Typ II. Ins- nova vom Typ II explodiert, als 25 besondere bei den leichten Elementen (gelber Bereich) [10] M . entsprechen die Häufigkeiten der Supernovae II der sola- ren Häufigkeit besser. Daraus hat man geschlossen, daß Die molekulare Wolke, aus wel- Supernovae dieses Typs den Hauptteil der Masse liefern, cher das Sonnensystem entstan- die in molekularen Wolken das Rohmaterial für neue den ist, mag den Sternenstaub von Sternengenerationen darstellen. Umgezeichnet nach ≈103 vergangenen Stern enthalten haben[22]. Mit einem Massenanteil von ≈1.6% an Elementen schwerer als Helium gilt die Sonne als Stern der dritten Generation. Die ersten Sterne im Universum hätten nur Wasser- stoff und Helium als Brennmaterial gehabt und die ersten schweren Elemente erzeugt, wel- che die Sterne der zweiten Generation bei ihrer Bildung bereits zur Verfügung gehabt hät- ten. Der Hinweis auf die Existenz von radioaktiven Nukliden mit kurzen Halbwertszeiten (siehe Kapitel 16.2, Seite 195 und Kapitel 16.3, Seite 199) im frühen Sonnensystem erfordert , daß der (letzte) Supernova-Ausbruch, der Material in der präsolaren Wolke deponiert hat, allen- falls einige 107a vor der Bildung der Meteorite erfolgt sein kann, in denen Hinweise auf sol- che ausgestorbenen Nuklide gefunden wurden. Das Sonnensystem ist eventuell nicht an der Stelle unserer Galaxis geboren worden, an der es sich heute befindet, sondern gut 6000 Lichtjahre näher am Zentrum[20]. Die größere Materiedichte dort könnte einen größeren Anteil an schweren Sternen mit entsprechend geringer Lebensdauer, eine höhere Dichte an Sternen je Volumeneinheit und eine größere Häufigkeit an Supernova erzeugt haben als im Bereich des Spiralarms, an dem sich die Sonne heute befindet. Chondritische Meteorite enthalten in ihrer feinkörnigen Grundmasse geringe Mengen (einige 100 ppm) an nicht säurelöslichen Rückständen von nm- bis μm-großen Mineralen
22 A. Radiogene Isotopensysteme
wie SiC, C (Mikrodiamanten und Graphit), Al2O3, Si3N4 und MgAl2O4 (Spinell) mit varia- blen und z.T. exotischen Isotopenzusammensetzungen. Nachdem der Ursprung dieses Materials lange zeit enigmatisch war, glaubt man inzwischen, daß sie präsolare Körner dar- stellen. Auf Grund der Isotopenzusammensetzungen könnten sie sich in Roten Riesen gebildet haben und mit dem starken Sternenwind dieser Giganten in den interstellaren Raum verdriftet worden sein. Andere Isotopenzusammensetzungen deuten auf eine Entste- hung in Supernovae hin. Leicht lesbare Zusammenfassungen dazu bieten [18] und [19].
* Supernovae vom Typ I unterscheiden sich von denen des Typs II durch das Fehlen von Wasserstoff- linien in ihren Spektren. Supernovae vom Typ Ia entstehen vermutlich, wenn in einem engen Dop- pelsternsystem aus einem Weißen Zwerg (M ≥ 1) und einem massereichen großen Begleiter (einem Roten Riesen) Material auf den Weißen Zwerg überströmt, das an dessen Oberfläche sporadisch zu Helium oder Kohlenstoff fusioniert wird (Novae-Ausbrüche), oder wenn zwei Weiße Zwerge inein- [21] anderstürzen . Wenn dabei die Chandrasekhar-Masse von ca. 1.4 M überschritten wird, wird der Stern instabil und kollabiert. Die dabei frei werdende thermische Energie bewirkt eine explosions- artige Elementsynthese im Weißen Zwerg, beginnend mit Kohlenstoffbrennen, bis hin zu 56Ni, das über 56Co (Halbwertszeit ca. 77 Tage) in 56Fe zerfällt. Die bei diesem Zerfall freigesetzte γ-Strahlung macht Supernovae vom Typ Ia zu den hellsten aller Supernovae. Die insgesamt frei werdende Ener- gie reicht aus, um den Stern in einer thermonuklearen Explosion vollständig zu zerstören. Da die Ausgangssterne ungefähr dieselbe Masse haben, sind die bei der Explosion ablaufenden Prozesse dieselben und daher auch die Leuchtkurven beim anschließenden radioaktiven Zerfall. Supernovae vom Typ Ia werden daher als „kosmische Leuchtfeuer“ benutzt, um den Abstand zu weit entfernten Galaxien zu ermitteln. Im Unterschied dazu entstehen Novae durch denselben Mechanismus des Überströmens von Wasserstoff auf einen Weißen Zwerg, wenn dessen Masse deutlich unterhalb der Chandrasekhar-Grenze bleibt; es findet dann nur Kernfusion des übergeströmten Wasserstoffs statt. Supernovae der Typen Ia und II sind ungefähr gleich häufig und ereignen sich in unserer Galaxis im Schnitt zusammengenommen zwei- bis dreimal pro Jahrhundert. Supernovae der Typen Ib (kei- ne H-, aber He-Linien in den Spektren) und Ic (weder H- noch He-Linien) lassen sich vermutlich auf einen Kernkollaps zurückführen und unterscheiden sich damit nicht vom Typ II[23]. Wasserstoff (Typ Ib) bzw. sowohl Wasserstoff als auch He (Typ Ic) wurden zuvor vom Stern abgestoßen. Für eine Supernova aus dem Jahr 1993 im Spiralnebel M81, die zu Beginn wie eine Typ-II-Supernova er- schien und innerhalb einiger Wochen die Charakteristika einer Typ-Ib-Supernova annahm, wurden inzwischen starke Hinweise auf die Existenz eines massereichen Begleiters gefunden[24].
23 Einführung
2.5 Massenspektrometrie Die Entwicklung der Isotopengeochemie zu einem der leistungsfähigsten Bereiche der Geo- wissenschaften wäre nicht möglich gewesen ohne die Erfindung und Entwicklung geeigne- ter Meßgeräte, den Massenspektrographen, mit deren Hilfe Isotopenverhältnisse i.a. wesentlich genauer gemessen werden können als mit den ursprünglich allein zur Verfü- gung stehenden Zählrohren. Mit den letzteren lassen sich außerdem ja nur Zerfallsprozesse registrieren, d.h. man hat keinen Zugang zu den stabilen Endprodukten des Zerfalls, also den Tochternukliden (siehe Zerfallsgleichung). Die ersten massenspektrographischen Arbeiten wurden von dem englischen Physiker J.J. Thomson* mit einem von ihm entwickelten „Parabelspektrographen“ in Cambridge durch- geführt. Bei diesem Gerät wird ein Strahl positiv geladener Ionen durch ein elektrisches und ein diesem parallelen Magnetfeld abgelenkt. Ionen gleicher Masse, aber unterschiedli- cher Energie können auf einer Photoplatte entlang einer Parabel nachgewiesen werden. Damit gelang es Thomson 1910 zu zeigen, daß Neon aus verschiedenen Atomarten zusam- mengesetzt ist, den Isotopen 20Ne und 21Ne. 1918/19 wurde diese Bauart des Massenspek- trographen unabhängig voneinander durch F.W. Aston† in Cambridge und A.J. Dempster‡ an der University of Chicago verbessert durch Entwicklung von Fokussierungsverfahren (meist Doppeltfokussierung), die es erlaubten, den Ionenstrahl zu bündeln und höhere Strahlenintensitäten zu erzielen.
Elektromagnet Vakuum- Ionenstrahl pumpe
Analysator
Ionen- 60° quelle Kollektor
zur digitalen Signalaufzeichnung Durchführungen für V Beschleunigungsspannung und Filamentstrom
ABBILDUNG 16 prinzipieller Aufbau eines Massenspektrometers Der heutige Typ des Massenspektrometers (-„meter“ weil die Registrierung des Ionenstroms nicht mehr durch Belichtung von Photoplatten erfolgt, sondern kontinuierlich durch elek- tronische Messung) geht zurück auf ein Design des einfachfokussierenden Gerätes, das A.O. Nier¶ 1940 einführte. Ein solches Massenspektrometer, das schematisch in Abbildung 16 wiedergegeben ist[25], besteht aus drei wesentlichen Teilen, (i) der Ionenquelle, (ii) dem Analysator mit Trennrohr und Elektromagnet und (iii) dem Kollektor, einem Faraday- becher oder Elektromultiplier.
* Joseph John Thomson (1856–1940), englischer Physiker, Professor in Cambridge, entdeckte 1897 das Elektron, Nobelpreis für Physik 1906 † Francis W. Aston (1877–1945), Schüler von J. J. Thomson, erhielt 1922 für die Konstruktion des Mas- senspektrographen den Physik-Nobelpreis. Mit diesem Instrument konnte er in den folgenden Jah- ren 212 natürlich vorkommende Isotope identifizieren. ‡ Arthur Jeffrey Dempster (1886–1950), amerikanischer Physiker, Entdecker von 235U ¶ Alfred Otto Nier (1911–1994) amerikanischer Physiker an der University of Minnesota; er bestimmte als Erster die Isotopenzusammensetzung des Urans.
24 A. Radiogene Isotopensysteme
Werden feste Proben ana- Schema einer Ionenquelle lysiert, dann ist die Ionenquelle eine soge- Eintrittsspalt [0V] nannte Thermionen- z-Ablenkung [z.B. 300V] quelle (siehe Abbildung y-Ablenkung [z.B. 0-50V] 17[26]), das Massenspek- trometer ein Thermio- nenmassenspektrometer , Fokussierungslinsen [z.B. 1580V] und das Verfahren wird Abschirmblende [z.B. 1580V] als TIMS (thermal ioniza- tion mass spectrometr y) abgekürzt. Dabei wird die Ziehblende [z.B. 1750V] Probe – ein chemisch rein Ionisierungsbändchen [Re, Ta, W] aus einem Gestein oder Mineral isoliertes Metall- ABBILDUNG 17 Schema des Aufbaus der Ionenquelle eines Therm- salz – auf ein schmales ionenmassenspektrometers (≈1mm breites, ≈10mm langes ≈0.02mm dickes) Bändchen aus einem hochschmelzenden Metall (Re, Ta, W) aufge- tragen. Die Ionisierung erfolgt beim Austritt des Metalls (z.B. Sr, Nd, Pb) aus der glühenden Oberfläche des Filamentes. Die positiv geladenen Ionen werden dann in einem Hochspan- nungsfeld in der Ionenquelle beschleunigt (typischer Wert: 8kV) und auf einen Eintritts- spalt gegen das Trennrohr hin fokussiert. Im Trennrohr gelangt der Ionenstrahl in das magnetische Sektorfeld eines Elektromagneten, dessen Polschuhe so ausgerichtet sind, daß die magnetischen Feldlinien senkrecht zur Flugrichtung der Ionen stehen (Abbildung 19 ). Ein solches magnetisches Sektorfeld wirkt auf Ionen verschiedener Masse und Energie ähn- lich wie ein optisches Prisma auf Strahlung von unterschiedlicher Frequenz. Die Ionen werden auf Kreisbahnen abgelenkt, entsprechend ihrem Verhältnis von Masse m zu Ladung e, mit anderen Worten, die Ablenkung von der geraden Flugrichtung ist umso grö- ßer, je kleiner die Masse oder größer die Ladung ist (I.a. dampfen aber nur die einwertigen Metallionen vom Filament ab, also z.B. Sr+, Nd+, Hf+). Die auf diese Weise den Massen entspre- chend separierten Ionen fliegen dann auf getrennten Bahnen weiter zum Kol- lektor, meist ein oder mehrere Metallbe- cherchen (Faradaybecher). Das Magnet- feld wird so eingeregelt, daß einer der Ionenstrahlen (der also eine einzige Masse repräsentiert, z.B. 87Sr) einen Schlitz in einer vor dem Faraday ange- brachten Platte durchfliegt und im Fara- daybecher aufgefangen wird, während die übrigen Strahlen (z.B. 84Sr, 86Sr und 88Sr) auf die geerdete Schlitzplatte oder bereits vorher auf die Wände des Trenn- rohrs prallen und neutralisiert werden. Die durch den Ionenstrom dem Auffän- ABBILDUNG 18 Links ein Einzelfilament, auf das ger zugeführte Ladung wird über einen die zu analysierende Substanz aufgetragen wird. hochohmigen Widerstand – typischer- Rechts ein Dreifachfilament; hier wird die Sub- weise 1011Ohm – abgeleitet. Die Span- stanz auf die beiden Seitenfilamente aufgetragen, nungsdifferenz, die auf diese Weise an von denen sie natürlich auch abgedampft werden. den beiden Enden des Widerstandes Das Zentralfilament dient zur Kontrolle der Ionisa- erzeugt wird, wird verstärkt und mit tion [aus P.J. Potts (1992) A Handbook of Silicate einem Digitalvoltmeter (DVM) gemes- Rock Analysis, Blackie, Glasgow, 622 Seiten.]. sen. Ein typischer Wert für den Ionenstrom, der z.B. bei einer Sr-Analyse für das häufigste Isotop (88Sr) eingestellt wird, ist 1–2×10-11A, was sich auf dem DVM in 1–2 Volt umsetzt. Im
25 Einführung
Fall eines Massenspektrometers mit nur einem Kollektor werden die verschiedenen Ionen- strahlen eines Elementes im Abstand von einer oder mehreren Sekunden in den Faraday- becher geschickt, indem man das Magnetfeld des Elektromagneten variiert. Schneller wäre und denselben Effekt hätte es, anstatt dessen die Beschleunigungsspannung zu verändern. Das führt jedoch zur Defokussierung der Ionenoptik und wird deshalb in der Praxis nicht gemacht. Bei der derzeitigen Genera- tion der Thermionenmas- senspektrometer besteht der Auffänger aus mehreren (bis zu neun) einzelnen wenige Φm mm breiten Faradaybe- '' A' A'' A 3 chern, so daß meistens alle 1 Bildkurve '' Ionen eines Elementes A 2 gleichzeitig in separate Becher aufgefangen werden. ABBILDUNG 19 Prismenwirkung eines homogenen magneti- Da bei einem solchen Multi- schen Sektorfeldes; Abbildung eines ionenemittierenden Punk- kollektor natürlich jeder tes A' durch ein magnetisches Sektorfeld mit dem Sektorwinkel Becher seinen eigenen fm für drei verschiedene Massen bei senkrechtem Eintritt des Ableitwiderstand hat und Mittelstrahls des Ionenbündels ins Sektorfeld; Ionen verschiede- mit einem separaten DVM ner Massen und gleicher Energie gelangen längs der Bildkurve verbunden ist, spart man '' '' A'' , A , A zur Fokussierung. mit dieser Methode erheb- 1 2 3 lich an Meßzeit und erreicht, zumindest prinzipiell, auch eine höhere Präzision. Noch einige Bemer- kungen zur Bewe- gung der Ionen im Magnetfeld: Durch die Beschleu- nigungsspannung V in der Ionenquelle nimmt ein Ion der Masse m und Ladung e die kineti- sche Energie
1 2 E = eV = /2 mv [J = N×m = kg×m2/ s2] [GL 31] auf, wobei v die Geschwindigkeit des Ions ist. Beim Ein- tritt ins Magnetfeld der Flußdichte B ABBILDUNG 20 Ansicht eines Thermionenmassenspektrometers [Micro- (Tesla = V×s/m 2 ) mass Sector 54 – http://www.micromass.co.uk]. In der Mitte die Ionen- werden diese Ionen quelle, in die bis zu 20 Proben in einen Probenwechsler geladen werden auf Kreisbahnen mit können. Rechts der Auffänger, der mit bis zu neun Faradaybechern be- Radius r abgelenkt. stückt sein kann. Die Ablenkung ergibt sich aus einem Gleichgewicht zwischen der magnetischen Kraft B×e×V und der Zentripetalkraft m×v2/r:
B×e×v = m×v2/r [GL 32]
26 A. Radiogene Isotopensysteme oder, nach v aufgelöst: v = B×e×r/m. Dies, in GL 31 eingesetzt, ergibt: × 1 × 2× 2× 2 2 e V = /2 m B e r /m 1 2× 2 V/e = /2B r /m
⎡ × 2 2 ⎤ ⎛ Vs⎞ 2 kg× m ⎢⎜ ⎟ × m × s2 ⎥ m Br22× ⎢⎝ m2 ⎠ Vs× 2 3 × kg ⎥ = = = sA = [GL 33] e 2V ⎢ V m2 m2 As× ⎥ ⎢ ⎥ ⎣⎢ ⎦⎥ (A = Ampere). Verwendet man in dieser Gleichung atomare Masseneinheiten m’ = m/ 1,66054×10-27 kg) und setzt den Wert für eine elektrische Elementarladung (e’ = e/ 1,60219×10-19 A×s) ein, so erhält man, wenn B in Tesla und V in Volt eingesetzt wird: Wenn B in Gauß angegeben wird, r in cm, m in Atommassen und e×V die Voltenergie der Ionen ist, dann erhält man:
22× m' = Br − [GL 34] e' 2. 0721×× 10 8 V Da der Radius der Ionenbahn durch den Radius des Trennrohres gegeben ist und die Hoch- spannung bei der Analyse zweckmäßigerweise nicht verändert wird, bleibt als Variable nur B, um bei Massenspektrometern mit nur einem Faradaybecher den Ionenstrahl auf der Kreisbahn aufzufangen. So muß man z.B. B = 0.3960 Tesla einstellen, um den 88Sr+-Strahl bei einer Beschleuni- gungsspannung von 8000V mit einem „normalen“ Massenspektrometer zu messen (Radius des Trennrohres r = 12 Zoll = 30.48cm, m = 87.9056, e = 1):
− 87.. 9056××× 2 0721 108 8000 B = = 0.Tesla 3960 1× 0. 30482
Ein Multikollektormassenspektrome- ter ist in Abbildung 20 dargestellt. Es gibt daneben andere Verfahren, die sich zur Trennung von geladenen Teil- chen in speziellen Fällen oder auch all- gemein eignen. Dadurch gehören z.B. die Flugzeitspektrometer, die Ionen unterschiedlicher Masse auf Grund ihrer unterschiedlichen Flugzeit ent- lang einer vorgegebenen Strecke tren- nen, oder die Bahnstabilitätsspektro- meter, bei denen die Ionen zum Durchlaufen des Spektrometers bestimmten Stabilitätsbedingungen genügen müssen. ABBILDUNG 21 Prinzip eines Quadrupolmassen- filters Zu den letzteren gehören die Quadrupolmassenspektrometer, bei denen die Massentrennung durch Schwingung der Ionen in einem hochfrequenten elektri- schen Quadrupolfeld erfolgt (Abbildung 21). Das Feld wird durch vier zylindrische paral- lele Stabelektroden erzeugt, an dem an je zwei sich gegenüberliegende Elektroden eine mit einer hochfrequenten Wechselspannung überlagerte Gleichspannung angelegt wird. Die
27 Einführung
in das Feld eingeschlossenen Ionen führen senkrecht zu ihrer Flugbahn Schwingungen aus. Bei geeignet eingestellten Werten der Hochfrequenzamplitude und der Gleichspannung können nur Ionen bestimmter Massenzahl zum Auffänger gelangen, die im Quadrupolfeld stabil schwingen. Ionen anderer Massenzahl schwingen instabil; ihre Schwingungsampli- tude wächst rasch an; sie werden von der Flugbahn abgelenkt und prallen auf die Stab- elektroden. Solche Quadrupolspektrometer eignen sich für die Analyse von Gasen; sie fin- den Verwendung z.B. in ICP-MS-Geräten und in Knudsenzellenspektrometern. Seit den 1990-er Jahren hat sich eine weitere Revo- lution vollzogen, nämlich die Kopplung von ICP zur Verdampfung und Ionisie- rung der Probe mit einem Magnetsektormassenspek- trometer zur Trennung der Isotope und ihre Registrie- rung mittels Multikollek- torsystem (Abbildung 22 ). Während sich Quadrupol- massenspektrometer infolge einer unzureichen- den Peakform (Das „Dach“ ABBILDUNG 22 Beispiel für ein doppeltfokussierendes ICP-MS des Peaks ist über einen [Plasma 54 von VG Elemental – http://www.thermoelemen- kleinen Massenbereich tal.com/]. Der ICP-Teil befindet sich rechts, der Auffänger links. nicht flach) wenig zur prä- zisen Bestimmung von Isotopenverhältnissen eignen – zumal bei Verwendung eines Plas- mas als Ionenquelle – trifft diese Beschränkung auf die kombinierten Geräte nicht mehr zu, und sie erreichen fast die Präzision von Thermionenmassenspektrometern. Da da Plasma zudem eine um mehrere tausend Grad höhere Temperatur aufweist als das Metallbändchen einer Thermionenquelle, lassen sich mittels ICP auch Elemente effektiv ionisieren, bei denen dies bei der klassischen Massenspektrometrie nicht möglich ist. Dazu gehören z.B. Hf[27],[28] und W[29]. In einem ICP-Massenspektrometer ist dem + + + Magneten meist ein elektrostatischer Massen- analysator (ESA) vorgeschaltet. Die Kraft F [N = kg×m/s2], die im elektrischen Feld auf eine Ladung e [A×s] wirkt, ergibt sich als Produkt aus – – – elektrischer Feldstärke Ee [V/m] und Ladung e: =× FEe e ⎡ kg× m2 ⎤ ⎢ ⎥ V 3 × ⎢ ××As=sA××As=kgms × ×2 ⎥ ⎢m m ⎥ ⎢ ⎥ ⎣ ⎦ +
(Ee ist eigentlich ein Vektor mit der Richtung ABBILDUNG 23 schematische Skizze der Ab- der Kraft). Die Flugbahn eines Ions im ESA lenkung von Ionen im elektrischen Feld als ergibt sich als Gleichgewicht zwischen elektri- Funktion ihrer Energie scher Kraft und Zentripetalkraft:
×= ×2 × Eemvre
1 × 2 oder, da /2m v der kinetischen Energie E der Ionen beim Verlassen der Ionenquelle ist:
28 A. Radiogene Isotopensysteme
⎡ ⎤ ⎢ × 2 × 2 ⎥ ⎢ kg m kg m ⎥ 22E E ⎢ 2 2 kg×××× m23 s A m ⎥ Ee×= ⇒=r s = s = =m e r Ee× ⎢ V kg× m2 skgmAs22×× ×× ⎥ e ⎢ As× ⎥ m 3 × ⎢ s A As× ⎥ ⎣ ⎦ m Die Flugbahn kann damit als abhängig von der Energie der Ionen angesehen werden. Ionen mit höherer Energie werden im ESA weniger stark abgelenkt als Ionen mit geringerer Energie (Abbildung 23). 2.6 Isotopenverdünnungsanalyse Für eine Altersbestimmung muß gemäß GL 8 sowohl die Anzahl der noch vorhandenen Atome (oder eine ihr proportionale Größe, z.B. die Konzentration in m/g) des radioaktiven Mutternuklids als auch die der bereits durch den Zerfallsprozeß entstandenen Tochter- nuklide bekannt sein. Das läßt sich nach dem Verfahren der Isotopenverdünnungsanalyse machen. Diese Methode beruht auf der Messung der Isotopenzusammensetzung (oder mindestens eines Isotopenverhältnisses) eines Elements in einer Mischung. Die Mischung besteht aus der unbekannten Menge des zu bestimmenden Elementes in der Probe, der eine exakt abgemessene Menge eines sogenannten Spikes zugefügt wurde. Ein solcher Spike ist eine Lösung, die ein (selten 2) Isotop(e) des zu bestimmenden Elements hoch angereichert über dessen Häufigkeit im normalen in der Natur vorkommenden Element enthält. Z.B. besteht Rb aus den beiden Isotopen mit den Massenzahlen 85 und 87, von denen das letztere in 87Sr zerfällt. Das Verhältnis von 85Rb zu 87Rb im natürlichen Rb beträgt 2.593. Als Spike für die Rb-Konzentrationsbestimmung nimmt man i.a. eine Rb- Verbindung, in der 87Rb mit einem Massenseparator (einem Massenspektrometer) hoch angereichert wurde, so daß das 85Rb/87Rb-Verhältnis des Spikes nahe Null ist. Die Formel für die Konzentrationsberechnung läßt sich folgendermaßen ableiten. Man beschränkt die Betrachtung dabei zunächst auf 2 Isotope des zu bestimmenden Elementes oder genauer, auf ein Isotopenverhältnis. Die Zahl der Atome des einen Isotops der Probe
A (vor Zugabe des Spikes) soll mit NProbe bezeichnet werden, die des zweiten Isotops mit
B A B NProbe die entsprechende Anzahl der Atome beider Isotope im Spike sei NSpike und NSpike ,
A B die in der Mischung (Probe + Spike) sei NMix und NMix . Für die Zahl der Isotope gelten dann die einfachen Massenbilanzgleichungen:
A =+A A NNMix Probe NSpike [GL 35]
B =+B B und NNMix Probe NSpike [GL 36] Dividiert man beide Gleichungen durcheinander, also:
A NNA + A NMix = Probe Spike B B + B NMix NNProbe Spike
und schreibt im Zähler für
⎛ N A ⎞ ⎛ N A ⎞ NNAB= ⎜ Probe ⎟ = N B ⎜ ⎟ Probe Probe ⎝ B ⎠ Probe ⎝ B ⎠ NProbe N Probe
29 Einführung
⎛ A ⎞ ⎛ A ⎞ NSpike N sowie NNAB= ⎜ ⎟ = N B ⎜ ⎟ Spike Spike ⎝ B ⎠ Spike ⎝ B ⎠ NSpike N Spike
dann ergibt sich:
⎛ A ⎞ ⎛ A ⎞ B N + B N NProbe ⎜ ⎟ NSpike ⎜ ⎟ ⎛ A ⎞ ⎝ B ⎠ ⎝ B ⎠ N N Probe N Spike ⎜ ⎟ = ⎝ B ⎠ BB+ N Mix NNProbe Spike In dieser Glei- B Illustration der Isotopenverdünnungsanalyse chung ist NProbe 3.0 die einzige Unbe- 2.7 2.6 Rb-85 2.6 kannte, da das Iso- topenverhältnis Rb-87 N A /NB für den Spike bekannt ist und für die Probe 2.0 dem konstanten 1.6 Rb
irdischen oder solaren Verhältnis * entspricht . Das Mole 1 entsprechende Verhältnis der 1.0 Mischung läßt sich leicht mit dem Massenspek- 0.1 trometer messen. Obige Gleichung 0.0 muß also nur noch Probe Spike Mischung B nach NProbe aufge- löst werden: ABBILDUNG 24 Beispiel einer Isotopenverdünnungsanalyse
⎛ N A ⎞ ⎛ N A ⎞ ⎛ N A ⎞ ⎛ N A ⎞ N B ⎜ ⎟ + N B ⎜ ⎟ = N B ⎜ ⎟ + N B ⎜ ⎟ Probe⎝ N B ⎠ Spike ⎝ N B ⎠ PProbe ⎝ N B ⎠ Spike ⎝ N B ⎠ Mix Mix Probe Spikke
⎡ ⎤ ⎛ N A ⎞ ⎛ N A ⎞ N B ⎢⎜ ⎟ − ⎜ ⎟ ⎥ Spike ⎢⎝ N B ⎠ ⎝ N B ⎠ ⎥ B ⎣ Spike Mix ⎦ N = [GL 37] Probe ⎛ A ⎞ ⎛ A ⎞ N − N ⎝⎜ B ⎠⎟ ⎝⎜ B ⎠⎟ N Mix N Probe Die Anzahl der A-Atome in der Probe ergibt sich anschließend zu:
* In allen Fällen, in denen das betrachtete Element mindestens zwei natürlich vorkommende Isotope hat, die weder radioaktiv sind noch radioaktiv gebildet werden, sind die hier abgeleiteten Formeln gültig, weil das Verhältnis NA/NB der Probe so gewählt werden kann, daß es eine Naturkonstante ist. Ausnahme ist das Pb, bei dem von vier Isotopen drei durch Zerfall aus U und Th entstehen.
30 A. Radiogene Isotopensysteme
⎛ A ⎞ ABN NN= ⎜ ⎟ [GL 38] Probe Probe ⎝ B ⎠ N Probe Beispiel: Der Aufschluß von 50mg eines Phlogopits wird mit 3g einer Rb-Spikelösung ver- setzt. Das natürliche Rb besteht aus den beiden Isotopen 85Rb und 87Rb in einem Verhältnis von 2.593. Das 85Rb/87Rb-Verhältnis des Spikes betrage 0.02047, und der Spike enthalte × -8 87 A B 1.046 10 m Rb pro g Lösung. (N /N )Mix sei 1.200. Da die Konzentrationsangabe m/g über die Avogadrosche Zahl direkt der Zahl der Atome pro g Lösung proportional ist, begnügen wir uns mit der Berechnung der Konzentrationen C.
− 0.. 02047− 1 200 − CgB =×3[] 1 . 046 × 10 8 [ mg / ] × =×2. 657 10 887mRb Probe 1...200− 2 593
A =××=×−−8885 und CmRbProbe 2... 657 10 2 593 6 890 10
(Umrechnung in N: Ergebnis × 6.023×1023 Atome)
=+=×AB −8 CCCProbe Probe Probe 9.. 547 10 mRb Ist die Konzentrationsangabe Prozent oder ppm erwünscht, braucht das Ergebnis nur noch mit dem Atomgewicht des natürlichen Rb multipliziert zu werden: × -8 × × -6 CProbe = 9.547 10 [m] 85.47 [g/m] = 8.160 10 g Rb oder 8.160×10-6[g]/50×10-3[g]×106 = 163.2 ppm. Die Isotopenverdünnungsmethode ist ziemlich tolerant gegenüber der Menge an zugefüg- tem Spike, solange nur diese Menge einerseits nicht verschwindend gering gegenüber dem Isotop in der Probe ist und die Menge in der Probe nicht verschwindend gering gegenüber dem Isotop im zugefügten Spike. Dies erkennt man, wenn man beide Seiten von GL 37 A durch NSpike dividiert und den Zähler auf der rechten Seite ausmultipliziert:
⎡ ⎤ N B ⎛ N B ⎞ ⎛ N A ⎞ ⎛ N A ⎞ ⎛ N A ⎞ Probe =−1 ⎢⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ − ⎜ ⎟ ⎥ [GL 39] A ⎢⎝ A ⎠ ⎝ B ⎠ ⎝ B ⎠ ⎝ B ⎠ ⎥ NSpike ⎣ N Spike N Miix N Mix N Probe ⎦ Wenn die Menge an zugefügtem Spike extrem gering ist, geht der Nenner der Gleichung A B ≈ A B gegen 0. Ist die Menge zu groß, ist (N /N )Spike (N /N )Mix, und der Zähler geht gegen 0. Wenn aus demselben Probenaufschluß allerdings sowohl Konzentrationen als auch ein radiogenes Isotopenverhältnis bestimmt werden sollen, dann darf die Spike-Menge nicht zu groß werden, weil der Spike in der Regel nicht nur aus einem Isotop besteht. Ein 84Sr- Spike z.B. wird auch 86Sr und 87Sr enthalten, und dessen Beitrag muß exakt korrigiert wer- den können, um das 87Sr/86Sr-Verhältnis der Probe zu bestimmen.
31 Einführung
2.7 Datierungsmethoden – allgemeine Bemerkungen Infolge der unterschiedlichen Halbwertszeiten der Mutternuklide in den verschiedenen Zerfallssystemen ist klar, daß ihrer Anwendung zur Altersbestimmung Grenzen gesetzt sind. Zusätzliche Einschränkungen werden durch die Art (Chemismus) der zu datierenden Gesteine oder Minerale auferlegt sowie durch ihre thermische Geschichte, die Wachstums- geschwindigkeit und Wachstumsdauer von Mineralen kontrolliert. Mit verschiedenen Isotopensystemen können an demselben Gestein in Extremfällen sogar unterschiedliche Ereignisse datiert werden. Das ist besonders einleuchtend bei der Fission-Track-Methode (Kapitel 13.0, Seite 139) und andere Methoden der Niedrigtemperatur-Thermochronolo- gie, die stets die jüngsten Alter liefern, weil die durch die Spontanspaltung von 238U verur- sachten Störungen in einem Mineral schon bei niedriger Temperatur durch Ausheilpro- zesse verschwinden oder weil z.B. He bereits bei Temperaturen, wie sie in der oberen Erdkruste herrschen, rasch aus einem Kristall diffundiert; daher eignen sich solche Metho- den z.B. zur Rekonstruktion der tektonischen Hebungsgeschichte eines Orogens und der Abtragungsgeschwindigkeit an der Erdoberfläche. Oft genug stellt auch die Dateninterpre- tation den Geowissenschaftler vor Probleme, und es ist zu hinterfragen, ob ein vermeint- lich nicht in einen geologischen Rahmen passendes Alter nicht auf ungeeigneter Proben- wahl, ungeeigneter Wahl der Datierungsmethode, Störungen des Isotopensystems oder mangelhafter Feldarbeit beruht. Einem Alter wird sicherlich eine geologische Bedeutung beigemessen werden dürfen, wenn verschiedene Isotopensysteme (z.B. Rb–Sr und Sm–Nd) innerhalb der Fehler identische Werte liefern. Andererseits ist es durchaus plausibel, mit verschiedenen Methoden der Geochronologie unterschiedliche Alter für dasselbe Mineral zu erhalten, insbesondere wenn damit verschiedene Phasen des metamorphen Wachstums datiert werden.
32 A. Radiogene Isotopensysteme
3.0 Das K–Ar-Zerfallssystem (K–Ar- und Ar–Ar-Methoden)
Kalium gehört zu den Hauptelementen der meisten Gesteine, und es ist das siebthäufigste Element der Erdkruste. Zudem hat 40K eine für die radiometrische Datierung günstige Halb- 1 wertszeit, die gut /4 des Alters der Erde entspricht. Obwohl damit zwei wesentliche Voraus- setzungen für eine weite Anwendbarkeit der beiden Methoden erfüllt sind, erlegen die Art des Zerfalls von 40K und die chemische Zugehörigkeit des Zerfallsprodukts – 40Ar, ein Edel- gasisotop – der Anwendbarkeit einige Restriktionen auf. Die Radioaktivität des K ist seit 1906 bekannt (gemessen von Campbell & Wood auf Ver- mutung von J. J. Thomson, 1905). Erst 1935 jedoch gelang es A. O. Nier, das Isotop 40K als Verursacher der Radioaktivität zu identifizieren. Basierend auf theoretischen Überlegungen von C.F. von Weizsäcker (1937), gelang Aldrich & Nier 1948 der Nachweis, daß ein Teil des 40K tatsächlich in 40Ar zerfällt und nicht nur in 40Ca. Gut 89% der 40K-Atome zerfallen unter β–-Emission in 40Ca, die restlichen knapp 11% unter Elektroneneinfang in 40Ar (siehe Abbildung 25[30]).
MeV 1.6 - 40K 89,14% machen einen β -Zerfall in den Grundzustand von 40Ca 1.4 (Zerfallsenergie 1.32 MeV)
1.2 0.2% machen einen Elektronen- einfang in den Grundzustand von 40Ar (Zerfallsenergie 1.51 MeV) 1.0 10,66% machen einen Elektronen- 0.8 einfang in einen angeregten Zustand 40Ar (Zerfallsenergie 0.05 MeV) 0.6 Zerfall des angeregten Zustandes 0.4 von 40Ar in den Grundzustand unter γ-Emission (1461 KeV) 0.2 40Ca 0.0
18 19 20 Ordnungszahl
ABBILDUNG 25 40K erleidet einen dualen Zerfall in 40Ar und in 40Ca.
Kalium hat 3 in der Natur vorkommende Isotope, 39K (Häufigkeit 93.2581 ±0.0029%), 40K (0.011668±0.000008)[31] und 41K (6.7302±0.0029%). Das Edelgas Ar hat ebenfalls 3 natür- lich vorkommende (stabile) Isotope, deren Häufigkeit in der Atmosphäre folgendermaßen ist[32]: 36Ar 0.3336±0.0004%, 38Ar 0.0629±0.0001% und 40Ar 99.6035±0.0004%. Daraus ergibt sich ein atmosphärisches 40Ar/36Ar-Verhältnis von 295.5. Mehr als 99.9% des atmo- sphärischen Ar stammen letztlich aus dem Zerfall von 40K. Die Isotopenzusammensetzung des Ar in Gesteinen ist nicht konstant, sondern eine Funktion ihres K-Gehaltes, Alters und ihrer thermischen Geschichte.
33 Das K–Ar-Zerfallssystem (K–Ar- und Ar–Ar-Methoden)
3.1 Die K–Ar-Methode 40 Auf Grund des dualen Zerfalls von K muß man 2 Zerfallskonstanten unterscheiden, λβ für – 40 40 den λ -Zerfall in Ca und λε für den Zerfall unter Elektroneneinfang in Ar. Die Addition beider ergibt die Gesamtzerfallskonstante: −10 −1 λ = λβ + λε = 5.543×10 a . Die derzeit international akzeptierten und verwendeten partiellen Zerfallskonstanten λ × -10 -1 λ × -10 -1 betragen β = 4.962 10 a und ε = 0.581 10 a . Demgegenüber gibt es aber nur eine Halbwertszeit: T = ln2/ λ = 1.250 ×109 a. Von partiellen Halbwertszeiten zu sprechen, ist sinnlos, auch wenn formal in der Zerfalls- gleichung mit einer derartigen Größe gerechnet werden kann. Die Zerfallsgleichung GL 8, auf das K–Ar-System und das K–Ca-System angewandt, lautet: D = N×(eλt – 1)
λλ+ 40 40 40λttεβ 40 λ Ar+= Ca K() e −11= ××− K() e [GL 40] λ
λ λ λ β λ =×ε 40Ke ×()tt −11+× 40 Ke ×() − λ λ
Hierin stellt der erste Term auf der rechte Seite den Teil des K dar (für ein gegebenes Alter t), der in 40Ar zerfallen ist, der zweite den Teil, der in40Ca zerfallen ist. Es gilt daher:
λ 40ε 40 λt Ar=× K ×() e −1 [GL 41] λ Im einfachsten aller denkbaren Fälle erhält man das Alter eines Gesteins oder Minerals, indem man GL 41 nach t auflöst:
⎛ 40 λ ⎞ =×1 Ar × + t ln⎜ 40 1⎟ [GL 42] λ ⎝ K λε ⎠ Damit dies tatsächlich ein geologisch sinnvolles Alter darstellt, muß eine Reihe von Vor- aussetzungen erfüllt sein. Die wichtigsten sind: • Zur Zeit t=0 (magmatisches oder metamorphes Alter) enthielt die Probe kein 40Ar. • Von t=0 bis heute war die Probe ein geschlossenes System für K und Ar. Das heißt, es fand keinerlei Austausch von K und Ar mit der Umgebung statt (weder Abgabe noch Aufnahme). Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, braucht man in einer Probe nur die Konzentrationen von 40K und 40Ar zu bestimmen, um nach GL 42 das Alter zu berechnen. Für die 40K- Bestimmung genügt es, den Gesamtkaliumgehalt zu messen, z.B. flammenphotometrisch, da die Isotopenzusammensetzung des K in der Natur zumindest im Rahmen der erforder- lichen Meßgenauigkeit konstant ist. Das gilt selbstverständlich nicht für das Ar. Zur Kon- zentrationsbestimmung nach der Isotopenverdünnungsmethode muß der Probe ein Spike zugesetzt werden; dazu wird ein Argongas benutzt, das hoch an 38Ar angereichert ist (≈99.9%). Dieser Spike wird dem Probenargon zugemischt, das durch Erhitzen im Vakuum – meist bis zum Schmelzen – aus der Probe ausgetrieben wird. Unter den beiden oben genannten Bedingungen ist die erste in der Regel erfüllt. Als Edel- gas wird das Argon strukturell nicht oder zumindest nur sehr schwach im Kristallgitter gebunden. Daher kann man meist davon ausgehen, daß bei der Gesteinsanatexis eine Ar- Entgasung des Magmas eintritt, so daß bei der späteren Kristallisation auch kein Ar zum
34 A. Radiogene Isotopensysteme
Einbau in die Minerale zur Verfügung steht. Schon bei mittelgradiger Metamorphose ist die Entgasung von Mineralen wie Hornblenden oder Hellglimmern oft vollständig – abhängig von der Metamorphosetemperatur und -dauer. Wenn diese Metamorphite aus Sedimenten abgeleitet sind, enthalten die Minerale aber oft noch etwas atmosphärisches Argon aus der sedimentären Vorgeschichte der Probe, was eine Korrektur der gemessenen 40Ar-Menge um den atmosphärischen Beitrag erforderlich macht. Die geringe Bindung des Ar an die K-hal- tigen Minerale hat aber auch seine Nachteile. Selbst bei tiefen Temperaturen kann es pas- sieren, daß das in einem K-reichen Mineral entstandene radiogene 40Ar nicht quantitativ darin verbleibt, sondern teilweise durch Diffusion verloren geht. In anderen K-haltigen Mineralen desselben Gesteinsverbandes kann dann der gegenläufige Effekt eintreten, daß sie 40Ar aus der Umgebung aufnehmen. 40Ar-Überschuß wird sogar in gegenüber der Umge- bung K-reichen Gesteinen beobachtet. An solchen Mineralen ermittelte Alter hätten keine geologische Bedeutung. Im ersten Fall ergäbe sich ein zu niedriges, im zweiten Fall ein zu hohes Alter infolge der Gegenwart von sogenanntem Überschußargon. Zu den Mineralen, die sich nach allgemeinen Erfahrungen für die K–Ar-Datierung gut eignen, zählen Amphibole, Biotite und Feldspäte aus vulkanischen Gesteinen sowie Amphibole und Glim- mer aus Plutoniten und Metamorphiten. Gesamtgesteine sind meist unbrauchbar mit der Ausnahme von jungen Vulkaniten, sofern sie vollkommen frisch erhalten sind. Von einer früheren Arbeitsgruppe der Universität Bern, die sich mit der Problematik der Datierung der alpinen Metamorphose befaßt hat, wurde in den 1960er Jahren der Begriff der „Schließungstemperatur“ in die Isotopengeologie eingeführt, nachdem man beobach- tete, daß Muskovit und Biotit aus Gesteinen von vermutlich gleich alten Einheiten charak- teristische Altersvariationen zeigten, die mit dem Grad der Metamorphose zu korrelieren schienen[33]. Und zwar sind die K–Ar- und Rb–Sr-Alter von Glimmern aus niedrig metamor- phen Gesteinen höher als die aus höher metamorphen Einheiten desselben Komplexes. Es scheint also eine charakteristische Temperatur zu geben oder, vorsichtiger gesagt, ein Tem- peraturintervall, unterhalb dessen der Isotopenaustausch mit der Umgebung zum Erliegen kommt und das Mineral auch über geologische Zeiten als geschlossenes System betrachtet werden kann. Das Konzept der Schließungstemperatur beinhaltet, daß die Diffusion der einzige Para- meter ist, der diese Temperatur bestimmt. Diffusionsprozesse von Ionen oder Atomen in Kristallen sind thermisch aktiviert; sie gehorchen oft einer einfachen Arrhenius-Beziehung des Typs
× -E/RT D = Do e [GL 43] → ∞ 2 (D = Diffusionskoeffizient, Do = Diffusionskoeffizient T [cm /s], T in Kelvin, R = Gas- konstante [cal/(mol×K)], E = Aktivierungsenergie des Diffusionsprozesses [cal/mol]). Auf Grund dieser exponentiellen Beziehung zwischen Diffusionskoeffizient und Temperatur wird man annehmen dürfen, daß das Temperaturintervall, innerhalb dessen die Diffusion praktisch zum Erliegen kommt, gering ist. Nach M.H. Dodson[34] kann die Schließungstem- peratur Tc nach der folgenden iterativ zu lösenden Gleichung abgeschätzt werden:
⎛ ⎞ E −×AD ×× RT2 = ln ⎜ 0 c ⎟ [GL 44] RT× ⎜ . ⎟ c ⎝ ETa××2 ⎠ Hierin ist A ein dimensionsloser Geometriefaktor (55 für eine Kugel, 27 für einen Zylinder und 8.7 für eine ebene Schicht), a eine charakteristische Dimension des Korns, entspre-
. chend dem Radius im Fall einer Kugel und TdTdt= / die zeitliche Änderung der Tempera- tur des Gesteins oder Minerals [K/s], bei dieser Anwendung als Abkühlgeschwindigkeit (negatives Vorzeichen) zu interpretieren. Je rascher ein Gestein abkühlt, desto höher ist demnach die Schließungstemperatur.
35 Das K–Ar-Zerfallssystem (K–Ar- und Ar–Ar-Methoden)
In Abbildung 26 ist der Zusammen- 1500 hang zwischen Schließungstempera- tur und Abkühlgeschwindigkeit am Abhängigkeit der Beispiel der Sr-Diffusion in natürli- 1400 Schließungstempera- chem Diopsid illustriert. Der geolo- tur von Diopsid für Sr- ]
gisch relevante Bereich entspricht C Diffusion von der
[° 1300 Abkühlungsgeschwindigkeiten -dT/dt Abkühlrate von 10o– 104 K/Ma, wofür die Schlie-
ßungstemperatur des Diopsids zwi- eratur 1200 p schen ≈800 und 950°C liegt. Die Diffusionskoeffizienten D haben 1100
extrem niedrige Werte – ≈10-14– 10-17 ungstem ß e
2 i cm /s im Fall der Sr-Diffusion in Diop- 1000 sid. Diffusionslängen oder -wege x Schl können mit Hilfe der Relation 900 xDt≅ abgeschätzt werden. Daraus errechnet sich im Fall, daß D=10 -15 cm2 /s ist, eine Diffusionslänge 800 x≈0.18cm für t = 106 a = 3.15×10 13 s, 0 1 2345678 d.h. ein Sr-Atom im Diopsid diffun- log dT/dt [K/Ma] diert pro 106a ≈0.18cm weit. ABBILDUNG 26 Sr-Diffusion in Diopsid: Abhängigkeit Das Konzept der Schließungstempera- der Schließungstemperatur von der Abkühlgeschwin- tur ist in der Folgezeit zunächst weit- digkeit. Die Berechnung der Kurve erfolgte nach der gehend akzeptiert worden. Inzwischen ⎡ ⎛ ⎞ ⎤ wird aber zunehmend und auch rigo- =−22440 dT − Gleichung: T[C]c ⎢ log⎝⎜ ⎠⎟ ⎥ 273 . Sie ros Kritik daran geäußert. Neben der ⎣ 20.9 dt ⎦ Diffusion werden die Deformation beruht auf experimentellen Untersuchungen zur Sr- von Gesteinen und Mineralen, die Diffusion in natürlichem Diopsid. Angenommen wur- eine Rekristallisation der Minerale ver- de bei den Berechnungen ein Kornradius von 0.2cm ursacht, und die Rolle von Fluiden auf und A=55 (Kugelgestalt des Minerals); die Aktivie- Korngrenzen für noch wichtiger rungsenergie wurde zu 97 kcal/mol bestimmt, und gehalten. Bei Abwesenheit von Flui- 2 D0 = 54cm /s. den muß zudem ein anderes Mineral als Reaktionspartner zur Verfügung stehen, und außerdem muß zwischen den austau- schenden Mineralen ein Ladungsausgleich bewerkstelligt werden. Villa[36] macht auf zahl- reiche Widersprüche innerhalb der originalen Kalibrierung der Schließungstemperaturen aufmerksam und auf innere Widersprüche in vielen anderen Studien. So weist er zum Bei- spiel auf eine Kompilierung von Altersdaten aus den Zentralalpen hin, die anzuzeigen scheint, daß Rb–Sr-Alter von Muskoviten höher liegen (Eozän) als U–Pb-Alter von Monazi- ten (Oligozän). Daraus wurde gefolgert, daß die Schließungstemperatur von Monazit für das U–Pb-System mit ca. 420 °C deutlich unterhalb der für Rb–Sr im Muskovit liegt[37], für die ca. 500 °C angenommen wurde. Villa argumentiert demgegenüber, die Muskovite seien nicht ausschließlich Neubildungen der alpinen Metamorphose und enthielten noch Anteile an herzynischem radiogenem 87Sr, so daß ihre eozänen scheinbaren Alter tatsäch- lich Mischalter zwischen herzynisch und alpin seien, während die Monazite Neubildungen der Metamorphose im Oligozän wären. Gut belegt scheint immerhin, daß zonierte Mon- azite scharfe Altersunterschiede zeigen, die der Zonierung entsprechen[39]. Das bedeutet, daß die Diffusion während des thermischen Ereignisses, das zur Bildung von Anwachssäu- men führte, nicht rasch genug erfolgte, um die U–Pb-Isotopenunterschiede auszugleichen. Daraus wiederum ergibt sich, daß die Schließungstemperatur des Monazits für die Diffu- sion von Pb erheblich über 420 °C liegen muß. Bei der Datierung von Hellglimmern aus grünschiefer- bis amphibolitfaziellen Metagraniten der Alpen mittels der Ar–Ar-Methode wurde gefunden, daß die Anwesenheit von reliktischem Phengit in Hellglimmer einher
36 A. Radiogene Isotopensysteme
geht mit ererbtem 40Ar – auch dies ein Hinweis darauf, daß selbst mittelgradige Metamor- phosen nicht unbedingt in der Lage sind, das K–Ar-System von Hellglimmer vollständig auf Null zurückzusetzen[38]. Auf der Basis seiner Neubewertung der zur Verfügung stehen- den Literaturdaten gibt Villa[36] für einige Minerale und Isotopensysteme neue Schlie- ßungstemperaturen an (Tabelle 4 – vergleich auch Tabelle 12 auf Seite 144), die allerdings nur gelten, wenn Ionendiffusion der geschwindigkeitsbestimmende Faktor ist, Fluide nicht vorhanden sind und Rekristallisation nicht stattfindet. Ob diese Schließungstemperaturen sinnvoll anwendbar sind, muß dann für jede Anwendung eigens geprüft werden. Die in der Tabelle angegebenen Temperaturen sind z.B. für K–Ar in Amphibol gegenüber früheren Annahmen unverändert geblieben, während sie für dasselbe System in den Glimmern um 100 – 150 °C höher liegen.
TABELLE 4: „Schließungstemperaturen“ [Tc] für einige Minerale und Isotopensysteme[36] Mineral Zirkon Biotit Muskovit Apatit Amphibol Muskovit Titanit Xenotim Monazit Granat Zerfall Fission- K–Ar K–Ar U–Pb K–Ar Rb–Sr U–Pb U–Pb U–Pb U–Pb Track
Tc [°C] 350 450 500 500 550 – 650 600 – 650 680 750 770 850 – 1000
Aus diesen Daten läßt sich ablesen, daß – sofern die genannten Voraussetzungen für ihre Anwendbarkeit auf metamorphe Gesteine erfüllt sind – die Isotopensysteme häufig schon auf dem Höchststand der Metamorphose eingefroren sein werden. Für Bedingungen der nied- rig- bis mittelgradigen Metamorphose sollte eine Datierung dann das Alter liefern, welches der Kristallisation der für die Altersbestimmung verwendeten metamorphen Minerale ent-
Oberfläche 0 ABBILDUNG 27 Thermisches UP 100 (a) 10 200 60 [40] 15 Modell einer Orogenese . 300
20 50 T ] i
400 efe [ Eine (rasch ablaufende) Über- m 40 k 30 OP 500 10 ] schiebung verdoppelt die 600 k 40 30 m efe [ efe vor der i OP ] 700 bar T Mächtigkeit der Kruste (b). Da- 50 Überschiebung k 5 20 „steady state“- 800 P [ durch werden heiße Gesteine 60 Geotherme 10 900 UP (OP) über kalte (UP) gestapelt. 0 0 Oberfläche 0 200 400 600 800 20 Ma nach dem tektonischen 0 100 (b) 10 60 Ereignis möge Hebung einset- 200 15 300 50 T
] 20
zen (0.35 mm/a), die durch i 400 efe [ m UP k OP 40 Erosion an der Oberfläche 30 500 10 ] k
40 100 30 m efe [ efe
kompensiert wird. Dabei be- i UP OP ] bar
T 200 50 k 20 300 5 schreiben die Gesteine einen gleich nach der P [ 60 400 gestörte Geotherme 10 Überschiebung im Uhrzeigersinn gekrümmten 500 0 0 Druck–Temperatur–Zeit-Pfad Entfernung 0 200 400 600 800 (c). Für die beiden Gesteinspa- T [°C] 20 kete UP und OP modelliert (c) man Pfade, die durch die blau- 60 20 40 en Kurven dargestellt sind. Die 16 60 roten Kurven entsprechen UP 50 80 T i efe [ Geothermen, wobei die Zahlen ] 6 12 40 für die Alter in 10 a nach dem 100 bar k k
tektonischen Ereignis stehen. m OP 30 P [ Man erkennt, daß tiefere Ge- 8 ] steine ihre maximale Tempera- -Geotherme 20 T ∞ tur erst erheblich später errei- 4 chen als flacher gelegene. Im sich entwickelnde Geothermen 10 Fall von UP und OP beträgt der und resultierender P,T-Pfad 0 0 Zeitunterschied rund 30 Ma! 0 200 400 600 800 1000 T [°C]
37 Das K–Ar-Zerfallssystem (K–Ar- und Ar–Ar-Methoden)
spricht. Erst bei der hochgradigen orogenen Metamorphose, wenn ein Gesteinspaket lange Zeit hindurch hohen Temperaturen ausgesetzt bleibt, wäre zu erwarten, daß verschiedene Minerale und verschiedene Isotopensysteme verschiedene Alterswerte liefern, die Punkten auf der langsamen Abkühlungskurve des Gesteins entsprechen, also Abkühlalter darstellen. Systematische Zonierungen der Hauptelemente von Mineralen aus solchen Gesteinen, einer Temperaturerniedrigung entsprechend, könnten unabhängige Indizien dafür liefern. Ergänzend sei bemerkt, daß thermische Modelle von Orogenesen zeigen, daß tiefer gele- gene Gesteinspakete ihre maximale Temperatur später erreichen als flacher gelegene, wobei der Altersunterschied leicht einige 107a erreichen kann (Abbildung 27[40]). Wenn Isotopen- alter die maximale Metamorphosetemperatur anzeigen, sollten derartige Altersunter- schiede häufig auflösbar sein. Andererseits zeigen viele ehemalige hoch metamorphe Kom- plexe Anzeichen der Anpassung an niedrigere Metamorphosegrade, z.B. durch Bildung von Amphibolen und Biotiten in basischen Granuliten oder in Eklogiten, belegen also dur ch zirkulierende Fluide verursachte chemische Reaktionen unter anderen P–T-Bedingungen. Nach diesem Exkurs nun zurück zur K–Ar-Datierung: Die unter- 1400 schiedliche Eignung verschiede- ner Minerale sei in Abbildung 28 1200 an einem Beispiel demonstriert, bei dem K–Ar-Alter von Minera- 1000 len aus einem proterozoischen Hornblende Gneis an dessen Nähe zu einem ] Ma
tertiären Plutonit gemessen wur- [ 800 [41]
den . lter
grober Biotit -A Das K–Ar-System wird heute be- r 600 -A K vorzugt für die Datierung geolo- 400 gisch junger Gesteine (Meso- bis Feldspat känozoisch) eingesetzt. Es ist oft die einzige Methode, mit der das 200 Eruptionsalter ganz junger 7 (<10 a) Vulkanite ermittelt wer- 0 den kann. Bei polymetamorphen 110 100 1000 10000 Gesteinen wird es die Abkühlung Abstand vom Kontakt [m] nach der letzten (mittelgradigen) Metamorphose datieren oder ein ABBILDUNG 28 Variation der K–Ar-Alter von Mineralen in Mischalter hin zu einem älteren einem Quarz-Feldspat-Biotit-Gneis nahe dem Kontakt zu Ereignis. Bei geologisch alten Ge- einem 55 Ma alten Quarzmonzonit (Colorado Front Ran- steinen nehmen die Probleme ge/U.S.A.) von Ar-Entgasung oder Ar-Über- schuß zu. Zur Datierung von Metamorphosen ist das nachfolgend beschriebene Ar–Ar-Ver- fahren besser geeignet. Nichtsdestoweniger hat das K–Ar-System in den 1960er Jahren we- sentlich dazu beigetragen, den kanadischen Schild altersmäßig zu gliedern, indem man acht strukturelle Provinzen unterschied, die jeweils durch eine Orogenese stabilisiert wur- den. Als Beispiel sei die K–Ar-Altersstruktur der Grenville-Provinz im Osten Kanadas er- wähnt (Abbildung 29[25]). Die Grenville-Orogenese im Jungproterozoikum ist gesichert ei- ner Kollision zweier Kontinentalplatten zuzuschreiben. In der Grenville-Provinz variieren die K–Ar-Alter systematisch um mehr als 200Ma, wobei die höchsten Alter im Westen an der Grenze zur älteren Superior-Provinz, in der sich eine Überprägung durch die Grenville Orogenese nicht mehr nachweisen läßt, gefunden werden. Die großen Altersunterschiede innerhalb der Grenville-Provinz erklärt man dadurch, daß der westliche Teil früher empor- gehoben wurde und damit abkühlte als der Ostrand. Besondere Bedeutung hat das K–Ar-System für die Kalibrierung der geologischen Zeitskala des Phanerozoikums gespielt. Sedimente lassen sich leider nur selten absolut exakt datie- ren, während sie biostratigraphisch sehr fein gegliedert werden können. Die absolute Kali-
38 A. Radiogene Isotopensysteme
brierung der Zeitskala erfolgte v.a. mit Hilfe von stratigraphisch genau eingeordneten Vul- kaniten. 3.2 Die 40Ar/39Ar-Methode Dies ist eine Variation der K–Ar-Methode, die 1966 von C.M. Merrihue & G. Turner vorge- schlagen wurde. Der K-Gehalt der Probe wird hier durch Messen der Menge an 39 Ar bestimmt, die durch Bestrahlung in einem Kernreaktor mit schnellen Neutronen durch die Reaktion 39K(n,p)39Ar produziert wird. 39Ar ist radioaktiv und zerfällt mit einer Halbwerts- zeit von 269a in 39K. Wegen dieser langen Halbwertszeit darf man das 39Ar als über den Ver- lauf der Ar–Ar-Isotopenanalyse stabil ansehen. Steckt man eine Probe in einen Kernreaktor, dann werden viele Kernreaktionen ausgelöst, vor allem (n,γ)- und (n,p)-Reaktionen. Betrachtet man ein einziges Isotop eines beliebigen Elementes dieser Probe, dann läßt sich die Zahl N der durch eine bestimmte Kernreaktion gebildeten Nuklide (z.B. durch 39K(n,p)39Ar) nach der Gleichung