© Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaften beider Basel 5 (2001) 57

Vegetations- und Landschaftsveränderungen seit 1880 in Dornach und

DANIEL KNECHT

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung, Abstract ...... 58 Einleitung ...... 59 Geographie des Untersuchungsgebiets ...... 60 Darstellung und Methode ...... 63 Die Vegetation zwischen 1880 und 1920 im Untersuchungsgebiet und Veränderungen bis heute Äcker ...... 66 Rebberge ...... 73 Magerwiesen und -weiden ...... 74 Sumpf- und Nasswiesen ...... 82 Röhrichte und Wasservegetation der Bäche, Tümpel und Weiher ...... 87 Gebüsche und Feldgehölze ...... 92 Magere Gebüsch- und Waldsäume ...... 97 Fettwiesen und -weiden ...... 100 Ruderalvegetation ...... 106 Pioniervegetation trockener Standorte ...... 115 Flühe und Mauern ...... 119 Wälder ...... 121 Artenzahlen und Gefährdung ...... 127 Diskussion, Ausblick ...... 131 Quellenverzeichnis ...... 133 Karte (Rekonstruktion von Vegetation und Landschaft zwischen 1880 und 1920) ...... Beilage

Die Zeichen in den Pflanzenlisten bedeuten: Kein Zeichen: Historisch für das Untersuchungsgebiet zwischen 1880 und 1920 nachgewiesene, heute ver- schwundene Art. * : Die Art kommt heute noch vor, wenn auch meist viel seltener oder nur noch in Restpopulatio- nen **: Art mit Pauschalangabe in der Literatur (indirekter Nachweis) (Erläuterungen dazu im Kapitel «Darstellung und Methode») 58 KNECHT Mitt. Naturf. Ges. beider Basel 5

Zusammenfassung. Die Verbreitung von Gefässpflanzen und Pflanzengesellschaften in ihrer zeitli- chen Dynamik kann auf verschiedenen Massstabsebenen erfasst werden. Auf kleiner Massstabse- bene, bei Flächengrössen von ca. 100–10 000 m2, ist z.B. die Zusammensetzung verschiedener Vege- tationstypen seit längerem bekannt. Die meist katalogartig gehaltenen Gebietsfloren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geben auf einer höheren Massstabsebene, auf Flächen von ca. 100–1000 km2, summarisch einen Überblick über den früheren Artenreichtum von Regionen. Die historische Aus- stattung von kleineren Landschaftsräumen von etwa 10 km2 Grösse mit Pflanzenarten und Pflan- zengesellschaften, also auf einer mittleren Massstabsebene, wäre aus ökologischer und naturschüt- zerischer Sicht von besonderem Interesse. Aus verschiedenen Gründen ist darüber jedoch bisher we- nig bekannt. In dieser Arbeit wird dies auf der 13 km2 grossen Fläche zweier Gemeinden nahe bei Basel, Dornach und Arlesheim, und für die Zeitperiode 1880–1920, untersucht. Die aktuellen Daten zur Verbreitung der Pflanzen stammen aus einer neuen Gebietsflora (Brodtbeck et al. 1999). Die histo- rische Verbreitung der Gefässpflanzen und Pflanzengesellschaften wurde aufgrund von 16 historisch- floristischen Quellen sowie alten Landkarten, Plänen und Fotos rekonstruiert. Die Befunde wurden in Beziehung gesetzt zu den damaligen Landnutzungen, erschlossen aus verschiedenen historischen Quellen. Es wird gezeigt, wie das Vorkommen bestimmter Vegetationstypen von beidem, den na- turräumlichen Voraussetzungen und den Landnutzungsformen abhing. Die traditionelle Kulturland- schaft war im untersuchten Raum zwischen 1880–1920 um 16% artenreicher als die moderne Land- schaft. 40% der heutigen Arten kommen jedoch in wenigen, kleinen und abnehmenden Populatio- nen vor und sind demnach in Gefahr lokal auszusterben. Bei einer negativen Prognose könnte die künftige Landschaft nur noch 50% der früheren Arten enthalten (ohne neue Neophyten). Es wird exemplarisch an diesem kleinen Landschaftsraum diskutiert, wie auch heute auf lokaler Ebene eine hohe Diversität an Pflanzen erhalten und entwickelt werden kann.

Abstract. The distribution of vascular plants and plant communities can be described in time and space at different scales. At a small scale (100 to 10’000 m2), the composition of plant communities is well known. At a large scale ( 100 to 1000 km2), the former plant richness is well known from re- gional floras from the first half of the 20th century. For ecologists and nature conversation, informa- tion on the distribution of plants and plant communities at a medium scale (10 to 20 km2) would be of highest priority. However, at this spacial scale only few information is available. Here, we present such data for Dornach and Arlesheim, two communities near Basel (), covering an area of 13 km2. We use 16 historical-botanical documents and old maps, blueprints and photographs for a reconstruction of plant and plant community distribution between 1880 and 1920. For the actual distribution we used the new regional flora of Basel (Brodtbeck et al. 1999). We use historical do- cuments for a reconstruction of land use during the same time period. We show, that the occurrence of plant species and plant communities is dependent on natural conditions, but as well on former land use. In the traditional cultural landscape (1880–1920) 16% more species were present than in the mo- dern landscape. Today, 40% of the species occur in few, small and decreasing populations and are threatened by local extinction. A pessimistic extrapolation of current trends indicates, that only 50% of the former species richness in these communities will be present in the near future. We discuss measurements for maintaining a high plant diversity at a relatively small scale, like the one studied here. 2001 Vegetations- und Landschaftsveränderungen seit 1880 in Dornach und Arlesheim 59

Einleitung Das Interesse am mittleren Massstab (meso- scale) ist einerseits ein ökologisches: Auf dieser Diese Arbeit verfolgt drei Ziele. Sie möchte er- Ebene interagieren Populationen, Arten, Le- stens die Vegetationsverhältnisse in Dornach und bensgemeinschaften miteinander. Andererseits Arlesheim, zwei Gemeinden nahe bei Basel, im ist es das Interesse an der Lebenswelt der Men- Zeitraum 1880 bis 1920 und den Wandel der Ve- schen: Nur auf dieser Ebene kann Landschaft, getation und der Landschaft bis heute dokumen- Vegetation sinnlich erfahren und als schön emp- tieren. Es wird eine vergangene Epoche vom funden werden. Die höheren Ebenen (Region, Blickwinkel der Vegetation, der Landschaft, der Nation) sind ökologisch und bezüglich der Le- Landwirtschaft und schliesslich aller raumwirk- benswelt etwas Abstraktes. Für die Argumenta- samen Tätigkeiten aus dargestellt. In Zeiten stür- tionsgänge im Natur- und Landschaftsschutz ist mischen Wandels entsteht das Bedürfnis, blei- der Bereich der Lebenswelt oft wichtiger als der bende Strukturen zu erkennen und diese Er- ökologische. Sozusagen als Testorganismen fun- kenntnisse für unser Planen und Handeln nutz- gieren hier die Gefässpflanzen, da für sie ein fast bar zu machen. Die Dokumentation alter Land- vollständiges Wissen um ihre historische und ak- schaftszustände hat jedoch auch noch einen an- tuelle Verbreitung erarbeitet werden konnte. deren Sinn: Immer weniger Menschen haben die Auch wenn für gewisse Tiergruppen ziemlich traditionelle Kulturlandschaft, die heute am Zer- viel Material vorliegt, so wäre hier doch der An- fallen ist und die in der Region bis etwa 1965 teil- spruch auf Vollständigkeit viel schwieriger zu er- weise bestand (Ewald 1978), selber noch gese- füllen. Neben zahlreichen gedruckten Quellen hen. Die Dokumentation wird also immer wich- und Herbarbelegen wurde eine Quelle, die durch tiger, um auch der neuen Generation das Wissen einen Glücksfall entdeckt wurde, besonders um die früheren Verhältnisse zu erschliessen, da wichtig: Handschriftliche, zwischen 1901 und das lebendige Gedächtnis schwindet. Das Arbei- 1913 angefertigte Notizen des Dornacher Arztes ten mit Pflanzen erlaubt sozusagen einen ökolo- Ernst Suter zur lokalen Verbreitung der Pflanzen. gischen Tiefenblick und eine höhere Auflösung Sie sind deshalb besonders wertvoll, weil sie sich als sie allein mit dem Vergleich von Karten und nicht nur zu Raritäten, sondern auch zur Ver- Plänen möglich wäre. Es ist ein besonderes An- breitung von häufigen und halbwegs häufigen liegen, immer wieder zu zeigen, wie die traditio- Arten äussern. nelle Landwirtschaft und allgemein die Boden- Drittens hilft uns die Kenntnis der traditionel- nutzung die verschiedenen Vegetationstypen un- len Kulturlandschaft (1880–1920) und ihrer ter den naturräumlichen Gegebenheiten hervor- Standorts- und Lebensraumvielfalt dazu, Bilder brachte. Andersherum kann oft auch von der Ve- und Ideen zu entwickeln, wie biologische Viel- getation her auf die Bewirtschaftung geschlossen falt in einer modernen Landschaft erhalten wer- werden. Standort (Boden, Exposition usw.), Ve- den kann. Erst das Wissen um das Lebenraum- getation, Bewirtschaftung und Landschafts- potential einer Landschaft ermöglicht es, sinn- struktur stehen in der traditionellen Kulturland- volle Ziele für den Natur- und Landschaftsschutz schaft in engen Wechselbeziehungen zueinander. zu formulieren. Es werden denn auch für jeden Es soll zweitens exemplarisch an den beiden Vegetationstyp Vorschläge gemacht, wie Ele- Gemeinden die überraschend grosse Vielfalt an mente der traditionellen Kulturlandschaft in die Lebensräumen und Arten der traditionellen Kul- moderne Landschaft integriert werden können. turlandschaft (1880–1920) auf kleinem Raum (rund 13 Quadratkilometer) aufgezeigt werden. Daraus wird deutlich, dass der viel beschworene Artenschwund und die daraus entspringenden Naturschutzbemühungen vorerst vor allem ein lokales Problem auf dieser Massstabsebene sind und sich in grösseren, regionalen oder nationa- len Räumen viel weniger bemerkbar machen. 60 KNECHT Mitt. Naturf. Ges. beider Basel 5

Geographie des Untersuchungsgebiets klima mit häufiger Nebelbildung bemerkbar. Hier bildet die Weisstanne ausgedehnte Be- Das Untersuchungsgebiet umfasst die Gemein- stände. den Arlesheim (BL) und Dornach (SO) sowie kleine Teile von Aesch, Reinach, und Geologie Hochwald, um es landschaftlich logisch gegen Im östlichen, mehrheitlich bewaldeten Gebiet die Birs und den Rand des Gempenplateaus ab- stehen Jurakalke an (Dogger und Malm). Die zuschliessen (Karte). Ränder der Plateaus aus harten Gesteinen (Rau- Das Untersuchungsgebiet umfasst 1322 Hek- racien-Korallenkalke und Hauptrogenstein) bil- taren, wovon etwa die Hälfte Wald ist. Die Wald- den Flühe und Felsgräte. An den sanften Abhän- fläche hat ausserhalb der Ebene seit 1880 um gen zur Birs mit den Siedlungen und dem Haupt- ca. 17 ha (2,5%) auf 681 ha zugenommen. Dem- teil des Landwirtschaftsgebiets stehen tertiäre gegenüber wurden in der Ebene zwischen 1820 Sedimente (Elsässermolasse) an, die stellen- und 1910 ca. 40 ha, bis 1990 nochmals weitere weise recht saure Böden bilden können. Gröss- 17 ha Auenwald gerodet (Tab. 2). tenteils sind sie mit Niederterrassenschottern, Die Siedlungsflächen haben seit 1914 von Löss oder Schwemmlehm überdeckt. Die Ero- ca. 41 ha auf 438 ha zugenommen. Heute neh- sion hat in sie einige, z.T. recht tiefe Gräben ein- men sie etwa ein Drittel der Gesamtfläche ein. gegraben. Der Untergrund der Birsebene (holo- Die Bevölkerung hat seit 1900 von rund 3150 auf zäne Talaue) besteht aus grundwasserführenden 14 500 Personen zugenommen (Tab. 1). Birsschottern, die am Ende der Erosionsgräben von Schwemmkegeln der Bäche aus Lehm über- 1900 1990 deckt sind. Bei Dornachbrugg ragt ein Felsriegel aus Elsässermolasse aus den Kiesmassen, über Dornach ca. 1500 5715 den die Birs einige Meter abstürzt. Als markan- Arlesheim 1599 8293 Bruggfeld (Aesch) ca. 50 ca. 500 tes, von Norden nach Süden laufendes Band, ver- Ganzes Gebiet ca. 3150 ca. 14 500 läuft die Steilböschung des Niederterrassenran- des durch das ganze Untersuchungsgebiet. Tab. 1: Einwohnerzahlen. Quellen: Volkszählung 1990 (BFS, Einwohnerkontrollen), Dornacher Chro- Gliederung der Landschaft nik 1988, Heimatkunde Arlesheim 1993. Aus der Geologie ergib sich eine Grobgliede- rung der Landschaft (1880–1920): Die holozäne Klima Talaue war bis zu Beginn der Industrialisierung Die durchschnittliche Jahrestemperatur liegt und den Flusskorrektionen dem Auenwald und in den tiefsten Lagen (300 m) bei etwa 9,5°, der den Wässermatten vorbehalten. An den sanft ge- durchschnittliche Jahresniederschlag bei 910 neigten Hängen, in deren Mitte die Siedlungen mm. Gegen den Rand des Gempenplateaus – die liegen, ist das Land stark parzelliert und wird re- Schartenfluh liegt auf 760 m – besteht ein Kli- lativ intensiv genutzt. Hier befinden sich ausge- magradient mit steigenden Niederschlägen und dehnte Streuobsbestände, Fettwiesen und Äcker. sinkenden Jahrestemperaturen. In den oberen Rebbau wird vorzugsweise an den steileren, süd- Teilen des Untersuchungsgebiets macht sich an bis westorientierten Hängen über den Dörfern den Nordhängen ein montan getöntes Klein- betrieben. In Dornach wurden jedoch auch ebene

Wald Aue Siedlung Wiesen Äcker Reben Total LW Total 1910 664 50% 25 2 % 41 3% 429 32% 122 9% 41 3 % 592 45% 1322 1990 681 52% 3 0,2% 438 33% 114 9% 79,5 6% 6,5 0,5% 200 15% 1322 Tab. 2: Arealverhältnisse (Zahlen in Hektaren). Quellen: Arealstatistik 1979/85 (BFS), Anbaustatistik 1917 (BFS), Zonenpläne der Gemeinden, Dornacher Chronik 1988, Heimatkunde Arlesheim 1993, Siegfriedkarten 1907/08. 2001 Vegetations- und Landschaftsveränderungen seit 1880 in Dornach und Arlesheim 61

mit eigenem Land ohne eigenes Land Familien Ackerfläche Ackerfläche/ Familien Ackerfläche Ackerfläche/ Familie Familie Dornach 191 35 0.18 75 7 0,09 Arlesheim 278 68 0.24 240 12 0,05 Beide 469 103 0.22 315 19 0,06

Tab. 3: Ackerbau betreibende Familien («Produzenten») und Anbauflächen in Hektaren 1917. Quelle: Anbau- statistik 1917 (BFS), Eidgenössische Betriebs- und Landwirtschaftszählungen 1985-96 (BFS).

Total ohne mit ohne Land mit Nebenerwerb Nebenerwerb Nebenerwerb bzw. ohne Land Dornach 137 33 36 68 104 Arlesheim 97 25 19 53 72 Beide 234 58 55 121 176

Tab. 4: Vieh haltende Familien («Viehbesitzer») 1921 (ohne Geflügel). Quelle: Viehzählung 1921 (BFS).

Pferde Rindvieh Schweine Schafe Ziegen Dornach 31 194 164 13 148 Arlesheim 41 189 153 12 94 Beide 72 383 317 25 242

Tab. 5: Tabelle 5: Viehbestand 1921. Quelle: Viehzählung 1921 (BFS).

Flächen mit Reben bepflanzt. Die flachgründi- tensivierung der Landwirtschaft bewirkt. Auf gen und steinigen Böden des Juras sind mit Wald den Lichtungen um das Dornacher Schloss bestockt. Rodungen, die von extensiv genutzten, wurde bis zur Zerstörung des Dornacher Schlos- wenig bis gar nicht parzellierten Wiesen und ses, 1798, vom Schlosshof aus ein Bergackerbau Weiden eingenommen werden, befinden sich und Weinbau betrieben. Deshalb die Flurnamen über anstehenden Ton- und Mergelschichten «Grossacker» und «Wüste Reben». Beim (Oxfordien, Callovien) und in den Auen der Sei- «Grünfallen», dem Entstehen von Magerwiesen tentälchen. Auch die alle vor 1880 errichteten an Stelle von Äckern und Rebbergen, bürgerte Höfe (Schürli auf der Ränggersmatt, Tüfleten- sich der Name «Schlangenbergli» anstelle von hof, Schartenhof) haben keine nennenswerte In- «Grossacker» ein.

Abb. 1: Luftaufnahme des Ballonfliegers Spelterini von 1890. Dorf Arlesheim und Umgebung. Die Landschaft weist folgende Strukturen auf: Im Hintergrund die (z.T. schütter) bewaldeten Jurahänge und -plateaus, darin ver- schiedene Rodungen mit wenig bis gar nicht parzelliertem (Allmenden) magerem Wies- und Weideland, an den offenen Hängen die Rebberge und das stark parzellierte, als Fettwiesen und Äcker genutzte, mit Obstbäumen bepflanzte Land. Im Vordergrund rechts die Wässergräben und Wässermatten im Gebiet Gehrenmatten. Am Dorfrand wird ein dichter Gartenobstbau betrieben. Viele Bäume auf den Wiesen oder im Getreide sind frisch gepflanzt. Verschiedene Gewanne sind in viele kleine Äckerchen und Gärten eingeteilt (Bündten, Feldgarten- bereiche). Der Anteil der Äcker am Offenland (ohne Reben) beträgt schätzungsweise 30%. In dieser Landschaft fehlen weitgehend die Hecken. Im Erosionsgraben im Vordergrund, entlang der Wassergräben, in Feldecken und ab und zu an Ackerrainen gibt es Gebüsche und Feldgehölze Unten rechts sind erste Villen und Parkanlagen zu erkennen (siehe Karte). 62 KNECHT Mitt. Naturf. Ges. beider Basel 5 2001 Vegetations- und Landschaftsveränderungen seit 1880 in Dornach und Arlesheim 63

Abb. 2: Bahnhof Dornach um 1900. Blick gegen Ruine Dorneck. Die Landschaft ist noch weitgehend unver- baut und von einem lockeren Obstbaumbestand überzogen. Mit Ausnahme von einigen wenigen Büschen und Feldgehölzen fehlen dieser Landschaft die Hecken. Ab 1900 bis 1920 setzt ein erster Bauboom ein, in dessen Folge viele Erschliessungsstrassen gebaut werden.

Landwirtschaft Industrie Die Zahlen der Tabellen 3, 4 und 5 sprechen Fabriken, die sich an der Birs ansiedeln, um für sich. Wie an vielen andern Orten betrieben die Wasserkraft zu nutzen, die Schappefabrik zwischen 1880 und 1920 viele Leute auf kleinen 1830, die Brown-Bovery (zu Beginn «Alioth») Flächen zwischen wenigen Aren bis 5 ha Land- 1890, die Metallwerke 1895, brachten tiefgrei- wirtschaft. Viele gingen noch anderen Beschäf- fende soziale und landschaftliche Veränderun- tigungen ausserhalb der Landwirtschaft, in den gen mit sich. Möglicherweise haben sie, im Ge- Fabriken, in Steinbrüchen, im Transportwesen gensatz zu reinen Landgemeinden, die Intensi- usw., nach. Nur etwa die Hälfte der Landwirt- vierung der Landwirtschaft verzögert, da sie der schaft Treibenden verfügte über die Infrastruktur, Bevölkerung zusätzliche Einkommensmöglich- um Vieh zu halten. Arme Bauern konnten keine keiten schufen, gleichzeitig aber zur Erhaltung Kuh, sondern nur Ziegen halten. Sie verfügten einer Nebenerwerbslandwirtschaft, die mit sehr auch über keine Zugtiere (Kühe, Ochsen, Pferde) bescheidenen Mitteln auskommen konnte, und betrieben deshalb meist keinen Getreidebau. beitrugen. Laut Viehzählung 1921 hielten 121 Familien Vieh, ohne selber Land zu besitzen. Sie waren wohl vor allem auf das Allmendland angewiesen. Zwischen 1880 und 1920 betrieb auch die in Darstellung und Methode der Industrie tätige Bevölkerung in irgend einer Weise Landwirtschaft und Gartenbau. Dies war Im Folgenden wird der Vegetations- und Land- auch in den 30er- und 40er-Jahren noch der Fall schaftswandel für das Untersuchungsgebiet seit (mündl. Mitteilung J. Zeltner). 1880 dargestellt. Die Darstellung konzentriert In beiden Gemeinden ist nie eine Feldregulie- sich auf die Rekonstruktion von Flora, Vegeta- rung durchgeführt worden. tion – ihre Artenzusammensetzung und räumli- 64 KNECHT Mitt. Naturf. Ges. beider Basel 5 che Verteilung – und Landschaftsstruktur im Standortsbeschreibung der Vegetationsform (be- Zeitraum 1880 bis 1920. Die weitere Entwick- zogen auf das Untersuchungsgebiet) ergänzt. lung und der heutige Zustand wird jeweils nur Die Qualität der Dokumentation auf Grund grob dargestellt. Die Spiegelung oder der Ver- der historischen Quellen ist nicht für alle ökolo- gleich mit der heutigen Situation ist weitgehend gischen Gruppen gleich gut. Für gewisse Grup- der Leserin/dem Leser überlassen. Die Darstel- pen, z.B. die Fettwiesenpflanzen ist der Anteil an lung folgt einem Ausdünnungsparadigma: Die Arten, die lediglich durch Pauschalangaben in Veränderungen der Vegetation im Laufe der Zeit Binz (1911) belegt sind und für die keine weite- können am besten anhand der verschwundenen ren Informationen verfügbar sind, grösser als in oder stark rückläufigen Arten gezeigt werden. anderen Gruppen, z.B. den Magerwiesenpflan- Dies entspricht nicht einem negativen Vorurteil zen. oder einer Nostalgieabsicht, sondern der Tatsa- Für die Rekonstruktion von Flora und Vegeta- che, dass viele Vegetationstypen der traditionel- tion des Untersuchungsgebiets zwischen 1880 len Kulturlandschaft zwischen 1880 und 1920 und 1920 sind 16 verschiedene historisch-bota- entweder verschwunden sind oder heute nur nische Quellen ausgewertet worden. Sozusagen noch stark verarmt, fragmentarisch auftreten und die Matrix bildet die «Flora von Basel und Um- nichts neues, gleich differenziertes an ihrer Stelle gebung» von Binz (1911). Die andern Quellen aufgetreten ist. Die wenigen neuen Vegetations- lieferten Ergänzungen und Detailinformationen formen sind alle strukturell wenig differenziert dazu. Aus Suters handschriftlichen Notizen und artenarm. Für die Artenlisten, welche die Ve- konnten zu nicht weniger als 700 Arten Detail- getationstypen veranschaulichen, wurden des- informationen über die Lokalflora ausgewertet halb immer aus den zwischen 1880 und 1920 für werden. Die ältere Literatur von vor 1880, die das Untersuchungsgebiet nachgewiesenen Arten das Gebiet nur spärlich abdeckt, Bauhin (1671), solche ausgewählt, die heute fehlen oder stark Lachenal (1759), Hagenbach (1821-43) wurde zurückgegangen sind. Die Nomenklatur der nur in Zweifelsfällen zu Rate gezogen. Im Quel- Pflanzen richtet sich nach Binz/Heitz (1986). lenverzeichnis findet sich die Liste der verwen- Die Gliederung des Textes folgt, zum Teil deten Literatur und Herbarien. noch etwas feiner unterteilt, den «ökologischen Die Häufigkeit der Arten im Untersuchungs- Gruppen» von Landolt (1991), die im Gebiet gebiet zwischen 1880 und 1920 kann auf Grund weitgehend Nutzungstypen entsprechen. Für die der Literaturangaben oft nur abgeschätzt wer- Darstellung der Vegetation innerhalb dieser den, da wir nie wissen, was mit den Häufigkeits- Gruppen wurde die pflanzensoziologische und Verbreitungsangaben: «überall, häufig, ver- Ebene der Verbände (Gesellschaftsgruppen) ge- breitet, zerstreut, hie und da, selten» usw. effek- wählt, da sich diese Gliederung – auf der ge- tiv gemeint ist und wie dies, z.B. bei Binz (1911) wählten Massstabsebene – gut als Lebensraum- auf ein kleineres Teilgebiet zu übertragen ist. typologie eignet und sich die Zahl der Einheiten Selbst bei Suter wissen wir nicht genau, was «in in überschaubarem Rahmen hält. Das wäre auf Dornach häufig» heisst. Durch den Vergleich der Ebene der Pflanzengesellschaften nicht mehr vieler verschiedener seiner Angaben, vor allem der Fall. Eine Übersicht über die Pflanzengesell- auch solcher, wo er beginnt, einzelne Fundorte schaften in der Region und deren Stellung im aufzuzählen, können wir etwa annehmen: Eine pflanzensoziologischen System ist in der «Flora «häufige» Art kam an vielen Stellen (mindestens von Basel und Umgebung 1980 – 1996 (Brodt- 10) oder an einer bis wenigen Stellen, dafür in beck et al. 1997/1999) zu finden. Die Namen der grosser Individuenzahl (z.B. mehr als 1000 Ex- Verbände sind in gekürzter Form und ohne Au- emplare), vor. Die Dynamik der Arten, ihre Zu- torennamen aus dieser Aufstellung übernommen oder Abnahme kann durch den Vergleich von worden. Der Verständlichkeit halber werden die früherer mit heutiger Verbreitung und Häufigkeit wissenschaftlichen Namen immer durch eine nur abgeschätzt werden. Für die aktuelle Pflan- deutsche Umschreibung und eine ökologische zenverbreitung wurden folgende Schwellen- werte festgelegt: Eine Art, die an mehr als an 15 2001 Vegetations- und Landschaftsveränderungen seit 1880 in Dornach und Arlesheim 65

Stellen im Untersuchungsgebiet vorkommt oder – Durch die Verknüpfung der historischen Häu- in grossen kontinuierlichen Arealen von mehr als figkeit von Kenn- und Charakterarten mit der 1000 Exemplaren, gilt als häufig. Die Frage, wel- Verteilung von auf Plänen und Fotos erkenn- che Arten im Untersuchungsgebiet zwischen baren Strukturen wie Ackerrainen, Erosions- 1880 und 1920 überhaupt als nachgewiesen gel- gräben, Wassergräben, Bächen, Mulden. Die ten können, wird im Kapitel «Artenzahlen und historische Verteilung der Magerwiesentypen Gefährdung» behandelt. und der Nass- und Sumpfwiesen in der Land- Bestimmte pflanzensoziologische Verbände schaft kann auf Grund historischer und aktu- gelten als für das Untersuchungsgebiet zwischen eller Pflanzenfunde rekonstruiert werden. Auf 1880 und 1920 nachgewiesen, wenn eine oder Grund von lokalen Pauschalangaben, z.B. bei mehrere ihrer Charakterarten nachgewiesen Suter «in Dornach häufig», der Geomorpho- sind. Die Zuordnung der Arten zu pflanzenso- logie, Geologie und der Bewirtschaftungs- ziologischen Einheiten beruht auf Oberdorfer möglichkeiten, wurde auch auf Gebiete extra- (1977-1992) und Ellenberg (1978). Es mag vor- poliert, für die keine oder wenig konkrete gekommen sein, dass auch schon historisch ge- Angaben vorliegen. wisse Gesellschaften und Verbände nur frag- – Wichtige Informationen zur Verteilung der mentarisch ausgebildet waren. In der Regel Nassstandorte ergab auch die Rekonstruktion zeichnet sich jedoch die traditionelle Kultur- des ursprünglichen Gewässernetzes aus ver- landschaft gerade dadurch aus, dass in den Be- schiedenen Plan- und Kartengrundlagen. ständen bestimmter Vegetationstypen das Arten- – Details zur Geomorphologie und Hydrologie, set mehr oder weniger vollständig war, während- z.B. Vernässungsstellen, wurden aktuell nach- dem es in der modernen Kulturlandschaft zur kartiert, da dazu keine Grundlagen vorliegen. einer Ausdünnung kommt. Die Artensets (der überhaupt noch vorkommenden Typen) sind Um in den Texten die räumliche Verteilung der meist fragmentarisch, oft auf die Kennarten der Vegetation darzustellen, war es unumgänglich höheren pflanzensoziologischen Einheiten (Ord- neben einer verallgemeinernden Geländetypolo- nungen, Klassen) beschränkt, da deren ökologi- gie (Ebene, Seitentälchen, Hänge, Plateaus usw.) sche Ansprüche weniger spezifisch sind. Das auch Flurnamen und Ortsbezeichnungen zu ver- pflanzensoziologische System orientiert sich wenden. Mit den geläufigeren wird man sich denn auch stark an den Vegetationsbildern der rasch vertraut machen. Die Verwendung weniger traditionellen Kulturlandschaft. In den gut doku- geläufiger Flurnamen war nötig, um Zusammen- mentierten Einheiten, z.B. Magerrasen und Ge- hänge zwischen Landschaft und Vegetation her- treideäcker, kann diese Ausdünnung gut verfolgt auszuschälen, ohne zu rasch in Verallgemeine- werden. Die aufgeführten pflanzensoziologi- rungen zu geraten. Die im Text erwähnten Flur- schen Verbände können auch heute noch vor- namen finden sich auf der Karte im Anhang. handen sein. Ihre flächenmässige Zu- oder Ab- Allein schon von der Vegetation kann auf die nahme oder Veränderungen der Artenzusam- Bewirtschaftungsverhältnisse geschlossen wer- mensetzung gehen jeweils weiter unten aus den den. Die Intensität und der Mechanisierungsgrad Texten hervor. der Bewirtschaftung, auch spezielle Formen der Die Rekonstruktion der Verteilung der Pflan- Bewirtschaftung, die es heute nicht mehr gibt, zengesellschaften oder Verbände in der Land- wurden einerseits aus der landwirtschaftsge- schaft zwischen 1880 und 1920 erfolgt auf schichtlichen und statistischen Literatur (z.B. Grund folgender Grundlagen und Methoden: Brugger 1978, Stebler 1883/88, Eidgenössische – Nach den Fundangaben von Kenn- und Cha- Viehzählung 1921, Anbaustatistik 1917, Obst- rakterarten in der Literatur. baumzählung 1951), andererseits durch Ge- – Auf Grund der Landschaftsstruktur: Der Fest- spräche mit alten Dornachern und Arlesheimern stellung möglicher Bewirtschaftungsinten- erschlossen. Die «oral history» reicht bis etwa sität, z.B. der Wiesen mit zunehmendem Ab- 1930 zurück. Die Analyse alter Fotos, auf denen stand vom Dorf. Vegetationsformen, Strukturen, Maschinen oder 66 KNECHT Mitt. Naturf. Ges. beider Basel 5 bestimmte Feldfrüchte zu erkennen sind, ergab mit den Ruderalarten die artenreichste im Unter- weitere Hinweise zur Bewirtschaftungsge- suchungsgebiet überhaupt (309 Arten, wovon schichte. Die Bewirtschaftung der Wälder wurde 47% ausgestorben oder gefährdet sind). Ohne aus den Waldwirtschaftsplänen von 1890 – 1910 Ruderalarten sind es 121 Arten (von denen 60% erschlossen. All die Einflüsse und Eingriffe, verschwunden oder gefährdet sind). Landolt welche die Vegetation der traditionellen Kultur- (1991) fasst beide Gruppen, Ruderal- und Acker- landschaft 1880 – 1920 zurückdrängten oder ver- arten, zu einer Gruppe zusammen, da sich beide änderten, die Birskorrektionen, Bauten von Vegetationstypen stark durchdringen. Bahnlinien, Strassen, Fabrikkanälen, Industrie- arealen, die Eindolung der Bäche, Entwässerun- Bei Suter (1901-1913) kommen gelegentlich gen von Sumpfgebieten, grossflächige Aushub- auch Angaben zu Verbreitung, Häufigkeit und deponien usw. wurden, sofern sie für die Ent- genauen Lokalitäten vor, z.B: wicklung der Vegetation relevant und Grundla- Agrostemma gitago (Kornrade): Dornach häufig. gen dazu überhaupt greifbar waren, aus Projekt- Anthemis arvensis (Feld-Hundskamille): Dornach plänen, Karten und Ortsplänen erschlossen. Eine häufig, z. B. Weiden. Liste der ausgewerteten Pläne, Karten und Do- Centaurea cyana (Kornblume): In Dornach nicht häu- fig; Getreidefelder Dornach – Arlesheim häufig kumente findet sich im Quellenverzeichnis. 1905. Um dem Leser einen Einblick in das Grundla- Centaurium pulchellum (Kleines Tausendgülden- genmaterial zu geben, welches für die Rekon- kraut): Mönchenstein bei der Aliothschen Fabrik struktion der Vegetationsverhältnisse verwendet 1904. In den Weiden» bei Dornachbrugg 1904. wurde, werden jeweils eingangs ein paar Zitate Kühweid 1904. Cuscuta epilinum (Flachs-Seide): Arlesheim im Lee aus Suters Notizen aufgeführt. Die z.T. unein- 1907. heitliche oder altertümliche Schreibweise von Diplotaxis muralis (Mauerdoppelsame): In den «Wei- Orts- und Flurnamen wurde nicht angepasst, da den» Dornach und im Birskies 1901. auch dies Hinweise auf Suters Arbeitsweise gibt. Erucastrum gallicum (Französische Rampe): Dornach häufig, z. B. Birskies, Kartoffeläcker. Der Platzersparnis und besseren Lesbarkeit hal- Gnaphalium uliginosum (Sumpfruhrkraut): Dor- ber werden in den Artenlisten zu den pflanzenso- nacherjura auf Stoppelfeldern nicht häufig. Gem- ziologischen Verbänden Quellenangaben und Zi- pen 1907. tate weggelassen. Interessierte können diese An- Lamium amplexicaule* (Stengelumfassende Taub- gaben und weitere Informationen zu jeder Art, wie nessel): Äcker bei der Gasfabrik Arlesheim 1909 und 1912. Dynamik (Zu- oder Abnahme), Einschätzung der Stachys palustris (Sumpfziest): Dornach hie und da, lokalen Gefährdung usw. auf der veröffentlichten z.B. in den Weiden. Datenbank (Knecht 1998) nachsehen. Die Artenlisten können beim Lesen auch über- Die Standortsangaben für Ackerpflanzen lau- sprungen werden, die Texte sollten auch ohne sie ten bei Binz (1911): «Unter Getreide» oder ein- verständlich sein. fach «Äcker». Zwischen Getreide- und Hack- fruchtbegleitern wurde noch nicht unterschie- den, da beide Ackertypen viele Arten gemeinsam haben. Zum Teil bringt er auch eine standörtli- Die Vegetation zwischen 1880 und 1920 im che Differenzierung: «Steinige», «sandige» oder Untersuchungsgebiet «feuchte Äcker». Der im Zusammenhang mit Äckern am häu- Äcker figsten genannte Flurname sind die Weiden (in Dornach und Arlesheim). Das ist erstaunlich, da Dokumentationsstand es vor den Birskorrektionen in der Birsebene gar keine Äcker gegeben hat. Offenbar haben sich Ackerarten sind in der Literatur meist ungenau, auf Birsschotter in wenigen Jahrzehnten die ar- oft nur mit der Angabe der Gemeinde dokumen- tenreichsten Ackerbegleitfloren des Gebiets in tiert. Die Gruppe der Ackerarten ist zusammen verschiedenen Gesellschaften ausgebildet. 2001 Vegetations- und Landschaftsveränderungen seit 1880 in Dornach und Arlesheim 67

Das war durch die Ausbreitung der «Unkrautsa- derholz oder der Rütihard vorkamen, für das men» mit dem Saatgut in den Zeiten vor der ef- Gebiet nicht belegt. fizienten Saatgutreinigung gut möglich. Haben Gemäss der Literatur kamen in den 7 Gesell- diese Pflanzen einmal im Boden ein Samenre- schaften bzw. auf den Sonderstandorten zwi- servoir aufgebaut, sind sie unbeschadet von der schen 1880 und 1920 im Untersuchungsgebiet Fruchtfolge ziemlich standorttreu. Das unregel- folgende Arten vor: mässige, von Jahr zu Jahr, je nach Frucht, unter- schiedliche Auflaufen der Ackerpflanzen führte 1. Caucalidion (Haftdolden-Getreidefluren): dazu, dass normalerweise Ackerpflanzen nicht Adonis aestivalis (Sommer-Adonis) mit genauen Fundortsbezeichnungen dokumen- Agrostemma gitago (Kornrade) tiert wurden. Ajuga chamaepitys (Gelber Günsel) Anagallis foemina* (Blauer Gauchheil) Asperula arvensis (Acker-Meier) Gesellschaften und deren Verteilung in der Buglossoides arvensis* (Acker-Steinsame) Landschaft Bupleurum rotundifolium (Rundblättriges Hasenohr) Centaurea cyana (Kornblume) Auf Grund der nachgewiesenen Arten können im Conringia orientalis (Ackerkohl) Untersuchungsgebiet zwischen 1880 und 1920 Consolida regalis* (Acker-Rittersporn) Euphorbia exigua (Kleine Wolfsmilch) folgende Gesellschaftsgruppen und Sonder- Fumaria vaillantii (Vaillants Erdrauch) standorte in Äckern nachgewiesen werden: Iberis amara (Bitterer Bauernsenf) Begleiter des Wintergetreides und des Winter- Kicksia elatine* (Pfeilblättriges Schlangenmaul) rapses: Lamium amplexicaule* (Stengelumfassende Taub- nessel) 1. Caucalidion (Haftdolden-Getreidefluren): Lathyrus aphaca (Ranken Platterbse) Auf kalkreichen, kiesigen Böden der Birs- Lathyrus hirsuta (Behaarte Platterbse) ebene oder dann wieder auf steinigen Böden Legousia speculum-veneris* (Venusspiegel) des Gempenplateaus. Neslia paniculata (Ackernüsschen) 2. Aperion (Windhalm-Getreidefluren): Auf Papaver rhoeas* (Klatschmohn) Polycnemum arvense (Acker-Knorpelkraut) eher kalkarmen Lehmböden, z.B. auf Löss Silene noctiflora (Ackernelke) oder Gehängelehm an den Hängen. Stachys annua (Acker-Ziest) Begleiter der Hackfrüchte: In Kartoffel- und Thymelea passerina (Spatzenzunge) Rübenäckern, in Gemüsegärten und -feldern, in Torilis arvensis (Feld-Borstendolde) Rebbergen. Wohl auch in lückigen Kunstwiesen Vaccaria pyramidata (Kuhnelke) und Leguminosenfeldern: Die meisten Arten (diejenigen ohne Stern) 3. Polygono-Chenopodion (Knöterich-Hack- sind im Untersuchungsgebiet ausgestorben. fruchtfluren): Auf lehmigen Böden. Auch ein Auflaufen auf Erddeponien kann heute 4. Fumario-Euphorbion (Erdrauch-Hackfrucht- nicht mehr beobachtet werden. fluren): Auf mehr steinigen oder sandigen, kalkreichen Böden, häufig in Rebbergen. 2. Aperion (Windhalm-Getreidefluren): Pflanzen auf Sonderstandorten sowohl im Ge- Anthemis arvensis (Feld-Hundskamille) treide als auch in Hackfruchtäckern: Aphanes arvensis* (Acker-Frauenmantel) 5. Besonders trockene Äcker über stark durch- Bromus grossus (Dickährige Trespe) lässigen Böden auf Kies- oder Sandböden. Bromus secalinus (Roggen-Trespe) Galium tricornutum (Dreihörniges Labkraut) 6. Feuchte Äcker Matricaria recutita* (Echte Kamille) 7. Saure (trockene) Äcker Odontites verna (Roter Zahntrost) 8. Ackerbrachen in der Birsebene Ranunculus arvensis (Acker-Hahnenfuss) Trotz der recht grossflächigen Lössvorkom- Raphanus raphanistrum* (Acker-Rettich) men in den Gemeinden sind die Arten der feuch- Spergula arvensis (Ackerspark) Trifolium arvense (Hasenklee) ten Ackerfurchen (Nanocyperion), z.B. Delia se- Valerianella dentata (Gezähnter Nüsslisalat) getalis (Acker-Schuppenmiere) oder Centuncu- Valerianella rimosa (Gefurchter Nüsslisalat) lus minimus (Kleinling), die z.B. auf dem Bru- Vicia tetrasperma* (Viersamige Wicke) 68 KNECHT Mitt. Naturf. Ges. beider Basel 5

Papaver rhoeas (Klatschmohn), die auffällig- Galeopsis angustifolia* (Schmalblättriger Hohlzahn) ste Art, war auf allen Bodenarten im Winterge- Lepidium campestre (Feld-Kresse) Minuartia hybrida (Zarte Miere) treide nach Suter «in Dornach häufig». Petrorhagia prolifera* (Sprossende Felsennelke) Saxifraga tridactylites* (Dreifinger-Steinbrech) Für die Zeit vor 1880, also noch vor dem Einsatz Teucrium botrys (Trauben-Gamander) effizienter Saatgutreinigungsmaschinen, sind Trifolium campestre* (Gelber Ackerklee) durch Hagenbach (1821-1843) folgende weitere Das sind alles Arten der sonnigen Trocken- Arten in Getreidefeldern des Untersuchungsge- standorte des Offenlandes (Alysso-Sedion), ka- biets belegt: men also auch auf Lesesteinhaufen, Mauerkronen Nigella arvensis (Acker-Schwarzkümmel) und an Erdanrissen vor (siehe auch Kapitel «Pio- Allium carinatum (Gekielter Lauch) niervegetation trockener Standorte»). Adonis flammea (Scharlachrote Adonis) Turgenia latifolia (Breitblättrige Haftdolde) Rhynchosinapis cheiranthos (Lacksenf) 6. Feuchte Äcker, feuchte Dellen und Furchen im Ackerland: 3. und 4. Polygono-Chenopodion, Fumario-Eu- Gnaphalium uliginosum (Sumpfruhrkraut) phorbion (Knöterich- und Erdrauch-Hackfrucht- Hypericum humifusum (Niederliegendes Johannis- fluren): kraut) Zwischen 1880 und 1920 häufige und oft Centaurium pulchellum (Kleines Tausendgüldenkraut) Mentha arvensis* (Ackerminze) aspektbildende Arten: Stachys palustre (Sumpf-Ziest) Digitaria sanguinalis* (Bluthirse) Draba muralis* (Mauer-Hungerblümchen) 7. Saure (trockene) Äcker: Nur für das Gempen- Erodium cicutaria* (Reiherschnabel) Erucastrum gallicum (Französische Rampe) plateau (Gempen, Hochwald) belegt: Hier auf Fumaria officinalis* (Gebräuchlicher Erdrauch) Verwitterungslehm und tertiären Quarzsanden Geranium columbinum* (Taubenstorchschnabel) und Lehmen: Geranium molle* (Weicher Storchschnabel) Geranium pusillum* (Kleiner Storchschnabel) Scleranthus annuus (Einjähriger Knäuel) Mercurialis annua* (Einjähriger Bingel) Filago vulgaris (Gewöhnliches Fadenkraut) Sinapis arvensis* (Ackersenf) Oxalis acetosella (Gemeiner Sauerklee) Thlaspi arvense* (Ackertäschelkraut) Thlaspi perfoliatum* (Stengelumfassendes Täschel- 8. Ackerbrachen in der Birsebene: Auf kargen kraut) Schotterböden wurde bis ca. 1950 nicht jedes Veronica agrestis (Ackerehrenpreis) Veronica polita* (Glänzender Ehrenpreis) Jahr gesät (mündl. Mitteilung I. Kober, Moor 1962): Zwischen 1880 und 1920 weniger häufige Angaben von Suter (1901-1913) vom Brugg- Arten: feld (Aesch), wo Dornacher Bauern ihre Felder Diplotaxis muralis (Mauer-Doppelsame) hatten: Erysimum cheiranthoides* (Acker-Schöterich) Eryngium campestre (Feldmannstreu) Fumaria vaillantii* (Vaillants Erdrauch) Gagea villosa (Acker-Gelbstern) Mit Ausnahme des Mauer-Doppelsamens sind Misopates orontium (Feldlöwenmaul) diese Arten heute alle noch sporadisch vorhan- Nigella arvensis (Schwarzkümmel) den, wenn auch in viel geringeren Häufigkeiten Diese Listen mit den vielen ausgestorbenen als früher. Die Arten der erstgenannten Gruppe Arten zeigen eindrücklich, wie gross die Vielfalt waren in Äckern, aber auch in den Rebbergen an Ackerstandorten in der traditionellen Kultur- wohl enorm häufig. landschaft zwischen 1880 und 1920 im Unter- suchungsgebiet war. 5. Trockene steinige oder sandige Äcker: Die Ackerflora enthielt, entsprechend dem re- Acinos arvensis* (Steinquendel) lativ warmen und trockenen Klima des Gebiets, Erophila verna* und praecox* (Frühlingslenz- viele mediterrane und submediterrane Arten, blümchen) meist Trockenheitszeiger. 2001 Vegetations- und Landschaftsveränderungen seit 1880 in Dornach und Arlesheim 69

Bewirtschaftung Im ausserordentlich trockenen Frühjahr 1893, wo die Wiesen verdorrten, empfahl Stebler Die meist streifenförmigen Äcker bildeten zu- (1893) den Anbau folgender Futterpflanzen, um sammen mit den Wiesen und den Obstbäumen der drohenden Futternot zu entgehen: Mais (Zea ausserhalb der Rebberge und der Allmend ein mais), Saatwicke (Vicia sativa, womöglich auch typisches landschaftsprägendes Mosaik, in dem Vicia segetalis), Mohar (Setaria moharia), Sorg- die Äcker immerhin noch ca. ein Drittel hum (Sorghum bicolor), Buchweizen (Fagopy- ausmachten (Gutzwiller 1911, Abb. 1, 27). Laut rum esculentum), Runkeln (Beta vulgaris), Anbaustatistik von 1917 spielt in den beiden Spörgel (Spergula arvensis), Weisser Senf (Sina- Gemeinden der Hackfrucht- und Gemüsebau pis alba), Stoppelrübe (Brassica rapa s.l.), Rog- mit 80% der Ackerfläche in Dornach und 55% gen (Secale cereale), Winterwicke (Vicia villosa, in Arlesheim eine viel bedeutendere Rolle als Vicia dasycarpa), Inkarnatklee (Trifolium in- der Getreidebau. Zusammenhängende Areale carnatum), Luzerne (Medicago sativa) und von kleinen Äckerchen und Gemüsefeldern Knaulgras (Dactylis glomerata). auf Allmend- oder Privatland waren die Bünd- Zwischen Äckern und mageren Fettwiesen ten, in Arlesheim an verschiedenen Orten und Magerwiesen bestanden sowohl räumliche (Karte, Abb. 1, 6), in Dornach vor allem in der als auch zeitliche Wechselwirkungen, und dies in Birsebene. Diese sogenannten «Widenstückli» viel stärkerem Masse, als es heute der Fall ist: An waren privat genutzte Stücke vom Bürger- Ackerrändern oder auf unbesäten Ackerflächen gemeindeland, wo vor allem diejenigen, die kamen schnell und oft in grossen Mengen Fett- keine eigenes Land hatten, Kartoffeln, Gemüse und Magerwiesenpflanzen auf wie: Salvia pra- etc. anbauten. Die Sämaschine und auch andere tensis (Wiesensalbei), Tragopogon orientalis landwirtschaftliche Maschinen wie Futter- (Habermark), Leucanthemum vulgare (Marge- häcksler usw. begannen sich ab ca. 1900 durch- rite), Knautia arvensis (Wiesenwitwenblume) zusetzen (Brugger 1978). Maschinen, starke oder Ajuga genevensis (Genfer Günsel). Gespanne, Wendepflüge und ab ca. 1920 Trak- toren konnten sich jedoch nur die wohlhaben- Entwicklung deren Bauern leisten. Noch lange wurde vor al- lem im Kartoffelbau der altertümliche Beet- Zwischen 1850 und 1910 fand im schweizeri- pflug verwendet (Abb. 5). Der Wendepflug schen Getreidebau eine Leistungssteigerung, konnte nur bei genügend starken Gespannen z.B. bei Weizen, von ca. 1,3 auf 2,2 Tonnen Kör- eingesetzt werden. Kuhmist war der wichtigste nerertrag pro Hektare (Brugger 1978) statt. Dies Dünger für die Äcker. Künstliche Stickstoff- war vor allem durch die verbesserte Düngersi- dünger kamen erst nach 1920 auf (Brugger tuation, bessere Sorten und den Einsatz von Sä- 1985). Im Getreide war die Unkrautbekämp- maschinen und besseren Pflügen möglich (Steb- fung nur im Anfangsstadium, durch Striegeln ler 1883). Die Reihensaat hatte gegenüber der mit der Egge, möglich, später nicht mehr. Die breitwürfigen Handsaat Vorteile. Vor allem der Hackfrüchte wurden mehr oder weniger regel- Einsatz von Phosphatdüngern auf den Wiesen er- mässig von Hand zwischen den Reihen gehackt. laubte eine Erhöhung des Viehbestandes, wo- Über die Erntemethoden des Getreides bestehen durch mehr Hofdünger für die Äcker zur Verfü- widersprüchliche Angaben, v.a. darüber, ob das gung stand. Der noch an Getreidebegleitern rei- Getreide mit Sicheln oder Sensen geschnitten che Getreidebau um 1910 war etwa halb so wurde (z.B. Gutzwiller 1911). Bis zum Einfah- leistungsfähig wie derjenige von 1980 mit ca. ren der Ernte in die Scheune war eine ganze 4 Tonnen Weizen pro Hektare (Brugger 1985). Reihe von Arbeitsschritten nötig, deren Kennt- Ab ca. 1910 fangen die Auswirkungen der nis immer mehr in Vergessenheit gerät. In die Saatgutreinigung an, sich bemerkbar zu machen. Fruchtfolge des Getreides waren oft Legumino- Probst (1949), dessen Beobachtungen aus der sen (weniger Gräser), Mais und Kartoffeln ein- Nordwestschweiz auf die 30er-Jahre zurückge- geschaltet. hen, schreibt im Vorwort seiner «Flora des Kan- 70 KNECHT Mitt. Naturf. Ges. beider Basel 5 tons Solothurn», dass vor allem die Begleitflora ab und zu in Scherrasen vor. Etwas weniger dra- der Äcker und die Flora der Moore am Ver- stisch ist die Situation bei den Hackfruchtbe- schwinden sei (von einem Rückgang der Mager- gleitern, von denen heute viele Arten vor allem wiesen ist noch keine Rede). ruderal, an Strassenrändern usw., vorkommen. Im Untersuchungsgebiet und in den umlie- Bei der Intensivierung des Ackerbaus ist auch genden Gemeinden haben sich an verschiedenen die Verbesserung unebener, flachgründiger oder Orten traditionell bewirtschaftete Getreidefelder stark durchlässiger Ackerböden zu erwähnen. In mit entsprechender Begleitflora bis in die 50er- der Birsebene wurden nach den Korrektionen die Jahre erhalten, v.a. auf steinigen, unfruchtbaren schotterigen, durchlässigen Böden mit Leh- Böden der Birsebene und auf dem Gempenpla- merde überdeckt und urbarisiert. Vor allem aber teau (Brun-Hohl 1963, Moor 1962). Ab ca. 1960 seit dem Beginn der 60er-Jahre, mit dem einset- tauchen die Spritzgassen in den Getreidefeldern zenden Bau-Boom, bis heute wurde, bzw. wird auf. Mit dem Aufkommen der Herbizide finden viel Aushubmaterial im Landwirtschaftsgebiet auch im Untersuchungsgebiet die schönen Ge- ausg