Gesellschaft

LEGENDEN Das letzte Geheimnis Gunter Sachs war Playboy, Autor und Fotograf und verwaltete ein unübersichtliches Vermögen. Warum aber ertrug er auf einmal sich und sein Leben nicht mehr? Erstmals spricht seine Familie darüber. Von Christoph Scheuring

ie Geschichte ist etwas mehr als Es brauchte zehn Jahre, vier weitere wollen. Auch jetzt, da seine Frau Mirja zehn Jahre her. Geplant war da - Begegnungen mit Gunter Sachs und un - und seine drei Söhne zum ersten Mal von Dmals ein Interview mit Gunter gefähr ein Dutzend Treffen mit den Men - ihrem Leben mit ihm erzählen: kein an - Sachs, einem der schillerndsten Männer schen aus seinem Umfeld, um zu verste - klagendes Wort. Keine verletzten Gefüh - der deutschen Nachkriegsgeschichte: Ex- hen: Das Einzige, was an diesem Tag le*. Es ist, als habe es in seinem Umfeld Ehemann von , Erbe des nicht inszeniert war, war der Gin Tonic. nur Menschen gegeben, die bereit waren, Industrie-Imperiums Fichtel & Sachs, er - Es hatte nie ein Paket gegeben, das unbe - alles für ihn zu tun. folgreicher Fotograf und Bestsellerautor, dingt nach Gstaad transportiert werden Trotzdem setzte sich Gunter Sachs an profilierter Kunstsammler und prämierter musste. Stattdessen hatte der Pilot den jenem 6. Mai 2011 an seinen Computer Dokumentarfilmer, Deutschlands einzi - Auftrag gehabt, für einen unvergesslichen und schrieb: „… Ich habe durch die Lek - ger Playboy von Rang. Es war die Woche, Flug zu sorgen. Auch die blonden Wesen türe einschlägiger Publikationen erkannt, in der er 70 Jahre alt wurde. gehörten nicht zum ständigen Inventar. an der ausweglosen Krankheit A. zu er - „Sie können natürlich gern das Auto Selbst die Fürstin hatte Gunter Sachs ex - kranken … Der Verlust der geistigen Kon - benutzen“, sagte er damals am Telefon, tra einfliegen lassen – als Garantin für trolle über mein Leben wäre ein würde - „aber ich brauche zufällig ein Paket mit eine gehobene Konversation. Wenn es loser Zustand, dem ich mich entschlossen dringenden Unterlagen hier in Gstaad. um sein Bild in der Öffentlichkeit ging, habe, entschieden entgegenzutreten.“ Im Postflieger wäre auch noch Platz für überließ Gunter Sachs nichts dem Zufall. Einen Arzt hatte er zu diesem Thema Sie. Wenn Sie mögen.“ Das lag möglicherweise daran, dass er nicht konsultiert. Auch die Familie hatte Die Maschine wartete auf dem Flugha - nie in der Lage gewesen war, mit den Zu - nichts von einer beginnenden Alzheimer- fen Zürich-Kloten. Es war eine alte Piper, mutungen des Medienbetriebs Frieden zu Erkrankung bemerkt. Er war nie ohne und der Pilot flog durch die Alpen, als schließen. Er gab ein Vermögen aus für Orientierung herumgeirrt. hätte er sein Handwerk im Luftkampf ge - Anzeigen, in denen er den Medien seinen Die Art und Weise, wie er seine Finan - lernt: Er segelte durch enge Schluchten Begriff von Anstand und Fairness entge - zen vor seinem Tod geregelt hatte, sprach und hüpfte über baumlose Kämme, dass genhielt. Er prozessierte, wo immer eine erst recht nicht für einen verwirrten Kopf. die Räder fast die Grasnarbe berührten. Publikation diese Grenze überschritt. Überall auf der Welt hatte er in Immobi - Als die Maschine landete, wartete bereits Und das Schreiben von Leserbriefen war lien investiert oder sich an verschachtel - ein Chauffeur in einem Auto auf der Lan - für ihn fast so etwas wie ein zweiter Be - ten Finanzfirmen beteiligt. „System debahn. Von dort dauerte es fünf Minu - ruf. Nächtelang konnte er an ihnen feilen. Sachs“ nannte die „Süddeutsche Zeitung“ ten bis zu einem alten Bauernhaus mit Nichts verließ seinen Schreibtisch, bevor in der vergangenen Woche die ausgeklü - einem atemberaubenden Blick auf die nicht jedes Wort und jedes Satzzeichen gelte Konstruktion. In einem Schatten - Bergketten gegenüber. mehrfach umgedreht worden war. reich von Offshore-Gesellschaften hatte Innen waren die Wände tapeziert mit Warum sollte dies ausgerechnet am Gunter Sachs Teile seines Vermögens un - Fotografien: Gunter Sachs zusammen mit Abend des 6. Mai 2011 anders gewesen tergebracht, einem Reich voller Steuer - den wichtigsten Männern seiner Epoche. sein, als er beschloss, seinem Leben ein oasen. „Ich würde mich nie im Leben ins Im Wohnzimmer standen geschätzt 50 Ende zu setzen? Der Tod würde ein öf - Halteverbot stellen“, sagte er mal bei ei - Nilpferd-Figuren, an den Wänden hingen fentliches Ereignis sein, das war ihm klar. nem Treffen in seinem Bauernhaus, „aber antike Scherenschnitte. Neben dem Fens - Und die einzige Möglichkeit, darauf noch wo Parken erlaubt ist, parke ich auch.“ ter saß Marianne Fürstin zu Sayn-Witt - Einfluss zu nehmen, waren die Sätze in Die Nachlassverwalter von Gunter Sachs genstein-Sayn auf einem einfachen Holz - seinem Abschiedsbrief. Sie mussten eine bestreiten den Verdacht, er habe sein Ein - stuhl mit geradem Rücken. Gunter Sachs Antwort geben auf die Frage: Warum kommen und Vermögen nicht ordnungs - stand ihr in einem schwarzen Rollkragen - wollte ein Mensch nicht mehr leben, der gemäß versteuert. pullover gegenüber. Neben ihm lagerten noch immer alles hatte, das andere nie „Mein Mann war in Taktik und Strate - zwei sehr blonde Frauen auf einem Sofa. haben würden, und für den es kaum eine gie der absolut Allerbeste“, sagt seine „Meine Katzen“, erklärte er mit einer Grenze gab? Frau Mirja in ihrem Haus am Ufer des Stimme, die tief und schleppend wie ein Warum war einer des Lebens müde, der Zürichsees. Das hatte er ihr einmal ge - alter Schiffsdiesel war. Die Gespräche mehr als ein Dutzend Häuser an den kauft, weil sie die Nähe zur Stadt viel schwappten gemächlich von einem The - schönsten Ecken der Erde bewohnte? Den mehr liebte als er. Nach seinem Tod ist ma zum nächsten: die Schönheit der man auch mit knapp 80 Jahren immer es ihre Heimat geworden. Mit moderner Sonnenuntergänge auf der Terrasse. Die noch in Begleitung der schönsten Frauen Kunst an der Wand und weißem Teppich Schönheit der Sätze bei Friedrich Nietz - sah? Und der mehr Vermögen besaß, als sche. Die Unendlichkeit des Alls. In den ein einzelner Mensch überblicken kann? * Siehe auch die SPIEGEL-TV-Dokumentation „Der Gläsern klirrte das Eis perfekt gemischter Es gab niemanden, der nach seinem Gentleman-Playboy: Gunter Sachs“. 8. April, 21 Uhr, Gin Tonics. Tod nicht respektvoll über ihn hätte reden ARD.

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OMEDIAS / FACE TO FACE Gesellschaft am Boden und einem stürmischen Zü - eine arrangierte Ehe gewesen, die die Dy - Wunsch des Vaters gewesen, damit der richsee, der vor dem Fenster an ihre Mau - nastie der Opels mit dem Motorenbauer Sohn später mal einen Posten bei Fichtel er klatscht. „Mein Mann war ein Stilist Sachs verband und in der sonst nicht viel & Sachs übernehmen konnte. Seine Frau und ein Meister im Formulieren“, sagt zusammenpasste. Der Vater war ein ein - blieb während dieser Zeit in Lausanne. Sie sie. „Alles, was mein Mann gemacht hat, facher Mann, der den Fußball und die wollte sich in einer Klinik behandeln lassen. hat er perfekt inszeniert.“ Jagd liebte, aber auch mit ranghohen Na - Nur eine Kleinigkeit eigentlich. Aber dann Wenn man irgendetwas über seinen tionalsozialisten paktierte und von Hitlers unterlief den Ärzten bei der Narkose ein Entschluss, sich umzubringen, sagen Politik geschäftlich profitierte. Die Mutter Fehler. Sie wachte nicht mehr auf. kann, dann dies: Es war keine spontane verachtete das braune Gedankengut und Ein halbes Jahr später griff der Vater Entscheidung. Gunter Sachs hat sich nicht glaubte an die ordnende Kraft der Kon - zu einem Gewehr und erschoss sich in in einem Moment der Verzweiflung das vention. Bei ihr mussten sich die Kinder seinem Jagdhaus. Da war Gunter Sachs Leben genommen. Dafür hatte er den während der Mahlzeiten Bücher unter die gerade 26 geworden und plötzlich Witwer, Gedanken zu lange mit sich herumge - Arme klemmen, um zu lernen, wie man alleinstehender Vater und zusammen mit schleppt. „Mein Mann hatte nie alt wer - korrekt beim Essen sitzt. Sie erlaubte sich seinem Bruder der Erbe eines Vermögens, ) . U

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S S A L H C A N Industriellensohn Sachs*, Kunstsammler Sachs, Künstler Warhol 1972: „Perfekt inszeniert“ den wollen“, erzählt seine Frau. „Zum keine Schwäche. Aber sie war entschieden das jede Vorstellung überstieg. Das Erste, Glück für uns alle ist er nicht früher ge - der Meinung, dass der Starke dem Schwa - was Gunter Sachs damals tat, war, in die gegangen, als er gegangen ist.“ chen zu helfen habe. Berge zu gehen. Seinen Sohn gab er zu Sein Freund Samir Sibaei, der ihn seit Das nahm auch Gunter Sachs für sich in dessen Großmutter. der Studentenzeit kannte und ihm da - Anspruch. Und daran hatte sich auch nichts Er wanderte wochenlang durch die nach ein Leben lang als Berater und Ver - geändert, als im Jahr 1958 zwei lebensent - Einsamkeit, und als er zurückkehrte, hat - trauter zur Seite stand, meint: „Sein Tod scheidende Dinge passierten. Zu diesem te sich seine Einstellung zum Leben ver - war ein Akt der Liebe zum Leben.“ Ge - Zeitpunkt hatte er an der Universität in ändert. „Ernsthafter war er“, sagte sein nauer gesagt: zu jener Idee, die Gunter Lausanne bereits Mathematik studiert. Er Freund Samir Sibaei heute. „Und verant - Sachs vom Leben hatte. hatte geheiratet und einen Sohn be - wortungsvoller. Aber auch entschlosse - Auch Gunter Sachs’ Mutter hatte zu ih - kommen. Gerade machte er ein Praktikum ner, mit beiden Händen nach dem flüch - ren Prinzipien gestanden und sich nicht in einer deutschen Bank. Dies war der tigen Leben zu greifen.“ Plötzlich war irritieren lassen durch den Mainstream in dieses Leben für ihn nichts Selbstver - der Gesellschaft. Noch nicht einmal durch ständliches mehr, sondern ein ungewis - * Links: mit Bruder Ernst Wilhelm (l.) und Vater Willy einen Ehemann, mit dem sie wenig ge - 1934; oben rechts: mit seinem Bruder und Mutter Elinor ses, kostbares Gut. Und ein Frevel, es un - meinsam hatte außer den Kindern. Es war um 1933. genutzt verstreichen zu lassen. Wenn es

62 ) *(# ! % 15/2013 überhaupt einen Sinn geben konnte im brauste er mit dem Motorrad die Küsten - „Gammeln für Deutschland“, über - Leben, dann den, es zu leben. So frei straße entlang. Grundsätzlich ohne Helm. schrieb eine Zeitung damals diesen Le - und intensiv es einem Menschen nur Sachs lebte frei, aber nicht freizügig. bensstil. Andere Publikationen nannten möglich war. Es ging ihm um Leidenschaft, nicht um Sachs „Bruder Leichtfuß“. Dabei war Um sich herum, im Deutschland der Sex. Irgendwann ließ er Rosen regnen wahrscheinlich das Gegenteil richtig. Wirtschaftswunderzeit, sah er diese Mög - auf das Grundstück von Brigitte Bardot. „Mein Mann hat nie etwas leichtnehmen lichkeit nicht. Hier erstickte das Land an Zusammen liebten sie sich auf den können in seinem Leben“, sagt seine Frau. seinen Verdrängungen. Hier gab es keine Polstern seines Motorboots weit draußen Ihm fielen die Dinge zwar leicht. Aber selbstbestimmte Moral, sondern nur noch im Meer. Bei vollem Schub und mit daran trug er schwerer, als die anderen ein leeres Korsett von Konventionen. festgebundenem Ruder. „Und es war uns dachten. Gunter Sachs überließ das operative Ge - egal in diesem Moment, ob wir an einem Anfang der sechziger Jahre, als Brigitte schäft in seinem älteren Bru - Fels oder einem Tanker zerschellten.“ So Laaff so etwas wie das It-Girl Deutsch - der und blieb in Lausanne, zuständig für erzählte er es. Später heirateten sie in lands war und auf den Partys des Adels das Auslandsgeschäft und die strategische Las Vegas. herumstand, war sie für Gunter Sachs ein - A M G Y S

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S E M A J Hochzeitspaar Mirja, Gunter Sachs, Sachs-Sohn Rolf 1969: Kunst der Konversation, Kunst der Verführung

Ausrichtung seiner Firma. Aber genauso Je intensiver der Moment, desto er - einhalb Jahre lang die große Liebe, bis wichtig wurden für ihn seine Besuche in füllter das Leben. Damit verkörperte ihre Zuneigung erkaltete. Saint-Tropez. Das Leben dort war anders Gunter Sachs passgenau den Begriff des Dann aber wurde bei ihr ein Tumor als alles, was er aus Deutschland kannte. „Playboys“, bevor dieser diskreditiert an der Wirbelsäule entdeckt. „Inopera - Sonniger. Leichter. wurde. Playboys waren in den sechziger bel“, sagten die Ärzte. „Unmöglich, die „Man liebte, wo immer die Liebe hin - Jahren gebildete, charismatische Män - Geschwulst mit dem Skalpell zu ent- fiel, und ging auseinander, wenn die Lie - ner, die das Risiko liebten. Und Frauen fernen.“ be zu Ende war.“ So sagte er es damals natürlich auch. Sie konnten sich auf je - „Das werden wir sehen“, sagte Gunter in seinem Bauernhaus. Kein Verharren. dem gesellschaft lichen Parkett bewegen. Sachs, obwohl ihre Beziehung damals ei - Kein schlechtes Gewissen. Nicht einmal Sie beherrschten die Kunst der Konver - gentlich schon Vergangenheit war. Drei ein philosophischer Überbau. sation genauso wie die der Verführung. Monate reiste er mit ihr durch Amerika Er jagte mit seinem Mahagoni-Sport - Gutes Aussehen half. Mut und Sportlich - von einer Spezialklinik in die nächste. Die boot über die Wellen. Er mietete im Hotel keit waren zwingend. Phantasie auch. Diagnose war immer die gleiche. Einein - ganze Etagen für sich und seine Freunde. Und Geld konnte ein Vorteil sein. Gun - halb Jahre Stöhnen und Schreien und Er feierte mit Juliette Gréco oder Pierre ter Sachs spielte als einziger Deutscher nachts um zwei in die Apotheke fahren, Brice oder . Manchmal in dieser Liga. um Morphium zu besorgen gegen den

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Schmerz. Irgendwann meinte der Haus - Der Vater sagte: „Jetzt gehen Sie erst arzt: „Sie hält die hohen Dosen nicht aus, mal nach Hause, Herr Sachs, und lassen lassen Sie das Mädchen in Ruhe sterben.“ sich scheiden. Danach sehen wir weiter.“ Zum Schluss weigerte sich Brigitte Laaff, Das war dann so ein Moment, in dem bei überhaupt noch einen Mediziner zu sehen. ihm alle Dämme brachen und er die Trä - Aber Gunter Sachs war nicht bereit nen nicht mehr unterdrücken konnte. aufzugeben. Den nächsten Arzt stellte er Die Erziehung der Kinder überließ er ihr als „alten Studienfreund“ vor, der zu - weitgehend seiner Frau. Sie wechselte die fällig in der Nähe sei. Der tastete ihren Windeln und betreute die Hausaufgaben Rücken ab und meinte, bei schmalen der Kinder, nicht er. Die alltäglichen Menschen könne es passieren, dass der Pflichten entsprachen nicht seinem Be - Röntgenapparat die Perspektive verzerre. griff von Freiheit. „Ich glaube, dass der Tumor höher sitzt, Wenn die Kinder ein Problem hatten, als meine Kollegen vermuten. Ich schätze, war er ihr Beschützer. Besonders gegen dass ich sie operieren kann, da ist eine die Lehrer. Dort, wo die Kinder eine un - reelle Chance.“ mittelbare Verbindung zum Leben hatten, Sein Eingriff dauerte dann mehr als war er „der beste Vater, den man sich den - fünf Stunden. Danach kehrte der Krebs ken kann“. So erzählen es seine Söhne. nie wieder zurück. Für Gunter Sachs war Es ist dieselbe Beziehung, die auch sein dies der Moment, an dem er es sich end - Verhältnis zur Kunst charakterisiert. Es lich erlaubte zu gehen. Geblieben aber interessierte ihn nicht, einen Picasso für ist der Satz: „Wer, wenn nicht ich?“ 500 000 Dollar zu kaufen, in der Hoff - Er half mit Geld oder mit seiner Pro - nung, dass sich der Wert verdopple. Statt - minenz oder mit Anwesenheit, und be - dessen saß er in Paris mit Künstlern des sonders gern half er, wenn es darum ging, Nouveau Réalisme beim Mittagessen. gegen die Mächtigen oder die Medien ins Ihre Werke sammelte er, weil er bei ihnen Feld zu ziehen. Er engagierte Anwälte, Kraft und Substanz spürte. Er kaufte bezahlte Kautionen, auch für Menschen, Warhols, weil dieses blasse, verdruckste die er noch nie gesehen hatte. Bürschlein, das er in den Cafés der Côte „Er hatte Angst vor dem Leid anderer d’Azur manchmal traf, eine seltsam ma - Menschen“, erzählt Mirja Sachs, „er nische Aura besaß. Er sammelte Pop-Art, konnte auch nicht darüber sprechen. Er weil er mit den Leuten in London und konnte nicht auf Beerdigungen von engen New York um die Häuser zog und spürte, Freunden gehen. Mein Mann war ein un - dass dort etwas Großes passierte. Gunter glaublich starker Mensch nach außen. Sachs interessierte die Kunst, wo sich in Aber er hatte in sich auch eine sehr emp - ihr Ungedachtes oder Unerhörtes mani - findsame Seite.“ Die lernte sie an ihm festierte. Und als sie anfing, Allgemeingut kennen, als sie noch gar nicht richtig zu - zu sein, legte sich sein Interesse. sammen waren. Sachs las Bücher zur Astrophysik oder Begonnen hatte die ganze Geschichte zur Quantenmechanik. Manchmal stu - noch ein paar Wochen früher. Damals ent - dierte er einfach nur im Brockhaus her - deckte er ihr Gesicht auf einem Werbefoto um. In Betriebsanleitungen technischer und beauftragte mehrere Recherche- Geräte konnte er sich vertiefen wie in Ro - Teams, die die Eckdaten ermittelten: Mirja mane. Er entwickelte eine Formel zur Be - Larsson, schwedisches Model, vertreten rechnung von Unschärfen bei der Foto - durch die Agentur Eileen Ford in New grafie bewegter Motive. Als er sich für York. Also buchte er sie für eine Bade - das Filmen zu interessieren begann, war modenschau seiner Firma Micmac in Bra - er einer der Ersten, die dafür eine Kame - silien und arrangierte, dass er während ra mit einer Superzeitlupe benutzten, die des Flugs neben ihr saß. Als sie nach der zuvor bei den ballistischen Experimenten gemeinsamen Reise ausstiegen, gab es ei - der Waffenindustrie zum Einsatz gekom - gentlich schon keine Rettung mehr. men war. „Willst du meine Frau werden?“, fragte Mit der gleichen spielerischen Begeis - Gunter Sachs zwei Tage später. Da war terung stellte er sich der Astrologie. Die er allerdings noch verheiratet mit Brigitte Idee kam ihm in einer sternenklaren Sil - Bardot. vesternacht in den Schweizer Bergen. Da „Nein, möchte ich nicht, aber ich möch - starrte er mit einem Freund in die Un - te dich sehr, sehr gern kennenlernen“, endlichkeit, und der Mensch war im Ver - antwortete Mirja Larsson. gleich dazu nur eine Amöbe, die durch Einen Tag später wusste davon schon den Ozean treibt. Eigentlich war es plau - die halbe Welt. „Wir sollten vielleicht mit sibel für ihn, dass dieser Ozean einen Ein - deinen Eltern sprechen, bevor sie es aus fluss hat auf das Getier. Ein experimen - der Zeitung erfahren“, meinte Sachs und teller Beweis dafür würde allerdings nie organisierte noch am selben Tag den gelingen, so viel war klar. „Aber dann Rückflug nach Schweden. müsste sich der Einfluss auch statistisch „Ich bin hier, um Sie um die Hand Ihrer belegen lassen. Wer, wenn nicht ich?“, Tochter zu bitten“, sagte Gunter Sachs sagte er und besorgte sich über 20 Millio - zu ihrem Vater. Dabei hatte Mirja das An - nen Daten vom Schweizer Bundesamt für sinnen doch bereits abgelehnt. Statistik. Das Material sortierte er nach

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Manchmal lud er extra jemanden ein, der nur auf dem Sofa sitzen musste. Am Schreibtisch war er ein furchtloser Perfektionist, der nicht eher ruhte, bis absolut keine Einwände mehr denkbar waren. Das allerdings bezog sich bei ihm auf alles, das Ausrichten seiner Feste, das Zusammenstellen der Gästeliste, die Einrichtung seiner Häuser. Mit etwas Vorläufigem konnte er sich nicht arran - gieren. „Vielleicht war auch das ein Grund für ihn, zu gehen“, sagt seine Frau. „Er war so ein Perfektionist. Wenig perfekt wollte er sich selbst nicht sehen.“ S

H Wahrscheinlich wurde alles für ihn C A S schwerer als für andere Menschen, weil R E T

N das Alter vor der Kulisse eines so prallen U G

S Lebens noch viel bedürftiger wirkt. Viel - S A L

H leicht wogen die Einschränkungen für ihn C A

N so schwer, da er sich in seinem Leben Gleitschirmflieger Sachs 2011: Vor dem Tod noch abgehakt noch nie hatte einschränken müssen. Viel - leicht war es folgerichtig, dass ein Mensch, den Tierkreiszeichen und fahndete mit Allein in einer Schreibgruft zu sitzen der sich so sehr dem Tempo und der In - Hilfe des Chi-Quadrat-Tests nach signifi - war seine Sache nicht. Besser, es waren tensität des Moments verschrieben hatte, kanten Abweichungen von der Normal - immer Menschen in seiner Nähe: Wenn die Gemächlichkeit des Alters als Fessel verteilung. Es war eine mühsame Arbeit, die Enkelkinder vor dem Schreibtisch zu empfand. die oft bis tief in die Nacht hinein dauerte, seinen Füßen spielten, während er schrieb, Eigentlich hatte er seinen Bruder be - und morgens um vier begann für ihn war er glücklich. Oder wenn jemand in neidet um dessen frühen Tod. So erzählt schon der nächste Tag. Sichtweite auf dem Sofa saß und las. es Mirja Sachs heute. Der Bruder war 47,

gensanlagen jeder Art“. Es geht beson - ders um Immobilienkäufe, in Luxem - Operation Luxemburg burg und im Ausland. Am selben Tag, dem 17. Dezember Auch Rolf Sachs war an den verschachtelten 2008 um 11.30 Uhr, wird die außer - Finanz konstrukten seines Vaters beteiligt. ordentliche Hauptversammlung der Kapitalgesellschaft Sunrise Water eröff - net. Es wird beschlossen, den Firmen - olf Sachs spricht nicht gern über Zusammenschlüsse verschiedener Un - sitz von den Britischen Jungferninseln sein Geld. Das war schon im Jahr ternehmen – eine Konstruktion, von nach Luxemburg zu legen. Außerdem R2003 so. Damals wurde er ge - der auch Rolf Sachs profitiert habe, der sollen die Namen der Aktionäre nicht fragt, ob er nach London gezogen sei, 57-jährige Sohn aus Gunter Sachs’ ers - bekanntwerden. Die Gesellschaft wird weil sich die Erbschaftsteuer für Aus - ter Ehe. Auch geschäftlich waren die erneut durch den Luxemburger Anwalt länder in Großbritannien mit etwas Ge - beiden verbunden. Alexander Olliges vertreten. Alleiniger schick auf annähernd null drücken ließ Will man einen Eindruck davon be - Aktionär: Gunter Sachs. (SPIEGEL 19/2003). Auch heute will der kommen, wie verschachtelt das System Diese Beispiele zeigen, wie flexibel Möbeldesigner und ehemalige Invest - ist, hilft ein Blick ins Amtsblatt 179 des die Familie auf politische Absichten rea - mentbanker nicht darüber sprechen, ob Großherzogtums Luxemburg vom 27. giert hat. Denn erst einen Monat vor er sein Geld in Steueroasen anlegte und Januar 2009. Dort wird die Verlagerung dem Notartermin, im November 2008, an welchen Finanzfirmen er sich betei - eines Firmensitzes geschildert, ein vereinbarten die G-20-Staaten in der ligte, um sich Steuervorteile zu sichern. Vorgang vom 17. Dezember 2008. Ein Finanzkrise, härter gegen Steueroasen In der vergangenen Wo - Luxemburger Rechtsanwalt, vorzugehen. In der Folge lockerten die che berichtete die „Süddeut - Alexander Olliges, der von Jungferninseln und die Kanalinsel Jer - sche Zeitung“, dass der Indu - Vater und Sohn Sachs bevoll - sey ihr Bankgeheimnis, Luxemburg aber striellenerbe Gunter Sachs, mächtigt wurde, regelt die schien dem Druck trotzen zu wollen. Rolf Sachs’ Vater, Teile sei - Details. Er soll ihre private Die Kunst der Familie Sachs bestand O

nes großen Vermögens in ei - G Finanzgesellschaft K-Berg darin, den Überblick zu behalten. Vor A M I nem komplizierten Geflecht von der Insel Jersey nach einem Jahr sagte Rolf Sachs über sei - /

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aus Offshore-Firmen in der B Luxemburg verlegen. Als nen Vater, der habe seine Kunstkäufe U H D

Südsee und der Karibik ver - I Zweck der Firma wird ange - anfangs durch Gewinne beim Karten - M H

teilt hatte. Zu den Grund - C geben: „Erwerb von Beteili - spielen finanziert, und „die Spieler- S

D pfeilern des undurchsich - I gungen jeder Art an in- und natur ist ihm geblieben“. Es war als R T S

tigen Geschäftsmodells ge - A ausländischen Gesellschaf - Kompliment gemeint. hörten sogenannte Trusts, Designer Rolf Sachs ten und sonstigen Vermö - J'&+"& S+'$

66 ) *(# ! % 15/2013 als ihn beim Skifahren eine Lawine be - grub. „Abzutreten in der Mitte eines er - füllten Lebens, das wäre sein Wunsch ge - wesen.“ Um dann konserviert zu sein in der Erinnerung der anderen Menschen auf der Höhe der eigenen Kraft. Dass Gunter Sachs trotzdem länger gewartet hat, lag wahrscheinlich auch dar- an, dass es stets wieder noch ein neues Projekt gab, das er für die Nachwelt reali - sieren musste: zuerst seine Fotobände. Dann das Buch über die Astrologie. Spä - ter seine Autobiografie. „Wenn es mal nichts zu arbeiten gab“, sagt Mirja Sachs, „ist mein Mann sofort in ein Loch ge - fallen.“ In seinen letzten Lebensmonaten hatte sich dieses Reservoir an Projekten all - mählich geleert. Eigentlich gab es zum Schluss nur noch ein paar Kleinigkeiten, die es im Leben zu erledigen galt: Gleit - schirmfliegen zum Beispiel. Das hakte er drei Monate vor seinem Tod mit einem Tandemflug ab. Das Bild, das davon exis - tiert, erzählt von dem Glück eines 20-Jäh - rigen, der im Körper eines fast 80-jähri - gen Mannes wohnt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits alles geregelt: den Nachlass. Was mit seinen Briefen geschehen soll. Wie der Computer zu zerstören sei, dass niemand mehr an die Daten komme. Die letzten Wochen verbrachte er mit seiner Frau Mirja in Palm Springs. Harmonisch und unauf fällig. „Er war so geschickt, ich habe überhaupt nichts gemerkt“, erzählt sie. „Nur einmal hat er gesagt: Mirja, wenn ich jetzt heimkomme, ich weiß gar nicht, was ich noch machen soll. Ich habe doch nichts mehr vor.“ Am 1. Mai 2011 verabschiedete er sich unter einem Vorwand, um nach Gstaad zu fliegen. Dort telefonierte er noch ein - mal mit den Söhnen und seinen engsten Freunden. Er machte jeden Tag einen Spa - ziergang. An seinem letzten Tag wartete er, bis alle im Haus gegangen waren. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und schrieb von der „Krankheit A.“, die zu jener Zeit überall in den Medien war. Nie - mand in der Öffentlichkeit würde ihm das Recht zur Selbsttötung absprechen wollen nach dieser niederschmetternden Diagno - se. Niemand in der Familie würde sich schuldig fühlen müssen. Alzheimer war einer der wenigen Gründe, die es den Hin - terbliebenen ein wenig leichter machten. Trotzdem taucht das Wort „Alzhei - mer“ nirgendwo auf in seinem Abschieds - brief. Er schrieb: „Krankheit A.“ Jeder würde den Sinn verstehen. Und niemand könnte ihn einer letzten Lüge bezichtigen. Dann griff er zu seiner Pistole und ging aus dem Leben.

Video: Gunter Sachs in Saint-Tropez spiegel.de/app152013sachs oder in der App DER SPIEGEL

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