Porträt Bundesrat Philipp Etter
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Martin Pfister, Thomas Zaugg Porträt Bundesrat Philipp Etter Nicht im Handel Beitrag aus: Urs Altermatt (Hrsg.) Das Bundesratslexikon 1. Auflage 2019, S. 349–355 © 2019 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG Philipp Etter 349 55 Philipp Etter 1891 – 1977 1934 –1959 ZG, KVP 28. März 1934 Wahl in den Bundesrat 31. Dezember 1959 Rücktritt 1934 –1959 Departement des Innern 1939, 1942, Bundespräsident 1947, 1953 schied sich aber für ein Rechtsstudium und den Journalismus. Ende 1911 zog Etter zunächst nach Zürich. Dort absolvierte er ein journalistisches Lehrjahr bei Georg Baumberger, dem Doyen der christlich- sozialen Bewegung und Chefredaktor der Neuen Zürcher Nachrichten. Gleichzeitig begann er 1912 an der Universität Zürich sein Jusstudium. In Herkunft und politische Laufbahn jenen Jahren stand Etter unter dem Eindruck der Am 21. Dezember 1891 im zugerischen Menzingen weltweiten Streikbewegungen und begrüsste die geboren, wuchs Philipp Etter in einfachen Ver- Organisation der Arbeiterschaft. Er kritisierte die hältnissen auf und wurde vom ländlichen Katholi- Auswüchse des kapitalistischen Systems ebenso zismus geprägt. Der Vater war Küfermeister, die wie den Marxismus. Nach der Russischen Revolu- Mutter führte einen kleinen Lebensmittelladen. tion 1917 und dem Landesstreik 1918 wurde die Früh sah man für Etter eine geistliche Laufbahn politische Linke für Etter zum Schreckbild. vor. Von 1907 bis 1911 besuchte er die Stiftsschule Der Lebenslauf Etters zeugt von einer exemp- Einsiedeln. Die barocke Atmosphäre des Marien- larischen katholisch-konservativen Politkarriere. wallfahrtsorts eröffnete Philipp Etter eine Welt, 1912 wurde er mit 20 Jahren Chefredaktor der ka- die er in Erinnerungen mit einer « zweiten Hei- tholisch-konservativen Zuger Nachrichten, die er mat » gleichsetzte. bis 1934 leitete. Trotz Redaktionsarbeit und Aktiv- Wie eine ganze Generation junger katholi- dienst als Infanterieoffizier konnte Etter 1917 sein scher Intellektueller wurde Etter geprägt durch Rechtsstudium in Zürich mit dem Lizenziat ab- die Aufbruchsstimmung in der katholischen So- schliessen. Im gleichen Jahr erwarb er in Schwyz ziallehre, die Papst Leo XIII. mit seiner Enzy- das Anwaltspatent und wurde als 25-Jähriger in klika Rerum novarum 1891 gefördert hatte. Den Zug zum Verhörrichter ernannt. Ein Jahr darauf « Quertreibereien und Drohfingern unserer Gross- erfolgte die Wahl in den Kantonsrat. Im Mai 1918 industrie », wie der 20-jährige Etter sich 1912 heirateten Philipp Etter und Marie Hegglin, die ausdrückte, sollte christliche Gerechtigkeit entge- ebenfalls aus Menzingen stammte. Die Familie gengehalten werden. Der Stiftsgymnasiast hätte Etter, die bald insgesamt zehn Kinder zählte, lebte Benediktiner oder Jesuit werden sollen, er ent- in relativ bescheidenen Verhältnissen. 350 Philipp Etter Im Alter von 31 Jahren wurde Etter 1923 Zuger Wahl 28. März 1934 Regierungsrat und übernahm die Erziehungs- und ausgeteilte Stimmzettel 218 Militärdirektion. 1930 zog er in den Ständerat ein. eingegangene Stimmzettel 217 Zu Beginn der 1930er-Jahre gehörte Philipp Etter leer 11 zu den einflussreichen Meinungsmachern in Zugs ungültig – konservativen Kreisen. In zwei für die katholische gültig 206 absolutes Mehr 104 Jugendbewegung verfassten Schriften deutete er 1933/34, inspiriert durch die päpstliche Enzyklika Philipp Etter wird im 1. Wahlgang mit 115 Stimmen Quadragesimo anno, die Weltwirtschaftskrise als zum Nachfolger von Bundesrat Musy gewählt. das Ende der liberalen Ära. Das Christentum solle Weitere Stimmen : wieder an Einfluss gewinnen, und die Fehler des Johannes Huber (SG, soz.dem.) 62 Emil Mäder (SG, kath.-kons.) 20 Wirtschaftsliberalismus müssten bekämpft wer- vereinzelte Stimmen 9 den, meinte Etter und warnte gleichzeitig vor ei- ner zu autoritären Reaktion. Seine Erneuerungs- rhetorik zielte auf eine Veränderung im « Geist ». Damit mässigte er die Forderungen der Partei- jallaz-Faschismus in der Waadt passte. Sie waren jugend nach institutionellen Reformen. Am auf- überzeugt, dass Etter die bürgerliche Allianz nicht kommenden Frontismus in der Schweiz kritisierte mit Alleingängen nach Musys Art strapazieren Etter unter anderem die Nachahmung der « Ju- würde. Andererseits bot sich für KVP-Fraktions- denhetze » in Deutschland. Zugleich bezeichnete chef Heinrich Walther und die Katholisch-Kon- er mit antisemitischen Stereotypen einen Zustrom servativen der Innerschweiz die Möglichkeit, den jüdischer Flüchtlinge als unerwünscht. Freiburger Flügel um Musy zu zähmen. Die letzten Zweifel von freisinniger Seite wur- Bundesratswahl den kurz vor der Wahl zerstreut. FDP-Bundesrat 1934 traten innerhalb von wenigen Tagen zwei Edmund Schulthess suchte Etter zu einem Ge- Bundesräte zurück : am 12. März der Freisinnige spräch auf. Im Aargauer Tagblatt, der Hauszeitung Heinrich Häberlin, weil sein Staatsschutzgesetz von Schulthess, erschien schliesslich eine Wahl- vom Stimmvolk abgelehnt worden war, und am empfehlung. Mit 115 Stimmen bei einem absoluten 22. März der Katholisch-Konservative Jean-Marie Mehr von 104 wurde Ständerat Etter am 28. März Musy (heute CVP), der das Machtvakuum hatte 1934 im ersten Wahlgang gewählt. Das Wahlergeb- ausnützen wollen, um eigene Reformen durchzu- nis zeugte von einem gewissen Misstrauen der drücken. Linken und einem Teil der Freisinnigen gegen- Etter sprach sich in jenen Tagen wiederholt über dem « Kreuzritter Philipp » und « Freisinns- gegen eine Wahl in den Bundesrat aus. Sorgen fresser », wie Etter von politischen Gegnern ge- über mangelndes Fachwissen, finanzielle Beden- nannt worden war. Mit der Wahl von Etter für den ken und ein schlechtes Gewissen gegenüber der französischsprachigen Musy verlor die Romandie Familie lösten schwere Zweifel bei ihm aus. Seine einen Sitz im Bundesrat, den sie erst 1947 wieder- Kandidatur wurde von den Spitzen der Konser- erlangte. vativen Volkspartei (KVP) gefördert. Im Hinter- Dass Jungkonservative und Frontisten den grund zogen jedoch führende Freisinnige, allen Wechsel im Bundesrat als einen Sieg verbuchten, voran Bundespräsident Marcel Pilet-Golaz, die war die eigentliche Täuschung hinter der Wahl Fäden. Die westschweizerischen Freisinnigen Etters. Der 42-jährige Zuger Konservative vermit- sahen in Etter einen frankophilen, föderalistisch telte zwar den Eindruck eines volksnahen, autori- und antisozialistisch gesinnten Innerschweizer, tären Landesvaters, der auf eine « christliche Re- der gut in ihre Sammelbewegung gegen den Fon- generation unserer schweizerischen Demokratie » Philipp Etter 351 hoffte. Zugleich aber vertrat Etter als Exponent zahlreiche neue Aufgaben übertragen wurden. der gemässigten Innerschweizer Linie seiner « Etternell », wie er gegen Ende seiner Karriere an Partei eine ausgesprochen vorsichtige Haltung. der Basler Fasnacht genannt wurde, war bereits Er war der Meinung, dass die berufsständische 1940 mit dem Rücktritt der Bundesräte Baumann Neuordnung der Wirtschaft, ein zentrales katho- und Minger und dem Tod von Giuseppe Motta lisch-konservatives Programmelement, wenn nach Bundesrat Pilet-Golaz der amtsälteste De- überhaupt nur durch die Wirtschaft selbst und nie partementsvorsteher. Diese Position verschaffte von oben durch einen « Korporationenstaat » ein- ihm früh und über Jahre hinaus eine zentrale zuführen sei. Im Gegensatz zum Freiburger Musy Rolle im Bundesratsgremium. hatte sich Etter zudem 1931 für die Einführung der Ab der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre enga- AHV eingesetzt. gierte sich Etter in der « Geistigen Landesverteidi- gung », die nachhaltig in die Ideengeschichte ein- Tätigkeit als Bundesrat ging. Verschiedene politische Kreise hatten seit Philipp Etter blieb während 25 Jahren im Bun- 1935 eine Antwort auf die deutsche Propaganda desrat, so lange wie niemand mehr nach ihm. Er und andere Bedrohungen der schweizerischen übernahm das damals noch wenig bedeutende Eigenständigkeit gefordert. In seiner Botschaft Innendepartement, dem während seiner Amtszeit über « Kulturwahrung und Kulturwerbung » vom Der Gesamtbundesrat an der Eröffnung der Landesausstellung 1939 in Zürich. In der vorderen Reihe v. l. n. r. Marcel Pilet-Golaz, Bundespräsident Philipp Etter und Giuseppe Motta ( Keystone ). Winston Churchill am 17. September 1946 im Gespräch mit den Bundesräten Nobs, Kobelt und Etter ( v. l. n. r. ) auf Schloss Allmendingen bei Bern ( Staatsarchiv des Kantons Bern, T. 1112 ). 9. Dezember 1938 beschwor der Zuger Bundesrat te er sich 1937 gegenüber einem Freund. Am Ende den geistigen Zusammenhalt der mehrsprachigen formulierte Philipp Etter den Minimalkonsens Schweiz auf dem Gotthardpass mit seinen vier einer Kulturpolitik, die nicht unumstrittenen sprachlich-kulturellen Quellen : « Der schweizeri- war. Teile der politischen Linken hätten sich ein sche Staatsgedanke ist nicht aus der Rasse, nicht weniger ländliches Bild der Schweiz und mehr aus dem Fleisch, er ist aus dem Geist geboren. » In Subventionen für die Kultur gewünscht. Der ultra- zahllosen Reden prägte Etter als Bundespräsident konservative Freiburger Schriftsteller Gonzague das Jahr der Landesausstellung 1939 in Zürich und de Reynold legte Etter erfolglos nahe, in der Kul- die Erinnerung ganzer Gene rationen. Seine Kul- turbotschaft die schweizerische Demokratie we- turpolitik mündete 1938 in die Anerkennung des niger stark zu betonen. Andere Intellektuelle wie Rätoromanischen als Landessprache, 1939 in die Karl Barth kritisierten die generelle Nationalisie- Gründung der Arbeits ge meinschaft Pro Helvetia, rungstendenz. Angesichts dieser verschiedenen in Bemühungen für das Filmwesen,