Titel-H_04 10.06.2003 12:52 Uhr Seite 1

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Juni 2003 Heft 4/2003 ISSN 0947-1049

Theaterwissenschaftler sind Tiere im Dienste der Menschen Wider die Langeweile … einem Spion auf der Spur und Menschen im Dienste der Tiere Das DDR-Fernsehen wird erforscht Neue Sexualität 450 Jahre Moritzbastei: Studenten mit Hochschulkonzept: durch Neue Medien Höchstes Vergnügen in tiefster Lage Zwischen Seminar und Salon

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Nobelpreisträger Watson kam zur Einweihung Die BIO CITY lebt

Probedruck EDITORIAL

Inhalt Das Netzwerk BIO CITY

UniVersum Am 23. Mai 2003 wurde die BIO CITY LEIPZIG im Beisein von Wechsel im Rektoramt 2 Nobelpreisträger James Watson feierlich eröffnet. Neben Unter- Am 17. Mai: Die Uni im Viervierteltakt 3 nehmen finden hier Forschungsgruppen der Universität Leipzig Fußball: Der Wille war da … 5 ihren Platz. Die Dringlichkeit der damit möglich gewordenen un- Ehrendoktorwürde für Genscher 6 mittelbaren wirtschaftlichen Umsetzung von Forschungsergeb- Die Entwicklung der Universitätsbibliothek 9 nissen hat gerade erst die SARS-Epidemie wieder offenbart. Personalräte neu gewählt 10 Leipzig hat jetzt die Chance, ein gewichtiges Wort auf dem Ge- biet der Biotechnologie und Biomedizin mitzusprechen. Aus- Gremien gangspunkt waren die bereits im In- und Ausland anerkannten Senatssitzungen April/Mai 10 Forschungsleistungen der Medizinischen Fakultät, der Veterinär- medizinischen Fakultät, der Fakultät für Chemie und Mineralo- Forschung gie, der Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psycho- Das DDR-Fernsehen wird untersucht 12 logie, der Fakultät für Physik und Geowissenschaften und der Fa- Zwischenbilanz im Nomaden-SFB 14 kultät für Mathematik und Informatik. Diese sind fakultätsübergreifend im Biotechnologisch-Biome- UniCentral dizinischen Zentrum (BBZ) der Universität Leipzig BIO CITY eröffnet, Watson dabei 16 gebündelt. Zum anderen baut das Konzept der Der Biotechnologietag 17 BIO CITY LEIPZIG auf einer fundierten Bedarfs- Die BBZ-Mitglieder 18 analyse von Unternehmen mit biotechnologisch- Die Entwicklung körpereigener Gewebe 20 biomedizinischer Ausrichtung auf. Mit ihm wird Die Entwicklung von Biochips 21 die Möglichkeit eröffnet, dass Wissenschaftler den Schritt zum Unternehmer wagen. Anliegen der Fakultäten und Institute Universität ist es, günstige Startbedingungen für Wirtschaftspädagogen kooperieren mit BMW 22 Existenzgründer auf diesem Gebiet zu schaffen.m Mathematisch-Naturwissenschaftlicher Im neuen Gebäude am Deutschen Platz erhält die biotechnolo- Fakultätentag 23 gisch-biomedizinische Forschung einen hochmodernen, funktio- Theaterwissenschaft: nalen Komplex, der die Forschungsinfrastruktur der Universität Einem Spion auf der Spur 24 Leipzig ideal ergänzt und die internationale Konkurrenzfähig- Das Medizinisch-Experimentelle Zentrum 25 keit Leipzigs auf diesem Gebiet weiter stärkt. Zu den bisher zwei Neue Sexualität durch Neue Medien 27 Säulen wissenschaftlicher Arbeit, der Grundlagenforschung und Toxikologisches Zentrum gegründet 28 der klinischen Forschung, ist eine dritte, die der explizit anwen- dungsorientierten Forschung hinzugekommen. Das Spektrum der Studiosi molekularen Biotechnologie reicht dabei von der Wirkstofffor- Tropenökologie / Stadtumbau-Studiengang 28 schung bis zur Regenerativen Medizin. Darüber hinaus gibt es Studenten bei Wettbewerb erfolgreich 29 eine enge Forschungsvernetzung zwischen dem BBZ und dem Interdisziplinären Zentrum für Klinische Forschung, dem Inter- Personalia disziplinären Zentrum für Bioinformatik und dem Sonderfor- Nachruf auf Sir Bernard Katz 30 schungsbereich „Proteinzustände mit zellbiologischer und medi- Neu berufen 31 zinischer Relevanz“, aber auch mit den in Leipzig ansässigen Nachrichten 32 Max-Planck-Instituten, insbesondere dem Max-Planck-Institut für Geburtstage 33 Evolutionäre Anthropologie. Danken möchte ich an dieser Stelle allen, die mit vereinten Kräf- Essay ten das Biotchnologisch-Biomedizinische Zentrum der Universität Viel Gesundheit für wenig Geld? 34 Leipzig in der BIO CITY LEIPZIG möglich machten, insbesondere der Arbeitsgruppe, die das wissenschaftliche Konzept entwi- Jubiläum 2009 ckelte, und der Universitätsverwaltung. 125 Jahre Professur für ostasiatische Fragen der Gen- und Biotechnologie sind eng verbunden mit bio- Sprachen 36 ethischen, sozioökonomischen, aber auch juristischen Fragen. Erwachsenenpädagogik feiert Jubiläen 38 Wenn auch Wissenschaftler anderer als der eingangs erwähn- 450 Jahre Moritzbastei 39 ten Fakultäten sich für eine Mitgliedschaft im BBZ entscheiden würden, könnte die derzeit stark anwendungsorientierte For- Habilitationen und Promotionen 36 schungsausrichtung des BBZ entsprechend dem Charakter un- Am Rande 4 serer Alma mater lipsiensis als Universitas litterarum um die Kom- Nomen 7 ponente einer einzigartigen Vernetzung von Humanwissen- Impressum 2 schaften, Naturwissenschaften und Medizin bereichert werden. Prof. Dr. Helmut Papp Titelfotos: Dietmar Fischer Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs

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Feierlicher Wechsel im Rektoramt und Verabschiedung Volker Bigls

Mit einem Festakt im Alten Senatssaal Nachfolger bei der Lösung wurde am 13. Mai 2003 der Wechsel im der bevorstehenden Aufga- Rektoramt vollzogen. Als sichtbares Zei- ben und schwierigen Ent- chen dafür legte der Tradition gemäß der scheidungen neue Ideen, scheidende Rektor, Prof. Dr. Volker Bigl, Selbstvertrauen, vorbehalt- dem neuen Rektor, Prof. Dr. Franz Häuser, losen Rückhalt an der Uni- die wertvolle Amtskette um. Zu Prorekto- versität und allzeit eine Volker Bigl legte seinem Nachfolger Franz Häuser die ren bestellte der Jurist Häuser die Veteri- glückliche Hand. Allen, Amtskette um. Foto: Armin Kühne närmedizinerin Prof. Dr. Monika Krüger, die ihm in seiner Amtsfüh- den Chemiker Prof. Dr. Helmut Papp und rung behilflich waren, sprach er seinen tief- dung, das Amt um der Stellung der Uni- den Mediziner Prof. Dr. Peter Wiedemann. empfundenen Dank aus. versität in der Gesellschaft willen nieder- Die Amtszeit beträgt nur etwa sieben Mo- Nach der Überreichung der Urkunde durch zulegen. nate bis zum 1. Dezember 2003, da nach den Sprecher des Konzils, Prof. Dr. Ekke- Kanzler Peter Gutjahr-Löser bezeichnete dem vorzeitigen Rücktritt Volker Bigls nur hard Becker-Eberhard, ging Rektor Häuser Bigls Rücktritt „als Lehrstück demokrati- diese Zeitspanne bis zur nächsten turnus- in abschließenden Worten noch einmal auf scher Praxis“. Bigls Nachfolger im Amt, mäßigen Rektorwahl verbleibt. den Ausgangspunkt des Eingriffs in die Prof. Dr. Franz Häuser, unterstrich, dass In der Begrüßung hatte Kanzler Peter Gut- Universitätsautonomie zurück und betonte, Volker Bigl damit „ein Zeichen gesetzt hat jahr-Löser diesen Rücktritt als ein Alarm- dass es sich hierbei um keine Privatauto- für die politische Kultur in unserem signal an die Sächsische Staatsregierung nomie handele, sondern um die Suche nach Lande“. Mit dem Bezug auf die dabei be- gewertet, die Selbstverwaltungsrechte der einer sachgerechten Wahrnehmung der der wiesene Standfestigkeit bezeichnete Ober- Körperschaft Universität zu respektieren. Alma mater von der Gesellschaft aufgetra- bürgermeister Wolfgang Tiefensee Rektor Der scheidende Rektor wünschte seinem genen Aufgaben. Das Verhältnis zwischen Bigl „als einen Mann, der Geschichte ge- Staatsregierung und universitärer Selbst- schrieben hat, nicht nur für seine Univer- verwaltung sei nur als Kooperations- sität“. Prof. Dr. Klaus Steinbock sagte im Journal Mitteilungen und Berichte für die Angehörigen verhältnis und dieses wiederum nur als Namen der Landeshochschulkonferenz, und Freunde der Universität Leipzig Ver trauensverhältnis sinnvoll zu gestalten. dass Volker Bigl mit Souveränität und Diese Auffassung werde er gegenüber der natürlicher Würde die Interessen aller Impressum Staatsregierung geltend machen. Sein Be- Hochschulen selbstbewusst vertreten habe. Herausgeber: Der Rektor streben gehe wie das seines Vorgängers Studentenvertreter verwiesen mit Hoch- Redakteur: Carsten Heckmann Ritterstr. 26, 04109 Leipzig, dahin, die Universität Leipzig als Volluni- achtung auf seine Fähigkeit, am Ende Tel. 0341/ 9 73 01 54, Fax 0341/ 9 73 01 59, versität mit einem breiten Fächerspektrum schwieriger Debatten Wege vorzuzeich- E-mail: [email protected] zu erhalten. In Zeiten knapper werdender nen, die von allen Mitgliedergruppen der V. i. S. d. P.: Volker Schulte Ressourcen, wo das Ziel nicht in der Aus- Universität als gangbar angesehen werden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die dehnung, sondern gewissermaßen im Tief- konnten. Meinung der Autoren wieder. Satz und Lithographie: DZA Satz und Bild gang, in der Qualitätssteigerung, liege, sei In seinen Schlussworten appellierte Volker GmbH, es freilich unumgänglich, dass die Univer- Bigl an die Mitglieder der Universität, „das Druck und Binden: Druckerei zu Altenburg sität die Mittel dorthin lenkt, wo eine zu leben und vorzuleben, was uns wichtig GmbH, Gutenbergstraße 1, 04600 Altenburg zukunftsorientierte interdisziplinäre For- ist: die Gemeinschaft von Lehrenden und Anzeigen: Druckerei zu Altenburg GmbH, schung und eine engagierte Lehre mit gro- Studierenden“. Dies dürfe auch unter den Tel. 03447/5550 Verlag: Leipziger Universitätsverlag GmbH ßer Ausstrahlung stattfinden. Belastungen von Stellenabbau und Mittel- Augustusplatz 10/11, 04109 Leipzig knappheit nicht zu kurz kommen. Und die Tel./Fax: 0341/9900440 * vielen ehrenden und würdigenden Worte Einzelheft: 1,50 e Drei Tage später fand im Festsaal des dieses Abends resümierend, betonte er: e Jahresabonnement (sieben Hefte): 13,– Neuen Rathauses die feierliche Verab- „Wenn Sie aus dieser mich sehr berühren- In Fragen, die den Inhalt betreffen, wenden Sie sich bitte an die Redaktion, in Fragen, die den schiedung von Prof. Dr. Volker Bigl aus den Veranstaltung die Absicht mit nach Ver trieb betreffen, an den Verlag. dem Amt des Rektors statt. Sie bot Gele- Hause nehmen, Ihre Unterstützung für die Nachdruck mit Quellenangabe gestattet. Beleg- genheit, aus verschiedenen Blickwinkeln Universität Leipzig zu verstärken, dann exemplare erbeten. sein Wirken an der Spitze der Alma mater wäre mir dies das schönste Geschenk mei- Redaktionsschluss: 28. 5. 2003 zu würdigen. Dabei war allen Reden ge- ner Verabschiedung“. ISSN 0947-1049 meinsam der Respekt vor der Entschei- Volker Schulte

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Die Uni im Viervierteltakt Bilder und Sätze vom 17. Mai

Nun schon zum fünften Mal hat die Uni- versität am 17. Mai ihre Zelte in der Grim- maischen Straße aufgeschlagen und sich als „Universität zum Anfassen“ präsentiert. Das Motto des Campus-Tags lautete in diesem Jahr „Vielfalt erleben“. Hunderte Leipziger ließen sich die Chance dazu Standfest: Holz gegen nicht entgehen. Aber es fand nicht nur der Beton lautete das beliebte Universitätsmarkt statt, sondern Duell bei der (erstmals zeitgleich) auch der Studien- Experimental- informationstag im Hörsaalgebäude, die vorlesung der 2 Bauingenieure studentische Veranstaltung UNI im Innen- vor großem hof und die Eröffnung der Internationalen Publikum. Am Studentischen Woche. Letztere zog an den Ende brach Folgetagen viele Besucher an und betrieb wider Erwarten zuerst der Beton- wieder erfolgreich Werbung für Multikul- steg ein. turalismus. An dieser Stelle sind Impres- sionen vom 17. Mai zusammengestellt, Zitate in Wort und Bild.

„Nehmen Sie es als Geschenk, dass Sie einen klugen Kopf haben.“ Prof. Dr. Monika Krüger, Prorektorin für In Bewegung: Im Hörsaal- Lehre und Studium, bei der Eröffnung gebäude und im des Studieninformationstages Seminargebäude * suchten und fan- „Ach herrje …“ den Schüler den Weg zu den Zwei Schülerinnen vor dem überfüllten Studieninforma- Hörsaal 6, in dem es Informationen zu tionsangeboten. den Lehramtsstudiengängen gab Es schienen * jedoch weniger Schüler als in „Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen recht den Vorjahren herzlich für die Unterstützung und die gekommen zu wache Aufmerksamkeit zu danken.“ sein. Rektor Prof. Dr. Franz Häuser bei der Eröffnung des Campus-Tags an die Leip- ziger Bürger gewandt (in Bezug auf die Reaktionen in der Stadt auf die Debatte um den Wiederaufbau der Paulinerkirche) * „Journey beyond your imagination“ Aufschrift auf einem Plakat in Zelt 11, Bullenreiten: wo das Institut für Anglistik eine Harry- Bei UNI2 im Potter-Marathonlesung veranstaltete Innenhof konnte man zeigen, wie * man sich unter „Man kann Bakterien für sich arbeiten schwierigen lassen. Wir bringen sie dazu, Eiweiß zu Bedingungen im produzieren.“ Sattel hält. Dr. Heike Betat, Institut für Fotos: Randy Biochemie/Max-Planck-Institut für Kühn (2) und Evolutionäre Anthropologie, Zelt 4 Armin Kühne

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Zehn Millionen Euro. Das muss man „Wir erleben nicht nur eine Entpolitisie- „Der Beklagte verpflichtet sich, den sich mal vorstellen. Zehn Millionen rung der Universitäten. Es ist eine Entpo- streitgegenständlichen DVD-Player Euro kann eine Fakultät wert sein. Und litisierung der Gesellschaft. Die Univer- zurückzugeben.“ mehr. Da sage noch einer, Universitä- sitäten können sich nicht auf einer Insel Bei der Gerichtssimulation der ten nagten am Hungertuch. der Politisierung bewegen.“ Juristenfakultät aufgeschnappter Satz Nein, hier ist kein Märchen aus Tau- Prof. Dr. Wolfgang Fach, Institut für * sendundeiner Nacht zu lesen. Unbe- Politikwissenschaft, bei der Prodiums- „Es geht auch im Kühlschrank – aber wir kannte Freunde und Förderer der TU diskussion zum Thema „Wie politisch, sind schneller.“ Dresden boten die von der Schließung wie ökonomisch soll oder darf die Worte eines der Jungchemiker, die mit bedrohte Jura-Fakultät unter der Num- Universität sein?“ Hilfe von Stickstoff „Blitzeis“ herstellten mer „2529797203“ einfach im Inter- * * net-Auktionshaus eBay an – komplett, „Nutzt keine deutschen Internetseiten zur „Und wir haben auch ne bessere Luft, mit Gebäude, Grünpflanzen, 1800 Information über Deutschland. Ihr müsst auch besseres Wasser wieder, nicht? Jetzt Studenten, 70 Professoren und Mitar- der deutschen Sprache entkommen.“ können Sie wirklich wieder durch den beitern sowie der Bibliothek. Andreas Hammer in seinem Vortrag über Park gehen und können durchatmen, das Was wohl für die Leipziger Geowis- seinen USA-Aufenthalt im Rahmen der konnte man früher wirklich nicht.“ senschaften zu erzielen wäre? Astro- Länderpräsentationen in Hörsaal 10, die Auf einer Schautafel dokumentierte nomisch hohe Summen sind vorstell- auch Bestandteil der Internationalen Aussage einer von Kulturwissenschaftlern bar. Und erst die Bauingenieure. Dum- Studentischen Woche waren für das Projekt „Leben in Plagwitz“ merweise weiß man nie, an wen man * befragten Bürgerin sich da verscherbelt. Am Ende sind es „It’s one million miles to the city.“ * irgendwelche Holzmänner. Dann muss Nicht ganz zutreffende Titelzeile eines „Ich habe jetzt ein absolut dummes man plötzlich bei Schröder statt bei Liedes, das beim Bullenreiten im Innen- Experiment gemacht.“ Milbradt um Rettung bitten. hof gespielt wurde Prof. Dr. Josef Käs bei seiner Physik- Harte Zeiten können aber harte Ein- * Experimentalvorlesung. Er hatte gerade schnitte erfordern. Die Leipziger Uni- „Wenn man seinen eigenen Finger rein- versucht, mit einem Laser-Pointer einen versität beispielsweise könnte auch taucht, geht’s dem wie der Bratwurst.“ Tischtennisball zu bewegen. Später über einen Standortwechsel nachden- Prof. Dr. Stefan Berger während seiner demonstrierte er, dass Licht durchaus als ken. Der Auszug aus Prag hat ja ge- Chemie-Experimentalvorlesung, bei der „optische Pinzette“ genutzt werden kann zeigt, dass das erfolgreich laufen er kurz zuvor eine Bratwurst in Stickstoff – für Zellen. kann. Fragt sich nur: wohin jetzt? Zu- getaucht und dann auf dem Boden * rück nach Prag, ins „neue Europa“? zerplatzen lassen hatte „Unser Prof weiß vieles besser. Wär er Nach Asien, der geringeren Personal- * noch hier, wüssten es auch wir.“ kosten wegen? Aber wie sähe das „Kaputt kriegen wir alles.“ Aufschrift auf einem Plakat des aus: die Olympischen Spiele hier, die Prof. Dr. Stefan Winter während seiner StudentInnen-Rates. Sportfakultät auf einem anderen Kon- Moderation der Experimentalvorlesung tinent ... des Bauingenieurwesens Aufgezeichnet von: Carsten Heckmann Nachzudenken wäre auch über die Umwandlung in eine AG. Zwar ist die große Börsenblase geplatzt, aber flüs- siges Kapital gibt es noch genug. An- dererseits sind die Risiken groß. Auf der Aktionärsversammlung könnte der Rektor nicht entlastet werden und der Kurs in den Keller gehen, nur weil die Politikwissenschaftler trotz schlechter Profite nicht abgestoßen würden. Also doch die Dresdner Methode. Aber vorher sollte man mit eBay ver- handeln. Das haben die Dresdner nämlich nicht getan. Mit schwerwie- genden Folgen: Erst durften nicht mehr als zehn Millionen Euro geboten wer- den, dann ging gar nichts mehr. Ein hinterwäldlerischer Auktionator hatte von hochschulreformatorischen Bemü- hungen rein gar nichts mitbekommen und die Auktion abgeblasen. Eine Blitzeis: Die Jungchemiker erfreuten die Besucher mit Eis – selbst gemacht, und Fakultät, hieß es, sei ein „ungültiger zwar in Sekundenschnelle, mit Hilfe von minus 197 Grad kaltem Stickstoff. Foto: Randy Kühn Artikel“. Carsten Heckmann

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war für seinen Kurzeinsatz extra fit ge- spritzt worden (Hexenschuss). Bei Meyns 4:0 war das Spiel längst entschieden. „Der Geist ist willig, aber …“ sinnierte Leipzigs Kapitän Stiehler an der Seitenlinie. Für die Chronisten: Das Spiel endete 5 : 1 für . Der Ehrentreffer fiel in der 28. Minute, Hermann-Josef Gertz verwandelte mit einem trockenen Flachschuss aus halb- linker Position. Der Verlierer Leipzig belegte dennoch Voller Einsatz von Markus Löffler (l.). einen ersten Platz: Die Gastgeber führten die Verletztenliste an. Blessuren hatten davon getragen: Stiehler (Leistenzerrung), Sieler (Bruch des linken Fußes) und Löff- Der Wille war da … ler (Platzwunde auf der Stirn). Den Pokal nahmen die Hallenser wieder mit. Bis zum Fußball: Leipzig als ewiger Dritter Wiedersehen 2004. Wenn immer noch das Motto gilt, das Hans-Jörg Stiehler in seiner Medienforschung schon oft als Floskel Es hat nicht sollen sein. Auch nach dem „Die haben ihr Jubiläum hinter sich, die untergekommen ist und das er kurz vor nunmehr sechsten Professoren-Fußball- lassen nach“, tönte es nun selbstbewusst dem 2003-Anpfiff ausgegeben hatte: „Die Turnier im Universitätsverbund Halle- aus der versammelten Fangemeinde. Das Hoffnung stirbt zuletzt.“ Leipzig-Jena wartet das Leipziger Team kann den Leipzigern 2010 zumindest von Carsten Heckmann weiter auf den ersten Punktgewinn. der Platzierung her wohl nicht passieren. Dabei erwischten die Mannen um Kapitän Aber zurück zum Spiel: In der zweiten Das Team der Universität Leipzig: Hans-Jörg Stiehler beim Heimspiel Mitte 20-Minuten-Hälfte legte Halle, am Rande Prof. Wolf-Dietrich Einicke (Institut für Techni- sche Chemie), Prof. Joachim Sieler (Institut für Mai auf dem Testfeld im Sportkomplex an einer Blamage stehend, eine Schippe drauf. Anorganische Chemie), Prof. Hermann-Josef der Jahnallee einen guten Start. Gerade Mehrere Großchancen reihten sich anein- Gertz (Klinik und Poliklinik für Psychiatrie), drei Minuten waren im ersten Match der ander, doch Torwart Wolf-Dietrich Einicke Prof. Hans Neumeister (Institut für Geogra- Gastgeber gespielt, da hatte der Links- parierte immer wieder glänzend – und das phie), Dr. Jörg Bär (Institut für Biochemie) Prof. außen Markus Löffler das Führungstor auf ohne Handschuhe! Hans-Jörg Stiehler, (Empirische Kommunika- tions- und Medienforschung), Prof. Markus dem Fuß, doch sein strammer Schuss ver- Der Druck wurde stärker und stärker. Bis Löffler (Institut für Medizinische Informatik, fehlte das gegnerische Gehäuse knapp. ihn Leipzigs linker Verteidiger Hans Neu- Statistik und Epidemiologie), Prof. Dietmar Immerhin: Der Underdog hatte ein kräfti- meister im direkten Körperkontakt zu Schneider (Klinik und Poliklinik für Neurolo- ges Kläffen von sich gegeben, das die Hal- spüren bekam. Neumeister beschrieb die gie), Prof. Martin Busse (Institut für Sportme- lenser durchaus beeindruckte. Zwar be- Situation später wie folgt: „Ich wurde von dizin), Prof. Volker Bigl (Ehem. Rektor), Prof. Franz Häuser (Rektor), Peter Stüwe, Dekanats- stimmten die Gäste aus Sachsen-Anhalt hinten geschubst – und konnte dann nicht rat Sportwissenschaftliche Fakultät) fortan das Spielgeschehen, echte Akzente mehr ausweichen, keine Chance.“ Es war konnten sie aber nicht setzen. Manch einer passiert. Flanke von links, Kopfball Neu- Rektor Häuser am Ball. Fotos: C. Busse rieb sich verwundert die Augen, hatte Halle meister, Tor – Eigentor. doch sein Auftaktspiel gegen Jena mit 2 :1 Hatten jahrelange Beobachter bis dahin gewonnen und somit den Grundstein zur klare Fortschritte gegenüber vorherigen Titelverteidigung gelegt. Auftritten der Leipziger ausgemacht – jetzt Die zwei Dutzend Zuschauer spürten, dass schien die Moral dahin. Oder die Kondi- eine Überraschung zum Greifen nahe war. tion. Oder beides. Jedenfalls brachte Halle Erste Sprechchöre waren zu vernehmen: das glückliche 1: 0 locker über die Zeit und „Leipzig vor, noch ein Tor.“ Nicht, dass die stand somit als Turniersieger fest. Mannschaft schon eines geschossen gehabt Im bedeutungslos gewordenen zweiten hätte. Wie auch immer: Die Stimmung war Spiel gegen Jena griffen denn auch die von gut in der Fankurve. So fiel denn auch nicht den Zuschauern bereits zuvor geforderten weiter ins Gewicht, dass das neue Zentral- Herren Franz Häuser und Volker Bigl ins stadion nicht rechtzeitig zum Hochkaräter- Geschehen ein. Rektor und Alt-Rektor ge- Treffen fertig geworden war. meinsam in vorderster Front. Ein durchaus Dafür gab’s neue Trikots in Leipzigs Stadt- geschickter Schachzug, möchte man mei- farben gelb-blau. Und die schienen zu be- nen – aber kein erfolgreicher. Denn Jenas flügeln. Der äußerst starke Löffler ließ Rektor Karl-Ulrich Meyn war an diesem nach einer Viertelstunde im wahrsten Sinne Tag blendend aufgelegt und erzielte gleich des Wortes aufhorchen, mit einem Latten- zwei Treffer. Bei seinem 1: 0 hatte Franz knaller erster Güte. Häuser das Feld schon wieder verlassen. Er

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Ode an das Recht Rückblick auf die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Hans-Dietrich Genscher

Ein Lob ist soviel wert wie der Mensch, der es ausspricht. Miguel de Cervantes (1547–1616), span. Dichter

Die Musiker hatten es nicht leicht. Da hat- ten sich am frühen Abend des 6. Mai Dut- zende Ehrengäste im Festsaal des Alten Rathauses zu Leipzig versammelt. 60 Jour- nalisten kamen hinzu. Einige von ihnen tauchten die Szenerie in gleißendes Scheinwerferlicht. Von Minute zu Minute stieg die Luftfeuchtigkeit an. Schweißper- len waren nicht länger als ein Zeichen von Nervosität zu werten. Vor allem aber ließ das Ganze auch die Instrumente nicht kalt: Die Mitglieder des „Ensemble Resonanza“ mussten sie immer wieder aufs Neue stim- men. Um anschließend immer wieder virtuos aufzuspielen. Der Ehrengast unter den Ehrengästen Prominenz in der ersten Reihe (v. r.): Dekan Oldiges, Ehrendoktor Genscher mit Gattin, Festredner Gorbatschow, Rektor Bigl mit Gattin und Oberbürgermeister wusste das zu schätzen, bedankte sich spä- Tiefensee. Foto: Dietmar Fischer ter persönlich bei den jungen Musikern. „Ich habe es als feinfühlig und taktvoll empfunden, dass der Hallenser Händel gleich zweimal zu Gehör gebracht wurde“, Der Text der Urkunde sagte der Hallenser Hans-Dietrich Gen- „Unter dem Rektorat des Professors für Deutschlands und für die Sicherung des scher. Eine Stunde zuvor hatte er aus den Neurochemie Dr. med. Volker Bigl und Friedens in Europa den Grad und die Händen von Professor Martin Oldiges, De- dem Dekanat des Professors für Öffent- Würde eines Doktors der Rechte ehren- kan der Juristenfakultät, die Urkunde ent- liches Recht Dr. iur. utr. Martin Oldiges halber (Doctor iuris honoris causa – Dr. gegen genommen, die ihn als Ehrendoktor verleiht die Juristenfakultät der Univer- iur. h.c.).“ eben dieser Fakultät ausweist. Eine Aus- sität Leipzig ihrem früheren zeichnung, die Genscher „ehrenvoll und Studenten Dr. h.c. mult. mich tief anrührend“ nannte. Seine Dan- Hans-Dietrich Genscher, kesworte gerieten zum Teil selbst zu klei- Bundesminister a. D. der nen Lobeshymnen, vor allem auf die Bundesrepublik Deutsch- „Olympiastadt Leipzig“ und deren „altehr- land, in Würdigung seiner würdige Universität“. vielfältigen Verdienste als „Leipzig hat sich immer als Stadt des Minister der Bundesrepu- Rechts verstanden“, sagte der Bundes- blik Deutschland und in be- außenminister a. D. und verwies auf die sonderer Anerkennung sei- Fortführung dieser Tradition mit der An- ner außergewöhnlichen Lei- siedlung des Bundesverwaltungsgerichts stungen und hervorragen- und des 5. Strafsenats des Bundesgerichts- den Verdienste um die hofes. „Es hätte Geschichtsbewusstsein Schaffung einer völker- ausgedrückt, wenn auch das Bundesverfas- rechtlichen Grundlage für sungsgericht seinen Sitz in Leipzig hätte Prof. Oldiges überreichte Hans-Dietrich Genscher die die Wiedervereinigung nehmen können“, erklärte Genscher wei- Ehrendoktor-Urkunde. Foto: Armin Kühne

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ter. Der 76-Jährige knüpfte auch an die auslautende -er bei Genscher nicht unbe- Laudatio von Prof. Oldiges an. Einmal, dingt überzeugend erklärt. indem er über sein Erstes Staatsexamen an Im Deutschen ist zwar auch der Familien- der Universität Leipzig sprach – abge- name Genser „Gänserich“ bezeugt (J. K. schlossen mit der mündlichen Prüfung am Brechenmacher, Etymologisches Wörter- 5. Oktober 1949, zwei Tage vor Gründung buch der deutschen Familiennamen, Bd. 1, der DDR, was Genscher heute noch sym- Limburg (Lahn) 1957–1960, S. 546), aber bolisch wichtig ist. Zum zweiten, indem er in diesem Fall befriedigt das Verhältnis aus dem 2+4-Vertrag zitierte, den er mit Genser – Genscher nicht restlos. ausgehandelt hat. Wichtig sind ältere Belege des Namens. In Dieser Vertrag, der den Weg zur deutschen der ca. 2 Milliarden Eintragungen umfas- Einigung endgültig frei machte, sei „wie senden Namendatei der Mormonen in Salt kaum ein anderer eine Meisterleistung Lake City (Internet: familysearch.org) fin- völkerrechtlicher Friedensbemühungen“, den sich drei Nachweise: Josephus Gen- hatte zuvor Martin Oldiges konstatiert. Er scher, geboren 1777 in Niederösterreich, sprach von einer „Ehrung für ein Friedens- Caspar Genscher, geb. 1689 Rosenberg werk“, zu der sich die Juristenfakultät ent- (Schlesien), Carolus Genscher, geb. 1723 schlossen habe. Und er verglich Genscher Rosenberg (Schlesien). mit Goethe: Beide hätten sich nach dem Diese Namen erinnern an poln. Gąsiór Studium zunächst „brav als Rechtsanwalt“ „Gänserich“, das in dt. Familiennamen wie niedergelassen, in diesem Beruf aber Ganschur, Ganschior, Ganschier, Gonsior, „keine nennenswerte Karriere“ gemacht Gonsier häufig bezeugt ist. und seien Minister geworden. Redner Michail Gorbatschow bei seiner Fest- Im Fall von Genscher sprechen die ältesten Oldiges erntete an dieser Stelle nicht zum ansprache. Foto: Armin Kühne bisher bekannten Belege aus Schlesien für einzigen Male ein Publikumsschmunzeln. eine frühe Eindeutschung eines aus Schle- Den Reaktionen der Gäste war ohnehin im- An einem von jenen Werten bestimmten sien stammenden polnischen Namens. Ein mer mal wieder zu entnehmen, dass die Europa arbeitet der rastlose Diplomat gerade erschienenes Verzeichnis (K. Ry- würdevolle Feier durchaus Unterhaltungs- weiterhin mit. Wie auch sein „Freund Gor- mut, Słownik nazwisk współcześnie w wert besaß. batschow“. Der brachte es auf den Punkt: Polsce używanych, CD-ROM, Kraków Genscher und Goethe also. Und noch ein „Richtige Rentner sind wir nicht geworden, 2003, S. 3058) verzeichnet den Familien- bedeutender Mann mit G bestimmte die nicht wahr, Hans-Dietrich?!“ namen Gęsior in Polen (vor allem im Süd- „hochansehnliche Festversammlung“, die Carsten Heckmann westen und in Schlesien) 214-mal. Zu- Rektor Volker Bigl begrüßt hatte: Michail grunde liegt poln. gęsior „Gänserich“, eine Gorbatschow. Keinen Besseren hätte man Variante von gąsior (als Familienname sich vorstellen können als Redner zum 11980-mal bezeugt), wobei die Ausspra- Thema „Hans-Dietrich und ich …“. Gen- NOMEN che eines von -i- gefolgten -s- zu einer scher war der erste westliche Politiker, von -sch-ähnlichen Realisierung neigt. Bei frü- dem Gorbatschow sich mit seiner Peres- Namenforscher Prof. Jürgen Udolph zur her Eindeutschung wird zudem das auslau- troika-Politik verstanden fühlte. „Und er Herkunft des Namens „Genscher“ tende -or zu -er abgeschwächt. handelte aus Verantwortungsgefühl, nicht Der Name wird sich demnach wohl auf aus Taktik“, so der ehemalige sowjetische Unter 40 Millionen Telefonteilnehmern einen Gänsehirten bezogen haben. Staatschef in seiner Festansprache. (Stand: 1998; neuere CD-ROMs sind aus Das genaue Gegenteil unterstellte Gorbat- Datenschutzgründen schlecht zu verarbei- schow dem derzeitigen US-Präsidenten ten) ist der Name Genscher 56-mal be- George Bush, dessen Irak-Feldzug er gei- zeugt. ßelte. „Amerika braucht seine eigene Pere- Die Verbreitung des Namens zeigt, dass der stroika“, erklärte er. Frieden könne es nicht Name locker über Norddeutschland ver- geben, wenn jemand seinen Erfolg in streut ist. Leichte Konzentrationen sind bei einem Triumph über andere sehe. Das sei Halle, in Sachsen und im Ruhrgebiet zu die wichtigste Lektion Hans-Dietrich Gen- beobachten (siehe Karte rechts). Das schers – eine Aussage, für die Gorbatschow spricht mit einiger Wahrscheinlichkeit für viel Applaus bekam. Zuwanderung aus dem Osten. Der Frieden, die Freiheit, das Recht. Dies Nach R. Zoder, Familiennamen in Ost- waren die bestimmenden Werte an diesem falen, Bd. 1, Hildesheim 1968, S. 559 ge- Abend. Werte, die dem Ehrendoktor Gen- hört der Familienname Genscher zu scher immer am Herzen lagen und liegen Gensch, Genß, Gentsch, Jentsch, Jentzsch, werden. Dem „deutschen Glücksfall“, wie einer slavischen Form für „Johannes“. Ge- ihn Bundespräsident Johannes Rau in legentlich wird auch eine mundartliche einem von Martin Oldiges verlesenen obersächsische Form Gensch „Gänserich“ Grußwort bezeichnete. herangezogen. In diesem Fall wird aber das

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„Sauklaue“ gab Rätsel auf Gästebucheinträge von Genscher und Gorbatschow nur schwer zu entziffern

Als „Sauklaue“ wurde sowohl die Hand- schrift Hans-Dietrich Genschers als auch die Michail Gorbatschows in der „Leipzi- ger Volkszeitung“ bezeichnet. Aus gutem Grund, denn lange musste gerätselt wer- den, was die beiden hohen Herren denn nun genau in das Goldene Buch der Stadt Leipzig und in das Gästebuch der Univer- sität geschrieben hatten. Die untenstehen- den Fotos zeigen die Eintragungen in das Gästebuch. Genscher schrieb: „Hans-Dietrich Gen- scher mit bestem Dank und großem Res- pekt für die altehrwürdige Universität Leipzig“. Gorbatschows Eintrag lautet in der Übersetzung: „Ich grüße die berühmte Leipziger Universität, die Herausragendes zur Entwicklung des Wissens und der Kul- tur beigetragen hat.“ Wobei Dr. Hans Bach, Lehrbeauftragter am Institut für Romanis- tik, den Text anders transkribieren und daher mit einer anderen Nuancierung über- Gorbatschow und Genscher trugen sich im Alten Rathaus in das Gästebuch der setzen würde: „Ich grüße die berühmte Universität und in das Goldene Buch der Stadt ein. Hinten im Bild (v. l.): Prof. Leipziger Universität, ich hebe hervor Häuser, Prof. Oldiges, Prof. Bigl, Ministerpräsident Milbradt, Oberbürgermeister Tiefensee. Foto: Dietmar Fischer ihren herausragenden Beitrag zur Entwick- lung des Wissens und der Kultur.“

Gorbatschows Eintrag im Gästebuch. Genschers Eintrag im Gästebuch. Fotos: Randy Kühn

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Das Jahr 2002 war für die Universitäts- die Zahl der – neben oder parallel zu den bibliothek Leipzig (UBL) alles in allem ein gedruckten Zeitschriften – elektronisch gutes Jahr. Zwei wichtige Ereignisse stan- bereit gestellten Zeitschriften erhöhte. Die Ende gut den im Mittelpunkt: Zum einen die Situation auf dem Sektor der Datenbanken Wiedereröffnung der Bibliotheca Albertina konnte durch Sondermittel für alle Fach- nach zehnjähriger Wiederaufbauzeit am gebiete spürbar verbessert werden. – alles 24. Oktober 2002 – exakt 111 Jahre nach Die Angehörigen der Universität Leipzig der Ersteröffnung im Jahre 1891. Damit nehmen das Angebot der UBL von neuen waren – wie in den Jahren zuvor – die um- Medien immer stärker an: Die Nutzung gut?! fangreichen Bestandsverlagerungen aus dieser Datenbanken nahm weiter zu: Allein der Zweigstelle am Augustusplatz und der die Zahl der Volltextzugriffe über die Die Entwicklung weitere Aufbau der Freihandbereiche Elektronischen Zeitschriftenbibliothek ebenso verbunden wie die Umzüge der (EZB) stieg in 2002 auf 74 976 (2001: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihre 53 852), d. h. auf 205 (2001: 147) Zugriffe der Universitäts- endgültigen, schönen Diensträume. pro Tag. Die Zahl der Recherchen, die die Zum anderen wurden alle Teile der UBL Wissenschaftler mit Hilfe der Informa- bibliothek und insbesondere die Mitarbeiter vom tionsvermittlungsstelle im Hochschulbe- „LIBERO-Fieber“ erfasst: Die Einführung reich der UBL durchführte, ging dagegen Von Dr. Ekkehard Henschke, der landesweit übernommenen integrierten drastisch weiter zurück. Diesen Trend ha- Direktor der Bibliothek lokalen Bibliothekssoftware LIBERO der ben die UBL durch Hilfe zur Selbsthilfe australisch-deutschen Firma LIB-IT er- der Benutzer und die Datenbank-Anbieter folgte am 1. 7. 2002 in der UBL mit dem durch verbesserte Oberflächen bewusst Start von zunächst zwei Modulen. Die Aus- verstärkt. leihe und die Katalogisierung wurden an Die konventionelle Benutzung der UBL jenem Tage auf die neue Software umge- nahm im Jahr 2002 ab, was weitgehend den stellt. Zugleich wurde in der Bibliotheca Service-Einschränkungen in der Haupt- Albertina die Aufbauorganisation im Be- bibliothek und der zweimonatigen Schlie- reich „Buchbearbeitung“ durch die Schaf- ßung der Zweigstelle am Augustusplatz fung von Arbeitsgruppen – statt der bisher (wegen der Bestandsverlagerungen) ge- streng arbeitsteilig arbeitenden Dienststel- schuldet war. In 2002 wurden nur 806 052 len – verändert, was auch Auswirkungen Bände (2001: 920 333) im gesamten Sys- auf die anderen Bereiche hatte. tem ausgeliehen.

Zahlen und Trends Schwerpunkte der Arbeit In dem Bibliothekssystem, in dem Ende Die Schwerpunkte der Arbeit lagen im ver- 2002 neben der Bibliotheca Albertina noch gangenen Jahr auf baulichen und organi- 40 Zweigstellen und zwei Außenmagazine satorischen Gebieten. Von der Einführung organisiert waren, gab es 4 956 655 (2001: von LIBERO waren alle Mitarbeiter in der 4 895 379) Bände bzw. 5165 199 (2001: Hauptbibliothek sowie in den Zweigstellen 5 101 724) Medieneinheiten und 7 762 betroffen. (2001: 7 809) laufend gehaltene gedruckt Die Umzüge der Mitarbeiter nahmen ein Zeitschriften und Zeitungen. Der um die Ende. Noch keinen Abschluss fanden die Aussonderungen bereinigte Zugang betrug Umzüge von Büchern und Zeitschriften- im vergangenen Jahr nur noch 62 273 Bänden in die Magazine und Freihandbe- (2001: 67 938) Bände bzw. 64502 (2001: reiche der Bibliotheca Albertina. Die um- 69 815) Medieneinheiten. fangreichen Bestandsverlagerungen aus Damit setzte sich als Folge der geringeren der Zweigstelle am Augustusplatz und aus Erwerbungsmittel der Abwärtstrend beim dem Außenmagazin in der Prager Straße Zugang fort. Waren es 2001 noch 3 621 093 gehen auch im laufenden Jahr 2003 weiter. Euro, die insgesamt für Erwerbungs- Erfreulich war der Einzug der theolo- zwecke zur Verfügung standen, so waren es gischen Zweigstelle in die ehemaligen 2002 nur noch 3 592 622 Euro. Bedenklich Räume der Zweigstelle Rechtswissen- ist der hohe Anteil von 38% „Fremd-“Mit- schaft, so dass jetzt beide Zweigstellen teln, die 2002 zur Verfügung gestellt wur- adäquat untergebracht sind und ihre Be- Bei nebenstehendem Text handelt es den und somit einen Kollaps der Literatur- stände in freundlichen Räumen weitest- sich um eine gekürzte Fassung des und Informationsversorgung der Univer- gehend in systematischer Freihandaufstel- UBL-Jahresberichts. Den gesamten sität vermeiden half. lung präsentieren können. Die Freihan- Bericht inkl. Statistiken finden Sie im Zugleich verbesserte sich kurzfristig die dumstellungen in den anderen Zweigstel- Internet: www.ub.uni-leipzig.de Gesamtbilanz bei den Zeitschriften, da sich len liefen in 2002 weiter.

Heft 4/2003 9 UniVersum | Gremien

Personalräte neu gewählt Doppelter Druck Seit Anfang Mai gibt es an der Universität ker, Inst. f. Psychologie), Martina Otto Leipzig einen zweiten örtlichen Personal- (Sachbearbeiterin, Dezernat 2), Ute Oß- Sitzung des rat. Neben dem Personalrat Hochschulbe- wald (Verwaltungsangestellte, Herder-Ins- reich wurde erstmals auch der Personalrat titut), Dr. Annemarie Heyder (wiss. Mitar- der Medizinischen Fakultät gewählt. beiterin, Erziehungswiss. Fak.) Senats am Der frühere „Personalrat Bereich Medizin“ Für die Gruppe der Arbeiter: konnte nicht unverändert fortgeführt wer- Andreas Müller (Betriebshandwerker, De- 8. April 2003 den. Das Sächsische Hochschulmedizinge- zernat 4), Ralf-Peter Dobroschke (MTA, setz schreibt wegen der unterschiedlichen Veterinärmed. Fak.) Rene Schuhmacher Rechtsform von Klinikum und Fakultät die (Tierpfleger, Veterinärmed. Fak.) 1. Der Senat befasste sich mit Berufungs- Trennung der Interessenvertretung vor. Da- angelegenheiten; das betraf Ausschreibung mit entstand die Frage, ob die Angehörigen Erreichbar ist der Personalrat Hochschul- und Berufungskommission für „Betriebs- der Medizinischen Fakultät mit durch den bereich per Tel. unter 0341 / 973 0070, per wirtschaftslehre, insbesondere externe Personalrat Hochschulbereich vertreten Mail unter [email protected] Unternehmensrechnung und Wirtschafts- werden wollen oder für ihre Einrichtung Postadresse: prüfung“ (C4) sowie die Beendigung des einen eigenen Personalrat vorziehen. In der Universität Leipzig Berufungsverfahrens für „Krankenhaushy- hierzu durchgeführten Abstimmung spra- Personalrat Hochschulbereich giene“ (C3), nachdem die Abarbeitung der chen sich die Mitarbeiter der Medizini- Augustusplatz 10/11 Berufungsliste zu keinem Ergebnis geführt schen Fakultät für eine Verselbstständi- D-04109 Leipzig hat. Zustimmend zur Kenntnis genommen gung aus. Aus dieser Sachlage resultiert Weitere Informationen im Internet un- wurde der Antrag der Medizinischen Fa- gleichzeitig die Wahl eines nun für die Uni- ter: kultät, PD Dr. med. dent. Hans-Ludwig versität insgesamt zuständigen Personal- www.uni-leipzig.de/~prhsb/ Graf das Recht zur Führung der Bezeich- rats, eines Gesamtpersonalrats. Diese Wahl nung „außerplanmäßiger Professor“ zu findet am 1. Juli statt. Die Beschäftigten In den Personalrat der Medizinischen Fa- verleihen. der Universität wählten bzw. wählen also kultät wurden gewählt: 2. Der Senat beriet im Zusammenhang der in diesem Jahr erstmalig drei Personalräte: Vorsitzender: vorgesehenen Umbenennung des Zen- den jeweiligen örtlichen Personalrat Dr. Günther Fitzl (Institut für Anatomie) trums für Medien und Kommunikation (Hochschulbereich bzw. Med. Fakultät), Für die Gruppe der Beamten: (ZMK) in Medien-Kompetenz-Zentrum, den Gesamtpersonalrat der Universität und Dipl.-Biol. Edelgard Kolbe (Max-Bürger- die mit einer Aufgabenerweiterung, so z. B. den Hauptpersonalrat beim Sächsischen Forschungszentrum) auf dem Gebiet Multimedia/Distance Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Für die Gruppe der Angestellten: Learning, verbunden ist, über das erforder- Letzterer existiert auf Landesebene unver- Dr. Katrin Behrends (Klinik f. Anästhesie liche kooperative Grundkonzept und die ändert fort. C. H. und Intensivth.), Dr. Thomas M. Goerlich Einbeziehung der Fakultäten. Da von den (Klinik f. Anästh. und Intensivth.), Dr. Bär- Dekanen hier noch Nachholbedarf fest- In den Personalrat Hochschulbereich wur- bel Gläser (Verwaltungsleitung), Heidrun gestellt wurde, wurde die Bildung einer den gewählt: Holland (Inst. f. Humangenetik), Sylvia Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Grün- Vorsitzende: Jungmann (Paul-Flechsig-Institut) dung eines Medien-Kompetenz-Zentrums Dr. Karin Eulenberger (wiss. Mitarbeiterin, Petra Metz (Inst. f. Biochemie), Dipl.-Med. unter Leitung des Prorektors für Forschung Veterinärmed. Fak.) Heidemarie Pfeiffer (Klinik f. Urologie), und wissenschaftlichen Nachwuchs be- Für die Gruppe der Beamten: Thilo Schallawitz (HNO-Klinik) schlossen. Die Fakultäten werden aufge- Dr. Silvia Blaschzik (wiss. Mitarbeiterin, Dr. Jens Teichert (Inst. f. Klin. Pharmako- fordert, jeweils ein Mitglied in diese Ar- Veterinärmed. Fak.), Dr. Bernd Hoffmann logie), Dr. Bernd Vorberg (Inst. f. Klin. beitsgruppe zu entsenden. (Lehrkraft für besondere Aufgaben, Sport- Chemie und Lab.-Med.) 3. Der Senat bestätigte die von der Pro- wiss. Fak.) Für die Gruppe der Arbeiter: rektorin für Lehre und Studium einge- Für die Gruppe der Angestellten: Evelin Studera (Med. Exp. Zentrum) brachte Vorlage zu den Zulassungsbe- Dr. Bernd Bendixen (wiss. Mitarbeiter, schränkungen und Zulassungszahlen für Philologische Fak.), Wolfram Fritzsche Erreichbar ist der Personalrat der Medizi- das Akademische Jahr 2003/2004. Mit (techn. Angestellter, Fak. f. Physik), Mar- nischen Fakultät unter der Philosophie und Sport (Lehramt Mittel- len Balling (Innenrevisorin), Wolfgang Fax-Nr. 0341/97 25 909 oder per E-Mail: schulen) wurden weitere Fächer mit einem Keller (Lehrkraft für besondere Aufgaben, [email protected] universitätsinternen Numerus clausus be- Studienkolleg Sachsen), Karl-Frieder Postadresse: legt. Netsch (Diplombibliothekar, Universitäts- Personalrat Medizinische Fakultät 4. Der Senat stimmte über die Schließung bibliothek), Wolfgang Löhrmann (Techni- Liebigstraße 27, 04103 Leipzig des Instituts für Logik und Wissenschafts-

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theorie ab. Dabei wurde ein Abstimmungs- 6. Der Senat stimmte der Angliederung 2. Der Senat stimmte dem Antrag der ergebnis von 17 Ja-Stimmen, 8 Nein-Stim- der Stiftungsprofessur „Stadtentwicklung“ Theologischen Fakultät zu, PD Dr. theol. men und 9 Stimmenthaltungen erzielt. Wie an das Institut für Baubetriebswesen und habil. Gerhard Graf das Recht zur Führung das Ergebnis aufgrund der unterschied- Bauwirtschaft zu. der Bezeichnung „außerplanmäßiger Pro- lichen Auffassungen des Ministeriums für 7. Der Senat nahm den Bericht über die fessor“ zu verleihen. Wissenschaft und Kunst und der Univer- Evaluierung des Zentrums für Kognitions- 3. Der Senat nahm die Beschlüsse der Fa- sität zur Bewertung von Stimmenthaltun- wissenschaft, das als erstes Teilzentrum kultäten für Physik und Geowisenschaften gen zu beurteilen ist, muss bis zur nächsten des Zentrums für Höhere Studien bewertet und für Biowissenschaften, Pharmazie und Senatssitzung geklärt werden. wurde, zur Kenntnis. In dem Bericht der Pychologie zustimmend zur Kenntnis, 5. Der Senat befasste sich nach Informa- externen Arbeitsgruppe werden die Dritt- Prof. Dr. Peter Fritz, Wissenschaftlicher tionen von Rektor Prof. Bigl und Prorektor mitteleinwerbung und die Publikationsleis- Geschäftsführer des Umweltforschungs- Prof. Häuser über Gesprächskontakte in tung und generell die Interdisziplinarität in zentrums Leipzig-Halle, gemeinsam die Dresden mit dem Entwurf der Vereinba- Forschung, Nachwuchsförderung und bei Ehrendoktorwürde zu verleihen. Damit rung über die Entwicklung bis 2010 zwi- der Konzipierung eines gemeinsamen Ba- sollen sowohl seine besonderen Verdienste schen den Hochschulen und der Sächsi- chelor-Studienganges hervorgehoben. In um das von ihm vertretene Wissenschafts- schen Staatsregierung. Deutlich wurde, Bezug auf die Beendigung des kognitions- gebiet Geologie/Isotopenhydrogeologie als dass die Universität Leipzig unter einem wissenschaftlichen Promotionskollegs er- auch seine Leistungen als international doppelten Druck steht: zum einen durch klärte der Senat allerdings noch Informa- herausragender und anerkannter Wissen- den Hinweis aus dem Ministerium, dass tionsbedarf. schaftsorganisator gewürdigt werden. Finanzierungszusagen, wie sie in der 8. Der Senat bestätigte die Aufnahme von 4. Der Senat wiederholte nach der Klä- Hochschulvereinbarung enthalten sind, nur Senator PD Dr. Tröger in die Kommission rung, wie bei der vorangegangenen Ab- bei einer Unterzeichnung gelten; zum an- Lehre, Studium, Prüfungen und insgesamt stimmung Stimmenthaltungen zu bewerten deren durch die Sorge der anderen Univer- die personelle Zusammensetzung dieser sind, die Abstimmung zur Schließung des sitäten, eine ablehnende Leipziger Haltung Senatskommission. Instituts für Logik und Wissenschaftstheo- könne den „Hochschulkonsens“ insgesamt 9. Die Mitgliedergruppe Akademische rie und beschloss mit 18 Ja- und 12 Nein- gefährden. Ungeachtet dessen wurde im Mitarbeiter im Senat wählte Frau Nannette Stimmen bei einer ungültigen Stimme die Senat erheblicher Klärungsbedarf konsta- Ruß von der Juristenfakultät zum Mitglied Schließung. Eine Entscheidung über die tiert, und er begrüßte die Absicht von Pro- des Ordnungsausschusses, der damit voll- Aufhebung des Studienganges Logik und rektor Häuser, die offenen Fragen im zählig ist. Wissenschaftstheorie wurde für die Zusammenhang der Strukturvorgaben in nächste Senatssitzung vereinbart, nachdem einem Brief an den Staatsminister zur Prof. Dr. V. Bigl V. Schulte der Dekan der Fakultät für Sozialwissen- Sprache zu bringen. Rektor Pressesprecher schaften und Philosophie die Ausarbeitung einer tragfähigen Konzeption für die vor- läufige Integration des Studienganges in das Institut für Philosophie zusagte. 5. Der Senat beschloss, die Entscheidung über die Schließung der Abteilung Nieder- landistik und des entsprechenden Studien- ganges zurückzustellen, um einen in letz- Beschluss über ter Minute gemachten Finanzierungsvor- schlag aus dem Ausland prüfen zu können. 6. Der Senat stimmte den vom Prorektor Institutsschließung für strukturelle Entwicklung und dem Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Sitzung des Senats Fakultät eingebrachten Vorlagen zu, das Institut für Software- und Systementwick- lung zu schließen und die Professuren dem am 13. Mai 2003 Institut für Wirtschaftsinformatik zuzuord- nen sowie die Professuren für Wirtschafts- informatik neu zu ordnen. 1. Die Sitzung des Senats, letztmalig von für die Juniorprofessuren „Entwicklungs- 7. Der Senat bestätigte Frau Prof. Dr. Eva- Rektor Volker Bigl geleitet, befasste sich ökonomie unter besonderer Berücksichti- marie Hey-Hawkins als Nachfolgerin von mit Berufungsangelegenheiten; im Einzel- gung von Klein- und Mittelunternehmen“ Prof. Welzel und Prof. Dr. Elmar Brähler nen betraf dies Ausschreibung und Be- und „Medizinische Soziologie mit dem als Nachfolger von Prof. Arnold in der For- rufungskommission für „Anglistische Schwerpunkt: Soziodemographische Be- schungskommission sowie Prof. Brähler Sprachwissenschaft (synchron und dia- völkerungsentwicklung und medizinisch- auch als Nachfolger von Prof. Arnold in chron)“ (C4), „Wirtschaftsinformatik, ins- technischer Fortschritt“ sowie den Beset- der Graduiertenkommission. besondere Softwareentwicklung für Wirt- zungsvorschlag für die Juniorprofessur schaft und Verwaltung“ (C4), „Public „Alte Geschichte unter besonderer Berück- Prof. Dr. F. Häuser V. Schulte Health“ (C3), „Anthropogeographie“ (C4), sichtigung der Römischen Kaiserzeit“. Rektor Pressesprecher

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Wider die Langeweile ... Kommunikationswissenschaftler erforschen das DDR-Fernsehen

Von Juliane Eichler

Vor über einem halben Jahrhundert begann die DDR mit der Testphase für den ersten eigenen Fernsehsender. Drei Jahre später – am 3. Januar 1956 – wurde der Deutsche Fernsehfunk offiziell in Betrieb genom- men. 1969 folgte dann der zweiter Sender. Nach der Wiedervereinigung von DDR und BRD wurden diese beiden Programme im Dezember 1990 zur sogenannten DFF- Länderkette zusammengefasst, bevor sie Ende des darauffolgenden Jahres endgültig einstellt wurden. Von Anfang an war die Entwicklung dieses neuen Massenmediums eng mit politischen und kulturellen Tendenzen verbunden. Die ideologische Systemauseinandersetzung beider deutscher Staaten war stets von zen- traler Bedeutung. Im Osten wie im Westen wurde das Fernsehen insbesondere wäh- rend des kalten Krieges genutzt, um den kontrastiven Dialog auch über die inner- deutsche Grenze hinaus zu führen. Von Be- ginn an als „Bildungsfernsehen“ genutzt, bewirkte das Klagen Erich Honeckers über eine „bestimmte Langeweile“ im DDR- Fernsehen 1972 eine umfassende Pro- grammreform und dass das Programm mehr auf Unterhaltung ausgerichtet wurde. Dies sollte verhindern, dass die Zuschauer die Sendungen des „Klassenfeindes“ be- vorzugt sahen, denn man wollte die Mas- senwirksamkeit nutzen um die eigenen Sinnbild des DDR-Kinderfernsehens: der Sandmann. Vor 40 Jahren entstand in politischen Botschaften der Bevölkerung beiden Teilen Deutschlands die Idee, Kinder abends mit einer Fernsehfigur ins zu vermitteln. Bett zu schicken. Die DDR gewann den Wettlauf: Am 22. 11. 1959 hatte der Im Gegensatz zum DDR-Fernsehen liegen Sandmann seinen ersten Auftritt. Knapp zwei Wochen später strahlte der Sender bereits zahlreiche Untersuchungen zur Freies sein erstes Sandmännchen aus. Heute wird der Sandmann von den Rundfunkanstalten ORB, MDR, SFB und NDR produziert und ausgestrahlt. Der Programmgeschichte des westdeutschen Ost-Sandmann hat sich gegen sein West-Pendant durchgesetzt. Foto: MDR Fernsehens vor. Seit Juni 2001 bemühen sich daher etwa 30 Wissenschaftler, Nach- versität Leipzig (Institut für Kommunika- Ende des DFF 1991. Wichtige Komponen- wuchs-Forscher und Studenten, das Me- tions- und Medienwissenschaft). ten bei der Analyse sind Einzelsendungen, dium Fernsehen in der Zeit der DDR von Ziel des Projektes, das in Kooperation mit das Programm, der Sendeplatz, Verbrei- zahlreichen Seiten zu beleuchten. An dem den Deutschen Rundfunkarchiven in Pots- tungsgebiet, technische Reichweite und DFG-Projekt „Programmgeschichte des dam/Babelsberg und Frankfurt/Main sowie Stellenwert des Programms in der Bevöl- DDR-Fernsehens – komparativ“ beteiligen dem Bundesarchiv Berlin/Koblenz reali- kerung. Der Schwerpunkt liegt insbeson- sich die vier ostdeutschen Hochschulen siert wird, ist eine strukturierte und ver- dere auf Formaten mit unterhaltendem Humboldt Universität Berlin, Martin-Lu- gleichende Forschung und Erforschung der Charakter, doch auch die dramatischen und ther Universität Halle, die Hochschule für Programmgeschichte des Fernsehens in publizistischen Genres werden in die Film und Fernsehen Potsdam und die Uni- der DDR von den Anfängen 1952 bis zum Untersuchungen mit einbezogen.

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Das Projekt unterteilt sich in neun For- schriften, wie „FF-dabei“ und „Eulenspie- Eduard von Schnitzler Seine Dokumen- schungsgruppen mit den Themen „Heitere gel“ sowie Interviews von Zuschauern bil- tationen und Auslandsreportagen wurden Dramatik“, „Große Show/Unterhaltungs- den die Grundlage für die Analysen. als Propagandamittel analysiert, wobei sendungen“, „Literaturverfilmungen/Fern- Aus den ersten Ergebnissen geht die Fälschungen des Dokumentar-Materials sehdramatik“, „Familienserien“, „Kinder- herausragende Bedeutung der Alltags- nachgewiesen werden konnten. fernsehen“, „Rezeptionsgeschichte“, „Pro- strukturen für die Fernsehgewohnheiten Für den gesamten Untersuchungszeitraum grammentwicklung“, „Dokumentarfilm“ der DDR-Bürger und ihren Wunsch nach wird die Einbindung dokumentarischer und „Sportfernsehen“. Die hiesige Alma Unterhaltung in den 70er und 80er Jahre Filme in das Abendprogramm des DDR- Mater ist an vier Teilprojekten beteiligt, die hervor. Das Angebot im Fernsehen lieferte Fernsehens untersucht. hier kurz vorgestellt werden. die Möglichkeit, den Alltag zurückzulas- sen, gab Gesprächsstoff und entwarf Vor- Sportfernsehen Programmentwicklung bilder. Das DDR-Fernsehen verstand sich als gesellschaftliches Sprachrohr, durch Die Untersuchungen konzentrieren sich Der Fokus dieses Teilprojektes liegt auf welches es mit seinen Zuschauern in Kon- auf Herausbildung, Stabilisierung und Ver- Fragestellungen wie: Welchen Einfluss takt trat. „Unterhaltung“ als Genre war zu änderungen in Programmatik und Angebo- hatten politische und kulturelle Entwick- Beginn des DDR-Fernsehens nicht vorge- ten des Sportfernsehens. Von besonderem lungen innerhalb und außerhalb der DDR sehen, sondern sollte nur als Programm- Interesse ist dabei die Veränderung „vom auf die Entstehung und Entfaltung des Pro- funktion berücksichtigt werden. Sport im Fernsehen zum Fernsehsport“. gramms? Welche Veränderungen lassen Im Rahmen des Gesamtprojekts nimmt das sich in der Programmstruktur erkennen? Dokumentarfilm Sportfernsehen eine Sonderstellung ein: Welchen Einfluss hatte die Konkurrenz – Obwohl es vorwiegend zur Unterhaltung das West-Fernsehen? Wie wirkten perso- Im Zentrum der ersten anderthalb Jahre genutzt wurde, handelt es sich um ein jour- nelle und organisatorische Richtlinien und Forschungsarbeit standen mit Walter Hey- nalistisches Genre. Außerdem entwickelte Maßnahmen auf das Programm als sol- nowski und Gerhard Scheumann (Studio das Sportfernsehen im Gegensatz zu den ches? Bisher standen die Gewinnung eines H&S) sowie der Gruppe Sabine Katins anderen Sendeformaten eine Eigendyna- Überblicks und die nähere Betrachtung der Grenzgänger, die nach Westen blickten und mik, welche die DDR zwar zur nationalen Jahre des Umbruchs von der Ulbricht- zur dies in ihren Filmen verarbeiteten: Der Selbstdarstellung benutzen konnte, der sie Honecker-Ära 1968 bis 1974 im Vorder- Schwerpunkt lag zunächst auf der Unter- aber auf der anderen Seite in einem erheb- grund der Forschungen. Die ersten teilung einzelner Dokumentaristen/-grup- lichen Maße ausgesetzt war und nur be- Zwischenergebnisse stellt die Arbeits- pen und deren Produktionen innerhalb des dingt „steuern“ konnte. Die Offenheit der gruppe in ihrer Publikation „Die Überwin- DDR-Fernsehprogramms. Beide Doku- Wettkämpfe, Internationalität und system- dung der Langenweile? Zur Programment- mentaristen-Gruppen, H&S und Katins, übergreifende Regeln ließen eine politi- wicklung des DDR-Fernsehens 1968 bis waren Grenzgänger in vielerlei Hinsicht: sche und ideologische Funktionalisierung 1974“ (Hrsg. C. Dittmar/S. Vollberg) vor. Sie bewegten sich laut Prof. Rüdiger Stein- nur begrenzt zu. metz (Institut für Kommunikations- und Neben einer chronologischen Abarbeitung Rezeptionsgeschichte Medienwissenschaft) zwischen „den Wel- der Entwicklung des Sportfernsehens wer- ten in Ost und West, zwischen Fernsehen den insbesondere problematische Höhe- Die Forschungsgruppe des zweiten Teil- und Kino, zwischen Dokumentarfilm, punkte des Sportfernsehens wie die Frie- projektes konzentrierte sich im ersten Ab- Dokumentation, Reportage, zwischen Be- densfahrt oder deutsch-deutsche Sportbe- schnitt der Untersuchungen auf die Nut- weis, Pamphlet, Manipulation und zwi- gegnungen genauer untersucht werden. zung des Programms des DDR-Fernsehens schen Anpassung und Veränderung in der und dessen Bewertung. Dabei wird davon DDR“. Mit den Ergebnissen der Forschun- Zusammen mit den Forschern der fünf wei- ausgegangen, dass die Erwartung an das gen konnten neue Sichtweisen auf das teren Teilprojekte haben die Wissenschaft- Fernsehprogramm und die Muster der „Studio H&S“ und die Gruppe Katins auf- ler schon jetzt Zehntausende Seiten schrift- Fernsehnutzung von Alltagsstrukturen, gezeigt werden. So entwickelten H&S als licher Archivquellen und zeitgenössischer sozialen Strukturen, individuellen Wün- erste seit Mitte der 60er Jahre eine Film- Publikationen ausgewertet, Hunderte Sen- schen und Erwartungen, aber auch von ästhetik, die durch die Verwendung von dungen analysiert und in Verzeichnissen Faktoren, wie Freizeitangebot oder Größe Trick- und graphischen Elementen ihre zusammengestellt sowie eine Vielzahl von der Wohnortes abhängen. Fernsehnutzung Wirkung noch intensivierte. Untersucht Interviews mit Zeitzeugen geführt. wurde als Freizeitgestaltung verstanden. wurde auch der Umfang des Werkes von Die neue Publikationsreihe des Projektes Basierend auf den Ergebnissen der Fern- H&S und die Schwerpunktsetzung in den „MAZ: Materialien-Analysen-Zusammen- sehzuschauerforschung und der Meinungs- verschiedenen Schaffensphasen. hänge“, erschienen im Leipziger Universi- forschung aus dem Zeitraum Mitte der Die Forschungen zur Gruppe Katins legen tätsverlag, stellt erste Forschungsergeb- 1960er Jahre bis zum Ende der DDR und umfassende Befunde zur Darstellung des nisse vor. Die Zeitzeugenberichte sollen den Daten des Instituts für Meinungsfor- Westens und zur filmischen Erzählweise neben der gedruckten Form auch als DVD- schung beim ZK der SED soll die Entwick- der Gruppe vor und zeigen die Ursachen Edition der Öffentlichkeit zugänglich ge- lung sichtbar gemacht werden. Auch Daten auf, die zur Auflösung der Gruppe Katins macht werden. und Befunde des Instituts für Jugendfor- im Jahr 1979 führten. schung sowie Programmbesprechungen in Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt Weitere Informationen finden Sie im der Tagespresse der DDR und in Zeit- auf der Untersuchung der Arbeit von Karl- Internet unter: www.ddr-fernsehen.de

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Nomaden im Umkreis der Erdölfelder Eine Zwischenbilanz im Sonderforschungsbereich 586

Der Ethnologe Bernhard Streck spricht von in einem Journal-Interview gesagt: Im mann) herausgekommen. Beiträge aus den einem „Bouquet von Orchideenfächern“, Übergang vom bloßen Nebeneinander zum Kolloquien erscheinen in den „Orientwis- das die Universitäten in Halle und Leipzig intensiven Miteinander der einzelnen Fä- senschaftlichen Heften“ und Berichte aus mit dem Sonderforschungsbe- cher liegen noch erhebliche Re- den Arbeitsgruppen in der Reihe „Mate- reich (SFB) 586 gebunden ha- serven für die Universität Leip- rialien des SFB 586“. In die 17 Teilprojekte ben. Im Mittelpunkt des Interes- zig. Mehr noch: Das Zusammen- sind insgesamt 36 Wissenschaftler und ses stehen die Beziehungen zwi- wirken ist eine Grundvorausset- eine große Zahl studentischer Hilfskräfte schen Nomaden und Sesshaften zung dafür, dass die immer aus Halle und Leipzig eingebunden. Aber in Geschichte und Gegenwart. wieder beschworene Fächerviel- während der laufenden Forschungsphase Der stellvertretende Sprecher des falt auch auf Dauer gegen alle (die erste reicht von 2001–03, die zweite Das Logo des SFB SFB betont freilich auch die Kürzungspläne behauptet wer- von 2004–08 wird gerade beantragt) konn- hochschulpolitische Geschäfts- den kann. – So ist der neue SFB ten auch zusätzliche Mitarbeiter in be- grundlage, die mit Floristik wenig zu tun nicht nur um der Wissenschaft, sondern stimmte Projekte einbezogen werden, hat. Es sei ein Gebot der Stunde, die klei- auch um der Hochschulpolitik willen zum wenn spezielle Kompetenz an einem be- nen Fächer – hier vor allem Archäologie, Erfolg verurteilt. stimmten Punkt gefragt ist. So wurde z. B. Islamwissenschaft, Ethnologie, Altorienta- Was ist der gegenwärtig Stand? zur Tierknochenanalyse eine Laborexper- listik, Ägyptologie, Alte Geschichte und In den anderthalb Jahren seines Bestehens tin gesucht und in der iranischen Archäo- Geographie – auf neue Weise kooperieren wurden bisher vier internationale Kollo- login Marjan Mashkour gefunden. Da- zu lassen und damit ihre Potenzen und quien durchgeführt. In der Monographien- durch soll eine präzise Datierung des Be- Kapazitäten voll zu erschließen. Wie hatte reihe des SFB ist bereits der erste Band mit ginns der mobilen Tierhaltung (Weide- jüngst der scheidende Rektor Volker Bigl dem Titel „Stamm und Macht“ (Eva Orth- wechsel), die im Nahen Osten etwa 10 000

Dienstleistungsnomaden in Rumänien. Foto: Fabian Jacobs

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Jahre v. u. Z. begann, ermöglicht werden.m lisch höher stehende Tradition verklärt, bis Aber der Reihe nach. heute für das eigene Selbstverständnis eine große Relevanz besitzt. Im Zuge verspäte- Alte Welt – heutige Welt ter Nationenbildungen, wie sie z. B. in einigen mittelasiatischen Ländern der Der SFB „Differenz und Integration“ ehemaligen Sowjetunion zu verzeichnen untersucht die Wechselwirkungen zwi- waren und sind, spielen solche Konstrukte schen nomadischen und sesshaften Le- und Ideologeme wie „Nomadenblut“ oder bensformen in Zivilisationen, wie sie in „Nomadische Tradition“ eine erhebliche dem altweltlichen Trockengürtel – von Ma- Rolle. Dabei wird gerade bei der schon rokko bis China – anzutreffen waren und lange sesshaften bäuerlichen Bevölkerung sind. Handel und Austausch, Abgrenzung Prof. Bernhard Streck das Bild des Nomaden oft mit Sittenrein- und Konflikt, Versuche der Beherrschung heit und Gottesnähe, das der Stadt dagegen und Prozesse der Durchdringung haben das mit Sittenverfall und Gottlosigkeit verbun- Verhältnis von urbanen Siedlungsformen chaischsten Formen des Pastoralismus, den den. Entstehen „moderne“ Staaten, sehen und nomadischen Lebensformen be- Rentiernomadismus, entstanden ist. In Me- sie nicht selten die alten Heldenlieder aus stimmt. Diese wechselvolle Koexistenz hat tropolen wie Kairo und Istanbul oder auch der Nomadenzeit als ihren kostbarsten die Menschengeschichte in weiten Teilen auf dem Balkan zeigt sich, dass nicht alle Schatz an. der Erde über lange Zeiträume, ja, bis heute Einwohner in gleicher Weise sesshaft sind. Da es das Geschäft der Wissenschaft ist, geprägt. Grund genug, sie zu erforschen. Vielmehr entwickeln sich neue und oft aufklärend, aufhellend zu wirken, versteht Das kann auch ein Stück Zukunftsfor- gemischte Formen der Mobilität in be- es sich, dass die Forschungsarbeiten ideo- schung bedeuten, sagt Prof. Streck, ge- stimmten Handwerks-, Dienstleistungs- logiekritisch ausgerichtet sind. Und für alle winnt doch die mobile Weidewirtschaft und Versorgungsbereichen, wobei die Zie- Beteiligte, die vor Ort tätigen einheimi- durch die Ausdehnung von Trockengebie- genherde am Stadtrand nur eine Facette schen Forscher einbezogen – gegenwärtig ten und neue Kombinationen mit Noma- darstellt. sind SFB-Mitstreiter u. a. in Syrien, Ma- dismus in Ballungsräumen zunehmend an Auf diese Weise entwickelt sich ein Ver- rokko, der Türkei, Iran, Ukraine und Usbe- Gewicht. So gibt es in einigen Ländern der ständnis für die Komplementarität und kistan tätig – ist es geradezu spannend, dass ehemaligen Sowjetunion, in der Mongolei Asymmetrie von Lebensformen und Le- es weltweit in all diesen Begegnungsgebie- oder in Tibet Tendenzen einer Renomadi- bensverhältnissen. Blickt man auf Ent- ten von Sesshaften und Nomaden eine sol- sierung. Es zeigt sich, anders als das revo- wicklungen in weiten Teilen Asiens und che Nomadismus-Verklärung gibt, die sich lutionäre Umgestaltungsideologien wahr- Afrikas, erkennt man, dass die Zeit für no- freilich auch in bestimmten Wissenschafts- haben woll(t)en, dass bestimmte Trocken- madische Lebensformen insgesamt keines- traditionen findet. gebiete einfach nicht anders als durch eine wegs abgelaufen ist, sondern stellenweise pastorale Lebensweise der hier lebenden wiederkommt oder auch ungebrochen an- „In diesem SFB ist Leben“ Menschen genutzt werden können. Eine hält. Schon für das alte Babylon belegen intensivere Nutzung und die Einwirkung Keilschriftfunde die Nutzung von Produk- Ein erstes Fazit von Prof. Dr. Streck bei moderner Technik erhöhen nicht nur nicht ten aus nomadischer Arbeits- und Lebens- Halbzeit der ersten Förderperiode fällt die Erträge aus solchen Gebieten, sondern weise. Die Annahme, dass der Nomadimus positiv aus. Er konstatiert: „In diesem erweisen sich oft genug als Raubbau an der eine eigenständige Kultur verkörpert, ist Sonderforschungsbereich ist Leben. Das Natur und zerstören letztlich die Lebens- allerdings zu korrigieren. Stattdessen be- spürt man schon bei den monatlichen grundlagen der Bewohner. Aber auch das finden sich Nomaden und sesshafte Bauern Plenumsveranstaltungen abwechselnd in in großem Umfang durchgeführte Experi- von altersher in einem Verhältnis gegen- Halle und Leipzig, wenn Teilergebnisse ment der zwangsweisen Sesshaftmachung seitiger Abhängigkeit und Ergänzung, das von den unterschiedlichen Fachkollegen von Nomaden hat oft negative Folgen ge- freilich auch als ein gespanntes Verhältnis vorgestellt werden. Und das ist dann auch habt. zwischen Steppe und Zentrum, zwischen eine gute Gelegenheit, sich von den je an- Weiteren Aufschluss zu diesem Problem- Barbaren und Zivilisation beschrieben deren Methoden und Perspektiven anregen kreis erhofft man sich von einer breit an- wurde. zu lassen, aber auch eine Herausforderung, gelegten Feldforschung und der Erschlie- in Zeiten weit fortgeschrittener Speziali- ßung zusätzlicher Forschungsfelder, zu Verklärung des sierung zu einer gemeinsamen Sprache zu denen auch die jahrzehntelange Arbeit finden und die eigene Stallblindheit zu Prof. Sontheimers (Südostasien-Institut, Steppendaseins überwinden. Wenn da ‚Spatenleute‘ und Heidelberg) unter indischen Pastoralisten „Unsere Forschungen ermöglichen es uns, Laborexperten, Hieroglyphenleser und gehört. Die Leipziger Indologin Frau Dr. ein differenzierendes Bild zu zeichnen“, Keilschriftenentzifferer, Philologen und Kiehnle bietet hierzu für die nächste Phase unterstreicht Bernhard Streck. „Wir kön- Ethnologen sich um einen Tisch versam- ein neues Projekt an. Vielversprechend nen zeigen, dass die langen Zeiten der Ver- meln, einander zuhören und verstehen ler- sind auch die Untersuchungen von Prof. flechtung von nomadischen und sesshaften nen und sich schließlich gegenseitig in Schlee (Max-Planck-Institut für ethnologi- Lebensweisen die Kultur dieser Räume ihrer Forschungsarbeit befruchten, dann sche Forschung/Halle) in Westsibirien, wo mehr geprägt haben als Überfälle und Ver- weiß man, was Interdisziplinarität und in der Umgebung von Erdgas- und Erdöl- nichtung.“ Interessant ist auch, dass eine echte Kooperation in der Wissenschaft be- förderzentren eine Nische für eine der ar- gewisse Nomadenideologie, oft als mora- deuten können.“ Volker Schulte

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Hoher Besuch im neuen „Inkubator“ Nobelpreisträger Watson kam zur Einweihung der BIO CITY BBZ-Chronik Mit der Eröffnung der BIO CITY LEIPZIG wuchswissenschaftler wollten sich die seit 1998 am 23. Mai erhielt der Biotechnologie- Gelegenheit einer Begegnung mit dem Gemeinsame Vorbereitungen der Stadt Standort Leipzig neuen Auftrieb. Der wohl Nobelpreisträger nicht entgehen lassen. Leipzig und der Universität Leipzig erfolgreichste Biologe der Neuzeit Prof. Abschluss und gewissermaßen persön- 07/2000 James Watson dokumentierte mit seiner licher Höhepunkt für James Watson war Rahmenprogramm „Biotechnologie-Initia- Teilnahme Bedeutung und Ausstrahlung ein Besuch im Leipziger Zoo. Begleitet tive Sachsen“ mit Bestätigung des Finan- der BIO CITY für die Entwicklung des von Prof. Svante Pääbo vom Max-Planck- zierungskonzeptes durch das SMWK Wirtschafts- und Wissenschaftsstandortes Institut für Evolutionäre Anthropologie 2001 Leipzig. stieß Pongoland natürlich auf sein beson- Stellenausschreibungen Vor 50 Jahren erkannte der damals gerade deres Interesse. Geduldig ließ er sich die 05–10/2001 24 Jahre alte Watson gemeinsam mit dem Arbeit der hier tätigen Wissenschaftler er- Einrichtung der selbständigen wissen- Briten Francis Crick die Doppelhelix als klären und reihte sich bescheiden in den schaftlichen Nachwuchsgruppen Struktur des Erbmaterials DNA (Desoxy- Kreis der Zuschauer dort ein, wo es ge- 01. 06. 2001 ribonukleinsäure, in der alle Erbinforma- wohntermaßen immer etwas turbulenter Einrichtung der Geschäftsstelle tionen eines Lebewesens enthalten sind). zugeht. 10/2001–03/2002 1962 erhielten Crick und Watson dafür den Erstaunlich, wie der 75-Jährige die vielen Erteilung der Rufe durch das SMWK Nobelpreis für Medizin. Daran erinnerte in Stationen seines Aufenthaltes verkraftete, 12/2001 der BIO CITY eine Ausstellung des British die allesamt begleitet waren von anhalten- Baubeginn Council, der Watson selbstverständlich dem Medieninteresse, das von Exklusiv- 08. 02. 2002 auch einen Besuch abstattete. interviews bis zur Dokumentation jedes Grundsteinlegung Watson nutzte seinen Aufenthalt in Leipzig Details seines Besuches reichte. Auch 01. 05. 2002 nicht nur, um in der gerade eröffneten BIO wenn er ein Interview zweimal geben Dienstantritt der Professoren f. Bioanalytik CITY das wissenschaftliche Umfeld zur musste, weil ein Rundfunkjournalist vor und f. Strukturanalytik von Biopolymeren Zeit seiner revolutionären Entdeckung mit Aufregung vergaß, dass Knöpfchen am 22. 05. 2002 den gegenwärtigen Bedingungen zu ver- Aufnahmegerät zu drücken, nahm er das 1. Biotechnologie-Tag in Leipzig gleichen, sondern auch zu vielen Begeg- gelassen und mit Humor. 10. 09. 2002 nungen mit den in Leipzig forschenden ge- Der Besuch von James Watson war ohne Beschluss des Senats über die Anerkennung standenen und jungen Wissenschaftlern. Zweifel die Perle bei der Eröffnung des als zentrale Einrichtung der Universität Das Max-Bürger-Forschungs-Zentrum „Biotech-Inkubators“, wie Oberbürger- 30. 09. 2002 platzte am 24. Mai schier aus allen Nähten, meister Wolfgang Tiefensee die BIO CITY Richtfest denn viele Leipziger Studenten und Nach- charakterisierte. Dr. Bärbel Adams 01. 10. 2002 Dienstantritt der Professorin für Moleku- larbiologisch-biochemische Prozesstechnik 01. 01. 2003 Dienstantritt des Professors für Zelltechni- ken und angewandte Stammzellbiologie 07. 02. 2003 Gründung des BBZ 05./06. 05. 2003 Bezug des 2. OG (Prof. Bader) 16. 05. 2003 Fertigstellung des universitären Teils der BIO CITY LEIPZIG 21. 05. 2003 2. Biotechnologie-Tag in Leipzig 23. 05. 2003 James Watson (r.) bei einem Gespräch mit Svante Pääbo (l.) im Zoo. Foto: ZFF Eröffnung der BIO CITY LEIPZIG

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Im Dienste der Gesundheit Der Biotechnologietag im BBZ

gezeichnete Voraussetzungen geschaffen hierbei von besonderem Interesse, da ihre worden. „Wir wollen damit auch für Funktion im Gegensatz zu Leptin und die Wirtschaft Zeichen setzen“, so Beck- seinem Bindungsprotein noch weitgehend Sickinger. unerforscht ist. Wissenschaftliche Netzwerke erfordern Prof. Kiess und seine Mitarbeiter beschäf- auch eine gute Kommunikation zwischen tigen sich daher mit der Rolle von Adipo- Professoren und Nachwuchswissenschaft- zytokinen im Krankheitsverlauf des Dia- lern. Eine umfangreiche, 150 Objekte um- betes bei übergewichtigen Kindern und fassende Posterausstellung vieler Arbeiten Jugendlichen. Darüber hinaus wird an von jungen Wissenschaftlern sollte daher einem Modell menschlicher Zellkulturen auch deren Erfahrungsaustausch unterein- untersucht, wie Adipozytenvorstufen aus ander sowie mit den Seniorwissenschaft- einer undifferenzierten stammzellähn- lern fördern. lichen Zelllinie unter bestimmten Kultur- Die Praxisrelevanz vieler Vorträge und der bedingungen zu reifen Fettzellen differen- hohe Stand der interdisziplinären Zu- zieren. Diese sondern Adipozytokine, wie sammenarbeit wurde unter anderem in dem Leptin, Resistin und Adiponektin in den Beitrag des Kindermediziners Prof. Wie- Zellkulturüberstand ab. land Kiess deutlich. In einer klinischen Studie konnte fest- gestellt werden, dass sich Kinder und Moleküle als Schnittstelle Jugendliche als Studiengruppe besonders Am 2. Biotechnologietag konnte man eignen, da Beginn und Verlauf der Ent- sich erstmals im BBZ-Foyer informie- zwischen Übergewicht und ren. Foto: Matthias Frölich wicklung von Adipositas und Diabetes Diabetes noch frei von anderen Faktoren erfassbar sind. Der Spiegel von Leptin, Resistin und Als erste wissenschaftliche Veranstaltung Prof. Kiess, Direktor der Klinik und Poli- Adiponektin bei Kindern hängt direkt in der neuen BIO CITY LEIPZIG verdeut- klinik für Kinder und Jugendliche und De- mit dem Übergewicht sowie Insulinresis- lichte der Biotechnologietag am 21. Mai kan der Medizinischen Fakultät der Uni- tenz und Insulinsekretion zusammen. Die 2003 in besonderem Maße die Anzie- versität Leipzig, ist bestrebt, molekular- untersuchten adipösen Kinder und Ju- hungskraft des Biotechnologisch-Biome- biologische Grundlagenforschung und Er- gendliche zeigen so einen deutlich niedri- dizinischen Zentrums (BBZ) Leipzig. Im kenntnisse aus dem Labor in die klinische geren Adiponektinspiegel. Gleichzeitig Mittelpunkt standen Forschungsarbeiten Praxis zu übernehmen. haben 75 Prozent von ihnen Anzeichen auf den Gebieten „Moleküldesign“ und Übergewicht stellt mittlerweile eine der eines Hyperinsulinismus bzw. Insulinresis- „Medizinische Biotechnologie“. häufigsten Krankheiten in den Industrie- tenz. Das Anliegen dieses wissenschaftlichen nationen dar. In den letzten Jahren ist eine Die klinische Relevanz der gefundenen Zu- Symposiums war es einerseits, die Breite starke Zunahme von Übergewicht (Adipo- sammenhänge und die biologische Wirk- der biotechnologisch-biomedizinischen sitas) gerade bei Kindern und Jugendlichen samkeit der Adipozytokin-Signalübertra- Forschung in der Region darzustellen und festzustellen. Adipositas geht einher mit gung werden im Rahmen des Koordinie- andererseits, über aktuelle Forschungspro- schweren Folgeerkrankungen, die wich- rungszentrums für klinische Studien, dem jekte zu informieren, um daraus Möglich- tigste hiervon ist der Typ 2 Diabetes. Interdisziplinären Zentrum für klinische keiten der interdisziplinären Zusammen- Vor diesem Hintergrund gewinnt die Er- Forschung (IZKF), des Leipziger Schul- arbeit abzuleiten. „Die Knüpfung von forschung von Adipozytokinen eine beson- kinderprojektes und der Adipositas- Netzwerken ist eines der wertvollsten dere Bedeutung. Diese Signalübertra- Sprechstunde der Universitätsklinik und Ergebnisse dieser Art von wissenschaft- gungsmoleküle sind vom Fettgewebe Poliklinik für Kinder und Jugendliche lichen Veranstaltungen“, kommentiert produzierte bioaktive Substanzen, die In- interdisziplinär untersucht. Weitere Partner Prof. Anette Beck-Sickinger, Initiatorin der formationen zu anderen Körperteilen innerhalb der Universität Leipzig an die- Veranstaltung und Direktorin des Instituts transportieren, so genannte „adipose-deri- sem Projekt sind das Institut für Biochemie für Biochemie. ved factors“. Das Fettgewebe mit einem (Prof. Beck-Sickinger), sowie weitere Hinzu kommt, das hatte bereits der 1. Bio- Netzwerk von Adipozytokinen und ihren Arbeitsgruppen an der medizinischen Fa- technologietag im letzten Jahr gezeigt, dass Rezeptoren fungiert hier als Schnittstelle kultät (z. B. Medizinische Klinik und Poli- wertvolle Verbindungen zur Wirtschaft ent- zwischen Übergewicht und der Entwick- klinik III, Prof. Paschke, Dr. Faßhauer, Dr. stehen und ausgebaut werden können. lung des Typ 2 Diabetes. Die Adipozyten- Blüher). Durch die neue BIO CITY sind dafür aus- produkte Adiponektin und Resistin sind Andreas Wust

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Die BBZ-Professuren

Professur für Professur für molekularbiolo- Professur für Molekulare Zelltherapie gisch-biochemische Prozesstechnik Molekulare Pathogenese (noch nicht besetzt) Leiterin: Prof. Dr. Andrea Robitzki (noch nicht besetzt) Schwerpunkt: Forschung und Entwicklung von Zell- und Gewebe-basierten Biosensoren an der Schnittstelle von Mikrosystem-/ Sensor-Technologie und Tissue Engi- neering

Die Fassade der BIO CITY zum Deutschen Platz hin. Foto: Dietmar Fischer

Professur Professur für Professur für Zell- für Bioanalytik Strukturanalytik von techniken und ange- Leiter: Biopolymeren wandte Stammzellbio- Prof. Dr. Ralf Hoffmann Leiter: logie Schwerpunkt: Prof. Dr. Norbert Sträter Leiter: Prof. Dr. Charakterisierung Schwerpunkt: Augustinus Bader posttranslational modi- Bestimmung der Raum- Schwerpunkt: fizierter Proteine struktur von Proteinen Tissue Engineering und mittels Biokristallographie Regenerative Medizin insbesondere: Bioartifizielle Leber, Gefäße und Herz- klappen, Knochen und Knorpelersatz bioartifzielle Haut, Geweberegeneration und deren Pharmakologie, Experimen- telle Chirurgie

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Die BBZ-Nachwuchsgruppen Angewandte molekulare Evolutionsfor- schung Leiterin: Dr. Susanne Brakmann Schwerpunkt: Funktionale Optimierung von Nuclein- säure-Polymerasen und Exonucleasen mit Hilfe evolutiver Verfahren

Protein Engineering Leiter: Dr. Thomas Greiner-Stöffele Schwerpunkt: Anwendung und Entwicklung von Metho- den für das rationale Design und die in- vitro-Evolution von Proteinen

Molekulare Infektionsmedizin Leiter: Dr. Reinhard Straubinger Schwerpunkt: In-vitro- und in-vivo-Untersuchung von Die BBZ-Nachwuchsgruppenleiter (v. l.): Dr. Andrea Sinz, Dr. Susanne Brakmann, Persistenzmechanismen des Erregers der Dr. Thomas Greiner-Stöffele, Dr. Reinhard Straubinger, Dr. Daniel Huster und Lyme-Borreliose, Borrelia burgdorferi Dr. Peter Ahnert. Foto: Armin Kühne

Protein-Ligand-Wechselwirkung mittels Strukturaufklärung membranassoziier- Molekulare Diagnostik – Microarray- Ionen-Cyclotron-Resonanz-Massen- ter Proteine mittels Festkörper-NMR Techniken spektrometrie Leiter: Dr. Daniel Huster Leiter: Dr. Peter Ahnert Leiterin: Dr. Andrea Sinz Schwerpunkt: Schwerpunkt: Schwerpunkt: Entwicklung und Anwendung von NMR- Erforschung der humanen genetischen Di- Studium von Protein-Protein-Interaktionen Methoden zur Untersuchung der Struktur versität im Zusammenhang mit der Ätiolo- mit modernen massenspektrometrischen und Dynamik membrangebundener Pep- gie und Pathogenese von Krankheiten Methoden tide und Proteine

Die weiteren BBZ-Mitglieder

Bislang sind folgende Arbeitsgruppenleiter • Prof. Dr. Markus Löffler, Medizinische Gründungsmitglieder des Biotechnolo- Informatik, Statistik und Epidemiologie, Informationen im Internet gisch-Biomedizinischen Zentrums (an die- Medizinische Fakultät ser Stelle nicht aufgeführt: die BBZ-Pro- • Prof. Dr. Helmut Papp, Technische Che- BBZ allgemein fessuren und die Leiter der Nachwuchs- mie/Thermische Stofftrennverfahren, gruppen): Fakultät für Chemie und Mineralogie www.uni-leipzig.de/bbz/ • Prof. Dr. Erhard Rahm, Informatik, Fa- • Prof. Dr. Gottfried Alber, Immunologie, kultät für Mathematik und Informatik BBZ Nachwuchsgruppen Veterinärmedizinische Fakultät • Prof. Dr. Martin Schlegel, Molekulare • Prof. Dr. Klaus Arnold, Physik und Bio- Evolution und Systematik der Tiere mit www.uni-leipzig.de/bbz/ physik, Medizinische Fakultät Schwerpunkt molekulare Phylogenie, nachwuchsgruppen.html • Prof. Dr. Annette Beck-Sickinger, Bio- Fakultät für Biowissenschaften, Pharma- chemie/Bioorganische Chemie, Fakultät zie und Psychologie BIO CITY für Biowissenschaften, Pharmazie und • Prof. Dr. Peter Stadler, Bioinformatik, Psychologie Fakultät für Mathematik und Informatik www.bio-city-leipzig.de/ • Prof. Dr. Frank Emmrich, Klinische Im- munologie, Medizinische Fakultät • Prof. Dr. Evamarie Hey-Hawkins, Anor- Inhaltliche Verantwortung für diese ganische Chemie, Fakultät für Chemie Doppelseite: Dr. Svenne Eichler, und Mineralogie Geschäftsführerin des BBZ.

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Das Betätigungsfeld des Teams um Prof. natürlichen Zellen „gereinigt“ wird. Diese Bader ist dabei weit gesteckt. So ist er auf Matrix wird besiedelt mit durch Biopsien der Suche nach einem biologischen Kno- entnommenen Zellen des Patienten. Ver- Von der chenersatz mit körpereigenen Stammzel- wendet werden dazu Endothelzellen, die len und mineralisierenden Strukturen, nach gewöhnlich Gefäße und Höhlen auskleiden Gefäßen für Dialyse-Patienten, nach Herz- und Myofibroblastenzellen, die die Mus- Natur klappen, die der Anatomie und Morpholo- kelfasern bilden. Diese Re-Besiedlung mit gie des jeweiligen Patienten möglichst ge- Zellen erfolgt in einem speziell dafür ent- nau entsprechen, und nach biologischen wickelten Bioreaktor. lernen „Maschinen“, die die Leberfunktionen Die Wissenschaftler bestimmten dann die weitestgehend ersetzen können. Form und Struktur des neu entwickelten BBZ-Professor „Das Beste, was wir dabei tun können, ist, Gewebes und konnten eine sogenannte „in- von der Natur lernen“, erklärt Bader das takte Re-Endothealisierung“, eine Neube- einfache und doch komplizierte Prinzip siedlung mit den entsprechenden Zellen, Bader arbeitet seiner Arbeit. „Wir versuchen, möglichst feststellen.. Bei einer Testung im lebenden naturidentische Strukturen zu schaffen und Organismus (in vivo) zeigte sich, dass die an Verfahren den Steuerungsmechanismus dafür. So wie Re-Zellularisierung weiter voranging und wir wie von selbst unseren Körper kon- Abstoßungsreaktionen nicht beobachtet trollieren können, wollen wir verstehen wurden. Eine Immunsuppression, die zur Entwicklung lernen auch die Geweberegeneration zu Abstoßungen verhindern soll, war daher kontrollieren“, meint Bader. „D. h., die Zel- nicht erforderlich. Das bedeutet, dass eine körpereigener len, die wir für die Rekonstruktion eines Herz-Klappenstruktur entwickelt werden bestimmten Gewebes brauchen, wollen wir konnte, die der natürlichen im wesent- Gewebe in einen normalen Wachstumsprozess lichen entspricht. überführen, damit wir z. B. benötigte Im- „Die biotechnologisch hergestellten Herz- plantate bereitstellen können.“ Baders be- klappen und Gefäße sollen eine Alternative Von Dr. Bärbel Adams sonderes Anliegen dabei ist, gleichzeitig zu klassischen nicht regenerationsfähigen weg von der „Laborentwicklung“ hin zur Implantaten darstellen“, erklärt Prof. Ba- Automatisierung und Standardisierung der der die Zielstellung seiner Arbeit. „Wir Prozesse zu kommen, um den Weg für die wollen diese Implantate so schnell wie klinische Therapie und damit für die An- möglich in die klinische Praxis überfüh- wendung der Forschungsergebnisse zu ren.“ Ihn fasziniert die Organisation und Leis- ebnen. Bader strebt den Aufbau eines europäi- tungsfähigkeit des menschlichen Orga- Eine besondere Schwierigkeit besteht schen Netzwerkes an, an dem inzwischen nismus. „Was er vermag, merken wir im- darin, die Zellkulturen vom statischen Zu- mehr als 800 Wissenschaftler beteiligt sein mer dann, wenn etwas außer Kontrolle ge- stand in ein mechanisch belastbares Sys- sollen. Das soll die Zulassung von neuent- rät, wenn der Mensch krank wird“, be- tem zu überführen. Nur dann sind die wickelten Produkten im Bereich Tissue schreibt Augustinus Bader, Professor für regenerierten Gewebe den Anforderungen, Engeneering fördern, aber auch den wis- Zelltechniken und angewandte Stammzell- die ein Einsatz innerhalb des menschlichen senschaftlichen Nachwuchs zusammen- biologie am Biotechnologisch-Biomedizi- Organismus mit sich bringt, wirklich ge- führen. „Insgesamt versprechen wir uns nischen Zentrum in der BIO CITY den wachsen. davon eine Konzentration der Kräfte“, so Ausgangspunkt seiner wissenschaftlichen Die „Züchtung“ von künstlichen Herz- Bader, „gerade in unserem Fach ist eine ge- Arbeit. „Wir wollen nun auf ganz unkon- klappen, die dennoch nahezu identisch mit meinsame wissenschaftliche Stimme ventionelle Art helfen, indem wir Verfah- den natürlichen sind, soll das verdeut- wichtig.“ Ein erster Schritt auf dem Weg ren entwickeln, die körpereigene Gewebe lichen. Bisher gibt es zwei Arten von künst- soll der Welt-Kongress für Regenerative regenerieren.“ Die sich hieraus entwi- lichen Herzklappen: die mechanischen und Medizin sein, der vom 22. bis 24. Oktober ckelnde neue Disziplin der Medizin be- die Bioprothesen tierischen Ursprungs. auf der Neuen Messe in Leipzig stattfinden zeichnet er als regenerative Medizin, die Die mechanischen erfordern vom Patien- soll. einen umfassenden technologischen Be- ten eine andauernde Einnahme von gerin- Aber Bader will mehr. Seiner Meinung reich, einschließlich der Stammzellbiolo- nungshemmenden Medikamenten, um die nach kann die Wissenschaft nicht losgelöst gie, der Medizintechnik und der medika- Blutgerinnung an der Prothese zu vermei- von ihrem natürlichen Umfeld gedeihen. mentösen Therapie, integriert. den. Die tierischen Bioprothesen werden Deshalb will er die Zielgruppe seiner wis- Die regenerative Medizin macht sich die gezielt gegerbt und sind deshalb nicht re- senschaftlichen Aktivitäten mit einbezie- natürliche Eigenschaft körperlicher Pro- generationsfähig. Die neue Herzklappen- hen, den Patienten und diejenigen, über die zesse zunutze, Regenerationsprozesse aus- generation auf der Grundlage körpereige- er seine wissenschaftlichen Ergebnisse zulösen, und lässt sich ganz auf die indivi- ner Gewebe soll das verhindern. zum Patienten transportieren kann, die Me- duellen Eigenheiten des Patienten zu- Die Forschergruppe von Prof. Bader ver- dizintechnikfirmen und die Pharmaindu- schneiden. Man ist also auf dem Wege, eine wendet dazu eine Art Gerüst künstlichen strie. Als Verknüpfung von Wirtschaft, maßgeschneiderte Therapie für einige oder tierischen Ursprungs, eine sogenannte Wissenschaft und Patienten soll eine Struk- wichtige Krankheitsbilder zu entwickeln.m Matrix, die durch Enzymabbau von ihren tur geschaffen werden, die sich selbst trägt.

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Elektronische Detektive BBZ-Professorin Robitzki entwickelt Zell- und Gewebemodelle für Biochips

Von Carsten Heckmann

Das Ziel ist klar: Für krebskranke Patien- leicht wiederfinde bzw. adressieren kann“, ten soll es möglichst eine individuelle erläutert Andrea Robitzki. Im Prinzip funk- Therapie und eine Möglichkeit zur ultra- tioniere das wie bei einem Koordinaten- schnellen Kontrolle geben. Die Wege dahin system. Der Vorteil gegenüber einer klassi- sind kompliziert. So auch der, den Prof. schen „Zellkulturschale“ liege darin, dass Andrea Robitzki und ihr siebenköpfiges man dann über jede einzelne Zelle Aus- Team im Biotechnologisch-Biomedizini- sagen machen könne, z. B. welche Gene sie schen Zentrum (BBZ) gehen. Zumindest produziert oder ob und wann sie sich teilt. als Laie hat man es nicht leicht, Prof. Ro- Bis zu einer Million Zellen können z. B. auf bitzki auf ihrem Weg zu folgen. einen 3-cm2-Chip aufgebracht werden. Schema eines Mikrokapillararrays mit einem positionierten 3D-Tumorgewebe Es gibt eine Abkürzung. Deren Beschrei- Über die Elektroden können die Zellen an- (Querschnitt durch den Chip). Über die bung könnte wie folgt lauten: Man verteile gesteuert und, da sie selbst eine Ladung be- integrierten Elektroden wird ein elektri- Krebszellmodelle auf einem Schachbrett. sitzen, auch vermessen oder manipuliert sches Feld angelegt; die in der Medium- Anschließend stelle man diese Schach- werden. Wobei letzteres nicht das Ziel sein säule positionierten 3D-Tumormodelle werden so bioelektronisch analysiert. figuren auf, blockiere deren gefährlichsten muss. Schon die Betrachtung an sich kann Gene und schlage dann den Tumor ver- lohnend sein. Prof. Robitzki kann zu die- sprudelt es aus der Pharmazeutin und Bio- nichtend. sem ihrem Fachgebiet namens Zell- und login heraus. Alles unklar? Dann also doch der lange Gewebemodellentwicklung einiges erzäh- Das „Spiel“ konnte beginnen. Allerdings Weg, mit der Möglichkeit der Verständnis- len. Wie auch zu ihrem zweiten Gebiet, der nur, weil Robitzki und Kollegen noch et- pausen. Allerdings immer noch ebenso Bioprozesstechnik. was Entscheidendes über ihre „Figuren“ schwer wie Schachregeln. Aber zurück zum „Schachbrett“. Und hin wussten: Jede der Krebszellen enthält Das „Schachbrett“ ist in diesem Fall ein zu den „Figuren“. Robitzki und ihre Mitar- Gene, die verantwortlich für ihre Vermeh- Biochip. „Es handelt sich um einen Träger beiter haben bereits am Fraunhofer-Institut rung sind. Eines dieser Gene galt es aus- mit elektronischen Kontaktstellen, auf dem für Biomedizinische Technik einen Tumor- zuschalten. Wie gute Schachspieler hatten ich einzelne Tumorzellen aber auch Ge- biosensor entwickelt. Brustkrebszellen die Experten dafür eine erfolgverspre- webe positionieren kann – und sie dann wurden in eine Zellkulturschale gegeben chende Strategie. In ihrem Fall war das die und unter Rotation aggregiert. Es entstan- „Antisense-Strategie“, eine Methode die den „Kugeln“, dreidimensionale Tumorzel- Entstehung von Proteinen auf der Gen- lenmodelle, 3-D-Tumoren sozusagen. Die ebene zu blockieren. „Schachfiguren“! „Das müssen Sie sich vorstellen wie einen Diese Brustkrebstumormodelle haben die Reißverschluss“, erklärt Robitzki. „Sie Wissenschaftler auf einen Chip aufge- nehmen ein Stück der Gensequenz, aus bracht, nicht irgendeinen allerdings. Einen, denen die Zelle ihre Informationen abruft, den sie selbst entworfen und auch paten- die Blaupausen für das Protein. Auf der tiert haben. Produziert wurde er von einem einen Seite haben Sie die Information über industriellen Partner, kostengünstig in diese Blaupause, auf der anderen Seite Spritzgusstechnik. manipulieren Sie die Zelle via Gentransfer Die kugelförmigen „Figuren“ fanden sich so, dass sie selbst eine identische Gen- also parallel positioniert wieder, stets um- abfolge nur in umgekehrter Reihenfolge geben von Elektroden, über die ein Wech- reproduziert. Zwischen diesen beiden selspannungsfeld in der Umgebung der Hälften ist eine Verzahnung möglich.“ So- Mikrotumoren erzeugt wurde. „Mit ver- weit, so schlecht für die Zelle. Denn: schiedenen Frequenzen können Sie so ganz Dieser „molekulare Reißverschluss“, eine Das „elektronische Schachbrett“: Mikro- unterschiedliche Zell- und Gewebeberei- Doppelhelixstruktur ist ein Unsinnkon- kapillarchip-Prototyp in Spritzgusstech- che anschauen“, sagt Andrea Robitzki. strukt. Die enge Verzahnung führt dazu, nik, unter Verwendung eines biokom- patiblen, UV-resistenten Kunststoffs, „Sie können das Eigenleben des Tumors dass der Informationsfluss unterbrochen gefertigt; mit implementierten Platin- sehen, und zwar in Echtzeit, live. Das kön- wird, dass die Produktionsstätte für ein be- elektroden (Negativ-Darstellung). nen Sie mit klassischen Methoden nicht“, stimmtes Protein nicht mehr realisierbar

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ist. Es entsteht kein Protein mehr. Somit werke AG, Werk Leipzig, untersucht teilen sich die Krebszellen nicht mehr.“ wird.m Doch das ist nicht alles. Wie sich zeigte, Das Projekt zum betrieblichen Wissens- wurden diese Tumorzellen in den program- Wissen management ist darauf gerichtet, wissen- mierten Zelltod getrieben und begingen schaftliche Erkenntnisse mit unterneh- Selbstmord. Noch bedeutet das nicht, dass mensspezifischen Bedingungen und Ziel- man den Krebs leicht schachmatt setzen nutzbar stellungen zu verbinden, um nachhaltige kann. „Wir können nun durch den Einsatz Lösungen für effektive Wissensmanage- eines Biochips Effekte gentherapeutischer mentprozesse im neuen BMW-Werk Leip- Ansätze an sehr vielen Tumormodellen machen zig zu erarbeiten. Aus universitärer Sicht gleichzeitig und sehr viel schneller fest- wird das Wissensmanagement unter be- stellen“, so Andrea Robitzki. Gentherapeu- Wirtschafts- triebswirtschaftlicher, organisationstheo- tische Ansätze könnten so „innerhalb von retischer und wirtschaftspädagogischer Sekunden bis Minuten“ auf einem Chip Perspektive reflektiert. Die theoretischen getestet werden. Denn den Therapieansatz pädagogen Ansätze und Praxiserfahrungen werden gebe es nicht. „Von Brustkrebstumor zu dabei wechselseitig aufeinander bezogen. Brustkrebstumor bestehen erhebliche kooperieren mit Das Ziel der Lehrveranstaltung ist es, Unterschiede.“ Gestaltungskriterien für Wissensmanage- Ein zweites „noch nicht“ kommt hinzu: der BMW AG mentprozesse zu entwickeln und Realisie- Selbst die Hilfestellung, der Biochip, ist rungsformen zu erarbeiten, die ein flexi- noch nicht „serienreif“. Laut Teamleiterin bles und nachhaltiges Wissensmanagement Robitzki handelt es sich um eine „frühe Von Volker Born, Lehrstuhl für Berufs- unter den spezifischen Bedingungen und Prototypenphase“. Jetzt werde für poten- und Wirtschaftspädagogik Anforderungen im BMW-Werk Leipzig tielle Kunden „Richtung Produktentwick- gewährleisten. lung“ gearbeitet. Im Rahmen einer Auftaktveranstaltung an Die „Kunden“, das sind Firmen der phar- Bevor ein neues Produkt von der Entwick- der Universität Leipzig wurden die Studie- mazeutischen Chemie, der Stammzellfor- lung in die Fertigung geht, haben schon renden der Wirtschaftspädagogik aus Leip- schung, der regenerativen Medizin. Es wer- viele Ingenieure und Konstrukteure eine zig und Dresden von Vertretern der BMW den weitere Diagnostikmodule entstehen, große Anzahl an technischen Zeichnungen, AG in die Ausgangsbedingungen für das so Robitzki. Die Prototypen dafür könne es Dokumentationen und Notizen angefertigt. Wissensmanagementprojekt eingeführt. vielleicht schon 2004 geben, erste Feldstu- Längst nicht alles davon wird für das neue Anschließend erfolgte die Besichtung des dien 2005. Produkt benötigt. Viele wertvolle Ideen, im Bau befindlichen Werkes in Leipzig. Der Weg, auf dem z. B. der Krebstherapie- die in einem anderen Projekt von hohem Um einen intensiven Praxisbezug zu Diagnostik-Chip entwickelt wurde und Wert wären, werden nicht explizit doku- gewährleisten, werden die Studierenden weiterentwickelt wird, ist einer, den die mentiert und gesammelt. Lösungsansätze Anfang Juli die Gelegenheit haben, den Fraunhofer-erprobte Fachfrau Robitzki gut für verschiedene Probleme bleiben häufig BMW-Standort in Regensburg zu besichti- kennt und der auch für das BBZ typisch sogar „unausgesprochen“ in den Köpfen gen und mit Mitarbeitern zu sprechen, die sein soll: Die Anwendung wird gleich mit- der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. dort auf ihre künftige Tätigkeit im BMW- gedacht. Bis hin zu Marktrecherche und Scheidet ein Mitarbeiter oder eine Füh- Werk Leipzig vorbereitet werden. Machbarkeitsstudie. Erst dann wird ein er- rungskraft aus dem Unternehmen aus, Die Zusammenarbeit der Studierenden aus stes Modell entwickelt, ein Patent ange- kann ein über viele Jahrzehnte angesam- Leipzig und Dresden sowie die Kommuni- meldet. Am Ende stehen diverse Mög- meltes Fach- und Erfahrungswissen un- kation mit der BMW AG wird vor allem lichkeiten, so die Lizenznahme durch die widerruflich für das Unternehmen verloren über das Internet realisiert. In netzbasier- Industrie oder auch die Gründung eines gehen. Das geschilderte Problem trifft auch ten Lehrveranstaltungen werden die Ar- Unternehmens aus dem BBZ heraus. An- auf eine solche komplexe Entwicklungs- beitsergebnisse über eine Lernplattform drea Robitzki weiß: „Wir sind die Schnitt- und Konstruktionsaufgabe wie den Bau bearbeitet, vorgestellt und diskutiert. Im stelle.“ und die Inbetriebnahme der neuen Produk- elaborierten Umgang mit diesen Kommu- Und der Beobachter ahnt: Im Robitzki- tionsstätte der Bayerischen Motorenwerke nikationswerkzeugen und in der Umset- Team arbeiten Biologen, Biochemiker, (BMW) AG in Leipzig zu. zung effektiver Kommunikations- und Ko- Pharmazeuten und Ingenieure konstruktiv Wie das implizite Wissen einzelner Mitar- operationsstrategien über Datennetze ler- gemeinsam an neuen biotechnologischen beiter sowie der Führungskräfte der ge- nen und arbeiten die Studierenden in einem Entwicklungen. Tatsächlich handelt es samten Organisation zur Verfügung ge- Spannungsfeld zwischen technischer, pä- sich um Kasparovs der Wissenschaft mit stellt werden kann, ist eine Frage die im dagogischer und betriebswirtschaftlicher einem Zusatz-Gen für marktwirtschaft- Rahmen eines Projektseminars an der Pro- Rationalität, das gleichzeitig auch das dy- liches Denken. fessur für Berufs- und Wirtschaftspädago- namische Feld des betrieblichen Wissens- gik der Universität Leipzig (Leitung: Prof. managements charakterisiert. Die Studie- Weitere Informationen im Internet Dr. Fritz Klauser) und an der Professur für renden können so ihre theoriegeleiteten (englisch): Wirtschaftspädagogik der TU Dresden Kenntnisse zum Wissensmanagement über www.biochemie.uni-leipzig.de/ (Leitung: Prof. Dr. Bärbel Fürstenau) in Datennetze selbst anwenden und erpro- agrobitzki/ Kooperation mit der Bayerischen Motoren- ben.

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Wie viel Freiheit braucht die Universität? Mathematiker und Naturwissenschaftler suchen nach Lösungen

Am 13. und 14. Juni tagte der Mathema- Leistungsbeurteilung erreicht werden und überdies die universitäre Lehrerfortbildung tisch-Naturwissenschaftliche Fakultäten- welche Gremien entscheiden letztendlich? im wesentlichen von der Initiative Einzel- tag Deutschlands in Leipzig. Im Vorhinein Es droht die nachlassende Attraktivität des ner lebt? Wir müssen die Fähigkeit zum sprach Dr. Bärbel Adams mit dem Vorsit- Hochschullehrerberufes infolge weiterer lebenslangen innovativen Lernen mög- zenden des Fakultätentages, Prof. Dr. Franz Bürokratisierung und schließlich auch in- lichst durch Beteiligung an der Forschung Jacobs, Direktor des Instituts für Geophy- folge der Absenkung der Grundgehälter. fördern. Aber geht das noch angesichts sik und Geologie über die aktuellen The- Ein weiterer Tagesordnungspunkt ergibt weiterer Stellenstreichungen? men, über die das Gremium beraten wollte. sich aus der Pisa-Studie, die auch ein drin- gendes Bedürfnis nach Hilfe durch die Der Fakultätentag scheint ja mehrere Herr Prof. Jacobs, womit beschäftigt Universitäten signalisiert. Außerdem be- heiße Eisen anzufassen, z. B auch das sich die Interessenvertretung der mathe- schäftigen wir uns mit Fragen des gren- Thema „Autonomie“ – Wieviel Freiheit matisch-naturwissenschaftlichen Fä- zenlosen europäischen Hochschulraumes braucht die Universität? Welcher Aspekt cher in einer Zeit, in der an den Univer- und der zunehmenden Internationalisie- ist für Ihr Gremium von besonderem sitäten vieles im Umbruch ist? rung der Hochschulen wie der Akkreditie- Interesse? Wir beraten traditionell aktuelle Fragen rung von Bachelor- und Masterstudien- Wieviel bleibt an Spielraum für Freiheit und zukünftige Entwicklungen in Lehre gängen sowie mit Fragen der Hochschul- und Autonomie angesichts unumstößlicher und Forschung, insbesondere Studien- autonomie. finanzieller Zwänge? Und was bleibt an inhalte, Studienpläne und Organisations- Souveränität, wenn Landesregierungen formen der mathematisch-na- Stichwort Pisa-Studie. Wo ihre Unterstützung an Vorgaben koppeln – turwissenschaftlichen Fächer. will die Universität ansetzen, direkt oder indirekt – die nicht dem Wollen Natürlich stehen auch dieses um die Bildungsmisere an der betroffenen Universitäten entsprechen. Mal Fragen auf der Tagesord- den deutschen Schulen zu Auch müssen wir an der Akkreditierung nung, die uns zur Zeit be- verbessern? neuer Studiengänge maßgeblich mitwirken sonders unter den Nägeln Wir zielen auf zweierlei: Ein- können. Eine Vergleichbarkeit der Ab- brennen. mal wollen wir bei der Ausbil- schlüsse ist die Grundlage für die Aner- dung der Lehrer für Mathema- kennung der Abschlüsse im internationalen Das wären? tik und Naturwissenschaften Maßstab. Wir selbst müssen die Qualitäts- Zum einen die Änderung des ansetzen. Dazu muss zuerst kriterien formulieren und nicht allein halb Hochschulrahmengesetzes. die Reputation der Lehreraus- staatliche / halb private Kommissionen von Mit der Einführung der Ju- Prof. Franz Jacobs bildung verändert werden. Sie Ministerien und Agenturen. Und Wettbe- niorprofessuren soll jungen spielt an den universitären Ein- werb sollte über die zukünftigen Studien- Wissenschaftlern der Weg zur frühzeitigen richtungen leider oft eine Nebenrolle. formen entscheiden. Übernahme von Verantwortung durch eine Wenn wir aber unsere zukünftigen Lehrer Professur ermöglicht werden. Das grund- mit dem neuesten wissenschaftlichen Kann der Fakultätentag seine Ideen und legende Problem der deutschen Wissen- Know How versehen wollen, muss die Leh- Vorschläge auch durchsetzen? schaftler, Planungssicherheit für hervor- rerausbildung an allen mathematisch-na- Wir haben natürlich keine gesetzgebende ragende Diplomanden und Doktoranden zu turwissenschaftlichen Fakultäten einen Vollmacht. Wir können Empfehlungen ge- gewährleisten, ist damit allein nicht er- neuen Stellenwert bekommen. ben und sind eher in der Rolle eines kriti- reicht. Der Fakultätentag fordert dritt- Zum zweiten muss die Fort- und Weiterbil- schen Begleiters, der auf Selbstmotivation mittelfinanzierte Projektforschung als dung der Lehrer aktiver gestaltet werden. setzt. Wir verbreiten unsere Ideen, weisen eine wichtige Entwicklungsperspektive für Wie ich das meine, verdeutlicht ein Spruch auf gute Beispiele hin, mahnen, wo not- Wissenschaftler über Befristungsgrenzen des Konfuzius: „Erzähle mir und ich ver- wendig, und setzen eher auf die Vernunft hinaus. gesse, zeige mir und ich erinnere, lass es aller am Prozess Beteiligten. Jeder von uns Zum anderen will die Bundesregierung mit mich tun und ich verstehe.“ Wie wollen wir sollte selbst überprüfen, was er an seiner dem Gesetz zur Professorenbesoldung die das Lernen an den Schulen verbessern, Fakultät tun kann. Wir suchen uns aber leistungsabhängige Bezahlung der Hoch- wenn wir den Lehrern immer noch die sel- auch Verbündete, wenn sie in den Sach- schullehrer gewährleisten. Wie soll die ben passiven Grundmuster anbieten und themen mit uns übereinstimmen.

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ten Vorhabens wurden bereits fertigge- diale“ im Haus der Kulturen der Welt in stellt. Dank des finanziellen Engagements Berlin vorgestellt. Diese von der Leiterin der Mitteldeutschen Medienförderung des Seminars konzipierte und mit den Stu- Einem GmbH ist auch in Leipzig gedreht worden. denten realisierte „theatrale“ Präsentation Der erste Teil der Spielfilm-Trilogie „The im „Tulse Luper-Office des Instituts für Tulse Luper Suitcases“ wurde im April Theaterwissenschaft der Universität Leip- Spion auf diesen Jahres als offizieller Beitrag für das zig“ wurde ermöglicht durch die finan- Filmfestival in Cannes nominiert. zielle Unterstützung der Mitteldeutschen Greenaways Filme, die von einer kühlen, Medienförderung GmbH und die techni- der Spur analytischen Intellektualität geprägt sind, sche Unterstützung der Kasander Film haben ihre Wurzeln im experimentellen Company in Rotterdam sowie der Produk- Arbeiten mit Film und in der Bildenden Kunst. Man tionsfirma Net Entertainment AG in Ber- kann diese Filme als Rätselspiele auffas- lin. Die Präsentation war ein Erfolg, mit sen, als Irrgärten. Mit barock anmutendem der Folge, dass Peter Greenaway den Or- einem eigenwilli- Furor wird hier Architektur, Mathematik, ganisatoren des Festivals und dem Institut Musik und Theater zu raffinierten und für Theaterwissenschaft der Universität gen Regisseur ästhetisch brillant in Szene gesetzten Sinn- Leipzig für die kommende „Transmediale“ geflechten verbunden. Leben und Tod, Sex 2005 feierlich eine neue Aufgabe überant- Von Dr. Barbara Panse, Institut für Theater- und Gewalt – das ist der Kosmos, um den wortete: Die Konzeption und multimediale wissenschaft, Leiterin der im folgenden be- sich Greenaways künstlerisches Schaffen Realisierung eines „Tulse Luper-Koffers“, schriebenen Seminare und Projektgruppen bewegt. Intermediale Bezüge sind ein zen- ein weiteres Projekt, das direkt auf die trales Kennzeichen seiner Filme: „Der Film-Trilogie Bezug nehmen soll. Die erste Begegnung Ende November 2002 Bauch des Architekten“, „Der Koch, der Und jetzt, was folgt jetzt? Im April diesen war sehr offiziell, fast steif, aber es war ein Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“, „Pro- Jahres wurde in Leipzig die konkrete ermutigendes Treffen. „Ladies and Gentle- speros Bücher“, „Das Wunder von Macon“ Weiterführung der Zusammenarbeit zwi- men, Mr. Greenaway“, rief der deutsche sind prägnante Beispiele dafür. schen dem Institut für Theaterwissenschaft Produzent in den Vorlesungssaal des Insti- In dieser Tradition steht auch das neue Pro- und Peter Greenaway sowie den mit seiner tuts für Theaterwissenschaft. Kameras jekt „The Tulse Luper Suitcases“, in das Arbeit an dem „Tulse Luper-Projekt“ ver- surrten, der Regisseur kam herein, setzte nun auch die neuen Medien konsequent in- bundenen Produktionsfirmen vereinbart. sich auf einen der reservierten Stühle und tegriert werden. Der Plot der Film-Trilogie Das bisherige Konzept, in der Lehre den lächelte ernst. Nach Begrüßung und Ein- scheint auf den ersten Blick vor allem Schwerpunkt „Intermedialität“ stärker zu führung durch die Leiterin des Seminars kurios: die wechselvolle, aber dennoch verankern und durch projektbezogene begann sofort und konzentriert die Arbeit: immerwährende Gefangenschaft eines Themen zu vertiefen, wird also weiterge- Studenten des Instituts, die sich in zwölf englischen Künstlers und Spions, Tulse führt. Gruppen mit dem „The Tulse Luper Suit- Luper, in verschiedenartigen Gefängnissen In diesem Semester beschäftigen wir uns cases“-Projekt von Peter Greenaway be- der Welt. Tiefergehend ist die Trilogie mit dem komplexen Thema „Interaktivität“ schäftigten, referierten die Vorgehensweise jedoch eine schmerzvolle Auseinanderset- in den neuen Medien. Ein weiterer Schwer- und erste Ergebnisse ihrer Recherchen. zung mit der Kunst, den Kriegen und den punkt ist dem Film im Dritten Reich ge- Dann diskutierten sie mit dem Gast, einem Gräueln des 20. Jahrhunderts. widmet. Dabei gilt unser Interesse einmal der profiliertesten und eigenwilligsten Die studentischen Arbeitsgruppen des In- der Herausarbeitung und Analyse der in Regisseure des europäischen Kinos, den stituts für Theaterwissenschaft haben im den NS-Propagandafilmen enthaltenen weiteren Verlauf und die Ziele ihrer letzten Semester – parallel zu der im Se- Ideologeme und der damit einher gehenden Projektarbeit. Verabredet wurde, dass wei- minar durchgeführten theoretischen Aus- ästhetischen Darstellungsweisen. Zum an- tere Treffen folgen sollten. einandersetzung über intermediale, trans- deren untersuchen wir jene gesellschaft- Im Wintersemester 2002/03 begann am mediale und intramediale Phänomene in lichen Normen, die die im Dritten Reich Institut für Theaterwissenschaft eine Semi- der Kunst – einen eigenen, aus zehn Ein- produzierten Lustspiele in der deutschen narreihe im Rahmen des Schwerpunkts zelarbeiten bestehenden Internet-Auftritt Bevölkerung zu verankern suchten. Beide „Intermedialität“. Das Besondere an dieser zum „Tulse Luper“-Projekt erarbeitet. Sie Seminarthemen stehen in engem Zu- Reihe ist die Verschränkung von Lehre und enthalten Analysen, essayistische Beiträge, sammenhang mit der studentischen Pro- studentischer Projektarbeit, die auf die spä- Dokumente, Fotos, eigene kleinere Filme jektarbeit an „Gold“. „Gold“ geht zurück tere Berufspraxis der Studenten bezogen und Musikeinspielungen. Im Juni 2003 auf eine Sammlung von Erzählungen von ist. Ermöglicht wurde das durch eine ge- werden diese Arbeiten durch einen Link Peter Greenaway (publiziert 2003 in Groß- lungene Anbindung an das Multimediapro- mit der offiziellen Homepage des Projekts britannien). Bereits 2001 wurde eine Thea- jekt „The Tulse Luper Suitcases“ von Peter von Peter Greenaway verbunden sein. Ge- terfassung erstellt, die im selben Jahr am Greenaway, das aus einem dreiteiligen zeigt wurde dieser Internet-Auftritt – mit Schauspielhaus Frankfurt am Main urauf- Spielfilm, einer mehrteiligen Fernsehserie, den Beiträgen der Studenten – aber bereits geführt worden ist. Die zu erstellende DVD mehreren Buch- und DVD-Publikationen auf dem Filmfestival 2003 in Cannes. zu diesem Thema ist Teil des konzipierten sowie einem aufwendigen Internet-Auftritt Zum ersten Mal wurden diese Arbeiten Gesamtprojekts „The Tulse Luper Suit- bestehen wird. Teile dieses, in ästhetischer jedoch öffentlich im Februar 2003 auf dem cases“ und soll Ende 2003 fertiggestellt und technischer Hinsicht sehr ambitionier- internationalen Medienfestival „Transme- werden.

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Tiere im Dienste der Menschen und Menschen im Dienste der Tiere Das Medizinisch-Experimentelle Zentrum

Von Prof. Dr. Barbara Pustowoit, Tierschutzbeauftragte der Medizinischen Fakultät und Dr. Petra Madaj-Sterba, Leiterin des Medizinisch-Experimentellen Zentrums

Das Medizinisch-Experimentelle Zentrum ist eine zentrale Einrichtung der Medizini- schen Fakultät Leipzig und besteht in der gegenwärtigen Struktur seit 1999. Es bie- tet modernste Voraussetzungen für die Haltung von Versuchstieren und verfügt über gut ausgestattete Experimental- flächen. Das Zentrum wird von einer Fach- tierärztin für Versuchstierkunde geleitet. Sie steht einem spezialisierten Team von Veterinäringenieuren und Tierpflegern vor, das sich den Bedürfnissen und dem Schutz der Versuchstiere angenommen hat. Die Tiere, vornehmlich gentechnisch verän- derte Mausstämme und natürliche Maus- mutanten, sind in verschiedengradigen hygienischen Barrieren untergebracht. Sie sind zumeist äußerst wertvoll und in der genetischen Kostellation einzigartig. Da die Mäuse hochempfindlich auf Infektio- nen und schon geringgradige Veränderun- Barbara Pustowoit (l.) und Petra Madaj-Sterba bei der Gesundheitskontrolle von gen der Umwelt reagieren, werden sie un- Mäusen im Experiment. Fotos: ZFF ter kontrollierten Klimabedingungen und in speziellen Isolatorsystemen nahezu ste- Kurs für Versuchstierkunde Tierschutzbeauftragten zweimal jährlich ril gehalten. einen Fortbildungs- und Trainingskurs für Der Zugang zu den Tieren und den Expe- Ein weiterer Schwerpunkt in den Aufga- Versuchstierkunde an. Neben tierschutz- rimentalflächen ist nur mit einem behörd- benbereich des Medizinisch-Experimen- rechtlichen Grundlagen, werden biologi- lich genehmigten Tierversuchsantrag und tellen Zentrums ist die Aus-, Fort-, und sche Grundkenntnisse zu den einzelnen nach einer Abstimmung mit der Fakultäts- Weiterbildung auf dem Gebiet der Ver- Labortierarten vermittelt, Verhaltensmus- leitung möglich. Die Tierschutzbeauf- suchstierkunde. Der Personenkreis, der ter erklärt, artgerechter Umgang mit den tragte der Fakultät erstellt zu jedem Ver- ausbildungsbedingt aktiv an tierexperi- Tieren sowie Applikationstechniken, Anäs- suchsantrag ein ausführliches fachliches mentellen Projekten teilnehmen darf, ist thesiemethoden und Kennzeichnungsfor- Gutachten. Die Einschätzung der Notwen- vom Gesetzgeber stark reglementiert und men demonstriert und nachfolgend geübt. digkeit eines Tierexperimentes und die zusätzlich von nachweisbaren Erfahrungen Hauptanliegen der Kurse ist es, durch die ethische Beurteilung der Relation von und Weiterbildungen auf dem Gebiet der Verdeutlichung arteigener Besonderheiten möglicher Leidzufügung für das Tier Versuchstierkunde abhängig. Ausnahme- und Bedürfnisse, einen respektvollen und und dem zu erwartenden wissenschaft- genehmigungen zum Beispiel für Natur- schonenden Umgang mit den Labortieren lichen Erkenntnisgewinn obliegt der wissenschaftler, Doktoranden und Medizi- zu ermöglichen. Die Teilnahmebestätigun- Tierschutzkommission im Regierungs- nisch-Technisches Personal können nur mit gen werden von der Tierschutzbehörde als präsidium Leipzig. Dieser Kommission dem Nachweis einer Zusatzqualifikation Qualifikationsnachweis im Rahmen der gehören neben Fachwissenschaftlern auch auf dem Gebiet der Versuchstierkunde be- Beantragung von Ausnahmegenehmigun- Ver treter von Tierschutzorganisationen antragt werden. Aus diesem Grund bietet gen im Sinne des Tierschutzgesetzes aner- an. das Zentrum in Zusammenarbeit mit der kannt.

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Im Jahre 2002 wurde das Medizinisch-Ex- rapie wegen logistischer und ethischer tischen Probleme moderner Industriestaa- perimentelle Zentrum von der Landestie- Probleme nur wenigen Patienten zur Ver- ten. Die Erkrankung ist trotz weltweit gro- rärztekammer als eine der ersten Weiter- fügung. Als Alternative kommen insbeson- ßer Bemühungen in der Forschung nach bildungsstätten für Versuchstierkunde in dere neurale Stammzellen in Betracht. wie vor unheilbar. Der Beitrag des Paul- den neuen Bundesländern bestätigt. Auf In der Arbeitsgruppe von Professor Flechsig-Institutes besteht u. a. in der Ent- dieser Grundlage werden unter anderem Schwarz (Klinik für Neurologie) gelang es wicklung von transgenen Tiermodellen mit auch Kurse für Mikrochirurgie am Ratten- erstmals, humane neurale Stammzellen aus induzierbarer Expression erkrankungsrele- modell, Endoskopiekurse am Hausschwein Mittelhirngewebe zu isolieren und über vanter Gene. Es wurden in Leipzig trans- und Weiterbildungskurse für Sonderausbil- viele Monate zu expandieren und in vivo gene Mäuse entwickelt, die selektiv in dungs- und studiengänge angeboten und zu testen. Nervenzellen TGF-β induzierbar exprimie- durchgeführt. Dabei ist das unilaterale 6-Hydroxydopa- ren, d. h. durch den Einbau eines „moleku- min (6-OHDA) Modell der Ratte ein her- laren“ Schalters kann in diesen Tieren die Ver ringerung von Versuchen vorragend etabliertes Modell zur Überprü- Expression des erkrankungsrelevanten fung restaurativer Therapiestrategien des Gens nach Bedarf angeschaltet oder auch Darüber hinaus wird in dem Zentrum auch Morbus Parkinson. Die Ergebnisse ermuti- wieder abgeschaltet werden. Diese relativ an der Etablierung von effizienten Ersatz- gen dazu, eine Anwendung bei Patienten neue Technik hat gegenüber konventionel- und Ergänzungsmethoden zum Tierver- mit Morbus Parkinson zu planen. len transgenen Tieren den großen Vorteil, such gearbeitet. Die Untersuchungen zur dass sich das Tier zunächst völlig normal Herstellung monoklonaler Antikörper aus Beispiel Immunologie entwickeln kann, und man, ähnlich wie bei B-Zellen peripherer Lymphknoten von der Manifestation bzw. dem Ausbruch der Balb/c-Mäusen wird mit Geldern der Beträchtliche Expertise wurde in den letz- Erkrankung beim Menschen, zu einem Ernst-von-Weber-Stiftung zur Vermeidung ten Jahren durch tierexperimentelle Mo- bestimmten Zeitpunkt das Gen aktivieren und Verringerung von Tierversuchen unter- delle für rheumatische Erkrankungen, kann. Die derzeitigen Untersuchungen ha- stützt. Diese neuartige und bereits in An- Tumore und immunologisch bedingte ben zum Ziel, zunächst im Tiermodell ein wendung befindliche Methode verringert Krankheiten gesammelt. Dabei ist es ge- therapeutisches Prinzip zu entwickeln, das die Anzahl der notwendigen Spendertiere lungen, die Toleranzinduktion mit mono- später auf den Menschen übertragen wer- deutlich. klonalen Antikörpern gegen menschliche den kann. Ein weiteres Beispiel zur Reduktion der Zelloberflächenmoleküle in ein Tiermodell Das Tier ist, wie die wenigen Beispiele zei- Spendertierzahl kommt aus dem Carl-Lud- zu übertragen. Dies ist ein erheblicher Fort- gen, ein äußerst wertvoller und wichtiger wig-Institut für Physiologie (Direktor Prof. schritt, da immunologische Therapieprin- Partner des Menschen im Kampf gegen Zimmer). Hier werden aus Rattenherzen zipien nicht nur im Reagenzglas geprüft Krankheiten und dem damit verbundenen Herzmuskel- und Bindegewebszellen iso- werden können. Als nächster Schritt soll Leiden. Die Verpflichtung, die wir dem liert. An diesen führen die Wissenschaftler ein komplettes menschliches Immunsys- Tier auferlegen, ist gleichfalls Verpflich- pharmakologische Studien durch, in denen tem in eine Maus übertragen und dort zur tung für uns, es respektvoll und artgerecht molekularbiologische Parameter wie z. B. Funktion gebracht werden. zu behandeln sowie versuchsbedingte Be- Zytokine und Komponenten der extrazel- Ab 2003 steht das durch das Institut für lastungen mit allen zur Verfügung stehen- lulären Matrix gemessen werden. Klinische Immunologie und Transplanta- den Mitteln zu minimieren. Dieser Auf- tionsmedizin (Direktor Prof. Emmrich) gabe haben wir uns gemeinsam mit den Beispiel Parkinson und die Chirurgische Klinik und Poliklinik Wissenschaftlern, die in dem Zentrum ar- für Abdominal-, Transplantations-und Ge- beiten, gewidmet. An den folgenden Beispielen soll exem- fäßchirurgie (Direktor Prof. Hauss) ent- plarisch gezeigt werden, wie die in den ver- wickelte Verfahren zur Induktion immuno- Die Injektion in den Bauchraum ist gangenen Jahren mit Hilfe unterschied- logischer Toleranz für den klinischen Ein- eine schonende Applikationsart bei licher Tiermodelle durchgeführten wissen- satz bei Organtrans- Mäusen. schaftlichen Studien weiterführend zum plantationen zur Verständnis und zur Therapie von ver- Verfügung. Für Pa- schiedenen Erkrankungen des Menschen tienten kann dies be- beigetragen haben: deuten, dass nach der Der Morbus Parkinson ist eine der häufig- Organtransplantation sten neurologischen Erkrankungen und keine lebenslange Im- führt trotz effektiver symptomatischer The- munsuppression mehr rapie nach einigen Jahren zu schweren erforderlich ist. Beeinträchtigungen der Beweglichkeit. Bei dieser Erkrankung sterben eine relativ ge- Beispiel ringe Anzahl dopaminerger Neurone. Diese dopaminergen Neurone wurden bei Alzheimer ca. 350 Patienten durch Implantate embry- Die Alzheimersche onalen Mittelhirngewebes ersetzt, was zu Erkrankung ist heute einer deutlichen Besserung der Parkinson- eines der vorrangig- Symptome führte. Leider steht diese The- sten gesundheitspoli-

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Neue Sexualität durch Neue Medien Von der Computerliebe bis zur Sucht

Von Dr. Kurt Seikowski, Andrologische Abteilung der Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten

Das Thema Sexualität gewinnt in den Aber auch neue Formen der Kommunika- Das Internet wurde mittlerweile auch zum Neuen Medien an zunehmender Bedeu- tion werden vielfältig genutzt: SMS als Tummelplatz für ungewöhnliches Sexual- tung. So steigt z. B. im Internet die Anzahl Kurzmitteilungen per Handy sind aus dem verhalten, dass früher als „pervers“ be- der Seiten zu diesem Thema rasant an. Un- Alltagsleben vor allem jüngerer Personen trachtet wurde: Fetischisten, Voyeure, Pä- ter der Suchmaschine google.de und dem kaum noch wegzudenken. Da trauen sich dophile, Nekrophile u. a. tauschen Bilder Stichwort „Sex“ wurden am 10. 10. 2001 viele dem anderen mal schnell zu schrei- aus, diskutieren über ihre Vorlieben in 408 000, am 13. 10. 2002 1170 000 und am ben, dass sie ihn lieben, was sie sich von Chats. Man kann dort mittlerweile alles 08. 05. 2003 bereits 2150000 deutsche Angesicht zu Angesicht oder per Stimme bekommen, was man sich vorstellen kann Internetseiten gefunden. am Telefon vorher nicht trauten. Allerdings – bis an den Rand der Kriminalität. Beim Stichwort „Fetischismus“ ist es nicht sind dadurch längere romantische Liebes- Auch existieren für sexuelle Minderheiten anders. Zu den gleichen Zeitpunkten wur- briefe, die man sich früher schrieb, jetzt virtuelle Selbsthilfegruppen, wo sich Per- den 3960, dann ein Jahr später bereits eher out. In sexueller Hinsicht sind natür- sonen untereinander verständigen, wie sie 31800 und im Mai diesen Jahres schon lich auch die MMS-Möglichkeiten interes- besser mit ihrer Veranlagung zurechtkom- 61100 Seiten registriert. sant, wo per Handy auch gerade digital ge- men können, wie sie für sich einen diesbe- Offenbar schaffen die Neuen Medien die schossene Bilder verschickt werden kön- züglichen Leidendruck reduzieren können. Möglichkeit, eigenen sehr individuellen nen. Das eröffnet auch neue Möglichkeiten Das ist neu und würde in realen Selbst- sexuellen Interessen mehr nachgehen zu für Voyeure. So kann man einer Frau das hilfegruppen nicht funktionieren, da man können wie vorher. So wird der Computer Handy unter den Rock halten, schnell ein sich kaum öffentlich zeigen würde. zu einem Freund, der als vermittelnder Bild schießen und es dem Kumpel über- Aber auch neue Krankheitsbilder sind die Sexualpartner fungiert. Über ihn erhält mitteln. Auch existieren schon Ferngläser Folge. So haben wir seit etwa zwei Jahren man Einblick in neue sexuelle Bezie- mit eingebauter Digitalkamera – Geheim- mit dem Krankheitsbild der Kinderporno- hungswelten, die vorher nur in der Phanta- dienstmöglichkeiten für jedermann. graphieinternetsucht zu tun. Dabei handelt sie existierten – und die nun materialisiert es sich nicht nur um Pädophile, die der betrachtet werden können. Doch in der Sucht erlegen sind, sondern auch um Per- eigenen Partnerbeziehung kann es dadurch Mitte Mai fand an der Universität Leip- sonen, die diese Seiten anklicken und das zu Konflikten kommen. zig die 3. Fachtagung der Gesellschaft Gefühl haben, dass das etwas mit ihnen In unserer Beratungsstelle haben wir zu- für Sexualwissenschaft in Zusammen- selbst zu tun hat – und dann im Verlauf der nehmend mit derartigen Konflikten zu tun. arbeit mit der Klinik und Poliklinik für Zeit plötzlich ein verdrängter sexueller – Wenn der Computer wichtiger wird als Hautkrankheiten der Universität statt. Missbrauch in der Kindheit wachgerüttelt die eigene Ehefrau und vielleicht dann Die Tagung widmete sich dem Thema wird, durch den sie in der Folge depressiv auch noch im Schlafzimmer steht, sind wir „Sexualität und Neue Medien“. dekompensieren. mit einer neuen Form der Eifersucht kon- Dr. Kurt Seikowski, Autor des nebenste- Es ist eher verfrüht, die vielen neuen frontiert (der Computer in der Dreiecks- henden Textes, hielt bei dieser Gelegen- sexuellen Beziehungswelten zu bewerten. beziehung), die „Maschinenstürmeraus- heit nicht nur einen Vortrag, sondern Aus meiner Sicht zeigt sich aber, dass die maße“ annehmen kann, indem die elektri- wurde auch für die nächsten drei Jahre schon immer existierende phantasierte schen Leitungen zerschnitten werden oder als Vorsitzender der Gesellschaft für Sexualität durch die Neuen Medien zuneh- heimlich Email- und Chatadressen des Sexualwissenschaft wiedergewählt. mend mehr an Bedeutung gewinnt und Partner oder der Partnerin, heruntergela- Die Gesellschaft im Internet: neben der Hetero-, Homo-, Bi- und Auto- dene pornographische Bilder bzw. Filme www.sexualwissenschaft.org sexualität als eigenständige Form der gelöscht werden. Sexualität aufzufassen ist.

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Toxikologisches Tropenökologie Zentrum Studenten in Brasilien gegründet Das kürzlich an der Universität Leipzig etablierte Toxikologische Zentrum will durch interdisziplinäre Zusammenarbeit die auf Giftstoffe bezogene Forschung und Ausbildung auf eine neue Stufe heben. Schwerpunkte der wissenschaftlichen Ar- Kleine Bucht der Ihla Grande. Zwei hochkomplexe Ökosysteme stoßen hier auf- einander: Artenreicher Küstenregenwald und tropisches Korallenriff. beit werden toxische Umweltfaktoren und Foto: Dr. Dietmar Sattler Gesundheit sowie toxikologische Aspekte der Lebensweise sein. Direktor des Zen- Vom 28. März bis 15. April 2003 fand im Estadual do Rio de Janeiro (UERJ) statt, trums ist Prof. Dr. Werner Johann Klee- Rahmen der Tropenökologieausbildung in mit der die Universität Leipzig vor einigen mann, Direktor des Instituts für Rechtsme- Zusammenarbeit mit dem Lateinamerika- Jahren ein Kooperationsabkommen abge- dizin der Medizinischen Fakultät. zentrum (LAZ) eine Brasilienexkursion schlossen hat und deren Studenten an den Das Zentrum ist eine zentrale Einrichtung statt, an der 16 Studenten und 2 Lehrkräfte Kursen und der Feldarbeit teilnahmen. der Universität. Mitglied können Einrich- teilnahmen. Ziel der Reise war es die wich- Das Abkommen wurde bei dieser Gele- tungen und Angehörige der Universität tigsten Lebensräume der Mata Atlantica, genheit weiter verhandelt und den aktuel- werden, die ein begründetes wissenschaft- dem brasilianischen Küstenregenwald und len Gegebenheiten angepasst. Es wurden liches Interesse an grundlagenorientierter der offenen Campos-region zu zeigen, wo dabei weitere Forschungskooperationen oder angewandter Toxikologie haben. Das Forschungsprojekte der Univ. Leipzig lau- und Austauschprogramme vereinbart. Die Zentrum vereint bereits die entsprechen- fen. Gleichzeitig wurde die Gruppe von exzellente Forschungsstation auf der Ilha den Bereiche der Fakultäten für Medi- einer Gastprofessorin aus Recife (Prof. Dr. Grande stand der Leipziger Gruppe zur zin, Veterinärmedizin, Biowissenschaften, A. Benko-Isppon) begleitet. Enge Kon- Verfügung, wo sie vom Chef Prof. Dr. José Pharmazie und Psychologie, sowie Chemie takte fanden auch mit der Universidade Marques empfangen wurde. und Mineralogie. „All diese Einrichtungen zusammengenommen, kann Leipzig mit einer enormen Kompetenz in Sachen Toxi- Der neue Stadtumbau-Studiengang kologie aufwarten“, so Kleemann. Forschungsschwerpunkte werden toxische Ab kommendem Oktober (WS 2003/2004) Besonderheit stellt die angestrebte Akkre- Umweltfaktoren und Gesundheit sowie bietet die Wirtschaftswissenschaftliche Fa- ditierung durch die Royal Institution of toxikologische Aspekte der Lebensweise kultät den zweijährigen postgradualen Chartered Surveyors (RICS) Deutschland sein. Das Spektrum reicht vom Umgang Vollzeitstudiengang Master of Science in dar. mit Medikamenten und Drogen in der Hu- ‚urban management‘ an. (s. a. Uni-Journal Das Studium wird in didaktischer Hinsicht manmedizin, über Umweltfragen bei den 2/03). Ziel des Studienganges ist die syste- durch eine Kombination aus systemati- Biowissenschaftlern bis zu Aspekten des matische Einführung in die Grundlagen scher Wissensvermittlung und Projektbe- Tierfutters bei den Veterinärmedizinern. zeitgemäßer Stadtentwicklung und das arbeitung bestimmt. Weiterhin sollen durch „Unter einem Dach vereint, erhoffen wir Aufgabenfeld des Stadtumbaus. Dabei internationale Kooperationen, z. B. mit den uns, komplexere Fragen stellen zu können werden Kompetenzen und Fertigkeiten für Universitäten Warschau und Tirana, neu- und diese aus der Verschiedenartigkeit der den Umgang mit modernen Planungsin- artige Lösungsansätze generiert werden. Wissenschaftsbereiche umfassender zu be- strumenten und -techniken vermittelt, um Der Aufbau des Studiengangs ist modular. antworten“, so Kleemann. den wirtschaftlichen und demografischen Er setzt sich aus sieben Modulen zusam- Das Zentrum, dessen Mitglieder personell Strukturwandel zu erfassen und in der Pla- men, die die übergeordneten Themenge- und räumlich in ihren bisherigen Arbeits- nung und Projektierung berücksichtigen zu biete Urbanistik und Baukultur, Gesell- bereichen verbleiben, wird auf Wunsch sei- können. Vor diesem Hintergrund ergibt schaft, Wirtschaft, Infrastruktur und Um- ner Mitglieder auch die Einwerbung und sich die Intention des Master of Science in welt, Planen und Bauen, Verfahren und Verwaltung von Drittmitteln für gemein- ‚urban management’: Interdisziplinarität, Instrumente sowie Recht beleuchten. Pro same Projekte übernehmen. Internationalität und Praxisbezug. Semester werden jeweils zwei Module an- Neben einer Forschungsplattform will das Das Studienangebot ist gemäß des europa- geboten. Des weiteren stellt die Master- Zentrum auch Ausbildungs-Koordinator weiten Leistungspunktesystems ECTS auf- arbeit einen wesentlichen Bestandteil des sein. Die Ausbildung findet als Graduier- gebaut und soll durch eine entsprechende Studiengangs dar. tenkolleg „Molekulare und zelluläre Toxi- Agentur akkreditiert werden. Dies impli- kologie“ und als Postgradualstudium „To- ziert auch die Möglichkeit für Studienteil- Weitere Informationen finden Sie unter xikologie und Umweltschutz“ statt. Letz- nehmer, angloamerikanische Abschlüsse www.uni-leipzig.de/ibbs/. teres wird in Form eines Master-Studien- zu erlangen und nach einer Konsolidie- Weitere Anfragen können Sie an ganges an der Medizinischen Fakultät rungsphase des Programms eine zweispra- info.stadtentwicklung@wifa. angesiedelt. Marlis Heinz chige Ausbildung wahrzunehmen. Eine uni-leipzig.de richten.

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Zwischen Seminar und

Diskussionsforum auf offener Straße: Vor drei Jahren fand am Hörsaalgebäude Salon die „Aktion Spielplatz“ statt. Foto: Matthias Schumann

Leipziger klärt, wenn man mehr über die Idee erfährt. Und nicht umsonst ist der 30-jährige Ber- tram Haude inzwischen Student an der Studenten bei Hochschule für Grafik und Buchkunst, nachdem er bis zum ersten Staatsexamen Hochschul- an der Universität Leipzig Sonderpädago- gik und Kunstpädagogik studiert hatte. Die wettbewerb 26-jährige Kathrin Franke belegt an der Uni die Fächer Politikwissenschaft, Sozio- logie sowie Ost- und Südosteuropawissen- in Finalrunde schaften. Den Grundstein zum aktuellen Erfolg, „Der Ausgangspunkt allen erfolgreichen beim Wettbewerb „Küss die Uni wach“ mit Arbeitens ist das persönliche Gespräch. Da ihrem Konzept in die Endrunde gekommen wird etwas losgetreten“, sagt Bertram zu sein, haben Franke und Haude vor drei Haude voller Überzeugung. „Daher muss Jahren zusammen mit zwei Kommilitonen Kathrin Franke und Bertram Haude. man die Menschen zusammenführen“, er- gelegt. Damals veranstalteten sie eine Wo- Foto: Randy Kühn gänzt Kathrin Franke. Die beiden Leipzi- che lang draußen vor dem Hörsaalgebäude ger Studenten haben sich ein Konzept über- die „Aktion Spielplatz“. Sie luden Wissen- legt, ein Konzept für neue Denkräume, ein schaftler, Studenten und Künstler ein, auf Menschen ganz verschiedener Disziplinen Konzept mit dem Titel „o. T.“ – ohne Titel. Sofas und Sesseln Platz zu nehmen und zusammenkommen. Ohne Zwänge, ohne Das mutet fast künstlerisch an, was sich er- über Grenzbereiche zwischen Wissen- Hierarchien, ohne frontale Ansprachen. schaft und Kunst zu sprechen. In die Mitte So etwas müsse eine Hochschule bieten, „Küss die Uni wach“ stellten sie eine mit Papier bespannte Platt- aber „das Wagnis von Rede und Gegenrede form in Tischhöhe, auf der Zuhörer und findet kaum Entfaltung“, meinen die bei- Unter dem Slogan „Küss die Uni wach – Referenten ihre Ansichten niederschreiben den Denker. Den Einwand, der Austausch Ideen für die Hochschule von morgen“ konnten. „Es hat funktioniert. Es wurde finde bereits in unzähligen Seminaren und hatte das Centrum für Hochschulent- eifrig diskutiert und Passanten blieben ste- wissenschaftlichen Foren statt, nehmen die wicklung (CHE) im Oktober 2002 Stu- hen und beteiligten sich. Ob das auch bei Studenten in ihrem Konzeptpapier vorweg. dierende aufgefordert, innovative Kon- der Umsetzung der Weiterentwicklung der Diesen „Netzwerken“ unterstellen sie „fixe zepte zur Hochschulreform zu entwi- Idee klappen würde, ist schwer zu sagen“, Horizonte“ und einen wenig stimulie- ckeln. Mehr als 100 Einsendungen von meint Kathrin Franke. renden „Frage-Antwort-Konnex“. Ihnen über 200 Autoren trafen daraufhin beim Der Vorschlag der Studenten lautet: In Se- schwebt etwas vor, das offen ist, fast pri- CHE ein. Eine Jury hat sechs Beiträge minar- oder Hörsaalgebäuden sollte es vaten Charakter hat, aber dennoch im öf- für die Endrunde ausgewählt – darunter Räume geben, die zum Dialog einladen. fentlichen Raum Universität stattfindet. den nebenstehend beschriebenen zweier Konzentrationsräume, wo Leerstellen sind. „Wir sind da recht idealistisch range- Leipziger Studenten. Zum Zeitpunkt des Bestehend aus gemütlichen Sitzgruppen, gangen“, konstatiert Kathrin Franke. „Da- Redaktionsschlusses dieses Uni-Jour- aber auch dem Tischelement mit Papier, her haben wir auch nicht damit gerechnet, nals stand leider noch nicht fest, welche Präsentationsmöglichkeiten, einem klei- bei dem Wettbewerb ausgewählt zu werden Konzepte die Plätze eins bis drei belegen nen Regal. Eine Mischung aus Seminar- mit einem Konzept, das mit Kosten-Nut- und somit mit Geldprämien bedacht wer- raum und Salon schwebt den Studenten zen-Denken nichts zu tun hat“ sagt Ber- den. Informationen über den Ausgang vor. „Wir wollen eine Arbeitsatmosphäre tram Haude. Der Erfolg beim Wettbewerb des Wettbewerbs und über die sechs schaffen, aber nicht Arbeit im Sinne von macht ihnen aber Mut: „Vielleicht werden Final-Konzepte stehen im Internet unter Malochen“, beschreibt Kathrin Franke das wir ja nun eingeladen, das irgendwo zu www.kuess-die-uni-wach.de Ziel. Dort könnten Gedanken aus Semina- realisieren.“ ren weitergesponnen werden und vor allem Carsten Heckmann

Heft 4/2003 29 Personalia

Ein Leipziger von Weltruf Nachruf auf Ehrendoktor Sir Bernard Katz

Es mussten 54 Jahre vergehen, ehe der Prüfungen bestand Katz mit „gut“. Das frühere Medizinstudent Bernard Katz* Diplom, so der universitäre Nachweis vom und Schüler des Physiologen Martin Gilde- 8. Jan. 1935, „wurde ausgehändigt.“ Die meister (1876–1943) an die Universität Arbeit selbst ist von der Medizinischen seiner Heimatstadt Leipzig zurückkehrte. Fakultät mit dem Siegfried-Garten-Erinne- Im dicht gefüllten Hörsaal 18 hielt er auf rungspreis ausgezeichnet worden. An eine Einladung des Internationalen Neurowis- feste Anstellung von Katz am Physiologi- senschaftlichen Zentrums der Universität schen Institut ist nicht mehr zu denken. im April 1989 einen Fachvortrag. Man Sein Lehrer Gildemeister wird zunehmend hatte ihn nicht vergessen. Es ist das Ver- von NS-Studenten angegriffen, weil er den dienst von Dietmar Biesold (1925–1991) Juden Katz in seiner Vorlesung dulde. Be- und des damaligen Rektors Horst Hennig, reits am 4. August 1933 hatte Bernhard die Ehrenpromotion des Nobelpreisträges Katz den Vorsitz in der Verbindung jüdi- von 1970 Sir Bernard Katz vorbereitet zu scher Studenten „Hatikwah“ nach massi- haben. Am 26. Juli 1990 verleiht der wis- ven Druck der Universitätsleitung aufge- senschaftliche Rat der Karl-Marx-Univer- ben und die Organisation im Kartell jüdi- sität Leipzig Sir Bernard Katz die Würde Bernard Katz scher Verbindungen auflösen müssen. Er eines Ehrendoktors der Medizin. Unter den Foto: © The Nobel Foundation gehörte ihr seit 1929 an. zahlreichen Auszeichnungen werden dem Auf persönliche Empfehlung von Gilde- Laureaten, emeritierter Professor für Bio- handelsgeschäft des Vaters befand sich in meister und durch Vermittlung von Chaim physik des University College der Univer- der Nikolaistraße 31. Weizmann, dem späteren ersten Präsiden- sität London und Fellow of the Royal Unter der Fürsorge und dem besonderen ten des Staates Israel, emigriert Bernard Society, vom Rektor a. I. Gerald Leutert Schutz von Martin Gildemeister konnte Katz im Februar 1935 nach England. 1938 und dem Dekan der Medizinischen Fakul- Katz, trotz des um sich greifenden NS-Un- konnten seine Eltern nachfolgen. Bei dem tät Gottfried Geiler hervorragende „wis- geistes, am 22. Nov. 1934 mit der Arbeit Physiologen und Nobelpreisträger Archi- senschaftliche Leistungen in der Biophysik „Der Einfluss der Dehnung und Span- bald Vivian Hill (1886–1977) findet der und Neurobiologie, insbesondere bei der nungsänderung des Muskels auf seine Per- 24-jährige Katz eine Anstellung am Uni- Erforschung grundlegender Prinzipien der meabilität“ zum Dr. med. promovieren. versity College der Universität London, das synaptischen Transmission“, sowie der Das zweite Gutachten erstellte der Phar- nach einer längeren Tätigkeit in Australien Anerkennung „großer Verdienste bei der makologe Oskar Gros. Die mündlichen 1946 wieder seine Wirkungsstätte wird. Förderung der internationalen Zusammen- 1952 tritt er die Nachfolge seines Förderers arbeit der Wissenschaftler verschiedener Hill als Professor für Biophysik an. Länder in der Neurobiologie“ beschei- 1969, ein Jahr vor der Verleihung des No- nigt.m belpreises, den er gemeinsam mit Julius Bernard Katz wird am 26. März 1911 als Axelrod und Ulf Svante von Euler Sohn der russisch-jüdischen Eltern Max (1905–1983) erhielt, erhebt Königin Elisa- und Eugenie Katz, geb. Rabinowitz, in beth II. von England den herausragenden Leipzig geboren. Sein Vater behält für sich Physiologen in den Adelsstand. Noch zu und die Familie die russische Staatsan- Lebzeiten im Jahre 2000 ehren seine Ge- gehörigkeit bei. „Nach dem ersten Welt- burtsstadt Leipzig, die Medizinische Fa- krieg“, schreibt Katz, „galten wir als kultät der Universität und der Bund der ,feindliche Ausländer‘, nach der Oktober- Albertiner den großen Gelehrten mit einer revolution waren wir plötzlich staatenlos.“ bronzenen Tafel auf Stein in der Parkanlage Das erleichterte später die Ausreise aus der Medizinischen Fakultät in der Liebig- Nazideutschland und die Einreise nach straße. Sir Bernard Katz ist am 23. April England, weil er nicht als feindlicher Aus- 2003 in London gestorben. Die Universität länder galt. wird ihren Studenten, Promovenden und Am König-Albert-Gymnasium legt Katz Gelehrten von Weltruf stets in dankbarer das Abitur ab und studiert ab 1929 in Leip- Erinnerung behalten. Gerald Wiemers zig Medizin. Auch als Student wohnt er bei Gedenktafel für Bernard Katz im Park * Solange Katz in Deutschland lebte, schrieb er den Eltern in der König-Johann-Str. 13, der des Universitätsklinikums. seinen Vornamen mit „h“, nach der Emigra- Foto: Carsten Heckmann heutigen Tschaikowskistraße. Das Pelz- tion dann ohne „h“.

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Neu Neu Neu berufen: berufen: berufen: Jens-Karl Eilers Matthias Müller Th. Mellewigt möchte an die neurophysiologische For- besetzt seit 1. April den Lehrstuhl für All- ist seit April Inhaber der Professur für Be- schung anknüpfen, die in Leipzig eine gemeine Psychologie und Methodenlehre. triebswirtschaftslehre, insbesondere Orga- lange und fruchtbare Tradition hat. Der aus Dessen Attraktivität ergab sich für Prof. nisation. Eben dieses Fach hat der heute Cuxhaven stammende Eilers wurde jetzt Müller „auch durch die Nähe zum Max- 40-Jährige von 1985 bis 1990 an den Uni- als C4-Professor an das Carl-Ludwig-Ins- Planck-Institut für Kognitive Neurowissen- versitäten von Paderborn und Illinois (Ur- titut für Physiologie an der Medizinischen schaften“. Der Psychologe möchte in bana-Champaign) studiert. Für seine 1995 Fakultät berufen. Zuletzt hatte er als Hei- Leipzig Fächergrenzen und die damit abgeschlossene Promotion zum Thema senberg-Stipendiat am Max-Planck-Insti- verbundenen Barrieren überwinden. „For- „Konzernorganisation und Konzernfüh- tut für Hirnforschung in Frankfurt/Main schungsvorhaben müssen nicht an Fä- rung – eine empirische Untersuchung bör- gearbeitet. Zuvor war er ebenfalls als Hei- chern, sondern an Problemen definiert sennotierter Konzerne“ wurde Thomas senberg-Stipendiat an der Duke University werden“, sagt der 42-Jährige. Und: „Die Mellewigt 1998 mit dem Förderpreis der in Durham/USA. Zusammenführung herkömmlicher Fächer Stinnes-Stiftung ausgezeichnet. Seine Ha- Eilers interessieren vor allem die Prozesse in den Neurowissenschaften scheint mir bil-Schrift aus dem Jahre 2002 trägt den des Lernens und der Gedächtnisbildung. Er eine einmalige Möglichkeit zu sein, die Titel „Management und Erfolg von Strate- untersucht die „Berührungsorte“ der Zellen Barrieren aufzuweichen.“ gischen Kooperationen in der Telekommu- nach den Stellen, an denen die Zellen Er will dazu die modernen Kognitiven nikationsbranche: Eine empirische Unter- miteinander kommunizieren. Er verwendet Neurowissenschaften in den Ausbildungs- suchung auf der Basis des ressourcen- dazu Versuchstiere, in deren Hirngewebe plan der Allgemeinen Psychologie inte- orientierten Ansatzes“. fluoreszierende Proteine eingebracht wur- grieren, in Kooperation mit anderen Fach- Prof. Mellewigts Werdegang ist verbunden den, die einzelne Nervenzellen grün auf- bereichen ein fächerübergreifendes Gradu- mit dem von Prof. Rolf Bronner. An des- leuchten lassen. Mithilfe hochauflösender iertenkolleg aufbauen sowie bei der Bean- sen Paderborner Lehrstuhl für Organisa- Fluoreszenzmikroskopie erforscht er die tragung eines Sonderforschungsbereiches tion und Entscheidung war Mellewigt von Schaltmechanismen der Nervenzellen und mitwirken. 1988 bis 1990 studentischer Mitarbeiter. folgert daraus auf die Mechanismen, die Matthias M. Müller hat in Tübingen und 1991 wurde er wissenschaftlicher Mitar- neuronalen Lernvorgängen zu Grunde lie- Stony Brook (USA) Psychologie studiert. beiter, später wissenschaftlicher Assistent gen. „Fest steht, dass es bei Patienten, Er promovierte zum Thema „Emotion und an Bronners Lehrstuhl für Allgemeine denen ein Arm amputiert werden musste, Herz-Kreislauferkrankungen. Psycho- Betriebswirtschaftslehre und Organisa- zu Veränderungen in der Großhirnrinde physiologische Determinanten von Ärger- tion der Johannes-Gutenberg-Universität kommt“, erläutert Eilers. „Ähnliche Verän- und Ärgerverarbeitung und deren Beitrag Mainz. derungen untersucht meine Arbeitsgruppe zur Pathogenese von essentieller Hyperto- Kein Wunder, dass der 40-Jährige als einen an Mäusen, denen die sensorisch wichtigen nie“ und habilitierte sich mit einer Venia Grund für seinen Wechsel nach Leipzig die Tasthaare an der Schnauze rasiert wurden.“ legendi für das Fach Psychologie. Seine „passende Widmung der Professur“ angibt. Seine mikroskopischen Methoden hält Ei- erste wissenschaftliche Tätigkeit nahm er An der Uni Leipzig könne er das Lehran- lers auch in anderen Bereichen für anwend- an der Universität Tübingen auf, bevor er gebot um ein grundlegendes Fach in der bar. Er will einen Schwerpunkt für optische 1990 an die Universität Konstanz wech- Betriebswirtschaftslehre bereichern, „wel- Verfahren der Grundlagenforschung bil- selte. Dort wurde er 1994 wissenschaft- ches hier lange nicht besetzt war“. Er wolle den. Ziel des Physiologen ist auch, Schüler licher Assistent und blieb es fünf Jahre. „einen kleinen Beitrag leisten, damit es an für die Hirnforschung zu begeistern. So Von Januar 2000 bis März 2003 hatte er den der Universität Leipzig die beste betriebs- plant er, Schulvorträge einzuführen. Lehrstuhl für Kognitive Neurowissenschaf- wirtschaftliche Ausbildung in Sachsen Wie viele andere Wissenschaftler reizen ten an der Universität Liverpool inne. Seit gibt“ und „empirische Organisations- und Eilers insbesondere die vielfältigen Inter- Oktober 2001 fungierte er dort auch als Managementforschung auf internationa- aktionsmöglichkeiten innerhalb der Fakul- Direktor des multidisziplinären Zentrums lem Niveau“ betreiben. tät und der Universität, aber auch mit den für Kognitive Neurowissenschaften. Wenn der gebürtige Nordrhein-Westfale hiesigen Max-Planck-Instituten. Müllers private Interessen erstrecken sich nicht forscht oder lehrt, dann läuft er gern Im Moment widmet sich Prof. Eilers ver- auf viele Bereiche. Eine Auswahl: Kochen, – und lang. Als Hobby gibt er schlicht „Ma- stärkt der Wohnungssuche, weil seine Frau Wein, Single Malt Whiskys, Langstrecken- rathon“ an. Seine Bestzeit: 3 Stunden und und sein 15-jähriger Sohn möglichst schnell laufen, Gleitschirmfliegen, Skifahren. 56 Minuten, aufgestellt in Köln 2001. in Leipzig heimisch werden wollen. B.A. C. H. C. H.

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Zentralasienwissenschaften Seine Antrittsvorlesung hielt er zum Dr. Petrik Galvosas, Institut für Experi- Thema „Bindung und Freiheit – Struktur- mentelle Physik I, der zurzeit zu einem Gastdozent aus probleme der Erwachseneneinbildung un- Post-Doc-Aufenthalt an der Victoria-Uni- ter dem Gebot der Öffentlichkeit“. versität im neuseeländischen Wellington der Mongolei Otto hatte seine Geburtsstadt Leipzig 1953 weilt, hat für seine Dissertation den „För- Wie schon in vergangenen Semestern kann verlassen und war 2002 an die Pleiße zu- derpreis 2003 für allgemeine Ingenieur- das Institut für Indologie und Zentral- rückgekehrt. 1968 gründete der gelernte und Naturwissenschaft“ des Vereins Deut- asienwissenschaften die Qualität des Stu- Schriftsetzer in seinem Wohnort Raunheim scher Ingenieure, Bezirk Leipzig, erhalten. diums durch einen Gastdozenten aus der (Hessen) eine Volkshochschule und begann Seine Dissertation trägt den Titel „PFG Mongolei steigern. Institutsdirektor Prof. 1970 als frischgebackender Dr. phil. im NMR-Diffusionsuntersuchungen mit ultra- Dr. Per K. Sørensen und der Fachvertreter Fach Politische Wissenschaft sein zweites hohen gepulsten magnetischen Feldgra- für Mongolistik Dr. Klaus Koppe begrüß- und eigentliches Arbeitsleben im Deut- dienten an mikroporösen Materialien“. ten Anfang April Prof. Jantsan Bat-Ireedui. schen Volkshochschul-Verband, dem er bis Der 40-jährige Wissenschaftler war bis De- zu seiner Pensionierung 2002 in verschie- Prof. Dr. Wolfgang F. Schwarz, Institut zember 2002 Dekan der Fakultät für Mon- denen Ämtern diente. für Slavistik, Fachrichtung Westslavistik, golische Sprachen und Kulturen der Mon- Nachdem er bereits im Sommersemester wurde auf der konstituierenden Sitzung der golischen Staatsuniversität in Ulaanbaatar 1996 einen Lehrauftrag an der Universität Gesellschaft für Bohemistik e.V., Mün- und zeichnet sich neben seinen wissen- Leipzig wahrgenommen hat, wird er nun chen, am 27. 02. 2003 zum Stellvertreten- schaftlichen Leistungen durch Lehrtätig- als Honorarprofessor der universitären Er- den Vorsitzenden gewählt. Zweck der Ge- keiten an internationalen Universitäten, wachsenenbildung in Leipzig noch enger sellschaft ist die Förderung der Wissen- u. a. in Cambridge und Leads, aus. Prof. verbunden sein. schaft von tschechischer Sprache, Literatur Jantsan Bat-Ireedui war bereits im Winter- und Kultur in der Bundesrepublik Deutsch- semester 01/02 als Gastdozent für drei Mo- land, anderen deutschsprachigen Ländern nate an der Universität Leipzig tätig. Jetzt Ausländerbeauftragter und in der Tschechischen Republik. setzten Prof. Dr. Per K. Sørensen und Dr. Klaus Koppe das scheinbar Unmögliche Wolfram Herold Dr. Peter Müller, Klinik und Poliklinik für durch und erreichten – trotz Haushalts- Kinder und Jugendliche, erhielt den Artur- sperre – mit Hilfe des Deutschen Akade- macht weiter Schlossmann-Preis der Sächsisch-Thürin- mischen Austausch Dienstes (DAAD) Dr. Wolfram Herold bleibt bis Jahresende gischen Gesellschaft für Kinderheilkunde einen einjährigen Aufenthalt des mongoli- Ausländerbeauftragter der Universität und Jugendmedizin für seine Habilita- schen Wissenschaftlers. Leipzig. Herold feierte zwar am 10. Juni tionsarbeit zum Thema „Quantitative Mul- Der wiederholte Aufenthalt von Prof. Bat- seinen 65. Geburtstag und scheidet somit tiparameteranalysen des Intermediärstoff- Ireedui als Gastdozent ist auch Ausdruck aus dem Institut für Medizinische Physik wechsels mit massenspektrometrischen der guten Zusammenarbeit der Fakultät für und Biophysik aus, traf aber eine Verein- Methoden bei Früh- und Neugeborenen in Mongolische Sprachen und Kulturen der barung über die Fortführung seiner Auf- Abhängigkeit vom Reifegrad und von pe- Staatsuniversität mit der hiesigen Fakultät gabe als Interessenvertreter der ausländi- rinatologischen Komplikationen“. für Geschichte, Kunst- und Orientwissen- schen Universitätsangehörigen. Diese schaft. Anita Faltermann Funktion übt Herold seit 1991 aus. Schon Dr. Jan Vosahlo aus Prag ist zur Zeit Gast seit 40 Jahren kümmert er sich um Auslän- an der Klinik und Poliklinik für Kinder und der an der Universität: 1963 wurde er Be- Jugendliche. Er erlernt bei Prof. Roland treuer der ausländischen Medizinstuden- Pfäffle die wissenschaftlichen Methoden Erziehungswissenschaften ten. zur Bestimmung der genetischen Ursachen eines isolierten Wachstumshormonman- Honorarprofes- gels und eines kombinierten Hypophysen- vorderlappendefektes und untersucht dabei sor ernannt Kurz gefasst besonders Proben seiner Prager Patienten. Die Erziehungswis- Der isolierte Wachstumshormonmangel senschaftliche Fa- Prof. Dr. Gisela Mohr, Institut für Ange- äußert sich in Kleinwuchs; der kombinierte kultät der Univer- wandte Psychologie, hat von der DFG eine Hypophysenvorderlappendefekt geht ein- sität Leipzig beging Weiterbewilligung für das Forschungspro- her mit Kleinwuchs und weiteren hormo- die Ernennung des jekt „Befindensbeeinträchtigung: Irrita- nellen Störungen. langjährigen Direk- tion“ erhalten. Dipl.-Psychologe Andreas tors der Deutschen Müller wird das Projekt führen, bei dem Prof. Dr. Hans-W. Fischer-Elfert (Ägyp- Volkshochschul- ein Messverfahren für die psychischen tologisches Institut /Ägyptisches Museum) Verbandes Dr. Vol- Folgen von Stress am Arbeitsplatz für den unterrichtet im Winter 2003/4 im Rahmen ker Otto zum Hono- internationalen Einsatz weiterentwickelt seines Forschungsfreisemesters als visiting rarprofessor für Er- Volker Otto wird. Das Verfahren kann somit eingesetzt professor an der Yale University. wachsenenpädago- werden z. B. in der vergleichenden be- gik am 14. 5. 2003 mit einem akademischen trieblichen Gesundheitsforschung und Ge- Festakt im Festsaal des Alten Rathauses. sundheitsförderung.

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Nehemia auf der Geburtstage Theologische Fakultät 60. Geburtstag Geburtstagsfeier PD Dr. Gerhard Graf, Institut für Kirchen- Günther Wartenberg 60 geschichte, am 25. Juni Juristenakultät 60. Geburtstag Petzoldt, um die Errichtung der äußeren Prof. Dr. Helmut Goerlich, Lehrstuhl für Bedingungen des Gemeinwesens, aber Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungs- auch um die Initiative eines inneren Wil- recht, Verfassungsgeschichte und Staats- lens zur Gemeinschaft, die in der tagtäg- kirchenrecht, am 27. Juli lichen Kärrnerarbeit besonders vonnöten ist. Er nennt es „in der Furcht Gottes le- Philologische Fakultät ben“. 60. Geburtstag Martin Petzoldt ließ zur Feier des Tages Prof. Dr. Irmhild Barz, Institut für Germa- nicht unerwähnt, dass er zunächst der ge- nistik, am 26. Juli gebenen Losung ausweichen wollte. „Aber je mehr ich darüber nachdachte, das bishe- Medizinische Fakultät rige Lebenswerk des Jubilars bedachte, um 60. Geburtstag so deutlicher wurde mir diese Losung für Prof. Dr. med. Fritjoff König, Klinik und diese Gelegenheit.“ Der Erste Universi- Poliklinik für Anästhesiologie und Inten- tätsprediger verband mit der Forderung Ihr sivtherapie, am 18. Juli solltet doch in der Furcht unseres Gottes 65. Geburtstag wandeln die Feststellung, dass es bei aller Prof. Dr. med. Peter Emmrich, Institut für Prof. Günther Wartenberg Freude über die wieder sich einstellende Pathologie, am 25. Juni Selbständigkeit doch auch Einbußen gibt, Prof. Dr. med. Wolfgang Prager, Klinik und das Gefühl, es könnte wirklich besser sein, Poliklinik für Strahlentherapie und Ra- Am 17. Mai feierte Prof. Dr. Dr. Günther es könnte die tägliche Arbeit noch mehr zur dioonkologie, am 30. Juni Wartenberg, Dekan der Theologischen Fa- Bildung des Gemeinwesens, zur Bildung Prof. Dr. med. Peter Matzen, Orthopädi- kultät und langjähriger Prorektor für Lehre des Gemeinsinns in diesem Gemeinwesen sche Klinik und Poliklinik, am 29. Juli und Studium der Universität Leipzig nach beitragen. Kann aber wirklich erwartet 70. Geburtstag dem politischen Umbruch, im Kreise einer werden, dass sich unser Gemeinwesen Prof. Dr. med. Hannelore Schwartze, großen Gratulantenschar in der Villa Till- unter die Furcht unseres Gottes stellt? ehem. Institut für Pathologische Physiolo- manns seinen 60. Geburtstag. Standesge- Petzoldts Fazit: „In einem werden wir ver- gie, am 3. August mäß oder besser fachgerecht ging Prof. Dr. mutlich einig sein: dass uns so etwas wie Prof. Dr. med. Gerhard Gehre, ehem. Martin Petzoldt in seinen Gratulations- der innere Wille zur Gemeinschaft außer- Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, am worten von einer Bibelstelle aus, von der ordentlich schmerzlich fehlt. Und deshalb 13. August Losung des Tages, wie sie die Herrnhuter frage ich ganz eindringlich: Könnte das 75. Geburtstag für den 17. Mai 2003 ausgelost haben: Ihr nicht die Besinnung auf unser aller Wur- Prof. Dr. med. Martin Müller, ehem. Insti- solltet doch in der Furcht unseres Gottes zeln sein, Furcht vor Gott? Und wer den tut für Pharmakologie u. Toxikologie), am wandeln, um den Lästerungen unserer Glauben an Gott nicht teilt, der mag es 5. August heidnischen Feinde zu begegnen. (Nehe- umsetzen in ein höheres Maß an Respekt mia 5,9)m voreinander. Mit dem Ziel, wieder näher Fakultät für Mathematik und Diese Losung stellt also die Persönlichkeit zueinander zu rücken und wieder mehr Informatik des Nehemia in die Mitte, der sich um 445 Verantwortung füreinander zu überneh- 65. Geburtstag v. Chr., 150 Jahre nach der Zerstörung Je- men.“ Professor Dr. Hans-Joachim Girlich, Ma- rusalems, als der Wiederaufbau des Tem- Anspruchsvolle Gedanken anlässlich einer thematisches Institut, am 10. Juni pels bereits erfolgt war, um die städtische Geburtstagsfeier, die in dem anspruchsvol- Konsolidierung nach außen und innen len Wirken Günther Wartenbergs für die Der Rektor der Universität Leipzig und die kümmerte. Vor allem der Wiederaufbau der Alma mater Lipsiensis einen ihn ehrenden Dekane der einzelnen Fakultäten gratulie- Stadtmauer, damals ein unbedingtes Erfor- Bezug fanden. V. S . ren herzlich. dernis, war sein Verdienst. Im Alten Testa- ment steht er vergleichsweise am Rande, aber „gerade dadurch ist er sympathisch (Die Geburtstage werden von den Fakultä- und erreicht uns in einer Zeit, die vor allem ten gemeldet. Die Redaktion übernimmt die Bewältigung der Mühen der Ebene von für die Angaben keine Gewähr. Dies gilt uns abverlangt ...“ Ihm ging es, so Prof. auch für deren Vollständigkeit.)

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gnose) resultiert dann „mehr Gesundheit“. Was nun in der Transplantationsmedizin der Patient mit dem doppelten Organbedarf Viel Gesundheit ist, das ist in der sonstigen Medizin der „teure Patient“ – der, dessen Heilung be- sonders viele finanzielle Ressourcen ver- für wenig Geld? schlingt. Die Regel, es sei mit knappen Mitteln möglichst viel Gesundheit zu er- Patientenorientierung und zeugen, diskriminiert also, beim Wort ge- nommen, systematisch die Gruppe der Kostenorientierung „teuren“ Patienten.

Von Prof. Dr. Weyma Lübbe, Institut für Philosophie Rationalisierung statt Rationierung

In den letzten Jahren hat der Druck, sich als Auf diese Klarstellung hin gibt es zwei ver- Arzt nicht nur am Ziel der Gesundung der schiedene Reaktionen. Die eine lautet: „In Patienten, sondern auch am Ziel der Kos- der Tat, so ist es. Wir würden ja gerne allen tenbegrenzung zu orientieren, gewaltig zu- alles medizinisch Sinnvolle zukommen las- genommen. In diesem Prozess verschieben sen. Aber wenn Knappheit unvermeidlich sich die Kommunikations- und dann auch ist, dann sollte in der Tat bei den teuersten die Machtverhältnisse, es gibt Mahnungen, Maßnahmen gespart werden. Denn zwei Vorwürfe und Gegenvorwürfe, Verhand- Menschenleben sind nun einmal mehr wert Prof. lungen, Neuerungen, Widerstände gegen Weyma als eines.“ Die andere Reaktion kommt bei diese Neuerungen und so weiter. Bei die- Lübbe Ärzten sehr viel häufiger vor; es ist diese: sem Wandel muss man als Arzt irgendwie „Wenn wir von der Optimierung des Ver- Im März 2003 fand unter dem Titel „Hu- in Übereinstimmung mit sich selber blei- sorgungsgeschehens sprechen, dann mei- man Resource Management in der Aka- ben, und das heißt auch: in Übereinstim- nen wir nicht die Vernachlässigung teurer demischen Medizin“ eine von Prof. Dr. mung mit dem eigenen Berufsethos. Nicht, Patienten. Das wäre ja Rationierung. Wir Dr. Michael Höckel (Universitätsfrauen- dass sich am ärztlichen Ethos niemals et- meinen aber Rationalisierung: den Abbau klinik Leipzig) organisierte Tagung der was ändern könnte oder sollte. Aber man von Verschwendung, von gedankenlosem deutschen Ordinarien für Gynäkologie möchte dann doch mindestens, dass es sich Materialverbrauch, von überflüssigen statt. Der Beitrag von Prof. Dr. Weyma nicht unter der Hand ändert: Die gesell- Doppel- und Dreifachuntersuchungen. Wir Lübbe enthält einige Überlegungen aus schaftliche, auch gesellschaftlich akzep- meinen auch die Verbesserung der kommu- ihrem bei dieser Gelegenheit gehaltenen tierte Außendarstellung des Arztberufs und nikativen Abläufe und der Dokumentation, Vor trag. die tatsächlichen Verhältnisse dürfen nicht die dichtere Vernetzung von Versorgungs- zu weit auseinanderfallen. einheiten, einschließlich der dadurch mög- Es lässt sich rasch einsehen, dass es unter lichen Personaleinsparungen, und so wei- Bedingungen des Kostendrucks nicht sorgungsgeschehen zu optimieren – es also ter. Gewiss, in der Transplantationsmedizin zweckmäßig sein kann, die medizinische (nach einer gängigen Formel) so anzule- ist Knappheit unausweichlich, aber bei uns Aufgabenerfüllung und die Sorge um ihre gen, dass mit knappen Mitteln möglichst doch nicht – jedenfalls noch nicht.“ Finanzierbarkeit personell gänzlich zu viel Gesundheit erzeugt wird. Die so verstandene Bedeutung der Formel trennen. Zahlreiche in der Art und Organi- Diese Forderung ist so, wie sie dasteht, „Optimierung des Versorgungsgesche- sation des Leistungsgeschehens liegende freilich alles andere als trivial. Sie enthält hens“ enthält keine Aufforderung zur Ma- Sparpotentiale können nur von Personen ein über Personengrenzen hinweg aggre- ximierung des Gutes Gesundheit unter Be- erkannt und verantwortet werden, die mit gierendes Maximierungsgebot. Was das dingungen der Knappheit. Sie enthält viel- den medizinischen Abläufen im Detail ver- bedeutet, lässt sich an einem einfachen mehr die Aufforderung, zum Zweck der traut sind. Deswegen kommt der Kosten- Beispiel demonstrieren: Wenn Transplan- Ver meidung von Knappheit dort zu sparen, druck bei den Ärzten, jedenfalls bislang, tationsmediziner nach der Regel „mit wo ohne jeden medizinischen Schaden ge- nur in wenigen Fällen in Form von geziel- knappen Mitteln möglichst viel Gesund- spart werden kann, nämlich beim medizi- ten Finanzierungsausschlüssen für kon- heit erzeugen“ verfahren wollten, dann nisch Überflüssigen. Das klingt sehr viel krete Maßnahmen an. Es herrscht vielmehr dürften sie einen Patienten, der zu seinem beruhigender. Beunruhigend ist dabei nur ein pauschaler Spardruck, wie ihn zum Überleben ein Herz und eine Leber benö- die Unterstellung, dass das medizinische Beispiel eine Budgetdeckelung oder eine tigt, von vornherein nicht berücksichtigen. Leistungsgeschehen so dicht von Über- Pauschalisierung von Entgelten erzeugt. Denn mit den Ressourcen, die man für die flüssigem durchsetzt sein soll, dass der aus Das Bemühen des Arztes um die Gesund- Rettung eines solchen Patienten braucht, demographischen und medizinisch-techni- heit seiner Patienten kann und muss sich kann man zwei anderen Patienten helfen. schen Gründen wachsende Kostendruck unter solchen Verhältnissen ganz unmittel- Ceteris paribus (das heißt vor allem: bei sich allein durch solche Sparmaßnahmen bar auch in dem Bemühen äußern, das Ver- ähnlichem Alter und ähnlich guter Pro- absorbieren lassen soll. Gebot denn nicht

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das medizinische Ethos schon immer, Begriff, der Begriff des medizinisch Not- ven Sparmaßnahmen per saldo Leben und Maßnahmen wie etwa Operationen oder wendigen, der sich gewöhnlich dazwischen Gesundheit kostet – also ineffizient ist. Röntgenaufnahmen auf das medizinisch schiebt, wenn jemand vermeiden möchte, Man sollte sich jedoch hüten, die in sol- Sinnvolle zu beschränken? Und galt die dass im mit Blick auf die zitierten Verhält- chen Präferenzen erkennbar werdende Hal- Verschwendung der Gelder anderer nicht nisse von Rationierung gesprochen wird. tung wegen der Effizienzverluste, die sie seit jeher als etwas, was sich nicht gehört? Wenn aber das medizinisch Notwendige mit sich bringt, als irrational zu bezeich- Und wenn solche ethischen Gemeinplätze weniger als das medizinisch Sinnvolle ist – nen. Warum sollte es irrational sein, eine in der Vergangenheit nicht bewirkt haben, was ist es dann? Das ist wenig deutlich. maximale erwartbare Anzahl gesunder Le- dass sparsam gewirtschaftet wird, wie will Deutlich ist immerhin dieses: Die Abgren- bensjahre nicht für das höchste aller Güter man dann den Effekt, dass das nunmehr zung zwischen dem medizinisch Notwen- zu halten? Wir handeln bekanntlich auch endlich konsequent geschieht, eigentlich digen und dem medizinisch Sinnvollen ist sonst nicht so, dass wir das gute Leben dem erzeugen? Wie dem auch sei – von Inter- keine medizinische Abgrenzung. Es geht gesunden Leben bedingungslos unterord- esse ist jedenfalls, wie sich der Kosten- nämlich nicht um das Ob von Gesund- nen. Und offenbar ist es, jedenfalls für druck in der Praxis de facto auswirkt. Die heitseffekten, sondern um ihren relativen viele Menschen, ein Aspekt des guten Le- folgenden beiden Interview-Zitate stam- Wert. Es geht um die Frage, welche Ge- bens, dass im Angesicht des Todes nicht men aus einer Studie, in deren Rahmen sundheitseffekte uns so wichtig sind, dass das Sparen und die Effizienz regieren, son- Ärzte und Pflegepersonal zu diesem wir sie im herrschenden System der Lei- dern die Hilfsbereitschaft und das Gleich- Thema befragt wurden: stungserbringung weiterhin finanzieren heitsgebot. „Dann merkt man nur eines Tages, dass die möchten. Die Art und Weise, wie die öffentliche Mei- Pflaster irgendwie billiger geworden sind Wer an Hygienemaßnahmen spart, also das nung in anderen Ländern bislang auf effi- und nicht mehr kleben. Dann geht man Infektionsrisiko erhöht, der gefährdet zienzorientierte Rationierungsprogramme wieder hin und sagt: ‚Diese Pflaster kleben immerhin auch Leben – sogenannte „statis- reagiert hat, scheint zu zeigen, dass man nicht, können wir nicht wieder die anderen tische Leben“. Wenn dagegen eine akut- für diesen Aspekt des guten Lebens einen haben?‘ Dann heißt es: ‚Nein, die anderen medizinische Maßnahme eingespart wird, Preis zu zahlen bereit ist. Es ist jedoch gibt’s nicht mehr, weil zu teuer‘. Dann hat zum Beispiel eine teure Operation, dann nicht anzunehmen, dass der Preis beliebig man nichtklebende Pflaster.“ gefährdet man ein konkret bekanntes „in- hoch werden kann. Wenn eine immer teu- „Wir haben hier ernsthaft diskutiert – auch dividuelles Leben“. Wenn es ans Sterben rer werdende Akutmedizin zur Folge hätte, mit dem Pflegepersonal: ‚Wir können die geht, stirbt freilich nie eine statistische dass im Bereich der sonstigen Maßnahmen Handschuhe auf hohem Niveau nicht hal- Größe, sondern stets ein Individuum. Wie – bei der Hygiene, bei Vorsorgeunter- ten, als Schutz des Personals. Wir müssen kommt es also, dass man lieber „statisti- suchungen, beim Pflegepersonal, bei der einsparen‘. Wir forsten genau durch: ‚Wer sche Leben“ aufgibt als „individuelle“? Rehabilitation und so fort – so sehr gespart benutzt die Handschuhe hier großzügig? Der entscheidende Unterschied zwischen werden müsste, dass am Ende überhaupt Wer wechselt die Handschuhe bei der beidem – dem Sparen an Präventionsmaß- nur noch etwas geschieht, wenn man schon Untersuchung großzügig?‘ So weit sind nahmen und dem Sparen an teurer Akut- schwerstkrank ist, dann werden sich (wie wir schon! Das ist, meine ich, eine solche medizin – ist offenbar dieser: Wenn jemand das im Hinblick auf die sogenannte Ster- Einschränkung der Tätigkeit in einem sol- beispielsweise aufgrund eingesparter Vor- bensverlängerung am Lebensende ja auch chen neuralgischen Bereich, gerade wo es sorgeuntersuchungen an einem zu spät di- längst im Gange ist) die Wertigkeiten ver- um hohe Infektiosität geht in der Endos- agnostizierten Krebsleiden stirbt, dann schieben. kopie – das schlägt in diesem Bereich wirk- kann zum Zeitpunkt des Offensichtlich- Und irgendwann werden dann wohl auch lich besonders durch. Aber ich muss ja im- werdens der Erkrankung nichts Lebensret- die Ärzte, ohne in Konflikt mit ihrem Be- mer erst mal sehen, diese Materialien für tendes mehr für ihn getan werden. Zwar rufsbild, mit der herrschenden Auslegung die Patienten zu sichern, die ja im Vorder- stirbt er, aber man lässt ihn nicht sterben: des Grundgesetzes und mit dem Haftungs- grund stehen. Ich habe ja einen Behand- Sein Sterben hängt nun, da es zu spät ist, recht zu kommen, offen sagen dürfen, dass lungsauftrag.“1 von niemandes Entscheidung mehr ab. es nicht mehr ihre Aufgabe ist, jedes akut Bei der Verweigerung einer möglicher- bedrohte Leben anhand des jeweils aller- Was ist das „medizinisch weise lebensrettenden Operation ist das neuesten Stands der medizinischen Kunst anders. Diese Person stirbt, obgleich man und ohne jede Ansehung der Kosten zu ver- Notwendige“? sich noch entscheiden könnte, ihr zu hel- längern. Genauer, jedes akut bedrohte in- fen. ländische Leben. Denn in anderen Ländern Beschreibt dergleichen die Einsparung von Solche Konsequenz im Angesicht des To- sterben die Menschen ja dahin, weil es am medizinisch Sinnvollem? Diese Frage wird des trauen wir uns offenbar nicht zu – und Elementarsten fehlt. man wohl bejahen müssen. Aber so richtig zwar weder als potentiell Betroffene noch skandalträchtig ist im Blick auf diese Bei- als Agenten gesellschaftlicher Rationie- spiele die Feststellung, dass offenbar doch rungsinstanzen. Offenbar wollen wir nicht, 1 Beide Zitate aus: Ellen Kuhlmann, „Zwischen am medizinisch Sinnvollen gespart wird, dass in der Todesnot gespart wird. Dieser zwei Mahlsteinen“ – Ergebnisse einer empi- nicht. Das liegt daran, dass schlecht kle- Aspekt scheint so wichtig, dass die medi- rischen Studie zur Verteilung knapper medi- bende Pflaster zwar lästig, optimal kle- zinisch-technisch hochentwickelten Ge- zinischer Ressourcen in ausgewählten klini- schen Settings, in: Günter Feuerstein/ bende Pflaster aber auch nicht geradezu sellschaften selbst dann lieber am „statisti- Ellen Kuhlmann (Hg.), Rationierung im Ge- das sind, was man als „medizinisch not- schen Leben“ sparen, wenn sich zeigen sundheitswesen, Wiesbaden: Ullstein Medi- wendig“ bezeichnet. In der Tat ist es dieser lässt, dass das im Vergleich mit alternati- cal 1998, S. 18, S. 19.

Heft 4/2003 35 Promotionen und Habilitationen | Jubiläum 2009

Habilitationen Fakultät für Physik und Geowissenschaften Dr. Manfred Wendisch (5/03): „Sprachen lassen Absorption of Solar Radiation in the Cloudless and Cloudy Atmosphere sich nicht Promotionen Theologische Fakultät platonisch lieben“ Christoph Ilgner (3/02): Die neutestamentliche Auslegungslehre des Jo- hann August Ernesti (1707–1781). Ein Beitrag zur 125 Jahre Professur Erforschung der Aufklärungshermeneutik Christian Mai (6/02): Ikonographische Konzeptionen in der kirchlichen für ostasiatische Sprachen Kunst Sachsens zwischen 1919 und 1945 Thomas A. Seidel (7/02): Von Christina Leibfried, Historisches Seminar Kirchliche Neuordnung in Thüringen Studien zu einer mitteldeutschen Landeskirche im Übergang der Diktaturen 1945 bis 1951 Ralf Günther (7/02): Knastsprache und Knastgespräche. Eine linguisti- Am 26. Juni 2003 begeht das Ostasiatische sche Analyse zu Seelsorgegesprächen im Gefäng- Institut mit einem Symposium den nis – Seelsorge auf der Schwelle 125. Jahrestag der Berufung von Hans Carsten Rentzing (1/03): Georg Conon von der Gabelentz Die Rede vom Bösen bei Karl Barth und Martin Luther. Ein systematisch-historischer Vergleich (1840–1893) zum außerordentlichen Pro- unter Berücksichtigung von Karl Barths Kirch- fessor der ostasiatischen Sprachen an der licher Dogmatik III,3 und Martin Luthers Gene- Universität Leipzig. Die Errichtung dieser sisvorlesungen von 1535–1545 Heide Ludwig (4/03): Professur an der Philosophischen Fakultät Berufliches Selbstverständnis und berufsbiografi- am 1. Juli 1878 war nicht nur die Geburts- sche Orientierungsmuster ostdeutscher Religions- stunde der ostasiatischen Wissenschaften und Ethiklehrkräfte. Eine empirische Untersu- an der Universität Leipzig. Mit der Beru- chung zu den Fächern Ev. Religion und Ethik aus der Sicht der Unterrichtenden. fung wurde zugleich die erste sinologische Jens Bulisch (4/03): Professur an einer deutschen Universität Evangelische Presse in der SBZ/DDR. „Die Zei- begründet. Zwar gab es schon früher ver- chen der Zeit“ (1947–1990) einzelt Professoren, die sich mit der chine- Fakultät für Sozialwissenschaften sischen Sprache beschäftigten, doch waren und Philosophie sie entweder nicht an eine Universität be- Peter Grönert (4/03): rufen worden oder lehrten neben ihrem Normativität, Intentionalität und Praktische Schlüsse eigentlichen Berufungsauftrag Chinesisch Georg von der Gabelentz (1841–1893) Armin Berger (5/03): wie der Indologe und Orientalist Hermann nach einem Ölgemälde von E. Winter- Unterlassungen. Eine philosophische Unter- Brockhaus (1806–1877) in Leipzig oder stein (1883). suchung Birgit Förg (5/03): Wilhelm Schott (1802–1889) in Berlin. Moral und Ethik der Public Relations. Grundlagen Georg von der Gabelentz entstammt einer – theoretische und empirische Analysen – Per- kulturell und intellektuell vielseitig inter- 1864 studierte er in Jena Rechts- und Ka- spektiven essierten Familie. Bereits sein Vater Hans meralwissenschaften, um dann als Jurist in Fakultät für Chemie Conon von der Gabelentz (1807–1874) war den sächsischen Verwaltungsdienst einzu- Mohammed S. A. Daghish (1/03): neben seiner Tätigkeit als hoher Beamter treten. Parallel erarbeitete er seine 1876 in Moenomycin A als Werkzeug für die Identifizie- des Herzogtums Sachsen-Altenburg ein Leipzig erfolgte Promotion, eine Über- rung der Transglycosylase-Domäne auf dem Peni- cillin-bindenden Protein 1b durch Photoaffinitäts- bekannter Linguist und Sprachforscher. Er setzung des Werkes Taijitushuo des markierung begründete u. a. zusammen mit Leipziger chinesischen Philosophen Therese Koal (1/03): Professoren der Orientalistik 1845 die (1017–1073). Untersuchungen zur on-line Kombination von Festphasenextraktion, Hochdruckflüssigchroma- Deutsche Morgenländische Gesellschaft Im selben Jahr schickte er seine Initiativ- tographie und Tandem-Massenspektrometrie für und verfasste eine Mandschurische Gram- bewerbung an das Dresdner Ministerium, die schnelle und simultane Bestimmung von Pe- matik bzw. übersetzte die gotische Ulfila- die Eingabe, eine „Professur der chinesi- stiziden in Wasser Bibel. So hatte Gabelentz bereits als Ju- schen, japanischen und mandschuischen Thomas Köhler (1/03): Untersuchungen zur Stofftrennung durch Pervapo- gendlicher sachkundige Anleitung und Zu- Sprachen an der Universität Leipzig“ zu er- ration an Zeolithmembranen griff auf die polyglotte Bibliothek seines richten und mit ihm zu besetzen. Nach Dietmar Knoll (2/03): Vaters auf Schloss Poschwitz. Bereits mit einem positiven Gutachten der Philoso- Synthese von Werkzeugen für die Erzeugung und Reinigung von anti-Moenomycin-Antikörpern, 17 begann er das Studium des Chinesi- phischen Fakultät unter der Leitung des zur Selektion Moenomycin-spezifischer Aptamere schen und veröffentlichte ab 1860 Arbeiten Arabisten Heinrich Leberecht Fleischer und zur Reinigung des Enzyms PBP 1b auf dem ostasiatischen Gebiet. 1860 bis (1801–1888) dauerte es jedoch noch bis

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zum 21. Juni 1878, bis das Ministerium per Gegensätze zur Leipziger Schule der Sinologie kam es in den folgenden Jahr- Dekret erklärte: „Mit Allerhöchster Ge- „Junggrammatiker“ um Karl Brugmann zehnten zu einer inneren Differenzierung nehmigung hat das Ministerium des Cultus (1849–1919) setzte die Philosophische Fa- des Fachs bis hin zur Schwerpunktverlage- und öffentlichen Unterrichts … den Be- kultät 1882 „in Anerkennung seiner wis- rung auf Kulturgeschichte und moderne zirksgerichtsassessor Dr. phil. Hans Georg senschaftlichen Verdienste“ die Ernennung chinesische Gesellschaft, womit der Bogen Conon von der Gabelentz … zum außeror- Gabelentz’ zum ordentlichen Honorarpro- zur Gegenwart gespannt ist. dentlichen Professor der ostasiatischen fessor durch. Doch erst nach seiner Beru- Sprachen … vom 1. Juli 1878 an ernannt“. fung nach Berlin zum Wintersemester Dieser Überblick geht auf eine von Prof. v. Neben Chinesisch und Japanisch sollte der 1889/1890 sollte er zum Ordinarius er- Hehl und Prof. Moritz betreute Magister- am 16. März 1840 auf Poschwitz bei nannt werden. Die Berufung auf den neu- arbeit zurück. Altenburg geborene Georg von der Gabe- errichteten Lehrstuhl der Ostasiatischen lentz Mandschurisch, Malaiisch, tibetische Sprachen und der allgemeinen Sprachwis- und mongolische Grammatik sowie allge- senschaft erfolgte auf Betreiben des füh- meine und vergleichende Linguistik leh- renden preußischen Beamten für akademi- ren. Kennzeichnend für seine weltoffene sche Angelegenheiten, Friedrich Theodor Erziehung und Einstellung war seine Althoff (1839–1908), und war mit der Hochschätzung und Achtung der chinesi- finanziellen Förderung durch und der Auf- schen Kultur in einer Zeit, in der sie in der nahme von Gabelentz in die Preußische landläufigen Meinung oft als stagnierend Akademie der Wissenschaften am 27. Juni Zu Leben und Werk von Georg von der und unterlegen bewertet wurde. 1889 verbunden. Gabelentz siehe auch: Sein wichtigstes und für lange Zeit weg- In Berlin wandte er sich vermehrt der Lin- AUGUST CONRADY: Georg von der Gabe- weisendes sinologisches Werk ist die „Chi- guistik zu, doch blieben ihm dort nur lentz. In: Beilage zur Allgemeinen Zeitung. nesische Grammatik mit Ausschluß des wenige Jahre der Forschung und Lehre. Nr. 361. Beilage Nr. 303. München 30. 12. niederen Stiles und der heutigen Um- Erst 53-jährig verstarb Gabelentz am 1893. S. 1–5. gangssprache“, welche 1881 in Leipzig er- 11. Dezember 1893. Zwar bildete er trotz THEODOR DOBRUCKY: 550 Jahre von der schien und als erste Grammatik überhaupt großer Rezeption seiner sinologischen wie Gabelentz im Altenburger Land. 1388 bis die chinesische Sprache unabhängig von sprachwissenschaftlichen Werke vermut- 1938. In: Altenburger Heimatblätter. Bei- den grammatikalischen Mustern des Latei- lich aufgrund seines frühen Todes keine lage der Altenburger Zeitung. 7. Jg. Nr. 11. nischen darstellte. Doch auch in der allge- eigene Schule aus, doch promovierte oder 15. 11. 1938. S. 89–91. meinen und vergleichenden Sprachwissen- habilitierte er allein in seiner Leipziger Zeit EDUARD ERKES: Georg von der Gabelentz. schaft leistete Gabelentz Hervorragendes: viele bedeutende Ostasienforscher wie die In: Wissenschaftliche Zeitschrift der So erschien 1889 seine Arbeit „Die Sprach- späteren Professoren der Sinologie Wil- Karl-Marx-Universität. Gesellschafts- und wissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden helm Grube (1855–1908), J. J. M. De sprachwissenschaftliche Reihe. 3. Jg. und bisherigen Ergebnisse“. Der Einfluss Groot (1854–1921), Arthur von Rosthorn 1953/54. Heft 4. S. 385–392. der „Sprachwissenschaft“ auf Ferdinand de (1862–1945), den ersten deutschen Profes- EDUARD ERKES: Georg von der Gabelentz Saussures „Cours de linguistique générale“ sor der Japanologie, Karl Florenz und August Conrady. In: Ernst Engelberg bleibt unter Linguisten umstritten, doch (1865–1939), aber auch den Archäologen (Hrsg.): Karl-Marx-Universität Leipzig unabhängig von dieser spezifischen Dis- (1856–1944), den Tibetologen 1409–1959. Beiträge zur Universitäts- kussion erlebte die „Sprachwissenschaft“ Heinrich Wenzel und den Kunstwissen- geschichte. Bd. 1. Leipzig 1959. S. 439bis 1995 ihren bisher letzten Reprint. schaftler F. W. K. Müller (1863–1930). 464. Auf linguistischem Gebiet beschränkte Nach seinem Weggang blieb die Professur KLAUS KADEN: Die Berufung Georg von sich Gabelentz keineswegs auf die ostasia- der ostasiatischen Sprachen zunächst aus der Gabelentz’ an die Berliner Universität. tischen Sprachen. Aufgrund seiner vielfäl- Mangel an geeignetem Nachwuchs vakant. In: Ralf Moritz (Hrsg.): Sinologische Tra- tigen Sprachkenntnisse verschiedenster, Seit 1892 lehrte August Conrady ditionen im Spiegel neuer Forschung. Leip- u. a. indogermanischer, finno-ugrischer, (1864–1925) in Leipzig als Privatdozent zig 1993. S. 57–90. sino-tibetischer, malaiisch-polynesischer indische Sprachen und Tibetisch, ab 1895 CHRISTINA LEIBFRIED: Sinologie an der Sprachen konnte er sich den Verwandt- indische und ostasiatische Sprachen. 1897 Universität Leipzig. Entstehung und Wir- schaftsverhältnissen der Sprachen und der wurde er zum außerordentlichen Professor ken des Ostasiatischen Seminars 1878 bis Syntaxforschung widmen, und damit über ernannt. Conrady führte das Erbe Georg 1947. Leipzig 2003. (Beiträge zur Leip- die Erkenntnisse der damals vorherrschen- von der Gabelentz’, das Beharren auf ziger Universitäts- und Wissenschaftsge- den Indogermanistik und ihrer Fixierung streng wissenschaftlicher Methodik wie schichte. Reihe B. Bd. 1). auf die flektierenden indogermanischen seine liberal-weltoffene Einstellung, fort. EBERHARDT RICHTER/MANFRED REICHARDT Sprachen hinausgreifen und agglutinie- Schließlich wurde 1914 durch Unterstüt- (Hrsg.): Hans Georg Conon von der Gabe- rende Sprachen oder isolierende Sprachen zung Karl Lamprechts (1856–1915) ein lentz – Erbe und Verpflichtung. Linguisti- wie z. B. die Chinesische und ihre Syntax eigenständiges Ostasiatisches Seminar ge- sche Studien. Reihe A. Arbeitsberichte 53. erforschen. schaffen und 1922 ein Leipziger Ordinariat Berlin 1979. Dabei stand für ihn fest: „Sprachen lassen für ostasiatische Sprachen unter Conrady MANFRED TAUBE: Georg von der Gabelentz sich nicht platonisch lieben, man muß mit als dritter sinologischer Lehrstuhl in und seine Zeit. In: Jahrbuch des Museums und in ihnen gelebt haben, ehe man wagen Deutschland nach Hamburg (1909) und für Völkerkunde zu Leipzig. Bd. 34. Ber- darf sie zu beurteilen.“ Trotz eventueller Berlin (1912) errichtet. In der Leipziger lin 1982. S. 16–36.

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Erinnern, feiern, gestalten Erwachsenenpädagogik: 80 Jahre Lehre, 10 Jahre Lehrstuhl

Von Jarno Wittig

Gleich zwei Jubiläen stehen für den Lehr- nars für freies Volksbildungswesen. Es Teilnehmer des Volksbildungs-Seminars) stuhl für Erwachsenenpädagogik der Uni- hatte „die Aufgabe, die pädagogischen und der Leipziger Erwachsenenbildung an der versität Leipzig in diesem Sommer auf soziologischen Probleme der freien Volks- Universität neues Leben ein und bekam die dem Programm. Am 11. und 12. Juli feiert bildungsarbeit in Übungen und Kursen erste deutsche Professur für Theorie der Er- der Lehrstuhl nämlich nicht nur zehn Jahre wissenschaftlich zu behandeln“. Insbeson- wachsenenbildung – ein Meilenstein für Tätigkeit, sondern auch die erste universi- dere hat es der Vorbildung und Schulung die deutsche Bildungslandschaft. täre Einrichtung für Erwachsenenbildner haupt- und nebenberuflicher Lehrkräfte in Im Zuge der politischen Wende in der DDR vor 80 Jahren. 1923 riefen Prof. Dr. Theo- der Erwachsenenbildung gedient. Neben wurden auch im Feld der Leipziger Er- dor Litt, Dr. Herrmann Heller und Gertrud den Studenten saßen also auch Volkshoch- wachsenenbildner Veränderungen notwen- Hermes in Leipzig das „Seminar für freies schullehrer, Oberlehrer sowie begabte Ar- dig. Doch erst 1993 fand die Umbruch- Volksbildungswesen“ ins Leben und schu- beiter in den Veranstaltungen und setzten phase ihr Ende. Mit der Berufung von Prof. fen so erstmals einen Ort an einer deut- sich mit Theorie und Praxis der Erwachse- Dr. Jörg Knoll setzte die Universität ein schen Universität, der sich ausschließlich nenbildung auseinander. Zeichen und installierte an einem ge- mit Erwachsenenbildung und mit der Mit der Machtergreifung der Nazis 1933 schichtsträchtigen Ort erneut einen Lehr- Weiterbildung für dieses Tätigkeitsfeld be- wurde das „Institut für Erziehung, Unter- stuhl für Erwachsenenbildung. schäftigte. richt und Jugendkunde“, an welches das Zwei Beweggründe waren es, die Prof. Jörg Unter der Überschrift „Erinnern, feiern Seminar für freies Volksbildungswesen Knoll den Weg nach Leipzig antreten lie- und gestalten“ haben die Mitarbeiter von formal angekoppelt ßen. Zum einen schien Knoll die Zeit reif, Prof. Dr. Jörg Knoll, der 1993 am Lehr- war, aufgelöst. Da- nach 15 Jahren praktischer Arbeit in der stuhl für Erwachsenenpädagogik seine Ar- mit war auch die Erwachsenenbildung wieder an eine Uni- beit aufgenommen hat, durch einige Fest- letzte Einrichtung versität zurückzugehen und zum anderen veranstaltungen Geschichte und Zukunft der so genannten war er sich der Leipziger Historie sehr eng miteinander verwoben. Denn bei ei- „Leipziger Rich- wohl bewusst. „Leipzig hat für mich von nem Blick in die Vergangenheit wird gleich tung“ in der Er- der Geschichte der Erwachsenenbildung mehrfach deutlich, dass Leipzig in Sachen wachsenenbildung her einen sehr guten Klang, weil hier ganz Erwachsenenpädagogik eine Sonderstel- geschlossen. grundlegende Dinge passiert sind, und es lung einnimmt. Erst 1949 hauchte war schon sehr verlockend, an so einem Vor 80 Jahren, im November 1923, began- Prof. Herbert Schal- Platz zu arbeiten“, so der Professor. nen die ersten Veranstaltungen des Semi- ler (ein ehemaliger Herbert Schaller Seit 1993 ist eine Reihe grundlegender Aktivitäten dazu gekommen. Ob es die Tutoreninitiative (TUT) ist, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Studenten als Semi- narleiter auszubilden und zu schulen (siehe Journal 3/03), oder das Qualitätsmanage- ment, das die Prozesse am Lehrstuhl fort- während begleitet, so dass er eine Zerti- fizierung nach der Deutschen Industrie- Norm (DIN) EN ISO 9001:2000 vorweisen kann, oder der Gesellschaftsbezug des Leipziger Lehrstuhls – es ist die Nähe zum Leben und zu den Studenten, die das be- sondere Profil dieser Professur auch über Leipzig hinaus ausmachen.

Weitere Informationen, auch über das Fest- Das Gelände der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät in der Karl-Heine-Straße. programm finden Sie im Internet: Leider ist nicht bekannt, wann diese Aufnahme entstanden ist. Foto: Fakultät www.erwachsenen-paedagogik.de

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Höchstes Vergnügen in tiefster Lage An Jubiläen mangelt es der Moritzbastei

dieses Jahr nicht Von Marlis Heinz

450 Jahre: Das Gemäuer Diese Mauern gehören zum Ältesten, was Leipzig zu bieten hat. 450 Jahre haben sie auf dem Buckel. Bastei – das heißt, sie waren ein Stück Stadtbefestigung. Sie wurden unter Moritz von Sachsen anstelle des stark zerstörten Henkersturms errich- tet. Die Bauarbeiten von 1551 bis 1553 lei- tete Hieronymus Lotter, der übrigens von 1555 bis 1573 Leipzigs Bürgermeisteramt inne hatte. Auf der Liste von Lotters Wer- ken stehen noch einige andere architekto- nische Leistungen: die Alte Waage, die Er- höhung des Mittelturmes der Nikolaikir- che, die Pleißenburg, die Thomasschule und vor allem das Alte Rathaus. Rund 200 Jahre später, im Siebenjährigen Krieg, erwies sich die Stadtmauer jedoch als insgesamt zu schwach. Die Bastei wurde zum Warenlager umfunktioniert und zur Werkstatt für Glockengießer, Schwe- felzieher, Buchdrucker und Hutmacher. 1796 begann auf den Mauern der Moritz- bastei der Bau der ersten deutschen Bür- gerschule. Nachdem die 1943 bei einem Bombenangriff zerstört wurde, wurde der Schutt in die Keller-Gewölbe gefüllt. Was blieb, waren ein paar kaum sichtbare Hü- gel. Man hatte oberirdischere Sorgen und ließ Gras über die Sache wachsen. Tanzvergnügen im Oberkeller. Foto: Volkmar Heinz

30 Jahre: Der Club Eigentlich duzt der Kellner im „Fuchsbau“ sierte auch er. „Am Anfang haben wir uns all seine Gäste. Nur bei denen, die dem Stu- mit den Studentenclubs von Halle oder denten-Dasein eindeutig entwachsen sind, Weimar verglichen. Aber mit jedem Raum, Abends in der Leipziger Moritzbastei. Ker- umgeht er die Anrede. Zum eindeutigen den wie freigelegt haben, wurde das Pro- zenlicht. Gläserklirren. Stimmengewirr. „Sie“ greift er jedoch auch nicht, wohl jekt größer. Da genügte es nicht mehr, für Um die Tresen sammeln sich die letzten ahnend, dass wer hier sitzt, ganz gern an die Gastronomie gelegentlich ein Bierfass Feierabend-Bummler und die ersten seine Studienzeit denkt. Beispielsweise der reinzurollen. Letztlich brauchten wir Tank- Nacht-Schwärmer. Ein Trüppchen Studen- Grauhaarige mit Bart und Pferdeschwanz, wagen. Das waren bis dahin unbekannte ten hängt einem Dozierenden an den Lip- der ins „Schwalbennest“ eingeflogen ist.m Dimensionen.“ pen. Ein Pärchen kuschelt auf dem großen Es ist Peter Kunz, Kulturwissenschaftler, Das zweite Leben der Moritzbastei ist of- Sofa. Kommen und Gehen. Begrüßen und Denkmalpfleger – und dereinst Klubleiter, fenbar mit mehr Legenden umwoben als Verabschieden. Sitzen und Quatschen. Und ab 1979 der erste hauptamtliche Direktor das erste. Man erzählt sich von jenem Leip- Kultur auch. Rund 600 Veranstaltungen im des Studentenclubs. Bis es eines Direktors ziger Medizinstudenten, der als Kind in der Jahr. bedurfte, schippte und karrte und organi- verbotenen Tiefe gespielt hatte und anno

Heft 4/2003 39 sozusagen dazugehören.“ Einmal im Jahr gibt es ein „Veteranentreffen“ in der Mo- ritzbastei. Da kommen die Ehemaligen, nicht nur die Erbauer sondern auch jene, die sich später kellnernd, schauspielernd, planend und sonst wie nützlich machten. Sie kommen aus aller Herren (Bundes-) Länder und atmen mb.

10 Jahre: Das Unternehmen Nach der Wende löste natürlich auch das rustikale historische Gemäuer Begehrlich- keiten diverser Investoren aus. Hinzu kam, dass die Uni, bislang Träger der Moritz- bastei, nach dem Hochschulgesetz keine Das zweite Leben der Moritzbastei beginnt: Bauarbeiten in den 1970er Jahren. Foto: Universitätsarchiv Leipzig kulturellen Einrichtungen mehr finanzie- ren durfte. Ein Geniestreich rettete den 1973 seinen ratlosen Kommilitonen den wurde gründlich eingeweiht. Dann wühlte Club: Die Universität stellte aus eigenen entscheidenden Tipp für die Suche nach man sich in das nächste. Geldern 50000 Mark für eine Stiftung zur Räumlichkeiten für einem Studenten-Club Kunz erinnert sich: „Als wir die ersten Verfügung. Diese wiederum schuf eine gegeben habe. Und andere meinen genau Räume im Oberkeller fertig hatten, kam GmbH, die nun seit 1993 das Zepter zu wissen, dass die Gewölbe den Stadtpla- mal der Minister für Hoch- und Fachschul- schwingt. Deren Geschäftsführer ist seit nern wohl bekannt und längst als Gaststätte wesen, war begeistert, ‚spendierte‘ 400000 Anfang 2003 Mario Wolf, 37, Historiker verbucht waren. Jeder interpretiert die Mark und sagte, damit müssten wir das und schon im Studium als Kellner im mb- Wiedergeburt, wie es ihm in die Perspek- Ding nun aber richtig fertig bauen. Aber je Team. Seine Ambitionen: „Wir müssen tive passt: Trotz oder wegen der Weltfest- weiter wir uns vorkämpften, desto mehr beides sein – ein eiskalt durchkalkuliertes spiele, des internationalen Jungendtref- Arbeit tat sich auf. Es bedurfte dann noch Unternehmen und ein Stück wärmendes fens, in Berlin; gegen oder für das Wohl- einiger Millionen.“ Zuhause für alle, die hier arbeiten und ein- wollen der Parteioberen; geduldeter, halb- Die, die wirklich mitgezogen haben, weh- kehren. Und wir müssen Denkmalpfleger legaler Schwarzbau oder gehätscheltes ren sich noch heute dagegen, dass die sein; jeder Cent Gewinn fließt sofort in die Jugendobjekt. Vermutlich lag die Wahrheit Erschließung „ihrer“ mb mitunter als FDJ- Erhaltung des Gebäudes.“ Ein Blick an die wie immer irgendwo in der unbeleuchteten Zwangsarbeit in die Chronik geschrieben Gewölbedecke illustriert, was er meint: Mitte, eben dort, wo die Legenden gedei- wird. „Wer jetzt nur mal ein Bierchen trin- feuchte Muster „zieren“ den Stein. Dass es hen. Es weiß auch keiner so ganz genau, ken kommt, kann sich überhaupt nicht vor- ihn reizt, hier und da mal nachzugraben, ob wie viele Kubikmeter Schutt wirklich aus stellen, was damals hier los war“, erinnern sich hinter dieser oder jener Mauer nicht den Gewölben geholt wurde, wie viel Geld sich Bärbel und Wolfgang Gühne. „Plötz- doch noch ein Raum versteckt, ist ver- das Ganze gekostet hat, und auch nicht, ob lich ist beim Graben einer in die Tiefe ge- ständlich. Aber den Luxus weiterer Gra- jede eingesetzte Maschine und jeder ver- rutscht. Damit wusste jeder, dass es den bungen, die Teile der Gastronomie lahm baute Sack Zement ursprünglich tatsäch- Unterkeller wirklich gibt. Den auch freizu- legen würden, kann er sich jetzt nicht gön- lich für die Moritzbastei gedacht war. Es legen war ursprünglich nicht geplant, aber nen. gab Material-Engpässe; aber es gab auch wir haben uns nicht davon abhalten las- Ist es nun wirklich der größte Studenten- Nachbarbaustellen und wortgewandte Stu- sen.“ Und nicht ohne Stolz packen sie ihre club Europas, wie gelegentlich geworben dentinnen. „Erbauerkarte“ auf den Tisch, die noch wurde? „Man kann das zumindest nicht Fest steht: 1973 begannen die Planungen, heute gilt. „Neue am Einlass gucken wiederlegen“, gibt sich der Chef diploma- 1974 die ersten Bauarbeiten, 1979 war der manchmal etwas verdutzt, aber ein paar tisch. „Nimmt man das Fassungsvermögen Oberkeller fertig, 1982 die gesamte Anlage. Worte genügen, und sie wissen, dass wir als Kriterium – wir bekommen 1000 Men- Das Ganze lief zwar nicht ohne die üblichen schen unter – findet sich so leicht nichts offiziellen Rituale, aber mit einer durchaus Vergleichbares. Und die jährlichen Gäste- unüblichen Begeisterung. Rund 50 000 Stu- zahlen – 2002 waren es über 300 000, etwa denten packten zu, manche wegen der „Er- die Hälfte als Veranstaltungsbesucher – bauerkarte“, die freien Einlass zu Veranstal- muss uns auch erst mal jemand nachma- tungen gewährte, manche aus Pflichtbe- chen.“ Aber ganz offiziell ist man ja kein wusstsein und weil es die Mehrheit tat, und reiner Studentenklub mehr, sondern Kul- nicht wenige, weil sie das Projekt schlicht- turstätte. Kabarett, Konzerte, Ausstellun- weg toll fanden. Da das Endziel beim Frei- gen, Theateraufführungen, Lesungen und legen einer jahrhundertealten Befesti- Disco – alles findet seine Bühne. Im Café gungsanlage eher unscharf auszumachen Barbakane ist Deutschlands dienstälteste war, schien die etappenweise Bewegung Moritzbastei-Geschäftsführer Mario ständige Comic- und Karikaturausstellung Wolf. Foto: Volkmar Heinz umso wichtiger. Jedes freigelegte Gewölbe ansässig.

40 journal Längst haben auch Leipziger Unternehmen Oben: das alte Gemäuer als durchaus repräsenta- Ein Geist im „Oberkeller“? Wohl eher ein Beweisfoto für die Atmosphäre, die in der tive Location für außergewöhnliche Veran- Moritzbastei herrscht. staltungen entdeckt. Manchmal mieten sie Mitte: gleich das ganze Objekt. Dass an solchen Das „Café Barbakane“ ist einer der beliebtesten Treffpunkte der Leipziger Studiosi. Abenden die Studenten anderswo ihr Bier Unten: trinken müssen, mag die Abgewiesenen am Die „Veranstaltungstonne“ – in Erwartung eines Konzerts. Fotos: Detlev Endruhn Einlass vielleicht zum Knurren bringen – doch ansonsten würden die Preise für Küche und Kultur hier unten wohl anders aussehen. Aber die geschlossenen Veranstaltungen in allen Räumen bleiben die absolute Aus- nahme. Eigentlich findet sich immer ein Plätzchen in der mb. Lange her die Zeiten, in denen ein Platz in der Tiefe einem Lotto- gewinn gleichkam. Und man muss auch keinen mehr kennen, der jemanden kennt. Und Student muss man auch nicht mehr sein, um in Leipzigs Unterwelt ein Bier zu Studentenpreisen zu genießen.

Geöffnet: täglich ab 10 Uhr bis open end Infos: Universitätsstraße 9, 04109 Leipzig Tel.: 0341/702590, Fax: 0341/7025959 www.moritzbastei.de

Festwoche 450 Jahre Moritzbastei vom 16. bis 22. Juni 2003 Veranstaltungs-Highlights: Montag, 16. 06.: „Abend der Alten Musik mit dem MDR Klangkörper“, davor großes Mittelalterspektakel Do., 19. 06.: „Künstlerball“ (Große Geburts- tagsparty gemeinsam mit Künstlern, Freunden, Partnern und Kritikern der mb, zu der jeder- mann eingeladen ist)

Liebe Leser, das nächste Uni-Journal erscheint Mitte Oktober.

Heft 4/2003