Bericht Gegner Des Nationalsozialismus 1933—1945
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Bericht Gerd R. Ueberschär Gegner des Nationalsozialismus 1933—1945 Volksopposition, individuelle Gewissensentscheidung und Rivalitätskampf konkurrie- render Führungseliten als Aspekte der Literatur über Emigration und Widerstand im Dritten Reich zwischen dem 35. und 40. Jahrestag des 20. Juli 1944 Die historische Forschung in den ehemaligen Westzonen und in der Bundesrepublik Deutschland hat sich nach Kriegsende erst allmählich in mehreren Entwicklungspha- sen und keineswegs geradlinig mit dem Widerstand gegen Hitler als einem bedeuten- den Phänomen der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 beschäftigt, da ins- besondere das Vorhandensein einer deutschen Opposition gegen den Nationalsozia- lismus von den Alliierten in den ersten Jahren nach 1945 tabuisiert worden war. Diese Haltung der Besatzungsmächte wirkte auch in der Historiographie lange nach. Die ersten deutschsprachigen Arbeiten zu diesem Thema mußten im Ausland veröffent- licht werden. Nachdem sich die Geschichtsschreibung dann zuerst um den faktischen Nachweis sowie die besondere Würdigung und Rehabilitierung des »Anderen Deutschlands« bemüht hatte, standen danach geschlossene Darstellungen und Deu- tungen des bürgerlich und militärisch-konservativ orientierten Widerstandes als Aus- druck der Gewissensentscheidung gegen das verbrecherische System der Nationalso- zialisten und die detaillierte Beschreibung der Aktion vom 20. Juli 1944 im Mittel- punkt der Untersuchungen. Der sichtbare Umsturzversuch vom 20. Juli erhielt sym- bolische Bedeutung für die Begriffsbestimmung von Opposition und Widerstand ge- gen Hitler. Über weite Strecken ist es dadurch zu einseitiger Hervorhebung der militärisch-konservativen Widerstandsleistung gekommen, die zugleich in Verbin- dung mit einer der aktuellen, politischen Situation im »Kalten Krieg« entsprechenden Sichtweise zum Verschweigen des Arbeiterwiderstandes führte so daß große Berei- che der Widerstandsbewegung in den Darstellungen unberücksichtigt blieben. Nach dem Abklingen des innerstaatlichen Harmonisierungsbedürfnisses und des Ost- West-Gegensatzes während des Kalten Krieges kam es Mitte der sechziger Jahre so- wohl zur Verbreiterung des Widerstandsbegriffes unter stärkerer Berücksichtigung und Einbeziehung der lange Zeit als »landesverräterisch« abqualifizierten Wider- standsaktivitäten von nicht zur politischen Elite zählenden kommunistischen und so- zialistischen Arbeiterkreisen oder anderen Gruppen, die mit dem Ausland konspirier- ten, als auch zu ersten kritischen Analysen der politischen Zukunftsvorstellungen des Widerstandes. Seither besteht sowohl eine kritischere als auch differenziertere Be- trachtungsweise des Phänomens Widerstand, als sie den Studien der fünfziger Jahre zugrunde lag; sie führte zugleich zur Revision der bisher bestehenden Urteile über die Motive und Verfassungspläne des konservativen Widerstandes. Mit dieser Sichtweise korrespondierte die Bereitschaft der Geschichtsschreibung, sich verstärkt der Existenz der sozialdemokratischen, kommunistischen und gewerkschaftlichen Widerstandsfor- men zuzuwenden. Forschung und Historiographie über die Opposition gegen Hitler und den National- sozialismus von 1933 bis 1945 haben schließlich durch die Einbeziehung der Wider- standsthematik in die 32. Versammlung deutscher Historiker im Oktober 19782 nicht unwesentliche Impulse erhalten. Kurz darauf kam es auch im Zusammenhang mit den zum 35. Jahrestag des 20. Juli erschienenen Veröffentlichungen ab 1979 zu mehreren Bilanzen, Überblicken und Einzeldarstellungen mit neuen Ansätzen sowie bewußten 141 MGM 1/84 Rückgriffen auf vertraute Darstellungsformen, wie dies mehrere Lebensbeschreibun- gen und Biographien einzelner Widerstandskämpfer erkennen lassen. Trotz dieser Fülle der seither erschienenen Publikationen, zu denen auch einige wenige neue Ar- beiten zum kirchlichen Widerstand zählen3, haben sich die Schwerpunkte seit dem 32. Historikertag kaum wesentlich verschoben. Die nachfolgende Würdigung, für die es nicht möglich war, sämtliche Titel der letzten Jahre lückenlos heranzuziehen, rich- tet sich nach dieser Akzentsetzung, um vielen Arbeiten vergleichend gerecht zu wer- den: Ausgehend von den gedruckt vorliegenden Beiträgen zur Diskussion auf dem Historikertag von 1978 (I) und den daraus resultierenden Forderungen der Fachdi- daktik (II), werden neue Überblicks- und Gesamtdarstellungen sowie Sammelbände zur Gesamtgeschichte des Widerstandes (III) vorgestellt. Die neueren Einzelstudien, biographischen Arbeiten, thematischen Aufsatzsammlungen und kleineren Beiträge werden entsprechend den beiden Schwerpunkten in zwei großen Gruppen — nach Emigration und Arbeiterwiderstand (IV) sowie nach bürgerlichem und militärisch- konservativem Widerstand (V) — mit einem abschließenden Resümee (VI) betrachtet. I Auf der sich mit dem »Widerstand gegen den Nationalsozialismus« beschäftigenden Sektion des 32. Historikertages standen Fragen der Terminologie und Didaktik sowie der historischen Einordnung und Beurteilung des Widerstandes aus Militärkreisen und aus der Arbeiterschaft gleichsam als aktuelle Bestandsaufnahme der Widerstands- forschung vor dem 35. Jahrestag des 20. Juli 1944 im Mittelpunkt. Während die von Peter Hüttenberger in seinem Tagüngsbeitrag vorgenommene Auflösung des einheitli- chen Widerstandsbegriffs in eine Reihe von Einzelbegriffen einen Rückblick auf seine schon 1977 vorgelegten »Vorüberlegungen zum Widerstandsbegriff«4 darstellte, um damit die Inhalte einzelner Formen der »Widersetzlichkeiten« und der »Leistungsver- weigerungen« im Gegensatz zum eng begrenzten aktiven eigentlichen Widerstand als Aktion zum Sturz des NS-Regimes exakter erfassen zu können, wurde insbesondere die Forderung nach einer sachlichen Bewertung größerer Widerstandskreise und ihres eigentlichen Wollens Ausgangspunkt neuer, breiter angelegter Untersuchungen; Falk Wiesemann verdeutlichte diesen Ansatz im Zusammenhang mit dem aufgenommenen Forschungsprojekt über Widerstand und Verfolgung in Bayern während der NS- Zeit5. Die erneute Uberprüfung der Bedeutung von Militär und Arbeiterschaft für die Wi- derstandsbewegung resultierte aus den überaus kritischen Arbeiten vorangegangener Jahre über die politischen Absichten und Konzeptionen einzelner Widerstandskreise6. Noch im Vorfeld des Historikertages hatte Klaus Hildebrand in einem um zeitgemäße Einordnung und gerechte Interpretation bemühten Beitrag über »Die ostpolitischen Vorstellungen im deutschen Widerstand« 7 vor deren, die historischen Rahmenbedin- gungen außer acht lassenden, eilfertigen Verurteilung gewarnt. Hildebrand spricht sich dafür aus, eine Interpretation dieser Vorstellungen nur im Rahmen der außenpo- litischen Ideen der Widerstandsgruppen insgesamt und unter Berücksichtigung der in dieser Zeit vorherrschenden und das politische Denken bestimmenden »traditionellen Wertvorstellungen« vorzunehmen, ohne in den Fehler zu verfallen, die politischen Zielvorstellungen »im Lichte der für die Nachkriegsverhältnisse in Ost und West ver- bindlichen Geschichtsbilder [zu] interpretieren« (S. 216). Er bestreitet nicht, daß tra- ditionelle Machtstaatsvorstellungen die Konzeptionen der Goerdeler-Beck-Hassell- Gruppe und auch zum Teil des Kreisauer Kreises bestimmten; dennoch bestanden aber nach seiner Ansicht »fundamentale« Unterschiede zu Hitlers programmatischen Vorstellungen und dessen Kriegs-, Besatzungs- und Rassenpolitik in Osteuropa. Die 142 Berücksichtigung dieses als bedeutungsvoll erkannten »Bruchs« und grundsätzlichen Unterschiedes zu Hitlers »Programm« bietet zweifellos eine geeignetere Ausgangspo- sition für die Bewertung als eine an den Beurteilungskategorien der Zeit vorbeige- hende Einordnung vor dem Hintergrund des »Kalten Krieges« oder vor dem Spiegel der parlamentarisch-demokratischen Staats- und Gesellschaftsform heutiger Zeit. An Hildebrands Forderung nach Berücksichtigung zeitgemäßer Beurteilungskatego- rien anknüpfend, hat Erich Kosthorst in seinem inzwischen auch in einer Aufsatz- sammlung veröffentlichten Vortrag über »Didaktische Probleme der Widerstandsfor- schung«8 darauf hingewiesen, daß die Frage nach dem deutschen Widerstand trotz heftiger fachwissenschaftlicher Auseinandersetzungen in der Gesellschaft der Bundes- republik anfangs nur mäßiges Interesse gefunden hat. Dies mag damit zusammenhän- gen, daß die Aufnahmebereitschaft der historisch-politisch Interessierten mehrfach »überfordert« war, als es darum ging, die anfangs im Vordergrund stehende Diskus- sion über »Verräter oder Patrioten?« oder die danach vorgenommene »Heroisierung und moralische Überhöhung des Widerstands« nachzuvollziehen und zu akzeptieren. Demnach kommt den ersten kritischen Untersuchungen eine wichtige Funktion für die mittlerweile zu registrierende Breitenwirkung in der Öffentlichkeit zu. Kosthorst anerkennt diese Leistung kritischer Beiträge. Zugleich fordert er aber, »neben dem Negativen (zugleich mit ihm) auch das Positive wieder stärker herauszuheben, [um] den geschichtlichen Boden zu sichern, auf dem wir stehen können« (S. 64). Es geht ihm nicht um ein »restauratives Plädoyer«, sondern um »die sorgfältige Differenzie- rung« (S. 64) — beispielsweise zwischen dem Großmachtdenken von General Beck als Repräsentanten des Widerstandes einerseits und der Wilhelminischen Großmachtpo- litik oder gar dem »Programm« Hitlers andererseits. Kosthorst plädiert wie Hilde- brand für eine zeitgerechte Bewertung der nationalen und machtpolitischen Denkwei- sen und Ziele des Widerstandes, die »mit den ihnen gemäßen und zu ihrer Zeit akzep- tierten Maßstäben« zu messen seien (S. 66).