UNICUIQUE SUUM NON PRAEVALEBUNT

Redaktion: I-00120 Vatikanstadt Schwabenverlag AG Einzelpreis Wochenausgabe in deutscher Sprache 50. Jahrgang – Nummer 49 – 4. Dezember 2020 D-73745 Ostfildern Vatikan d 2,20

Ansprache von Papst Franziskus beim Angelusgebet am ersten Adventssonntag, 29. November Der Herr kommt jeden Tag, er ist immer an unserer Seite

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag! Lebens zusammen zu sein, bereiten wir uns auf mismus, Abschottung und Apathie zu verfallen. Nach dem Angelus sagte der Papst: Heute, am ersten Adventssonntag, beginnt die Begegnung vor, um in der Ewigkeit mit dem Wie sollten wir angesichts all dessen reagieren? Liebe Brüder und Schwestern! ein neues Kirchenjahr. Mit der Feier der wichtigs- Herrn zusammen zu sein. Und diese endgültige Der heutige Psalm legt es uns nahe: »Unsre Seele Ich möchte noch einmal den Menschen in ten Ereignisse des Lebens Jesu und der Heilsge- Begegnung wird am Ende der Welt stattfinden. hofft auf den Herrn; er ist unsere Hilfe und unser Mittelamerika meine Nähe zum Ausdruck brin- schichte verleiht die Kirche so dem Lauf der Zeit Doch der Herr kommt jeden Tag, weil wir mit sei- Schild. Ja, an ihm freut sich unser Herz, wir ha- gen, die von starken Wirbelstürmen heimgesucht einen besonderen Rhythmus. Damit erhellt sie ner Gnade in unserem eigenen Leben und im Le- ben vertraut auf seinen heiligen Namen« (Ps wurden. Ich denke dabei insbesondere an die In- als Mutter den Weg unseres Daseins, sie unter- ben anderer Gutes tun können. Unser Gott ist ein 33,20-21). Das heißt, die wartende Seele, eine zu- seln San Andrés, Providencia und Santa Catalina stützt uns bei unseren täglichen Beschäftigungen Gott-der-kommt – vergesst das nicht: Gott ist ein versichtliche Erwartung des Herrn, lässt uns in sowie an die Pazifikküste im Norden Kolumbi- und richtet uns auf die endgültige Begegnung mit Gott, der kommt, der unablässig kommt –, er ent- den dunklen Momenten des Daseins Trost und ens. Ich bete für alle Länder, die unter den Folgen Christus aus. Die heutige Liturgie lädt uns ein, die Mut finden. Und dieser Katastrophen leiden. erste »intensive Zeit« zu leben, die Zeit des Ad- was ist der Grund Mein herzlicher Gruß gilt euch, den Gläubi- vents, den ersten Abschnitt des liturgischen Jah- Der #Advent ist ein unaufhörlicher Aufruf für diesen Mut und gen aus Rom und den Pilgern aus verschiedenen res, den Advent, der uns auf Weihnachten vorbe- zur Hoffnung: Er erinnert uns daran, für dieses vertrau- Ländern. Ich begrüße insbesondere diejenigen, reitet, und wegen dieser Vorbereitung ist er eine dass Gott in der Geschichte gegenwärtig ensvolle Sich-Einlas- die – leider in sehr begrenzter Zahl – anlässlich Zeit der Erwartung, er ist eine Zeit der Hoffnung. ist, um sie zu ihrem letzten Ziel und zur sen auf den Herrn? der Kreierung der neuen Kardinäle gekommen Erwartung und Hoffnung. Fülle zu führen, zu unserem Herrn Woher kommt es? Es sind, die gestern Nachmittag stattfand. Wir beten Der heilige Paulus (vgl. 1 Kor 1,3-9) weist auf Jesus Christus. kommt aus der Hoff- für die dreizehn neuen Mitglieder des Kardinals- den Gegenstand der Erwartung hin. Worum geht nung. Und die Hoff- kollegiums. es? Um die »Offenbarung des Herrn« (V. 7). Der Tweet von Papst Franziskus nung enttäuscht Ich wünsche euch allen einen schönen Sonn- Apostel lädt die Christen von Korinth und auch nicht, jene Tugend, tag und einen guten Weg durch den Advent. Ver- uns ein, die Aufmerksamkeit auf die Begegnung täuscht unsere Erwartung nicht! Der Herr ent- die uns vorwärts bringt, wenn wir auf die Begeg- suchen wir auch, der schwierigen Situation et- mit der Person Jesu zu konzentrieren. Für einen täuscht nie. Vielleicht lässt er uns warten, er lässt nung mit dem Herrn blicken. was Gutes abzugewinnen, die die Pandemie uns Christen ist das Allerwichtigste die kontinuierli- uns vielleicht ein paar Augenblicke im Dunkel Der Advent ist ein unablässiger Aufruf zur aufzwingt: mehr Nüchternheit, diskrete und re- che Begegnung mit dem Herrn, beim Herrn zu warten, um unsere Hoffnung reifen zu lassen, Hoffnung: Er erinnert uns an Gottes Gegenwart spektvolle Aufmerksamkeit für die Nachbarn, die sein. Und so, daran gewöhnt, mit dem Herrn des aber er enttäuscht uns nie. Der Herr kommt im- in der Geschichte, um diese zu ihrem letzten vielleicht etwas brauchen, ein paar einfache Au- mer, er ist immer an unserer Seite. Manchmal Ziel zu führen, um sie zu ihrer Fülle zu führen, genblicke des Gebets in der Familie. Diese drei zeigt er sich nicht, aber er kommt immer. die der Herr ist, Jesus Christus, der Herr. Gott ist Dinge werden uns sehr helfen: mehr Nüchtern- Er kam zu einem präzisen Zeitpunkt in der in der Geschichte der Menschheit gegenwärtig, heit, diskrete und respektvolle Aufmerksamkeit Konsistorium zur Geschichte und wurde Mensch, um unsere Sün- er ist der »Gott mit uns«. Gott ist nicht fern, er für die Nachbarn, die vielleicht etwas brauchen, den auf sich zu nehmen: Das Weihnachtsfest er- ist immer bei uns, was so weit geht, dass er oft und dann, äußerst wichtig, ein paar einfache Au- Kreierung innert an dieses erste Kommen Jesu in jenem an die Türen unseres Herzens klopft. Gott geht genblicke des Gebets in der Familie. Bitte ver- neuer Kardinäle Augenblick der Geschichte. Er wird am Ende an unserer Seite, um uns zu stützen. Der Herr gesst nicht, für mich zu beten. Gesegnete Mahl- der Zeiten als universaler Richter kommen. Und lässt uns nicht im Stich. Er begleitet uns in den zeit und auf Wiedersehen. er kommt auch ein drittes Mal, auf eine dritte Begebenheiten unseres Lebens, um uns zu hel- Weise: Er kommt jeden Tag, um sein Volk zu be- fen, den Sinn des Weges, den Sinn des Alltags suchen, um jeden Mann und jede Frau zu be- zu entdecken, um uns in Prüfungen und In dieser Ausgabe suchen, die ihn im Wort, in den Sakramenten, in Schmerz Mut zu machen. Mitten in den Stür- ihren Brüdern und Schwestern aufnehmen. Je- men des Lebens reicht uns Gott stets seine Generalaudienz als Videostream aus sus, so sagt uns die Bibel, steht vor der Tür und Hand und befreit uns aus drohenden Gefahren. der Bibliothek des Apostolischen

klopft an. Jeden Tag. Er steht an der Tür unserer Das ist schön! Im Buch Deuteronomium gibt es Palastes am 25. November ...... 2 Herzen. Er klopft an. Verstehst du den Herrn zu eine sehr schöne Stelle, wo der Prophet zum Vor 900 Jahren gründete Norbert von

hören, der anklopft, der heute gekommen ist, Volk spricht: »Denn welche große Nation hätte Xanten die Prämonstratenser...... 5 Vatikanstadt. Im Rahmen eines feierli- um dich zu besuchen, der mit einer Sorge, mit Götter, die ihr so nah sind, wie der Herr, unser Interview mit dem anglikanischen Erz - chen Konsistoriums am 28. November hat einer Idee, mit einer Eingebung an dein Herz Gott, uns nah ist?« (4,7). Kein anderer, nur wir bischof von Canterbury und Primas von Papst Franziskus 13 neue Kardinäle krei- klopft? Er ist nach Bethlehem gekommen, er haben diese Gnade, Gott nahe bei uns zu ha- ganz England, Justin Welby ...... 6 ert. Am ersten Adventssonntag, 29. No- wird am Ende der Welt kommen, aber er kommt ben. Wir warten auf Gott, wir hoffen, dass er vember, feierte er gemeinsam mit den elf jeden Tag zu uns. Seid wachsam, schaut, was sich offenbare, doch auch er hofft, dass wir uns Neues Buch von Papst Franziskus: anwesenden neuen Kardinälen die heilige ihr in eurem Herzen verspürt, wenn der Herr ihm gegenüber offenbaren! »Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus Messe. anklopft. Die allerseligste Jungfrau Maria, Frau der Er- der Krise«...... 10-11 Wir wissen, dass das Leben aus Höhen und wartung, begleite unsere Schritte in diesem Videobotschaft von Papst Franziskus Die Predigten des Papstes im Tiefen, aus Licht und Schatten besteht. Jeder von neuen Kirchenjahr, das wir beginnen, und sie an die Teilnehmer des »Festivals der Konsistorium und bei der heiligen Messe uns erlebt Momente der Enttäuschung, des Schei- helfe uns, die vom Apostel Petrus aufgezeigte Soziallehre« ...... 11 finden Sie auf den terns und der Ratlosigkeit. Darüber hinaus er- Aufgabe der Jünger Jesu zu erfüllen. Und worin Audienz für die Gemeinschaft des Seiten 7 bis 9 zeugt die von der Pandemie geprägte Situation, in besteht diese Aufgabe? Jedem Rede und Antwort Päpstlichen Lateinamerikanischen der wir leben, bei vielen Menschen Sorge, Angst zu stehen, der von uns Rechenschaft fordert über Kollegs in Rom ...... 12 und Entmutigung. Wir laufen Gefahr, in Pessi- die Hoffnung, die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15). 4. Dezember 2020 / Nummer 49 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 2 Aus dem Vatikan und der Weltkirche

Generalaudienz als Videostream aus der Bibliothek des Apostolischen Palastes am 25. November Die Kirche ist das Werk des Heiligen Geistes

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag! Der Takt für die ersten Schritte der Kirche in der Welt war vom Gebet vorgegeben. Die aposto- lischen Schriften und der große Bericht der Apos- telgeschichte geben uns das Bild einer Kirche wie- der, die auf dem Weg ist, einer tatkräftigen Kirche, die jedoch in den Gebetsversammlungen die Grundlage und den Impuls für das missionarische Wirken findet. Das Bild der Jerusalemer Urge- meinde ist der Bezugspunkt für jede weitere christliche Erfahrung. Lukas schreibt in der Apos- telgeschichte: »Sie hielten an der Lehre der Apos - tel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten« (2,42). Die Ge- meinde hält am Gebet fest.

Mit Christus vereint Die Existenz der Kirche beziehe ihren Sinn aus der Verwurzelung in Christus, betonte der Heilige Wir finden hier vier wesentliche Eigenschaf- Vater in seiner Katechese bei der Generalaudienz, ten des kirchlichen Lebens: erstens das Hören die wieder per Livestream aus der Privatbiblio- auf die Lehre der Apostel; zweitens die Wahrung thek im Apostolischen Palast übertragen wurde. der gegenseitigen Gemeinschaft; drittens das Brechen des Brotes und viertens das Gebet. Sie sammeln. Die Kirche ist das Wirken des Geistes das Gebet, die Eucharistie… [die Verkündigung], Wenn man erzählt, was der Herr gesagt und ge- erinnern uns daran, dass die Existenz der Kirche in der christlichen Gemeinde, im Gemeinschafts- wie das Leben sich in diesen vier Koordinaten tan hat – das Hören auf das Wort –, wenn man be- dann einen Sinn hat, wenn sie fest mit Christus leben, in der Eucharistie, im Gebet, immer. Und entwickelt. Wenn das fehlt, dann fehlt der Heilige tet, um in Gemeinschaft mit ihm einzutreten, vereint bleibt, also in der Gemeinschaft, in sei- alles, was außerhalb dieser Koordinaten heran- Geist, und wenn der Heilige Geist fehlt, dann dann wird alles lebendig. Das Gebet flößt Licht nem Wort, in der Eucharistie und im Gebet. So wächst, ist ohne Grundlage, ist gleichsam ein sind wir eine schöne humanitäre Einrichtung, und Wärme ein: Das Geschenk des Heiligen Geis - vereinen wir uns mit Christus. Die Verkündi- Haus, das auf Sand gebaut ist (vgl. Mt 7,24-27). ein Wohlfahrtsinstitut – gut, gut –, vielleicht auch tes lässt in ihnen den Eifer entstehen. gung und die Katechese bezeugen die Worte und Gott ist es, der die Kirche macht, nicht das Aufse- sozusagen eine kirchliche Partei, aber nicht die In diesem Zusammenhang hat der Katechis- die Gesten des Meisters; die beständige Suche hen um die Werke. Das Wort Jesu erfüllt unsere Kirche. Und darum kann die Kirche nicht mit die- mus ein sehr gehaltvolles Wort. Dort heißt es: nach brüderlicher Gemeinschaft bewahrt vor Bemühungen mit Sinn. In der Demut wird die Zu- sen Dingen wachsen: Sie wächst nicht durch »Der Heilige Geist, der seiner betenden Kirche Egoismen und Partikularismen; das Brechen des kunft der Welt aufgebaut. Proselytismus, wie eine x-beliebige Firma, son- Christus in Erinnerung ruft, führt sie auch in die Brotes verwirklicht das Sakrament der Gegen- Manchmal verspüre ich große Traurigkeit, dern sie wächst durch Anziehung. Und wer be- ganze Wahrheit ein. Er regt an, das unergründli- wart Jesu mitten unter uns: Er wird nie abwe- wenn ich eine Gemeinde sehe, die – mit allem wirkt die Anziehung? Der Heilige Geist. Wir dür- che Mysterium Chrpisti, das im Leben, in den Sa- send sein; er ist in der Eucharistie gegenwärtig. guten Willen – den falschen Weg geht, weil sie fen nie dieses Wort Benedikts XVI. vergessen: kramenten und in der Sendung der Kirche am Er lebt und geht mit uns. Und schließlich das Ge- meint, man könne die Kirche in Versammlungen »Die Kirche wächst nicht durch Proselytismus, Werk ist, neu in Worte zu fassen« (Nr. 2625). Das bet, der Raum des Dialogs mit dem Vater durch machen, so als wäre sie eine politische Partei: die sondern durch Anziehung.« Wo der Heilige Geist ist das Werk des Heiligen Geistes in der Kirche: Je- Christus im Heiligen Geist. Mehrheit, die Minderheit, was dieser oder jener fehlt, der zu Jesus anzieht, dort ist nicht die Kir- sus in Erinnerung zu rufen. Jesus selbst hat es ge- Alles, was in der Kirche außerhalb dieser oder der andere meint… »Das ist wie eine Sy - che. Dort ist ein schöner Club von Freunden – sagt: Er wird euch lehren und euch erinnern. Die »Koordinaten« wächst, entbehrt jeder Grundlage. node, ein synodaler Weg, den wir gehen müs- gut, mit guten Absichten –, aber dort ist nicht die Sendung besteht darin, Jesus in Erinnerung zu ru- Um in einer Situation eine Entscheidung zu fin- sen.« Ich frage mich: Wo ist dort der Heilige Kirche, dort ist keine Synodalität. fen, aber nicht als Gedächtnisübung. Wenn die den, müssen wir uns fragen, wie in dieser Situa- Geist? Wo ist das Gebet? Wo ist die gemeinschaft- Christen auf den Wegen der Sendung unterwegs tion diese vier Koordinaten aussehen: die Verkün- liche Liebe? Wo ist die Eucharistie? Ohne diese In der Stille der Anbetung sind, dann rufen sie Jesus in Erinnerung, indem digung, die beständige Suche nach brüderlicher vier Koordinaten wird die Kirche zu einer sie ihn wieder gegenwärtig machen; und von Gemeinschaft – die Nächstenliebe –, das Bre- menschlichen Gesellschaft, zu einer politischen Wenn wir die Apostelgeschichte lesen, ent- ihm, von seinem Geist, bekommen sie den »An- chen des Brotes – also das eucharistische Leben Partei – Mehrheit, Minderheit –, Veränderungen decken wir also, dass die mächtige Triebkraft der trieb«, weiterzugehen, zu verkündigen, zu die- – und das Gebet. Was nicht in diese Koordinaten werden gemacht als sei sie eine Firma, durch Evangelisierung die Gebetsversammlungen sind, nen. Im Gebet taucht der Christ in das Geheimnis hineinpasst, ist ohne Kirchlichkeit, ist nicht kirch- Mehrheits- oder Minderheitsbeschluss… Aber wo jene, die daran teilnehmen, die Gegenwart Gottes ein, der jeden Menschen liebt – jenes lich. Gott ist es, der die Kirche macht, nicht das der Heilige Geist ist nicht da. Und die Gegenwart Jesu persönlich erleben und vom Heiligen Geist Gottes, der will, dass das Evangelium allen ver- Aufsehen um die Werke. Die Kirche ist kein des Heiligen Geistes wird gerade durch diese vier berührt werden. Die Glieder der Urgemeinde – kündigt werde. Gott ist der Gott aller Menschen, Marktplatz; die Kirche ist keine Gruppe von Un- Koordinaten gewährleistet. Um eine Situation zu das gilt jedoch immer, auch für uns heute – und in Jesus ist jede trennende Mauer endgültig ternehmern, die dieses neue Unternehmen vor- bewerten, ob sie kirchlich oder nicht kirchlich ist, spüren, dass die Geschichte der Begegnung mit niedergerissen: Wie der heilige Paulus sagt, ist anbringen. Die Kirche ist das Werk des Heiligen müssen wir uns fragen, ob diese vier Koordina- Jesus nicht im Augenblick der Himmelfahrt halt- er unser Friede: »Er vereinigte die beiden Teile« Geistes, den Jesus gesandt hat, um uns zu ver- ten vorhanden sind: das Gemeinschaftsleben, gemacht hat, sondern in ihrem Leben weitergeht. (Eph 2,14). Jesus hat die Einheit hergestellt. So ist der Takt des Lebens der Urkirche vorge- geben von einer beständigen Aufeinanderfolge Vatikan fordert Grüße des Papstes an von Feiern, Zusammenkünften, Zeiten des ge- meinschaftlichen und des persönlichen Gebets. weltweite Ächtung von Streumunition Caritas in Slowenien Und der Geist ist es, der den Verkündigern die Kraft schenkt, sich auf den Weg zu machen und Vatikanstadt. Der Vatikan hat mit Nach- genheit sein, die neuen Standards zu fördern und Vatikanstadt. Papst Franziskus hat der Cari- aus Liebe zu Jesus über Meere zu fahren, sich Ge- druck zu einer weltweiten Umsetzung der Kon- Zivilisten während und nach bewaffneten Kon- tas in Slowenien zu ihrem 30-jährigen Bestehen fahren auszusetzen, sich Erniedrigungen zu un- vention gegen Streubomben aufgerufen. Die in- flikten zu schützen. gratuliert. In einer Video-Grußbotschaft zu einer terwerfen. ternationale Gemeinschaft sei noch immer weit Kritik äußerte der Ständige Beobachter des am 25. November im öffentlich-rechtlichen Fern- Gott schenkt Liebe, Gott bittet um Liebe. Das von dem 2015 in Dubrovnik gesetzten Ziel ent- Heiligen Stuhls an Sprachregelungen im Umset- sehsender RTV ausgestrahlten Spendengala mit ist die mystische Wurzel des ganzen gläubigen fernt, 130 Staaten für das Abkommen zu gewin- zungsplan, die die Kernforderungen des Abkom- Jubiläumskonzert forderte der Papst zum gemein- Lebens. Die ersten Christen im Gebet, aber auch nen, beklagte der Ständige Bobachter samen Einsatz auf. »Jeder hat seine eigenen Qua- wir, die wir viele Jahrhunderte später kommen, des Heiligen Stuhls bei den Vereinten litäten, sein eigenes Charisma, seine eigene Per- machen dieselbe Erfahrung. Der Geist beseelt Nationen in Genf, Erzbischof Ivan Jur- sönlichkeit, dies aber immer in Einheit, mit dem alle Dinge. Und jeder Christ, der keine Angst hat, kovicˇ, bei der zweiten Überprüfungs- Geist der Einheit«, so Franziskus. Keinesfalls dürf- dem Gebet Zeit zu widmen, kann sich die Worte konferenz des Übereinkommens, das ten Christen in sektiererische Spaltungen verfal- des Apostels Paulus zu eigen machen: »Was ich seit 2008 unterzeichnet werden kann. len, sondern müssten sich gemeinsam für das nun im Fleische lebe, lebe ich im Glauben an den Noch beunruhigender sei, dass Streu- Wohl des ganzen Landes einsetzen. In diesem Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich munition noch immer in manchen Kon- Sinne solle auch die jährliche Benefizkonzert - hingegeben hat« (Gal 2,20). Das Gebet macht es flikten eingesetzt werde. Das werde un- reihe ein weiterer Schritt der Einheit und des ge- dir bewusst. Nur in der Stille der Anbetung er- weigerlich zu neuen Opfern und einer meinsamen Engagements sein, so der Papst. fährt man die ganze Wahrheit dieser Worte. Wir weiteren Kontamination führen, sagte Die slowenische Caritas wurde 1990 gegrün- müssen den Sinn der Anbetung wieder aufgrei- der Vatikandiplomat laut dem am Don- det. Neben Wohlfahrtsprogrammen im Land sel- fen. Anbeten, Gott anbeten, Jesus anbeten, den nerstag, 26. November, verbreiteten Redetext. mens aufweichten. Zu dem im Jahr 2008 verab- ber unterstützt der Verband auch Entwicklungs- Heiligen Geist anbeten. Den Vater, den Sohn, den Jurkovicˇ unterstrich, die Konvention sehe eine schiedeten Übereinkommen über Streumunition projekte in Asien, Europa und Schwarzafrika. Die Heiligen Geist: anbeten. In der Stille. Die Anbe- weltweite Anwendung zwingend vor. »Je mehr bekennen sich derzeit 123 Staaten, von denen TV-Gala, bei der rund 230.000 Euro für die Cari- tung ist das Gebet, das uns Gott als Anfang und wir in Universalisierung und in Bemühungen um 110 das Abkommen ratifiziert und 13 weitere es tas-Hilfe gesammelt wurden, bildete den Höhe- Ende der ganzen Geschichte erkennen lässt. Und Abrüstung investieren, desto weniger werden unterzeichnet haben. Der Heilige Stuhl gehörte punkt der aktuellen Caritas-Woche in Slowenien. dieses Gebet ist das lebendige Feuer des Heiligen wir für humanitäre Hilfe ausgeben müssen«, mit Irland, Norwegen und Sierra Leone zu den Er- Ausdrücklich wurde dabei auch den rund 11.000 Geistes, das dem Zeugnis und der Sendung Kraft sagte der Diplomat. Gemeinsame Militäroperatio- stunterzeichnern, die das Abkommen noch am Ehrenamtlichen gedankt, die im Rahmen der verleiht. Danke. nen sollten für Unterzeichnerstaaten eine Gele- selben Tag ratifizierten. Caritasarbeit Menschen in Not helfen. (Orig. ital. in O.R. 25.11.2020) 4. Dezember 2020 / Nummer 49 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan und der Weltkirche 3

Aufruf zu praktischer Papst Franziskus wiederholt Friedensaufruf zu Äthiopien Der unauslöschliche Zusammenarbeit Der Gewalt ein Ende setzen Segen des Vaters Vatikanstadt/Istanbul. In einer Grußbot- Vatikanstadt. In der Generalaudienz am schaft zum Andreasfest, 30. November, hat Vatikanstadt. Papst Fran- Mittwoch, 2. Dezember, die wieder per Live- Papst Franziskus den Ökumenischen Patriar- ziskus hat die Konfliktparteien stream aus der Bibliothek des Apostolischen Pa- chen von Konstantinopel, Bartholomaios I., ange- in Äthiopien erneut aufgeru- lastes übertragen wurde, setzte Papst Franziskus sichts der Corona-Krise zu »praktischer Zusam- fen, der Gewalt ein Ende zu seine Katechesereihe über das Gebet fort. Ein menarbeit« aufgerufen. Die christlichen Kirchen setzen und den Frieden im Mitarbeiter der deutschsprachigen Abteilung des hätten die Pflicht, ein Zeichen des Dialogs und Land wiederherzustellen. Der Staatssekretariats trug folgende Zusammenfas- des gegenseitigen Respekts zu setzen, schrieb Papst verfolge die Nachrichten sung vor: Franziskus. Gemeinsam könne man »viele gute aus dem ostafrikanischen Land Liebe Brüder und Schwestern, heute wollen Dinge« erreichen, die der gesamten Christenheit mit Sorge, erklärte der Direktor wir uns einer weiteren wesentlichen Dimension dienlich seien. des Presseamtes des Heiligen des Gebetes widmen: dem Segen. Schon in der Der Apostel und Märtyrer Andreas sei in die- Stuhls, Matteo Bruni, am spä- Genesis segnet Gott das Werk seiner Hände. sen schwierigen Zeiten »eine Quelle der Hoff- ten Freitagabend, 27. Novem- Auch als der Mensch sich dann von Gott entfernt nung«, so der Papst. Er gab jedoch zu bedenken, ber. Wegen der Gewalt seien und entfremdet, kann nichts das Gute auslö- dass trotz der Pandemie in vielen Teilen der Welt bereits Hunderte Menschen gestorben und Zehn- wieder das Völkerrecht. Eine »Eskalation der Ge- schen, das Gott in seine Schöpfung hineingelegt weiter Krieg herrsche. »Gewalt und Konflikte tausende gezwungen, ihre Häuser zu verlassen walt« führe zu schwerwiegenden Menschen- hat. Gottes Liebe bleibt. Gottes Segen bleibt. Und werden niemals enden, solange nicht alle Men- und in den Sudan zu fliehen. rechtsverletzungen und mehreren Hundert getö- er begleitet uns ein Leben lang und macht unser schen ein tiefergehendes Bewusstsein erlangen, Bereits vor drei Wochen hatte der Papst die Re- teten Zivilisten. Herz bereit, sich verwandeln zu lassen. Gott ist dass sie als Brüder und Schwestern füreinander gierung in Addis Abeba und die Milizen in der Rund 40.000 Äthiopier mussten den Angaben geduldig und hofft auf diese Verwandlung. Den- verantwortlich sind«, so der Papst. Darum sei die Provinz Tigray aufgerufen, »der Versuchung der zufolge in den benachbarten Sudan fliehen. Die ken wir an die Begegnung Jesu mit Zachäus (vgl. »helfende Hand« der Kirchen wichtiger denn je. bewaffneten Konfrontation zu widerstehen«. Vereinten Nationen haben wiederholt auf eine Lk 19,1-10). Die meisten Menschen sahen nur das Franziskus hob hervor, dass sich die Bezie- Stattdessen sollten sie zu brüderlichem Respekt, drohende und teils eingetretene Nahrungsmittel- Böse in ihm, Jesus aber sah das verborgene Gute, hungen zwischen der katholischen Kirche und Dialog und einer friedlichen Lösung der Probleme knappheit hingewiesen. Schätzungen zufolge den unauslöschlichen Segen des Vaters. Jesus dem Ökumenischen Patriarchat in den vergange- zurückfinden. sind etwa eine Million Menschen vertrieben, dar- Christus ist das ewige Wort, mit dem der Vater nen Jahrzehnten deutlich verbessert hätten. Das Mehr Solidarität für die Menschen in der Kri- unter rund 100.000 Flüchtlinge aus Eritrea. Die uns gesegnet hat, »als wir noch Sünder waren« ersehnte Ziel bleibe aber die »Wiederherstellung senregion Tigray forderte unterdessen auch das äthiopische Justiz- und Friedenskommission be- (Röm 5,8). Auf die Liebe Gottes, der uns »mit al- der vollen Gemeinschaft«. In dieser Frage gebe es Europa-Netzwerk der kirchlichen Kommissionen richtet laut Iustitia et Pax, dass »einige Opfer zehn lem Segen seines Geistes gesegnet hat«, antwor- zwar noch etliche Hindernisse zu überwinden, er für Gerechtigkeit und Frieden (»Iustitia et Pax«). Tage laufen müssen, um den Sudan zu erreichen; ten wir mit Lob, Anbetung und Dank. Das kommt sei aber zuversichtlich. Der gemeinsame Glaube »Wir unterstützen den Appell des EU-Parlaments Mütter, die weinende Babys mit Hunger und im Lateinischen besonders schön zum Ausdruck: an Jesus Christus stimme ihn hoffnungsvoll, so an alle Konfliktparteien, den Schutz der Zivilbe- Durst tragen, voller Angst vor dem Unbekannten, Benedicere bedeutet sowohl »segnen« als auch der Papst. völkerung durch uneingeschränkte Einhaltung mit Schocks und Kriegstraumata«. Wer bleibe, sei »preisen« und bezeichnet so in einem Wort so- Zum Fest des Apostels Andreas, dem Patron des humanitären Völkerrechts und des interna- einer drohenden Hungersnot ausgesetzt. wohl die reiche Gnade Gottes als auch die Ant- der orthodoxen Kirchen, hielt sich eine vatikani- tionalen Menschenrechts zu gewährleisten«, er- Anfang November war in der nordäthiopi- wort des Menschen. »Weil Gott Segen spendet, sche Delegation unter Leitung von Kurienkardi- klärte »Iustitia et Pax Europa« in Brüssel. Die in- schen Region Tigray ein militärischer Konflikt kann das Herz des Menschen dafür den lobprei- nal bei Bartholomaios I. in Istanbul auf, ternationale Gemeinschaft einschließlich der EU zwischen der Regierung in Addis Abeba und der sen, der die Quelle allen Segens ist« (KKK 2626). die dem Patriarchen die Grußbotschaft des Paps - solle aktiv zu Friedensverhandlungen beitragen »Volksbefreiungsfront von Tigray« (TPLF) ausge- Der Heilige Vater grüßte die deutschsprachi- tes überreichte. Umgekehrt stattet eine ortho- und humanitäre Korridore ermöglichen, so die brochen. Der Konflikt gefährdet die Zivilbevölke- gen Zuschauer auf Italienisch. Anschließend doxe Delegation zum römischen Patronatsfest Pe- Organisation weiter. Menschen in Not könne so rung und hat laut internationalen Organisationen wurde folgende deutsche Übersetzung der Grüße ter und Paul am 29. Juni dem Vatikan und dem ungehindert Hilfe zuteil werden. In Tigray zu erheblichen Fluchtbewegungen auch in den vorgelesen: Papst alljährlich einen Besuch ab. missachteten bewaffnete Truppen derzeit immer Sudan geführt. Liebe Brüder und Schwestern deutscher Spra- che, im Advent bereiten wir uns für die Ankunft Christbaum auf dem Petersplatz ist aufgestellt Einsatz für das Leben unseres Herrn Jesus Christus. In ihm und durch ihn wird uns aller Segen zuteil. In Gemeinschaft Vatikanstadt. Nach dreitä- Vatikanstadt. In einem handschriftlichen mit ihm wollen auch wir für unsere Brüder und giger Reise aus Slowenien ist der Brief vom 22. November hat sich Papst Franzis- Schwestern zum Segen werden, indem wir Christbaum für den Petersplatz kus bei Frauen in Argentinien bedankt, die sich Gottes Gaben großherzig weitergeben. Ich wün- angekommen. Vatikanische Ar- dort gegen Abtreibung einsetzen. In dem Schrei- sche euch einen guten und fruchtbaren Advent. beiter stellten die 28 Meter ben betonte er, dass man das Leben vor Versu- hohe Fichte am Montagmorgen, chen schützen müsse, die Abtreibung zu legali- 30. November, rechts neben sieren. Wie das Portal »Vatican News« berichtete, dem Obelisken auf. Der Baum antwortete der Papst damit auf den Brief eines Kurz notiert stammt aus der südslowenischen Netzwerks von Frauen, die in Vororten der argen- Gemeinde Kocevje. Sein Stamm- tinischen Hauptstadt Buenos Aires arbeiten. Vatikanstadt. Der Papst hat Vertreter durchmesser beträgt 70 Zentime- In Argentinien gibt es seit Längerem einen er- des Dachverbands »Fairtrade Internatio- ter. Die Fichte stamme aus einer bitterten Streit um eine Legalisierung von Abtrei- nal«, der sich weltweit für die Verbesse- Region, in der die Natur noch in- bung. Staatspräsident Fernandez äußerte sich un- rung der Lebens- und Arbeitsbedingungen takt sei, wurde in einer Mittei- längst zuversichtlich, dass nun eine Reform von Millionen Bauern und Landarbeitern lung des Governatorates des möglich sei. Adressiert ist der Brief des Papstes an einsetzt, in Audienz empfangen. Die fünf- Staates der Vatikanstadt hervorgehoben. trum für Keramikkunst in der Abruzzen-Provinz die argentinische Parlamentsabgeordnete Victo- köpfige Delegation um »Fairtrade Interna- Die Illumination des Weihnachtsbaums und Teramo. Die Zeremonie wird von Kardinal Giu- ria Morales Gorleri, die den Brief auf Facebook tional«-Vorsitzende Mary Kinyua über- die Einweihung der Krippenszene sind für den seppe Bertello, dem Präsidenten des Governato- veröffentlichte. Abtreibung abzulehnen, so der reichte dem Papst Produkte mit dem 11. Dezember um 16.30 Uhr geplant. Die Krip- rats des Vatikanstaates, geleitet. Baum und Krippe Papst, sei keine religiöse Entscheidung, sondern »Fairtrade«-Gütesiegel, darunter Kaffee penfiguren stammen dieses Jahr aus einem Zen- sollen bis zum 10. Januar 2021 zu sehen sein. allgemein menschliche Ethik. und Kleidung, und sprach mit ihm über Fragen von Handel, den Klimawandel und Trauer und Dank Italien startet Pilotprojekt die Auswirkungen von Covid-19 auf die Landwirtschaft. an Corona-Helfer zu Krankenhausbesuchen in der Pandemie ****** Basel. Die Schweizer Bischöfe bekunden Rom. In einem Krankenhaus im italienischen Erbischof Paglia zitierte dabei aus einem Brief Rom. In diesem Jahr wird Papst Fran- zum Beginn des Advents ihre Trauer um die Prato können seit Ende November erstmals An- einer Seniorenheimbewohnerin aus Bergamo. ziskus auf den traditionellen Besuch an Opfer der Corona-Krise und danken zugleich den gehörige auch Schwer- und Sterbenskranke besu- Diese habe sich beschwert, dass zwar Menschen der Mariensäule in der römischen Altstadt Helfern im Land. »Wir Bischöfe teilen mit vielen chen, die mit dem Coronavirus infiziert sind. Für ins Fußballstadion gelassen würden, aber nicht verzichten. Man wolle so das Risiko von die Trauer über jene Menschen, die einsam und diese Besuche wurden von einer Kommission des in die Pflegeheime. Die von der Kommission er- Corona-Infektionen durch eine Men- ohne Begleitung sterben mussten und von denen Gesundheitsministeriums strenge Hygieneregeln arbeiteten Vorschriften für Krankenhaus- und schenansammlung vermeiden, teilte das man nicht gebührend Abschied nehmen entwickelt. Das Projekt solle nach Möglichkeit Pflegeheimbesuche sind nach Paglias Aussage vatikanische Presseamt mit. Franziskus konnte«, heißt es in der Adventsbotschaft des auf ganz Italien ausgeweitet werden, sagte der sehr detailliert und streng. Nur so könne einer- werde stattdessen in einem privaten Ge- Vorsitzenden der Schweizer Bischofskonferenz, Vorsitzende des Gremiums, Erzbischof Vincenzo seits das Risiko einer Ansteckung weitestgehend bet die Stadt Rom, deren Bewohner und Bischof Felix Gmür. Der Lockdown habe vieler- Paglia, im Interview mit italienischen Medien. verhindert und gleichzeitig menschliche Begeg- die Kranken in aller Welt der Fürsprache orts die Einsamkeit verstärkt. »Dass wir alle auf Paglia ist auch Präsident der Päpstlichen Akade- nung und Nähe zwischen Angehörigen und der Muttergottes anvertrauen. Üblicher- Nähe, Zärtlichkeit, auf eine Umarmung und auf mie für das Leben, die sich mit medizinethischen Kranken ermöglicht werden. weise begibt sich der Papst am 8. Dezem- Besuche verzichten mussten und müssen, Fragen befasst. Ende September hatte der italienische Ge- ber zur Mariensäule nahe der Spanischen schmerzt«, so der Bischof von Basel. Tragödien wie im Frühjahrslockdown, als Tau- sundheitsminister Roberto Speranza eine »Re- Treppe, um ein Blumengebinde niederzu- Allerdings hätten sich während der vergange- sende Menschen alleingelassen in Krankenhäu- formkommission für die Gesundheits- und Sozial- legen und für die Stadt Rom zu beten. Der nen Monate auch viele Menschen »mit viel Herz- sern und Altenheimen starben, dürften sich fürsorge älterer Bevölkerung« eingesetzt. Das von Besuch anlässlich des Hochfestes der Un- blut für andere engagiert«, schreibt Gmür. »Trotz nicht wiederholen, so Paglia. Man befinde sich in Erzbischof Paglia geleitete Gremium soll Vor- befleckten Empfängnis zieht regelmäßig der vielen Beschränkungen ermöglichen sie einer Grenzsituation, »in der Einsamkeit als Ver- schläge erarbeiten, wie in der Pandemie Kranken- Scharen von Menschen an. Der Brauch kirchliches Leben, oft in neuen Formen, und lassensein empfunden wird, das furchtbar sein und Altenpflege besser gestaltet werden können. geht auf Papst Pius XII. (1939-1958) schenken jenen ihre Zeit, die ein offenes Ohr oder kann«. Die Initiative in der Toskana sei daher Aktuell sind Angehörigenbesuche bei Covid-Pati- zurück und wurde von dessen Nachfol- handfeste Hilfe brauchen.« Kreativität sei auch wichtig, weil sie auf ein weitverbreitetes Bedürf- enten nicht möglich, andere Besuche nur unter gern durchgehend geübt. jenseits von Corona weiter gefragt. nis antworte. strengen Auflagen. 4. Dezember 2020 / Nummer 49 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 4 Aus dem Vatikan

Aus dem Vatikan VATIKANISCHES BULLETIN in Kürze

Bei einem Besuch in Saudi-Arabien hat Erzbischof Ivan Jurkovicˇ das Land zum Privataudienzen 26. November: Errichtung einer Eparchie Schutz der individuellen Menschenrechte – zum Weihbischof in der Diözese Warschau- aufgerufen. Der Ständige Beobachter des Praga (Polen): Domkapitular Jacek Grzybow- 25. November: Heiligen Stuhls bei den Vereinten Natio- nen in Genf unterstrich bei einer Veran- Der Papst empfing: ski, vom Klerus der Diözese, bisher Direktor des Der Papst hat die neue Eparchie Olsztyn-Danzig Diözesanbüros für die Universitätspastoral, mit staltung der Islamischen Weltliga in (Polen) des ukrainischen byzantinischen Ritus Dschidda, dass es keinen Dialog geben 26. November: Zuweisung des Titularsitzes Nova; mit abgetrenntem Territorium von der Erzepar- könne, wenn nicht zuerst die Menschen- – den emeritierten Erzbischof von Ancona- 27. November: chie Przemysl-Warschau und der Eparchie Bres- würde respektiert werde. Die wichtigste Osimo (Italien), Kardinal ; – zu Weihbischöfen in der Metropolitan-Erzdiö- lau-Danzig errichtet; Konsequenz aus der Würde sei die Gleich- – zum ersten Bischof ernannte der Papst: Arka- – den Sekretär des Dikasteriums für den Dienst zese Guadalajara (Mexiko): Manuel González heit auch im Blick auf »unverlierbare diusz Trochanowski, vom Klerus der Eparchie zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Villaseñor, vom Klerus der Erzdiözese, bisher Rechte«, so der Diplomat am 22. Novem- Breslau-Danzig. Bis zur Einführung des neuen Bi- Menschen, Msgr. Bruno Marie Duffé; Pfarrer der Pfarrei »San Francisco Javier de Las Co- ber bei einer Buchvorstellung. Jurkovicˇ un- linas« mit Zuweisung des Titularsitzes Ploaghe; schofs wird die Eparchie Olsztyn-Danzig durch terstrich die Notwendigkeit eines Dialogs – den Generaloberen der Kongregation der Mis- Eduardo Muñoz Ochoa, vom Klerus der Erz- den Metropoliten Eugeniusz Miroslaw Popo- zwischen den Religionen. Keine Gesell- sion (Lazaristen), P. Tomazˇ Mavricˇ CM; diözese, bisher Ausbilder im Priesterseminar, mit wicz als Apostolischer Administrator geleitet. schaft sei religiös völlig homogen, sagte er 27. November: Zuweisung des Titularsitzes Satafis; Der Papst hat den Namen der Eparchie Breslau- in dem stark wahhabitisch geprägten Kö- Danzig in Breslau-Koszalin geändert und hat die nigreich. Die unterschiedlichen Glaubens- – den Präfekten der Kongregation für die Evange- 28. November: richtungen und Konfessionen seien aufge- lisierung der Völker, Kardinal Luis Antonio G. neue Eparchie Olsztyn-Danzig der Erzeparchie – zum Weihbischof in der Metropolitan-Erzdiö- rufen, sich untereinander zu versöhnen, Tagle; Przemysl-Warschau als Suffraganbezirk unter- zese Toronto (Kanada): Ivan Philip Camilleri, stellt. um damit der Welt ein Beispiel zu geben, – den emeritierten Erzbischof von Genua (Ita- bisher Generalvikar und Moderator der Kurie in sagte er mit einem Zitat seines Gastgebers, lien), Kardinal ; diesem Kirchenbezirk, mit Zuweisung des Titu- Rücktritte des Generalsekretärs der Weltliga, Mu- larsitzes Teglata in Numidia; – den Präfekten des Dikasteriums für den Dienst hammad bin Abdul Karim Issa. – zum Weihbischof in der Diözese Daejeon Der Papst nahm die Rücktrittsgesuche an: zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des ******* Menschen, Kardinal Peter Kodwo Appiah (Korea): Stephanus Han Jung Hyun, vom Kle- 25. November: Zum Internationalen Tag der Gewalt Turkson; rus der Diözese, bisher Pfarrer der Pfarrei »Heilige Familie«, mit Zuweisung des Titularsitzes Mozot- – von Bischof Kevin Patrick Dowling von der gegen Frauen hat Papst Franziskus mehr – den Botschafter der Vereinigten Arabischen cori; Leitung der Diözese Rustenburg (Südafrika); Einsatz für die Würde von Frauen gefor- Emirate in Spanien, Majid Al-Suwaidi; dert. Noch viel zu oft würden Frauen be- – zum Apostolischen Vikar von El Beni (Boli- 27. November: leidigt, misshandelt, vergewaltigt, zur Pro- 28. November: vien): Aurelio Pesoa Ribera, bisher Weihbi- – von Erzbischof Anthony Mancini von der Lei- stitution gezwungen. »Wenn wir eine schof in der Erzdiözese La Paz, Generalsekretär – den Präfekten der Kongregation für die tung der Erzdiözese Halifax-Yarmouth (Kanada); bessere Welt wollen, die ein Haus des Frie- der Bolivianischen Bischofskonferenz und Titul- Bischöfe, Kardinal ; dens und nicht Schauplatz für Krieg ist, arbischof von Leges; – sein Nachfolger ist der bisherige Erzbischof-Ko- – Seine Seligkeit Kardinal Béchara Boutros Raï, adjutor Brian Joseph Dunn; müssen wir für die Würde jeder Frau viel Patriarch von Antiochien der Maroniten (Liba- – zum Apostolischen Administrator »sede plena« mehr tun«, forderte der Papst in einem non); der Diözese Broome (Australien): Paul Boyers, 28. November: Tweet am 25. November. bisher Generalvikar; – den Internationalen Direktor des Weltweiten – von Bischof Patrick Kieran Lynch, Titularbi- ******* Gebetsnetzwerks des Papstes, P. Frédéric For- schof von Castrum, von seinem Amt als Weihbi- 29. November: Papst Franziskus betet für seinen nos SJ. schof in der Metropolitan-Erzdiözese Southwark – zum Bischof der Diözese Homa Bay (Kenia): (England); Landsmann Diego Armando Maradona. Er Michael Otieno Odiwa, vom Klerus der Diö- sei über den Tod der argentinischen Fuß- zese, bisher »Fidei Donum«-Priester in der Me- 30. November: ball-Legende informiert worden, teilte Va- Bischofskollegium tropolitan-Erzdiözese Adelaide (Australien); – von Bischof Robert Ovide Bourgon von der tikansprecher Matteo Bruni am Abend des 25. November Journalisten mit. Franzis- 30. November: Leitung der Diözese Hearst-Moosonee (Kanada); Ernennungen kus erinnere sich mit Zuneigung an die Be- – zum Apostolischen Administrator der Diöze- gegnungen der vergangenen Jahre und ge- se Hearst-Moosonee (Kanada): Terrence Tho- Todesfälle Der Papst ernannte: denke Maradonas im Gebet, wie er es mas Prendergast, Erzbischof von Ottawa- schon schon angesichts der Nachrichten Am 24. November ist der emeritierte Bischof 25. November: Corn- über seinen Gesundheitszustand getan der Diözese San Cristóbal de La Laguna (oder Te- wall; habe. – zum Bischof der Diözese Witbank (Südafrika): nerife) in Spanien, Damián Iguacen Borau, im Xolelo Thaddaeus Kumalo, bisher Bischof der 1. Dezember: Alter von 104 Jahren gestorben. Er war der älte- Diözese Eshowe; – zum Bischof der Diözese Buffalo (Vereinigte ste katholische Bischof der Weltkirche und wurde – zum Bischof der Diözese Rustenburg (Süd- Staaten von Amerika): Michael William Fi - am 12. Februar 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, afrika): Robert Mogapi Mphiwe, vom Klerus sher, bisher Weihbischof in der Erzdiözese in Fuencalderas (Provinz Aragonien) geboren der Erzdiözese Pretoria, bisher Generalvikar; Washington und Titularbischof von Tronto. und während des Zweiten Weltkriegs am 7. Juni 1941 in Huesca zum Priester geweiht. Nach sei- ner Emeritierung am 12. Juni 1991 kehrte er in Promulgation von Dekreten seine nordspanische Heimatstadt zurück, wo er in einem kirchlichen Seniorenheim verstorben L’OSSERVATORE ROMANO ist. Vor jedem Geburtstag habe der Geistliche ge- Wochenausgabe in deutscher Sprache 50. Jahrgang Vatikanstadt. Papst Franziskus hat am nien) am 30. November 1846; gestorben in sagt: »Es ist eine Gnade Gottes, für die ich ihm Herausgeber: Apostolischer Stuhl 23. November den Präfekten der Kongregation Granada (Spanien) am 10. Juli 1923; nicht mehr danken kann, als mich ganz in seinen Verantwortlicher Direktor: Andrea Monda für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, Bi- – den heroischen Tugendgrad des Dieners Dienst zu stellen.« schof , in Audienz empfangen. Gottes Alfonso Ugolini, Diözesanpriester; gebo- Redaktion Am 25. November ist der ehemalige Weih - Bei der Audienz hat der Papst die Kongregation ren in Thionville (Frankreich) am 22. August I-00120 Vatikanstadt; bischof in der Erzdiözese Panamá in Panama, Tel.: 00 39/06 69 89 94 30; autorisiert, folgende Dekrete zu promulgieren. 1908; gestorben in Sassuolo (Italien) am 25. Ok- Internet: http://www.vatican.va; Uriah Adolphus Ashley Maclean, Titularbi- tober 1999; E-Mail: [email protected] schof von Agbia, im Alter von 76 Jahren nach lan- Bilder: Foto-Service und Archiv O.R. Sie betreffen: – den heroischen Tugendgrad der Dienerin Tel.: 00 39/06 69 84 51 47; E-Mail: [email protected] ger Krankheit gestorben. – ein Wunder auf Fürsprache des ehrwürdi- Gottes Maria Francesca Ticchi (mit bürgerli- Verlag: Schwabenverlag AG; Vorstand: Ulrich Peters gen Dieners Gottes Mario Ciceri, Diözesan - chem Namen: Clementina Adelaide Cesira), Pro- Am 26. November ist der emeritierte Bischof Vertrieb: Annika Wedde; Anzeigen: Angela Rössel priester; geboren in Veduggio (Italien) am 8. Sep- fessnonne vom Orden der Klarissen-Kapuzine- von Culiacán in Mexiko, Benjamín Jiménez Postfach 42 80; D-73745 Ostfildern; Tel.: (07 11) 44 06-0; Fax: (07 11) 44 06 138; tember 1900; gestorben in Brentana di Sulbiate rinnen; geboren in Belforte all’Isauro (Italien) am Hernández, im Alter von 82 Jahren gestorben. Internet: http://www.schwabenverlag.de; (Italien) am 4. April 1945; 23. April 1887; gestorben in Mercatello sul Me- E-Mail: [email protected] Ebenfalls am 26. November ist der emeritierte Druck: Pressehaus Stuttgart Druck GmbH – das Martyrium des Dieners Gottes Juan tauro (Italien) am 20. Juni 1922; Bischof von Barbastro-Monzón in Spanien, Al- Plieninger Straße 150, D-70567 Stuttgart; Elías Medina und 126 weiterer Gefährten – den heroischen Tugendgrad der Dienerin fonso Milián Sorriba Jahresabonnement: Deutschland e 98,50; Schweiz , im Alter von 81 Jahren sFr. 135,–; restl. Europa e 102,50; Übersee e 129,50. (Priester, Ordensleute und Laien); getötet aus Gottes Maria Carola Cecchin (mit bürgerli- gestorben. ISSN 0179-7387 Glaubenshass in Spanien in den Jahren 1936 bis chem Namen: Fiorina), Professschwester von der Folgende Bankverbindungen gelten für die Kunden in Weiter ist am 26. November der emeritierte Deutschland, Österreich und der Schweiz: 1939; Kongregation der Suore di San Giuseppe Bene- Bischof von Popokabaka in der Demokratischen Deutschland: Liga Bank Regensburg; BIC: GENODEF1M05; – den heroischen Tugendgrad des Dieners detto Cottolengo; geboren in Cittadella (Italien) IBAN: DE53750903000006486142; Republik Kongo, Louis Nzala Kianza, im Alter Österreich: BAWAG P.S.K.; BIC: OPSKATWW; IBAN: AT476 Gottes Fortunato Maria Farina, Titularerzbi- am 3. April 1877; gestorben auf dem Dampfer auf von 74 Jahren in Kinshasa gestorben. 000000007576654 schof von Adrianopoli di Onoriade, emeritierter der Rückreise von Kenia nach Italien am 13. No- Schweiz: PostFinance AG; BIC: POFICHBEXXX; IBAN: CH2809000000800470123 Bischof von Troia und Foggia; geboren in Baro- vember 1925; Am 28. November ist der emeritierte Erzbi- Abonnementgebühren sind erst nach Rechnungserhalt zahl- nissi (Italien) am 8. März 1881; gestorben in Fog- – den heroischen Tugendgrad der Dienerin schof von Cuiabá in Brasilien, Bonifácio Picci- bar. Abbestellungen können nur schriftlich mit einer Frist von 6 Wochen zum Bezugsjahresende entgegengenommen gia (Italien) am 20. Februar 1954; Gottes Maria Francesca Giannetto (mit bür- nini, aus dem Orden der Salesianer, im Alter von werden. Bei Anschriftenänderung unserer Leser ist die Post – den heroischen Tugendgrad des Dieners gerlichem Namen: Carmela), Professschwester 91 Jahren gestorben. berechtigt, diese an den Verlag weiterzuleiten. Zur Zeit ist die Anzeigenpreisliste Nr. 29 vom 1. Januar 2019 gültig. Für un- Gottes Andrés Manjón y Manjón, Priester, des Ordens der Figlie di Maria Immacolata; ge- Am 30. November ist der emeritierte Bischof verlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Ge- Gründer der Ave-Maria-Schulen (Escuelas del boren in Camaro Superiore (Italien) am 30. April von Alajuela in Costa Rica, José Rafael Bar- währ übernommen. Ave María); geboren in Sargentes de Lora (Spa- 1902; gestorben ebendort am 16. Februar 1930. quero Arce, im Alter von 89 Jahren gestorben. 4. Dezember 2020 / Nummer 49 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Kultur 5

Vor 900 Jahren gründete Norbert von Xanten die Prämonstratenser Einer der größten Orden des Abendlandes

Jubiläum für eine der größten Ordensgemeinschaften der Kirche: Die Prämonstratenser wurden vor 900 Jahren von einem Mann gegründet, der eines Tages fast buchstäblich vom Donner gerührt war.

s war ein dickes Gewitter, das das Le- ben des Domherrn Norbert komplett Eumkrempelte. Dem weltlichen Leben durchaus nicht abgeneigt, hatte der adlige Geist- liche 1115 bei einem Unwetter sein Bekehrungs- erlebnis. Geläutert kehrte er von einem Ausritt in das reiche Stift Sankt Viktor in Xanten am Nie- derrhein zurück. Allein, bei seinen Mitbrüdern, Oben: Der heilige Norbert auf einem die viele Einkünfte und wenig Verpflichtungen Gemälde des flämischen Künstlers hatten, konnte er sich mit seinen plötzlichen Auf- Marten Pepijn (1575-1643); rufen zu geistlicher Umkehr nicht durchsetzen. Doch dieses Scheitern war nur der Anfang zu ei- links: Chorgebet im Stift Schlägl, ner noch größeren Geschichte. einer Abtei der Prämonstratenser im Bald kehrte Norbert mit 35 Jahren seinem oberösterreichischen Mühlviertel. bisherigen Leben, seinen Privilegien und seiner üppigen Pfründe den Rücken und lebte fortan als asketischer Buß- und Wanderprediger. Im einfa- chen Volk kam seine Ansprache gut an. Der kirchlichen Hierarchie war sein unkontrolliertes lich eine für alle Klöster verbindliche Rahmenge- gentlich bei kaum jemandem sonst gut an. In den werden die Prämonstratenser nach ihrem Wanderdasein dagegen verdächtig, ähnlich wie setzgebung fest. Magdeburg, wo er angeblich barfuß und in ärmli- Gründer auch Norbertiner genannt. 65. Gene- bei seinem Zeitgenossen Robert d’Arbrissel (um Die Spiritualität der asketisch lebenden cher Kleidung einzog, wollten einige Geistliche ralabt ist seit 2018 der Belgier Jos Wouters. 1045-1116), dem Gründer der Abtei Fontevraud. Prämonstratenser steht also auf drei Säulen: Pries- weder von ihren Besitzungen lassen noch den Der weibliche Zweig sind die Prämonstraten- Wie dieser wurde auch Norbert eher wider tergemeinschaft, geistliches Ordensleben und Zölibat einhalten. Seine Ordensbrüder hingegen serinnen, der dritte Orden die sogenannten Prä- Willen zum Gründer. Im nordfranzösischen Pré- engagierte Seelsorge. Zu ihren Hauptaufgaben sahen ihn als Abtrünnigen, der in die Gebräuche monstratenser-Tertiaren. In Deutschland gibt es montré, auf Fernbesitz der Abtei Prüm, formte er gehören Predigt, Unterricht und Pfarreiarbeit. Im- der schlechten Welt zurückgekehrt war. derzeit drei Prämonstratenser-Abteien – Duis- 1120/21, vor 900 Jahren, eine neue geistliche Ge- mer mehr Stifte von Chorherren und -frauen in Neben der Kirchenreform widmete sich Nor- burg-Hamborn, Windberg in Niederbayern und meinschaft Gleichgesinnter: die Keimzelle des Europa übernahmen Norberts strenge Regel, bert in seinen acht Bischofsjahren vor allem der Speinshart in der Oberpfalz – sowie zwei Prio- Prämonstratenserordens, des schon bald größten wurden also »reguliert«, indem ihre Mitglieder Slawenmission; er starb im Juni 1134 in Magde- rate: Roggenburg im bayerischen Regierungsbe- Ordens sogenannter regulierter Chorherren. Gelübde ablegten. burg. Nach der Reformation in Mitteldeutschland zirk Schwaben und Magdeburg. Begeistert vom neuerwachten Armutsideal, Für Norbert selbst hielt das Leben noch einen kamen seine Gebeine schließlich ins Kloster An der letzten Wirkungsstätte ihres Ordens- betrachtete Norbert die Lebensweise der traditio- zweiten Bruch bereit. Nicht nur, dass Papst Ho- Strahov oberhalb von Prag. 1582 wurde er heilig- gründers, in Magdeburg, wollen die Prämonstra- nellen Chorherren, die Privateigentum und ei- norius II. Anfang 1126 die Regel der »Chorherren gesprochen. tenser aus Duisburg 2021 ihr neues Kloster fertig- gene Wohnungen besaßen, als mit dem Ideal der des heiligen Augustinus nach den Gebräuchen Durch Hussiten- und Türkenkriege und die stellen. Es soll Platz für elf Ordensmänner bieten. radikalen Nachfolge Christi unvereinbar. Nor- der Kirche von Prémontré« bestätigte. Er zog auch Säkularisationen des 18. und 19. Jahrhunderts Dort sollen dann auch die Europäische Sankt- berts Vision: Wie die Apostel sollen Priester aus deren Gründer ab und machte ihn überraschend wurde der Orden fast völlig vernichtet. Heute ist Norbert-Stiftung, die evangelische Altstadtge- einer Gemeinschaft heraus als Seelsorger wirken, zum Erzbischof von Magdeburg. er wieder weltweit mit etwa 1.300 männlichen meinde, die evangelisch-reformierte Gemeinde nicht vereinzelt. Sein Orden dient dabei vor allem Während Norbert offenbar hoffte, damit eines und weiblichen Mitgliedern und rund 80 selbst- und die katholische Pfarrgemeinde Sankt Augus - als ein Zusammenschluss selbstständiger Klöster; der wichtigsten deutschen Bistümer auf einen ständigen Klöstern vertreten, davon die Hälfte in tinus vertreten sein. die oberste Instanz, das Generalkapitel, legt ledig- Schlag reformieren zu können, kam der Schritt ei- Übersee. Vor allem in Belgien und den Niederlan- Alexander Brüggemann

Internationales Jubiläumsprogramm Pilgerweg »Via Romea Germanica« »900 Jahre Prämonstratenser« jetzt Europäische Kulturroute

27. November 2020: Heilige Messe zur Eröff- 11. Februar (Fest des heiligen Hugo): Feier im Donauwörth. Der Pilgerweg »Via Romea sche Vereinigung der »Via Romea Germanica« nung des Jubiläums in der St. Philip’s Priory im Generalatshaus in Rom mit römischen Kontakten Germanica« hat vom Europarat die Zertifizierung (EAVRG) mit ihren nationalen Fördervereinen in südostenglischen Chelmsford mit dem Bischof (mit Generaloberen anderer Orden, Gemeinde- als Europäische Kulturroute erhalten. Das gab am Deutschland, Österreich und Italien arbeite dafür von Brendwood, Alan Williams, und ökumeni- vertretern, Kardinälen). Mittwoch, 4. November, die bayerisch-schwäbi- seit zehn Jahren mit Kommunen, Regionen und schen Gästen. 14. März 2021 bis 31. Oktober 2022: Ausstel- sche Stadt Donauwörth bekannt. Der historische öffentlichen Einrichtungen zusammen. Ziel sei 27. November 2020 bis 28. Februar 2021: lung im Museum Kloster Jerichow. Weg führt seit dem 10. Jahrhundert von Stade an es, einen »entschleunigten, nachhaltigen und res- Ausstellung (»Kunst und Wort aus der Sammlung 1. Mai bis 31. Juli: Ausstellung in der Park- der Nordsee auch quer durch den Landkreis Do- pektvollen spirituellen Tourismus« zu fördern. des Prämonstratenserordens in Jasov«) in der Abtei Leuven (Löwen), Belgien. nau-Ries, vorbei an den Städten Nördlingen, Har- In 121 Etappen soll 2021 eine Pilgerwande- Ostslowakischen Galerie burg und Donauwörth, über Österreich ins italie- rung von Stade nach Rom nachgeholt werden, in Kosˇice Slowakei). nische Rom. Neben dem »Jakobusweg«, dem die in diesem Jahr aufgrund der Pandemie entfiel, 29. November (erster »Sankt Olafsweg«, der »Via Francigena« und dem wie es heißt. Unter dem Motto »Pilger öffnen Ho- Adventssonntag): offizi- »Martinusweg« gebe es damit nun einen weite- rizonte« wollten die Initiatoren damit einen Bei- elle Eröffnung des 900. ren europäischen Pilgerweg. trag zum interkulturellen und interreligiösen Dia- Jahrestags von Prémontré Die Wiederbelebung des uralten Pilgerwegs, log in Europa leisten. Norwegische Pilger planten, im Prager Strahov-Kloster, der von Abt Albert von Stade in seinen Reiseauf- an der Tour genauso teilzunehmen wie solche aus Tschechien; Öffnung des zeichnungen von 1237 zurückgelegt wurde und Deutschland, Österreich und Italien. Der Start sei Norbert-Schreins in An- in seinen Aufzeichnungen, den »Annales Staden- für 21. Juni in Stade geplant. wesenheit des Deutschen ses«, beschrieben wird, sei getragen von dem ge- Der Pilgerweg führt unter anderem durch die und Böhmischen Zirkars meinsamen Wunsch, eine Brücke in Europa über Heide bis Celle, dann durch Ostfalen und über [Leiter der Verwaltungsbezirke des Ordens]. 2. Mai: Gedenkfeier an die Überführung der die Grenzen hinweg zu schlagen. Die Europäi- den Harz und Thüringen an der Rhön entlang, 19./20. Dezember: Eröffnung des Jubiläums Gebeine des heiligen Norbert von Magdeburg durch das Fränki- in der Abtei Saint Martin in Mondaye im Depar- nach Prag im Jahr 1626, Strahov-Kloster, Prag. sche Weinland und tement Calvados (Frankreich) mit Generalabt Jos 6. Juni: Uraufführung der Sankt-Norbert- über Schweinfurt Wouters. Messe von Joachim Schreiber in der Pfarrkirche sowie Würzburg. 24. Dezember: Pontifikalhochamt im Kloster von Windberg, Bistum Regensburg, mit dem Apo- Weiter im Süden Jasov, Slowakei, mit dem Apostolischen Nuntius stolischen Nuntius in Deutschland, Erzbischof geht es über den Erzbischof Giacomo Guido Ottonello; Übertra- Nicola Eterovic. Pfaffenwinkel und gung im slowakischen Fernsehen. 6. Juni: Festgottesdienst in der belgischen Ab- das Werdenfelser 25. Dezember: Weihnachtsfeier in der St. Phi- tei Grimbergen, mit Generalabt Jos Wouters. Land nach Inns- lip’s Priory im südostenglischen Chelmsford. 10. September: Ausstellung »Mit Bibel und bruck zum Brenner- 10. Januar 2021: 900-Jahr-Feier in der Dayles- Spaten« im Kulturhistorischen Museum Magde- Pass. Durch Südtirol ford Abbey, Pennsylvania/USA, mit Generalabt burg zum Leben und Wirken des Ordens bis in geht der Weg gen Jos Wouters. die Gegenwart. Trient, Padua, Ra- 30. Januar: Weihe der neuen Abtei und Kirche 27. November 2021 bis 31. März 2022: Aus- venna und Arezzo St. Michael’s in Orange, Kalifornien/USA. stellung im Kloster Strahov in Prag. bis nach Rom. 4. Dezember 2020 / Nummer 49 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 6 Kirche in der Welt

Interview mit dem anglikanischen Erzbischof von Canterbury, Justin Welby Die Botschaft der Hoffnung leben

Am 13. November 2019 hat Papst Franzis- zeigt er, dass es im interreligiösen oder kulturel- kus den Erzbischof von Canterbury, Justin len Konflikt keine Unausweichlichkeit gibt. Der Welby, im Vatikan empfangen. Ein Jahr später »Kampf der Kulturen« ist eine Vorstellung, die die und einen Monat nach der Veröffentlichung Wirklichkeit der Geburt Christi, seines Lebens, Erzbischof Welby der Enzyklika »Fratelli tutti« spricht der Erzbi- Todes, seiner Auferstehung und Himmelfahrt ig- ist ein gern schof mit dem Osservatore Romano und Vati- noriert, die das Universum verwandeln kann: gesehener Gast. can News über aktuelle Themen und den Bei- eine Verwandlung, die es ermöglicht, dass das Auch er schätzt trag der Christen. Die Fragen stellte Alessandro schöpferische Wirken des Vaters durch den Sohn seine Freund- Gisotti. sich in der Kraft des Heiligen Geistes fortsetzt und schaft zu Papst das Reich Gottes sichtbar werden lässt. Franziskus sehr, Euer Gnaden, Sie sind vor etwa einem Jahr wie er im von Papst Franziskus im Vatikan empfangen wor- »Fratelli tutti« schließt mit einem ökumeni- Interview sagt. den. Seitdem hat sich die Welt auch durch die schen Gebet. Welchen Beitrag kann die ökumeni- Pandemie verändert. Was können christliche sche Bewegung zum Aufbau einer besseren Zu- Führungspersönlichkeiten wie Sie und der Papst kunft leisten, in einer gespaltenen, von Kriegen tun, um in einer weltweit von Angst und Leid ge- und Terrorakten erschütterten Welt, wie die, die noch. Die Ruhe dagegen gibt uns den Raum, Bi- Santa Marta hat der Papst zum Gebet für prägten Zeit Hoffnung zu wecken? kürzlich in Europa geschehen sind? lanz zu ziehen und überlegt zu handeln. Sie ver- führende Politiker aufgerufen, die in dieser Zeit weist auf das hebräische Wort »Shalom« und er- schwierige Entscheidungen zu treffen haben. Grundsätzlich liegt unsere Hoffnung in Jesus Ein Problem, das viele Christen betrifft, ist die innert an die »völlige Stille« nach der Stillung des Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach heute in Christus, der »derselbe ist gestern und heute und Vorstellung, dass ihre Kirche die einzige christli- Seesturms durch Jesus in Matthäus 8,26. Die feh- einer immer stärker säkularisierten Welt das Ge- in Ewigkeit« (Hebr 13,8). Während die Welt sich che Institution ist, die es gibt, oder wenn sie die lende Ruhe in den Herzen der Jünger führte zu ei- bet oder auch die Beziehung zu Gott? verändern kann, bleibt die Liebe Gottes in Jesus Existenz anderer Christen anerkennen, dann nem Tadel durch Jesus. Aber wir müssen mutig Christus unveränderlich. »Das Erbarmen des denken sie, dass diese generell Unrecht haben. sein. In der Zeit des Lockdown gab es viele Ich bete täglich für den Premierminister und Herrn ist nicht zu Ende« (Klgl 3,22). Die Aufgabe Zuweilen gilt das für die Anglikaner, aber auch für Schlagzeilen in den Zeitungen darüber, dass die für alle anderen, die jeden Tag fast unmögliche derer, die die Kirche führen, ist es, in diesen andere. Wenn wir auf die christlichen Brüder und Kirchen geschlossen waren. Vielleicht waren die politische Entscheidungen treffen müssen. In je- schwierigen Zeiten Zeugnis von der Hoffnung zu Schwestern blicken, von denen wir aufgrund ei- Gebäude geschlossen und das sakramentale Le- nem Interview hatte ich laut einigen Schlagzeilen geben. Jesus ist nicht gekommen, Hoffnung in nes historischen Ereignisses oder aufgrund von ben der Kirche war beeinträchtigt, aber die Kirche in den sozialen Medien »zugegeben«, dass ich für eine Welt zu bringen, in der alles gut lief, sondern Lehrstreitigkeiten getrennt sind, dann sehen wir war offen: Christen aller Konfessionen haben den Premierminister bete. Ich gebe das nicht zu, in eine zerbrechliche und zerbrochene Welt, eine wirklich Menschen, die Christus gehören, andere sich bemüht, anderen zu helfen, ihren Nachbarn als wäre es ein schuldbeladenes Geheimnis. Es Welt voll schwacher, verletzter, sündiger Men- Pilger auf dem Weg, von Gott geliebte Menschen, und anderen Bedürftigen. Es ist klar, dass wir an- ist meine Pflicht, und es ist etwas, das ich bereit- schen. Und Jesus sagt uns, was wir tun sollen: denen er dient und von denen wir lernen können. gesichts einer Corona-Pandemie alle betroffen willig und gern für ihn und für andere tue. »Fürchtet euch nicht!« Er ist unsere Hoffnung. In einem englischen Hymnus heißt es: »In Chris - sind. Das Gebet ist das Lebenselixier unserer Be- Christen sind berufen, Menschen der Hoff- tus gibt es weder Osten noch Westen, Norden ziehung zu Gott. Das Gebet ist schön, intim und nung zu sein, was sich zeigen soll in der Art und oder Süden. / Nur eine große Liebe, innen und Papst Franziskus hat in diesem Jahr mehrfach immer überraschend. Gebet ist die Teilhabe an Weise, wie sie als Gemeinschaft zusammenle- außen./ Wahrhaftige Herzen, manche taub, man- wiederholt, dass wir aus dieser Krise nur heraus- Schöpfung und Neuschöpfung, im Gebet verän- ben. Die Botschaft der Hoffnung auf Christus che blind, / singen überall diese eine Melodie, die finden werden, wenn wir uns umeinander küm- dern wir uns, und es verändert die Welt. Aber blickt weiter als auf das Hier und Heute; sie blickt verlorene Seelen nicht finden können. / Reicht mern und anerkennen, dass wir alle im selben wenn wir sehen wollen, dass die Dinge sich än- auf das, was kommen wird, auf die Ewigkeit und euch die Hände und glaubt. / Welcher Rasse auch Boot sitzen. Doch wir sehen in Europa, und nicht dern, dann beginnen wir beim Gebet, nicht in- die Verheißung ewigen Lebens. Das menschliche immer ihr sein mögt: Wer meinem Vater dient nur in Europa, dass Populismus und Nationalis- dem wir eine Aufzählung von Bitten in den Him- Leben ist zerbrechlich, und die Ausbreitung von und dem Sohn, gehört gewisslich zu mir« (Hym- mus an Boden gewinnen. Was ist die christliche mel schicken, sondern indem wir Gott erlauben, Krankheit und Tod machen uns das auf jähe und nus von John Oxenham, 1908). Antwort auf diesen Egoismus, der genährt wird uns zu verändern, uns Christus ähnlicher zu ma- dramatische Weise klar. Doch das ewige Leben ist Menschen haben die Neigung, Barrieren zu von der Angst, die wir erleben? chen. genau das: ewig. Gott beruft uns dazu, darauf hin- errichten und das Territorium einzugrenzen. Das zuarbeiten, dass das irdische Leben besser das geschieht in der Kirche und auch im politischen Auch ich habe gesagt, dass wir im selben Boot Frieden, Ökologie, soziale Gerechtigkeit himmlische Leben widerspiegelt, weil das eine Bereich. Grenzen implizieren Unterschiede, und sitzen (oder wenn wir in unterschiedlichen Boo- gehören zu den Themen, die Ihnen und Papst zum anderen hinführt. Indem wir dem Beispiel manchmal verfestigen sie sie auch fälschlichli- ten sitzen, dann befinden wir uns auf demselben Franziskus am Herzen liegen und für die Sie sich Jesu und seiner Lehre, den Nächsten zu lieben, cherweise. Was die ökumenische Bewegung ge- Meer und haben denselben Sturm zu bewälti- einsetzen. Was erhoffen Sie sich für die Zukunft folgen, können wir dazu beitragen. Wenn wir un- tan hat und weiterhin tut, das ist, jene Grenzen gen) und dass wir uns um uns selbst und unsere von Ihrer Verbindung zum Papst, mit dem Sie be- seren Glauben an Christus leben und die Wehr- nach und nach in Frage zu stellen. Ab und zu gibt Gemeinschaften kümmern müssen, indem wir reits häufig zusammengetroffen sind und mit losen, Armen und Ausgegrenzten in den Mittel- es einen wichtigeren Fortschritt, wie wir das Kraft und Mut voneinander schöpfen und den dem Sie den Wunsch teilen, gemeinsam den Süd- punkt stellen, dann leben wir die Botschaft der bei der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtferti- Weg gemeinsam gehen. Die Angst lässt uns Bar- sudan zu besuchen, was Sie im Anschluss an die Hoffnung. gungslehre von katholischer und lutherischer rieren errichten, von denen ich vorhin gespro- Begegnung mit den führenden südsudanesischen Seite gesehen haben, der jetzt Anglikaner, Me- chen habe. Je mehr die Menschen in der Angst Politikern im April 2019 in Santa Marta zum Aus- Während der aktuellen Pandemie wurde die thodisten und Reformierte zugestimmt haben. gefangen sind und je mehr diese Ängste von den druck gebracht haben? Enzyklika von Papst Franziskus veröffentlicht. Ab und zu wird das Grenzgebiet geöffnet und die politischen Führungen benutzt oder manipuliert Was ist Ihnen aufgefallen an der Botschaft, die Grenze wird durchlässig. werden, desto mehr ist die Kirche aufgerufen, et- Ich schätze meine Freundschaft mit Papst der Papst mit diesem auf Geschwisterlichkeit und Eine der realen und sichtbaren Erfolge der was anderes zu zeigen: Aufnahmebereitschaft, Franziskus sehr. Wir haben unseren Dienst bei- soziale Freundschaft konzentrierten Dokument ökumenischen Bewegung ist, dass auf persönli- Dienen und Liebe. nahe gleichzeitig begonnen und wir teilen viele vermitteln möchte? cher Ebene über die konfessionellen Unter- In der gesamten Enzyklika Fratelli tutti ver- gemeinsame Sorgen. Für uns beide sind Frieden schiede hinwegreichende vertrauensvolle und knüpft Papst Franziskus Individuum und Gesell- und Versöhnung grundlegend. Der Einkehrtag Fratelli tutti ist ein sehr eindringliches Doku- freundschaftliche Beziehungen geknüpft wur- schaft, wobei er die Extremformen auf beiden mit den verschiedenen führenden Politikern des ment und schlägt eine systematische, anspruchs- den. Die Barrieren wurden von der Freundschaft Seiten zurückweist und ihre wechselseitige Ab- Südsudan, an dem der Heilige Vater und ich teil- volle und mutige Vision für eine bessere zukünf- (oder der »Geschwisterlichkeit«) beseitigt. Ich hängigkeit hervorhebt. Der anglikanische Pries - genommen haben, gehört bis heute zu den in- tige Welt vor. Es ist zur Gänze auf die Christologie lebe tagtäglich in einer ökumenischen Gemein- ter und Dichter des 17. Jahrhunderts John Donne tensivsten Erfahrungen meines Lebens. Gemein- gegründet, Christus im Mittelpunkt. Es ist auch schaft, denn fast seit Beginn meiner Anwesenheit hat geschrieben, dass »niemand eine Insel und in sam in den Südsudan reisen zu können, bleibt ein Schreiben, das sich ernsthaft mit der Weite im Lambeth Palace wohnt dort eine Gruppe der sich ganz« ist. Jeder Mensch ist mit anderen ver- eine konkrete Hoffnung. Bisher war es nicht und Komplexität der Menschheit auseinander- Gemeinschaft »Chemin Neuf« mit uns zusam- bunden, und wenn einer leidet, dann leiden an- möglich, aber die Kirchen, die katholische, angli- setzt. Die Bezugnahmen des Papstes auf seine Be- men. Im Lauf der Jahre waren unter ihnen Ka- dere mit ihm. Der Heilige Vater zeigt in der kanische und presbyterianische, haben sich im gegnungen mit Persönlichkeiten wie dem Öku- tholiken, Anglikaner und Lutheraner. Ich habe ei- ganzen Enzyklika, dass dies heute genauso gilt Südsudan und auf internationaler Ebene weiter menischen Patriarchen und dem Großimam, die nen katholischen geistlichen Begleiter, mit dem wie vor 400 Jahren und in der ganzen Geschichte für den Frieden und für eine gerechte und dauer- Inspiration durch Mahatma Gandhi, die Ver- ich kürzlich am Vorwort für eine französische der Menschen. hafte Zukunft für jenes Land eingesetzt. Wenn es weise auf Martin Luther King Jr. und Erzbischof Ausgabe von Fratelli tutti zusammengearbeitet In der Enzyklika gibt es ein sehr eindringli- wieder erlaubt sein wird zu reisen, dann hoffe Desmond Tutu zeigen, dass seine Sicht nicht nur habe. In all diesen Beziehungen ist der andere ches Kapitel, das das Gleichnis des barmherzigen ich, dass es im Friedensprozess des Südsudan sol- für die katholische Kirche gedacht ist, sondern für kein Fremder, sondern vielmehr ein Gefährte auf Samariters analysiert. Der barmherzige Samariter che Fortschritte gegeben haben wird, dass es die gesamte Menschheit. Das ist einer der dem Pilgerweg, ein Freund, eine Schwester oder hat Nationalismus und Vorurteile durch bedin- möglich sein wird, dass wir uns dorthin begeben, Gründe, warum seine Sicht sowohl anspruchs- ein Bruder. gungslose Liebe überwunden. In dieser liebevol- um das zu feiern und zu einer Vertiefung des Frie- voll als auch überzeugend ist. len, fürsorglichen Beziehung gab es nicht einen dens und des Wachstums in der Gesellschaft zu Dem Papst liegen alle Aspekte des menschli- In einem Brief an die britische Nation haben Juden und einen Samariter, sondern zwei ermutigen. chen Lebens am Herzen, von der Einzelperson Sie vor Kurzem geschrieben, dass es drei Ant- menschliche Wesen, einen in Not und einen, der Am Ende einer meiner Begegnungen mit dem bis hin zu den multinationalen Unternehmen, worten auf die Fragen gibt, die die Pandemie uns dieser Not Abhilfe schafft. Die christliche Ant- Papst hat er mir gesagt, dass er sich an die »drei P« von der Familie bis zur Welt des Handels, der In- allen gestellt hat: ruhig bleiben, mutig sein, Mit- wort auf den Egoismus ist die Liebe, eine Bot- erinnert: »prayer, peace and poverty« (Gebet, dustrie und der Politik. Er erklärt die Doppelge- leid haben. Warum haben Sie gerade diese drei schaft, die das gesamte Schreiben Seiner Heilig- Frieden und Armut). Ich hoffe, dass diese »drei P« fahr des »Kommunitarismus« und des Individua- Aspekte hervorgehoben? keit durchzieht. unsere Freundschaft weiter prägen und uns ver- lismus, der »Skylla und Charybdis« der Politik einen werden: das Gebet füreinander und für die und der Philosophie. Beide führen zur Tyrannei In einem verborgenen Feind gibt es etwas, das Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie Welt, der Einsatz für Frieden und Versöhnung so- oder zur Anarchie. In seinen Kontakten mit Men- Angst auslöst. Aber die Angst besiegt man nicht jeden Tag für den britischen Premierminister Bo- wie das Bemühen, das Leben der Armen zu ver- schen wie dem Großimam, den auch ich kenne, durch Panik, sondern so vergrößert man sie eher ris Johnson beten. In einer heiligen Messe in bessern. 4. Dezember 2020 / Nummer 49 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 7

Konsistorium für die Kreierung neuer Kardinäle Jesus ist der Sinn unseres Lebens und Dienstes

Predigt von Papst Franziskus am 28. November

Im Rahmen eines feierlichen Konsistori- Dieses Wort des Evangeliums hat die Konsis - ums hat Papst Franziskus 13 Geistlichen die torien zur Kreierung neuer Kardinäle schon oft Kardinalswürde verliehen. Zwei von ihnen, begleitet. Es ist nicht nur ein »Hintergrund«, son- die Bischöfe Cornelius Sim aus Brunei und dern ein »Wegweiser« für uns, die wir heute ge- Jose Fuerte Advincula von den Philippinen, meinsam mit Jesus auf dem Weg sind, der uns auf konnten pandemiebedingt nicht nach Rom dem Weg vorausgeht. Er ist die Stärke und der reisen, nahmen aber per Videoschaltung an Sinn unseres Lebens und unseres Dienstes. der Feier im Petersdom teil. Zum Schutz vor Deshalb, liebe Brüder, müssen wir heute an Ansteckungen war die Teilnehmerzahl auf diesem Wort Maß nehmen. insgesamt 100 begrenzt worden. In seiner Predigt mahnte der Heilige Vater die neuen Der Weg des Sohnes Gottes Würdenträger, sich in der Nachfolge Christi auf einen Weg zu begeben, der durch Lei- Markus hebt hervor, dass die Jünger sich auf wird. Damit sie immer mit Die Ankündigung des Leidens, den, Tod, aber auch Auferstehung geprägt dem Weg »wunderten«; sie »hatten Angst« ihm auf seinem Weg ge- des Todes und der Auferstehung sei. Er sagte: (10,32). Aber warum? Weil sie wussten, was sie hen mögen. (Mk 10,32-45) ist ein heilsames Wort in Jerusalem erwartete; sie ahnten es, ja, sie Da er weiß, dass die für die Kirche aller Zeiten. Jesus und die Jünger befanden sich auf dem wussten es, denn Jesus hatte bereits mehrmals Herzen der Jünger beunru- Auch wir, Papst und Kardinäle, Weg, sie waren unterwegs. Der Weg ist der offen zu ihnen darüber gesprochen. Der Herr higt sind, ruft Jesus die müssen uns immer an dieser Wahrheit Schauplatz für die vom Evangelisten Markus be- kennt die Gemütslage derer, die ihm nachfolgen, Zwölf beiseite und sagt ih- messen. Das ist schmerzlich, aber es heilt, schriebene Szene. Und er ist das Umfeld, in dem und das lässt ihn nicht gleichgültig. Jesus lässt nen »wieder«, »was ihm befreit und bekehrt uns. #Konsistorium. sich das Unterwegssein der Kirche immer ab- seine Freunde niemals im Stich; er vernachläs- bevorstand« (V. 32). Wir spielt: der Weg des Lebens, der Geschichte, die in sigt sie nie. Auch wenn er seinen Weg geradeaus haben es gehört: Es ist die Tweet von Papst Franziskus dem Maß Heilsgeschichte ist, in dem sie mit zu gehen scheint, so tut er es immer für uns. Al- dritte Ankündigung seines Christus erfolgt und sich an seinem Ostergeheim- les, was er tut, tut er für uns, um unseres Heiles Leidens, seines Todes und seiner Auferstehung. nicht. Seine Geduld ist wirklich unendlich. Auch nis ausrichtet. Jerusalem liegt immer vor uns. willen. Und im vorliegenden Fall der Zwölf tut er Dies ist der Weg des Sohnes Gottes. Der Weg des mit uns war und ist er geduldig und er wird es Kreuz und Auferstehung gehören zu unserer Ge- es, um sie auf die Prüfung vorzubereiten, damit Gottesknechts. Jesus identifiziert sich mit diesem auch weiterhin sein. Und er antwortet: »Ihr wisst schichte, sie sind Teil unseres Heute, aber sie sind sie jetzt bei ihm sein können und vor allem Weg so sehr, dass er selbst dieser Weg ist. »Ich bin nicht, um was ihr bittet« (V. 38). Er entschuldigt immer auch das Ziel unseres Unterwegsseins. dann, wenn er nicht mehr unter ihnen sein der Weg« (Joh 14,6). Dieser Weg und kein ande- sie in gewisser Weise, aber gleichzeitig beschul- rer. digt er sie: »Ihr merkt gar nicht, dass ihr abseits des Weges geht.« Tatsächlich sind es unmittelbar Kreuz und Auferstehung danach die anderen zehn Apostel, die mit ihrer empörten Reaktion auf die Söhne des Zebedäus Und an diesem Punkt geschieht die »Wen- zeigen, wie sehr alle der Versuchung unterliegen, dung«, die Bewegung in die Situation bringt und abseits des Weges zu gehen. es Jesus erlaubt, Jakobus und Johannes – in Wirk- Liebe Brüder, wir alle lieben Jesus, wir alle lichkeit aber allen Aposteln und auch uns allen – wollen ihm nachfolgen, aber wir müssen immer die Bestimmung zu offenbaren, die sie erwartet. wachsam sein, um auf seinem Weg zu bleiben. Stellen wir uns die Szene vor: Nachdem Jesus er- Denn mit unseren Füßen, physisch können wir neut erklärt hat, was mit ihm in Jerusalem ge- bei ihm sein, während unsere Herzen weit weg schehen muss, schaut er den Zwölf ins Gesicht, er sein und uns abseits des Weges führen können. starrt ihnen in die Augen, als wolle er sagen: »Ist Denken wir an die vielfältigen Verfallserschei- das klar?« Dann setzt er den Weg an der Spitze der nungen im Leben von Geistlichen. So kann zum Gruppe wieder fort. Und zwei trennen sich von Beispiel das Purpurrot des Kardinalsgewandes, der Gruppe, Jakobus und Johannes. Sie treten an das für die Farbe des Blutes steht, für den weltli- Jesus heran und sagen ihm ihren Wunsch: »Lass chen Geist zu einer eminenten Auszeichnung in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und werden. Und dann wirst du kein Hirte mehr sein, den andern links neben dir sitzen!« (V. 37). Und der nahe am Volk ist, du wirst dich nur noch als dies ist ein anderer Weg. Das ist nicht der Weg »Eminenz« fühlen. Und wenn du solches ver- Jesu, es ist ein anderer. Es ist der Weg derer, die, spürst, bist du vom Weg abgekommen. vielleicht ohne sich dessen überhaupt bewusst In dieser Erzählung des Evangeliums fällt im- zu sein, den Herrn »benutzten«, um sich selbst zu mer wieder der scharfe Kontrast zwischen Jesus fördern; derer, die – wie der heilige Paulus sagt – und den Jüngern auf. Jesus weiß um ihn, er kennt Vatikanstadt. Die von Papst Franziskus neu ernannten Kardinäle haben dem emeritierten Papst Be- »ihren Vorteil« suchen und »nicht, was Jesu Chris - und erträgt ihn. Aber der Kontrast bleibt: er auf nedikt XVI. unmittelbar nach dem feierlichen Konsistorium im Petersdom einen Besuch abgestattet. ti ist« (Phil 2,21). Dazu gibt es vom heiligen Augus - dem Weg, sie abseits des Weges. Zwei unverein- Wie der Direktor des Presseamtes des Heiligen Stuhls, Matteo Bruni, mitteilte, begleitete Papst Franzis- tinus jene wunderbare Predigt über die Hirten bare Wege. Tatsächlich kann nur der Herr seine kus die elf in Rom anwesenden neuen Purpurträger in das Kloster »Mater ecclesiae« in den Vatikani- (Sermo 46), und es tut uns immer wieder gut, sie Freunde retten, die orientierungslos sind und Ge- schen Gärten, wo sein Vorgänger wohnt. Dort stellten sich die neuen Kardinäle einzeln dem emeritier- in der Lesehore stets neu zu lesen. fahr laufen, verloren zu gehen, nur sein Kreuz ten Papst vor. Benedikt XVI. bekundete seine Freude über den Besuch und erteilte nach dem Nachdem Jesus Jakobus und Johannes an- und seine Auferstehung. gemeinsamen Gesang des »Salve Regina« den Anwesenden seinen Segen. gehört hat, regt er sich nicht auf, ärgert er sich Für sie, wie auch für alle, geht er nach Jerusa- lem hinauf. Für sie und für alle wird er seinen Leib brechen und sein Blut vergießen. Für sie und für alle wird er von den Toten auferstehen, und Titelkirchen und Diakonien für die neuen Kardinäle durch die Gabe des Geistes wird er ihnen verge- ben und sie verwandeln. Er wird sie endlich auf Papst Franziskus hat den neuen Kardinälen beim Konsistorium am 28. November ihre Titelkirche bzw. Diakonie zugewiesen. seinen Weg führen. Der heilige Markus – wie auch Matthäus Kardinal Diakonie Santi Cosma e Damiano und Lukas – hat diese Erzählung in sein Evange- Kardinal Marcello SEMERARO Diakonie Santa Maria in Domnica lium aufgenommen, weil sie ein heilbringendes Wort ist, ein Wort, das die Kirche zu allen Zeiten Kardinal Titelkirche San Sisto braucht. Auch wenn darin die Zwölf eine Kardinal Titelkirche Immacolata Concezione di Maria a Grottarossa schlechte Figur machen, ist dieser Text in den Kardinal Jose F. ADVINCULA Titelkirche San Vigilio Schriftkanon eingegangen, weil er die Wahrheit Kardinal Celestino AÓS BRACO OFMCap Titelkirche Santi Nereo ed Achilleo über Jesus und über uns erkennen lässt. Es ist Kardinal Cornelius SIM Titelkirche San Giuda Taddeo Apostolo auch für uns heute ein heilbringendes Wort. Auch wir – Papst und Kardinäle – müssen uns immer Kardinal Titelkirche Santa Maria del Buon Consiglio in diesem Wort der Wahrheit widerspiegeln. Es Kardinal OFMConv Diakonie Santissimo Nome di Maria al Foro Traiano ist ein scharfes Schwert, es schneidet uns, es ist Kardinal Felipe ARIZMENDI ESQUIVEL Titelkirche San Luigi Maria Grignion de Montfort schmerzlich, aber gleichzeitig heilt, befreit, be- Kardinal CS Diakonie San Nicola in Carcere kehrt es uns. Bekehrung ist genau das: von ab- seits des Weges zurück auf den Weg Gottes zu ge- Kardinal OFMCap Diakonie Sant’Apollinare alle Terme Neroniane-Alessandrine hen. Kardinal Diakonie Santa Maria del Divino Amore a Castel di Leva Möge der Heilige Geist uns heute und immer diese Gnade schenken. 4. Dezember 2020 / Nummer 49 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 8 Aus dem Vatikan

Heilige Messe mit den neuen Kardinälen im Petersdom Christus durch Taten der Liebe entgegengehen Predigt von Papst Franziskus am 29. November

Mit den von ihm am Samstag neu ernann- Wie können wir also vom Schlaf der Mittel- ten Kardinälen hat Papst Franziskus am ersten mäßigkeit erwachen? Mit der Wachsamkeit des Adventsonntag im Petersdom die heilige Gebets. Beten bedeutet, ein Licht in der Nacht an- Messe gefeiert. Dabei rief er die Gläubigen zuzünden. Das Gebet lässt uns von der Lauheit dazu auf, Gott nahe an sich heranzulassen und eines horizontalen Lebens wieder aufstehen, er- für seine Gegenwart wachsam zu sein. Nähe hebt den Blick in die Höhe und bringt uns mit und Wachsamkeit seien »zwei Schlüsselbe- dem Herrn in Einklang. Das Gebet ermöglicht es griffe für die Adventszeit«. Die erste Botschaft Gott, uns nahe zu sein; deshalb befreit es von der des Advents sei es, Gottes Nähe zu erkennen Einsamkeit und gibt Hoffnung. Das Gebet gibt und ihm zu sagen: »Komm noch näher!« Im dem Leben Sauerstoff: So wie man nicht leben Folgenden der Wortlaut der Predigt: kann, ohne zu atmen, so kann man kein Christ sein, ohne zu beten. Und es bedarf so sehr der Christen, die wachen für den, der schläft; von An- Die heutigen Lesungen schlagen uns zwei betern, von Fürbittern, die Tag und Nacht die Schlüsselbegriffe für die Adventszeit vor: Nähe Finsternis unserer Geschichte vor Jesus, das Licht und Wachsamkeit. Die Nähe Gottes und die der Welt, tragen. Es braucht Menschen, die anbe- Wachsamkeit unsererseits: Während der Prophet ten. Wir haben ein wenig den Bezug zur Anbe- Jesaja sagt, dass Gott uns nahe ist, ermahnt uns tung verloren, dazu, im Schweigen vor dem Jesus, in Erwartung auf ihn zu wachen. Herrn zu sein und ihn anzubeten. Das ist die Mit- Nähe. Gleich zu Beginn redet Jesaja Gott mit telmäßigkeit, die Lauheit. »du« an: »Du bist doch unser Vater!« (63,16). Und Es gibt sodann einen zweiten inneren Schlaf: er fährt fort: »Seit Urzeiten hat man nicht ver- den Schlaf der Gleichgültigkeit. Wer gleichgültig nommen, hat man nicht gehört; kein Auge hat je ist, sieht alles gleich, wie in der Nacht, und er einen Gott außer dir gesehen, der an dem han- kümmert sich nicht um die, die ihm nahe sind. delt, der auf ihn harrt« (64,3). Es kommen einem Wenn wir nur um uns selbst und unsere Be- die Worte aus Deuteronomium in den Sinn: Wer, Jesus vorüberzieht und ich es nicht bemerke«. Wach zu bleiben ist nicht einfach, ja, es ist sehr dürfnisse kreisen und den anderen gegenüber »wie der Herr, unser Gott, ist uns nah, wo immer Von unseren Interessen angezogen – und das schwierig: nachts ist man natürlicherweise ge- gleichgültig sind, senkt sich die Nacht in das wir ihn anrufen?« (4,7). Der Advent ist die Zeit, in spüren wir jeden Tag – und von so vielen Eitel- neigt zu schlafen. Den Jüngern Jesu gelang es Herz herab. Im Herzen wird es dunkel. Bald der wir uns die Nähe Gottes ins Gedächtnis ru- keiten zerstreut, laufen wir Gefahr, das Wesentli- nicht, wach zu bleiben. Dabei hatte der Herr ihnen fängt man an, sich über alles zu beklagen, dann fen, der zu uns hinabgestiegen ist. Aber der Pro- che zu verlieren. Daher wiederholt der Herr gesagt, »am Abend oder um Mitternacht, ob beim fühlt man sich Opfer von allen und schließlich phet geht weiter und bittet Gott darum, sich noch heute »allen: wachet!« (Mk 13,37). Wachet, seid Hahnenschrei oder erst am Morgen« zu wachen sieht man überall Verschwörungen. Klagen, das mehr zu nähern: »Hättest du doch den Himmel aufmerksam! (vgl. V. 35). Gerade zu diesen Stunden waren sie Gefühl Opfer zu sein und Verschwörungen. Das zerrissen und wärest herabgestiegen!« (Jes Aber wenn wir wachen müssen, so heißt dies, nicht wachsam: abends, während des Letzten ist eine Kette. Heute scheint diese Nacht über 63,19). Auch wir haben im Psalm darum gebetet: dass wir uns in der Nacht befinden. Ja, wir leben Abendmahls, verrieten sie Jesus; nachts schliefen viele hereingebrochen zu sein, die Ansprüche »Richte uns wieder auf, o Gott, lass dein Ange- nicht am Tag, sondern bei Dunkelheit und unter sie ein; beim Hahnenschrei verleugneten sie ihn; für sich erheben und für die anderen kein Inter- sicht leuchten, dann sind wir gerettet« (vgl. Ps Mühen in der Erwartung des Tages. Der Tag wird am Morgen ließen sie ihn zum Tode verurteilen. esse zeigen. 79,15.3). »O Gott, komm mir zu Hilfe« ist oftmals kommen, an dem wir mit dem Herrn sein wer- Sie hatten nicht gewacht. Sie waren einge- Wie können wir uns aus diesem Schlaf der der Beginn unseres Gebets: Der erste Schritt des den. Er wird kommen, verlieren wir nicht den schlummert. Aber auch uns kann die gleiche Gleichgültigkeit wieder erheben? Mit der Wach- Glaubens ist es, dem Herrn zu sagen, dass wir sei- Mut: Die Nacht wird vorübergehen und der Herr Schlaffheit befallen. Es gibt einen gefährlichen samkeit der Liebe. Um in diesen Schlaf der Mit- ner bedürfen, seiner Nähe. wird sich erheben; der am Kreuz für uns gestor- Schlaf: den Schlaf der Mittelmäßigkeit. Er kommt, telmäßigkeit und Lauheit Licht zu bringen, gibt ben ist, wird uns richten. wenn wir die erste Liebe Das Gebet gibt dem Leben Sauerstoff: Wachen bedeutet, dies zu vergessen und aus Ge- Die Liebe ist das schlagende Herz des Christen: So wie man nicht leben kann, ohne zu atmen, erwarten, sich nicht von wohnheit weitermachen So wie man ohne den Herzschlag so kann man kein Christ sein, ohne zu beten. der Entmutigung über- und dabei nur auf ein ruhi- nicht leben kann, so kann man ohne Liebe Und es bedarf so sehr der Christen, mannen zu lassen, und ges Leben achten. Aber kein Christ sein. Manchen scheint es, die wachen für den, der schläft; das heißt, in der Hoffnung ohne Ausbrüche der Liebe dass Mitleid empfinden, helfen, von Anbetern, von Fürbittern, die Tag und Nacht zu leben. Wie wir vor un- zu Gott, ohne seine Neu- dienen eine Angelegenheit von Verlierern sei! die Finsternis unserer Geschichte vor Jesus, serer Geburt von denen, heit zu erwarten, wird In Wirklichkeit ist dies das Einzige, das Licht der Welt, tragen. die uns lieben, erwartet man mittelmäßig, lau, was zum Gewinn führt, weil es Es braucht Menschen, die anbeten. wurden, so werden wir weltlich. Und dies zerfrisst auf die Zukunft ausgerichtet ist… jetzt von der Liebe in Per- den Glauben, weil der Es ist auch die erste Botschaft des Advents son erwartet. Und wenn wir im Himmel erwartet Glaube das Gegenteil von Mittelmäßigkeit ist: Er es die Wachsamkeit des Gebets. Um aus diesem und des Kirchenjahres, Gottes Nähe zu erkennen werden, warum sollen wir dann in irdischen An- ist brennende Sehnsucht nach Gott; er ist bestän- Schlaf der Gleichgültigkeit wieder zu erwachen, und ihm zu sagen: »Komm noch näher!« Er will sinnen leben? Warum uns für etwas Geld, Ruhm, diger Wagemut sich zu bekehren; er ist Mut zum gibt es die Wachsamkeit der Nächstenliebe. Die nahe zu uns kommen, doch er bietet sich an, er Erfolg abmühen, alles Dinge, die vorübergehen? Lieben; er bedeutet, immer fortzuschreiten. Der Liebe ist das schlagende Herz des Christen: drängt sich nicht auf. An uns liegt es, darin nicht Warum damit Zeit verlieren, uns über die Nacht Glaube ist nicht Wasser, das löscht; er ist Feuer, So wie man ohne den Herzschlag nicht leben müde zu werden, ihm zu sagen: »Komm!« An uns zu beklagen, wo uns doch das Licht des Tages er- das brennt; er ist kein Beruhigungsmittel für den, kann, so kann man ohne Liebe kein Christ sein. ist es, dieses Gebet des Advents zu sprechen: wartet? Warum irgendwelche »Förderer« suchen, der gestresst ist; er ist eine Liebesgeschichte für Manchen scheint es, dass Mitleid empfinden, »Komm!« Jesus, so erinnert uns der Advent, ist zu um befördert zu werden und aufzusteigen, um in den Verliebten! Daher verabscheut Jesus die Lau- helfen, dienen eine Angelegenheit von Verlie- uns gekommen und wird wiederkommen am der Karriere voranzukommen? Alles vergeht. Wa- heit mehr als alles andere (vgl. Offb 3,16). Es ist rern sei! In Wirklichkeit ist dies das Einzige, was Ende der Zeiten. Aber, so fragen wir uns, wozu chet, sagt der Herr. deutlich, dass Gott die Lauen nicht schätzt. zum Gewinn führt, weil es auf die Zukunft aus- dient dieses Kommen, wenn er nicht heute in un- gerichtet ist, auf den Tag des Herrn, an dem al- ser Leben kommt? Laden wir ihn ein. Machen les vorübergehen wird und nur noch die Liebe wir uns die für den Advent charakteristische An- bleiben wird. Mit den Werken der Barmherzig- rufung zu eigen: »Komm, Herr Jesus« (Offb keit nähern wir uns dem Herrn. Wir haben 22,20). Mit dieser Anrufung endet die Offenba- heute im Tagesgebet darum gebetet: »Hilf uns, rung des Johannes: »Komm, Herr Jesus!« Wir kön- dass wir auf dem Weg der Gerechtigkeit Chris- nen sie zu Beginn jedes Tages aussprechen und tus entgegengehen und uns durch Taten der sie oft wiederholen, vor den Zusammenkünften, Liebe auf seine Ankunft vorbereiten.« Christus vor dem Studium, vor der Arbeit und vor den zu durch Taten der Liebe entgegengehen. Jesus treffenden Entscheidungen, in den wichtigsten kommt und der Weg, um ihm entgegenzugehen, Augenblicken und in denen der Prüfung: Komm, ist vorgezeichnet: Es sind die Werke der Barm- Herr Jesus. Das ist ein kurzes Gebet, es kommt herzigkeit. aber von Herzen. Beten wir es in dieser Advents- Liebe Brüder und Schwestern, beten und lie- zeit, wiederholen wir es: »Komm, Herr Jesus!« ben, hierin besteht die Wachsamkeit. Wenn die Wenn wir seine Nähe anrufen, werden wir so Kirche Gott anbetet und dem Nächsten dient, lebt unsere Wachsamkeit einüben. Das Markusevan- sie nicht in der Nacht. Auch wenn sie müde und gelium hat uns heute den Schluss der Abschieds- leidgeprüft ist, ist sie zum Herrn hin unterwegs. rede Jesu vorgelegt, der sich in einem einzigen Rufen wir ihn an: Komm, Herr Jesus, wir sind auf Wort verdichtet: »Wachet!« Der Herr wiederholt dich angewiesen. Komm nahe zu uns. Du bist das es viermal in fünf Versen (vgl. Mk 13,33-35.37). Licht: Wecke uns aus dem Schlaf der Mittel- Es ist wichtig, wachsam zu bleiben, weil es ein mäßigkeit, lass uns aus der Finsternis der Gleich- Lebensfehler ist, sich in tausend Dingen zu ver- gültigkeit heraustreten. Komm, Herr Jesus, ma- lieren und dabei Gott nicht zu bemerken. Der hei- che unsere Herzen wachsam, die jetzt zerstreut lige Augustinus sagte: »Timeo Iesum transeun- Einzug der neuen Kardinäle aus der Vogelperspektive. Von den 13 Kardinälen waren 11 im Petersdom sind: Lass uns die Sehnsucht spüren zu beten tem« (Sermones, 88,14,13), »ich fürchte, dass anwesend. und das Bedürfnis zu lieben. 4. Dezember 2020 / Nummer 49 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 9

Papst erhebt Geistliche erstmals auch »online« zu Kardinälen

Vatikanstadt. Erstmals in der Geschichte überhaupt bewusst zu sein, den Herrn ›benutz- das 80. Lebensjahr vollendet und werden ver- Schon früher wurden Kardinäle erhoben, hat ein Papst zwei Geistliche »über das Internet« ten‹, um sich selbst zu fördern«. Ein Kardinal, der diensthalber in das Kardinalskollegium berufen: ohne dass die Ernannten persönlich bei der Feier zu Kardinälen erhoben. Weil die Bischöfe Corne- sich als »Eminenz« fühle und nicht mehr als Der mexikanische Bischof Felipe Arizmendi anwesend sein konnten. Entweder waren sie zu lius Sim aus Brunei und Jose Fuerte Advincula »Hirte«, sei bereits vom Weg abgekommen. Esquivel (80), der sich für Indigene einsetzte, der alt oder krank, mitunter – etwa bei Geistlichen von den Philippinen aufgrund der coronabeding- Neun der 13 neuen Kardinäle sind jünger als langjährige Kirchendiplomat und Ständige Beob- aus Ländern des ehemaligen Ostblocks – erlaub- ten Reisebeschränkungen nicht persönlich nach 80 und damit bei einem etwaigen Konklave achter bei den Vereinten Nationen Silvano Maria ten es die politischen Umstände nicht oder der Rom kommen konnten, nahmen sie über Vi- papstwahlberechtigt. Unter ihnen befinden sich Tomasi (80), der Kapuziner Raniero Cantalamessa Papst hatte sie geheim (»in pectore«) ernannt. deoschaltung an dem Gottesdienst teil. Außer ih- mit dem Generalsekretär der Bischofssynode, (86), der seit 40 Jahren als Prediger des Päpstli- Auch diese Kardinäle erhielten in den allermeis - nen erhob Papst Franziskus am Samstag, 28. No- Mario Grech (63), und dem jüngst zum Präfekten chen Hauses der Römischen Kurie ins Gewissen ten Fällen ihre Insignien nachgereicht. Dieses vember, im Petersdom elf weitere Männer in den der Kongregation für die Selig- und Heiligspre- redet, und der langjährige römische Caritas- Mal gab es einen Livestream über das Internet, so Kardinalsstand. Zum Schutz vor Ansteckungen chungsprozesse ernannten Marcello Semeraro Direktor Enrico Feroci (80). dass Sim und Advincula online an der Feier teil- war die physische Teilnehmerzahl auf 100 be- (72) zwei hohe Kurienmitarbeiter. Ins Kardinals- In der trotz Corona-Maßnahmen nur leicht nehmen konnten. grenzt worden. kollegium aufgenommen wurden zudem die Erz- veränderten Feier im Petersdom erhielten die elf Von den nunmehr 128 Papstwählern im Kar- In seiner Predigt mahnte der Papst die neuen bischöfe Wilton Daniel Gregory (Washington, anwesenden neuernannten Kardinäle ihre Insi- dinalskollegium stammen 53 aus Europa, 37 aus Würdenträger, die Auszeichnung nicht falsch zu USA, 72), Antoine Kambanda (, Ruanda, gnien, rotes Birett, Kardinalsring und Ernen- den Amerikas, 18 aus Afrika, 16 aus Asien und verstehen. Wer Jesus nachfolgen wolle, müsse 62), Celestino Aós Braco (Santiago de Chile, 75), nungsurkunde überreicht; auf die übliche Um - vier aus Australien und Ozeanien. 73 von ihnen, sich auf einen Weg begeben, der durch Leiden, Augusto Paolo Lojudice (Italien, Siena, 56), Corne- armung mit dem Papst sowie der Kardinäle also gut über die Hälfte, wurden von Franziskus Tod, aber auch Auferstehung geprägt sei, so Fran- lius Sim (Brunei, 69) und Jose Fuerte Advincula untereinander wurde verzichtet. Die Kardinäle ernannt. Ein gutes Dutzend – unter ihnen auch ziskus. Er bezog sich darin auf den Evangeliums- (Capiz, Philippinen, 68). Bemerkenswert ist auch aus Brunei und von den Philippinen erhalten ihre der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schön- text, in dem zwei Apostel Jesus um die besten die Kardinalserhebung von Mauro Gambetti (55), Insignien in den kommenden Wochen, wenn es born – stammt noch aus der Amtszeit von Johan- Plätze im Himmel bitten. Dies, so der Papst, »ist dem bisherigen Kustos des Minoriten-Konvents die Umstände erlauben, von einem Vertreter des nes Paul II. (1978-2005), die übrigen von Bene- der Weg derer, die, vielleicht ohne sich dessen im Heiligtum von Assisi. Vier Kandidaten haben Papstes überreicht. dikt XVI. (2005-2013). 4. Dezember 2020 / Nummer 49 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 10 Aus dem Vatikan

Unter dem Titel »Wage zu träumen!« er- scheint am heutigen 4. Dezember im Münch- Neues Buch von ner Kösel-Verlag ein neues Buch von Papst Franziskus. Im Gespräch mit dem englischen Papst Franziskus Journalisten Austen Ivereigh reflektiert er über die Corona-Krise, die die großen gesellschaftli- chen Probleme wie ein Brennglas verdeutlicht habe. Es geht aber auch um Hilfestellungen für den Weg aus persönlichen Krisen. Dabei schil- Im Schöpfungsbericht der Genesis befiehlt dert der Papst mit großer Offenheit, wie ihn Gott Adam und Eva, fruchtbar zu sein. Die drei persönliche Krisen verändert haben. Mut Menschheit hat den Auftrag, die Schöpfung zu zur Veränderung sei notwendig, um besser aus verwandeln, aufzubauen und sich untertan zu einer Krise hervorzugehen. Im Folgenden machen in dem positiven Sinn, aus ihr und mit ihr drucken wir das vom Papst verfasste Vorwort zu erschaffen. Was kommen wird, hängt nicht ab. von einem unsichtbaren Mechanismus ab, einer Zukunft, in der die Menschheit ein passiver Be- obachter wäre. Nein, wir sind Akteure, wir sind ch sehe diese Zeit als eine Stunde der – wenn ich das Wort etwas dehnen darf – Mit- Wahrheit. Ich denke daran, was Jesus zu Schöpfer. IPetrus sagt: der Teufel verlange, dass er ihn Als der Herr uns auftrug, hinauszugehen und »wie Weizen sieben« dürfe (Lukas 22,31). In eine uns zu mehren, die Erde uns untertan zu ma- Krise zu geraten bedeutet, gesiebt zu werden. Die chen, sagte er: Seid die Schöpfer eurer Zukunft! eigenen Kategorien und Denkweisen werden er- Aus der Krise können wir besser oder schlechter schüttert, deine Prioritäten und dein Lebensstil hervorgehen. Wir können rückwärtsgleiten oder werden herausgefordert. Du überschreitest eine wir können etwas Neues schaffen. Was wir jetzt Schwelle, entweder durch deine eigene Entschei- brauchen, ist die Chance, uns zu verändern, dung oder zwangsweise, denn es gibt Krisen wie Raum für das zu schaffen, was jetzt nottut. Es ist die, durch die wir gerade gehen, die du nicht ver- wie bei Gott, der zu Jesaja sagt: »Komm, lass uns meiden kannst. darüber reden. Wenn du bereit bist, zu hören, Die Frage ist, ob du diese Krise überstehst und dann werden wir eine große Zukunft haben. wenn ja, wie. Die Grundregel einer jeden Krise Aber wenn du dich weigerst, zu hören, dann ist, dass du nicht genau so herauskommst, wie du wirst du durch das Schwert gefressen« (Jesaja hineingegangen bist. Wenn du sie überstehst, 1,18–20). dann gehst du besser oder schlechter aus ihr her- Es gibt so viele Schwerter, die uns zu fressen vor, aber bleibst nicht derselbe. drohen. Die Covid-Krise mag besonders erschei- Wir erleben eine Zeit der Prüfung. Um solche nen, weil sie fast die gesamte Menschheit betrifft. Prüfungen zu beschreiben, spricht die Bibel da- Aber sie ist nur insofern etwas Besonderes, als sie von, »durch ein Feuer zu gehen«, wie in einem sichtbar ist. Es gibt tausend andere Krisen, die ge- Brennofen, der die Arbeit des Töpfers prüft (Si- nauso schlimm sind, aber weit genug von vielen rach 27,5). Es ist so, dass wir alle im Leben ge- von uns weg, sodass wir so tun können, als ob es prüft werden. Auf diese Weise wachsen wir. sie gar nicht gäbe. Denk zum Beispiel an die In den Prüfungen des Lebens offenbarst du Kriege überall in der Welt, an Waffenherstellung dein eigenes Herz: wie stabil es ist, wie barmher- und -handel, an die Hunderttausende von Flücht- zig, wie groß oder wie klein. Normale Zeiten sind lingen, auf der Flucht vor Armut und Klimawan- wie formale Veranstaltungen: Man muss sich del, denk an den Hunger und die Chancenlosig- selbst niemals zeigen. Du lächelst, du sagst die keit, an den Klimawandel. richtigen Dinge, und du überstehst das alles un- Diese Dramen mögen uns fern erscheinen, als beschadet, ohne jemals zeigen zu müssen, wer Teil der täglichen Nachrichten, die uns leider du wirklich bist. Wenn du aber in einer Krise bist, nicht dazu bewegen können, unsere Ansichten ist es das genaue Gegenteil. Du musst wählen. und Prioritäten zu ändern. Aber wie die Covid- Und in deiner Wahl zeigst du dein Herz. In Krisen bekommst du beides, Gutes und ben geschlagen an der Straße liegt, dann ma- Krise betreffen sie die gesamte Menschheit. Denk daran, was in der Geschichte passiert. Schlechtes. Menschen zeigen sich, wie sie wirk- chen sie einen »zweckmäßigen« Rückzug. Da- Schau nur auf die Zahlen, was eine Nation für Wenn das Herz der Menschen geprüft wird, wird lich sind. Einige verausgaben sich im Dienst an mit meine ich, dass sie ihren eigenen Platz in Waffen ausgibt, und dir gefriert das Blut in den ihnen bewusst, was sie niedergehalten hat. An- den Bedürftigen, während andere sich an der Not der Gesellschaft – ihre Rolle, ihren Status – be- Adern. Dann vergleiche diese Zahlen mit der dererseits spüren sie auch die Anwesenheit des von Menschen bereichern. Einige brechen auf, wahren wollen, wenn sie in eine Krise geraten, UNICEF-Statistik darüber, wie viele Kinder keine Herrn, der treu ist und der den Schrei Seines um anderen zu begegnen – auf neue und kreative in der sie geprüft werden. Schulbildung haben und hungrig zu Bett gehen Volkes hört. Die darauf folgende Begegnung lässt Weisen, ohne ihre Häuser zu verlassen –, In einer Krise wird unser Funktionalismus er- müssen, dann merkst du, wer den Preis für den eine neue Zukunft anbrechen. während andere sich in ihre Rüstung zurückzie- schüttert und wir müssen unsere Rollen und Ge- Waffenhandel zahlt. In den ersten vier Monaten Denk daran, was wir während der Covid-19- hen. Unsere Herzen zeigen sich. Es sind nicht nur wohnheiten verändern, um aus der Krise als bes- diesen Jahres sind 3,7 Millionen Menschen an Krise erlebt haben. Alle diese Märtyrer: Frauen einzelne Menschen, die geprüft werden, sondern sere Menschen hervorzugehen. Eine Krise ver- Hunger gestorben. Und wie viele sind durch und Männer, die ihr Leben im Dienst an den Be- auch ganze Völker. Denk an die Regierungen, die langt immer, dass unser ganzes Selbst präsent ist. Kriege gestorben? Die Ausgaben für Waffen zer- dürftigsten hingegeben haben. während der Pandemie Entscheidungen treffen Du kannst dich nicht zurückziehen, dich in alte stören die Menschheit. Sie sind ein schwerwie- Denk an Menschen im Gesundheitsdienst, mussten. Wege und Rollen flüchten. Denke an den Samari- gender Coronavirus, aber weil seine Opfer vor die Ärztinnen und Ärzte, die Pflegerinnen und Was ist wichtiger, sich um Menschen zu küm- ter: Er hält an, kommt näher, betritt die Welt des uns verborgen sind, sprechen wir nicht darüber. Pfleger, oder auch an die Geistlichen und an alle, mern oder das Finanzsystem am Laufen zu hal- verwundeten Mannes, wirft sich selbst in diese Vielen ähnlich verborgen ist die Zerstörung die anderen in ihrem Leiden beigestanden ha- ten? Kümmern wir uns um die Menschen oder Situation hinein, in das Leiden des anderen, und der Natur. Wir dachten, dass es uns nicht betrifft, ben. Unter den notwendigen Vorsichtsmaßnah- opfern wir sie, der Börse zuliebe? Halten wir die schafft so eine neue Zukunft. weil es woanders passiert. Aber plötzlich sehen Wohlstandsmaschine In einer Krise wie der Samariter zu handeln wir es, wir verstehen es: Ein Boot überquert zum In den Prüfungen des Lebens offenbarst du an, wissend, dass ei- bedeutet, sich von dem, was ich sehe, berühren ersten Mal den Nordpol und wir erkennen, dass dein eigenes Herz: wie stabil es ist, wie barmherzig, nige Menschen lei- zu lassen, wissend, dass das Leiden mich verän- die fernen Überschwemmungen und Wald- wie groß oder wie klein. Normale Zeiten sind den werden, um so dern wird. Wir Christen nennen das das Kreuz brände Teil der einen Krise sind, die uns alle be- wie formale Veranstaltungen: Man muss sich selbst Leben zu retten? In aufnehmen und annehmen. Das Kreuz anzuneh- trifft. Sieh uns an: Wir tragen Gesichtsmasken, niemals zeigen. Du lächelst, du sagst die richtigen Dinge, einigen Fällen haben men, in der Zuversicht, dass das Kommende um uns und andere vor einem Virus zu schützen, und du überstehst das alles unbeschadet, Regierungen ver- neues Leben sein wird, gibt uns den Mut, das den wir nicht sehen können. ohne jemals zeigen zu müssen, wer du wirklich bist. sucht, vor allem die Wehklagen und den Blick zurück aufzugeben. So Aber was ist mit all den anderen unsichtbaren Wenn du aber in einer Krise bist, ist es das genaue Gegenteil. Wirtschaft zu schüt- können wir aufbrechen, anderen dienen und so Viren, vor denen wir uns schützen müssen? Wie Du musst wählen. Und in deiner Wahl zeigst du dein Herz. zen, vielleicht weil Veränderung geschehen lassen, die nur durch werden wir mit den verborgenen Pandemien die- sie das Ausmaß der Mitgefühl und Dienst am Menschen entstehen ser Welt umgehen, den Pandemien des Hungers men versuchten sie, anderen Unterstützung und Krankheit nicht begriffen oder weil ihnen die kann. Manche reagieren auf Leiden in der Krise und der Gewalt und des Klimawandels? Wenn Trost zu bieten. Sie legten Zeugnis ab für Nähe Mittel fehlten. Diese Regierungen haben ihrer mit einem Achselzucken. wir aus der Krise weniger egoistisch herauskom- und Zärtlichkeit. Tragischerweise starben viele Bevölkerung schwere Hypotheken aufgebürdet. Sie sagen: »Gott hat die Welt halt so geschaf- men wollen, als wir hineingegangen sind, dann von ihnen. Um ihr Zeugnis und das Leiden so vie- Die Krise hat gezeigt, welche Prioritäten die fen, so ist sie nun einmal.« Aber solch eine Ant- müssen wir uns von dem Leiden anderer an- ler zu ehren, müssen wir eine Zukunft aufbauen, Regierenden hatten, ihre Werte wurden aufge- wort sieht Gottes Schöpfung fälschlicherweise rühren lassen. Es gibt zwei Zeilen in Friedrich indem wir den Wegen folgen, welche sie für uns deckt. In einer Krise besteht immer die Versu- als statisch, während sie in Wirklichkeit ein dy- Hölderlins Gedicht Patmos, die mich ansprechen. ausgeleuchtet haben. chung des Rückzugs. Natürlich gibt es immer namischer Prozess ist. Die Welt wird ständig er- Sie sagen, dass die in einer Krise drohende Gefahr Aber – und ich sage das mit Schmerz und Zeiten, in denen wir uns aus taktischen Grün- schaffen. Paulus sagt im Römerbrief (8,22), dass niemals vollkommen ist, sondern dass es immer Scham – denken wir auch an die Wucherer, die den zurückziehen müssen – wie die Schrift die Schöpfung seufzt und in Geburtswehen liegt. einen Ausweg gibt: »Wo aber Gefahr ist, wächst / Kredithaie, die an den Türen verzweifelter Men- sagt: »In deine Zelte, Israel!« (1 Könige 12,16) –, Gott will die Welt mit uns als Partner fort- das Rettende auch.« Das ist das Wunderbare an schen aufgetaucht sind. Wenn sie ihre Hände rei- aber es gibt Situationen im Leben, in denen es während hervorbringen. Er hat uns von Anfang der menschlichen Geschichte: Es gibt immer ei- chen, dann um Kredite anzubieten, die niemals weder richtig noch menschlich ist, so zu han- an eingeladen, uns ihm anzuschließen, in friedli- nen Weg, der Zerstörung zu entkommen. Die zurückgezahlt werden können, sondern die jene deln. Jesus verdeutlicht das in seinem berühm- chen Zeiten und in Zeiten der Krise – zu jeder Menschheit muss genau dort handeln, in der Be- für immer verschulden, welche sie aufnehmen. ten Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Zeit. Es ist ja nicht so, dass uns die Sache einge- drohung selbst, dort öffnet sich die Tür. Diese Zei- Solche Kreditgeber spekulieren auf dem Rücken Wenn der Levit und der Priester von einem packt und versiegelt übergeben worden wäre: des Leidens anderer. Mann weggehen, der blutend und von den Die- »Hier, das ist die Welt für euch.« Fortsetzung auf Seite 11 4. Dezember 2020 / Nummer 49 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 11

Videobotschaft von Papst Franziskus an die Teilnehmer des Festivals der Soziallehre in Verona Liturgie des Lebens und der Liebe

Das »Festival der kirchlichen Soziallehre« bezeichnen könnten. Für uns Christen hat die Zu- fand in diesem Jahr vom 26. bis 29. November kunft einen Namen und dieser Name lautet Hoff- zum zehnten Mal statt. Bisher trafen sich die nung. Hoffnung ist die Tugend eines Herzens, das Teilnehmer in Verona, in diesem Jahr wurde sich nicht im Dunkel verschließt, nicht bei der die Veranstaltung jedoch größtenteils über Vergangenheit stehenbleibt, nicht in der Gegen- eine Internetplattform durchgeführt. In Semi- wart dahinvegetiert, sondern das Morgen zu se- naren, Vorträgen und Diskussionsrunden hen versteht. Was bedeutet das »Morgen« für uns tauschten sich die Teilnehmer über verschie- Christen? Es ist das erlöste Leben, die Freude dene Themenbereiche aus, unter anderem: Fa- über das Geschenk der Begegnung mit der drei- milie, Unternehmen im Dienst des Gemein- faltigen Liebe. In diesem Sinn bedeutet Kirche- wohls, ganzheitliche Ökologie. Sein, dass der Blick und das Herz kreativ und eschatologisch ausgerichtet sind, ohne der Versu- Einen herzlichen Gruß an den Bischof und chung der Nostalgie nachzugeben, die eine euch alle, die ihr in Verona und verschiedenen wahre geistliche Krankheit ist. anderen über Internet verbundenen italienischen Ein russischer Denker, Vjacˇeslav IvanovicˇIva- Städten am Festival der kirchlichen Soziallehre nov, sagt, dass nur das wirklich existiert, woran teilnehmt, das mit einer kreativen Methode einen Gott sich erinnert. Daher liegt die christliche Dy- Austausch in Gang bringen möchte zwischen namik nicht darin, nostalgisch an der Vergangen- Akteuren, die sich in ihrer Sensibilität und Hand- heit festzuhalten, sondern vielmehr den Zugang lungsweise unterscheiden, aber im Aufbau des zum ewigen Gedächtnis des Vaters zu finden. Gemeinwohls dasselbe Ziel haben. Und das ist möglich, wenn man ein Leben der Das Festival ist anders als sonst, weil wir mit Nächstenliebe lebt. Daher: nicht Nostalgie, die heim, gerade weil es seinen Daseinsgrund in der der verschiedenen wirtschaftlichen Theorien der immer noch andauernden Pandemie zu die Kreativität blockiert und auch im sozialen, po- Liebe des Vaters, des Sohnes und des Heiligen oder politischen Gruppen vereinnahmen zu las- kämpfen haben, ein Szenarium, das Schwierig- litischen und kirchlichen Bereich rigide, ideologi- Geistes findet. In dieser Hinsicht muss unser ge- sen. keiten sowie gravierende persönliche und soziale sche Menschen aus uns macht; sondern viel- samtes Leben in gewisser Weise Liturgie sein, In der Welt mit der Kraft und der Kreativität Verwundungen mit sich bringt. mehr das Erinnern, das so eng an Liebe und eine »anamnesis«, ein ewiges Gedenken des des göttlichen Lebens in uns: so werden wir das Erfahrung gebunden ist, dass es eine der tiefsten Pascha Christi. Herz und den Blick der Menschen für das Evan- Bildungsinitiative Dimensionen der menschlichen Person wird. gelium Jesu zu faszinieren wissen, wir werden Wir alle sind in der Taufe zum Leben geboren Volk Gottes helfen, Projekte einer neuen inklusiven Wirt- Und es ist auch etwas anders als sonst, weil worden. Wir haben das Leben zum Geschenk er- schaft und einer Politik heranreifen zu lassen, die zum ersten Mal Don Adriano Vincenzi nicht halten, das Gemeinschaft mit Gott, mit den ande- Das ist also der Sinn des diesjährigen Festi- zur Liebe fähig ist. mehr unter euch ist, um diese Bildungsinitiative ren und mit der Schöpfung ist. Wir sind daher auf- vals: Das Gedächtnis der Zukunft zu leben be- Ein Wort möchte ich noch besonders an die zu unterstützen, die mittlerweile zum zehnten gerufen, das Leben in der Gemeinschaft mit Gott deutet, sich dafür einzusetzen, dass die Kirche, verschiedenen Akteure gesellschaftlichen Le- Mal stattfindet. Wir wollen Seiner gedenken mit zu verwirklichen, das heißt in der Intimität des das große Volk Gottes (vgl. Lumen gentium, 6), bens richten, die zu diesem Festival versammelt dem Hinweis auf ein wesentliches Merkmal sei- Gebets in der Gegenwart des Herrn; in der Liebe auf der Erde Anfang und Keim des Gottesreiches sind: an die Unternehmer, Fachleute, Vertreter nes Dienens, mit passenden Worten aus dem, zu den Menschen, denen wir begegnen, das sein kann. Als Gläubige leben, die in die Gesell- der Institutionen, der Genossenschaften, der was ich in meiner letzten Enzyklika Fratelli tutti heißt in der Nächstenliebe, und schließlich ge- schaft eingetaucht sind und das Leben Gottes Wirtschaft und der Kultur: Engagiert euch wei- geschrieben habe: »Es ist eine edle Haltung, Pro- genüber der Mutter Erde, was bedeutet, einen offenbaren, das wir in der Taufe als Geschenk er- terhin und folgt dabei dem Weg, den Don Adri- zesse in der Hoffnung auf die geheime Kraft des Prozess der Verwandlung der Welt in Gang zu halten haben, damit wir jetzt Gedächtnis halten ano Vincenzi gemeinsam mit euch vorgezeichnet ausgesäten Guten anzustoßen, deren Früchte setzen. Das Leben, das wir als Geschenk erhalten können an das zukünftige Leben, in dem wir ge- hat, um die kirchliche Soziallehre zu kennen und von anderen geerntet werden« (Nr. 196). haben, ist das Leben Christi, und wir können meinsam vor dem Vater, dem Sohn und dem Hei- darin ausgebildet zu sein. Brückenbauer: diejeni- In diesem Jahr habt ihr das Thema gewählt: nicht als Glaubende in der Welt leben, wenn wir ligen Geist sein werden. gen, die hier einander begegnen, mögen keine »Gedächtnis der Zukunft«. Es mag ein wenig selt- nicht sein Leben in uns bezeugen. Im Leben der Diese Haltung hilft uns, die Versuchung der Mauern finden, sondern Gesichter… sam klingen, aber es ist kreativ: »Gedächtnis der dreifaltigen Liebe verwurzelt, werden wir fähig Utopie zu überwinden, die Verkündigung des Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Zukunft«. Es fordert uns zu jener kreativen Hal- zur Erinnerung, zur Erinnerung Gottes. Und nur Evangeliums auf eine rein soziologische Perspek- Danke. tung auf, die wir als »die Zukunft frequentieren« das, was Liebe ist, fällt nicht dem Vergessen an- tive zu beschränken und uns vom »Marketing« (Orig. ital. in O.R. 27.11.2020)

Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise

Fortsetzung von Seite 10 anschwellen, so allmählich, dass man es kaum wahrnimmt, aber dann kommt der Moment, wo sie über die Ufer treten und sich ergießen. In un- len Hölderlins haben mich zu verschiedenen Zei- serer Gesellschaft zeigt sich die Barmherzigkeit ten meines Lebens begleitet. Gottes in solchen »Momenten des Überfließens«: Dies ist ein Augenblick, große Träume zu träu- Hier bricht sie aus, durchbricht die hergebrachten men, unsere Prioritäten zu überdenken – was Abgrenzungen, die so viele Menschen von dem wir wertschätzen, was wir wollen, was wir an- abgehalten haben, was sie verdienen, und er- streben – und uns zu entschließen, in unserem schüttert unsere Rollen und unser Denken. Das täglichen Leben das zu tun, wovon wir geträumt Überfließen liegt in dem Leid, das diese Krise of- haben. fenbart hat, und in der kreativen Art und Weise, Was ich in diesem Augenblick höre ist wie in der so viele Menschen darauf reagiert haben. das, was Jesaja Gott sagen hört: Kommt doch, wir Ich sehe ein Überfließen von Barmherzigkeit wollen miteinander reden, die Dinge überden- mitten unter uns. Viele Herzen wurden geprüft. ken. Wagen wir es, zu träumen. Die Krise hat in einigen einen neuen Mut und Gott fordert uns auf, es zu wagen, etwas ein neues Mitgefühl geweckt. Einige von uns Neues zu erschaffen. Wir können nicht einfach sind gesiebt worden und haben mit der Sehn- zu den falschen Sicherheiten der politischen und sucht geantwortet, unsere Welt neu zu denken. ökonomischen Systeme von vor der Krise zurück- Andere sind Menschen in Not auf ganz kon- »Was mir in den Sinn kommt, ist das Überfließen. Ich denke an große Flüsse, die sanft anschwellen, kehren. Wir brauchen ein Wirtschaftssystem, das krete Weise zu Hilfe gekommen und haben da- so allmählich, dass man es kaum wahrnimmt, aber dann kommt der Moment, wo sie über die Ufer allen Zugang zu den Früchten der Schöpfung ver- durch geholfen, das Leiden ihres Nächsten zu treten und sich ergießen. In unserer Gesellschaft zeigt sich die Barmherzigkeit Gottes in solchen Mo- schafft, zu den grundlegenden Bedürfnissen des verwandeln. menten des Überfließens…« Lebens: zu Land, zu Arbeit und zu Wohnraum. Mich erfüllt das mit der Hoffnung, dass wir Wir brauchen eine Politik, welche die Armen, mit einer besseren Zukunft aus dieser Krise her- Ausgeschlossenen und Schwachen integrieren ist der Trugschluss, den Individualismus zum Or- viel Entschiedenheit Gleichheit und Freiheit her- auskommen. Aber wir müssen klar sehen, gut und mit ihnen einen Dialog führen kann, einen ganisationsprinzip der Gesellschaft zu erheben. vorgebracht hat, muss sich nun mit dem gleichen wählen und richtig handeln. Lass uns darüber Dialog, der den Menschen ein Mitspracherecht Was wird unser neues Prinzip sein? Elan und derselben Hartnäckigkeit auf die Ge- sprechen, wie. Lass die Worte Gottes an Jesaja bei den ihr Leben bestimmenden Entscheidun- Wir brauchen eine Bewegung von Menschen, schwisterlichkeit konzentrieren, um sich den vor auch zu uns sprechen: Komm, lass uns darüber gen gibt. Wir müssen verlangsamen, Bilanz zie- die wissen, dass wir einander brauchen, die ein uns liegenden Herausforderungen zu stellen. Die sprechen. Wagen wir es zu träumen. hen und bessere Weisen des Zusammenlebens Verantwortungsgefühl für andere und für die Geschwisterlichkeit wird es der Freiheit und der auf dieser Welt entwerfen. Welt haben. Wir müssen verkünden, dass Gleichheit erlauben, ihren rechtmäßigen Platz im Papst Franziskus, Wage zu träumen! Mit Zu- Das ist eine Aufgabe für uns alle, zu der jeder Freundlichkeit, Glaube und die Arbeit für das Ge- Gleichklang einzunehmen. versicht aus der Krise. Originaltitel: Let us dream, von uns aufgefordert ist. Aber es ist vor allem eine meinwohl große Lebensziele sind, die Mut und Millionen von Menschen haben sich selbst Kösel-Verlag, München 2020, Hardcover mit Zeit für Menschen mit Unruhe im Herzen, jener Kraft brauchen, während unbedarfte Oberfläch- und andere gefragt, wo sie in dieser Krise Gott fin- Schutzumschlag, 192 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, gesunden Unruhe, die uns zum Handeln an- lichkeit und die Verhöhnung der Ethik uns nichts den können. Was mir in den Sinn kommt, ist das ISBN: 978-3-466-37272-0; 20 Euro. Erscheint spornt. Was sich jetzt mehr als jemals gezeigt hat, Gutes gebracht haben. Die Moderne, die mit so Überfließen. Ich denke an große Flüsse, die sanft am 4. Dezember. 4. Dezember 2020 / Nummer 49 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 12 Aus dem Vatikan

Audienz für die Gemeinschaft des Päpstlichen Lateinamerikanischen Kollegs in Rom Aus Liebe zu Gott für alle ein offenes Herz haben Ansprache von Papst Franziskus am 20. November

Liebe Brüder und Schwestern! führen. Sicherlich habt ihr unendlich viele Initia- tiven im Kopf und ich zweifle nicht daran, dass ihr Ich begrüße die gesamte Kolleggemeinschaft sehr viel Gutes tun und vielen Menschen helfen und danke P. Gilberto Freire SJ für seine Worte, könnt, wenn ihr mit großem Einsatz arbeitet. die er im Namen der Anwesenden an mich ge- Aber unsere Sendung wäre nicht vollkommen, richtet hat. Er hat die Schwierigkeiten, Probleme, wenn wir uns nur darauf beschränken würden. Herausforderungen der gegenwärtigen Zeit be- Unsere Anstrengung muss auch eine Mahnung schrieben. Vor allem für euch, auf diesem Weg sein, muss die Herde versammeln, bewirken, bleibender Treue zur Berufung und der Suche dass sie spürt, das sie zusammengehört und auch nach möglichen Weisen eines besseren Dienens. selbst berufen ist, sich auf den Weg zu machen Obschon die Geschichte unsere Völker von- und sich dafür einzusetzen, das Reich Gottes einander getrennt hat, hat sie doch die in ihnen schon auf dieser Erde vorwegzunehmen. Und vorhandenen vereinenden Wurzeln nicht zer- das schließt ein, dass die Gläubigen sich nützlich, stören können. Auf dieser Grundlage ist das La- verantwortlich, notwendig fühlen, dass es einen teinamerikanische Kolleg entstanden als Ver- Raum gibt, wo auch sie helfen können. Kämpft pflichtung, all unsere Teilkirchen zu vereinen und gegen die Kultur der Ausgrenzung, und bitte führt sie zugleich in Rom und von Rom aus zur Welt- sie nicht herauf durch einen Klerikalismus, der kirche hin zu öffnen. großen Schaden anrichtet und eine Krankheit ist. Kämpft gegen soziale Benachteiligung, kämpft Vielfältige gegen Misstrauen und Vorurteil aus ethnischen, Gemeinschaft kulturellen oder religiösen Gründen, damit das Gefühl der Geschwisterlichkeit größer ist als alle Diese Erfahrung der Gemeinschaft und der Unterschiede. Öffnung ist eine Berufung, denn das Beispiel des stets gleichen Weizenkörner, sondern eine uner- wohnen. Aber es auch dem Bruder und der Und drittens: die Welt heilen vom großen Mestizentums, das Amerika groß gemacht hat wartete Vielfalt und einen ungeahnten Reich- Schwester öffnen, denn vergesst nicht, dass un- Übel, das sie bedrängt. Die Pandemie hat uns vor und das ihr in der von euch gebildeten vielfältigen tum. sere Beziehung zu Gott leicht daran gemessen das große Übel gestellt, das unsere Gesellschaft Gemeinschaft lebt, kann seinerseits dazu beitra- Gegenwärtig gibt es in der ganzen Welt ver- werden kann, wie wir uns gegenüber dem bedrängt, sie hat es bloßgelegt, wir können es mit gen, die Welt zu heilen. Das Evangelium und streut Lateinamerikaner, und von dieser Realität Nächsten verhalten. Wenn ihr das Herz allen ge- Händen greifen. Die Globalisierung hat Grenzen seine Botschaft kamen durch menschliche Mittel, haben viele christliche Gemeinden profitiert. Die genüber öffnet, ohne Unterschied und aus Liebe überwunden, aber nicht in Köpfen und Herzen. die nicht ohne Sünde waren, in unsere Länder, Ortskirchen in Nord- und Mitteleuropa, sogar im zu Gott, dann schafft ihr einen Raum, wo Gott Das Virus verbreitet sich ungebremst, wir sind das wissen wir alle, aber die Gnade kam unserer Orient, die durch sie eine neue Lebendigkeit er- und der Nächste einander begegnen können. Un- nicht fähig, eine gemeinsame Antwort zu geben. Schwachheit zu Hilfe und das Wort Gottes ver- halten haben. Viele Städte, von Madrid bis Kobe, terlasst es niemals, diese Bereitschaft, diese Of- Die Welt verschließt weiterhin die Türen, lehnt breitete sich in jedem Winkel des Kontinents. Die feiern mit begeisterter Frömmigkeit den »Señor fenheit zu zeigen: Verschließt niemals die Tür vor den Dialog ab und verweigert die Zusammenar- Völker und Kulturen nahmen es auf in einer rei- de los Milagros«, und dasselbe kann man von Un- dem, der in der Tiefe des Herzens wünscht, ein- beit. So versagt sie sich einer aufrichtigen Offen- chen Verschiedenheit von Formen, die wir noch serer Lieben Frau von Guadalupe sagen. Das ist zutreten und sich angenommen zu fühlen. Denkt heit gegenüber dem gemeinsamen Einsatz für heute sehen können. das vielfältige kulturelle Mestizentum, das die daran, dass es der Herr ist, der euch im Gewand das Gute, das alle ohne Unterschied erreicht. Das Das lehrt uns, keine Angst vor der Verschie- Evangelisierung ermöglichte und heute neu ent- jenes Armen ruft, um gemeinsam bei seinem ist der Geist der Welt, so bewegt er sich, so wirkt denheit zu haben, sondern vielmehr zu verste- steht. Die lateinamerikanischen Völker begegnen Mahl zu Tisch zu sitzen. Und ich gebe euch eine er. Die Heilung dieses Übels muss von unten hen, dass man nicht Kirche sein kann ohne diese einander und den anderen Völkern dank der so- Frage mit: Wo ist der Arme in meinem Leben? kommen, aus dem Herzen und Geist derer, die Verschiedenheit der Völker. Dieses Wunder ge- zialen Mobilität und der Kommunikationsmittel, Habe ich vergessen, wo ich herkomme? euch eines Tages anvertraut sein werden, und sie schah, weil sowohl die Ankommenden als auch und aus dieser Begegnung gehen auch sie berei- muss durch konkrete Vorschlägen kommen, im die Aufnehmenden in der Lage waren, das Herz chert hervor. Plan der Liebe Bereich von Erziehung und Ausbildung, Kate- zu öffnen und sich dem nicht verschlossen, was In dieser Zeit, auf diesem Feld seid ihr berufen, und des Dienens chese, sozialem Einsatz; mit Vorschlägen, die in der andere auf menschlicher, kultureller oder re- das Wort auszusäen, großherzig, ohne Vorurteile, der Lage sind, die Mentalität zu verändern und ligiöser Ebene schenken konnte. Diese mestizi- so wie Gott sät, der weder auf die Härte des Bo- Die zweite Leitlinie ist: helfen und andere Räume zu öffnen, um dieses Übel zu heilen und schen Wurzeln – ich habe das letzte Mal über das dens sieht noch auf das Vorhandensein von Stei- zum Helfen auffordern. Der Herr beruft uns zum Gott ein vereintes Volk zu geben. Ich wiederhole Mestizentum gesprochen –, diese mestizischen nen oder Disteln, der das Unkraut nicht ausrottet, Priestertum, er hat euch in die Stadt Rom gesandt, dieses Bild: Globalisierung ja, aber nicht als Ku- Wurzeln entstehen aus einem Herzen, das fähig um nicht mit diesem zugleich den guten Samen um die Ausbildung abzuschließen, weil er stets gel, die Kugel ist Uniformität. Globalisierung ja, ist, den anderen mit einer fruchtbaren Liebe zu des Himmelreiches herauszureißen. Eure Ausbil- diesen Plan der Liebe und des Dienens für einen aber als Polyeder, wo jedes Volk, jeder Einzelne lieben, das heißt mit einer Liebe, die bereit ist, et- dung und Formung sowie euer Dienst müssen jeden von euch hat. Hirten nach dem Herzen seine eigene Besonderheit bewahrt. was Neues zu schaffen, das größer ist als das Ei- darauf hinwirken, die Tür eures Herzens ebenso Gottes, Hirten, die für die Gläubigen Sorge tragen, Und ich bitte die Jungfrau Maria, die Jungfrau gene und es übersteigt. Und das setzt voraus, dass zu öffnen wie die Türen der Herzen eurer Zuhö- sie auf die Weide führen, Hirten, die keine Angst von Guadalupe, Patronin Lateinamerikas, eure man die bloße Selbstbezogenheit zurückweist. rer, um zu helfen und andere einzuladen, dies mit vor der Herde haben, die sie führen, sich um sie Hoffnung auf diesem Weg zu unterstützen, der In der heutigen Zeit und nicht nur in Ame- euch zu tun, zum Wohl aller, um die Welt von kümmern, die sich immer bemühen, damit ihr jetzt vor euch liegt inmitten von menschlichen rika, sondern in der ganzen Welt, sind es die dem großen Übel zu heilen, das sie bedrängt und Volk Fortschritt macht, Hirten, die den Mut ha- Unsicherheiten, damit ihr dem Ruf Gottes folgen selbstbezogenen Nationalismen, die sich abkap- das die Pandemie so unbarmherzig in den Vor- ben, vor der Herde zu sein, mitten unter ihr und könnt, wohin auch immer der Herr euch rufen, seln und nur auf sich blicken, die eine brüderli- dergrund gerückt hat. Wie ihr seht, sind dies drei auch hinter ihr. Vor der Herde, damit sie im ent- euch senden wird, und damit ihr Zeugen der che Begegnung unter den Völkern verhindern. konkrete Leitlinien für das Handeln, die jeweils sprechenden Moment führen können; mitten menschlichen Geschwisterlichkeit sein könnt, Von uns wird erwartet, dass wir die Selbstbezo- zwei Aspekte haben, den persönlichen und den unter ihr, damit sie den Geruch der Schafe rie- die aus einer einzigen Quelle entspringt: der Tat- genheit ablehnen und dass wir ausgehend von gemeinschaftlichen Aspekt, die einander unwei- chen; und hinter ihr, um sich derer anzunehmen, sache, dass wir Kinder Gottes sind. Der Herr unserer eigenen Identität die empfangene Gabe gerlich ergänzen. die zurückbleiben, und auch zulassen, dass die segne euch, und die Jungfrau Maria behüte euch. verbreiten können. Und dieser Same des Gottes- Die Tür des Herzens und der Herzen öffnen. Herde in bestimmten Momenten allein voran- Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten. reiches, zweifelt nicht daran, wird wachsen und Das Herz öffnen: für den Herrn sicherlich, der nie geht, weil die Herde den Spürsinn hat, um gute Danke. hundertfache Frucht bringen, und zwar keine aufhört, an unsere Tür zu klopfen, um in uns zu Weide zu finden, und um auch von hinten her zu (Orig. span.; ital. in O.R. 21.11.2020)

Seit seiner Gründung am 21. November 1858 hat das Päpstliche Lateinamerikani- sche Kolleg 4.249 junge Menschen ausge- bildet: Sie dienten oder dienen der lateina- merikanischen und der Weltkirche in vielen apostolischen Aktivitäten, wie Rektor Gil- berto Freire in seinem Grußwort an Papst Franziskus zu Beginn der Audienz erläu- terte. 475 wurden zu Bischöfen geweiht, von diesen erhielten 37 den Kardinalspur- pur. Neun sind heiliggesprochen worden, unter ihnen Erzbischof Óscar Arnulfo Ro- mero, oder auf dem Weg dorthin.

Das Gebäude des Kollegs (links). Die Kapelle (rechts) ist der Patronin von Lateinamerika geweiht, der Muttergottes von Guadalupe.