Oranienburger Schriften Beiträge aus der Fachhochschule der Polizei des Landes

AUSGABE 3 / Juli 2009

Themenheft

Die Polizei im Staatssozialismus

Inhalt

5 geleitwort „Aus der Geschichte lernen“ Rainer Grieger Präsident der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg, Oranienburg

7 Die Polizei im Staatssozialismus Dr. habil. Burghard Ciesla

51 Forschungsbericht Dr. habil. Burghard Ciesla

3 4 „Aus der Geschichte lernen“ Geleitwort

Rainer Grieger Präsident der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg, Oranienburg

In seinen Ausführungen über die reflektie- Nähe zur Gedenkstätte des Konzentrati- rende Geschichte hat der Philosoph Georg onslagers Sachsenhausen haben wir uns Wilhelm Friedrich Hegel die pragmatische zunächst mit der Geschichte der Polizei im Seite der Befassung mit Geschichte formu- NS-Staat befasst. Die Polizei hat aber auch liert: „Wenn wir mit der Vergangenheit zu nach 1945 weitere Zäsuren erlebt, die z. T. tun haben und wir uns mit einer entfernten bis in die Gegenwart nachwirken. Aus die- Welt beschäftigen, so tut sich eine Gegen- sem Grund haben wir uns entschlossen, wart für den Geist auf, die dieser aus seiner auch die Geschichte der Polizei in Bran- eigenen Tätigkeit zum Lohn für seine Be- denburg nach 1945 zu thematisieren. mühung hat.“ (Vorlesungen über die Philo- sophie der Geschichte, Bd. 12, 10-103) Im Auftrag der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg hat der Historiker Es geht also nicht darum, bloße Erinne- und Publizist Burghard Ciesla eine Studie rungen an „gute“ alte oder „schlechte“ alte zur im Land Brandenburg Zeiten zu kultivieren, sondern mit den Er- (1945–1961) vorgelegt, die nun in den Ora- kenntnissen aus der Geschichte unsere nienburger Schriften veröffentlicht wird. Er Gegenwart zu verstehen und zu gestalten. beleuchtet darin einige mögliche For- Mit diesem Ziel haben wir innerhalb der schungsfelder und -richtungen, liefert damit Fachhochschule der Polizei der Befassung ausreichend Diskussionsstoff und gibt An- mit der Geschichte unserer eigenen Orga- regungen für eine tiefer gehende Befas- nisation einen besonderen Stellenwert bei- sung im Sinne einer pragmatischen Refle- gemessen. Auch im Hinblick auf die örtliche xion der Geschichte.

5 6 Die Polizei im Staatssozialismus Dr. habil. Burghard Ciesla

Zur Geschichte der Volkspolizei im Land Brandenburg1 (1945-1961)

Zusammenfassung Zur Weiterführung der Forschungen über 1. Einführung die brandenburgische Polizeigeschichte im 2. Neue Polizei – Volkspolizei 20. Jahrhundert wurde von der Fach­ 3. Grundlinien der Struktur- und hochschule der Polizei des Landes Bran- Organisationsentwicklung denburg die hier in gekürzter Form vorlie- 4. Politische Polizei und Staatssicherheit gende Studie über die Geschichte der 5. Zum Elitenwechsel nach 1945 Volkspolizei im Land Brandenburg (1945- 6. Konfliktverhalten: Der 17. Juni 1953 1961) in Auftrag gegeben. Ziel war es zu 7. Praxisfelder – Polizei und Straße erkunden, ob und inwieweit eine sozialhis- 8. Forschungsansatz „Herrschaft und torisch ausgerichtete Regional­geschichte Eigen-Sinn“ der Volkspolizei im Staat­sozialismus im 9. Resümee Rahmen einer Monographie tragfähig ist. 10. Literaturverzeichnis Der Studie ging ein Forschungsbericht und 11. Abkürzungen Forschungsantrag voraus. Begleitend dazu 12. Chronik – Geschichte der Volkspolizei wurde eine Bibliographie und Chronik erar- (1945-1961) beitet. In einem weiteren Schritt ist die Nut- zung des Materials für die zeithistorische Ausbildung von Polizistinnen und Polizisten vorgesehen.

1 Im Titel und bei der inhaltlichen Dar- stellung werden die Bezeichnungen „Land Brandenburg“ und „branden- burgische Bezirke“ bevorzugt verwen- det. Auf diese Weise wird aufgrund der verschiedenen Verwaltungsbe- zeichnungen zwischen 1945 und 1990 eine leichtere Darstellung ermöglich. Folgende Bezeichnungen hat es für die Region nach 1945 gegeben: Provinz Brandenburg bis 1947; Land Branden- burg 1947-1952; Bezirke Potsdam, Frankfurt/Oder und 1952- 1990 und seit 1990 wieder Land Bran- denburg.

7 1. Einführung2 Bankkapitals führt. Unsere Volkspolizei ist eine Waffe der Werktätigen. Alle Ihre Ange- Jede Polizei dient einer politischen Ord­ hörigen entstammen dem Volk, sind selber nung. Ausgehend von diesem Grundsatz Arbeiter oder werktätige Bauern, Söhne und mit Blick auf die deutsche Polizei­ und Töchter des werktätigen Volkes.“4 geschichte der letzten hundertfünfzig Jah- re, hat bislang jede deutsche Polizeiorgani- Die Volkspolizei – eine „Waffe der Werktäti- sation versucht, sich als „Dienerin des gen“? In der Tat, die VP wurde zu einer „po- Volkes“ darzustellen und zu legitimieren. litischen Truppe“ erklärt, „die immer gegen Zugleich wird erkennbar, dass die verschie- den inneren Feind kampfbereit sein muss- denen Polizeiorganisationen „bemüht wa- te.“ Die SED-Propaganda verbreitete auf ren, sich von der vorherigen politischen längere Zeit dieses Bild unverhüllt und in Ordnung zu distanzieren: die einer Art „Bürgerkriegs­sprache“. Später Severings von der säbelschwingenden Po- wurden „feinere Chiffren“ genutzt und es lizei des Kaiserreiches, die nationalsozialis- gab zugleich immer den Verweis auf den tische Polizei von der Polizei der Weimarer traditionellen Anspruch der Polizei, d. h. die ‚Systemzeit’, die westdeutsche Nachkriegs­ Volkspolizei wurde zur „Dienerin“, „Verteidi- polizei – wie die Volkspolizei – von den Po- gerin“ bzw. „Vertreterin“ des deutschen Vol- lizeitruppen des Naziterrors.“3 kes erklärt. Hierbei zeigte sich in der Besat- zungszeit und der Frühphase der DDR ein Außerdem grenzten sich nach dem Zwei- zweischneidiges, wenn nicht gar schizo- ten Weltkrieg die beiden deutschen Polizei- phrenes Verhältnis der „Volkspolizei“ zum apparate nicht nur separat zum NS-Regime, „Volk“: einerseits nahm die VP ihre Aufgabe sondern auch gegeneinander ab, d. h. die ernst und hob hervor, ausschließlich im Deutsche Volkspolizei (DVP) in der Sowje- Volksinteresse zu arbeiten; andererseits tischen Besatzungszone (SBZ) von der Po- schwang immer das Misstrauen mit, dass lizei in den Westzonen Deutschlands und genau dieses Volk die NS-Diktatur kurze umgekehrt. Zum 4. Jahrestag der Bildung Zeit vorher noch umfassend unterstützt der Volkspolizei (VP) in der SBZ, am 1. Juni hatte. Damit bestand unterschwellig der 1949, wurde im „Neuen Deutschland“, der Verdacht, dass die Bevölkerung auch SED Parteizeitung, erklärt: „In den Westzo- höchst anfällig für die Gegenseite – den nen Deutschlands ist die Polizei ein Herr- Klassenfeind im Westen – sein würde. Um- schaftsinstrument der kapitalistischen Klas- gedreht entwickelte sich das Verhältnis na- se zur Unterdrückung des werktätigen türlich ebenso schwierig, d. h. auch die Be- Volkes, d. h. sie hat die Herrschaft der Kon- völkerung ging zur „Volkspolizei“ auf Distanz zerne, der Banken und des Großgrundbe- und begegnete der „Ordnungsmacht“ mit sitzes zu schützen. Unsere Volkspolizei Misstrauen. Für die „neue Polizei“ der SBZ dagegen ist eine antifaschistische Truppe, ergab sich das generelle Problem, dass sie die bewußt und aktiv den Kampf gegen von Anfang an darauf programmiert wurde, Kriegsverbrecher und Kriegshetzer, gegen zuerst die sowjetischen und dann die die Agenten des westlichen Konzern- und Herrschafts­positionen der SED durchzu- setzen. Diese Ausrichtung überlagert die 2 Der Verfasser bedankt sich bei Dr. Det- Geschichte der Volkspolizei von Anfang an lef von vom Zentrum für und prägte sie bis zu ihrem Ende nachhal- Zeitgeschichte der Polizei der Fach- hochschule der Polizei des Landes tig.5 Brandenburg und bei Frau Doris Kock von der Bibliothek der Deutschen In der Forschung wurde zugespitzt die Fra- Hochschule der Polizei in Münster für die erwiesene Unterstützung bei der ge gestellt, ob es aufgrund der politisch- Erarbeitung der Studie. ideologischen Überlagerung überhaupt

3 Bessel (1993), Volkspolizei, S. 89. Die Literaturangaben werden im Folgen- ND v. 1.6.1949, S. 2. den einheitlich nur als Kurztitel ausge- 4 wiesen. Vgl. die vollständigen Angaben 5 Vgl. Bessel (1993), Volkspolizei, S. 89- im Literaturverzeichnis. 91.

8 möglich war, aus der durch den Elitenbruch daß sie mit ‚revolutionärem’ Inhalt gefüllt nach 1945 zuerst unausgebildeten Polizei wurden.“7 eine kompetente professionelle Polizei­ organisation entstehen zu lassen? Bei Hiervon ausgehend, sollte sich eine künfti- aller ideologischen Überformung muss be- ge Geschichte der Volkspolizei im Land rücksichtigt werden, dass die Volkspolizei Brandenburg mehreren Spannungsfeldern – wie jede andere Polizeiorganisation auch nähern, d. h. dem Spannungsfeld von Kon- – eine staatliche Institution mit einer Dop- tinuitäten und Brüchen, dem von Anpas- pelfunktion war: einerseits sorgte die VP für sung und „eigensinnigem“ Verhalten sowie die Aufrechterhaltung von Ordnung und Si- dem von gesellschaftlicher Wahrnehmung cherheit; andererseits war die Volkspolizei und politischer Beein­flussung. Vor diesem ein „Untersuchungsorgan“ auf der Basis ei- Hintergrund können dann die neuen poli- ner Strafprozessordnung unter der Hoheit zeilichen Führungs­gruppen, die politische der Staatsanwaltschaft. Diese beiden Funk- Instrumentalisierung, die Organisationsge- tionen beeinflusste und überformte die schichte und das polizeiliche Verhalten auf SED, die staatstragende Partei der DDR, in verschiedenen Ebenen thematisiert wer- hohem Maße. Doch dieser massive Ein- den. Dabei sind folgende zwei Leitfragen fluss sollte nicht zu dem Schluss führen, zu stellen: (1) Nach welchen machtpoliti- dass die Aufgaben und Funktionen der DVP schen „Sollbe­stimmungen“ wurde eine poli- am Ende nur noch die eines Repressions- zeiliche Überwachungs- und Disziplinie- instrumentes waren und die Volkspolizei rungsinstanz aufgebaut? (2) Welche Folgen ausschließlich zur Um­setzung der politi- hatte das konkret im brandenburgischen schen Ziele der SED eingesetzt und instru- Polizei- und Bevölkerungsalltag gehabt? mentalisiert wurde.6 Im Gegenteil, die poli- zeiliche Tätigkeit musste auch unter * diktatorischen Verhältnissen primär von Die vorliegende Studie zeigt, inwieweit die den Erwartungen der Bürger an eine „gute Erarbeitung einer sozialhistorisch aus­ Ordnung“ in der Öffentlichkeit wie im Privat- gerichteten Regionalgeschichte der Volks- bereich ausgehen. Zur Funktion der Volks- polizei im Staatsozialismus möglich ist. Als polizei im SED-Staat wurde in der neueren Grundlage wurde zuerst ein Forschungsbe- Forschung festgestellt: „Die Volkspolizisten richt erarbeitet, der über den gegenwärti- nahmen wie ihre Kollegen in anderen gen Stand der Polizeigeschichts­schreibung Ländern und politischen Systemen in informiert. Generell gilt heute noch die Fest- der Alltagsroutine zumeist ‚unpolitischere’ stellung von vor 30 Jahren, dass ein Haupt- Ordnungsfunktionen wahr. Selbst die straf­ merkmal der deutschen Polizeigeschichte verfolgende Tätigkeit der DVP beruhte ihre Lücken seien.8 Die Analyse des For- während der fünfziger Jahre formal gese- schungsstandes hat gezeigt, dass die Zahl hen weitgehend auf Hergebrachtem aus der Untersuchungen über die Geschichte dem bürgerlichen Strafrecht und dem Be- der Polizei in der NS-Zeit zwar deutlich zu- rufswissen von Kriminalpolizisten – trotz genommen hat und hier ein gewisser „Sät- des radikalen und in der Polizeigeschichte tigungsgrad“ ein­getreten ist, aber histori- beispiellosen personellen Neubeginns nach sche Regional­studien für die Zeit nach 1945 1945. Ein extrem instrumentalistisches, die stellen immer noch die Ausnahme von der Hoch­phase des Stalinismus zuzurechnen- Regel dar. Zum „Flickenteppich“ der For- des Staats- und Rechtsverständnis erlaub- schung in Gestalt nicht aufgearbeiteter te die formelle Beibehaltung bürgerlicher Themenfelder gehört auch die brandenbur- Rechts­formen und Institutionen, solange gische Polizei­geschichte. Zugleich ist er- die ‚Partei der Arbeiterklasse’ dafür sorgte, kennbar, dass sich insgesamt ein „Paradig-

7 Lindenberger (1999), Herrschaft und 6 Ebenda, S. 91; Lindenberger (1999), Eigen-Sinn, S. 168. Herrschaft und Eigen-Sinn, S. 167-168; Markovits (2006), Gerechtigkeit, S. 8 Reinke (1996), Polizeigeschichte, S. 123-180. 13.

9 menwechsel“ vollzogen hat, da inzwischen dung der DDR (1949) dem Ministerium sozial­historische Forschungsansätze Zu- des Innern (MdI). gang in die bislang vor allem handlungsori- entierte historische Polizeiforschung gefun- Der dann folgende Abschnitt „Politische Po- den haben. Diese Zugänge gilt es künftig lizei und Staatssicherheit“ befasst sich mit weiter auszubauen.9 einem wichtigen Aspekt der VP-Geschichte – dem Zusammenhang von Polizei, politi- In der Studie geht es zuerst um den Begriff scher Polizei und Staats­sicherheit. Hierzu „Volkspolizei“. Die Berücksichtigung der wird ein Exkurs in die Geschichte der „Poli- Begriffsgeschichte erscheint notwendig, tischen Polizei“ in Deutschland im 19. und da von der Polizeiforschung die damit ver- 20. Jahrhundert unternommen. Die Histori- bundenen Kontinuitätslinien und Diskussi- sierung dieser Thematik ist für das Ver- onszusammenhänge aus der Zeit vor 1945 ständnis der Geschichte der Volkspolizei im bislang ausgeblendet worden sind. Da- Staats­sozialismus von Bedeutung, da es nach folgte eine Darstellung der organisa- trotz des radikalen Umbruchs im Jahre torischen und strukturellen Entwicklungsli- 1945 über die sowjetische Geheimpolizei nien der Volkspolizei zwischen 1945 und und den Sicherheitsapparat der KPD Tradi- 1961. Hierbei werden vor allem die nicht in tions-, Kontinuitäts- und Verbindungslinien Kasernen stationierten und für die alltägli- gibt, die in einer künftigen Untersuchung che Ordnungssicherung zuständigen Poli- berücksichtigt werden sollten. zeikräfte – die Schutz-, Verkehrs- und Kri- minalpolizei im Sinne einer „öffentlichen In den weiteren Abschnitten geht es um Polizei“10 – fokussiert. Weitere polizeiliche den Elitenwechsel und das Verhalten in Exekutivorgane wie der Strafvollzug oder Konfliktsituationen. Für die zuletzt genann- die Feuerwehr sowie nichtoperative Berei- te Thematik dienen der Juniaufstand 1953 che in Form der Politischen Verwaltung, und das Praxisfeld „Straße“ als Fallbeispie- der Versorgungs­dienste oder der Bereich le. Am Ende der Studie wird der sozialhisto- Kader finden hier keine weitere Berück- rische Untersuchungsansatz „Herrschaft sichtigung. Dass gleiche gilt für speziell und Eigen-Sinn“ vorgestellt. Über diesen ausgerichtete Polizeikräfte wie die Trans- Ansatz soll die einseitige Darstellung der portpolizei oder die Betriebsschutzformati- Geschichte der Volkspolizei vermieden onen. Insgesamt unterteilt sich die Organi- werden, da eine „reine“ Geschichte der Ins- sationsgeschichte der VP in der Zeit titution Polizei immer auch die Gefahr in zwischen 1945 und 1961 in drei Entwick- sich birgt, dass die Gesellschaft entlastet lungsabschnitte: (1) 1945-1949, die Ent- und der Polizei „alle Schuld“ angelastet stehungsphase der Volks­polizei während wird. Nach Max Weber gehören zur Herr- der Besatzungszeit; (2) 1949-1953, die schaft jedoch immer zwei Seiten; „diejeni- Zeit der „Nachrangigkeit“ der öffentlichen gen, die herrschen, und jene, die sich be- Polizei bis zum Aufstand im Juni 1953; (3) herrschen lassen. Nur durch eine 1953-1961, die Stabilisierung und Militari- sozialgeschichtliche Öffnung der Polizeige- sierung bis zum Mauerbau im August schichtsschreibung wird es auch möglich 1961. Innerhalb dieser Zeitschiene unter- sein, die fast ungebrochenen, breiten Tradi- stand die Volkspolizei in der Besatzungs- tionslinien der Denunziations­bereitschaft in zeit zuerst den jeweiligen Landesbehörden Deutschland in den Griff zu bekommen.“11 (LdVP), ab 1948 der Deutschen Verwal- Bei allen bestehenden strukturellen Unter- tung des Innern (DVdI) und nach der Grün- schieden zwischen der SED-Diktatur und der NS-Herrschaft im „Dritten Reich“ gilt wohl eine Gemeinsamkeit – ohne die Mitar- 9 Vgl. weiterführend den Forschungsbe- richt. beit und das Mittun der Bevölkerung wären in beiden Diktaturen die „Polizeiinstitutio- 10 In der neueren Forschung wurde zur besseren Unterscheidung der Begriff „öffentliche Polizei“ (Lindenberger) 11 Mallmann/Paul (1992), Gestapo-My- eingeführt. thos, S. 109.

10 nen nahezu blind gewesen“ und hätten mit der Zäsur 1971 sollte als ein Endpunkt nicht agieren können. der Untersuchung und zugleich als Ausgangs­punkt für die Weiterführung der Es bietet sich auch an, dass eine künftige Forschungen gewählt werden.14 Eine weite- Forschungsarbeit den schon in der NS-Zeit re Zäsur wäre auch das Jahr 1968, in dem formulierten Untersuchungsansatz über es zur Ablösung des bis dahin formal immer den „Doppelstaat“ (Fraenkel) berücksich- noch geltenden Polizeiverwaltungsgeset- tigt. Dabei wird davon ausgegangen, dass zes aus der Zeit der Weimarer Republik sich das NS-Regime in einen „Normen- durch ein neues „Volkspolizeigesetz“ kam.15 staat“ und einen „Maßnahmenstaat“ glie- Ein Ende des Untersuchungszeitraumes ist derte. Diese beiden Formen existierten zudem auch im Jahr 1963 denkbar, in dem gleichermaßen und sie vermischten sich je- es zu einer Generalkritik an der Deutschen weils auf spezifische Weise. Im Normen- Volkspolizei von Seiten SED-Führung kam staat blieben Regeln und Gesetze für die und der Minister des Innern, nicht verfolgte Bevölkerungsmehrheit be- (1903-1975), seinen Rücktritt einreichte.16 stehen. Im Maßnahmenstaat wurde wiede- Zäsurfragen, die noch einer Klärung bedür- rum ohne rechtliche Bindung gegen die als fen. Feinde definierten Bevölkerungs­gruppen vorgegangen. Es dürfte – mit aller gebote- nen methodischen Vorsicht und Quellenkri- tik – von Interesse sein, inwieweit ein sol- 2. Neue Polizei – Volkspolizei17 ches Konzept auch für die Zeit nach 1945 anwendbar ist.12 Der Name „Volkspolizei“ bzw. „Deutsche Volkspolizei“ wirft die Frage nach der Be- Der zeitliche Rahmen der Studie wurde auf griffsgeschichte auf. In der Forschungslite- die Jahre zwischen 1945 und 1961 be- ratur wird meist nur festgestellt, dass der schränkt, da der Mauerbau von 1961 unbe- Name am 12. Mai 1949 offiziell in der SBZ stritten eine Zäsur in der DDR-Geschichte eingeführt wurde. In diesem Zusammen- darstellt und von einigen Historikern die hang erfolgt dann nur noch der Hinweis, Grenzabriegelung – durchaus berechtigt – dass der Begriff auch schon bei der Formie- als eine „zweite Staatsgründung“ angese- rung der „neuen Polizei“ im Sommer 1945 hen wird. Für die geplante Monographie ist gebräuchlich gewesen war. Bei der Durch- es im Gegensatz zur vorliegenden Studie sicht von Presseveröffentlichungen von angebracht, den Untersuchungszeitraum 1945 und 1946 zeigte sich, dass mit der auf das Jahr 1971 auszudehnen, da der Bezeichnung „Volkspolizei“ eine klare Un- Machtwechsel von auf Erich terscheidung zur Polizei in der NS-Zeit vor- Honecker zugleich einem Herrschaftswan- genommen wurde und wenig später, wie del gleichkommt. So wurde unter Honecker eingangs schon erwähnt, diente der Name der Machtanspruch subtiler durchgesetzt auch zur Unterscheidung gegenüber der als in der Ära Ulbricht13. Es gab nach 1971 Polizei in den Westzonen. In einem ND-Ar- weniger radikale Zu- und Eingriffe gegen tikel vom November 1946 heißt es in die- system­kritische Stimmen wie etwa in den sem Zusammenhang: „Die Polizei­beamten fünfziger Jahren. Der Herrschaftswandel 14 Vgl. hierzu u. a. Kaiser (1997), Machwechsel; Klein (2002), Einheit 12 Fraenkel (1941, 2001); Dams/Solle, und Reinheit; Ansorg u. a. (2007), GESTAPO, S. 9. Herrschaftswandel.

13 Wobei für die Ära Ulbricht ebenfalls 15 Staritz (1996), Geschichte DDR, S. 196; Unterscheidungen bzw. Differenzie- Ihme-Tuchel (2002), DDR, S. 52-53; rungen vorzunehmen wären, d. h. in Lindenberger (2003), Volkspolizei, S. der Tendenz waren die Herrschafts- 23. methoden unter Ulbricht nach dem 16 Vgl. hierzu am Ende des 3. Abschnitts Mauerbau von 1961 auch schon der Studie. subtilerer Natur als in den fünfziger Jahren. 17 Kock (2008), Literaturrecherche.

11 des neuen, demokratischen Deutschland Noch viel stärkere Kontinuitäten in der Zeit sollen aus dem Volke kommen und für das vor 1945 weist der Begriff „Volkspolizei“ Volk da sein. Die Polizei soll das Sicher- auf. Die Polizeifachliteratur der Weimarer heitsorgan der Demokratie sein. Sie soll Republik behandelte die Thematik „Der energisch gegen die Ueberreste des Nazis- Weg zur Volkspolizei“ seit Anfang der zwan- mus und Militarismus auftreten, soll allen ziger Jahre.20 Rückblickend erklärte der so- Feinden der neuen Demokratie entschlos- zialdemokratische Parlamentarier und sen zu Leibe gehen. Das erfordert, daß die langjährige Innenminister des Freistaates Polizei sich aus wirklichen Demokraten zu- Preußen, Carl Wilhelm Severing (1875- sammensetzt und nicht aus unpolitischen 1952), dass in der Zeit der Weimarer Repu- Beamten, die jedem und jeder Sache die- blik alles getan wurde, „um die preußische nen. Nur Menschen, die vorbehaltlos nicht Polizei jedes militärischen Charakters zu nur in Worten, sondern in Taten die demo- entkleiden und zur wahren Volkspolizei zu kratische Entwicklung bejahen, gehören in machen.“21 Doch in der Bevölkerung waren die Volkspolizei.“18 Diese Darstellung der seine Polizeitruppen eher als „Knüppelgar- SED-Parteizeitung kann als ein gängiges de“ unangenehm in Erinnerung geblieben Argumentationsmuster der ersten Nach- und die NS-Propaganda nutzte das aus, in kriegsjahre angesehen werden. dem beispielsweise der Erlass vom 10. Juli 1933, der das Tragen des Gummiknüppels Bei den auftauchenden „neuen“ Bezeich- im Straßendienst den Polizeibeamten un- nungen und Begriffen sind aber auch die tersagte, herausgestellt und die Maßnahme Kontinuitätslinien aus der Zeit vor 1945 zu „als Symbol neuer wirklich nationalsozialis- beachten. Ganz erstaunliche Verbindungen tischer Polizeimethoden“ und als Sinnbild weist beispielsweise das Wort „Wunder“ auf, der „neuen Polizei“ gefeiert wurde.22 das es in Form des Begriffs „Wirtschafts- wunder“ nach dem Kriegsende als eine der Im Jahrbuch der deutschen Polizei von ersten Vokabeln in den Fremdwortschatz 1936 erschien ein Artikel unter dem Titel der benachbarten Länder schaffte. Die Jour- „Von der ‚Knüppelgrade’ zur Volkspolizei!“, nalistin Nina Grunenberg befasste sich in der zudem folgenden Vergleich zog: „Dort einer Studie mit dem Netzwerk der deut- ‚Knüppelgarde’, hier Volkspolizei, dort schen Wirtschaftsmanager­ im Zeitraum Schutztruppe eines volksfremden Sys- 1942 bis 1966 und stellte fest, dass es in der tems, hier methodisch-arbeitender, bis deutschen Geschichte mit dem Begriff „Wun- ins kleinste durchorganisierter Polizeiap- der“ wohl eine besondere Bewandtnis auf parat als Helfer und Schützer des Volkes! sich gehabt hatte. Über die vielfache Ver- Allein diese Gegenüberstellung zweier wendung des Wortes „Wunder“ in der NS- völlig entgegengesetzter Begriffe umfaßt Zeit bemerkte sie: „In der Serie der ‚braunen’ schon ein Stück nationalsozialistische Wunder stand an erster Stelle Albert Speers Aufbauarbeit.“23 vermeintliches ‚Rüstungs­wunder’, der ex- plosionsartige Anstieg der Kriegs­produktion. Der Begriff „Volkspolizei“ war also alles an- (…) Aber auch ein ‚Wirtschafts­wunder’ hatte dere als „neu“. Sowohl in der Weimarer Re- es bei den Nazis schon einmal gegeben. publik als auch unter dem NS-Regime wur- 1936 erschien im Amsterdamer Querido- de immer wieder eine „Volkspolizei“ Verlag ein Buch des emigrierten Redakteurs gefordert. Ein systematischer Vergleich der des ‚Berliner Tageblatts’ Hans Erich Priester. Diskussion um den Begriff „Volkspolizei“ in Es trug den Titel ‚Das deutsche Wirtschafts- wunder’. Der Autor beschrieb darin die Wirt- schafts- und Finanzpolitik des ‚Dritten Rei- 20 Reitzel (1921); Volkspolizei (1926), S. 19 441-442; Hasselmann (1931), S. 37-38; ches’ und ihren offensichtlichen Erfolg“. derselbe (1931), S. 315-316.

21 Severing (1950), Lebensweg, S. 317. 18 ND v. 22.11.1946, S. 4. 22 Koschorke (1936), Volkspolizei, S. 33. 19 Grunenberg (2006), Wundertäter, S. 15-16. 23 Ebenda, S. 29.

12 der Weimarer Republik, in der NS-Zeit und Bewaffnete Banden trieben ihr Unwesen. in der SBZ/DDR dürfte interessante Auf- Diese Situation führte vor allem dazu, dass schlüsse und vor allem Hinweise auf Konti- der Ruf nach „Ordnung und Sicherheit“ in nuitäten und Brüche ergeben, zumal eine allen Bereichen des öffentlichen und priva- solche Auseinandersetzung bis heute fehlt. ten Lebens immer lauter und eindringlicher erklang. Es gab – und das war ein gesamt- deutsches Phänomen der Nachkriegszeit – eine regelrechte Sehnsucht nach öffentli- 3. Grundlinien der Struktur- und cher Ordnung und Sicherheit, nach Organisationsentwicklung „Ordentlich­keit“ bzw. ordentlichen Verhält- nissen. Zugleich war dieser Wunsch nach Am 12. Mai 1945 wurde vom ersten Stadt- Wiederherstellung der Ordnungsstrukturen kommandanten von , General­oberst mit dem weit verbreiteten Wunsch nach ei- Bersarin, der Befehl erlassen, bis zum 1. ner gesellschaftlichen Neuordnung verbun- Juni eine neue Polizei aufzustellen. Ihr wur- den.26 de die Aufgabe gestellt, „die sich entwi- ckelnde neue demokratische Ordnung zu Vor diesem Hintergrund kam es im sichern und die Bevölkerung vor verbre- Frühsommer 1945 zuerst in der Viersekto- cherischen Elementen zu schützen.“24 renstadt Berlin und dann auch in allen Län- dern und Provinzen der SBZ zur Neubil- Die Ausgangslage war 1945 prekär: Der dung unbewaffneter deutsche Polizei­kräfte. Zweite Weltkrieges hatte mit der totalen In gleicher Weise vollzogen sich die Ent- Niederlage Deutschlands geendet. Das wicklungen in den westlichen Besatzungs- Land wurde militärisch besetzt und verlor zonen. Die nichtmilitärischen Polizeiforma- seine Souveränität. Die alliierten Sieger tionen waren formal den neu gebildeten übernahmen die Regierungsgewalt. Die bis örtlichen Verwaltungen auf kommunaler dahin noch existierenden Strukturen des Ebene zugeordnet; sie unterstanden aber deutschen Staates wurden aufgelöst. zwangsläufig der Aufsicht und Anleitung Damit verschwand auch die Polizei des der jeweiligen sowjetischen Militärkomman- NS-Regimes. Noch während der Kampf- danten. Mit der Bildung einer sowjetischen handlungen und in der unmittelbaren Nach- Besatzungs­behörde übernahm diese Auf- kriegszeit hörte vielerorts die „Ordnung und sichtsfunktion ab dem 9. Juni 1945 offiziell Sicherheit“ auf zu existieren. Der Krieg hin- die Sowjetische Militäradministration in terließ eine extrem unruhige Gesellschaft. Deutschland (SMAD), deren Zentrale sich Hinzu kam, dass vor allem in der SBZ diese in Berlin-Karlshorst befand. Diese neue Zu- „Unruhe“ durch eine „Schreckensherrschaft ordnung änderte aber in den ersten schlecht disziplinierter und oft betrunkener Nachkriegs­monaten nichts am vorherr- Soldaten der Besatzungsmacht“ bis weit in schenden Besatzungspartikularismus. Auf das Jahr 1946 hinein verstärkt wurde.25 Provinzial- und Länderebene unterliefen die militärischen Kommandostrukturen der In der deutschen „Zusammenbruchsgesell- sowjetischen Besatzungstruppen zunächst schaft“ herrschten chaotische Zustände. noch die sich etablierende Zentralgewalt Das alltägliche Leben war durch Not, Ent- der SMAD in Berlin-Karlshorst.27 behrungen, Verlust, Bedrohungen und Un- sicherheiten gekennzeichnet. Die Kriminali- Der SMAD oblag die ungeteilte Befehls- tät in Form von Eigentums­kriminalität und und Kontrollgewalt in der SBZ, d. h. die Gewaltverbrechen nahm massiv zu und er- deutschen Ordnungskräfte dienten in der reichte bis dahin nicht gekannte Ausmaße.

26 Fürmetz/Reinke/Weinhauer (2001), 24 ND v. 1.6.1949, S. 2. Nachkriegspolizei, S. 51-52.

25 Bessel (1993), Volkspolizei, S. 86-87; 27 Broszat/Weber (1990), SBZ Handbuch, vgl. zuletzt die Studie von Satjukow S. 207-215; Möller/Tschuarjan (2009), (2008), Besatzer, S. 35-67. SMAD Handbuch, S. 436-446.

13 ersten Nachkriegszeit de facto als Exekuti- neren vollzog sich für die Provinz Branden- vorgane der sowjetischen Besatzungs- burg und die Provinz Sachsen-Anhalt im macht. Damit waren die Aktivitäten der Sommer 1945 jedoch unter schlechteren Deutschen in Sachen „Ordnung und Si- Voraussetzungen als in den drei SBZ-Län- cherheit“ zwangsläufig und natürlich nahe- dern – Sachsen, Thüringen und Mecklen- liegend zuallererst Aktivitäten auf Veranlas- burg-Vorpommern. Nachteilig war hierbei, sung der sowjetischen Besatzungs­macht. dass in den Provinzen ein vergleichbarer Das betraf auch die aus dem Moskauer Exil zentraler Verwaltungsapparat wie in den nach Deutschland zurück­kehrenden Kom- Ländern der SBZ nicht vorhanden war. Die munisten. Zwar wurde von Anbeginn darauf preußische Provinz Brandenburg hatte bis geachtet, dass die „Schlüsselpositionen“ in 1945 beispielsweise nur eine beschränkte der Polizei mit „kommunistischen Kadern“ Selbstständigkeit im Sinne der kommuna- besetzt wurden, aber auch diese waren in len Selbstverwaltung gehabt. Unterstellt der Anfangsphase im Wesentlichen nur waren die brandenburgischen Regierungs- „Befehlsübermittler“ der Besatzungsmacht. bezirke bis dahin der preußischen Staats- Praktisch gaben die deutschen Polizeifor- regierung in Berlin. Seit 1918 hatte der mationen in den ersten beiden Nachkriegs- Oberpräsident der Provinz Brandenburg jahren lediglich die Befehle der SMA weiter seinen Dienstsitz in Berlin-Charlottenburg. bzw. handelten sie nach den Anforderun- Der Sitz des Provinzialverbandes Branden- gen der Besatzungs­macht. In Sicherheits- burg befand sich demgegenüber seit 1939 fragen war im Grundsatz immer das be- in Potsdam. Die auf dem Gebiet der SBZ stimmend, was die SMAD für wichtig, befindlichen Regierungsbezirke der Provinz opportun und erforderlich erachtete.28 Brandenburg hatten ihre Regierungssitze wiederum in Potsdam und Frankfurt/Oder.30 Noch im Sommer 1945 wurde schrittweise Das Fehlen geeigneter Verwaltungsstruktu- die Zuständigkeit auf die überörtlichen Ver- ren bot der Provinz Brandenburg im Som- waltungen der Provinzen und Länder der mer 1945 zugleich aber auch günstige Vor- SBZ verlagert. Hervorzuheben ist in diesem aussetzungen beim Aufbau und bei der Zusammenhang, dass auf Befehl der SMAD Neuordnung der Verwaltung. Erst mit dem die gesetzlichen Grundlagen des Polizei- alliierten Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. verwaltungsgesetzes vom 1. Juni 1931 Februar 1947 wurden die Provinz Branden- weitergeführt wurden. So war schon in der burg und die Provinz Sachsen-Anhalt offizi- Weimarer Republik die Polizei den Gemein- ell in gleichnamige Länder umbenannt.31 den völlig entzogen und den Provinzial- bzw. Länderverwaltungen unterstellt wor- Im Herbst 1946 bildete sich auf der Grund- den. Frühzeitig legte die SMAD außerdem lage einer Weisung der SMA vom 30. Juli fest, dass die Verwaltungs- und Schutzpoli- (SMAD-Befehl Nr. 212) die DVdI. Die Ziele zei nicht getrennt wurden. Sowohl in den der neuen Verwaltung wurden am 30. Okto- Gliederungen als auch bei den Diensträn- ber 1946 auf der ersten Konferenz des Prä- gen kamen traditionelle Bezeichnungen sidenten der DVdI mit den Chefs der Polizei aus der Zeit der Weimarer Republik zur An- der Länder und Provinzen beraten. Die wendung. Auf der lokalen Ebene wurden Konferenz stellte sich vor dem Hintergrund Einzel- und Gruppenposten gebildet; darü- des aufkommenden Kalten Krieges und ber entstanden Reviere, Orts-, Kreis- und der sowjetischen Besatzungs­herrschaft die Landesbehörden.29 Aufgabe, „kritisch und selbstkritisch alle

Die Neugestaltung der Verwaltung des In- 30 Als Folge der Potsdamer Beschlüsse (2. August 1945) verlor die Provinz et- 28 Diedrich/Wenzke (2001), Die getarnte wa ein Drittel der Fläche. Die so- ge Armee, S. 13-19; Lindenberger (2003), nannte Neumark (11328 Quadratkilo- Volkspolizei, S. 37. meter) jenseits von Oder und Neiße fiel an Polen. 29 Ebenda; Kopp (1958), Chronik, S.27; Diedrich/Ehlert/Wenzke (1998), Hand- 31 Adamy/Hübner (1999), Kleine Ge- buch, S. 98-99. schichte, S. 136-139 und 190.

14 Fragen zu besprechen und unsere Marsch- tur (Abteilung „K5“)34 auch die Funktion route festzulegen, nach der wir marschie- einer politischen Polizei übernahm; die Ver- ren wollen bis zur Erreichung einer wirklich waltungspolizei, die neben dem Melde- und demokratischen Ordnung hier in Deutsch- Erlaubniswesen zugleich die Preisüberwa- land nach dem Vorbild unserer großen chung unter sich hatte; und es gehörte Lehrmeister Marx, Engels, Lenin, Stalin, 1948 zudem noch die Grenzpolizei und die nach dem Vorbild der großen Sowjet­ in jenem Jahr gebildeten kasernierten Be- heimat.“32 reitschaften zur DVdI. Die zuletzt genann- ten beiden Polizei­formationen wurden 1949 Konkret sollten die Polizeiabteilungen der wieder ausge­gliedert und erhielten dann je- Länder beim Aufbau eines einheitlichen Po- weils eigene Kommando­strukturen. Um lizeiapparates durch die DVdI unterstützt 1948 verfügte die DVdI insgesamt über werden. Das geschah zuerst auf dem We- mehr als 93.000 Polizeikräfte. Davon ge- ge der Innenministerkonferenzen. Anfangs hörten rund 7 Prozent zur trug die neue Verwaltung vor allem koordi- und knapp 42 Prozent zur Schutz- und Ver- nierenden Charakter, d. h. die DVdI besaß kehrspolizei.35 kein unmittelbares Weisungsrecht und die Eigenverantwortung der Polizeiabteilungen Zugleich fungierte die DVP als „Keimzelle“ der Länder und Provinzen blieb in den Jah- für alle anderen bewaffneten Organe der ren 1946/47 noch weitgehend bestehen. SBZ/DDR. Die erste Sonderformation, die, Der eigentliche Zentralisierungsprozess wie schon erwähnt, aus der Volkspolizei setzte ab 1948 ein und die DVdI entwickel- herausgelöst wurde, war die 1946 zur Be- te sich „zu einem zentralen länderübergrei- wachung der Demarkationslinien (Zonen- fenden Führungs­organ“. Ost-Berlin spielte grenzen) gebildete Deutsche Grenzpolizei hierbei für einige Monate noch eine Son- (DGP/GP). Im Jahre 1948 folgte die Her- derrolle und wurde erst zum 18. März 1949 ausbildung von kasernierten Sondereinhei- der DVdI untergeordnet. Als äußere Zei- ten aus den Schutz- und Grenzpolizeifor- chen dieses Zentralisierungsprozesses mationen, die als „neue militärische Elite“ wurden nun bei der Volkspolizei einheitliche den Grundstock für eine Armee bilden soll- Uniformen, Dienstgrade und Dienstgrad­ ten. Die Volkspolizei wurde gleichsam zur abzeichen eingeführt.33 „Hülle“ für die politische Polizei/Staatssi- cherheit und die späteren militärischen Ver- Nachdem die DVdI die Funktion eines zen- bände der DDR.36 tralen Führungsorgans übernommen hatte, änderten sich die Unterstellungs­verhältnisse Nach der Gründung der DDR kam es am der verschiedenen Dienst­zweige der VP. 12. Oktober 1949 unter dem Dach des MdI Stand zuvor außerdem die Ordnungssiche- zur Bildung der „Hauptverwaltung Deut- rung im Mittelpunkt, so kamen mit der 1948 sche Volkspolizei“ (HVDVP). Nun gehör- geschaffenen oper­ativen Dienstzweigstruk- ten zur Volkspolizei die Dienstzweige tur neue Aufgaben hinzu. Folgende Polizei- Schutzpolizei, Kriminalpolizei, Pass-, Mel- bereiche gab es zum damaligen Zeitpunkt: de- und Erlaubniswesen, Verkehrspolizei, die Schutzpolizei, die auch für die Bewa- chung von Betrieben und Objekten der so- 34 Vgl. im folgenden Abschnitt. wjetischen Besatzungsmacht eingesetzt 35 Diedrich/Ehlert/Wenzke (1998), Hand- wurde und zu der auch noch die Verkehrs- buch, S. 69-152; 201-535; Lindenber- und gehörte; die Kri- ger (2003), Volkspolizei, S. 40-41, 51- minalpolizei, die in Form einer Sonderstruk- 90, 164-166. 36 Diedrich (1996), Kasernierte Volkspoli- zei, S. 232-233; Diedrich/Ehlert/Wenz- ke (1998), Handbuch, S. 69-152; 201- 535; Diedrich/Wenzke (2001), 32 Zitiert bei Florath/Mitter/Wolle (1992), Ohnmacht, S. 151. Getarnte Armee, S. 13 ff.; Fürmetz/ Reinke/Weinhauer (2001), Nachkriegs- 33 Broszat/Weber (1990), SBZ Handbuch, polizei, S. 11-12; Lindenberger (2003), S. 212. Volkspolizei, S. 40-41, 51-90, 164-166.

15 Wasserschutz­polizei, so- auf deutschem Boden“ innerhalb von 14 wie der Betriebsschutz und die Betriebsfeu- Monaten in seine erste Existenzkrise, die erwehren. Ab 1950 zählten alle Feuerweh- ihren Ausdruck im Volksaufstand vom 17. ren der DDR und auch der Strafvollzug zur Juni 1953 fand.38 VP. Zudem gab es einen Führungswechsel. Der stellvertretende Chefredakteur des Die Ursachen, Hintergründe und der Ver- SED-Zentralorgans „“, lauf des 17. Juni 1953 werden im 6. Ab- Karl Maron, übernahm zum 1. September schnitt näher beschrieben. An dieser Stelle 1950 die Führung der Deutschen Volkspoli- sei deshalb nur auf die politisch-administra- zei. Er trat damit an die Stelle des Ende Ju- tiven Auswirkungen der Länder­auflösung ni plötzlich verstorbenen Dr. Kurt Fischer für die DVP eingegangen. Mit Wirkung vom (1900-1950). Im September 1950 gehörten 23. Juli 1952 kam es ge­mäß der Aprilemp- der Volkspolizei ohne Feuerwehr, Strafvoll- fehlungen Stalins zur Bildung von Bezirken zug und Betriebsschutz mehr als 83.000 in der DDR. Die traditionellen föderalen Polizistinnen und Polizisten an. Rund die Strukturen ersetzte die SED-Führung durch Hälfte der Volkspolizisten tat ihren Dienst eine zentralistische Verwaltungs­ ­struktur. bei der uniformierten Schutzpolizei. Für Aus dem Land Branden­burg gingen die Be- diese Zeit finden sich für die nicht kaser- zirke Potsdam, Frankfurt/Oder und Cottbus nierte VP auch solche Bezeichnungen wie hervor. Zudem wurden neue Kreise gebil- „Allgemeine Volkspolizei“ und „Territoriale det. Durch die Bezirksreform weitete sich Volkspolizei“.37 die Zahl der brandenburgischen Landkrei- se von ur­sprüng­lich 21 (Stand 1939) auf 38 Anfang April 1952 kam es in Moskau zu Landkreise aus. Während im Süden des folgenreichen politischen, militärischen ehemaligen Landes Brandenburg Gebiete und ökonomischen Weichenstellungen für hinzukamen, wurde im Nordosten die tradi- die DDR, die auf die weitere Entwicklung tionsreiche brandenburgische Region der der „öffentlichen Polizei“ erhebliche Aus- Uckermark (Kreise Templin, Prenzlau) an wirkungen hatten. Am 1. und 7. April gab den neuen mecklenburgischen Bezirk Stalin während zweier spätabendlicher Neubrandenburg abgegeben. Ähnliches Sitzungen der SED-Führung einige fatale geschah auch mit dem Kreisgebiet der „brüderliche Empfehlungen“. Die DDR Westprignitz (Perleberg, Wittenberge), das sollte nun neben dem Aufbau des Sozialis- nunmehr in den Bezirk Schwerin eingeglie- mus vor allem einen eigenen Beitrag zur dert wurde. Der Bezirk Potsdam erfuhr Aufrüstung leisten. Es waren die Schaf- durch die sachsen-anhaltinischen Kreise fung von Streitkräften und der Aufbau um- Genthin und Burg einen Flächenzuwachs. fangreicher rüstungsindustrieller Struktu- Hinter der Länderauf­lösung steckte vor al- ren vorgesehen. Stalin wollte die DDR zu lem auch ein sicherheitspolitisches Kon- einem starken „Vorposten des Sozialis- zept. Bei der Bezirksbildung von Potsdam mus“ ausbauen. Die im April 1952 vorge- ging es beispielsweise darum, dass West- geben Ziele lauteten konkret: 300.000 Berlin einheitlich nur von Potsdamer Land- Mann umfassende Streitkräfte, Rüstungs- kreisen umschlossen werden sollte.39 industrie, Sicherung der innerdeutschen Grenze, Durchsetzung der zentralen Plan- Für die Volkspolizei bedeutete die Länder- wirtschaft, Ausbau des Staates und die auflösung die Abschaffung der Landespoli- Kollektivierung der Landwirtschaft. In den zeibehörden als mittlere Hierarchie­ebene. folgenden Monaten wurden die in Moskau Nun „entstanden 14 Bezirks­behörden der beschlossenen Maßnahmen umgesetzt, Deutschen Volks­polizei (BDVP) und etwa was wiederum auch zu Lasten der Volks- polizei gehen sollte. Dadurch manövrierte 38 Ciesla (2003), Freiheit, S. 18-19; Bon- wetsch/Kudrjašov (2006), Stalin, S. sich der „erste Arbeiter- und Bauernstaat 173-205.

39 Scherf/Viehrig (1995), S. 215 f.; Kotsch 37 Kopp (1958), Chronik, S. 55 und 63; (2001), Brandenburg, S. 85-91; Wag- Lindenberger (2003), Volkspolizei, S. ner (2002), Sicherheitspolitik, S. 50 f.; 43-46. Ciesla (2003), Freiheit, S. 23. 16 215 Volks­polizeikreisämter (VPKÄ). Die Die kostbare Ressource ‚sowjetische Be- Ostberliner Behörde behielt die Bezeich- ratung’ wurde vorzugsweise auf das Militär nung Präsidium der Volkspolizei Berlin (Pd- und die Geheimpolizei konzentriert.“43 VP Berlin), war aber einer BDVP gleichge- stellt. HVDVP – BDVP – VPKA bildeten von Frühzeitig war erkennbar, dass die VP „im nun an die drei Führungsebenen für die Ensemble der bewaffneten Kräfte des SED- (…) Polizeiorgane. Als 1962 die HVDVP Staates“ eine untergeordnete Rolle spielte aufgelöst wurde, gingen ihre Abteilungen und ihr politisches Gewicht begrenzt blieb. als Hauptabteilungen in das direkte Unter- Nach dem 17. Juni 1953 und den Aufstän- stellungsverhältnis unter den Stellvertreter den in Polen und Ungarn im Sommer/ des Ministers des Innern über.“40 Herbst 1956 nahm das sicherheitspolitische Gewicht des MdI und damit der Volkspolizei Nach dem Juniaufstand von 1953 wurden zwar wieder zu, aber daraus erwuchs kein Maßnahmen zur Reorganisation der be- „machtpolitischer Statusgewinn“. In den waffneten Organe ergriffen. Die Straffung fünfziger Jahren war die DVP neben der der sicherheitspolitischen Kompetenzen Staatssicherheit und der Kasernierten bedeutete für die HVDVP und die ihr un- Volkspolizei (KVP) bzw. der Nationalen terstellten Dienstzweige eine gewisse Volksarmee (NVA) die dritte, tragende Säu- Konsolidierung. „Die Zeiten, in denen die le des DDR-Sicherheitsapparates, aber im Waffenbrüder von Militär und Geheimpoli- Hinblick auf die anderen beiden Bereiche zei oder gar die Volkswirtschaft hem- rangierte sie de facto in der „zweiten Rei- mungslos ihren Personalfonds plünderten he“. Hinzu kam, dass es in den Jahren nach und den Vorrang ihres Ausrüstungsbedarfs 1953 zu einer zunehmenden Militarisierung durchsetzen konnten, waren fürs erste der Ausbildung, Strukturen und Leitungs­ vorbei.“41 Die sicherheitspolitische Bedeu- methoden bei der Volkspolizei kam, wovon tung des MdI nahm nach 1953 zu, was alle volkspolizeilichen Dienstzweige glei- aber nicht mit einem machtpolitischen Sta- chermaßen betroffen waren.44 tusgewinn verwechselt werden darf. „Der Erkennbar war die zunehmende „Militari- Chef der Volkspolizei verkehrte mit den sierung“ ab 1957 auch dadurch, dass in der Kollegen der Staatssicherheit oder den für DVP militärische Dienstgrade eingeführt das Militär verantwortlichen Spitzenfunkti- wurden. Die zivilen Be­zeichnungen ver- onären der SED nie auf Augenhöhe. Der schwanden.45 Nach der Grenzabrieglung Innenminister war zwar ex officio Mitglied vom 13. August 1961 setzte beim MdI und des Sicherheitskommission der SED und damit bei der DVP ein Wandlungsprozess deren Nachfolgeorgan, des Nationalen ein. Die Grenzpolizei kam im September Ver­teidigungs­rats, jedoch gehörte er (…) 1961 zum Ministerium für Nationale Vertei- nie dem Politbüro an.“42 Bemerkenswert ist digung, die HVDVP wurde zum Ende des zudem, dass sich vergleichsweise geringe Jahres 1962 aufgelöst. Es erfolgte zwi- Spuren direkter sowjetischer Einflussnah- schen 1962 und 1966 kurzzeitig die Zusam- me innerhalb der VP finden. „Sie stehen menlegung von Schutz- und Verkehrspoli- keineswegs für größere Handlungsfreiheit zei. Im März 1963 legte die ZK-Abteilung der Volkspolizei im Vergleich mit den an- für Sicherheitsfragen – quasi ein Übermi- deren bewaffneten Organen, in denen we- nisterium für das MdI – schließlich einen sentlich mehr sowjetische Berater tätig waren. Der Unterschied entsprach viel- 43 Ebd., S. 165. mehr dem Gefälle an sicherheitspolitischer 44 Diedrich (1996), Kasernierte Volkspoli- Bedeutung der verschiedenen Organe. zei, S. 232-233; Diedrich/Ehlert/Wenz- ke (1998), Handbuch, S. 69-152; 201- 535; Diedrich/Wenzke (2001), Getarnte Armee, S. 13 ff.; Fürmetz/ 40 Diedrich/Ehlert/Wenzke (1998), Hand- buch, S. 104. Reinke/Weinhauer (2001), Nachkriegs- polizei, S. 11-12; Lindenberger (2003), 41 Lindenberger (2003), Volkspolizei, S. Volkspolizei, S. 51-90, 164-166. 59. 45 Diedrich/Ehlert/Wenzke (1998), Hand- 42 Ebenda, S. 164. buch, S. 121.

17 scharf kritischen „Bericht über den inneren politisch-ideologischen Zielsetzungen, dass Zustand in der DVP“ vor. Darauf hin wurde es von Anfang an Überschneidungen im am Ende der Minister des Innern und zuvor Bereich der Kriminalitätsbekämpfung und langjährige Chef der DVP, Karl Maron, „de- des Vereinswesens gab und sich daraus montiert“. Es begann eine Phase der struk- wiederum konkurrierende Zuständigkeiten turellen, personellen und konzeptionellen entwickelten. Die VP-Geschichte steht in Erneuerung.46 Der schon in der zweiten enger Verbindung zur Geschichte des MfS, Hälfte der fünfziger Jahre einsetzende „un- da einerseits die Staatssicherheit aus der auffällige Wandel“ der Polizei hin zur SED, bei der Kriminalpolizei frühzeitig eingerich- d. h. die zunehmende Verschränkung von teten speziellen politischen Abteilung „Kom- Polizei und Partei wurde nach 1961 fortge- missariate 5“ („K5“) hervorgegangen ist, setzt und verstärkt: „Die Volkspolizei ent- und andererseits die politische Abteilung wickelte sich dabei zu einer politisch un- der Kriminalpolizei in Form der „Kommissa- terworfenen Polizei, die für alles zuständig riate 1“ („K1“) als verdeckt arbeitendes kri- war, dies aber nie alleine. In ihrer Existenz minalpolizeiliches Organ bei der VP bis blieb sie durch Abhängigkeiten und Zweit- zum Ende der DDR weiter bestand.50 rangigkeit geprägt“.47 Ganz allgemein wird die Polizei als eine staatliche Behörde definiert, deren Aufgabe es ist, Gefahren für den Einzelnen und die 4. Politische Polizei und Allgemeinheit abzuwehren, die öffentliche Staatssicherheit Ordnung und Sicherheit zu schützen und strafbare Handlungen zu verfolgen. Bei der Die Philosophin Hannah Arendt (1906- Durchführung dieser Aufgaben ist die Poli- 1975) hat in ihrer 1951 erschienen histo- zei an Recht und Gesetz gebunden. Vor risch-politischen Untersuchung über die diesem Hintergrund entwickelte sich in Elemente und Ursprünge totaler Herr- Deutschland im 19. Jahrhunderts eine Ein- schaft48 im Hinblick auf das „geheime Wis- richtung der Polizei, die als „Politische Poli- sen“ der Herrschenden bemerkt: „Real po- zei“ bezeichnet wurde und die der Aufklä- wer begins where secrecy begins.“49 Dieser rung und Vorbeugung von Straftaten mit Satz verweist auf einen wichtigen Aspekt politischem Hintergrund diente. Ein charak- der VP-Geschichte, dass Verhältnis zu der teristisches Merkmal der politischen Polizei im Geheimen wirkenden Staatssicherheit. war ihre gleichermaßen auf nachrichten- Das MfS war eine mit allen Polizeibefugnis- dienstliche und polizeiliche Methoden beru- sen ausgestattete „Parallelorganisation“, hende Ermittlungstätigkeit. In der deut- deren Existenz für die Volkspolizei weitrei- schen Polizeigeschichte zeigen sich hierbei chende Konse­quenzen hatte. Die Staatssi- besondere Traditions- und Kontinuitätslini- cherheit grenzte sich aufgrund ihrer poli- en. Dieser Zusammenhang ist bei der Ge- tisch-repressiven Funktion zwar weitgehend schichte der Volkspolizei in der SBZ/DDR vom breiten Aufgabenfeld der VP ab, aber mit zu berücksichtigen. Zwar wurde im Be- zugleich bedeutete die Vorrangigkeit der zug auf die politische Polizei mit den orga- nisatorischen und personellen Strukturen aus der Zeit vor 1945 radikal gebrochen, Ebenda, S. 127-128. 46 aber zugleich ergeben sich durch die Wei- 47 Lindenberger (2003), Volkspolizei, S. terführung der Traditionslinien der sowjeti- 166. schen Geheimpolizei und des Sicherheits- 48 In den USA kam ihre umfangreiche hi- apparates der KPD wichtige Aspekte für storisch-politischen Untersuchung über die totale Herrschaft als neue vergleichende Betrachtungen. So weist das Staatsform unter dem Titel „The Ori- Grundmuster der sowjetischen Geheimpo- gins of Totalitarianism“ heraus. Die lizei viele Parallelen zu den Geheimpolizei- britische Ausgabe trug den Titel „The Burden of Our Time“. 50 Eppelmann/Möller/Nooke/Wilms 49 Hannah Arendt, The Burden of Our (1997), DDR-Sozialismus, S. 639; Lin- Time, London 1951, S. 386. denberger (2003), Volkspolizei, S. 67.

18 en des Kaiserreichs und des NS-Regimes 5. September 1878, mit entsprechenden auf, was nicht verwunderlich ist, da hier die Kompetenzen und finanziellen Mitteln für Geschichte der zaristischen Geheimpolizei ganz Preußen sowie mit Verbindungsleuten Ochrana zu berücksichtigen ist.51 in den anderen deutschen Ländern und so- gar im Ausland ausgestattet.53 Die Traditionen reichen natürlich noch viel weiter zurück, aber im Wesentlichen gehen Unter der Leitung der politischen Polizei die Wurzeln der heutigen Geheimdienste beim Polizeipräsidenten in Berlin wurde und Politischen Polizeien auf Organisatio- das Ziel verfolgt, die Arbeiterbewegung so nen wie die Wiener Geheime Kabinetts- umfassend wie möglich zu überwachen. kanzlei („Schwarze Kammern“), das com- Das schloss die Überwachung und Unter- missaires spéciaux von Joseph Fouché wanderung von Sozialdemokraten und An- unter Napoleon, die zaristische Ochrana archisten ein, die als „Staatsfeinde“ und als oder die politische Polizei Preußens zu- „vaterlandslose Gesellen“ galten. Es wur- rück. Sie alle entwickelten sich im Rahmen den die verschiedenartigsten juristischen der bürgerlichen Revolutionen und der Repressionsmittel eingesetzt, die vom So- Industrialisierungs­prozesse im 19. Jahr- zialistengesetz (1878) über das Spreng- hundert. Im und nach dem Ersten Welt- stoffgesetz (1884), einschlägigen Paragra- krieg (1915-1918) erfolgt dann ein weiterer phen des Strafgesetzbuches bis hin zu den Entwicklungssprung hin zu großen, hoch Landesgesetzen reichten. Es bildete sich professionellen Administrationen von Ge- im Kaiserreich ein Überwachungsapparat heimdiensten und politischen Polizeiorga- heraus, in dem die politische Polizei im Ber- nisationen.52 liner Polizeipräsidium in Preußen eine * Schlüsselrolle spielte. Dort liefen alle Fä- Ein Exkurs über die besonderen deutschen den zusammen: „Wann und wo immer sich Traditions- und Kontinuitätslinien verdeut- auch nur der geringste Verdacht zeigt, wur- licht den nach 1945 zu berücksichtigenden den Vereine, Kassen und Sammlungen Zusammenhang zwischen Polizei, politi- kontrolliert, Häuser durchsucht, Personen scher Polizei und Geheim­diensten. So fand sistiert sowie Zeitungen und Broschüren die Bildung einer selbständigen politischen beschlag­nahmt.“54 Die Furcht vor Aufwieg- Polizei in Preußen im Jahre 1848 statt. Mit lern und Anarchisten ließ die Zahl der Spit- der Bildung einer speziellen Dienststelle im zel oder „agent provocateur“ buchstäblich Berliner Polizei­präsidium wurde eine Poli- sprunghaft in die Höhe schnellen.55 zeiorganisation geschaffen, deren Aufgabe es zunächst war, die Handhabung des Ver- Der Aufbau und die Wirkungsweise der po- einsgesetzes von 1850 und des Pressege- litischen Polizei erreichte im Kaiserreich ei- setzes von 1851 zu kontrollieren. Später ne sehr effiziente Ausprägung. Hierzu heißt waren es dann vor allem die politisch moti- es: „Die hierarchisierte, stetige und funktio- vierten Attentate auf den Kaiser Wilhelm I. nelle Überwachung entlud sich in einer viel- am 11. Mai und 2. Juli 1878, die wiederum gestaltigen, autonomen und anonymen Ge- die Befugnisse und Aufgaben der Politi- walt, wirkte wie ein Beziehungsnetz nach schen Polizei im Kaiserreich auf eine höhe- allen Seiten. Zwar gab ihr der pyramiden- re Stufe gehoben haben. Die politische förmige Aufbau einen ’Chef’, aber es war Dienststelle des Polizeipräsidiums Berlin der gesamte Apparat, der Macht produzier- wurde auf breiterer Basis, per Erlass des te. Ein gewissermaßen gesichtsloser Blick, preußischen Ministeriums des Innern vom der ‚alles’ erfassen mußte: Ereignisse, Handlungen, Verhaltens­weisen, Meinun- 51 Florath/Mitter/Wolle (1992), Ohn- gen, ‚alles was passiert’ – kontrollierend, macht, S. 58-60; Andrew/Mitrochin (1999), Schwarzbuch, S. 37-63; Krieger 53 Florath/Mitter/Wolle (1992), Ohn- (2003), Geheimdienste, S. 248-259; macht, S. 36-37. Horn (2007), Krieg, S. 137. 54 Ebenda, S. 36. 52 Krieger (2003), Geheimdienste; Horn (2007), Krieg, S. 135-140. 55 Horn (2007), Krieg, S. 137.

19 vergleichend, differenzierend und hierar- (Gestapa/Gestapo)59. Diese Behörde war chisierend, homogenisierend, ausschlie- 1933 zwar noch verhältnismäßig klein, ßend. Diese Überwachung stützte sich auf spielte aber 1934 bei den Machtkämpfen ein lückenloses und zentral gelenktes Re- innerhalb der NS-Führung60 eine entschei- gistrierungssystem. Ver­sammlungen und dende Rolle. Danach ging die Führung der bekannte Anarchisten wurden auf Schritt Gestapo auf den „Reichsführer-SS“, Hein- und Tritt, ‚erschöpfend’ und allgegenwärtig rich Himmler (1900-1945), über. Unter des- überwacht.“56 sen Regie erfolgte 1939 der Zusammen- schluss der Gestapo und Kriminalpolizei Die Traditionslinie setzte sich nach dem als Teile der Sicherheitspolizei mit dem Si- Ersten Weltkrieg in der „Weimarer Repub- cherheitsdienst (SD) zum Reichssicher- lik“ fort. Zwar wurde 1918 die politische Ab- heitshauptamt (RSHA). Die Gestapo wurde teilung im Berliner Polizeipräsidium offiziell nun zur „Abteilung IV“ des RSHA und be- aufgelöst, „aber auch die sozialdemokra- kam die Bezeichnung „Gegnerbekämp- tisch geführte Reichsre­gierung musste bald fung“. Bei dieser Organisationsgliederung die Notwendigkeit einer politischen Polizei blieb es bis zum Ende des Zweiten Welt- als Nachrichten­dienst zum Zwecke der in- krieges.61 neren Staats­sicherung erkennen.“57 Der Hintergrund hierfür waren verstärkte politi- Zur zentralen Aufgabe der Gestapo gehörte sche Ermittlungs­ ­aufgaben aufgrund der die Bekämpfung der Gegner des NS-Regi- nach dem Ersten Weltkrieg durchlässiger mes. Das „Gegenspektrum“ reichte von gewordenen deutschen Grenzen. Das be- den Kommunisten und Sozial­demokraten traf besonders die östlichen Grenzen, wo über frühere Mitglieder der Gewerkschaf- die politische Polizei in der Weimarer Zeit ten, bürgerliche Oppositio­nelle, kirchliche besonders bei der Bekämpfung grenzüber- NS-Gegner bis hin zu den Juden. Während schreitender Banden im Menschenhandel, des Krieges kamen ausländische Zivil- und Rausch- und Waffenschmuggel eingesetzt Zwangsarbeiter hinzu. Die Gestapo spielte wurde. „Bei der Einrichtung neuer Dienst- nach Kriegs­beginn vor allem die Schlüssel- stellen wurde häufig auf die politisch kon- rolle bei der Verfolgung, Deportation und servativ eingestellten Spezialisten der Kai- Ermordung der europäischen Juden. In serzeit zurückgegriffen, von denen sich Berlin, in der Dienststelle „IV B 4“ im RSHA, nach dem Januar 1933 wiederum nicht we- plante, koordinierte und befehligte die Ge- nige für die Ziele des Nationalsozialismus stapo die Vernichtung der europäischen instru­mentalisieren ließen.“58 Juden. Die politische Polizei in Gestalt der

Mit dem Machtantritt der Nationalsozialis- 59 Zuerst und nur kurzzeitig wurde die ten kam es 1933 durch den preußischen politische Polizei Görings als „Gesta- pa“ - Geheimes Staatspolizeiamt - be- Innenministers (1933-34) und zweit­ zeichnet. mächtigsten Mann des NS-Staates, Her- 60 Am 30. Juni 1934 wurde auf Betreiben mann Göring (1893-1946), zum Aufbau ei- Görings, Himmlers und des Reichspro- ner unabhängigen Terrorstruktur zuerst in pagandaministers Joseph Goebbels Preußen und wenig später im gesamten (1897-1945) die SA-Führung unter „Dritten Reich“. Auf Anweisung Görings Ernst Röhm (1887-1934) in der so ge- nannten „Nacht der langen Messer“ entstanden Konzentrationslager für politi- ausgeschaltet. Bis zum 2. Juli 1934 sche Gefangene und eine unabhängige po- wurde fast die gesamte SA-Führung litische Polizei – die Geheime Staatspolizei erschossen. Insgesamt starben in der „braunen Bartholomäusnacht“ mehr als 200 SA-Leute. Paul/Mallmann (2003), die Gestapo; Knopp (2007), Göring; Dams/Stolle (2008). Gestapo. 56 Florath/Mitter/Wolle (1992), Ohn- macht, S. 39. 61 Vgl. hierzu im Überblick und weiter- führend Arsonson (1971), Heydrich; 57 Gräfe/Post/Schneider (2008), Gehei- me Staatspolizei, S. 41. Graf (1983), Politische Polizei; Paul/ Mallmann (1995), Gestapo; Stolle 58 Ebenda, S. 42. (2001), Staatspolizei in Baden.

20 Gestapo entwickelte sich zu einem weitrei- jetischen Besatzungszone ein Instrument chenden Unterdrückungs- und Kon­troll­ gegeben worden von großer politischer Be- instrument des NS-Regimes.62 deutung. An uns liegt es, dieses Instrument zu einer scharfen Waffe des demokrati- * schen Aufbaus zu machen, zum Wohle der werktätigen Bevölkerung Deutschlands und Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in der zum Schrecken der Feinde des demokrati- SBZ/DDR – anders als in den Westzonen schen Aufbaus.“65 Das mehr als neunzig – einen radikalen Bruch in der Traditionsli- Seiten umfassende Protokoll der ersten nie der politischen Polizei in Deutschland Konferenz der DVdI ist heute im Archiv der vor 1945. Dort bestimmten die „Überreste“ BStU überliefert. Es handelt sich hierbei des Sicherheitsapparates der KPD und vor nicht nur um ein wichtiges Dokument der allem aber die sowjetische Geheimpolizei, Frühgeschichte der Volkspolizei, sondern deren Wurzeln – wie schon erwähnt – bis zugleich werden damit auch die Ursprünge zur zaristischen Geheimpolizei zurückrei- des späteren MfS beleuchtet.66 chen, die weitere Entwicklung der politi- schen Polizei und dann der Staatssicher- Nach der Bildung der DVdI im August 1946 heit.63 erfolgte schrittweise die organisatorische Angleichung der regional unterschiedlichen Mit dem Aufbau eines neuen Polizei- und Strukturen der politischen Polizei in der Geheimdienstapparates wurde in der SBZ SBZ. Anfang 1947 wurde als Sonderbe- frühzeitig begonnen. Schon Anfang 1946 reich der Kriminalpolizei die Abteilung „K5“ bestand nachweislich für das Kriminalamt bei der DVdI gebildet. In den Landeskrimi- im sächsischen nicht nur die Auf- nalämtern gab es weitere untergeordnete gabe, gegen „faschistische und militaristi- Referate und Außenstellen. Das Aufgaben- sche Verbrecher“ vorzugehen, sondern es spektrum umfasste schon die späteren ge- sollten auch „konterrevolutionäre Elemen- heimpolizeilichen Aufgaben des MfS. Es te“ beobachtet werden. Diese frühe Tätig- ergaben sich zudem vielfach Überschnei- keit beschränkte sich zunächst auf das dungen mit der Ermittlungsarbeit der „nor- Sammeln von Informationen und Auffinden malen“ Polizeibereiche. Die Tätigkeit der von Zeugen, die ausführenden Handlungen „K5“ wurde vom sowjetischen Geheim- übernahm die sowjetische Geheimpoli- dienst direkt angeleitet. Die abgeschlossen zei.64 Fälle bekamen in der Regel den sowjeti- schen Behörden übergeben. Einen Kompe- Die schon erwähnte erste Konferenz des tenzzuwachs erhielten die „K5“ durch den Präsidenten der DVdI am 30. Oktober 1946 Befehl 201 der SMAD im August 1947. Da- markierte zugleich eine Zäsur in der weite- durch wurden die „K5“ zur Ermittlungen in ren Entwicklung der politischen Polizei in Entnazifizierungsfällen befugt. Es erfolgte der SBZ. , der spätere Minister damit zugleich ein massiver personeller für Staatssicherheit (1957-1989), hielt die Ausbau der Strukturen der „K5“ in der SBZ. Eröffnungsansprache und erklärte: „Mit der Mehr noch als die anderen Bereiche der VP Schaffung der deutschen Verwaltung des wurde die Abteilung „K5“ zudem durch eine Innern ist dem deutschen Volke in der sow- kommunistische Kaderpolitik geprägt. Im Mai 1949 fand die Trennung der „K5“ von der Volkspolizei statt und im Februar 1950 62 Gräfe/Post/Schneider (2008), Gehei- bildete sich aus den „K5“ das MfS.67 me Staatspolizei, S. 44-49.

63 Gehlen (1971), Dienst; Florath/Mitter/ 65 Zitiert nach Florath/Mitter/Wolle Wolle (1992), Ohnmacht, S. 58-60; (1992), Ohnmacht, S. 146. Schenk (2003), Braune Wurzeln; Krie- ger (2003), Geheimdienste, S. 248- 66 Ebenda, S. 147. 259; Horn (2007), Krieg, S. 137-139. 67 Diedrich/Ehlert/Wenzke (1998), Hand- 64 Krieger (2003), Geheimdienste, S. 249- buch, S. 373-375; Kowalczuk/Wolle 250. (2001), Roter Stern, S. 89-94; Krieger

21 Mit der Ausgliederung der „K5“ aus der DVP Bislang fehlt eine regionale Untersuchung hörte der Bereich der politischen Polizei der Aktivitäten der brandenburgischen beim MdI nicht auf zu existieren. Es wurden „K1“. Die inzwischen bekannt gewordenen die „Kommissariate 1“ („K1“) als politische Aktenüberlieferungen zeigen zudem, dass Polizei neu gebildet. Wie das MfS befass- sowohl die „K1“ als auch die mit der Bear- ten sich die „K1“ im Rahmen der politischen beitung der „Allgemeinen Kriminalität“ be- Verfolgung und Beobachtung mit der Kir- fassten Referate und Arbeitsgruppen der che, mit Vereinigungen, mit Vorkommnisse­ Kriminalpolizei eng mit dem anderen Poli- an der Staatsgrenze; mit der Jugend, Aus- zeiapparat – der Staatssicherheit – ver- ländern, organisierter Wirtschafts­ ­kriminalität zahnt gewesen waren. Doch es wird hierbei sowie Straftaten gegen Leben und Gesund- deutlich, dass vor allem in den fünfziger heit.68 Jahren die Beziehungen zwischen den bei- den Sicherheitsapparaten wenig vertrau- Die ersten großen Unternehmungen der ensvoll gewesen waren. Vielmehr bestand politischen Polizei nach der Ausgliederung ein gespanntes Verhältnis zwischen beiden der „K5“ dürften die Zwangsaussiedlungen „Organen“.70 an der innerdeutsche Grenze im Frühsom- mer 1952 (vgl. 6. Abschnitt) und die im Fe- Die VP wurde außerdem vom MfS als „ope- bruar 1953 anlaufende „Aktion Rose“, die rativer Vorgang“ behandelt. Die Staatssi- von langer Hand vorbereitet worden war, cherheit hat über ihre offiziellen Eingriffs- gewesen sein. Bei der „Aktion Rose“ wur- rechte hinaus, die Volkspolizei inoffiziell de offiziell gegen Schieber und Spekulan- ausspioniert und indirekt versucht zu steu- ten an der Ostseeküste vorge­gangen, aber ern. Es zeigt sich jedoch, dass diese opera- im weiteren Verlauf kam es in großem Um- tive Ebene für die fünfziger und frühen fang zur ungerechtfertigten Enteignung sechziger Jahre äußerst schwierig zu un- von Hotel- und Pensions­besitzern. Die tersuchen sein wird, da die quellenmäßige „Aktion Rose“ dauerte insgesamt zwanzig Überlieferung „dünn“ und der Zugang über Tage. Die eingesetzten VP-Angehörigen noch lebende Zeitzeugen äußerst klein ist durchsuchten 711 Häuser und nahmen und naturgemäß immer kleiner werden 447 Menschen fest. Insgesamt wurden wird. Die vorgenommen Kassationen durch 440 Hotels und Pensionen sowie 181 das MfS verschlechtern die Forschungsla- Gaststätten, Wohnhäuser und Grundstü- ge zu diesem Thema zusätzlich.71 cke an der Ostseeküste beschlagnahmt. Inwieweit die „Aktion Rose“ auch das Land Brandenburg betraf, muss an dieser Stelle noch offen bleiben. Es ist aber anzuneh- 5. Zum Elitenwechsel nach 1945 men, dass einerseits VP-Angehörige aus den brandenburgischen Bezirken zu die- Einer der ersten Schritte für die Schaffung ser Großaktion hinzugezogen wurden; an- einer „neuen Polizei“ bedeutete nach dem dererseits wahrscheinlich auch ähnliche Ende des Zweiten Weltkrieges die Abschaf- Aktionen – jedoch nicht im gleichen Um- fung des Berufsbeamtentums im besiegten fang wie an der Ostseeküste – in der bran- Deutschland. In allen Be­satzungszonen denburgischen Region stattgefunden ha- wurden zahlreiche Beamte „wegen ihrer ben.69 Mitgliedschaft in der NSDAP oder ihrer ho- hen Dienststellungen automatisch in Arrest genommen oder von ihren Positionen (2003), Geheimdienste, S. 49-251.

68 Broszat/Weber (1990), SBZ Handbuch, 70 Lindenberger (2003), Volkspolizei, S. S. 207-217; Marquardt (1995), En- 70. quete-Kommission, S. 655-760; Eppel- mann/Möller/Nooke/Wilms (1997), 71 Vgl. zu den Beziehungen zwischen MfS DDR-Sozialismus, S. 639. und VP auch Mörke (2005), Zusam- menarbeit VP und MfS, Lindenberger 69 Kaemmel (1990), Aktion Rose, S. 9. (2003), Volkspolizei. S. 70-84.

22 entfernt“.72 Die alliierten Sieger waren an- schlossen. Die bisherigen Gehälter und fangs in ihren Be­satzungszonen bestrebt, Pensionen der Beamten wurden deutlich die traditionellen Privilegien des deutschen reduziert und diese an die Gehalts-, Lohn- Berufs­beamtentums abzuschaffen und da- und Rentenklassen der Angestellten des mit zugleich eine Neuordnung des öffentli- öffentlichen Dienstes angepasst. Die Be- chen Dienstes vorzunehmen. Während in seitigung des Berufsbeamtentums für ge- den westlichen Besatzungszonen diese samte SBZ regelte schließlich der Befehl Bestre­bungen aber im weiteren Verlauf auf- der SMAD vom 17. September 1945, der grund der sich anbahnenden Systemkon- das in der NS-Zeit verfasste Beamtenrecht frontation im Rahmen des Kalten Krieges annullierte und damit das NS-Gesetz zur „im Sande verliefen“ und das Berufsbeam- Wiederherstellung des Berufsbeamtentums tentum mit einer hohen Kontinuität de facto vom 17. April 1933 und das Beamtengesetz weiterexistieren konnte, erfolgte in der SBZ vom 26. Januar 1937 aufhob. Drei Tage ein radikaler Bruch mit den deutschen später, am 20. September 1945, kam es Staatstraditionen. Für die Polizei traf das dann mit dem alliierten Kontrollratsgesetz in allen Ländern und Provinzen der SBZ in Nr. 1 zur Aufhebung des Beamtenrechts in einem hohen Maße zu. Es darf aber auch allen Besatzungszonen. Damit waren die nicht übersehen werden, das alte beam- personalpolitischen Weichen für eine um- tenrechtliche Bestimmungen indirekt in fassende Umgestaltung und Neustrukturie- neuen Gesetzen und Verordnungen der rung sowohl der öffentlichen als auch inne- SBZ restauriert oder gleichsam „mitge- ren Verwaltung gestellt. Mit welcher schleppt“ wurden: „Vor allem in denjenigen Intensität und in welchem Umfang der Eli- Landesverwaltungen, in denen Politiker tenwechsel vorgenommen wurde, war dann aus den bürgerlichen Parteien in Spitzen- Sache der jeweiligen Siegermacht. In der stellungen gelangt waren, blieb bis 1948 SBZ vollzog sich dieser Wechsel auf radi- ein hinhaltender Widerstand gegen die kale Weise.74 von KPD und SED im Einklang mit der SMAD verfolgte Beseitigung des Berufsbe- Wie die Auswechslung der Eliten vonstat- amtentums bestehen.“73 ten ging, erklärte im Oktober 1946 der SED- Funktionär und später in Ungnade gefalle- Im Hinblick auf die gesamte SBZ wurden im ne DDR-Justizminister, Max Fechner August 1945 die ersten Verordnungen über (1892-1973), auf einer Kundgebung der den „Neuaufbau der öffentlichen Verwal- Polizei im Ost-Berliner „Admiralspalast“. tung“ erlassen. Eine Schrittmacher- und Die SED-Parteizeitung „Neues Deutsch- Vorbildfunktion für die anderen Länder und land“ berichtete darüber am 18. Oktober Provinzen übernahm das Land Sachsen unter der Überschrift „Nie wieder Himmler- mit der Verwaltungsverordnung vom 17. Polizei“. Im Bericht heißt es: „Zu Beginn August 1945. Diese proklamierte, dass der seiner Ausführungen gab Fechner einen gesamte Verwaltungsapparat des NS-Staa- Ueberblick über den Neuaufbau tes zu bestehen aufgehört habe und kün- und wandte sich dann den Problemen der digte zugleich den Aufbau einer qualitativ neu entstandenen Polizei zu. Er stellte fest, ganz neuen Verwaltung an. Die Verordnung daß es notwendig war, vom Oberleutnant bestimmte zudem konkret, dass aus der aufwärts alle Führer der ehemaligen Polizei Zugehörigkeit zur früheren Verwaltung kein zu entlassen, auch wenn sie nicht Nazis Anspruch auf eine Wiederverwendung er- waren. Bei der Wiedereinstellung in die Po- wachsen würde. In allen Bereichen der öf- lizei waren das fachliche Können und die fentlichen Verwaltung wurde eine sechswö- charakterliche Einstellung ausschlagge- chige Kündigungsfrist eingeführt und eine bend. Außerdem wurden Polizeibeamte Berufung in das Beamtenverhältnis ausge- eingestellt, die 1933 von den Nazis entlas- sen waren und sich in der Naziära nicht fa- 72 Broszat/Weber (1990), SBZ Handbuch, S. 207. 74 Broszat/Weber (1990), SBZ Handbuch, 73 Ebenda. S. 207-208.

23 schistisch betätigt hatten. 38 Prozent der und politische „Erziehungsarbeit“ bis weit in ehemaligen Polizisten und 27½ Prozent die sechziger Jahre hinein eine große Rolle Kriminalisten sind wieder im Dienst. Die in der Personalpolitik („Kaderpolitik“) ge- sich in der Anfangszeit eingeschlichenen spielt hatte. In der Gesamtsicht, war das dunklen Elemente werden weiterhin radi- entscheidende „Elitemerkmal“ und Zeichen kal und konsequent aus den reihen der der politischen Zuverlässigkeit demnach Volkspolizei ausgestoßen. Die neue Poli- die Herkunft aus der Arbeiterklasse. Im zei muß in Deutschland die neue Ordnung Jahre 1949 entstammten 83 Prozent der verkörpern.“75 Darüber hinaus äußerte sich Volkspolizisten der Arbeiterklasse und 86 Fechner auch über die Verbrechensbe- Prozent gehörten der SED an. Der Aufbau kämpfung, die Personalstärken und die der Volkspolizei stellt sich, so der Historiker Zahl der Opfer bei der Polizei bis Oktober Thomas Lindenberger, „als das historisch 1946: Er gab bekannt, so der ND-Bericht, einmalige Experiment dar, eine flächende- „daß im Kampf gegen das Verbrechertum, ckende Polizeiexekutive aufzu­bauen, die das nach dem Ende des Nazireiches be- fast ausschließlich aus berufsfremden Per- sonders stark zutage trat, der Volkspolizei sonen besteht.“77 nur 17000 Angehörige zur Verfügung ste- hen, gegenüber 85000 Mann in der Nazi- zeit. Trotzdem sind die Verbrechen bereits in dem einen Jahr (seit 1. Juni 1945 – B.C.) 6. Konfliktverhalten: Der 17. Juni 1953 um 20 Prozent zurückgegangen. 19 Poli- zisten und 1 Kriminalbeamter gaben in die- Der gegenwärtige Forschungsstand lässt ser Zeit ihr Leben in ihrem aufopferungsvol- erkennen, dass bisher das Konfliktverhal- len Dienst hin.“76 ten der Volkspolizei in Krisensituationen im Land Brandenburg im Kontext des Volks- Wie radikal war nun aber der Elitenwechsel aufstandes vom 17. Juni 1953 gut erforscht wirklich? Personell gab es bei der Volkspo- ist. Andere Krisensituationen wie die 1. Ber- lizei in der Tat so etwas wie einen „nahezu linkrise (1948/49), die Aus­wirkungen des vollständigen Neuanfang“ nach dem Ende Jahres 1956 oder der Mauerbau von 1961 des Zweiten Weltkriegs. Sowohl die Beam- sind jedoch bisher noch weitgehend „unter- ten des NS-Staates als auch die Beamten belichtet“ geblieben. Um jedoch die Mög- der Weimarer Republik wurden weitgehend lichkeiten dieses Themenfeldes aufzuzei- verdrängt. Es zählte in dieser Zeit nicht die gen, wird im Folgenden der 17. Juni 1953 professionelle Ausbildung, sondern vor al- mit den Ursachen, Hintergründen und sei- lem musste der Kandidat politisch zuver- nem Verlauf in den brandenburgischen Be- lässig sein und möglichst seine soziale zirken abrissartig vorgestellt: Herkunft in der Arbeiterklasse haben. So kam es, dass nach 1945 in einem beträcht- Die schon im 3. Abschnitt erwähnten weit- lichen Umfang eine Polizeiexekutive etab- reichenden Entscheidungen in Moskau, liert wurde, die sich überwiegend aus be- Anfang April 1952, führten unter anderem rufsfremden Personen zusammensetzte. zur offiziellen Verkündung des Militarisie- Die Fluktuation war hoch und die Zusam- rungskurses auf der 2. SED-Parteikonfe- mensetzung erwies sich in manchen Regi- renz. Auf der vom 9. bis zum 12. Juli 1952 onen als eine erstaunlich bunte Mischung stattfindenden Parteikonferenz wurde- zu von „Gelegenheits­polizisten“. Die Perso- dem der Aufbau der Grundlagen des Sozia- nalakten zeigen, dass die disziplinarische lismus beschlossen. Wenige Tage zuvor, am 1. Juli 1952, kam es zur Umbildung der militärisch organisierten Polizeiverbände 75 ND v. 18.10.1946, S. 5. zur Kasernierten Volkspolizei­ (KVP). Zu 76 Ebenda. Vgl. hierzu auch den Vergleich diesem Zeitpunkt befanden sich die militäri- der Nachkriegspersonalstärken und des Ausbildungsniveaus der Polizei in Ost und West bei Fürmetz (2001), 77 Lindenberger (2003), Volkspolizei, S. Nachkriegspolizei, S. 15-16. 40.

24 schen und nichtmilitärischen Polizeiorgane Eine effiziente Führung bekamen die Frei- der DDR im Großeinsatz, da die am 26. Mai willigen Helfer dann wenige Monate später 1952 erlassenen Maßnahmen zur Etablie- durch die Schaffung des Systems der rung eines schärferen Grenzregimes an Abschnitts­bevollmächtigten (ABV). Der der innerdeutschen Grenze umgehend um- Chef der Deutschen Volkspolizei ordnete gesetzt wurden. Damit ließ die SED-Füh- den Aufbau dieses Systems am 10. De- rung entlang der fast 1.400 Kilometer lan- zember 1952 an. Die ABV fungierten als gen deutsch-deutschen Grenze eine fünf unmittelbares Bindeglied zur Bevölkerung Kilometer breite Sperrzone errichten und in ihrem jeweiligen Abschnitt und waren da- erklärte die Zonengrenze zur Staatsgrenze mit zugleich auch ein unmittelbares Kont- der DDR. Von den Maßnahmen waren ca. rollorgan. Über die ABV bekamen die Frei- 350.000 Menschen in etwa 500 Ortschaf- willigen Helfer „dann ihre dauerhafte ten betroffen. Unter der zynischen Bezeich- Anbindung innerhalb der Hierarchie der nung „Aktion Ungeziefer“ wurden den gan- DVP.“80 zen Sommer über insgesamt etwa 12.000 Menschen gezwungen, ihr Haus, ihren Hof Doch an dieser Stelle noch einmal zurück oder die Wohnung für immer zu verlassen. auf die Wirkungen des längst schon laufen- Wie schon erwähnt, war die Volkspolizei in den Aufbaus der 300.000-Mann-Armee und diese „Aktion“ voll eingebunden. Die Poli- der Rüstungsindustrie. Die unmittelbaren zeiführung des Landes Brandenburg kom- Militärausgaben stiegen rasant in die Höhe. mandierte beispielsweise bis zum Juli 1952 Bis Mitte 1953 lagen die Militär- und Rüs- zahlreiche VP-Angehörige aus allen Dienst- tungsausgaben insgesamt bei stattlichen 2 bereichen zur Absicherung der Zwangsräu- Milliarden Mark. Um die Dimension dieser mungen und Kontrollaufgaben an die inner- außerordentlichen finanziellen und materi- deutsche Grenze ab.78 ellen Belastungen ansatzweise beurteilen zu können, sollte man sich vor Augen füh- Im Zusammenhang mit der „Aktion Unge- ren, dass allein nur für den Wiederaufbau ziefer“ kam es im August 1952 zur Ernen- und die Neugestaltung der kriegszerstörten nung der ersten Freiwilligen Grenzpolizei- Städte Anfang der fünfziger Jahre mehr als helfer. Etwa einen Monat später, am 25. 4 Milliarden Mark vorgesehen waren. Nun September, folgte auch die Volkspolizei wurden Investitionen umverteilt, Mittel ge- diesem Beispiel und es wurden nun auch kürzt oder gestrichen. Der Aufbau der Ar- bei der DVP die ersten Freiwilligen Helfer mee bedeutete die massenhafte Rekrutie- (FH) zugelassen. In der Regierungsverord- rung von jungen und qualifizierten nung hieß es hierzu einführend, dass mit Arbeitskräften, die von überall abgezogen der Zulassung der freiwilligen Helfer den wurden und so die schwierige Arbeitskräf- vielfachen Wünschen der Bevölkerung ent- telage zusätzlich verschärften. Für die öf- sprochen wurde. Hinter den „vielfachen fentliche Volkspolizei bedeutete das unter Wünschen“ steckte weniger die Bevölke- anderem, dass tausende jüngerer Volkspo- rung, sondern vielmehr „die aktivistisch ge- lizisten in die militärischen Polizeiformatio- stimmte SED-Basis in Betrieben und Ge- nen wech­selten. Bei der Zuteilung von meinden, die in den Monaten nach der II. materiellen Ressourcen und den Personal- Parteikonferenz im Juli 1952 begann, sich zuführungen ging die DVP in den Folgemo- auf ehrenamtlicher Basis an der Sicherung naten leer aus bzw. musste sie erhebliche des sozialistischen Aufbaus zu beteiligen.“79 Abstriche hinnehmen.81

78 Vgl. insgesamt bei Bennewitz/Potratz 80 Diedrich/Ehlert/Wenzke (1998), Hand- (2000), Zwangsaussiedlungen; Died- buch, S. 638-639; Lindenberger (2001), rich (2002), DDR-Grenzausbau, S. 19- Vaters kleine Helfer, S. 235. 21; Grafe (2002), Grenze durch Deutschland, S. 35-59; Ciesla (2003), 81 Thoß (1994), Volksarmee, S. 306-336; Freiheit, S. 19-20. Diedrich/Wenzke (2001), Getarnte Ar- mee, S. 264-315; Lindenberger (2003), 79 Führmetz (2001), Nachkriegspolizei, S. Volkspolizei, S. 44 und 164; Steiner 229. (2004), Plan zu Plan, S. 75-76; Ciesla

25 Die ersten deutlichen Krisensignale zeigten sie einfach überrannt und entwaffnet. Das sich in der DDR bereits im Herbst 1952. Es Versagen hing auf jeden Fall nicht mit der gab massive Engpässe in der Bevölke- zur Verfügung stehenden Zahl der Volkspo- rungsversorgung und die Wirtschaft kam lizei zusammen. Kurz, wenn es etwas zum im Hinblick auf die rüstungsbedingten „au- damaligen Zeitpunkt im Überfluss gab, ßerplanmäßigen“ Aufträge und Bedarfsan- dann waren es Sicherheitskräfte. Immerhin forderungen in große Produktions- und verfügte die SED-Führung im Frühsommer Lieferschwierigkeiten. Insgesamt blieb die 1953 über einen Sicherheitsapparat von et- Produktion von Rohstoffen und industriel- wa 250.000 Mann, d. h. auf 70 DDR-Bürger len Vorleistungen 1952/53 zurück, was kam ein Angehöriger der bewaffneten sich wiederum auf den Export und die In- Staatsorgane. Davon befehligte die HVD- vestitionen auswirkte. Das wirkte sich VP mehr als 90.000 Mann. Zur KVP gehör- nachhaltig auf die Industrieproduktion aus ten zu diesem Zeitpunkt rund 113.000 und zog weitere Produktionsdefizite und Mann. Also, es wären genügend Kräfte vor- Rückstände nach sich. Es fehlt neben den handen gewesen, um den Aufstand nieder­ Rohstoffen, Materialien und Gütern, vor zuschlagen. In der Konsequenz zeigt sich allem auch am Geld. Ein sich gefährlich hierbei das von Anfang bis Ende bestehen- aufschaukelnder Prozess. Anfang 1953 de Grunddilemma der Volkspolizeiführung: musste die SED-Führung Moskau davon Der bewaffnete Einsatz der Volkspolizei ge- in Kenntnis setzen, dass die DDR-Wirt- gen die „eigenen“ Arbeiter, gegen das schaft durch die Gleichzeitigkeit von Re- Volk.83 parationsleistungen, Reservebildungen, Exportver­pflichtungen, Aufrüstung, Aufbau Insgesamt waren die regionalen Polizeibe- der Grundlagen des Sozialismus und hörden nur ungenügend auf die plötzlich Bevölkerungs­versorgung überfordertet sei. ausbrechenden Massenproteste vorbereitet Die Führungsspitze der DDR bat um Hilfe: gewesen. Während am 17. Juni 1953 in der einerseits sollten vor allem die sowjeti- Stadt Cottbus die Werkssirene des Reichs- schen Reparations­zahlungen reduziert bahnausbesserungswerkes (RAW) um werden; andererseits wurde die Sowjetuni- 10.30 Uhr ertönte und die Arbeiter zum on darum gebeten, dass sie auf die Ent- Streik aufrief, trafen sich im Volkspolizei- schädigungszahlungen für die an die DDR kreisamt die leitenden Mitarbeiter, um in ei- zurückgegebenen deutschen Betriebe ver- ner langen Versammlung das Kommuniqué zichtete. Doch erst nach dem Tod Stalins des ZK der SED vom 9. Juni gemeinschaft- erfolgte eine deutschlandpolitische Kehrt­ lich auszuwerten. Von der tatsächlichen La- wendung und die Sowjetunion begann ein- ge in der Stadt war den Polizeioffizieren so zulenken. Allerdings fand dieses Einlenken gut wie nichts bekannt. Erst mit dem Eintref- zu spät statt, wie der Volksaufstand im Juni fen der Meldung, dass sich die Arbeiter des 1953 dann verdeutlichte.82 RAW zu einem Protestzug in Richtung In- nenstadt formierten, begann man im VPKA Der Juniaufstand erwies sich für die VP lan- Vorbereitungen für Sicherungsmaßnahmen desweit und vor allem auch im Hinblick auf einzuleiten. Zu diesem Zeitpunkt gab es we- die brandenburgischen Bezirke als ein De- der eine Einsatzleitung in Cottbus noch bakel. Doch nicht nur die VP, sondern auch herrschte irgendwelche Klarheit darüber, die KVP versagte. Beide Organisationen wie auf die Demonstration von Seiten der wurden vielerorts überrascht, reagierten zu Polizei reagiert werden sollte.84 spät oder nicht angemessen. Dem aufbe- gehrenden Volk konnten sie nichts entge- gensetzen. In nicht wenigen Fällen wurden 83 Diedrich (2003), Waffen, S. 166-167; Lindenberger (2003), Volkspolizei, S. (2008); Korea. 55-56.

82 Ciesla (2003), Freiheit, S. 18-29; Stei- 84 Brandenburgisches Landeshauptar- ner (2004), Plan zu Plan, S. 73-82; chiv (BLHA), Rep. 871/17, Signatur 10, Ciesla (2003), Korea. Bl. 234-237.

26 Die von den verschiedenen Polizei-Bezirks- stand gestellt und die Herabstufung der direktionen überlieferten Fernschreiben­ Staatssicherheit damit begründet. Es sollte zeigen sehr deutlich, dass beispielsweise hierbei jedoch zugleich berücksichtigt wer- konkrete Anweisungen an die Kreise in den den, dass schon vor dem 17. Juni über ei- drei brandenburgischen Bezirken in höchst nen Machtzuwachs der Staatssicherheit unterschiedlicher zeitlicher Folge abgesetzt durch eine Umstrukturierung nach sowjeti- wurden. Die Polizei-Bezirksdirektion in schem Vorbild nachgedacht wurde. Konkret Cottbus löste die höchste Alarmstufe bei- war vorgesehen, „der Staats­sicherheit im spielsweise erst um 15.00 Uhr am 17. Juni Gewand des Innenministeriums einen noch für den Bezirk aus. In Potsdam war das größeren Einfluss zu sichern.“88 Mit ande- wiederum schon um 5.40 Uhr morgens ge- ren Worten, die Staatssicherheit sollte als schehen. Das dürfte mit der unterschiedli- Staatssekretariat des MdI – so die Überle- chen Nähe zu Berlin zusammengehangen gungen vor dem 17. Juni 1953 – in der Öf- haben.85 Der Chef der Volkspolizei, Karl fentlichkeit nicht so dominierend erschei- Maron, resümierte hierzu im Juli 1953, dass nen, aber zugleich unauffälliger über das die Warnungen vielfach gar nicht ernst ge- Innenministerium die eigenen Machtbasis­ nommen wurden.86 „Oft wurde der Alarm an weiter ausbauen.89 die VPKÄ nicht weitergegeben, häufig zog man nicht einmal die VP-Kräfte zusammen. In einem Bezirk sei der Alarmzustand für die Strafanstalten sogar zurückgenommen 7. Praxisfelder – Polizei und Straße worden, weil man diese nicht für gefährdet hielt. Nirgendwo glaubte man an spontan Aus der Reihe der möglichen polizeilichen ausbrechende Unruhen, und da über Be- Praxisfelder wurde für die Studie das Pra- fehle in der DVP wie in der KVP das RIAS- xisfeld Straße und die Rolle der Verkehrs- Hören strengstens untersagt war, befand polizei im Land Brandenburg ausgewählt, man sich gegenüber den Protestierenden da es sich hierbei um ein bislang uner- zudem im Informationsrückstand.“87 forschtes Thema handelt. Es gibt keine re- gionalen Untersuchungen über die Interes- Die bis zum 17. Juni 1953 gängige Praxis, sen und Strategien von Volkspolizei und dass die Belange der regulären Polizei Bevölkerung im Kontext der „Straßen- und nachrangig waren, änderte sich nach dem Verkehrspolitik“. Sowohl bei der vorrangig Aufstand grundlegend. Nun wurden eine „handlungsorientierten historischen Polizei- Verstärkung der nichtmilitärischen Volkspo- forschung“ als auch bei der Verkehrsge- lizei und eine bessere Einsatzkoordinierung schichtsforschung ist das Thema „Polizei gefordert. Die Herabstufung der Staatssi- und Straße“ bis heute ein thematisches cherheit von einem Ministerium zu einem „Randphänomen“ ge­blieben.90 Staatssekretariat unter dem Dach des MdI schien zudem eine Aufwertung der Volks- Dieser Forschungsstand ist umso verblüf- polizei anzuzeigen. Die VP hatte zwar auch fender, da das Straßenverkehrsverhalten versagt, aber nach außen hin sichtbar wur- der Bevölkerung und die damit einherge- den nur die Staatssicherheit und die Partei- zeitung „Neues Deutschland“ durch eine 88 Engelmann/Kowalczuk (2005), Volks- „Degradierung“ bzw. die Ablösung des erhebung, S. 163. Staatssicherheitsministers und des ND- 89 Ebenda. Chefredakteurs bestraft. Auch wurde die Schuldfrage im Hinblick auf den Volksauf- 90 Zum Thema „Straßen- und Verkehrs- politik“ unter der Berücksichtigung der Polizei liegen inzwischen zwei Ar- beiten vor, die als Ausgangsbasis für 85 BLHA, Rep. 871/17, Signatur. 10, Bl. 2, eine künftige Untersuchung der bran- 4-5. denburgischen Verhältnisse nach 1945 Diedrich (2003), Waffen, S. 173. dienen können. Vgl. Lindenberger 86 (1995), Straßenpolitik; Fürmetz (2001), 87 Ebenda. Nachkriegspolizei, S. 199-226.

27 hende polizeiliche Tätigkeit auf einzigartige zeiliche Autorität im historischen Kontext Weise den Alltag der Be­völkerung und den möglich sind. Die Verhaltensweisen der Ver- der Polizei widerspiegeln. Der Untersu- kehrsteilnehmer im Verkehrsalltag bieten chungsgegenstand „Straße“ bietet auf- Rückschlüsse auf das Entscheidungs- und schlussreiche Einblicke in die verschiedenen Konfliktverhalten von Polizeiange­hörigen. „kollektiven Lebens- und Arbeitswirklichkei- Mangelnde Verkehrsdisziplin ergeben wie- ten“ sowohl der ost­deutschen Bevölkerung derum Indikatoren für die jeweiligen gesell- und als auch der Volkspolizei. Es zeigt sich schaftlichen Verhältnisse. Gerade in Um- dabei, dass über das Verkehrsverhalten bruchzeiten lassen sich musterhaft Faktoren der Bevölkerung sowohl der gesellschaftli- aufzeigen, die das Verhalten sowohl der che Wandels­prozess als auch die Entwick- Verkehrsteilnehmer als auch der Verkehrs- lung der Institution Volkspolizei betrachtet polizisten bestimmen. Besonders deutlich und auf innovative Weise erklärt werden wurde der Zusammen­hang zwischen Ver- kann.91 Der „Konfliktort Straße“ erweist sich kehrsverhalten und polizeilicher Autorität vor allem als „ein erstklassiges Testgelände beispielsweise in der Besatzungszeit (1945- für die polizeiliche Alltagspraxis und deren 1949) und in der Endphase der DDR Wahrnehmung seitens einer nahezu unbe- (1989/90) bzw. der Frühphase der fünf neu- schränkten Klientel. Denn anders als im en Bundesländer (1990/91). Bereich der Kriminalitätsbekämpfung oder bei Maßnahmen gegen gesell­schaftliche Auf beide Zeiträume soll nachfolgend kurz Randgruppen tritt der Polizei im Straßen- eingegangen werden. Zuerst zur Umbruch- verkehr jede Person ungeachtet ihrer sozi- phase 1989 bis 1991. Welche Situation gab alen Stellung als Weisungs­empfänger und es vor zwei Jahrzehnten im Berlin-Bran- potentieller Normverletzer gegenüber.“92 denburger Raum und wie gingen Polizei Dieser Zugang ermöglichte es, ein Stück und Verkehrsteilnehmer miteinander um? der Sozialgeschichte des Alltags in der Die Presse konstatierte damals beispiels- SBZ/DDR „freizulegen“, das wiederum weise, dass auf den ostdeutschen und Ber- auch ein Stück Sozialgeschichte der Volks- liner Straßen eine „Atmosphäre der Ge- polizei in der sich formierenden staatssozi- setzlosigkeit“ herrschen würde. In den alistischen Gesellschaft zwischen 1945 und Medien wurden die rapide steigenden Ver- 1961 ist. kehrsunfallzahlen und mangelhafte Ver- kehrsdisziplin im Zusammenhang mit dem Bemerkenswert ist bei dieser Thematik, aggressiv-rücksichtlosen Verkehrsverhalten­ dass vor allem Erkenntnisse über die poli- und dem eklatanten polizeilichen Autori- tätsverfall gesehen. Im Jahre 1990 gab es im Bereich der Verkehrspolizei massenhaft 91 Welche Ansätze und Möglichkeiten Vorfälle und Meldungen über polizeiliche sich bieten, verdeutlichen neuere Un- tersuchungen über die deutsche Ver- Autoritätsmissachtung sowie „Widerstand kehrspolitik nach 1945, die Massen- gegen die Staatsgewalt“. Beides stand wie- motorisierung, Mobilität und die derum im engen Zusammenhang mit Ge- Verkehrserziehung. Vgl. Koch/Walter (1978), Verkehrserziehung; Echterhoff schwindigkeits- und Alkoholdelikten. Der (1990), Geschichte der Verkehrspsy- Hintergrund hierfür war der ungestüme Mo- chologie; Klenke (1993), Verkehrspoli- bilitätsdrang der Bevölkerung nach der tik; Grandke (1994), Verkehrserzie- „friedlichen Revolution“ gegen den SED- hung; Südbeck (1994), Motorisierung; Kuhm (1995) Eilige Jahrhundert; Klen- Staat. Ein Effekt dieses Umbruchprozesses ke (1995), Freier Stau; Kühne (1996), war eine Verkehrsdisziplin in der Bevölke- Massenmotorisierung; Kuhm (1997), rung, die im Osten gegen „Null“ tendierte. Moderne und Asphalt; Dienel/Trisch- ler (1997), Zukunft des Verkehrs; Es wurde der „Krieg auf dem Asphalt“ oder Dienel/Schmucki (1997), Mobilität für der „Sittenverfall auf den Berliner Straßen“ alle; Schmucki (1998), Verkehrsfluß; – wo „gerast, gesoffen und gestorben“ wird Zeller (2002), Straße; Doßmann (2003), Begrenzte Mobilität. – konstatiert und zugleich mehr polizeiliche Autorität und Durchsetzungskraft gefor- 92 Fürmetz (2001), Nachkriegspolizei, S. 200.

28 dert.93 Doch der Ruf nach „mehr“ Polizei gleichen Zeitraum 1989. Dabei stieg die wurde angesichts der starken Diskreditie- Zahl der Toten sogar um 61 Prozent (!) von rung der Volkspolizei zugleich auch über- 673 auf 1.083. Die Zahl der Verletzten aus kritisch gesehen. Aufgrund der nahm um 61,2 Prozent auf 23.366 zu. Die zusammen­gebrochenen alten Befehls- und Bilanz der Verkehrspolizei der DDR weist Weisungs­strukturen, der Übernahme von nach, dass 3.299 Unfälle (11 Prozent) von Führungs­positionen durch Polizeibeamte Fahrern aus der BRD und West-Berlin ver- aus dem Westen und den weitreichenden ursacht worden sind. Dabei gab es 155 personellen Evaluierungsprozessen im Tote und 2.402 Verletzte. Als generell Rahmen der Vereinigung ergab sich neben wichtigste Unfallursache nennt die Ver- einer Identitätskrise zugleich auch ein gra- kehrspolizei der DDR mit 22,7 Prozent zu vierender Imageverlust für die Polizei. schnelles Fahren. Das entspricht einer Steigerung um 51,6 Prozent. Nach der Die Situation auf den Straßen im Land Missachtung der Vorfahrt (20,6 Prozent) Brandenburg und Berlin verdeutlicht exem- sind betrunkene FahrerInnen (9,9 Prozent) plarisch ein Zeitungsbericht vom 20. Juli die dritthäufigste Ursache. Dies entspricht 1990 über die Entwicklung der Verkehrsun- einer Zunahme um 69,7 Prozent. Auch das fälle in der DDR und des Verkehrsverhal- Imponiergehabe mit West-Wagen wird von tens nach dem Mauerfall. Hierzu heißt es: der DDR-Polizei als indirekte Unfallursache „Auf den Strassen der DDR wird gerast, ge- genannt.“94 soffen - und gestorben. Vor einer ‚katastro- phalen Entwicklung’ bei den Verkehrsunfäl- Verschiebt man nun den Fokus auf die Be- len hat jetzt die Volkspolizei im Bezirk satzungszeit oder auf die fünfziger Jahre, Potsdam gewarnt. Der Bezirkschef der Ver- so ergeben sich interessante Einblicke und kehrspolizei, Günter Fröhling, sagte am bislang nicht beachtete Zusammenhänge Mittwoch, die Zahl der Unfalltoten in den im Hinblick auf das Praxisfeld Straße, da ersten sechs Monaten dieses Jahres sei im darüber der Ordnungswille der neukonstitu- Bezirk im Vergleich zum Vorjahr um 24 Pro- ierten Polizei, aber auch das Mobilitäts- zent auf 103 gestiegen. Gemeinsam mit bzw. Verkehrsverhalten der Bevölkerung dem Bezirk stehe der Transitbezirk und der Angehörigen der sowjetischen Potsdam an der Spitze. Zunehmend werde Besatzungsmacht vorgestellt und analy- das Tempolimit ‚bewusst ignoriert’. Weitere siert werden kann. Primär ging es darum, Ursache der Unfall -Lawine ist für Fröhling Ordnung und Sicherheit im öffentlichen die starke Zunahme des Verkehrs seit den Straßenverkehr zu gewähr­leisten und die Grenzöffnungen. Allein am Wochenende Verkehrsteilnehmer zu einem „gefähr- hatte die Polizei Potsdam 41 schwere Un- dungsfreien Fahr- und Gehverhalten“ zu fälle registriert. Vier Menschen starben, 45 veranlassen. Letzteres erwies sich in den wurden zum Teil schwer verletzt. Auch ersten Nachkriegsjahren aufgrund der cha- DDR-weit ist die Zahl der Verkehrsunfälle otischen Verkehrs­bedingungen, eines dy- und der Unfallopfer in den ersten sechs namischen Mobilitäts­ ­verhaltens der Bevöl- Monaten dieses Jahres dramatisch gestie- kerung und einer immer wieder gegen gen. Genau 32.712 Unfälle hat die Ver- Verkehrsregeln verstoßenden Besatzungs- kehrspolizei der DDR von Januar bis Juni macht als ein äußerst schwieriges Unter- 1990 registriert - 48,7 Prozent mehr als im fangen.95

93 RIAS-Reportage über Autoritätspro- Eine ergiebige Quelle stellen beispielswei- bleme der Volkspolizei im Kreis Pots- se die im Bestand der Bezirksbehörde der dam, 28. Mai 1990, Archiv Deutsch- landradio; TAZ v. 1.8.1990, S. 23; TAZ v. Deutschen Volkspolizei Potsdam überlie- 16.8.1990, S. 4; TAZ (Ost) v. 20.7.1990, ferten Tagesberichte über Vorkommnisse S. 6; TAZ v. 1.8.1990, S. 23; TAZ v. 27.8.1990, S. 21; TAZ v. 6.11.1990, S. 2; TAZ (Ost) v. 20.7.1990, S. 6. ND v. 14.11.1990, S. 3 und 7; TAZ v. 94 14.11.1990, S. 22; TAZ (Ost) v. 95 Fürmetz (2001), Nachkriegspolizei, S. 27.5.1991, S. 22. 212.

29 im Bezirk Potsdam dar. Hier können gleich da der sowjetische Lkw nicht auf seiner mehrere Praxisfelder untersucht werden. Fahrbahnseite fuhr; am 26. Juli 1953 wurde Zuerst fallen die massenhaften Meldungen ein sowjetischer Lkw auf der Autobahn Ber- von geflüchteten Bauern aus den verschie- lin-Charlottenburg gerammt, weil das Fahr- denen Kreisen des Bezirkes Potsdam auf, zeug nachts unbeleuchtet am Straßenrand die im Zusammenhang mit den verschärf- parkte. Nicht selten waren die sowjetischen ten Repressionen gegen die Einzelbauern Fahrer auch im Hinblick auf ihre Fahrpraxis 1952/53 standen. Neben gemeldeten „Re- überfordert oder sie fuhren nach Unfällen publikfluchten“ finden sich Meldungen über – solange das Fahrzeug noch fahrtüchtig das Verschieben von Nahrungsmittel und war – einfach davon. Diese Vorfälle kamen Industriewaren von und nach West-Berlin. vermehrt in der Besatzungszeit und den So verzeichnen die Rapporte unter den Ru- frühen fünfziger Jahren vor. Eines der briken „Wirtschafts­verbrechen“ oder „Ver- Hauptdelikte stellte hierbei das Fahren un- stöße gegen das Gesetz zum Schutze des ter Alkohol dar. Die Zahl der Verkehrstoten innerdeutschen Handels“ eine Vielzahl von war überdurch­schnittlich hoch.97 Schwarzmarktaktivitäten. Am 8. Mai 1953 ist im Rapport Nummer 127 beispielsweise In diesem Zusammenhang ist auf zeitge- vom VPKA Brandenburg die Meldung do- nössisches Bild- und Filmmaterial zu ver- kumentiert, dass der Gartenmeister Ernst T. weisen, auf dem Verkehrverhältnisse dar- im Auftrage der Inhaberin der Gärtnerei gestellt werden und wodurch wiederum Frieda V. versuchte, 3 Kilogramm Erdbee- Rückschlüsse und Interpretationen mög- ren nach West-Berlin zu verschieben: „Bei- lich sind. Um 1950 war beispielsweise das de Beschuldigten“, so der Rapport, „wurden Ost-Berliner „Adlergestell durch die Tei- festgenommen und Haftbefehl erlassen. lung Berlins zu einer permanenten Um- Die Abteilung K führt die weiteren Ermittlun- leitungsstraße geworden. Der starke Ver- gen.“ Die Rapporte verzeichnen zudem kehr wurde dominiert von Lastwagen und auch Gewaltverbrechen, Raubüber­fälle, Fahrzeugen der Besatzungsmacht. Auf Brände, Diebstähle, Munitionsfunde, Ver- dieser Straße gab es neben dem Fern- gewaltigungen, Fälle von illegalem Waffen- verkehr auch noch beträchtlichen Aus- besitz, wirkliche oder vermeintliche Sabota- flugsverkehr zum Berliner Müggelsee. geakte bis hin zu Selbsttötungs­versuchen. Durch den langsamen Schwerlastverkehr Aufgezeichnet wurden auch Angriffe auf wurden schnellere Autofahrer zum ‚leicht- Angehörige der Volkspolizei sowie Dienst- sinnigen Überholen’ verleitet, wodurch vergehen von VP-Ange­hörigen.96 Unfälle ‚schwerwiegenster Art’ entstanden. Bei ‚Großveranstaltungen’ entstand Stau Eine zentrale Meldekategorie stellen vor auf der nur 3,50 Meter breiten Straße ‚oh- allem die Verkehrsunfälle mit Personen- ne Mittelstreifen, wie in einer Studie betont schaden, Todesfolge, Fahrerflucht oder wurde.“98. Trotz des Fahrzeug- und Treib- wegen Trunkenheit am Steuer dar. Von stoffmangels stieg die Zahl der Unfälle, besonderem Interesse sind hierbei die ge- wie schon bemerkt, deutlich an. Ein Flug- meldeten Vorkommnisse mit Angehörigen blatt der Verkehrspolizei kündigte deshalb der sowjetischen Besatzungstruppen. In Ende der vierziger Jahre verkehrserziehe- nicht geringer Zahl verzeichnen die Rap- rische Maßnahmen an. Den Kraftfahrern porte Verkehrsunfälle mit Fahrzeugen der wurde die Unfallstatistik von 1947 (2516 sowjetischen Besatzungsmacht. Viele die- Autounfälle) und 1948 (3773 Autounfälle) ser Meldungen lesen sich etwa so: Am 19. bekanntgegeben und dann erklärt: „Kraft- Juli gegen 22.40 Uhr ist ein sowjetischer fahrer! … So geht es nicht weiter! DAR- Lkw in Potsdam-Babelsberg mit einem UM… Überprüfung der Fahrerlaubnis“.99 deutschen Omnibus zusammengestoßen,

97 Nach ebenda. 96 Brandenburgisches Landeshauptar- Doßmann, Begrenzte Mobilität, S. 84. chiv, Rep. 202 H, BDVP Rapporte 1953, 98 Signatur 158. 99 Schulze (2006), Grosse Buch VP, S. 25.

30 Beklagt wurde immer wieder rücksichtslo- macht werden. So sorgten die Amerikaner ses Fahrverhalten und Unkenntnis der dafür, „daß klassische verkehrspolizeiliche Verkehrsregeln. Auf der anderen Seite war Funktionen im Zuge der sogenannten Ent- der weitaus größte Teil der Bevölkerung polizeilichung der öffentlichen Verwaltung weiterhin auf die öffentlichen Verkehrsmit- aus dem Aufgabenbereich der Vollzugspoli- tel angewiesen. „Trittbrettfahrer in überfüll- zei ausgegliedert wurde. Konkret stand vor ten Straßenbahnen wurde in den meisten allem in Frage, ob Polizeibeamte weiterhin Städten zum Massendelikt. Trotz Straßen- Führerscheine erteilen und Kraftfahrzeuge schäden, Fahrbahnbeschränkungen und zulassen durften oder ob diese Melde- und nächtlichen Ausgangssperren lief jedoch Erfassungstätigkeiten nunmehr von den auch der Individualverkehr rasch wieder Landratsämtern bzw. von den frisch einge- an. Wer nicht zu Fuß unterwegs war, be- richteten kommunalen Ordnungs­ämtern zu nutzte angesichts der ‚fast völligen Lahm- besorgen seien. Wenn auch immer wieder legung des Kraftfahrzeugverkehrs’ zumeist von polizeilicher Seite betont wurde, die Fuhrwerke und Fahrräder, die ebenso wie Bündelung aller Verkehrs­zuständigkeiten in die übriggebliebene Autos und Motorräder der Hand eines einzigen Exekutivorgans in der Regel erhebliche Sicherheitsmängel habe für die effektive Kontrolle des Stra- aufwiesen.“100 ßenverkehrs oberste Priorität, war der Rückzug der Polizeiorgane aus der behörd- Doch ein Fahrrad zu besitzen bedeutete in lichen Verwaltung des Verkehrs langfristig der ersten Nachkriegszeit auch immer die nicht zu vermeiden“.102 Gefahr des Diebstahls oder der Requirie- rung. Die Geschichten über Fahrradkonfis- Diese Veränderungen bei den Rechts- zierungen durch sowjetische Soldaten sind grundlagen und Kompetenzen der Ver- Legende. Immer wieder findet sich in Veröf- kehrspolizei in der amerikanischen Besat- fentlichungen über das Kriegsende und die zungszone legt die Frage nach den Besatzungszeit jenes Bild einer Frau mit konkreten Entwicklungen in der SBZ/DDR Fahrrad und eines Rotarmisten in Berlin, nahe. So wäre es aufschlussreich zu fra- der gerade versucht, der Frau das Fahrrad gen, welches Instrumentarium zur Ver- gewaltsam wegzunehmen.101 kehrsdisziplinierung von der Besatzungs- macht zugelassen wurde? Was stand den Ohne Zweifel sind die sich im Land Bran- Verkehrspolizisten von den „vielfältigen Be- denburg entwickelnden Rechts­grundlagen strafungsmitteln der NS-Zeit“ nach 1945 und die polizeilichen Konzepte für den Stra- noch zur Verfügung? Waren gebühren- ßenverkehr von Interesse für die For- pflichtige Verwarnungen noch möglich? Im- schung. Wie bekamen also die Verwal- merhin untersagte Anfang 1946 beispiels- tungsbehörden und die Verkehrs­polizei die weise die amerikanische Militär­regierung chaotischen und katastrophalen Verhältnis- der Verkehrspolizei in ihrer Besatzungszo- se im öffentlichen Straßenverkehr in den ne das Mittel der „gebühren­pflichtigen Ver- Griff? Wer die frühen Bilder von Verkehrs- warnung“. Jeder Verkehrs­verstoss musste oder Schutzpolizisten betrachtet, dem fal- daraufhin zur Anzeige gebracht werden. len die Polizei-Armbinden mit deutscher Diese Regelung galt bis 1952.103 und russischer Aufschrift auf. In diesem Zu- sammenhang stellt sich die Frage, inwie- Die kurz vorgestellten bzw. angerissenen weit konkret mit deutschen Polizei- und Themen, die sich im Zusammenhang mit Verwaltungstraditionen gebrochen wurde. dem Praxisfeld „Straße“ ergeben, bieten – Für die amerikanische Besatzungszone wie eingangs des Abschnittes schon einmal kann ein solcher Traditionsbruch festge- zitiert – „ein erstklassiges Testgelände“: In- dem man Mobilität, Straßenverkehr und

100 Führmetz (2001), Nachkriegspolizei, S. 203. 102 Fürmetz (2001), Nachkriegspolizei, S. 209. 101 Ciesla (2006) Osten durch den Westen, S. 83. 103 Ebenda.

31 Verkehrsverhalten im Kontext von Ver- onen zwischen Polizei und Gesellschaft so- kehrsüberwachung, Verkehrsregelung und wie die verschiedenen Verhaltensweisen Verkehrserziehung in einem historischen und Motive der Volks­polizisten angemes- Zeitraum betrachtet, kommen längst ver- sen zu berücksichtigen? Auf welche Weise schüttete Problemzusammen­hänge hervor, können die Akteure einerseits als Herr- die früher tagtäglich waren bzw. den Alltag schaftssubjekte und andererseits als durchdrungen haben. Auf diese Weise kann Machtobjekte in den Mittelpunkt der Unter- sowohl das Verhalten und Handeln der Be- suchung gerückt werden? Wie lässt sich völkerung als auch der Volkspolizei „lesbar“ die „Binnenwelt“ der Volkspolizei sowohl und verständlich gemacht werden. Mit die- „von oben“ als auch „von unten“ betrach- sem Thema können gleichermaßen politi- ten? sche, polizeiliche, soziale und ökonomische Entschlüsselungen­ vorgenommen werden, Für eine gleichgewichtige historische Ana- da sich nach 1945 auch im Osten Deutsch- lyse der politischen Instrumentalisierung lands der Prozess der Massen­motorisierung der Polizeiorganisation und der Mehrdeu- vollzog. Natürlich geschah das nicht in glei- tigkeit von polizeilichen Haltungen und cher Weise wie im Westen Deutschlands, Handlungen im Staatssozialismus erscheint aber auch in den industriellen und urbanen es sinnvoll, den von der Sozialgeschichte Ballungsräumen der SBZ/DDR änderte sich benutzten Begriff des „Eigen-Sinns“ in die – wenn auch viel langsamer und unspekta- Untersuchung einzuführen. Ganz allgemein kulärer als in der Bundesrepublik – das po- wird darunter der deutende und Sinn pro- lizeiliche Praxisfeld „Straße“. Es verlor auch duzierende Aspekt von individuellen wie im Osten Deutschlands zunehmend die Be- kollektiven Handlungen in sozialen Bezie- deutung als sozialer Lebensraum und im hungen verstanden. Besser als mit Begrif- Gegenzug wuchs die Funktion als Ver- fen wie Widerstand, Verweigerung oder kehrsweg. In der DDR entwickelte sich Opposition ist mit dem Begriff „Eigen-Sinn“ ebenso wie in der Bundesrepublik der Stra- ein differenzierter Zugang zu Mentalitäten ßenverkehr zu einem erstrangigen „Prob- und alltäglichen Verhaltensweisen­ in Herr- lemfeld“, deren Konfliktpotential – ebenso schaftsinstitutionen möglich, die für Unter- wie im Westen Deutschlands – Staat und suchungen im Kontext der Herrschafts- und Gesellschaft zu destabilisieren drohten.104 Repressionsgeschichte primär erst einmal Der öffentliche Verkehrsgrund war auch in nicht in Frage kommen. Das Konzept „Ei- der SBZ/DDR eine „symbolische ‚Politik- gen-Sinn“ macht es aber möglich, auch in Arena’, in der individuelle wie kollektive Be- solchen Herrschafts­institutionen wie der dürfnisse als ‚Formen politischen Verhal- Volkspolizei die potentielle Mehrdeutigkeit tens’ artikuliert wurden.“105 von Haltungen und Handlungen unter den Aspekten der Widersetzlichkeit, der Ver- weigerung oder der stillen Opposition als Elemente des Verhaltens aufzudecken.106 8. Untersuchungsansatz „Herrschaft und Eigen-Sinn“ Immerhin reichen die als „Eigen-Sinn“ cha- rakterisierten Verhaltenweisen und Motive Gibt es einen praktikablen Forschungs­ „vom Übereifer der glühenden Idealisten ansatz, mit dem die Geschichte der Volks- und der egoistischen Nutzung der Möglich- polizei im Land Brandenburg als Herr- keiten einer aktiven Mitarbeit über äußer- schaftsgeschichte und als Sozial­geschichte lich loyales, aber innerlich distanziertes gleichermaßen dargestellt werden kann? Wie ist es möglich, die vielfältigen Interakti- 106 Vgl. einführend u. a. Lüdtke (1989), Alltagsgeschichte, derselbe (1991), Herrschaft als soziale Praxis, S. 9-63; 104 Baar/Petzina (1999), Deutsch-Deut- sche Wirtschaft, S. 153-156, ders. (1992), Sicherheit und Wohl- fahrt; ders. (1993), Eigen-Sinn; Linden- 105 Fürmetz (2001), Nachkriegspolizei, S. berger (1999), Herrschaft und Eigen- 200. Sinn, S. 13-44.

32 Verhalten bis hin zu passiven Formen der zwischen Bürger und Staat fungierte. Es ist Verweigerung, zu offener Dissidenz und deshalb nahe liegend, dass eine in diesem Gegenwehr.“107 Die durch „Eigen-Sinn“ mo- Bereich agierende Machtinstitution nicht al- tivierten Verhaltensweisen sind vor allem lein auf eine die Herrschaft sichernde Orga- durch ein ambivalentes Potential charakte- nisation reduziert werden sollte. Vielmehr risiert, d. h. sie können sowohl einen totali- ist es überaus sinnvoll, von vielen Berüh- tären Gestaltungs- und Herrschaftsan- rungspunkten, Interaktionen und Abhängig- spruch unterlaufen als auch einen keiten auszugehen und dabei dem soziolo- verhältnismäßig großen Raum für das Aus- gischen Konzept „Herrschaft als soziale handeln von Kompromissen oder Eigen- Praxis“ (Max Weber) zu folgen. ständigkeit sichern. Durch „Eigen-Sinn“ bei der Gestaltung der eigenen Lebens- und Bei der Untersuchung müssen aber immer Arbeitsverhältnisse konnten im Sinne der die drei entscheidenden Rahmenbedingun- Herrschaftssicherung durchaus deren Defi- gen Berücksichtigung finden, welche ab zite „systemtreu“ kompensiert werden, aber den fünfziger Jahren maßgeblich die Stel- zugleich wurden dadurch auch deren Ziele lung und Funktion der Volkspolizei in der und Ansprüche durchkreuzt bzw. individuell DDR prägten: (1) die Zugehörigkeit zum „um­definiert“.108 sowjetischen Herrschaftsbereich; (2) Über- schneidungen und Konkurrenz zur „Paral- Der hier kurz skizzierte Untersuchungsan- lelorganisation“ Staatssicherheit; (3) die satz hat sich inzwischen als tragfähig er- Nachrangigkeit der Volkspolizei aufgrund wiesen. Der Historiker Thomas Lindenber- der militärisch ausgerichteten Sicherheits- ger hat im Jahre 2003 eine erste politik. Diese drei Determinanten bestimm- Sozialgeschichte der Volkspolizei vorge- ten das Innen- und Außenleben („Binnen- legt und konnte die Praktikabilität dieses und Außenwelt“) der „Großorganisation“ Forschungsansatzes überzeugend unter Volkspolizei bei der Durchsetzung der „füh- Beweis stellen.109 Zudem stellen die ein- renden Rolle“ der SED, der Umsetzung der gangs „anvisierten“ Untersuchungszeiträu- Herrschafts­ansprüche und der Sicherung me (1945-1961/-63/-68/-71) der geplanten des Staates zwangsläufig und nachhaltig. polizeilichen Regional­geschichte ein über- Die Volkspolizei war per Definition ein „mili- aus „dankbares“ Untersuchungsfeld dar. tärisch-bürokratisch organisierter Herr- Gemeint ist hierbei die Auseinanderset- schaftsverband“, der als „bewaffnete Exe- zung mit der schon eingangs erwähnten kutive des SED-Staates“, dessen Herrschaft und für alle modernen Polizeiapparate cha- in der Gesellschaft sichern und erweitern rakteristischen doppelten Funktion der öf- sollte. Doch wie effizient war dieses Herr- fentlichen Polizei. Die Wahrnehmung der schaftsinstrument? In welchem Maße wur- Doppelfunktion durch die Volkspolizei ist de die Polizei im Staatssozialismus politisch im Kontext der politischen Vorgaben der instrumentalisiert? Welche Schere ergab SED und den damit einhergehenden Über- sich zwischen dem ideologischen Machtan- formungen zu untersuchen.110 spruch und der polizeilichen Alltagspraxis? Was bewirkte die nachrangige Stellung der Entscheidend für eine Geschichte der Volkspolizei im SED-Herrschaftssystem; Volkspolizei im Land Brandenburg zwi- was bedeuteten die Durchsetzung der „füh- schen 1945 und 1968 dürfte die Tatsache renden Rolle“ der Partei und der Versuch sein, dass der „öffentliche“ Polizeiapparat des Bruchs mit „bürgerlichen“ Traditionen der Volkspolizei direkt im Alltag verankert in der Binnenwelt der Volkspolizei und im war und damit zugleich als „Schnittstelle“ Verhältnis Volkspolizei-Gesellschaft?

Diese zuletzt gestellten Fragen dürften in 107 Ebenda, S. 23. Verbindung mit dem sozialgeschichtlichen 108 Ebd., S. 25. Forschungsansatz „Herrschaft und Eigen- 109 Lindenberger (2003), Volkspolizei. Sinn“ zu interessanten Ergebnissen und 110 Derselbe (1999), S. 168. Einblicken im polizeilichen Berufsbild im

33 Staatssozialismus führen. Eine für die er- Verkehrspolizei ist ohne Zweifel ein ergie- fahrungsgeschichtlichen Reflexionen des biges Forschungsfeld. eigenen Berufsbildes der heutigen Polizis- tinnen und Polizisten anregende Materie Zudem sollte in die künftigen Überlegungen sowie wichtige Ausgangsbasis bei der eige- einbezogen werden, ob zur Monographie nen Auseinandersetzung mit polizeilichen nicht auch eine begleitende Quellenedition Traditionen und Ansprüchen. herausgegeben wird, um auf diese Weise die inhaltliche Darstellung und Ergebnis­ präsentation der Monographie durch Doku- mente, „Polizei-Texte“ und Bilder transpa- 9. Resümee renter zu machen und die Aussagekraft zu verstärken. Hinzu kommt, dass die Verbin- Mit der Studie über die „Polizei im Staats- dung von Monographie und Quellenedition sozialismus“ sollte in erster Linie geprüft der polizeilichen Aus- und Fortbildung an werden, ob eine Monographie zur Ge- der FHPol eine gute Lehrgrundlage bieten schichte der Volkspolizei im Land Bran- würde, d. h. die künftigen Polizistinnen und denburg tragfähig ist. Zugleich wurden ein Polizisten könnten die polizeiliche Praxis Forschungsbericht, eine thematische Bib- und die damit verbundenen Wirkungen auf liographie und ein Projektantrag erarbeitet. verschiedenen Ebenen aus dem histori- Diese Aufgabenstellung bedeutete gene- schen Kontext heraus selbst rekonstruie- rell, dass mit der vorliegenden Studie kei- ren. ne Ergebnisse in Form einer abgeschlos- senen Arbeit vorgestellt werden. Die Studie lässt zudem die Erwartung zu, dass am Ende erklärt werden kann, welche Es wurde deutlich, dass die Thematik machtpolitischen Kriterien („Sollbestim- „Volkspolizei“ in der DDR-Geschichts- mungen“) den Aufbau der polizeilichen schreibung immer noch ein „Randphäno- Überwachungs- und Disziplinierungsins- men“ darstellt und hier ein dringender Än- tanz unter staats­sozialistischen Bedingun- derungsbedarf besteht. Im Hinblick auf gen bestimmt haben und welche Folgen das vorgesehene Projekt ist erkennbar ge- das konkret wiederum im Polizei- und Be- worden, dass bis heute die regionalspezifi- völkerungsalltag hatte. sche Polizeigeschichte in einem hohen Maße „unterbelichtet“ geblieben ist und Vielversprechend dürfte die Untersuchung mit dem Projekt vor allem Neuland betre- der polizeilichen Praxisfelder sein. Hier ten wird. Der gleiche Befund ergibt sich sind neue Erkenntnisse über die „Lebens- auch für den Forschungsstand über die und Arbeitswirklichkeit“ der brandenburgi- Geschichte der Volkspolizei in Branden- schen Volkspolizei im Kontext der Ord- burg nach 1971. nungssicherung, Alltagskriminalität und des Straßenverkehrs möglich. Diese Un- Die Literatur- und Archivrecherchen lassen tersuchungsansätze sind geeignet, eine erkennen, dass es eine vielfältige und um- innovative Darstellung der Entwicklung der fangreiche Materiallage für eine Monogra- Institution Volkspolizei im Rahmen des ge- phie über die Geschichte der Volkspolizei sellschaftlichen Wandels vorzulegen. Vor im Land Brandenburg gibt. Die Branden- allem dürfte sich das Praxisfeld „Straße“ burger Polizei kann einerseits in ihrer als „ein erstklassiges Testgelände“ für die Funktion als Herrschaftsinstrument und polizeiliche Alltagspraxis und deren Wahr- Großorganisation erforscht werden; an- nehmung durch die Bevölkerung erweisen. dererseits ist auch eine angemessene Im Rahmen der Studie hat der „Fokus Ver- Untersuchung der polizeilichen All- kehrspolizei“ verdeutlicht, dass anders als tagspraxis möglich. Die Erarbeitung einer im Bereich der Kriminalitäts­bekämpfung wissenschaftlich fundierten Darstellung oder bei Maßnahmen gegen gesellschaft- der Konstituierung und Herausbildung ei- liche Randgruppen, jede Person ungeach- ner regionalen „neuen Polizei“ mit den tet ihrer sozialen Stellung der Polizei im Schwerpunkten Schutz-, Kriminal- und Straßenverkehr als Weisungsempfänger 34 und potentieller Normverletzer gegenüber- tritt. Ein historischer Zugang trägt in diesem Kontext auch dazu bei, die Erkenntnisse der aktuellen Polizeiforschung im Hinblick auf Prävention, Interaktionen und Konflikt- bereitschaft zu ergänzen oder anschauli- cher zu machen.111

Die Studie hat folgende Forschungsfragen für das künftige Projekt ergeben: Wie effizi- ent war das Herrschaftsinstrument Volks- polizei im Hinblick auf die VP im Land Bran- denburg? Welche Schere ergab sich zwischen dem ideologischen Machtan- spruch und der polizeilichen Alltagspraxis? Was bewirkte die nachrangige Stellung der Volkspolizei im SED-Herrschaftssystem; was bedeuteten wiederum die Durchset- zung der „führenden Rolle“ der Partei und der Versuch des Bruchs mit „bürgerlichen“ Traditionen in der „Binnenwelt der Volkspo- lizei“ und im Verhältnis der Volkspolizei zu den Bürgern? Diese Fragen ergeben in Verbindung mit dem sozialgeschichtlichen Forschungsansatz „Herrschaft und Eigen- Sinn“ neu Sichtweisen und Einblicke. Das gilt sowohl für die Institution Volkspolizei als auch für das zu erforschende polizeiliche Berufsbild im Staatssozialismus. Sinnvoll ist darüber hinaus die Verbindung des Forschungs­ansatzes „Herrschaft und Ei- gen-Sinn“ mit dem Ansatz „Doppelstaat“ der NS-Forschung. (Vgl. Einführung)

Es sei auch noch einmal hervorgehoben, dass der zeitliche Rahmen des Projektes vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis möglichst zum Jahr 1971 reichen sollte. Die Wahl des Endpunktes der Untersuchung steht im Zusammenhang mit dem sich voll- ziehenden Herrschaftswandel in der DDR im Rahmen des Machtwechsels von 1971. Durch die Zäsursetzungen 1945 und 1971 ist die Darstellung der Konstituierung und Herausbildung der Volkspolizei im Land Brandenburg in abgeschlossener Form möglich.

111 Vgl. hierzu Polizei-Newsletter Nr. 72, Februar 2005.

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Wacke, Gerhrad, Beamtenrecht und Öffent- liches Dienstrecht, Hamburg 1941.

41 11. Abkürzungen

ABV Abschnittsbevollmächtigter MfS Ministerium für Staatssicherheit ND Neues Deutschland AKW Amt für Kontrolle des Nr. Nummer Waren­verkehrs NS Nationalsozialismus AZKW Amt für Zoll und Kontrolle des NVA Nationale Volksarmee Warenverkehrs NVR Nationaler Verteidigungsrat BDVP Bezirksbehörde der Deutschen PdVP Präsidium der Volkspolizei Volkspolizei Berlin Bl. Blatt PK Hauptabteilung Polit-Kultur BP Bereitschaftspolizei Pkw Personenkraftwagen DDR Deutsche Demokratische Rep. Repositur Republik RSHA Reichssicherheitshauptamt ders. derselbe S. Seite DGP Deutsche Grenzpolizei SA Sturmabteilung d. h. dass heißt SBZ Sowjetische Besatzungszone DVdI Deutschen Verwaltung des SD Sicherheitsdienst Innern SED Sozialistische Einheitspartei DVP Deutsche Volkspolizei Deutschlands FH Freiwillige Helfer SfS Staatssekretariat für FHPol Fachhochschule der Polizei des Staatssicherheit Landes Brandenburg SKK Sowjetische GP Grenzpolizei Kontrollkommission Gestapa Geheime Staatsabteilung SMAD Sowjetische Gestapo Geheime Staatspolizei Militäradministration in GSBT Gruppe der Sowjetischen Deutschland Besatzungstruppen in SPD Sozialdemokratische Partei Deutschland Deutschlands GSSD Gruppe der Sowjetischen SS Schutzstaffel Streitkräfte in Deutschland StPO Strafprozessordnung HG. Herausgeber TAZ Tageszeitung HVA Hauptverwaltung für Ausbildung TP Transportpolizei HVDVP Hauptverwaltung Deutsche v. vom Volkspolizei vgl. vergleiche HVS Hauptverwaltung der Seepolizei VfS Verwaltung für Schulung K1 Kommissariate 1 VP Volkspolizei K5 Kommissariate 5 VPKA/ Volkspolizeikreisamt/ KG Kampfgruppen VPKÄ Volkspolizeikreisämter KPD Kommunistische Partei ZK Zentralkomitee Deutschlands KPP Kontrollpassierposten Kripo Kriminalpolizei KVP LDVP Landesbehörden der Volkspolizei Lkw Lastkraftwagen MdI Ministerium des Innern MfNV Ministerium für Nationale Verteidigung

42 12. Chronik – Geschichte der Volkspolizei (1945 – 1961)112

25. Mai 1945 Der sowjetische Stadtkommandant von Berlin, Nikolaj E. Bersarin, befiehlt die Organisation von Polizei, Gericht und Staatsanwaltschaft in Berlin.

29. Mai 1945 Direktive des Hauptquartiers der sowjetischen Streitkräfte zur Bildung der Gruppe der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland (GSBT).

5. Juni 1945 Viermächteerklärung. Die alliierten Sieger erklären die Übernahme der obersten Regierungsgewalt. Es ist u. a. die vollständige Entwaffnung Deutschlands vorgesehen.

4.-16. Juli 1945 Bildung von Landes- und Provinzialverwaltungen in der SBZ, denen wiederum Polizeiabteilungen zugeordnet sind.

2. August 1945 Unterzeichnung des Potsdamer Abkommens.

1. September 1945 SMAD-Befehl zur Aufstellung von Bahnpolizeieinheiten.

6. November 1945 Direktive Nr. 16 des Alliierten Kontrollrates in Deutschland über die Bewaffnung der deutschen Polizei in den Besatzungszonen.

März 1946 Organisatorische Trennung von SMAD und GSTB durch Ausgliederung der Verwaltungsinstanzen aus den Strukturen der Armeen.

April 1946 Anweisung der SMAD für die Anwendung von Schusswaffen durch die deutsche Polizei.

10. Mai 1946 Der Alliierte Kontrollrat beschließt den Aufbau von Bahnpolizeiorganisationen in allen Besatzungszonen

30. Juli 1946 Bildung der deutschen Verwaltung des Innern (DVdI) auf der Gundlage des SMAD-Befehls Nr. 212. Erich Reschke wird zum Präsidenten berufen.

30. Oktober 1946 Erste Konferenz des Präsidenten der DVdI mit den Chefs der Polizei und Provinzen.

November/Dezember Mit der Bildung von Landesregierungen in der SBZ 1946 werden die Polizeiorgane den Abteilungen Polizei der Innenministerien der Länder unterstellt.

112 Zusammengestellt vor allem nach Kopp (1958), Chronik der Wiederbewaffnung, S. 26-155; Diedrich/Ehlert/Wenzke (1998), Handbuch, S. 633-651; Bögeholz (1999), Wendepunkte, S. 12-369; Baumann u. a. (2001), Fischer Chronik, S. 13-429; http:// www.17juni53.de; http://www.chronik-der-mauer.de.

43 Jahresbeginn 1947 Die regional unterschiedlichen Strukturen der politischen Polizei werden vereinheitlicht. Die Abteilung „K5“ der Kriminalpolizei wird Führungsorgan der politischen Polizei. Die „K5“ bilden später den Grundstock für das im Februar 1950 gegründete Ministerium für Staatssicherheit.

14. Oktober 1947 Die SMAD befiehlt die Errichtung von Zollämtern einschließlich eines Grenzaufsichtsdienstes an den Grenzen zu Polen und der Tschechoslowakei sowie an der Seegrenze.

31. Januar 1948 Der Zollgrenzschutz stellt seine Tätigkeit ein, seine Kontrollfunktionen gehen über an die Landespolizeien.

1. April 1948 SMAD-Befehl zur Bildung des „Ringes um Berlin“, ein doppeltes Grenzkontrollsystems am Stadtrand von Berlin wird errichtet.

21./22. April 1948 Die Innenministerkonferenz in Werder/Havel beschließt die Schaffung zentralisierter Polizeiverbände.

Mai/Juni 1948 Die SMAD genehmigt die Aufstellung von kasernierten Polizeikräften.

20.-23. Juni 1948 Währungsreformen zuerst in den Westzonen, dann in der SBZ/Berlin. Die Westmächte führen daraufhin die DM/West auch in den Westsektoren Berlins ein.

24. Juni 1948 Beginn der Sperrung der Versorgungswege zu den Westsektoren Berlins durch die sowjetische Besatzungsmacht als Reaktion auf die Einführung der DM/ West in den Westsektoren Berlins (Berlinblockade).

13. Juli 1948 Kurt Fischer wird zum Präsidenten der DVdI ernannt. Das Präsidium der DVdI berät den Beschluss des SED- Parteivorstandes über die Bildung einer Hauptabteilung Polit-Kultur (PK) bei der DVdI und den Einsatz von PK- Leitern als Stellvertreter der Chefs der sowie der Leiter nach geordneter Dienststellen und Einheiten.

23./24. Juli 1948 Auf der staatspolitischen Konferenz der SED in Werder wird eine zentrale Leitung und Organisation der Polizei beschlossen.

Juli 1948 Beginn der Aufstellung von kasernierten Polizeibereitschaften in der SBZ. Die Landespolizeibehörden in der SBZ werden unmittelbar der DVdI unterstellt, die damit als zentrale Polizeiverwaltung in der SBZ fungiert.

22. September 1948 Bei der DVdI wird die Hauptabteilung Grenzpolizei und Bereitschaften gebildet.

44 1. Januar 1949 Einführung einheitlicher Dienstgrade und Dienstgradabzeichen für die Polizei.

14. Januar 1949 Befehl Nr.2 der DVdI zur „Festigung“ der Grenzpolizei. Daraufhin erfolgen politische Überprüfungen und es gibt zahlreiche Entlassungen.

27. April 1949 Die am „Ring um Berlin“ eingesetzten Kräfte werden in eine der Hauptabteilung Grenzpolizei unterstehende Grenzbereitschaft umgewandelt.

12. Mai 1949 Offizielle Einführung des Namens „Volkspolizei“.

17. Mai 1949 Bildung von VP-Betriebsschutzeinheiten.

Mai 1949 Herauslösung der „K5“ aus der Kriminalpolizei. Unter Führung Erich Mielkes kommt es zum Aufbau einer Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft bei der DVdI und bei den Länderverwaltungen zum Schutz der Volkswirtschaft.

20. Juli 1949 Bildung einer eigenständigen Hauptabteilung Grenzpolizei bei der DVdI. Umbenennung der Hauptabteilung Grenzpolizei und Bereitschaften in Verwaltung für Schulung (VfS).

September 1949 Umwandlung der Grenzbereitschaft „Ring um Berlin“ in eine Grenzpolizeiabteilung „Ring um Berlin“, die dem Präsidenten der DVdI direkt unterstellt ist.

7. Oktober 1949 Gründung der DDR.

10. Oktober 1949 Auflösung der SMAD. Bildung der Sowjetischen Kontrollkommission (SKK) zur Überwachung der weiteren Erfüllung des Potsdamer Abkommens und anderer Deutschland betreffender alliierter Beschlüsse

12. Oktober 1949 Aufgaben der DVdI gehen mit der Gründung der DDR an das Ministerium des Innern (MdI) über. Beim MdI wird die Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei (HVDVP) gebildet. Aus der Verwaltung für Schulung (VfS) wird die Hauptverwaltung für Ausbildung (HVA) sowie die Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft gebildet. Minister des Innern wird ; Chef der Deutschen Volkspolizei wird Kurt Fischer; Chef der HVA wird Generalinspekteur der VP Wilhelm Zaisser.

14.Dezember 1949 Bildung der Transportpolizei. In der HVDVP entsteht die Hauptabteilung Transportpolizei mit den Abteilungen Schutzpolizei, Kriminalpolizei und Wasserschutz.

45 Dezember 1949 Die Hauptabteilung Grenzpolizei wird in die HVDVP eingegliedert.

1. Januar 1950 Bildung einer Hauptabteilung Feuerwehr bei der HVDVP.

7. Januar 1950 Die Grenzpolizei übernimmt die Überwachung der Küstengewässer der DDR.

8. Februar 1950 Gesetz über die Bildung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).

21. April 1950 Gesetz zum Schutz des innerdeutschen Handels. Auf seiner Grundlage wird das Amt für Kontrolle des Warenverkehrs (AKW) beim Ministerium für innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung geschaffen. Errichtung von insgesamt 16 Kontrollpassierposten (KPP).

10. Juni 1950 Die SKK überträgt den Grenzsicherungsorganen der DDR Kontrollaufgaben an den Grenzkontrollpassierpunkten.

15. Juni 1950 Bildung der Hauptverwaltung der Seepolizei (HVS) beim MdI. Leiter wird Generalinspekteur der VP Waldemar Verner.

1. September 1950 Karl Maron wird anstelle des verstorbenen Kurt Fischer der neue Chef der Deutschen Volkspolizei.

30. Oktober 1950 Einrichtung eines Referats „Luft“ bei der HVA (später VP- Luft).

16. November 1950 Dem MdI wird der gesamte Strafvollzug übertragen.

15. Dezember 1950 Auf Beschluss der Volkskammer wird Kriegspropaganda, Rassen- und Völkerhetze im Rahmen des Gesetzes zum Schutz des Friedens unter Strafe gestellt.

1. Januar 1951 Unterstellung der Grenzpolizeibereitschaften unter die Hauptabteilung Grenzpolizei in der HVDVP. Bildung von Hauptabteilungen Betriebsschutz sowie Paß- und Meldewesen bei der HVDVP.

27. September 1951 Bildung von Schnellkommandos als ständige bewegliche Einsatzreserve der Schutzpolizei.

1. und 7. April 1952 In Moskau werden Entscheidungen für eine verstärkte Militarisierung der DDR getroffen.

9. Mai 1952 wird Minister des Innern.

16. Mai 1952 Die Grenzpolizei wird als Deutsche Grenzpolizei (DGP) dem MfS unterstellt. 26. Mai 1952 Maßnahmen zur Sicherung der innerdeutschen Grenze.

46 27. Mai 1952 Beginn der Zwangaussiedlung von über 12.000 Menschen aus dem Gebiet der innerdeutschen Grenze.

27.-30. Mai 1952 IV. Parlament der FDJ in Leipzig: Die Jugendmassen­ organisation übernimmt die Patenschaft über die Volkspolizei.

1. Juni 1952 „Instruktion für den Schutz der Staatsgrenze“ wird in Kraft gesetzt. Darin sind auch die „Schusswaffengebrauchsbestimmungen an der Demarkationslinie“ neu geregelt.

1. Juli 1952 Offizielle Umbildung der HVA in die Kasernierte Volkspolizei (KVP) und die HVS in die Volkspolizei-See (VP-See); Neubildung der Volkspolizei-Luft (VP-Luft).

9.-12. Juli 1952 2. SED-Parteikonferenz: Verkündung der Schaffung „Nationaler Streitkräfte“ in der DDR.

22. Juli 1952 Umbenennung der Polit-Kultur-Organe der KVP sowie VP- See und VP-Luft in Politische Verwaltungen bzw. Politische Abteilungen. Die Polit-Kultur-Organe der Deutschen Volkspolizei werden in „Politorgane“ umbenannt.

23. Juli 1952 Verwaltungsreform: Auflösung der Länder und Bildung von Bezirken in der DDR. Im Zuge der Reform werden 14 Bezirksbehörden der DVP und neue Volkspolizeikreisämter gebildet.

28. August 1952 Verordnung über die Errichtung eines Amtes für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs (AZKW).

August 1952 Ernennung von ersten freiwilligen Grenzpolizeihelfern

17. September 1952 Einführung militärischer Dienstgrade und Rangabzeichen in der KVP.

25. September 1952 Zulassung freiwilliger Helfer zur Unterstützung der DVP.

6. Oktober 1952 Bei der DGP werden militärische Dienstgrade eingeführt.

10. Dezember 1952 Der Chef der DVP ordnet den Aufbau eines Systems von Abschnittsbevollmächtigten (ABV) bei der Volkspolizei an. Der ABV wird zum unmittelbaren Bindeglied der VP zur Bevölkerung. De facto fungieren die ABV als Kontrollinstanzen der Polizei.

Dezember 1952 Dem AZKW wird die Kontrolle des innerdeutschen Postverkehrs übertragen.

47 1. Januar 1953 Die Transportpolizei wird dem MfS unterstellt.

27. Mai 1953 An die Stelle der SKK tritt der Hohe Kommissar der UdSSR in Deutschland.

17. Juni 1953 Volkserhebung in der DDR.

21. Juni 1953 Auf der 14. ZK-Tagung der SED wird die Bildung von Arbeiterwehren (Kampfgruppen) vorgeschlagen.

16. Juli 1953 Bildung von Einsatzleitungen für den inneren Einsatz bei Unruhen oder Krisenlagen.

23. Juli 1953 Das MfS wird in ein Staatssekretariat (SfS) umgewandelt und dem MdI unterstellt.

24.-26. Juli 1953 Die 15. ZK-Tagung der SED beschließt die Schaffung des bewaffneten Organs der „Kampfgruppen“.

12. August 1953 Im ZK der SED wird die Abteilung für Sicherheitsfragen gebildet.

23. September 1953 Die VP-Luft wird in „Verwaltung der Aeroklubs“ umbenannt. Die Mannschaftsstärke der KVP wird um fast 24.000 Mann reduziert. Bildung einer Sicherheitskommission beim Politbüro des ZK der SED.

9. Dezember 1953 Die DVP übernimmt die Ausbildung der nach dem 17. Juni 1953 gebildeten „Kampfgruppen“.

Anfang 1954 Umstrukturierungen bei der Transportpolizei. Auflösung der Transportpolizeiämter und Bildung von 14 Abschnitten der Transportpolizei.

26. Januar 1954 Politbüro des ZK der SED beschließt einen Stufenplan für den Einsatz der bewaffneten Formationen bei inneren Unruhen.

28. Januar 1954 Befehl über „Maßnahmen zur Abwehr von Angriffen auf die Staatsordnung der DDR“

4. Februar 1954 Bildung einer Zentralen Katastrophenkommission im MdI.

26. März 1954 Die Gruppe der Sowjetischen Besatzungstruppen wird in Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) umbenannt.

28. Mai 1954 Der DDR-Ministerrat bestimmt den 1. Juli zum Tag der Volkspolizei.

14. Dezember 1954 Vorschlag zur Umwandlung der KVP in eine „Kaderarmee“.

48 25. Januar 1955 Aufgrund eines Erlasses des Obersten Sowjets der UdSSR wird der Kriegszustand zwischen Deutschland und der Sowjetunion für beendet erklärt.

31. März 1955 Die Sicherheitskommission des Politbüros beschließt die Aufstellung von „Inneren Truppen“ für den inneren Einsatz und für Sicherheitsaufgaben.

12. April 1955 Das Politbüro des ZK der SED beschließt die Reorganisation des MdI.

1. Mai 1955 Aus den Wacheinheiten der Staatssicherheit und der VP- Bereitschaften werden die „Inneren Truppen“ gebildet.

21. Mai 1955 Die Volkskammer ratifiziert den „Warschauer Vertrag“.

1./2. Juni 1955 Die 24. ZK-Tagung der SED beschließt die Schaffung regulärer Streitkräfte der DDR.

1. Juli 1955 Der Chef der DVP, Karl Maron, wird zum Minister des Innern berufen.

16. August 1955 Organisation des zivilen Luftschutzes in der DDR. Die gesetzliche Anordnung hierzu erfolgt am 24. Oktober 1955.

20. September 1955 Staatsvertrag zwischen der Sowjetunion und der DDR. Es wird die „uneingeschränkte Souveränität“ der DDR erklärt. Zugleich wird das Verbleiben der sowjetischen Truppen in der DDR vereinbart.

24. November 1955 Die Staatssicherheit wird wieder in ein Ministerium umgewandelt. Zum Minister wird Ernst Wollweber ernannt.

1. Dezember 1955 Die DGP übernimmt die alleinige Kontrolle der DDR- Staatsgrenze. Der Transitverkehr der Alliierten wird weiterhin von der GSSD kontrolliert.

18. Januar 1956 Volkskammer beschließt das Gesetz über die Schaffung der Nationalen Volksarmee (NVA).

10. Februar 1956 Befehl Nr. 1/1956. Dieser Befehl bestimmt die Einzelheiten des Aufbaus der NVA.

8. November 1956 Als Reaktion auf die Krise in Polen und den Aufstand in Ungarn beschließt das Politbüro des ZK der SED einen Mehrstufenplan zur Niederschlagung innerer Unruhen. Danach soll in der 1. Stufe die Volkspolizei mit dem MfS und den Kampfgruppen zum Einsatz kommen.

10. Januar 1957 Der Befehl 04/57 des Ministers des Innern macht die DVP für die Kampfgruppen verantwortlich.

49 9. Februar 1957 In der Sicherheitskommission beim Politbüro wird die Einführung einheitlicher Dienstgrade für alle Organe des MdI (einschließlich VP) beschlossen.

1. März 1957 Die DGP, die Transport- und Bereitschaftspolizei werden wieder dem MdI unterstellt.

15. Mai 1957 Schaffung des Kommandos Bereitschaftspolizei.

12./13. Juni 1957 Eggersdorfer Tagung: SED-Politiker und Militärs bekräftigen die Einheit politischer und militärischer Führung.

14. August 1957 Einführung der Brigadestruktur in der DGP.

1. November 1957 Erich Mielke wird Minister für Staatssicherheit.

11. Februar 1958 Die Volkskammer beschließt das Gesetz über den Luftschutz; Gründungstag der Zivilverteidigung.

30. April 1958 Bei der Transportpolizei beginnt eine Strukturreform. Die Kasernierung wird für die TP aufgehoben.

5. Juni 1958 Ministerrat ordnet die Zulassung freiwilliger Helfer der DGP an.

Nov./Dez. 1958 Bildung von Kampfgruppenbataillonen durch Zusammenfassung von Hundertschaften.

22. Januar 1959 Die Sicherheitskommission beim Politbüro beschließt einen Einsatzplan für die bewaffneten Kräfte der DDR zur Gewährleistung der staatlichen Sicherheit.

Januar 1960 Die Sicherheitskommission beim Politbüro beschließt die Grundsätze der Mobilmachung.

10. Februar 1960 Gesetz über die Bildung des Nationalen Verteidigungsrates (NVR).

28. Oktober 1960 Gemeinsame Übung von 13 Kampfgruppenbataillonen der Bezirksreserve und weiterer KG-Einheiten mit Kräften der Bereitschaftspolizei, der DVP und NVA.

3. Januar 1961 Befehl 1/61: Minister des Innern ordnet die Schaffung von Kampfgruppen im MdI und den Bezirksverwaltungen der DVP an.

13. August 1961 Grenzabriegelung: Beginn der Errichtung der Berliner Mauer.

15. September 1961 DGP wird dem Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) unterstellt.

50 Forschungsbericht1 Dr. habil. Burghard Ciesla

1 Stand Sommer 2008. Aus Platzgründen wurde auf den Abdruck der Bibliographie zum Forschungsbericht verzichtet. Die vollständige Forschungsbibliographie ist in der Bibliothek des Zentrums für Zeitgeschichte der Polizei zur einsehbar.

Ein Hauptmerkmal der deutschen Polizei- Bereits vor 1990 gab es in beiden deut- geschichte seien ihre Lücken“.2 Auf diesen schen Republiken Forschungen über die Punkt wurde vor 30 Jahren der erreichte „Deutsche Volkspolizei“. In der Bundesre- Stand der Forschung zur Geschichte der publik entstanden in den fünfziger Jahren Polizei in Deutschland gebracht. Den Fli- erste Studien, die sich mit der politischen ckenteppich der Forschung in Gestalt „un- Repression in der DDR befassten und in aufgearbeiteter Themenfelder“ gibt es zwar diesem Zusammenhang auch das Thema noch heute, aber in einem Punkt hat sich der Polizeikräfte in der DDR fokussierten. erheblich etwas getan: Die Zahl der Unter- Diese Arbeiten profitierten davon, dass suchungen über die Ge­schichte der Polizei Volkspolizisten nach ihrer erfolgreichen in Deutschland ist inzwischen beachtlich Flucht in den Westen interne Informationen angewachsen. Bemerkens­werte Entwick- über den Aufbau, die Strukturen und die lungen haben sich vor allem im Hinblick auf Stimmungs­lage weitergaben.6 Diese Er- die NS-Zeit und die „doppelte“ deutsche kenntnisse resultierten maßgeblich aus den Polizei­geschichte nach 1945 vollzogen. Es Befragungen der alliierten Geheimdienste7, ist generell erkennbar, dass sich bei der Er- forschung der Polizeigeschichte des 19. der Polizei; Browning (1993), Reserve- und 20. Jahrhunderts ein „Paradigmen­ Polizeibataillon; Thoß (1994), Volksar- mee; Lindenberger (1995), Straßenpo- wechsel“3 vollzogen hat. Inzwischen zeigen litik; Paul/Mallmann (1995), Gestapo; neuere und interdisziplinär angelegte Unter- Jansen/Niethammer/Weisbrod (1995), suchungen, dass auch die Polizei­geschichte Aufgabe der Freiheit; Glaser (1995), Reorganisation der Polizei; Nitschke ihren festen Platz in der Sozialgeschichte (1996), Deutsche Polizei; Bessel/Jes- gefunden hat. Die neueren Studien bieten sen (1996), Grenzen der Diktatur, S. weiterführende Forschungsansätze für ein 224-252; Wagner (1996), Volksge- 4 meinschaft ohne Verbrecher; Died- ganzes Spektrum von Fach­disziplinen und rich/Ehlert/Wenzke (1998.), Im Dien- natürlich auch umgekehrt.5 ste der Partei; Winter (1998), Politikum Polizei; Lindenberger (1999), Herr- Reinke (1996), Polizeigeschichte, S. 13. schaft und Eigen-Sinn; Wilhelm (1999), 2 Polizei im NS-Staat; Lange (2000), In- 3 Jessen (1995), Polizeigeschichtsfor- nere Sicherheit; Nolte (2000), Ord- schung, S. 20. nung; Fürmetz/Reinke/Weinhauer (2001), Nachkriegspolizei; Diedrich/ 4 Gemeint sind interdisziplinäre Ver- Wenzke (2001), Die getarnte Armee; knüpfungen der Polizeigeschichte mit Stolle (2001), Staatspolizei in Baden; der Zeit-, Militär-, Alltags-, Rechts-, Ehlert/Rogg (2004), Militär, Staat und Wirtschafts-, Konflikt-, Macht- und Po- Gesellschaft; Gutermuth/Netzbrandt litikgeschichte (2005), Gestapo; Burrichter/Nakath/ 5 Vgl. hierzu exemplarisch die Darlegun- Stephan (2006), Zeitgeschichte; Gräfe/ gen und Diskussionen des Forschungs- Post/Schneider (2008), Geheime standes bzw. methodisch weiterfüh- Staatspolizei; Dams/Stolle (2008), GE- rende Beiträge zur Polizei-, Macht- und STAPO. Repressionsgeschichte in folgenden 6 Bundesministerium für gesamtdeut- Sammelbänden und Monographien sche Fragen (1955, 1958, 1962.), Un- (Auswahl): Blasius (1978), Kriminalität; recht als System; Kopp (1958), Chronik Werkentin (1984), Restauration; Bros- der Wiederbewaffnung. zat/Weber (1990), SBZ-Handbuch; Lüdtke (1992), „Sicherheit“ und „Wohl- 7 In den Flüchtlingslagern in West-Berlin fahrt“; Florath/Mitter/Wolle (1992.), und der Bundesrepublik fanden Befra- Ohnmacht; Reinke (1993), Geschichte gungen von Flüchtlingen durch ameri- 51 verschiedener Organisationen8 und Behör- und 1968 (Sieveking). Von besonderem In- den in den Aufnahmelagern für Flüchtlinge teresse ist im Kontext des beabsichtigten in West-Berlin und der Bundesrepublik. Da- Projektes die Arbeit von Lüers, der sich mit rüber hinaus ist das Berichtswesen der dem „sozialistischen Polizeibegriff“ befass- „Ostbüros“ der bundesdeutschen Parteien te und diesen im Zusammenhang mit den zu nennen.9 Hierbei zeigt sich jedoch, dass bürgerlich-liberalen Polizeitraditionen ana- dieses Material von der historischen For- lysiert hat. Natürlich müssen seine in den schung im Hinblick auf die Volkspolizei bis- siebziger Jahren getroffenen Schlussfolge- lang weitgehend unbeachtet geblieben ist. rungen neu beurteilt werden, aber die von Es fehlen beispielsweise systematische ihm vorgestellten Überlegungen über das Untersuchungen über die von den alliierten Polizeirecht in der DDR sind auch heute Geheimdiensten und dem Bundesnachrich- noch grundlegend.11 Von großer Bedeutung tendienst in den Aufnahmelagern vorge- sind für das Projekt zudem auch Studien nommenen Befragungen von ge­flüchteten über die Vergangenheitsbewältigung sowie DDR-Volkspolizisten. Gleiches gilt für eine das Recht bzw. die Rechts- und Verfol- Auswertung der Berichte der einzelnen gungspraxis im „Dritten Reich“ und in der Ostbüros hinsichtlich der Polizei im Osten SBZ/DDR.12 Deutschlands.10 In der DDR begann die Beschäftigung mit Heute immer noch aktuell sind die rechts- der Geschichte der VP erst gegen Mitte der wissenschaftlichen Studien von Hartwig sechziger Jahre. Das Ministerium des In- Lüers und Klaus Sieveking über das 1968 nern (MdI) der DDR gründete in allen Be- in der DDR erlassene Volks­polizeigesetz zirksbehörden und vielen Kreisämtern der (Lüers) und die Entwicklung des Rechts- Volkspolizei historische Kommissionen und staatsbegriffs in der DDR zwischen 1945 Arbeitsgruppen zur Erforschung der eige- nen Polizeigeschichte. Als über­greifende Institution und koordinierende „Klammer“ kanische, britische und französische Geheimdienstes in den so genannten fungierte die 1966 beim MdI geschaffene alliierten Sichtungsstellen statt. Natür- Historische Abteilung zur Erforschung der lich schöpften auch der Bundesnach- richtendienst (Organisation Gehlen) bzw. ähnliche Institutionen Informa- 11 Lüers (1974), Polizeirecht; Sieveking tionen über Befragungen ab. Vgl. hier- (1975), Rechtsstaatsbegriff; Linden- zu die neue Dauerausstellung der berger (2003), Volkspolizei, S. 26. Vgl. Erinnerungsstätte Notaufnahmelager in diesem Zusammenhang auch zeit- Marienfelde. Effner/Heidemeyer (2005), genössische Arbeiten in der DDR: Elle Flucht im geteilten Deutschland, S. (1958), Polizeiliche Aufgaben; Hobran 161. (1966), Sozialistischer Polizeibegriff.

8 Vgl. vor allem die Tätigkeit des Unter- 12 Vgl. hierzu u. a. Wacke (1941), Beam- suchungsausschusses Freiheitlicher tenrecht; Wal (1981), Sonderrecht; Juristen (UFJ). Jürgen/Steinbach (1984), Vergangen- heitsbewältigung durch Strafrecht; 9 Die SPD, CDU, FDP und auch der Deut- sche Gewerkschaftsbund (DGB) der Gruchmann (1988), Justiz; Rüthers Bundesrepublik verfügten über so ge- (1988), Entartetes Recht; Vollnhals nannte Ostbüros, die in großem Um- (1991), Säuberung und Rehabilitie- fang Material und Informationen über rung; Eisert (1993), Waldheimer Pro- die SBZ/DDR gesammelt haben. Vgl. zesse; Niethammer (1994), Antifa- Bärwald (1999), Ostbüro der SPD; schismus; Herf (1998), Zweierlei Buschfort (2000), Ostbüros; derselbe Erinnerung; Plato (1998), Speziallager; (2000), Ostbüros der Parteien. Braun/Klawitter/Werkentin (1999), Hinterbühne Strafjustiz; Foitzik (1999), 10 Welche Möglichkeiten sich hierbei SMAD; Leo/Reif-Spirek (1999), Hel- bieten, hat unlängst der Historiker den; Foitzik (2000), Terrorapparat; Matthias Uhl gezeigt, der für seine Pohl (2001), Justiz in Brandenburg; Studien über die sowjetischen Rake- Herbert/Orth/Dieckmann (2002), Kon- tentruppen und die sowjetische -Be zentrationslager; Zimmermann (2004), satzungsarmee in der DDR maßgeblich Umerziehung; Weinke, Anette (2002) Akten des Bundesnachrichtendienstes NS-Täter; Leide (2005), Geheime Ver- benutzt hat. Uhl/Wagner (2007), BND gangenheitspolitik; Marxen (2000- contra Sowjetarmee. 2007), Strafjustiz und DDR-Unrecht..

52 Geschichte der Volkspolizei.­ In der Folge- Alle Ergebnisse der seit der 2. Hälfte der zeit entstanden viele lokale und regionale sechziger Jahre laufenden Forschungen Studien, die sich maßgeblich mit den An- wurden Mitte der siebziger Jahre von der fängen bzw. der Frühgeschichte der Volks- Historischen Abteilung „gebündelt“. Auf die- polizei befassten. Hierzu zählten auch Bei- ser Grundlage kam es zur Erarbeitung ei- träge und Studien über die Grenzpolizei ner zweibändigen „Geschichte der Deut- (GP), die Kasernierte Volkspolizei (KVP) schen Volkspolizei“, deren ersten beiden sowie die Transport- und Wasserschutzpo- Auflagen (1979, 1983) nur für den „Dienst- lizei.13 Zu nennen sind außerdem die vor gebrauch“ bestimmt waren. Nach 1985 1990 intern veröffentlichten und kommen- wurde schließlich eine leichte Überarbei- tierten Dienstunterlagen der GP/Grenztrup- tung der Auflage für den Verkauf im Buch- pen, der Staatssicherheit, des Zolls oder handel vorgenommen, so dass die zwei- der Deutschen Volkspolizei sowie vor allem bändige Geschichte 1987 der Öffentlichkeit auch die Diplomarbeiten und Dissertations- erstmals zugänglich war.16 Der Wert dieser schriften von Angehörigen des MfS und der Polizeigeschichte und der Nutzen der vor- Volkspolizei.14 ausgegangenen Forschungen unter der Regie des MdI sind überaus kritisch einzu- Begleitet wurde die Erarbeitung „geschicht- schätzen. Für eine Brandenburger Polizei- licher Rückblicke“ durch interne Befragun- geschichte nach 1945 bieten sich kaum gen von Volkspolizisten („Veteranen“) nach weiterführende Anknüpfungspunkte.17 Viel- ihren Erinnerungen. Diese Befragungen mehr eignet sich die nach 1965 entstande- wurden von Offiziersschülern der VP durch- ne „Literatur“ der Volkspolizei gut als geführt, „aufgeschrieben“ und der Histori- Untersuchungs­gegenstand für die Thema- schen Abteilung zur Archivierung überge- tik „Geschichte als Herrschaftsdiskurs“.18 ben. In den achtziger Jahren veröffentlichte das MdI eine Auswahl dieser Erinnerungen und Erlebnisberichte. Hinsichtlich der DO-1 eingesehen werden. Vgl. auch die vom MdI veröffentlichten Portraits Benutz­barkeit des überlieferten Zeitzeu- von leitenden Offizieren der Volkspoli- genmaterials muss aber bemerkt werden, zei sowie Erinnerungen von Volkspoli- dass die Befragungen aufgrund ihrer me- zeiangehörigen: Im Dienste des Volkes (1984); BDVP Dresden (1985), Antho- thodischen Schwächen und der starken logie; Geschichte erlebt und mitgestal- ideologischen „Überfrachtung“ nur im be- tet (1985, 1988);. schränkten Maße für eine kritische VP-Ge- 16 MdI (1979, 1983, 1987), Geschichte schichte geeignet sind.15 der Deutschen Volkspolizei.

17 Der Historiker Thomas Lindenberger hat den Wert dieser historischen Un- 13 Vgl. zu diesem Schrifttum stellvertre- tend die Darstellungen zur frühen tersuchungen aus der Zeit vor 1989 Grenzpolizei: Hanisch (Heft 1), Vom wie folgt eingeschätzt: „Wer glaubt, schweren Anfang; derselbe (Heft 2), sich dort einen ersten, wenn auch Schutz der Staatsgrenze; vgl. auch die ideologisch verbrämten Überblick ver- dann auf der Basis dieser Studienhefte schaffen zu können, wird enttäuscht. entstandene Veröffentlichung von Ha- Es ist äußerst mühsam, zwischen den nisch (1974), Grenzsicherung und seitenlangen Wiedergaben von Partei- Grenzpolizei. beschlüssen und anderen offiziösen Texten die wenigen konkreten Schilde- 14 Generell muss hier noch eine auf das rungen zum reklamierten Gegenstand Projektvorhaben bezogene systemati- aufzufinden. Aus Gründen der ‚Wach- sche Auswertung erfolgen. Vgl. hierzu samkeit’ enthält diese Darstellung in exemplarisch Grässner (1974), Abtei- den seltenen Fällen, in denen aus un- lung VIII; Handbuch (1978); Dienstvor- veröffentlichten Quellen zitiert wird, schriften DVP (1983); Wolf/Krause/ keine Hinweise auf Signaturen, so daß Schmidt (1985), Qualifizierung; Kie- es teilweise immer noch nicht möglich nitz/Tauschke (1989), Politisch-opera- ist, sie im nachhinein zu überprüfen. tive Voraussetzungen; Bähring (1990), Ebenso fehlen jegliche Zahlenangaben Rechtsnormen. über den Personalbestand der VP.“ Lindenberger (2003), Volkspolizei, S. 15 Die schriftliche Überlieferung der Be- 26. fragungen können heute im Bundesar- chiv Berlin-Lichterfelde im Bestand 18 Sabrow (2000), Herrschaftsdiskurs.

53 Mit der Öffnung der Archive nach 1990 wur- dem ist dabei wiederum eine Ausrichtung den sehr bald in großer Zahl Studien der auf Zäsuren der DDR-Geschichte (z. B. 17. DDR-Forschung auf der Basis unveröffent- Juni 1953, Mauerbau 1961) erkennbar.22 lichter Quellen vorgelegt. Fast zwanzig Jahre nach dem Mauerfall gibt es einen Vorrangig die militärhistorische Forschung reichhaltigen und kaum noch zu überse- hat bislang die Frühzeit der Volkspolizei fo- henden Fundus an neuen und quellenge- kussiert, da die militärischen Verbände di- sättigten Forschungsarbeiten. Obwohl die rekt aus den VP-Strukturen hervorgegan- Zahl der Veröffentlichungen über die SBZ/ gen sind und hier für die Militärgeschichte DDR inzwischen weit in den vierstelligen der SBZ/DDR ein vorrangiger Forschungs- Bereich vorgedrungen ist, sind die For- bedarf bestand. Generell ist in den neueren schungen zur Volkspolizei in dem hier inte- Überblicksdarstellungen zur Macht-, Si- ressierenden Zeitraum sowohl im Hinblick cherheits- und Militärgeschichte die „Deut- auf die gesamte SBZ/DDR als auch für das sche Volkspolizei“ zwar hinreichend vertre- Land Brandenburg überschaubar geblie- ten, aber in der Gesamtsicht offenbart sich ben oder sie fehlen immer noch ganz.19 Die eine deutliche Schieflage im Hinblick auf Thematik „öffentliche“ Polizei – deren „Ei- übergreifende, differenzierende und detail- genleben“ und die Wirkungen im Alltag un- lierte Studien.23 Bislang erbrachten neben ter den Prämissen einer Machtinstitution bzw. der „Ordnung und Sicherheit“ – führt (1992), Legitimation; Kaelble/Kocka/ gleichsam ein Schattendasein. Im Vorder- Zwahr (1994), Sozialgeschichte; Bald (1995), Nationale Volksarmee, S. 165- grund steht demgegenüber die Geheimpo- 180; Marquardt (1995), Menschen- lizei der DDR: die Staatssicherheit.20 Die rechtsverletzungen; Paul/Mallmann Schwerpunkte liegen gegenwärtig immer (1995), Gestapo, S. 19-43; Bessel/Jes- sen (1996), Grenzen der Diktatur; Wil- noch auf Untersuchungen der politischen ke (1998), Anatomie der Parteizentra- Repression und der Sicherheitspolitik.21 Zu- le; Schröder (1998), SED-Staat; Werkentin (2000), Recht und Justiz; Marxen/Werle (2000-20007), Strafju- 19 Vgl. zur Orientierung Mählert (2002), stiz; Hertle/Jarausch/Kleßmann (2002), Vademekum; Eppelmann/Faulenbach/ Mauerbau; Lindenberger (2003), Volks- Mählert (2003), Bilanz und Perspekti- polizei, S. 15-19; Ehlert/Rogg (2004), ven. Inzwischen hat sich der For- Militär, Staat und Gesellschaft. schungsstand natürlich weiter verän- dert. 22 Über die Zäsuren „17. Juni 1953“ und „13. August 1961“ existiert inzwischen 20 Vgl. u. a. Schuhmann (1997), Parteier- eine enorme Zahl an Veröffentlichun- ziehung in der Geheimpolizei; Wege- gen. Deshalb sei aus Gründen der Plat- mann (1997), Vorläufer der Staatssi- zersparnis auf eine neuere Sammelbe- cherheit; Suckut/Süß (1997), sprechung von Jan C. Behrends bei Staatspartei und Staatssicherheit; „h-soz-kult“ verwiesen. Zudem hat das Tantzscher (1998), Ursprung und Ent- Zentrum für Zeithistorische Forschung wicklung der K5; Engelmann/Vollnhals in Potsdam zwei Internetseiten zum (1999), Justiz im Dienste der Staatssi- Juni-Aufstand 1953 und Mauerbau cherheit; Gieseke (2000), Hauptamtli- 1961 im Netz zur Verfügung gestellt, che Mitarbeiter; Gieseke (2000b), an deren fachlicher Betreuung der Schild und Schwert; Gieseke (2001), Verfasser des Antrages beteiligt gewe- Mielke-Konzern; Krieger (2003), Ge- sen war. Der Antragsteller hat gleich- heimdienste, S. 248-259; Leide (2005), falls zum 17. Juni 1953 im Land Bran- NS-Verbrecher und Staatssicherheit. denburg eine Quellenedition mit einem Schwerpunkt zur Volkspolizei 21 In der Darstellung und Bewertung des vorgelegt: Ciesla (2003), Freiheit; Forschungsstandes wurde auf eine http://hsozkult.geschichte.hu-berlin. Darlegung und Diskussion von The- de/rezensionen/2004-2-172; http:// men wie Justiz/Strafvollzug, Unrechts- www.17juni53.de; http://www.chro- system, Diktaturenvergleich, Kalter nik-der-mauer.de. Krieg usw. bewusst verzichtet, da eine ernstzunehmende Analyse des For- 23 Vgl. zur Frühzeit der Volkspolizei und schungsstandes den Rahmen des An- zu den neueren Überblicksdarstellun- trages gesprengt hätte. Im Hinblick auf gen Florath/Mitter/Wolle (1992.), die spätere Projektarbeit werden die- Ohnmacht; Thoß (1994), Volksarmee; se Themen diskutiert und der - For Glaser (1995), Reorganisation der Poli- schungsstand berücksichtigt. Vgl. hier- zei; Nitschke (1996), Deutsche Polizei; zu weiterführend u. a. Meuschel Diedrich/Ehlert/Wenzke (1998), Im 54 den Untersuchungen zur Repressions- und ten und Westen Deutschlands vor.29 Sicherheitspolitik Forschungen über den Besonders trifft das für einen 2001 erschie- Jugendprotest und die Beat-Kultur24, das nen Sammelband zur „Sicherheit in Ost- Grenzregime25, die Wirtschaftskriminalität/ und Westdeutschland“ zwischen 1945 und Schwarzmarkt26, die „Republikflucht“27 und 1969 zu. Es handelt sich um eine facetten- die Kollektivierung der Landwirtschaft28 re- reiche Darstellung der „Nachkriegspolizei“ levante Ergebnisse im hier interessieren- mit handlungs­orientierten, alltags-, sozial- den thematischen Kontext hervor. Es han- und ge­schlechtergeschichtlichen Ansätzen. delt sich vor allem um Untersuchungen, die Für die SBZ/DDR wurden die „Anfänge der von einer alltags- und sozialgeschichtlichen Volkspolizei in den sächsischen Großstäd- Perspektive ausgehen und die Polizeipra- ten Leipzig und Dresden“ (1945-1947) fo- xis in der DDR direkt bzw. indirekt themati- kussiert, zwei Studien befassen sich mit sieren. der Rolle der „Weiblichen Polizei“ in der Viersektorenstadt Berlin sowie in der SBZ/ Bei den Forschungen über die „Nachkriegs- DDR (1945-1952) und ein Beitrag widmet polizei“ liegen erste sozialgeschichtlich ori- sich der Verbindung zwischen Volkspolizei entierte Forschungsergebnisse­ für den Os- und Bevölkerung (1952-1965). Alles in al- lem werden anregende Einblicke geboten und dadurch Kontinuitäten und Brüche „po- Dienste der Partei; Gieseke (2000c), lizeilicher Selbstbilder und Handlungsmus- Verwaltung des Inneren zur Staatssi- ter“ erkennbar sowie Mentalitäten, Wahr- cherheit; Diedrich/Wenzke (2001), Die nehmungen und Bedürfnisse differenziert. getarnte Armee; Wagner (2002), Si- Zugleich offenbart der Sammelband im Hin- cherheitspolitik; Ehlert/Rogg (2004), Militär, Staat und Gesellschaft; Wenz- blick auf regionale Vergleichsstudien große ke (2005), Staatsfeinde in Uniform; Forschungsdefizite und es wird die bis heu- Burrichter/Nakath/Stephan (2006), te bestehende Unterrepräsentation von Un- Zeitgeschichte; Zarusky (2006), Stalin und die Deutschen.. tersuchungen für die SBZ/DDR erkenn- bar.30 24 Lüdtke/Becker (1997), DDR und ihre Texte; Poiger (2000), Jazz, Rock and Rebels; Skyba (2000), Jugend in der Nach 1990 sind Tatsachenrapporte31, eine DDR; Bennewitz (2001), Glatzkopfban- illustrierte Volkspolizeigeschichte32, Trans- de; Villa ten Hompel (2004), Bürger, 33 34 Rowdys und Rebellen; Zimmermann formationsberichte , Erinnerungen , Sach- (2004), „Den neuen Menschen schaf- fen“. 29 Vgl. hierzu u. a. Lange (2000), Innere 25 Bennewitz/Potratz (1994), Zwangs- Sicherheit; Fürmetz/Reinke/Weinhau- aussiedlung. er (2001), Nachkriegspolizei

26 Erker (1990), Ernährungskrise; Gries 30 Fürmetz/Reinke/Weinhauer (2001), (1991), Rationen-Gesellschaft; Koop Nachkriegspolizei, S. 51-70, 129-153, (1998), Schwarzmarkt und Rollkom- 155-167, 229-253. mando; Braun/Klawitter/Werkentin 31 Vgl. hierzu exemplarisch: Pollak (1994), (1999), Politische Strafjustiz; Ciesla/ Tatort Sektorengrenze; Mittmann Lemke/Lindenberger (2000), Sterben (1995), Fahndung; Mittmann (1999), für Berlin?; Pohl (2001), Justiz in Bran- Große Fälle der Volkspolizei. denburg; NDR/Stiftung (2003), „Akti- on Rose“; Schevardo (2006), Preispoli- 32 Vgl. Schulze (2006), Grosse Buch der tik und Lebensstandard; Zierenberg VP. (2008), Stadt der Schieber. 33 Landesbeauftragte (1994), Grundlage 27 Major (1999), 13. August 1961; Ciesla/ zur Bewertung; Landesbeauftragte Lemke/Lindenberger (2000), Sterben (1996), Arbeitsgebiet I; Thüringer In- für Berlin?; Effner/Heidemeyer (2005), nenministerium (1996), Personalüber- Flucht im geteilten Deutschland. prüfungsausschuss; Polizeipräsident (1999), Informationen ZERV; Haselow 28 Lüdke/Becker (1997), DDR und ihre (2000), Wandel VP; Haselow/Noe- Texte; Lindenberger (1999), Herrschaft then/Weinhauer, Länderpolizei, S. und Eigen-Sinn; Bauerkämper (2002), 131-150. Ländliche Gesellschaft; Schöne (2005), Frühling auf dem Lande?; Engelmann/ 34 Vgl. als Bespiele für Erinnerungen: Kowalczuk (2005), Volkserhebung. Baarß (1995), Lehrgang X; Hellmann

55 darstellungen35 von ehemaligen Ange­ das im geplanten Forschungsvorhaben zu hörigen der DDR-Sicherheitsformationen untersuchende Konflikt- und Praxisfeld sowie Studien über die Eliten der SBZ/DDR „Straße“ ist bis auf den heutigen Tag weit- erschienen. Hier ist anzumerken, dass die gehend unerforscht geblieben.37 Mitte der Erinnerungsliteratur zwischen selbstkriti- neunziger Jahre wurde zwar erstmals eine scher und apologetischer Rückschau sozialgeschichtliche Studie über die öffent- schwankt. Die Sachdarstellungen von ehe- liche Ordnung („Straßenpolitik“) in Berlin maligen Angehörigen der Ordnungs- und zwischen der Jahrhundertwende und dem Sicherheitsorgane liefern zum Teil detail- Beginn des Ersten Weltkrieges vorgelegt, liertes Insiderwissen, sie zeigen aber auch aber diesem Ansatz folgte bislang erst eine den Versuch einer nachträglichen Legitima- Untersuchung über die Polizei und Ver- tion und Rechtfertigung. Die bis heute vor- kehrsdisziplin in Bayern zwischen 1945 und liegenden Elitenstudien lassen wiederum der beginnenden Massenmotorisierung in biographische Studien über die polizeili- der Bundes­republik.38 Die Interessen und chen Führungsgruppen vermissen, d. h. Strategien der Volkspolizei und der SBZ/ solche Untersuchungen spielen – von den DDR-Bevölkerung im Kontext der „Straßen- Forschungen des Militärgeschichtlichen und Verkehrspolitik“ sind bis heute kein Forschungsamtes zur Militärelite im Zu- Thema der vorrangig „handlungsorientier- sammenhang mit der Frühphase der Volks- ten historischen Polizeiforschung“ und der polizei einmal abgesehen – bislang keine Verkehrsgeschichtsforschung39 gewesen. nennenswerte Rolle.36 Die Erforschung und Analyse von volks­polizeilichen Lebens- und 37 Auf diesen Befund hat schon 1995 der Karriereverläufen in den fünfziger und Historiker Ralph Jessen in einem For- sechziger Jahren dürfte zwar keine überra- schungsüberblick aufmerksam ge- schenden Einblicke im Hinblick auf die Her- macht. Mehr als zehn Jahre später hat sich an dieser Situation im Grunde nur kunft der Führungskräfte hervorbringen, wenig geändert. Die angloamerikani- aber bezogen auf die Analyse der Überein- sche Forschung ist hier zudem schon stimmungen, Differenzen und Eigenheiten weiter. Emsley (1992), The English Bobby, S. 114-135; Emsley (1993), Po- des polizeilichen Apparates und der in die- licemen, S. 357-381; Jessen (1995), sem Zusammenhang vollzogenen „Kader- Polizei und Gesellschaft, S. 19-43; Für- politik“ sind durchaus neue Einblicke und metz (2001), Nachkriegspolizei, S. weiterführende Ansätze zu erwarten. 201. 38 Lindenberger (1995), Straßenpolitik; Fürmetz (2001), Nachkriegspolizei, S. Über die polizeilichen Praxisfelder gibt es 199-228. bislang nur wenige Untersuchungen der 39 Das Thema „Polizei“ spielt in der zu- historischen Polizeiforschung. Besonders nehmenden Zahl von Studien über die Automobilisierung und Verkehrspolitik in Deutschland nach 1945 nur eine (2001), Ein General; Fischer (2006), marginale Rolle. Ähnlich schwach ist Polizeisoldaten. die Forschung über das Thema „Ver- kehrserziehung“ ausgeprägt. Verkehrs- 35 Thoß (2004), Gesichert in den Unter- gang; Baumgarten/Freitag (2005), unfälle (1954); Trunkenheitsdelikte Grenzen; Mörke (2005), Zusammenar- (1966); Koch/Walter (1978), Verkehrs- beit; Eichner/Schramm, Angriff und erziehung; Monheim/Monheim-Dan- Abwehr; Behrendt (2008), Passkon- dorfer (1990), Straßen für alle; Klenke trolle. (1993), Verkehrspolitik; Südbeck (1994), Motorisierung; Klenke (1995), 36 Vgl. u. a. Bauerkämper/Danyel/Hüb- Freier Stau; Kuhm (1995), Eilige Jahr- ner/Roß (1997), Gesellschaft ohne hundert; Vester (1995), Crashtest Mo- Eliten; Hübner (1999), Eliten im Sozia- bilität; Verkehr und Mobilität (1996); lismus; Müller-Enbergs/Wielgohs/ Kühne (1996), Massenmotorisierung, Hoffmann (2000), Wer war wer; Gru- S. 196-229; Ciesla/Schmucki (1996), nenberg (2006), Wundertäter. Zur po- Stadttechnik, S. 373-405; Kuhm (1997), lizeilichen Führungselite in der Früh- Moderne und Asphalt; Dienel/Schmuc- phase in Potsdam siehe auch Thimme ki (1997), Mobilität; Dienel/Trischler (2007), Rote Fahnen, S. 225-234. (1997), Zukunft des Verkehrs; Ciesla

56 Dieser Forschungsstand verwundert, da mas Lindenberger hat 2003 eine solche gerade das Straßenverkehrsverhalten der gehaltvolle und quellengesättigte Ge- Bevölkerung und die damit einhergehende schichte über die Volkspolizei vorgelegt.41 polizeiliche Tätigkeit auf einzigartige Weise Seine Unter­suchung macht deutlich, dass den Alltag der Bevölkerung und den der die Volkspolizei frühzeitig zu einem Instru- Verkehrspolizei widerspiegeln. ment der politischen Umerziehung und Machtausübung umfunktioniert wurde und Bezogen auf die Forschungen über die damit als aktiver Teil der Herrschaftspraxis Volkspolizei wären zwei Sammelbandbei- fungierte. Anschaulich wird das am Bei- träge des Historikers Thomas Lindenber- spiel der gewaltsamen Kollektivierung der ger hervorzuheben.40 Einmal hat er sich Landwirtschaft und den am Ende erfolglo- mit den schriftlichen Hinterlassen­schaften sen Kontrollversuchen der „jugendlichen der DDR-Volkspolizei befasst und den Subkulturen“ gezeigt. „besonderen Reiz“ dieser „Polizei-Texte“ aufgedeckt. Er zeigt anschaulich die „Di- Lindenberger hat seiner Studie über die lemmata staatssozialistischer Herrschaft- Volkspolizei das Konzept von „Herrschaft spraxis“, die Mehrdeutigkeit der polizeili- als sozialer Praxis“ zugrunde gelegt. Damit chen Texte und vor allem wird von ihm wollte er nicht eine Entgegensetzung zu herausgearbeitet, wie durch „Rede und Wi- anderen Begriffen der politischen Theorie derrede“, Schlichtungsangebote und Kom- („totalitärer Staat“, „Moderne Diktatur“) vor- promisse der polizeiliche „Eigen-Sinn“ in nehmen, sondern vielmehr über einen diffe- der Alltagspraxis zum Vorschein kommt. Ei- renzierenden alltags- und sozialgeschichtli- nen weiteren Beitrag zur Textanalyse liefert chen Ansatz eine makro-, meso- und Lindenberger mit einem Artikel über die mikrohistorische Rekonstruktion von Macht- Fachzeitschrift „Die Volkspolizei“. Darin beziehungen sowie historischen Erfahrun- verdeutlicht er, dass diese Zeitschrift nicht gen und Lebensweisen vornehmen. In sei- nur ein bloßes „Agitationsinstrument“ war, ner Studie kann er anschaulich zeigen, wie sondern die Analyse der Zeitschriftentexte „Herrschaft“ vielschichtige soziale Interakti- zugleich interessante Rückschlüsse auf onen erzeugt und es neben formalisierten Themen wie Politik und Polizei, öffentliche Verfahrensweisen zugleich informelle Re- Ordnung und Sicherheit sowie Bürger und geln des Austausches gibt. In Anlehnung Polizei zulassen. Als Beispiele nutzt er hier- an Piere Bourdieus „Theorie der Praxis“ bei auch polizeiliche Vorgänge und Fallbe- und den Arbeiten Alf Lüdtkes zum Thema schreibungen aus den branden­burgischen „Herrschaft als soziale Praxis“ folgt Linden- Bezirken. berger in seiner Untersuchung der Volkspo- lizei diesen Ansätzen. Im Ergebnis gelingt Trotz dieser verschiedenen Einzelbeiträge es ihm, das Konzept gleich in mehrfacher gibt es gegenwärtig erst eine auf unveröf- Weise erfolgreich umzusetzen. Einmal wur- fentlichten Quellen beruhende wissen- de die „Institution Polizei“ als ein Teil des schaftliche Studie zur Deutschen Volkspoli- Herrschaftsapparates des SED-Staates zei unter dem Aspekt der Sozialgeschichte, dargestellt und andererseits wurde über die sich aber auch nur einem zeitlichen Teil- den sozialhistorischen Ansatz deutlich, abschnitt der DDR-Volkspolizeigeschichte dass diese Institution nicht nur auf Diktatur (1952-1968) widmet. Der Historiker Tho- und Menschenrechtsverletzungen reduziert werden kann. Dadurch entstand ein diffe- (1998), Netzwerk Auto-Bahn; Schmuc- renziertes bzw. erstaunlich vielschichtiges­ ki (1998), Verkehrsfluss; Baar/Petzina Bild über die Herrschaftspraxis der „Groß- (1999), S. 153-192; Zeller (2002), Stra- ße; Doßmann (2003), Begrenzte Mobi- organisation“ Volkspolizei. Die Monogra- lität; Burrichter/Nakath/Stephan phie über die Volkspolizeipraxis der fünfzi- (2006), Zeitgeschichte, S. 1120-1136. ger und sechziger Jahre verfällt dabei nicht 40 Lüdtke/Becker (1997), DDR und ihre in das andere Extrem und nimmt eine poli- Texte, S. 137-166; Barck/Langermann/ Lokatis (1999), Mosaik und Einheit, S.508-515. 41 Lindenberger (2003), Volkspolizei.

57 tikferne, den diktatorischen Charakter igno- rierende Idyllisierung vor.42 Lindenbergers Arbeit ist ein wichtiger Ausgangspunkt für das hier vorgeschlagene Projekt.

In der Gesamtsicht verdeutlicht die gegen- wärtige Forschungslage, dass die Thematik „Volkspolizei“ in der DDR-Geschichts- schreibung immer noch ein „Randphäno- men“ darstellt und hier ein dringender Än- derungsbedarf besteht. Wobei sich generell im Hinblick auf das vorgeschlagene Projekt zeigt, dass zwar über die verwaltungsge- schichtliche Entwicklung (Innenministeri- um) des Landes Brandenburg grundlegen- de Forschungen vorliegen43, aber die für dieses Projekt interessierende Polizeige- schichte nach 1945 – einmal abgesehen vom 17. Juni 195344 – in einem hohen Ma- ße „unterbelichtet“ geblieben ist und mit dem Projekt weitgehend Neuland betreten wird. Zudem ist die Möglichkeit gegeben, dass die Forschungen über die Volkspolizei in Brandenburg in den siebziger und achtzi- ger Jahren zielgerichtet vorbereitet und systematisch weitergeführt werden.

42 Bourdieu (1976) Theorie der Praxis; Lüdtke (1991), Herrschaft als soziale Praxis; Lüdtke (1993), Eigen-Sinn; Lin- denberger (1999), Herrschaft und Ei- gen-Sinn, S. 11-26, 137-166; Linden- berger (2003), Volkspolizei, S. 15-19.

43 Hierzu zuletzt Heinrich/Henning/Jese- rich (1993), Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands; Materna/Ribbe (1995), Brandenburgische Geschichte; Scherf/Viehrig, (1995), Berlin und Brandenburg; Mielke (1995), Auflö- sung der Länder; Materna/Ribbe (1995),Geschichte in Daten; Hajna (1995), Territorialstruktur; Adamy/ Hübner (1998), Landtage; Adamy/ Hübner (1999), Kleine Geschichte; Kotsch (2000), Land Brandenburg.

44 Vgl. die Literaturauswahl über den 17. Juni 1953 im Land Brandenburg bei Ciesla (2003), Freiheit sowie neuere Arbeiten über Brandenburg in den Sammelbänden von Mählert (2003), 17. Juni 1953 und Engelmann/Kowalc- zuk (2005), Volkserhebung.

58 59 60 Impressum

Herausgeber: Rainer Grieger, Präsident der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg

Beirat: Prof. Dr. Ilona Stolpe (Vorsitzende), LPD Norbert Bury, Prof. Dr. Guido Kirchhoff, KDin Cerstin Petersen-Schäfer, Prof. Dr. Ingo Wirth

Redaktion: Prof. Dr. Ingo Wirth

Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg, Bernauer Straße 146, 16515 Oranienburg, Tel. 03301-850-2401 oder 2501 Fax 03301-850-2409 E-Mail [email protected]

ISSN 1865-1062

Druck: Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg

Redaktionsschluss: 13. Juli 2009