Hessische Landeszentrale für politische Bildung

POLIS 48 Analysen – Meinungen – Debatten

Mechtild M. Jansen (Hrsg.) frauen & literatur Zum 200. Todestag der Sophie von La Roche (1807) POLIS soll ein Forum für ­Analysen, Mei­ nungen und Debatten aus der Ar­beit der Hessischen Landes­zentrale für politische Bildung (HLZ) sein. POLIS möchte zum demokratischen Diskurs in Hessen bei­ tragen, d.h. Anregun­gen dazu geben, wie heute möglichst umfassend Demo­ kratie bei uns ver­wirklicht werden kann. Der Name PO­LIS erinnert an die große geschichtli­che Tradition dieses Problems, das sich unter veränderten gesellschaft­ li­chen Bedingungen immer wieder neu stellt.

Politische Bildung hat den Auftrag, mit ihren bescheidenen Mitteln dazu einen Beitrag zu leisten, indem sie das demo­ kratische Bewusstsein der Bür­gerinnen und Bürger gegen drohende Gefahren stärkt und für neue Heraus­forderungen sensibilisiert. POLIS soll kein behäbiges Publikationsorgan für ­ausgereifte aka­ demische Arbeiten sein, sondern ohne große Zeitverzö­gerung Materialien für aktuelle Dis­kussionen oder Hilfestel­ lungen bei konkreten gesellschaftlichen Proble­men bieten.

Das schließt auch mit ein, dass Auto­rin­ nen und Autoren zu Wort kommen, die nicht unbedingt die Meinung der HLZ widerspiegeln.­ Sophie von La Roche (1730–1807)

Bildnis der Sophie von La Roche, um 1776, Öl / Lwd. 51,7 x 44,0 cm, Georg Oswald May aus Offenbach zugeschrieben Mit freundlicher Genehmigung des Gleimhauses – Literaturmuseum und Forschungsstätte, Halberstadt Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

Inhalt

Mechtild M. Jansen: Vorwort 3 Ulrike Prokop: Sophie von La Roche – Leben und Werk Was machte Sophie Gutermann – später Sophie von La Roche – zu einer berühmten Autorin? 5 Pia Schmid: Das Frauenzimmer und das Buch – Weibliche Lesekulturen um 1800 18 Nikolaus Gatter: „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“ , erste Biografin der Sophie von La Roche 33

Drei Briefe an Elise zu Solms-Laubach 59 Zwei Briefe von Sophie von La Roche: – Zur Besetzung von Offenbach (1800) 60 – Zum Tode der Karoline von Günderode (1806) 67 Ein Brief von der Tochter Luise von Möhn, geb. von La Roche zum Tode der Mutter (1807) 74

Bedeutende Stationen im Leben der Sophie von La Roche (1730–1807) 76 Chronologie der bisherigen Veranstaltungsprojekte 79

Die Autorinnen und Autoren 80 Polis 48

2 Vorwort Mechtild M. Jansen

Vorwort

Vor zweihundert Jahren, am 18. Noch im Alter bereiste sie selbst- Februar 1807, starb 76-jährig So- ständig die Schweiz, Frankreich, phie von La Roche in Offenbach Holland und England und be- am Main. Als erste deutsche Ro- richtete in ausführlichen Reise- manschriftstellerin („Geschichte beschreibungen ihre Erlebnisse des Fräuleins von Sternheim“, und Beobachtungen einem brei- 1771) und Herausgeberin der ten Lesepublikum. Zu einer Zeit, ersten Frauenzeitschrift steht da schreibende Frauen meist ein die Großmutter Bettina von Ar- männliches Pseudonym wählten, nims und Clemens Brentanos am um überhaupt eine Leserschaft zu Anfang weiblicher Bildungsge- erreichen, muss es als ein beson- schichte. Ihre Reiseberichte wur- deres Kunststück der La Roche den zum Tagesgespräch in den angesehen werden, dass sie offen Salons, ihr Werk zum Ansporn als Autorin auftrat und dennoch für eine ganze Generation schrei- nicht ins soziale Abseits geriet. bender Frauen in der Ära der Ro- Sie blieb zwar in den Grenzen der mantik und des Vormärz. Konvention, schmuggelte aber un- Das war Grund genug, das Ge- auffällig „Verbotenes“ ein: Bilder denkjahr dieser bedeutenden weiblicher Selbstständigkeit und Offenbacherin zum Anlass für Kritik am „starken Geschlecht“. Ausstellungen mit begleitender Die Geschichte des Fräuleins von Veranstaltungsreihe zu nehmen, Sternheim (1771) ist der erste Er- die Einblicke gaben in die vielfäl- folgsroman einer deutschen Au- tigen Facetten der Beziehungen torin und machte die La Roche zu von Frauen und Literatur der da- Recht berühmt. maligen Zeit, die aber auch für Die weibliche Lesekultur, die die heutige Zeit von Bedeutung um 1800 Gegenstand heftiger sind. Debatten war, bildet den Inhalt Grundlage dieser Publikation des zweiten Beitrages. Gelesen, sind die viel beachteten Vorträge zumal belletristische Literatur, der Veranstaltungsreihe. wird bis heute mehr von Frauen Der erste Beitrag beschäftigt sich als von Männern. Das hat eine mit dem Leben und dem Schaffen lange Tradition. Als Sophie von der Sophie von La Roche (1730– La Roche ihre Romane und Zeit- 1807). La Roche war eine „Lebens- schriftenbeiträge schrieb, wurde Künstlerin“. Sie behauptete sich sogar eine regelrechte Lesesucht erfolgreich in sehr verschiedenen bzw. Lesewut beim weiblichen Polis 48 sozialen Welten: als Gesellschaf- Publikum ausgemacht und heftig terin des Grafen Stadion am kur- kritisiert. Was sollten (bürgerli- fürstlichen Mainzer Hof sowie als che) Frauen lesen und was lasen Schriftstellerin und Begründerin sie? Was gaben ihnen Bücher und

der Frauenzeitschrift Pomona. wozu nutzten sie ihre Lektüre? 3 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

In einem weiteren Schritt wird ginäres Photoporträt von Sophie Ludmilla Assing (1821–1880), die von La Roche an, welches in der erste Biographin von Sophie von Ausstellung zu sehen war und La Roche, vorgestellt. Ihre Bücher von der Stadt Offenbach ange- lösten Stürme der Entrüstung aus: kauft wurde. „An vielen Stellen muss man sich Das Veranstaltungsprojekt wurde fragen: Konnte das ein Deutsches konzipiert und durchgeführt von Mädchen schreiben?“ hieß es in Dr. Gabriele Botte, Leiterin der der ultrakonservativen „Kreuzzei- Volkshochschule Offenbach, Ka- tung“; und als sie politisch misslie- rin Dörr, Leiterin des Frauenbü- bige Briefe Alexander von Hum- ros der Stadt Offenbach, Mech- boldts drucken ließ, wurde sie in tild M. Jansen, Referatsleiterin in den Berliner Salons zur persona der Hessischen Landeszentrale non grata. In Preußen war die für politische Bildung und Grete Nichte Karl August Varnhagen von Steiner, Initiative FrauenEnergie. Enses und Herausgeberin seiner Wir hoffen mit der Veröffentli- Tagebücher wegen Majestätsbe- chung der Vorträge einerseits leidigung steckbrieflich gesucht. ein weiteres Interesse sowohl an In Florenz schloss sie sich dem Sophie von La Roche als auch an Risorgimento an und war langjäh- den Schriftstellerinnen und Le- rige Italien-Korrespondentin der serinnen ihrer Zeit wecken und Frankfurter Zeitung. vertiefen zu können, andererseits Zwei Briefe von Sophie von La soll damit zugleich ein Beitrag Roche und einer von ihrer Toch- zur „Frauengeschichte“ geleistet ter Luise runden die Publikation werden. ab. So können die Leserinnen und Leser einen authentischen Eindruck ihrer Art und Weise zu schreiben und somit auch über Mechtild M. Jansen die Person der Sophie von La Ro- Hessische Landeszentrale che gewinnen. für politische Bildung Die Vorträge bildeten das Begleit- programm zu den Ausstellun­gen „Lebensbilder, die Zukunft zu be- völkern“ – von Rahel Levins Salon zur „Sammlung Varnhagen“ (eine Ausstellung der Varnhagen Ge- sellschaft e.V. Köln) und „Like a Dog Walking on its Hind Legs“ Polis 48 – Imaginär-historische Photopor- träts bedeutender Literatinnen der Vergangenheit (12. bis 19. Jahrhundert) der Offenbacher Künstlerin Karin Nedela. Zum

4 Gedenkjahr fertigte sie ein ima- Ulrike Prokop Sophie von La Roche – Leben und Werk

Ulrike Prokop Sophie von La Roche – Leben und Werk Was machte Sophie Gutermann – später Sophie von La Roche – zu einer berühmten Autorin?

Wie die bedeutendsten Schrift- Tradition des Erzählens und des steller ihrer Zeit, an erster Stelle Schreibens entstehen. Aber mehr Goethe, schrieb sie eine neue noch – um Autorin zu werden, Literatur, deren Kern in der Be- bedurfte es auch eines persön- arbeitung autobiografischer Er- lichen Mutes und eines Selbstbe- fahrung bestand. Zwei Jahre vor wusstseins, welches für Frauen dem Erscheinen des Jahrhun- dieser Zeit höchst ungewöhnlich dert-Romans Die Leiden des jun- war. Es war wie gesagt eine Fra- gen Werthers erschien das erste ge des persönlichen Mutes, aber Buch der La Roche – Geschich- auch der günstigen Umstände, te des Fräuleins von Sternheim die diesem begabten Mädchen – im Jahr 1771. Die Grundlage das nötige Wissen und jenen Re- ihres Erzählens waren autobio­ spekt der Mitwelt verschafften, grafische Erfahrungen, die sie in die es ihr ermöglichten, das Wort die Form des Briefromans fasste, zu ergreifen. wie er von England durch die Ro- mane Richardsons nach Deutsch- Ich möchte im folgenden deut- land gekommen war. Was die lich machen, wie Sophie von La literarische Qualität ausmachte, Roche Lebenserfahrung in litera- war jene besondere Lebendig- rische Gestalt umformte und wie keit, die sie der Introspektion eine Verbindung zwischen ihrem verdankte – so wie auch Goethes Leben und ihrem Schreiben zu größter literarischer Erfolg seine denken ist. Bearbeitung der bürgerlich all- Sophie Gutermann wurde am täglichen Lebenswirklichkeit und 6.12.1730 geboren. Sie wuchs in seiner eigenen Leiden war. eine Zeit der geistigen Erneue- Mit anderen Worten: Diese Auto- rung hinein. Sie war eine Tochter rin, die der Welt mit vierzig Jah- aus dem gebildeten Bürgertum. ren das erste Geschöpf aus ihrer Ihr Vater, der Arzt Georg Fried- Feder präsentierte, befand sich rich Gutermann, war in Augsburg sofort im Mainstream der Erneu- Dekan des medizinischen Kolle-

erung der deutschen Literatur. giums. Polis 48 Dazu musste sie nicht nur begabt Das Selbstbewusstsein des sein, fähig und phantasievoll – das aufstrebenden Bürgertums äu- setzte dazu auch Wissen, Bildung ßerte sich vor allem als Stolz auf voraus. Kein bemerkenswerter berufliches Können und auf Bil-

Roman kann ohne Kenntnis der dung. 5 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

Der gebildete Bürger besetzte Begabte Mädchen mussten zuse- nach und nach die Schaltstellen hen, wie ihre Brüder davonzogen der Gesellschaft – in der Verwal- und – der heimischen Aufsicht tung von Städten und Fürstentü- entronnen - sich im Studentenle- mern; durch akademische Bildung ben ausprobierten, sich Freund- überwanden die Söhne des Bür- schaften und Wissen aneigneten, gertums die alten Schranken ih- um schließlich als Vollendung der rer Herkunft, weil sie nun ein Amt Karriere die passende Braut zu ausüben, als Juristen eine Kanz- wählen. Die Karriere der Frauen lei betreiben oder als Mediziner kannte nur einen entscheidenden praktizieren konnten. Handel und Schritt – und das war die Heirat. Manufakturen nahmen an Bedeu- Davon, ob sie vom Richtigen er- tung zu – der Adel reservierte sich wählt wurden, hing alles ab – die die Landwirtschaft, das Militär und gesellschaftliche Stellung, das repräsentative Spitzenpositionen Einkommen und das Lebens- in der Verwaltung. glück. Als Gegenbewegung verschärfte Sophie Gutermann war ein be- sich um 1730 die Abgrenzung der gabtes Kind. Ihr Glück war, dass adligen Gesellschaft gegen alle sie die Erstgeborene war. Nach unteren Stände, umso mehr, als ihr wurden dem Vater in zwei die Legitimation feudaler Macht Ehen noch 10 Mädchen und ein zunehmend brüchig wurde. Junge geboren. Als Sophie 16 Bürgerliche Töchter waren vom war, starb die Mutter. Sophie ver- Zugang zu den zukunftsträch- sorgte die kleineren Schwestern, tigen Berufen von vornherein während sich der Vater ein Jahr ausgeschlossen, denn sie durften auf Reisen begab. nicht studieren. Die Universitäten Die Erinnerung an ihre Kindheit waren den Männern vorbehal- formulierte Sophie im Rückblick ten. Zwar befinden wir uns in der als 75jährige, in ihren letzten Le- Epoche der Auklärung, aber für bensjahren. Sie erinnert sich an Mädchen galt der berühmte Satz ihre frühe Liebe zu Büchern und Diderots: Sie ist Mutter, bevor verbindet diese Neigung mit der sie etwas anderes sein kann – mit Erinnerung an den Vater. Sie war anderen Worten, der weibliche eine Vaterstochter. Väter reprä- Lebensweg war vorgezeichnet sentierten den Zugang zur Welt, und auch die dafür passende Er- zu Macht und Wissen. So schreibt ziehung sah keine Ausbildung Sophie in ihrem Buch Melusinens des Geistes, sondern allenfalls Sommerabende (1806) vom Vater, eine des Herzens vor. Keine ernst- dass er ihr das Lesen nahebrachte, Polis 48 haften Studien, sondern ein we- dass er sie in seine Bibliothek zu- nig Sprachen, Literatur, Musik und ließ und dass er die kluge kleine vor allem Haushaltsführung – das Tochter gern vorzeigte: „Mein Va- musste auch in den Familien des ter hatte Dienstags eine Gesell- wohlhabenden Bürgertums genü- schaft von Gelehrten, wo manch-

6 gen. mal Bücher aus seiner Sammlung Ulrike Prokop Sophie von La Roche – Leben und Werk geholt werden mussten. Bei die- mit einer ganz anderen Seite des ser Gelegenheit machte er mich Vaters bekannt – mit dem Vater mit 12 Jahren im Scherz zu seinem als einfühlungslosem Tyrannen. Bibliothekar, weil mein gutes Ge- Mit siebzehn Jahren wurde die dächtnis mich alle Titel und alle anmutige Sophie dem Kollegen Stellen behalten ließ, welches ich ihres Vaters, dem gebildeten dann auch zum Auswählen der Leibarzt des Fürstbischofs von Bücher für mich benutzte“ (VIII, Augsburg, Ludovico Bianconi, Melusine). An diese Erinnerung zur Ehe versprochen. Bianconi schließen sich noch andere Bilder unterrichtete seine Braut in Ma- vom fördernden und unterstüt- thematik, im Italienischen, in der zenden Vater an. Sophie war eine Geschichte der Kunst. Er ver- Art Wunderkind, sie erinnert sich, anlasste die weitere Förderung dass sie schon mit drei Jahren le- ihrer musikalischen Begabung. sen konnte. Sie erhielt die übliche Schließlich stritt sich der Vater Bildung, wie sie für Mädchen aus Gutermann mit dem Bräutigam dem gebildeten Bürgertum üb- über die Frage der Taufe der Kin- lich war: Haushaltsführung, Fran- der. Nach seinem Willen sollten zösisch, Singen, Tanzen, Sticken, die Mädchen, die Sophie bekom- darüber hinaus einige Einblicke men würde, lutherisch getauft in Geschichte und Astronomie werden wie Sophie es war, nur durch Privatunterricht – aber an die Jungen sollten katholisch einen gelehrten Beruf war für werden. Über den Ehevertrag Mädchen nicht zu denken. La- entzweiten sich die Männer, und teinkenntnisse waren dazu die Sophie schildert in Melusinens erste Voraussetzung. Der Vater Sommerabende die Folgen: “Bi- verweigerte die Einwilligung, als anconi wollte mich heimlich hei- der bekannte Pädagoge Jakob raten, mitnehmen und der Welt Brucker ihr hierin Unterricht er- mehr als dreißig Briefe meines teilen wollte. Als sie bereits be- Vaters vorlegen, worin ich ihm rühmt war, nachdem sie ihren er- versprochen war. Ich versagte es, sten Roman veröffentlicht hatte, weil ich meinen Vater nicht betrü- schrieb Sophie an Johann Caspar ben, nicht ohne seinen Segen aus Hirzel: „Mit 13 Jahren wollte der dem Hause wollte… Ich musste große Brucker meine Erziehung meinem Vater alle seine Briefe, und Bildung meines Geistes be- Verse mit allen meinen ausge- sorgen. Ich bat meinen Vater auf arbeiteten geometrischen und Knien um die Einwilligung, aber mathematischen Übungen in sein er wollte nicht und meine emp- Cabinet bringen, musste alles findungsvolle Mutter bereicherte zerreißen und in einem kleinen Polis 48 nur mein Herz“ (Briefe, 1771, S. Windofen verbrennen. Bianconis 155). Porträt musste ich mit der Sche- Ein weiterer Abschnitt der Le- re in tausend Stücke zerschnei- benserinnerung in Melusinens den, einen Ring mit der Umschrift

Sommerabende macht uns aber ohne dich nichts mit zwei in den 7 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

Ring gesteckten entgegen ge- einen Makel, den der Ehemann steckten Eisen entzweibrechen immer spüren und den sie immer und die Brillanten auf den roten wissen würde. Steinen umherfallen sehen. Die Erinnerungen, wie sie uns in dem Ausdrücke meines Vaters dabei Werk Melusinens Sommerabende will ich nicht wiederholen“ (Melu- entgegentreten, werden heute sine XIV). von der Forschung nicht mehr In dieser Erinnerungsszene zeich- als unmittelbare äußere Wahrheit net Sophie den Konflikt: sie liebt aufgefasst. Was die junge Sophie und wird wiedergeliebt. Aber bei damals empfunden hat, was ge- der Heirat spielen die Gefühle nau geschah, wie sie den Konflikt die geringste Rolle. Heiraten in erlebte – das tritt uns ja im Text der vermögenden Familien sind vor über 70-Jährigen entgegen. Es ist allem Verträge zwischen Män- also vielfach verarbeitete und be- nern. Der Vater der Braut und der dachte biografische Erinnerung. Bewerber müssen sich einigen. Die Szenen verweisen auf Ereig- Heiraten sind keine Liebesdinge, nisse und deren Verarbeitung. die Liebe kann dazukommen, Dazu kommt, dass es sich bei Me- aber vor allem dient die Heirat lusinens Sommerabende ja nicht der Lebenssicherung. Der Bräuti- um ein intimes Geständnis, son- gam übernimmt die Braut aus den dern um einen publizierten Text Händen des Vaters und setzt des- handelt. Sophie will hier Vorbild- sen Werk fort. Er beschützt und liches zeigen. er bestimmt. Und beidem wider- Als vorbildlich gilt, wie sie den setzte sich Sophie auf ihre ganz Konflikt bewältigt. Sie verzichtet, besondere Weise. Sie war viel bleibt tugendhaft. zu klug, sich entführen zu lassen und sich auf Gedeih und Verderb Aber da ist noch etwas: einem Mann auszuliefern, der Sophie macht uns mit ihrer Em- sie hätte entehren und verach- pörung und den Konsequenzen ten können, wenn sie sich gegen bekannt. Sie nimmt Rache, indem das Gesetz des Vaters aufgelehnt sie ihrem Vater, aber auch ihren hätte. Zu jener Zeit hatten Entfüh- zukünftigen Geliebten und dem rungen nicht den Charakter der Ehemann, vorenthält, womit Bian- romantischen Revolte, sondern coni sie beschenkte, so als seien sie galten als triebhafte Unbe- diese Kompetenzen nicht ihre herrschtheit. Die Schuld schrieb eigene Leistung, sondern – da man immer der Frau zu und diese sie von einem anderen stammen war völlig schutzlos. Wer konnte - auch dessen Besitz. Niemand Polis 48 ihr für die Gefühle des Mannes wird sie singen oder Italienisch garantieren? Selbst wenn er sie sprechen hören oder sie in der vom Fleck weg heiratete, bedeu- Mathematik glänzen sehen. tete ein solcher Ausbruch aus der Der Herausgeber von Melusinens Ordnung eine Beschädigung des Sommerabende, der berühmte

8 Ideals immerwährender Tugend, Wieland aus Weimar, fügte eine Ulrike Prokop Sophie von La Roche – Leben und Werk

Fußnote in den Text. Sie lautet: nach Biberach. Hier sollte sie der „Daß sie (den Schwur) streng und Pastor Thomas Adam Wieland auf buchstäblich gehalten, kann auch ihre Pflichten hinweisen. Stattdes- der Herausgeber aus eigener Er- sen nun die Verliebtheit von Sohn fahrung bezeugen“.1 Wieland Christoph Martin und ein heim- musste es genau wissen, denn er liches Verlöbnis, von dem beide folgte Bianconi als der nächste Eltern nichts wissen durften. Verlobte der schönen Sophie. Die Verliebtheit des angehenden Man hatte das verzweifelte und Gelehrten und bedeutenden Au- trotzige Mädchen zu den Ver- tors Wieland ging in der Studien- wandten des Vaters nach Biber- zeit den natürlichen Weg. Seine ach geschickt, wo sich der 17jäh- Briefe wurden immer seltener rige Vetter Christoph Martin auf und neue Eindrücke und Freund- der Stelle verliebte, wie er selbst schaften, zunehmendes Wissen mehrfach bezeugt hat. Auch So- entfremdeten ihn der Liebe. phie war in ihn verliebt, weil er ih- Hinzu kam, dass beide Familien ren intellektuellen Bedürfnissen der Verbindung nicht freundlich entgegenkam, nicht nur Liebster, gesonnen waren. Der Vater Gu- sondern auch anregender Förde- termann wollte sich erneut ver- rer und Lehrer sein konnte. Chri- heiraten und legte den älteren stoph Martin Wieland ging kurz Töchtern eine baldige Ehe nahe. darauf zum Studium nach Tübin- Sophie befand sich in einer pre- gen; in seinen Briefen führte er kären Lage. Ihr Vater hatte sein Sophie in die zeitgenössische Vermögen ausschließlich dem deutsche Literatur ein, während sie als Haustochter auf seine Stiefsohn zugedacht und be- Rückkehr wartete. nutzte ihre Ablehnung eines Heiratsvorschlags als Vorwand. Hat die junge Sophie Gutermann Sie war plötzlich ein Mädchen so gefühlt, wie es die 75-Jährige ohne Mitgift und „schon“ zwan- beschrieben hat? zig. Aber noch schlimmer als die Hat sie in dieser Weise zugleich äußere Situation war das Gefühl, Verzicht und Opposition betrie- mit Gleichgültigkeit behandelt ben? zu werden. Es war die Kränkung, Real war es klar, dass die Heirat zu Hause überflüssig, vom Vater der entscheidende Lebensschritt nur mit Undank belohnt, von der – wenn man so will der entschei- Stiefmutter abgelehnt und von dende Karriereschritt war. Sophie dem Freund und Bräutigam Hans waren durch ihren Vater und den Martin Wieland hingehalten zu eigensinnigen Bräutigam Bianco- werden. Aber auch wenn Wieland ni Schaden und Schmerz zuge- gewollt hätte, erst galt es für ihn, Polis 48 fügt worden. Obgleich Protestan- sein Studium abzuschließen und tin, schrieb die 19-Jährige an den in ein Amt zu kommen. Erst dann Bischof von Augsburg und bat konnte an Heirat gedacht werden um die Aufnahme in ein Kloster. – ob überhaupt und wann, all das

Stattdessen schickte sie der Vater war völlig unklar. 9 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

In dieser Situation zeigte Sophie Wie ihr Mann gehörte Sophie nun Gutermann einen charakteristi- zum Haushalt des Grafen Stadion schen Zug ihres Wesens. Nie hat und ihre Aufgabe war völlig an- sie als Abhängige an Mitleid ap- ders als die einer bürgerlichen pellieren wollen und sie befreite Hausfrau. Bevor La Roche an seine sich mit einem Schlag. Sie ver- täglichen Geschäfte ging, legte mählte sich am 27.12.1753 mit dem er ihr Bücher und Zeitschriften kurmainzischen Rat Georg Micha- heraus und versah sie mit Zei- el Frank, genannt La Roche. Wie- chen; von Sophie erwartete man, land war außer sich, ließ sich aber dass sie das Gelesene bei Tisch schließlich von Sophie zu einer oder auf Spaziergängen mit dem lebenslangen Freundschaft ge- Grafen geistreich einfließen ließ, winnen. La Roche – das war keine dass sie Sachverhalte referierte, Leidenschaftsgeschichte – aber er Stichworte lieferte. Sie lernte schloss sich nahtlos an die Lieben Englisch, denn La Roche war Spe- Sophies an, insofern er ihr den zialist für Englandbeziehungen. weiteren Zugang zur literarischen So kam Sophie mit der neuesten und allseitigen Bildung ermögli- englischen Literatur in Berüh- chte – eine große Chance. Die Ehe rung, was für ihr Schreiben von führte Sophie in höfische Kreise. entscheidender Bedeutung wur- La Roche war der Vertraute und de. Die Jahre 1753 bis 1768 ver- Sekretär des Grafen Stadion und brachte sie bei Hofe in Mainz und dieser wiederum war der erste Mi- im Stadionschen Schlösschen in nister am Hof des Kurfürsten Em- Warthausen. Im benachbarten Bi- merich von Mainz. Schon als Vier- berach war Wieland Stadtschrei- jähriger war Georg Michael Frank, ber und bald gern gesehener das 13. Kind eines vermögens- Gast. Sophie hatte jedenfalls ihre losen Chirurgen, vom Grafen Sta- Heiratsaufgabe hervorragend ge- dion an Kindes statt angenommen löst. Sie hatte sozusagen Karriere worden. Der Graf ließ ihn erziehen gemacht und sich einen Freiraum und zum Verwaltungsbeamten für ihren Wunsch nach der Teilha- und Staatsmann ausbilden. Sta- be an dem Wichtigen in der Welt dion war Vertreter einer reforme- geschaffen, von heute aus gese- rischen Aufklärung und La Roche hen begrenzt – als Ehefrau – wie folgte ihm begeistert und in Dank- barkeit. Der Graf war entschieden es der Zeit entsprach, und doch antikirchlich eingestellt; vor allem eine gewaltige Chance, vergleicht sah er in der Macht der Orden eine man das Leben Sophies mit den Beschränkung der landesherr- Chancen zu lernen und kreativ zu lichen Rechte. Er war mit Voltaire sein im bürgerlichen Ehealltag. Polis 48 bekannt und kritisierte den Ka- Sophie hatte acht Kinder. Fünf tholizismus als Aberglauben und überlebten die frühe Kindheit. den Klerus als gefährlich. Männer Ihre Älteste war Maximiliane, die mit solchen Ideen hingen beson- spätere Mutter von Bettine und ders vom Wohlwollen des Landes- Clemens Brentano. Mutterschaft

10 fürsten ab, eine riskante Position. hieß damals – zumal im Umkreis Ulrike Prokop Sophie von La Roche – Leben und Werk des höfischen Lebens – nicht Mut- die Pflichten der Vergangenheit. terpflichten im bürgerlichen Sinn. Ihr Mann war zudem als Vollstre- Es war Sophie untersagt, ihre Kin- cker des Stadionschen Testa- der selbst zu stillen. Sie wurden ments monatelang abwesend. vom Gesinde erzogen, nicht von In dieser Situation verfasste sie der Mutter. Nur den Jüngsten, ihr ihren Roman. Lieblingskind Franz, hat sie selbst Ich habe einleitend darauf verwie- stillen dürfen. Aber auch er wur- sen, dass das Moderne im Schrei- de, wie es üblich war, weitgehend ben der La Roche die lebendige nicht zu Hause erzogen. literarische Darstellung von Le- Der äußere Lebensweg Sophies bensgeschichte war, und so ist war durch die Laufbahn ihres auch die Sternheim aufzufassen, Mannes bestimmt. Den ersten allerdings nicht in dem Sinn der Einbruch in die einmal erlangte unmittelbaren autobiografischen gesellschaftliche Position erlebte Mitteilung. Sophie von La Roche sie nach dem Tod des Grafen hat zwei Seiten ihres Schreibens Stadion 1768. Mit einem Schlag jener Jahre hervorgehoben: ihre sahen sich die La Roches in Wart- Absicht, Vorbildliches zur Mäd- hausen verabschiedet und mit chenerziehung mitzuteilen und schmalen Bezügen ins ländliche eine Reverie, eine Träumerei zu Bönnigheim versetzt. Zunächst verfassen. Wovon sie in dieser konnte niemand ahnen, dass der Träumerei Mitteilung macht? Im eigentliche Aufstieg La Roches in Tagtraum werden die Schmerzen den Jahren 1771 bis 1780 noch gelindert und die Wirklichkeit folgen sollte. Er wurde Minister wird umgestaltet. und Kanzler beim Kurfürsten Cle- Was erzählt der Roman? Die Hel- mens Wenzeslaus von Trier. din mit dem Namen Sophie wird Aber zunächst in der Verbannung als natürliches Menschenkind im in Bönnigheim 1770 zeichnete Sinn Rousseaus vorgestellt. Nach sich nichts dergleichen ab. In je- dem Tod der Eltern wird sie von ner Zeit der Unsicherheit schrieb ihren Verwandten bei Hof dem Sophie von La Roche das Buch, Fürsten vorgeführt – in der Ab- das sie zu recht berühmt machte. sicht, sie diesem als Mätresse zu- Zu dieser Zeit war sie vierzig Jahre zuspielen. Damit wollte ihr Onkel und Mutter von Maximiliane, Fritz seine Aussichten bei Hofe beför- und Luise und von den jüngeren dern. Das Thema entspricht der Söhnen Carl (1766) und Franz bürgerlichen Empörungsmoral (1768). Die Mädchen waren 1770 der Zeit. Der Landadel, dem die zur standesgemäßen Erziehung Sternheim entspringt, vertritt in ein Kloster nach Straßburg ge- im Roman zugleich das wohlha- Polis 48 geben worden. Der älteste Sohn bende und gebildete Bürgertum, Fritz begleitete Wieland nach Er- das sich in Deutschland gern als furt. Die Kleinen wurden von der der bessere Adel verstand. Hö- Kinderfrau versorgt. Sophie fand fische Unmoral steht gegen bür-

sich ohne die Tagesregelung und gerliche Tugend, personifiziert 11 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

in der standhaften Jungfrau. beizustehen, will er sich verge- Die weitere Handlungsführung wissern, ob sie dem Werben des geht jedoch eigene Wege. Sehr Fürsten wohl widerstehen wird. schön beschrieben, aber eher Zum Schluss befreit sich die Hel- konventionell, ist der Bösewicht din selbst, und da erst tauchen Derby, ein englischer Lord, der auch ihre männlichen Retter auf. die Sophie von Sternheim durch Sophie reicht Seymour ihre Hand, Intrigen zu einer vorgetäuschten weil er ihrer am meisten bedarf, heimlichen Hochzeit und schließ- und sie schenkt ihr erstes Kind lichen Flucht veranlasst. Die Ro- dem Lord Rich an Sohnes statt. manheldin lässt sich – anders als Einiges was uns befremdet, hängt Sophie seinerzeit – entführen und mit der Zeitdifferenz zusammen. sie muss dafür büßen, denn der Einer befreundeten Familie ein Entführer lässt sie fallen. Die Ehe Kind zur Adoption oder zur Erzie- war Betrug und das Mädchen ist hung zu geben, war aber im 18. entehrt. Das kannte man schon Jahrhundert nichts Besonderes aus dem englischen Briefroman. und Heiraten wurden, wie schon Die Clarissa des damaligen Er- gesagt, auf Grund von vernünf- folgsautoren Richardson war ein tigen Erwägungen und nicht im sensationeller Erfolg. Überschwang eingegangen. Nun das Unkonventionelle: Die Aber auch verglichen mit der Li- Sternheim nimmt sich nicht das teratur der Zeitgenossen weist Leben und sie stirbt auch nicht; die Handlungsführung Beson- vielmehr besinnt sie sich auf die derheiten auf. Das gilt vor allem eigene Kraft und beginnt mit für die männliche Hauptrolle. Die Erziehungsarbeit in ihrer Umge- Entwicklung von Lord Seymour bung, die von der Autorin aus- entspricht nicht dem Aufbau führlich dargestellt wird. Das eines männlichen Helden, son- allein hätte aber auch das Lese- dern eher geht es umgekehrt: aus publikum um 1770 nicht in Be- der schwachen Heldin wird die geisterung versetzt. Es entspinnt eigentlich Tatkräftige, während sich vielmehr ein buntes Geflecht der männliche Retter schließlich von Flucht, Verfolgung und Be- selbst ihrer Hilfe bedarf. drohung durch den lasterhaften Für die literarische Kreativität Derby. Dagegen stellt die Autorin der La Roche war entscheidend, zwei positive Männerfiguren, die dass sie diese moderne Struktur beide als angemessene Heirats- ihrer Beschreibung von Frau und kandidaten vorgestellt werden: Mann insofern im Hintergrund den älteren melancholischen beließ, als sie stets pädagogische Polis 48 Lord Rich und den jungen Lord Bemerkungen einstreute, die das Seymour. Mit Seymour hat es Gegenteil behaupteten: vortreff- eine besondere Bewandnis: er ist lich werde die Frau durch Beschei- der eigentlich Richtige – aber er denheit, hausfrauliche Pflichter- versagt im entscheidenden Mo- füllung und strikte Tugend – ganz

12 ment. Statt der bedrohten Sophie gleich wie sich der Mann verhalte. Ulrike Prokop Sophie von La Roche – Leben und Werk

So enthält die Sternheim durch schlechterentwurfs. Wie ­Goethe innere Widersprüche eine starke einen unheldischen Helden Spannung, die nicht aufgelöst zeichnete, so entwarf sie eine tat- wird. Eine solche Figurenführung kräftige Unschuld und schwache war in der zeitgenössischen Lite- Männer. Anders als Goethe ver- ratur unbekannt. Neu war auch mied sie aber die Eindeutigkeit die lebendige Darstellung von der Absage. Sie fühlte sich zu tatkräftigem Mitgefühl und prak- sehr verpflichtet, an der Tradition tischer Hilfe, so wie die positive festzuhalten. Während Goethe Wertung einer „entehrten Frau“. nach dem Selbstmord seines li- Beziehen wir den Roman auf die terarischen Helden ungerührt zur Lebenserfahrungen der La Roche, Lebenswirklichkeit zurückkehrte, so finden wir wichtige Stationen blieb für die La Roche Literatur ihrer Lebenswelt und ihrer Be- noch zu sehr pietistisches Erbau- ziehungsgeschichte wieder. Da ungsbuch, als dass sie ihre ori- sind die ewig zögernden Männer ginelle Leistung ganz hätte aus- wie Wieland, gefährliche Bezie- schöpfen können. hungen wie die zu Bianconi und So steht die Sternheim sozusagen verantwortungsvoll kamerad- an der Grenze zur großen Litera- schaftliche wie zu La Roche. Was tur und es verwundert nicht, dass Sophie in der Beschreibung ganz die wichtigen jungen Autoren, ausließ, weil es nicht zum ideali- Goethe, Lenz, Herder, das Er- sierten Bild der weiblichen Hel- scheinen dieses Romans als ein din passte, war die Tatsache, dass großes Ereignis feierten, das dem auch das anmutigste Mädchen Lebensgefühl der jungen Gene- irgendwann von den Brüdern, ration Ausdruck verlieh. Goethe Liebhabern und Freunden ver- widmete ihr eine begeisterte gessen wurde, weil diese anderes Rezension, Herder äußerte sich und Aufregenderes unternah- überaus lobend und Lenz wollte men. Und dass das allerschlimm- sie gleich kennen lernen. ste war, arm und damit abhängig Das Erscheinen der Sternheim, zu sein und nichts dagegen un- zunächst anonym herausgege- ternehmen zu können als zu hei- ben von Wieland, wurde ein Sen- raten. sationserfolg mit drei Auflagen Interessant ist der Vergleich mit bereits im Erscheinungsjahr, und den Leiden des jungen Werthers die neue Position von La Roche als (1774): Hier wird das Scheitern Geheimer Rat des Kurfürsten von eines männlichen Identitätsent- Trier brachte öffentliche Geltung. wurfs unverhüllt ausgesprochen Sophie war berühmt; sie hatte eine und es wird für den Unglücklichen gesellschaftliche Position und sie Polis 48 das Mitgefühl des Lesers und hatte Geld und Einfluss. Sie führte des Autors mobilisiert. Auch die nun einen Salon, in dem das li- ­La Roche schöpfte aus ihrer Le- terarische Deutschland, Merck, benserfahrung, auch sie kritisierte Goethe, Wieland, die Jacobis und

das Fassadenhafte des neuen Ge- viele andere verkehrten. 13 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

Sophie publizierte auch in den sellschaft Stichworte lieferte und folgenden Jahren, so Rosaliens geistreich zu antworten verstand. Briefe an ihre Freundin 1780–81 Was sie aber auf keinen Fall durf- und Miss Lony und der schöne te, war ein heftiges Interesse an Bund 1789, Rosalie und Cleberg einer Sache zu zeigen oder einem auf dem Lande 1791. anerkannten Mann zu widerspre- Die neuen Tendenzen der Litera- chen. Das galt als Schreckbild der tur waren aber entweder radikal gelehrten Frau. wie der Sturm und Drang oder Über den Lebensstil im Kreis der sie entwickelten sich in Richtung Empfindsamen im Salon La Ro- auf eine autonome Kunst, die nie- che informiert unnachahmlich manden beraten und die schon Dichtung und Wahrheit. Sophie gar keine Pädagogik vorbringen entwickelte in diesem Rahmen wollte. Die Sternheim war eine einen eigenen Darstellungsstil, Gratwanderung zwischen Rebelli- der es ihr erlaubte, die Rollen der on und Resignation gewesen. Der Hausherrin und der schreibenden Weg, den Sophie nun literarisch Frau zu vereinbaren. Die Eigenart einschlug, entsprach zu sehr den der Selbstinszenierung war kein Haltungen der Vergangenheit. persönliches psychisches Pro- Sie entschied sich für einen we­- blem der La Roche, sondern eine nig aufregenden literarischen Ge- Überlebenstaktik. Das wird im genstand, eine eher zahme Päda- Vergleich zu der ganz anders ge- gogik der Mädchenbildung, die arteten gleichaltrigen, ebenfalls sie in Geschichten fasste. Damit ungewöhnlich intelligenten und blieb sie in der entscheidenden gebildeten Katharina Elisabeth Lebensphase als Schriftstellerin Goethe deutlich. Sophie spielte (zwischen vierzig und fünfzig) in Gesellschaft die empfindsame weit unter ihren Möglichkeiten; Seelenvolle, während Katharina (andererseits liebte sie auch den das unverbildete Naturkind gab. gesellschaftlichen Erfolg – und Die beiden konnten sich nicht den hatte sie). ausstehen und je älter sie wur- Man darf aber nicht verges- den, desto starrer und auch al- sen, dass der gesellschaftliche tertümlicher wurden die Maske- Druck erheblich war. So durf- raden, die ihnen zur Gewohnheit te sie sich öffentlich nicht als geworden waren. selbstbewusste Autorin und als Das Komische eines solchen Ha- reflektierte Schriftstellerin zei- bitus verrät das Problematische gen. Vielmehr war verlangt, der solcher Überlebensstrategien. Roman solle eine unmittelbare Die Fixierung auf die Erwar- Polis 48 Veröffentlichung ihrer Seele sein tungen der Mitwelt erlegten der – mit anderen Worten, sie sollte Entwicklung der beiden außer- ebenso sanft, fromm und un- gewöhnlichen Frauen Schranken schuldig schön wie ihre Heldin auf. Sie blieben zwar im Spiel, sein. Noch mehr wurde von einer konnten sich aber nicht frei ent-

14 Frau erwartet, dass sie in der Ge- falten. Katharina E. Goethe zog Ulrike Prokop Sophie von La Roche – Leben und Werk sich auf das Briefeschreiben im sich Sophie, nun über 50 Jah- Privaten zurück; Sophie von La re, auf ihre großen Reisen in die Roche beschränkte sich zuneh- Schweiz, die Niederlande, nach mend auf das literarische Erzäh- Frankreich und England und len als Mittel zur Erläuterung vor- machte ihre Leserschaft über ihre bildlichen Verhaltens. umfangreichen Reiseberichte und 1780 nahm ihr Leben erneut eine Tagebücher mit ihren Erlebnissen plötzliche Wendung. La Roche bekannt. Sie wurde die erste Rei- schuf sich mit seiner antiklerikalen seschriftstellerin Deutschlands. Politik mächtige Feinde. Er verlor Als sie von ihrer Englandreise alle Ämter, als der Kurfürst von heimkehrte, war La Roche nach Trier seinen Kurs änderte. Sein Offenbach übergesiedelt. Hier Freund und Ministerkollege Ho- hatte er mit Hilfe seines Schwie- henfeld nahm die Familie La Roche gersohns Brentano ein Haus in in sein Haus in Speyer auf. Typisch der Domstraße zu Offenbach ist die Tatkraft Sophies: In Speyer erworben. Er war krank. Zwei entwarf sie den Plan für die erste Jahre pflegte Sophie ihren Mann deutsche Frauenzeitschrift unter nach einem Schlaganfall aufopfe- ihrer Leitung. 1783 erschien das er- rungsvoll und treu. Er starb Ende ste von 24 Heften ihrer Zeitschrift November 1788. Sophie blieb in Pomona für Teutschlands Töchter. Offenbach, in ihrer Grillen-Hütte, Es war eine Wochenschrift, die wie sie das Haus liebevoll nannte. die journalistischen Talente der Es war der Ort, an dem sie sich La Roche deutlich zeigt, denn das länger als sonst irgendwo in ih- Konzept enthielt Elemente, die bis rem Leben aufhielt. Das Schrei- heute für die Frauenzeitschriften ben wurde zunehmend auch ein charakteristisch sind: Betrach- notwendiger Erwerb, denn So- tungen über weibliche Erziehung, phie fand sich im Alter schlecht erfolgreiche Haushaltsführung gestellt – und das erst recht in und Reiseberichte, Mitteilungen den letzten Jahren, nachdem und Betrachtungen über Literatur, Napoleonische Truppen den Ein- Kunst und Musik, außerdem eine nahmen der Witwe aus den links- große Rubrik für Lesezuschriften, rheinischen Trier und Boppard die ausführlich beantwortet wur- ein Ende bereiteten. den. Mit der Pomona gab sich zum Nach zwei Jahren hat Sophie die erstenmal eine Frau als Herausge- Pomona eingestellt. Das ist scha- berin einer Zeitschrift öffentlich zu de, denn mit einer Frauenbibli- erkennen. Das Ansehen Sophies othek und Frauenkalendern (mit trug zur Verbreitung bei. Sie war literarischen Produktionen) wurde international bekannt. 500 Exem- von männlichen Herausgebern, so Polis 48 plare der Pomona orderte und auch von Wieland, viel Geld ver- bezahlte die Zarin Katharina von dient. Warum Sophie aufgab, ist Russland. nicht ganz klar – jedoch passt es zu Und noch etwas Ungewöhnliches der allgemeinen Situation, einem

geschah: Von Speyer aus begab der Selbstständigkeit von Frauen 15 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

feindlichen Umfeld. Es kam je- Sophie von La Roche im Alter und doch hinzu, dass Sophie sich iso- sie war ihr eng verbunden. Ihr liert fühlte. Mit Goethe, Schiller, Erbe war das schriftstellerische selbst mit Wieland ließ sich kein Talent und auch die Lebensklug- Arbeitsbund mehr herstellen. In heit Sophies, und so blieb Sophie ihren letzten Lebensjahren hat doch in Verbindung mit den neu- sich Sophie weiter mit Literatur en Tendenzen der Romantik. befasst und geschrieben, zugleich Joseph von Eichendorff hatte aber vier Mädchen, die Kinder der nicht recht, als er folgendes be- früh verstorbenen Tochter Maxe hauptete: „Seltsam während die Brentano, in die Grillenhütte auf- La Roche die geistige Ahnfrau je- genommen: Kunigunde, Bettine, ner süßlichen Frauengeschichten Lulu und Meline liebten die Groß- geworden, ist sie wie zur Buße, mutter, das Häuschen, den wilden zudem die leibliche Großmutter Garten und die Freiheit, die ihnen eines völlig anderen genialen Ge- gewährt wurde. So erinnert sich schlechts und nimmt sich dabei Bettine an folgendes: Sie las ihr wie eine Henne aus, die unver- aus ihrem Tagebuch vor und die hofft Schwäne ausgebrütet hat Großmutter meinte kopfschüt- und nun verwundert und ängst- telnd: „Kind meiner Maxe, was hast lich das ihr ganz fremde Element du für wunderliche Gedanken.“ umkreist, auf welchem diese sich „Darüber kann ich mich trösten“, wiegen und zu Hause sind“ (Milch antwortet das Kind, „wenn meine 234). Gedanken nicht mit der Klugheit Wir sehen in ihrem Schreiben das übereinstimmen; diese Klugheit ungewöhnliche frühe Streben verträgt sich nicht mit meiner hüp- nach Selbstständigkeit und das fenden und springenden Natur.“ legitime Interesse, sich in der Ge- „Das weiß Gott“, sagte die Groß- sellschaft zu behaupten. Bettine mama, „aber Kind, wie sieht es aus sieht sich zugleich als anders und in dir.“ auch eng verbunden. Bettine schwieg. Dem Bruder So erinnert sich die Enkelin Betti- Clemens schrieb sie die unaus- ne in ihrem Buch: gesprochene Antwort: „Wie es „Die Leute werfen ihr vor sie sei aussieht in mir liebe Großmama? empfindsam. Das stört mich Nicht wie hier in Offenbach wo die nicht, im Gegenteil findet es An- Wiesen weit sich ziehen und die klang in mir und obschon ich engen Schleichwege zwischen manchmal über gar zu seltsames blühenden Hecken ums Dorf hab mit den andern lachen müs- führen, nein dies Vaterlandsbild sen, so fühle ich doch eine Wahr- Polis 48 gleicht nicht meiner Seele. Es ist heit meistens in allem. Wenn sie mir doch, ich komme anders wo im Garten geht da biegt sie alle her.“ Ranken wo sie gerne hinmöchten. Trotz des leisen Spotts, Betti- alles muß fein schnaufen können, ne überlieferte in ihrem Erinne- sagte sie. Sie ließ sich aus über

16 rungsbuch getreu das Wesen der das frische Rubinroth der Blüthe, Ulrike Prokop Sophie von La Roche – Leben und Werk die ich ihr brachte, hielts gegens Weiterführende Literatur Licht und war ergötzt über die Glut. Ich sagte ihr sie komme mir Arnim, Bettina von: Goethes vor wie ein Kind das alles zum Briefwechsel mit einem Kinde, erstenmal sehe. Und sie antwor- 1835 tete: Was soll ich anders als nur ein Kind werden, sind doch alle La Roche, Sophie von: Geschichte Lebenszerstreuungen jetzt ent- des Fräuleins von Sternheim. schwunden, die dem Kindersinn Hrsg.: C. M. Wieland, Leipzig früher in den Weg traten. So 1771; Stuttgart 1983 beschreibt das Menschenleben La Roche, Sophie von (Hrsg.): Po- einen Kreis. Jetzt wo das Laub mona für Teutschlands Töch- abfällt da bereitet sich der Geist ter. Speyer 1783–1784 vor auf frische Triebe im nächsten Lebenskreislauf und da magst du La Roche, Sophie von: Melusinens ganz recht ahnen.“ Sommerabende. Hrsg.: C. M. Wieland, Halle 1806; – Repr. In den ersten Tagen des Februar Eschborn 1993. 1807 wurde sie krank und starb in ihrem sechsundsiebzigsten Le- Maurer, Michael (Hrsg.): Ich bin bensjahr. mehr Herz als Kopf. Sophie von La Roche. Ein Lebensbild Zu recht ist von den Zeitgenossen in Briefen, München 1983 hervorgehoben worden, dass So- phie von La Roche sowohl über Meise, Helga (Hrsg.): Sophie die Fähigkeit zu schwärmerischer von La Roche – Lesebuch. Begeisterung als über Nüchtern- Königstein/ Taunus 2006, heit und Tatkraft verfügte. Meise, Helga (Hrsg.): Die Un- In ihrem Schreiben ist das schwie- schuld und die Schrift. Deut- rige Streben nach Selbstbehaup- sche Frauenromane im 18. tung ein immer wiederkehrendes Jahrhundert, Berlin 1983 Thema. Prokop, Ulrike: Die Illusion vom großen Paar. Bd. 1: Weibliche Anmerkungen Lebensentwürfe im Deut- schen Bildungsbürgertum von 1750–1770, Bd. 2: Das Ta- 1 Sophie von La Roche: Melusinens Sommerabende. Hrsg. C. M. Wie- gebuch der Cornelia Goethe, land, Halle 1806, S.XV Frankfurt 1992 Polis 48

17 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

Pia Schmid

Das Frauenzimmer und das Buch Weibliche Lesekulturen um 1800

Bevor ich zu den lesenden Frauen es aussieht, lesen Frauen mehr um 1800 komme, möchte ich kurz als Männer, vor allem mehr schön- etwas zum aktuellen weiblichen geistige Literatur und mehr zu ih- Lesepublikum sagen. Frauen, so rem Vergnügen. Das hat, wie sich das Ergebnis einer Studie zum zeigen wird, Tradition und wurde Leseverhalten in Deutschland, nicht immer gerne gesehen. bilden die Hauptleserschaft von Im weiteren werde ich darstel- Belletristik und stellen den größ- len, welche Bedeutung Lesen um ten Teil der Viel-Lesenden, wo- 1800 hatte, dann auf die zeitge- runter jene verstanden werden, nössische Debatte um Lesesucht die sechs bis 20 Bücher im Jahr eingehen, um in einem dritten lesen. Nach ihren Motiven be- Schritt Lesestoffe von Frauen fragt, nennen Frauen vor allem zu behandeln und mit Überle- Entspannung und Unterhaltung, gungen zur Bedeutung der Lek- nur ein Drittel liest der Informa- türe für Frauen zu schließen.3 tion wegen; bei Männern ist es umgekehrt: hier lesen zwei Drit- tel zur Information und ein Drit- tel, um sich zu unterhalten und 1. Zur Bedeutung des entspannen.1 Lesens um 1800 Christine Garbe untersucht ge- schlechtsspezifische Zugänge Um 1800 wurde in Deutschland, zum fiktionalen Lesen und hält so der Tenor, so viel und so Un- im Bezug auf das Leseverhalten terschiedliches, auch Neues ge- der Geschlechter folgende drei lesen wie nie zuvor. Madame de Unterschiede fest: „Erstens be- Stael entwarf die Deutschen in ih- züglich der Lesequantität oder rem Buch „De l’Allemagne“ (1813) -intensität: Mädchen und Frauen mit deutlich positivem Unterton lesen mehr als Jungen und Män- als ein Volk von Leserinnen und ner; zweitens bezüglich der Lese- Lesern: „Nach der Anzahl der Bü- stoffe und Leseweisen: Mädchen cher, die in Leipzig verkauft wer- Polis 48 und Frauen lesen anderes und an- den, kann man beurteilen, wieviel ders als Jungen und Männer, und Leser die deutschen Schriftsteller drittens bezüglich der Lesefreude haben. Die Arbeiter aller Klassen, oder Leseneigung: Mädchen und sogar die Steinhauer, nehmen ein Frauen bedeutet das Lesen mehr Buch zur Hand, wenn sie von ihrer 2 18 als Jungen und Männern.“ Wie Arbeit ausruhen. Man kann sich Pia Schmid Das Frauenzimmer und das Buch in Frankreich keine Vorstellung vom Volk der Lesenden relativiert davon machen, wie allgemein die werden, denn Schätzungen zufol- Bildung in Deutschland ist. Ich ge – es gab noch keine staatliche habe Gastwirte und Zollbeam- Statistik – konnten keineswegs te getroffen, die mit der franzö- alle lesen. Gegen Ende des 18. sischen Literatur vertraut waren ... Jahrhunderts soll die Lesefähig- Es gibt keine Kleinstadt, die nicht keit der Bevölkerung bei 25 Pro- eine ziemlich gute Bibliothek be- zent gelegen und letztlich nur säße.“4 zehn Prozent der erwachsenen Ein Bedürfnis zu lesen hat sich Bevölkerung zum lesenden Pu- ausgebreitet und findet seinen blikum gezählt haben.9 Bürger- Niederschlag in einer wachsen- kinder lernten oft auf dem Schoß den Buchproduktion.5 Vor allem der Mutter lesen, dies zum Teil erscheinen zunehmend Roma- für unsere Begriffe sehr früh, mit ne6, während die Anzahl der la- drei bis vier Jahren. Kinder, de- teinischen Schriften, deren Adres- ren Eltern nicht oder wenig lesen saten Gelehrte bilden, merklich konnten, hatten die Möglichkeit, zurückgeht. Die weitaus größte in der Schule lesen zu lernen. Al- Verbreitung von allen weltlichen lerdings gab es große regionale Lesestoffen haben die Zeitungen.7 Unterschiede; auch wenn um Um 1800 gab es in Deutschland 1800 in nahezu allen deutschen etwa 200 Zeitungen; die größte Territorien die Unterrichtspflicht unter ihnen war der Hamburger dekretiert war, gab es keines- „Unpartheyische Correspondent“ wegs überall Schulen, und wo sie mit einer Auflage von 30.000 fehlten, konnte auch kein Unter- Exemplaren. Insgesamt erschie- richt erteilt werden.10 nen Woche für Woche über Auch existierten geschlechts- 300.000 Exemplare an Zeitungen. spezifische Unterschiede im Hin- Bedenken wir, dass jede Zeitung blick auf Lesefähigkeit. Untersu- von mindestens zehn Personen chungen zur Signierfähigkeit, gelesen wurde, kommen wir auf d.h. zu der Fähigkeit, mit dem ei- insgesamt drei Millionen Zeitungs- genen Namen zu unterschreiben leserinnen und -leser, und das ist (statt drei Kreuzchen zu machen), bei einer Gesamtbevölkerung von haben ergeben, dass signifikant vierundzwanzig Millionen immer- mehr Männer als Frauen lesen hin ein Achtel der Bevölkerung. konnten. Das mag auch daran ge- Die Bücher sind handlicher ge- legen haben, dass Knaben ggf. worden: das Taschenbuchformat eher zur Schule geschickt wur- wird populär. Auch greifen nicht den als Mädchen. Gewohnheits- mehr allein Gelehrte, gebildete leser, genauer Vielleser sind nach Polis 48 Bürger und müßige Adlige zum der Einschätzung des Schriftstel- Buch, sondern ‚Hökerweib‘, ‚Gast- lers Jean Paul etwa ein bis drei wirt‘, ja ‚Arbeiter aller Klassen‘, Prozent der Bevölkerung,11 also wie 1799 aus Leipzig vermeldet mehr oder weniger jene städ- 8 wird. Allerdings muss das Bild tische oder ländliche Bildungs- 19 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

elite, zu der auch Sophie von La – Sie dürfen keine fordern. – ‚Und Roche gehörte. die Studenten?’ – Wir haben Be- Die Leserinnen und Leser nah- fehl ihnen keine zu geben. – ‚Aber men die Bücher anders zur Hand sagen Sie uns, wenn so wenig als bisher: Hatte man bis gegen gelesen wird, wo in aller Welt Ende des 18. Jahrhunderts zu- sind denn die Schriften Wielands, meist die gleichen Bücher immer Goethes, Schillers?’ – Halten zu wieder gelesen, was durchaus Gnaden, diese Schriften werden weiter verbreitet blieb – vor allem hier gar nicht gelesen. – ‚Also Sie waren es die Bibel, religiöse Er- haben sie gar nicht in der Biblio- bauungsschriften, Volksbücher thek?’ – Wir dürfen nicht. – ‚Was und einige antike Autoren – so stehn denn eigentlich für Bücher setzte sich allmählich der Wunsch hier an diesen Wänden?’ – Rit- nach Abwechslung in der Lek- tergeschichten, lauter Ritterge- türe durch.12 Die entstehenden schichten, rechts die Ritterge- Leihbibliotheken, in denen man schichten mit Gespenstern, links ohne Gespenster, nach Belieben. Bücher gegen Geld ausleihen 14 konnte, statt sie selbst zu kaufen, – ‚So, so.’“ trugen dem Rechnung. Bücher Lektüre stellte sozialgeschichtlich waren teuer. So lag der Preis von gesehen die zentrale Beschäfti- Sophie von La Roches Zeitschrift gung der Gebildeten dar. Lesen „Pomona für Teutschlands Töch- geschah aus ganz unterschied- ter“ für den Jahrgang 1783 bei 4 lichen Motiven und es erfüllte un- Gulden, 30 Kreuzer. Dafür konnte terschiedliche Funktionen. man zwei Monate ein beschei- Es diente der Information und denes Zimmer mieten oder ein der Bildung, dies in zweierlei Hin- halbes bis ein Pfund Tee – er war sicht: Bildung wurde im Medium ein wirklicher Luxusartikel – kau- der Lektüre angeeignet und ließ fen; ein Koch verdiente diesen sich darin auch zeigen. Weiter Betrag in drei Monaten.13 diente das Lesen dem Vergnü- Kleist gibt eine Schilderung sei- gen. Über das Gelesene tauschte nes Besuchs in der Würzburger man sich aus, es war Gegenstand Lesebibliothek: „ ,Wir wünschen von Mitteilung, von Kommunika- ein paar gute Bücher zu haben.’ tion, beispielsweise in Lesege- – Hier steht die Sammlung zu Be- sellschaften, aber auch bei Ge- fehl. – ‚Etwa von Wieland.’ – Ich selligkeiten: Laut einen Roman zweifle fast. – ‚Oder von Schil- vorzulesen oder ein Theaterstück ler, Goethe.’ – Die möchten hier mit verteilten Rollen zusammen schwerlich zu finden sein. – ‚Wie? zu lesen, waren beliebte Beschäf- Polis 48 Sind alle diese Bücher vergriffen? tigungen in Geselligkeiten. Wird hier so stark gelesen?’ – Das Lektüre bot, dies eine andere Di- eben nicht. – ‚Wer liest denn hier mension des Lesens, Anlass für eigentlich am meisten?’ – Juristen, Leserbriefe. So forderte Sophie Kaufleute und verheiratete Da- von La Roche ihre Leserinnen im

20 men. – ‚Und die unverheirateten?’ ersten Band der „Pomona“ auf, Pia Schmid Das Frauenzimmer und das Buch

Leserbriefe zu schicken, das heißt, Bedeutung zu, Vervollkommnung, die Zeitschrift mitzugestalten. Vergnügen und à la longue die Nachdem sie anfänglich nur ihre Individualisierung zu befördern. eigenen Antwortbriefe auf die- Gruppenbezogen stellte es ein se Leserinnenbriefe abdruckte, Mittel der Gruppenbildung, der nahm sie später auch die Briefe Vergesellschaftung dar, beispiels- der Leserinnen in die Zeitschrift weise in Lesegesellschaften oder auf. Das machte sich insofern gut, auch in privaten Geselligkeiten.16 als die Leserinnen häufig ihre Ver- Über das Lesen konstituierte sich ehrung für La Roche und ihre Zu- damit der Stand der Gebildeten. stimmung zu der Zeitschrift zum Insofern trug Lesen auch zur so- Ausdruck brachten, auch immer zialen Distinktion bei. Vielleicht wieder einmal den Wunsch äu- wurde es deshalb als so beunru- ßerten, der Autorin zu begegnen. higend angesehen, dass anschei- Die Empfindsamkeit wurde durch nend immer mehr Menschen im- die Leserinnenbriefe, wie Ulrike mer häufiger zum Buch griffen. Weckel gezeigt hat, zum gemein- samen Projekt, das Leserinnen und Autorin verband. Wo die Le- 2. Die Lesesuchtdebatte serin zur Autorin werden konnte, wurden die Grenzen zwischen Leserinnen und Autorin durchläs- Um 1780 mehren sich die Stim- sig.15 men, die das deutsche Volk von Lesesucht bedroht sehen. 1799 Lesen eröffnete Frauen (und Män- heißt es aus Leipzig: „Wir lesen nern) Erwerbsmöglichkeiten. Um alles bei der Erde weg, Wielands 1800 existierten etwa 100 Zeit- Agathon und Gustav Waldmann, schriften, die sich an ein weib- Walter von Monberry und den liches Publikum richteten; zehn Burgfrieden, den Pächter Martin davon wurden von Frauen he- und den Eulenspiegel, Heiden- rausgegeben. Eine dieser Frau- reichs Erbauungen und die Liai- enzeitschriften war die erwähnte sons Dangereuses. Das Höker- „Pomona für Teutschlands Töch- weib hinter dem Käsekorb liest ter“. Sie bot Sophie von La Roche sowie die Dame an der Toilette; die Möglichkeit zum Gelderwerb, der Markthelfer macht sich über und wir wissen, dass sie diese Ein- die Lektüre seines Herren, sobald künfte auch für die Ausbildung jener den Rücken wendet; die ihrer Söhne verwandte. Jungmagd holt ihr Buch bei dem Lesen, hatte ich oben gesagt, war Bücherverleiher, Kinder lesen, die wichtigste Beschäftigung der Greise lesen ... es ist eine Lesewut Gebildeten. Sie konstituierten sich in dies Volk gefahren.“17 Glauben Polis 48 darüber als lesendes und schrei- wir dieser Darstellung, so liest bendes Publikum, und zu diesem alles. Diese Situation lässt einen Publikum zählten auch die gebil- neuen Terminus aufkommen, die deten Frauen. Dem Lesen kam „Lesesucht“, als Steigerung die

vom Einzelnen her gesehen die „Lesewuth“ und als Sammelbe- 21 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

griff für die davon Betroffenen Stöhnen und Ächzen und wären den „Lesepöbel“. zu aller Entschlossenheit, die in Der Pädagoge und Schriftsteller tausend Fällen des menschlichen Joachim Heinrich Campe defi- Lebens erfordert würde, schlech- 20 niert die Lesesucht 1785 folgen- terdings ungeschickt.“ dermaßen: „Man liest zuförderst Die Lesesucht mache untauglich zuviel (...) Man liest zweitens viel zu für das tägliche bürgerliche Le- vielerlei und mit weniger Auswahl ben. Aus diesem Grund müsse (...) Man liest endlich drittens auch ihr entgegengearbeitet werden. solche Schriften, welche recht ei- Zum einen müssen die Sub- gentlich darauf abzwecken, den jekte der Lesesucht sowie die je Verstand zu verwirren, die Einbil- spezifi­schen Folgen der Sucht dungskraft zu beflecken, die Emp- ausgemacht werden, zum ande- findungen zu überspannen“18. In ren muss eine Vorstellung vom seinem „Wörterbuch der Deut- richtigen Lesen oder vom kor- schen Sprache“ bezeichnet Cam- rekten Leser in Umlauf gebracht pe die Lesesucht als „die Sucht, d. werden. h. die unmäßige, ungeregelte, auf In der Lesesuchtdebatte ist von Kosten anderer nöthiger Beschäf- drei Personengruppen die Rede, tigungen befriedigte Begierde zu die bedroht sind: von Kindern lesen, sich durch Bücherlesen zu und Jugendlichen, von den nie- vergnügen.“ 19 deren Ständen und von Frauen. Die Lesesucht wird als bedrohlich Was die erste Gruppe betrifft, dargestellt, wie die pathologi- die Kinder und Jugendlichen, so sierende Sprache zeigt. Zu viele seien sie der Gefahr ausgesetzt, lesen zu viel. Das ist schlecht. Le- altersunangemessene Lektüre, so sen, so der Tenor, beinhaltet eine genannte „literarische Bordelle“, Gefahr. in die Hände zu bekommen und Ein Autor schreibt, bestimmte darüber das Lernen zu vernach- Bücher – vor allem empfindsame lässigen. Romane, wie etwa Sophie von La Roches Fräuleins von Sternheim – Die zweite Gruppe, die niederen „(verstimmten) die ganze mensch- Stände, laufen Gefahr, sich durch liche Natur und eine schleichende Lesen zu vergnügen statt zu ar- Schwäche (verbreite) sich durch beiten. Obendrein könnten sie alle Nerven. Anstatt einer wah- über Bücher mit Gedanken in Be- ren, starken Natur entstünde eine rührung geraten, die ihnen das gemachte und gekünstelte, eine Leben hinter dem Pflug sauer kranke Einbildung träte an die werden lassen könnten. Polis 48 Stelle richtiger Vorstellung; ... die Die dritte von der Lesesucht be- Hülfe, die man von (diesen Lesern, drohte Gruppe sind die Frauen. P. S.) erwartete, bestünde in un- In der Anzeige für den ‚Histo- fruchtbaren Tränen, und wo sie rischen Calender für Damen auf mit Rat und Tat erscheinen sollten, das Jahr 1791’ heißt es: „Gegen

22 da verwirreten sie nur andere mit Ein Frauenzimmer, welches vor Pia Schmid Das Frauenzimmer und das Buch fünfzig Jahren ein zu ihrer Zeit germaßen zu verstehen, um nicht geschätztes Buch las, sind jetzt durch den Ausdruck der höchsten (um nicht zu viel zu sagen) hun- Langeweile auf ihrem Gesichte dert, zumal in kleinern Städten diese oft zu unterbrechen.“25 und auf dem Lande ... die alles Diese Äußerungen stehen im lesen, was ihnen vor die Hände Kontext eines damals noch nicht kömmt und einige Unterhaltung abgeschlossenen Prozesses der ohne große Mühe verspricht.“21 Festschreibung der bürgerlichen Frauen der „gebildeten Stände“ Geschlechterordnung; deshalb lesen mehr als früher und sie werden sie derart überdeutlich lesen zu ihrer Unterhaltung. Ge- formuliert. Das ‚schöne Eigen- rade in dieser Unterhaltung wer- tum‘, das versittlichte Weib, so die den die Gefahren gesehen: das Mehrheitsposition in dieser De- Schreckbild von der Frau, die batte, soll nicht zur eignen Bildung den ganzen Tag Romane lesend und möglichst wenig zur Unterhal- auf dem Sofa sit z t, wird beschwo- tung lesen, liefe das doch seiner ren, als Folge werden Zerrüttung entstehenden Rolle als Hausfrau, der Familie, Verwahrlosung des Gattin und Mutter zuwider. (Viel- Haushaltes und Vernachlässi- leicht wurde auch befürchtet, dass gung der Kinder beschrieben.22 ein Abgleich bürgerlicher Männer Diesen Gefahren soll durch Lek- mit den Romanhelden nicht zu türereglements entgegenge- Gunsten der empirisch vorfind- arbeitet werden, die sich z.B. baren Männer ausfallen würde). „Einleitung und Entwurf zu einer Die Gefahr, so die Überzeugung, Damenbibliothek“ nennen. Das besteht darin, dass Bücherwelt weibliche Publikum wird erinnert: und wirkliche Welt vermischt, also „Würdige Töchter zu seyn, glück- nicht mehr auseinandergehalten liche Gattinnen und treue Mütter werden. Vor allen Dingen geht zu werden, dieß ist ihre Bestim- diese Gefahr von den Romanen mung, meine Damen, und dieser aus, von der fiktionalen Literatur, wünscht‘ ich auch Ihre Lektüre deren Lektüre letztlich untauglich unterzuordnen.“23 Ein Anonymus mache für ein vernünftiges, ge- nennt die Bücher, die er am lieb- schäftiges bürgerliches Leben. sten in Händen von Frauen sieht: Wer bleibt dann eigentlich übrig, „Loofts Kochbuch, Lüders Gar- der alles lesen darf bzw. keinen tenbriefe und Germershausens Lektürereglements unterworfen Hausmutter“, alles Bücher, die mit wird? Bedenken wir die drei von der Hausfrauentätigkeit zu tun der Lesesucht gefährdeten Grup- haben.24 Wie die bürgerlichen pen, die Kinder und Jugendlichen, Frauen zu lernen haben, sich die niederen Stände, die Frauen, Polis 48 selbst unterzuordnen, so haben so bleiben eigentlich nur wenige sie auch die Unterordnung ihrer übrig, die uneingeschränkt lesen Lektüre zu lernen. „Das Weib muß können und keinen Lektüreregle- lesen, um die Unterredung ihres ments unterworfen werden sol-

Mannes und seiner Freunde eini- len, nämlich die bürgerlichen und 23 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

adligen männlichen Leser, deren englische Geschichte aus Alfreds aufgeklärte Repräsentanten die Zeiten und den vierten Teil von Lesesuchtdebatte führen. Der Plutarch, die anderen habe ich Kreis schließt sich. gelesen.“26 Breitere Auskunft über Lesestoffe finden sich in Ausleihverzeichnis- 3. Lesestoffe sen von Bibliotheken und in Sub- skribentenverzeichnissen. Mecht- hild Raabe hat die Ausleihbücher Was lasen Frauen, das weibliche der Herzog-August-Bibliothek in Publikum? Waren es wirklich vor- Wolfenbüttel für die Jahre 1714– wiegend Romane? Wir wissen 1799 ausgewertet. Die Wolfen- wenig darüber und es ist schwer bütteler Bibliothek war ganz si- zu erforschen. Briefe, Tagebü- cher eine besondere Bibliothek. cher, Autobiographien können Wolfenbüttel war eine kleine uns dazu etwas sagen. Aber Ver- Residenzstadt. Die Bibliothek allgemeinerungen lassen sich aus praktizierte in den sechziger und diesen Selbstzeugnissen schwer siebziger Jahren des 18. Jahrhun- ziehen. derts, als Lessing dort Bibliothe- Nehmen wir den Brief einer jung kar war, eine relativ großzügige verheirateten Arztfrau, Caroline Ausleihpraxis. In dieser Zeit kön- Böhmer, später Schlegel, dann nen wir sie als Bürgerbibliothek Schelling, die ihrem Mann von betrachten, die von der Wolfen- der Universitätsstadt Göttingen bütteler Bevölkerung genutzt in das abgelegene Clausthal im wurde. Was entliehen die Frauen, Harz gefolgt ist; sie bittet in ih- die in Wolfenbüttel ein Siebtel ren Briefen dringlich um Bücher: der Ausleihenden bildeten, aus „Ich vertrockne seit einiger Zeit,“ dieser Bibliothek? schreibt sie, „weil alle meine Bü- Sie entleihen zu mehr als der cherquellen sich verstopfen“, und Hälfte schöne Literatur und ins- lässt dann detaillierte Lektüre- gesamt zu 37 Prozent Romane, wünsche folgen. „Nun bitte ich übrigens auch französische, eng- Meyer, erstlich um etwas Amü- lische und italienische. 15 Prozent santes, gut zu lesen, wenn man der ausgeliehenen Bücher sind auf dem Sofa liegt. Das muß kein historische Werke, knapp 10 Pro- Foliant sein, sondern was man mit zent (moral-) philosophische und einer Hand hält. Wohl möchte ich weiter über sechs Prozent theo- neuere französische Trauerspiele, logische Schriften.27 Bei Frauen, kleine Romane, Memoiren oder zumindest bei den Wolfenbütte- Polis 48 auch etwas Ernsthafteres. (...) ler Leserinnen, lässt sich also eine Mir ist alles willkommen, was ich deutliche Präferenz für schöne noch nicht gelesen habe. Zwei- Literatur, für Unterhaltung, fest- tens möchte ich etwas zu lesen, stellen, aber sie lesen auch zur wenn man auf dem Sofa sitzt und Belehrung und Erbauung.

24 einen Tisch vor sich hat – ältere Was lässt sich aus Subskribenten- Pia Schmid Das Frauenzimmer und das Buch verzeichnissen entnehmen? Sub- zu erforschen. Briefe, Tagebü- skribentenverzeichnisse sind Ver- cher, Autobiographien stellen zeichnisse der Personen, die vor zentrale Quellen dar und in Brief- der Drucklegung eines Buches wechseln und Autobiographien dessen Abnahme verbindlich zu- von Frauen bildet Lektüre in aller sagen. Solche Verzeichnisse wer- Regel ein wichtiges Thema. den häufig den Büchern beigehef- Im weiteren möchte ich der Be- tet. Für Autoren und Verleger wa- deutung von Lektüre anhand ren Subskribenten wichtig. Auch der Autobiographien von Kauf- bei Schriften für ein gemischtes mannstöchtern aus drei Gene- Publikum finden sich in der Regel rationen nachgehen, von denen hauptsächlich Männer. Insgesamt zwei Schriftstellerinnen wurden. waren gegen Ende des 18. Jahr- Margarethe Milow, geb. Hudt- hunderts nur etwa fünf Prozent walcker, geb. 1748, ist die älteste der Subskribenten weiblich; aber Schreiberin, ihr folgt Johanna es gab Ausnahmen. So weist die Schopenhauer, geb. Trosiener, erfolgreichste zeitgenössische geb. 1766, und die jüngste ist de- Schrift zur Mädchenerziehung, ren Schriftstellerkollegin Fanny Joachim Heinrich Campes „Väter- Lewald, geb. Markus, geb. 1811. licher Rath für meine Tochter“ zu Die drei Mädchen lesen alle ger- 38,5 Prozent Frauen als Subskri- ne, sie lesen viel und gelegentlich 28 bentinnen aus. Sophie von La mehr, als nach Ansicht ihrer Um- Roches „Pomona für Teutschlands gebung tunlich ist. Wäre es dage- Töchter“ hatte bei einer Auflage gen nach ihnen gegangen, hätten von 1500 bis 2000 Exemplaren sie alle gerne noch mehr gelesen. 711 Subskribenten, von denen Alle berichten von Zeiten, in de- nach Ulrike Weckel der größte Teil nen Lesen ihre Lieblingsbeschäf- Frauen waren, darunter mehrere tigung war.30 Zeit dafür stand ih- Fürstinnen.29 Diese Namenslisten nen keineswegs im Überfluss zur vorne in der Zeitschrift boten Verfügung, sondern erst nach ge- die Möglichkeit einer papiernen tanen Pflichten, sei es Unterricht, Nachbarschaft mit berühmten seien es häusliche Arbeiten, zu adligen Frauen und stellten auch denen sie früh, wenn auch unter- eine Art weiblicher Patronage für schiedlich stark, herangezogen Schriftstellerinnen dar. wurden. Was lesen die Mädchen? Was suchen sie in den Büchern, was 4. Zur Bedeutung fesselt sie? Wozu ist ihnen die Lektüre gut? Im Unterschied zu der Lektüre für Frauen Johanna Schopenhauer und Fan- Polis 48 ny Lewald nennt Margarethe Mi- Was für die Lesestoffe gilt, trifft low kaum Autoren oder Werke31, auch für die Bedeutung der Lek- schildert auch keine Leseerleb- türe für Frauen zu: beide sind we- nisse. In kleinen Sequenzen aber

nig erforscht, beide sind schwer wird deutlich, dass das Gelesene 25 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

in ihren Alltag wirkt und dies in wie sie schreibt, wieder zum Kind, ganz unterschied­licher Weise. So nicht etwa durch Spielen, sondern werden Bilder aus Büchern, ver- durch Lesen also. Später in der mutlich Romanen, zu Bezugsgrö- „société des jeunes dames“ lernt ßen eigener Bewertung, wenn sie sie beim nachmittäglichen Vorle- von einem jungen Mädchen ih- sen „die weite reiche Feenwelt“ rer Bekanntschaft schreibt, dass der französischen Feenmärchen sie „den Beschreibungen in den kennen, „sodaß (sie) sogar Gefahr Büchern entsprach, ja sie weit lief, (ihre) Griechen und Römer übertraf“32; das Mädchen wird darüber zu vergessen“.34 Durch gleichsam noch vollkommener, das Lesen macht sie sich frühere weil sie einer literarischen Vorla- Zeiten und Helden zugänglich, ge entspricht. lebt in der Welt der Kinderbuch- Johanna Schopenhauer liest früh Kinder, versucht sich in Empfind- schon und mit Begeisterung Ge- samkeit, vor allem aber eignet schichtswerke über Römer und sie sich vielfältige historische, Griechen, beispielsweise Rollins geographische, literarische und Römische Geschichte, und mit ästhetische Kenntnisse an. neun, zehn Jahren unter der An- Allerdings will sie bei aller Freude leitung von Nachbar Jameson am Lernen und Lesen, bei allem zeitgenössische und ältere eng- Bildungseifer eines auf gar keinen lische Werke im Original. Wie Fall sein: ein ge­lehrtes Frauenzim- sie schreibt, richteten „Römer, mer. „Der Widerwille gegen den Griechen, Shakespeare, Homer“ Gedanken, für ein gelehrtes Frau- einen Wirrwarr in ihrem Kopf an, enzimmer zu gelten, lag schon ja sie sei auf dem besten Wege damals wie eben noch jetzt in gewesen, „ein überspanntes meiner jungen Seele“.35 Woher und verschrobenes Persönchen dieser Widerwille rührt, lässt sie zu werden“. Doch vor dieser Ge- uns nicht wissen. Auf persönlicher fährdung durch Literatur bewahrt Kenntnis kann er eigentlich nicht sie eine andere Art von Büchern, beruhen, denn begegnet war ihr nämlich die damals entstehende in Danzig kein einziges leibhafti- Kinderliteratur, vor allem Weißes ges gelehrtes Frauenzimmer. Was ‚Kinderfreund‘, der sie wieder „in ihr allerdings begegnet sein muss, die stille, freundliche Kinderwelt sind die üblichen vehementen Vor- (zurückführte)“. Nun geht sie ganz behalte gegen gelehrte Frauen. in der Welt der kindlichen Prota- Um zwei Zeitgenossen zu Wort gonisten, der Karlchen und Lott- kommen zu lassen: für Rousseau chen, Fritzchen und Louischen sind sie „die Geißel ihres Mannes, 33 Polis 48 auf. ihrer Kinder, ihrer Freunde, ihres Bemerkenswert finde ich die Be- Gesindes, der ganzen Welt“36, deutung, die der Lektüre hier in und Knigge überkommt, wie er im Johanna Schopenhauers Erinne- „Umgang mit Menschen“ schreibt, rungen zukommt: durch die neue in der Gegenwart weiblicher 37 26 kindgemäße Literatur wurde sie, Schöngeister Fieberfrost . Pia Schmid Das Frauenzimmer und das Buch

Auch Fanny Lewald ist eine Vielle- sie nahmen die Einschränkung serin. Neben Märchen und Poesie durch die Auswahl gar nicht als begeistert sie sich, wie auch Jo- solche wahr, zumindest wird sie hanna Schopenhauer, für Weltge- von keiner unserer drei Schreibe- schichte, für Columbus oder Mon- rinnen moniert. Schließlich wur- tezuma und ganz besonders für de ihnen als Mädchen beizeiten die griechischen und römischen vermittelt, sich nach anderen zu Helden. Zu Hause begegnet man richten – warum sollte das vor den ihrer Lust am Lesen aufgeschlos- Lesestoffen halt machen? sen und wohlwollend, indem man Und überhaupt an Bücher, an ihr, wie sie schreibt, „bereitwillig mög­lichst viele Bücher zu ge- so viel Bücher zuführte, als ich nur langen, lag ihnen vermutlich so verlangen konnte. Die Auswahl sehr am Herzen, dass sie deren wurde jedoch von meinem Vater Auswahl gerne in Kauf nahmen: sorgfältig getroffen, und ich be- Jedes Buch, das in ihre Hände kam niemals ein neues Buch, ehe gelangte, war eine Bereicherung, ich das alte nicht mehrfach durch- bot Abwechslung, Unterhaltung, gelesen hatte“.38 Lesen darf sie Neues, Belehrung. also so viel sie mag (wenn sie ihre Was Fanny Lewald liest, die Bil- Pflichten erledigt hat) – allerdings der und Ideen aus den Büchern, nicht nach eigenem Gusto, son- saugt sie in sich auf. Sie prägen dern unter der Regie des Vaters. ihre Vorstellungen. Manche Bil- Aus dessen Händen erhält sie die der aus den Büchern transponiert begehrten Bücher. sie in ihr Leben. So stellt sie sich, Auch Margarethe Milow und Jo- wenn sie, „am Fenster sitzend hanna Schopenhauer berichten, (...) bei winterlichen Sonnenun- Bücher vornehmlich aus den tergängen den röthlich schim- Händen anderer erhalten zu ha- mernden Schnee der Dächer be- ben – von ihren Hauslehrern, von trachtet (...) das Alpenglühen auf Freunden des Hauses, Verwand- den Gletschern vor“ oder wieder- ten, Brüdern, nahezu ausschließ- holt oftmals für sich „in der Stille lich von Männern. Um an die ih- beim Nähen die Worte der Jung- nen so wichtige Lektüre heranzu- frau von Orleans, von ‚der präch- kommen, sind sie also meist auf tig strömenden Loire‘“.39 die Vermittlung anderer angewie- Für Fanny Lewald, die bis zu einer sen. Diese Vermittlung hat zwei Reise Anfang der dreißiger Jah- Seiten: Die Mädchen werden ge- re des 19. Jahrhunderts nur die fördert und angeregt, sie werden allernächste Umgebung von Kö- aber auch reglementiert, indem nigsberg kennt und nie weiter als andere über ihre Lektüre bestim- fünf Meilen, nämlich ins Seebad Polis 48 men, sie sozusagen zensieren, Kranz an der Ostsee, gereist ist, zumindest vorgeben. Allerdings sind Alpen und Loire unendlich muss das fördernde Moment in fern und doch nicht unbekannt, ihren Augen das zensierende bei weil sie sie aus Büchern kennt.

weitem überwogen haben oder So können sie zu Kristallisations- 27 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

punkten für Sehnsucht werden. und die Hälfte des Tages strickte Die Sehnsucht erhält Bilder und ich“.41 Auch wenn sie gleich da- Orte. Aber diese Bilder sind rauf Skrupel zu Papier bringt, nicht nur fern und doch bekannt. dass sie ihrer Mutter Zeit gestoh- Sie gehen auch ins Große, sind len habe und auch leicht hätte wuchtig – wenig biedermeierlich verführt werden können, wenn also, wo eine Vorliebe für die klei- nicht ihr Bruder die Auswahl der ne Form gehegt wird. Bücher besorgt hätte, so bleiben Diese an literarischen Vorlagen die Tage zwischen Stricken und geformten Bilder stehen damit zu Lektüre in ihrer Erinnerung doch dem Ambiente, in dem sie sich ein- eine wunderbare Zeit, weil sie stellen, zum Haus, zum familiären endlich einmal nach Herzenslust Bereich, in einem Spannungsver- lesen konnte; sonst kommt sie hältnis. Fanny Lewald schaut aus wegen ihrer umfänglichen Pflich- dem Fenster, sie sitzt beim Nähen, ten im Haus nur sonntags dazu, wenn sie sich an diesen Bildern d.h. viel weniger, als sie möchte. entlang aus ihrer gewohnten Welt Fanny Lewald verschafft sich herausdenkt, ins Weite, andere. ebenfalls Extrazeit zum Lesen, al- Die Jungfrau von Orleans ist keine lerdings ohne sich wie Margare- Frau, wie sie der Vorstellung vom the Milow im Nachhinein zu skru- weiblichen Geschlechtscharakter peln. Im Gegenteil: sie macht sich entspräche, mit den Alpen verbin- damit ihre „musikalischen Lei- den Zeitgenossinnen und Zeitge- den“42 erträglich. Auf Anweisung nossen Vorstellungen von wilder ihres Vaters muss sie nämlich von Natur und Freiheit.40 Diese Bilder ihrem siebten bis zweiunddrei- jenseits der häuslichen Welt sind ßigsten Lebensjahr, als sie das Evasionsphantasien – durch die Elternhaus verlässt, täglich eine Fensterscheibe und mit der Na- Stunde Klavier üben – gegen ih- del in der Hand; auch dafür waren ren Willen. „Weil ich diese (Etü- Mädchen und Frauen die Bücher den, P.S.) nun leicht auswendig gut. behielt, kam ich auf den Ausweg, Ein anderer Aspekt von Lesen mir ein Buch auf das Notenheft liegt darin, dass es gelegentlich zu legen, und die ganze Stunde mit Heimlichkeit einhergeht: alle hindurch seelenvergnügt und drei Frauen berichten davon. So nach Herzenslust zu lesen, wäh- lässt die neun- oder zehnjährige rend ich die Tonleitern und die Margarethe Milow, als sie sich für Etüden abhaspelte. Kam jemand eine schwierige Strickarbeit auf in das Zimmer, so setzte ich mich ihr Zimmer zurückziehen darf, auf das Buch, und ich habe dies Polis 48 also nicht mehr unter Aufsicht Verfahren Jahre hindurch mit Be- ihrer Mutter arbeiten muss, erst harrlichkeit durchgeführt, ohne einmal den Strickstrumpf fallen, daß man es gewahr geworden 43 um endlich ungestört lesen zu wäre“. können: „Dies war meine güldene Auch Johanna Schopenhauer liest

28 Zeit, die Hälfte des Tages las ich heimlich, aber weder wie Marga- Pia Schmid Das Frauenzimmer und das Buch rethe Milow, weil sie sonst keine bergen will, was die Lektüre in ihr Zeit dafür findet, noch wie Fanny auslöst, oder es zumindest nicht Lewald, um sich die Zeit bei einer mitteilen möchte. Dass es gerade ungeliebten Tätigkeit zu verkür- Rollins Römische Geschichte ist, zen. Sie tut es, weil sie ihr Lektü- die sie im Verborgenen liest, und reerlebnis ganz für sich behalten nicht etwa Weißes Kinderfreund, will. „Sonntags nachmittags und mag daran liegen, dass ihre ge- in jeder andern freien Stunde, liebten Helden sie zu Höhen- wo ich sicher war, daß man mich flügen und Größenphantasien nicht stören würde, verbarg ich anregen, die im Kontrast stehen mich damit (mit Rollins Römischer zu ihren eigenen Lebensumstän- Geschichte, die sie sich heimlich den. Cicero oder Brutus agieren aus einem Schrank ihres Vaters in dem Bereich, der immer mehr holte, P.S.) in abgelegene Winkel, zum ausschließlichen Terrain von oft auf dem Boden oben unter Männern wird: in der Öffentlich- dem Dache. Vier dicke Oktav- keit. Sie ist und bleibt ein Mäd- bände! Mit welchem Eifer, mit chen, ihr Terrain ist und bleibt, bei welchem unbeschreiblichen In- aller Bildung respektive Kenntnis teresse habe ich sie gelesen, und antiker Helden, die Privatsphäre, wenn ich damit fertig war, wieder der Familienbereich, wenn auch gelesen, und wenn ich mir ein inklusive Geselligkeit, in der ihr besonderes Vergnügen machen ihre Lektüre zugute kommt. wollte, meine Lieblingsstellen da- Auch Fanny Lewald begeistert rin aufgesucht. Mucius Scävola, sich neben Griechen und Rö- Brutus, Virginius, das waren mei- mern mit Columbus oder Mon- ne Helden (...) Auch Cicero gefiel tezuma für männliche Helden. mir ungemein, wenn er den gott- Auch sie identifiziert sich lesend losen Catilina öffentlich herunter- mit dem anderen Geschlecht. macht; die berühmte Rede, die er Beide berichten nicht davon, sich an diesen richtete, habe ich mir für Bücher über Heldinnen oder selbst so oft vorperoriert, bis ich berühmte Frauen erwärmt zu sie größten­teils auswendig wuß- haben, über die beispielsweise te. (...) Niemand, auch nicht mein in Plutarchs „Leben berühmter Kandidat Kuschel, erfuhr etwas Frauen“ oder in Viten von Herr- von den römischen Studien, die scherinnen etwas zu erfahren ge- ich ganz in der Stille neben den wesen wäre. Lehrstunden betrieb; warum ich so heimlich damit tat, weiß ich Was sie beim Lesen begeistert, selbst nicht; wahrscheinlich weil ist in diesen Fällen etwas, das es ich in meiner Begeisterung mich in ihren Leben nicht gibt und nicht nicht irremachen lassen wollte“.44 geben wird, etwas, das sie unter- Polis 48 Dass sie sich, auf dem Dachbo- schwellig auf Grenzen verweist, den Ciceros Reden vortragend, die durch den bürgerlichen Weib- aus dem Schnürleib in die Toga lichkeitsentwurf abgesteckt sind. versetzt, das soll niemand erfah- Aber im Lesen lassen die Mäd-

ren. Sie liest heimlich, weil sie ver- chen diese Grenzen nicht gelten: 29 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

sie überspringen sie, und sei es 1992 waren es noch 16 Prozent ge- auch nur sonntags nachmittags wesen. Kaum bis gar nicht lesen 45 auf dem Dachboden. Und sie Prozent der Befragten (1992: ein Drittel). machen sich damit im Kopf eine 2 Christine Garbe: Geschlechterspe- ganz andere als ihre bürgerliche zifische Zugänge zum fiktionalen Frauen- und Familienwelt zu- Lesen. In: Lesezeichen. Mittei- gänglich. lungen des Lesezentrums der Päda- Lesen, Bildung steht hier für klei- gogischen Hochschule Heidelberg. Heft 12/2002, S. 35–52, hier S. 52 f. ne Fluchten, genauer: für kleine Für ihren Artikel hat Christine Gar- Fluchten ins Größere. be Ergebnisse von drei empirischen Um zusammenzufassen: Mit Mar- Untersuchungen zum Leseverhal- garethe Milow, Johanna Scho- ten herangezogen, die Geschlecht als Variable einbezogen haben. penhauer und Fanny Lewald lässt 3 Ich nehme in diesem Text Argu- sich an drei Generationen von mentationen auf aus meinem Kaufmannstöchtern verfolgen, Buch: Deutsches Bildungsbürger- was ihnen Lektüre bedeutete. Die tum. Bürgerliche Bildung zwischen drei Mädchen sind begeisterte 1750 und 1830. Phil. Diss. Univer- und eifrige Leserinnen. Sie nutzen sität Frankfurt 1984; eine illustrier- Lektüre ausgiebig als Möglich- te Überarbeitung erschien unter dem Titel: Zeit des Lesens. Zeit des keit, sich Kenntnisse und Wissen Fühlens. Anfänge des deutschen zu verschaffen bzw. an geistigen Bildungsbürgertums. Berlin 1985. und kulturellen Auseinanderset- Weiter folge ich Ausführungen zungen ihrer Zeit wenn schon nicht aus meiner unveröffentlichten Ha- teilzunehmen, so doch teilzuha- bilitationsschrift: Der Beitrag der ben oder auch dazu, sich an den Pädagogik bei der Durchsetzung literarischen Vorlagen entlang auf des bürgerlichen Weiblichkeits- entwurfs. Universität GH Siegen kleine Fluchten aus ihrer Frauen- 1993. und Familienwelt zu begeben. 4 Germaine de Stael: Über Deutsch- land (De l’Allemagne, 1813). Hrsg. von Sigrid Metken. Stuttgart 1977, S. 115 Anmerkungen 5 Vgl. Johann Goldfriedrich: Ge- schichte des deutschen Buchhan- 1 Vgl. Leseverhalten in Deutsch- dels. Bd. III. Vom Beginn der klas- land im neuen Jahrtausend: eine sischen Literaturperiode bis zum Studie der Stiftung Lesen / [Red.: Beginn der Fremdherrschaft. 1740– Bodo Franzmannn] Mainz: Stiftung 1804. Leipzig 1909, S. 247 ff. Lesen [u.a.], 2001. (Schriftenreihe 6 Zwischen 1773 und 1794 sollen „Lesewelten“ ; 3). Die Studie ba- nach einer zeitgenössischen Schät- siert auf Leitfaden- und narrativen zung in Deutschland 5850 Romane Interviews mit 2530 Deutschen erschienen sein. Vgl. Goldfried- Polis 48 ab 14 Jahren, wobei der Untersu- rich: Geschichte. a.a.O., S. 274. Zur chungsschwerpunkt bei 14- bis 30- Ostermesse 1770 erschienen 46 Jährigen lag. In Deutschland wird Romane und Erzählungen, zur Os- dieser Studie zufolge generell we- termesse 1800 300 Romane. Vgl. niger gelesen als vor 10 Jahren; nur Rudolf Jentzsch: Der deutsch-latei- noch sechs Prozent der Deutschen nische Büchermarkt nach den Leip-

30 nehmen täglich ein Buch zur Hand, ziger Ostermeßkatalogen von 1740, Pia Schmid Das Frauenzimmer und das Buch

1770 und 1800 in seiner Gliederung 15 Vgl. Weckel: Frauenzeitschriften, und Wandlung. Leipzig 1912. S. 125 a.a.O.,S. 372 f. und 250 16 Vgl. ebd. S. 310 7 Vgl. Martin Welke: Gemeinsame 17 Zit. nach Lambrecht: Deutsche Ge- Lektüre und frühe Formen von schichte, a.a.O., S. 204 Gruppenbildungen im 17. und 18. 18 Joachim Heinrich Campe: Von den Jahrhundert. In: Otto Dann (Hg.) Erfordernissen einer guten Erzie- (1982): Lesegesellschaften und bür- hung von Seiten der Eltern vor und gerliche Emanzipation. Ein europä- nach der Geburt des Kindes. In: ischer Vergleich. München 1981, ders. (Hrsg.): Allgemeine Revision S. 29–54, hier S. 29 des gesammten Schul- und Erzie- 8 Vgl. Karl Lamprecht: Deutsche Ge- hungswesens, von einer Gesell- schichte. Dritte Abteilung: Neueste schaft practischer Erzieher. Bd. 2. Zeit. Zeitalter des subjektiven See- 1785, S. 173 ff. lenlebens. Erster Band. Erste Hälf- 19 Joachim Heinrich Campe: Wörter- te. Freiburg 1906, S. 204 buch der Deutschen Sprache. 5 9 Rudolf Schenda: Volk ohne Buch. Bde. Ein Ergänzungsband. Braun- Frankfurt 1970, S. 442 f. schweig 1807–1813. Bd. 3., S. 107 10 So war die Schuldichte in der Regi- 20 Johann Justus Möser: Patriotische on Halle fast 100 Prozent, das heißt, Phantasien. 47. Stück. Vor die Emp- fast jeder Ort hatte eine Schule, findsamen (1778). In: ders.: An- während das in Neu-Ostpreußen walt des Vaterlands. Ausgewählte nur für etwa acht Prozent der Orte Werke. Wochenschriften. Patrio- galt. Vgl. Wolfgang Neugebauer: tische Phantasien. Aufsätze. Fragh- Absolutistischer Staat und Schul- mente. Leipzig und Weimar 1978, wirklichkeit in Brandenburg-Preu- S. 243 ßen. (Veröffentlichungen der Histo- 21 Anzeige für den ‚Historischen Ca- rischen Kommission zu Berlin. Bd. lender für Damen auf das Jahr 62) Berlin 1985, S. 277. 1791’ von Friedrich Schiller. Bey G. 11 Vgl. Ulrike Weckel: Zwischen Häus- J. Göschen. In: Der neue Teutsche lichkeit und Öffentlichkeit. Die er- Merkur. Hrsg. von Christoph Martin sten deutschen Frauenzeitschriften Wieland. S. 197–211, zit. nach W. von im späten 18. Jahrhundert und ihr Ungern-Sternberg: Chr. M. Wieland Publikum. Tübingen 1998, S. 311 und das Verlagswesen seiner Zeit. (Studien und Texte zur Sozialge- Studien zur Entstehung des freien schichte der Literatur; Bd. 61) Schriftstellers. In: Archiv für Ge- 12 Rolf Engelsing: Die Perioden der schichte des Buchwesens XIV (1974), Lesergeschichte in der Neuzeit. Sp. 1211–1532, hier Sp. 1221 f. Das statistische Ausmaß und die 22 Vgl. z.B. Johann Gottfried Hoche: soziokulturelle Bedeutung der Lek- Vertrauliche Briefe über die jetzige türe. in: Archiv für Geschichte des abentheuerliche Lesesucht und Buchwesens. Band X. (1970) Sp. 945 über den Einfluß derselben auf die –1002, hier Sp. 959 Verminderung des häuslichen und 13 Vgl. Sophie von La Roche: „Ich bin öffentlichen Glücks. Hannover 1794 mehr Herz als Kopf“. Ein Lebensbild 23 J. G. Heinzmann: Einleitung und in Briefen. Hrsg. von Michael Mau- Entwurf zu einer Damenbibliothek.

rer. München 1983, S. 432, Anmer- In: Die Feyerstunden der Grazien. Polis 48 kung 134 Ein Lesebuch hrsg. von J. G. Heinz- 14 An Wilhelmine von Zenge. Würz- mann. Bern 1780, S. 402 burg, d. 14. Septmbr. (1800) in: 24 vgl. (Anonymus): Hauskreuz. Briefe Heinrich von Kleist: Werke und eines tröstbaren Wittwers. in: Jahr- Briefe in vier Bänden. Berlin und buch für die Menschheit. 1790. Bd.

Weimar 1978. Bd. IV, S. 119 1. S. 244 31 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

25 Ernst Brandes: Über die Weiber. 37 Adolf Freiherr von Knigge: Über Leipzig 1787, S. 186 den Umgang mit Menschen (1788). 26 Caroline Böhmer an Lotte Michaelis, Leipzig 1969, S. 184 22. März 1784. In: Unruhvolles Herz 38 Lewald: Im Vaterhause, a.a.O., 1951. Briefe der Caroline Schelling. S. 105 Hrsg. von Willi A. Koch, Leipzig, 39 Ebd., S. 396 S. 34 40 Vgl. Pia Schmid: Zeit des Lesens. 27 Mechthild Raabe: Leser und Lektü- Zeit des Fühlens. Anfänge des re im 18. Jahrhundert. Die Ausleih- deutschen Bildungsbürgertums. bücher der Herzog August Bibli- Berlin 1985, S. 89 ff. othek 1714–1799. 4 Bd., München 41 Milow: Ich will aber nicht murren, 1989, Bd. 1, S. 487; Bd. 4, S. 581. a.a.O., S. 29 578. Vgl. auch Dies.: Wolfenbütte- 42 Ebd., S. 204 ler Schulalltag und Schülerlektüre 43 Ebd., S. 200 in der zweiten Hälfte des 18. Jahr- 44 Schopenhauer: Jugenderinnerun- hunderts. In: Erich Bödeker (Hg.) gen, a.a.O., S. 94 f. Lesekulturen im 18. Jahrhundert (= Aufklärung. Jahrgang 6 (1991). Heft I), S. 5–26 28 Christa Kersting: Prospekt fürs Ehe- leben. Joachim Heinrich Campe: Väterlicher Rath für meine Tochter. In: Sklavin oder Bürgerin? Franzö- sische Revolution und neue Weib- lichkeit 1760–1830. Hrsg. von Vik- toria Schmidt-Linsenhoff. Marburg 1989, S. 373–390, hier: S. 374 29 Weckel nennt allerdings keine Zah- len. Vgl. Ulrike Weckel: Frauenzeit- schriften, a.a.O., S. 327 30 Margarethe Milow: Ich will aber nicht murren. Hrsg. von Rita Bake und Birgit Kuipel. Hamburg 1987, S. 16; Johanna Schopenhauer: Ju- genderinnerungen (1839). In: Dies.: Ihr glücklichen Augen. Jugende- rinnerungen, Tagebücher, Briefe. Hrsg. von Rolf Weber. Berlin 1978, S. 94; Fanny Lewald: Meine Lebens- geschichte. Erster Band: Im Vater- hause. Berlin 1871, S. 157, 176 31 Als Autoren erwähnt Margarethe Milow Ewald von Kleist, Gellert, Lessing und Klopstock. 32 Milow: Ich will aber nicht murren, a.a.O., S. 18

Polis 48 33 Schopenhauer: Jugenderinnerun­ gen, a.a.O., S. 97 f. 34 Ebd., S. 115 35 Ebd., S. 81 36 Jean Jacques Rousseau: Emil oder Von der Erziehung (1762). München

32 1979, S. 539 Nikolaus Gatter „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“

Nikolaus Gatter

„... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“ Ludmilla Assing, erste Biographin der Sophie von La Roche

„Es war den 18. Februar 1807, als ,Eine so tugendhafte und wohl­ Sophie sanft und schmerzlos da- thätige Frau sei eine Zierde ihres hinschied, in ihrem begonnenen Kirchhofes.‘ “1 sechsundsiebzigsten Jahre. Ih- Diese Erzählung findet sich am rem schon früher ausgespro- Ende der Biographie der Sophie chenen Wunsche gemäß wurde von La Roche, um die es hier sie auf dem ländlichen Kirchhofe geht. So kurios uns die Problema- des eine halbe Stunde von Of- tik der Beisetzung heute erschei- fenbach entfernten, am Main- nen mag, für Ludmilla Assings ufer belegenen Dorfes Bürgel [...] Zeitgenossen war die Überwin- beerdigt. Hier wollte sie ruhen, dung konfessioneller Schranken die Protestantin, obgleich das und Zwänge, was sie noch immer Dorf Bürgel katholisch war; und ist: eine konfliktträchtige Zeitfra- auch hierin zeigte sie wieder, wie ge. „Religionsverschiedenheiten“ in ihrem ganzen Leben, daß ihr weniger wichtig zu nehmen als die Menschenbeziehungen weit „Menschenbeziehungen“ war wichtiger und bedeutsamer wa- damals wie heute nicht selbst- ren, als jene Religionsverschie- verständlich. Spätestens seit der denheiten, unter welchen sie so Revolution von 1848 herrschten viel zu leiden gehabt, daß sie, in der auf das Gottesgnadentum inmitten aller Spaltungen und fixierten preußischen Monarchie Streitigkeiten stets frei blieb von kaum überwindbare Gegensätze beschränkter Parteisucht und z. B. zwischen ultramontanen und blindem Haß. – Ehe in Offenbach preußisch-pietistischen Partei- eine katholische Kapelle erlaubt gängern, die später in Bismarcks wurde, gingen die daselbst woh- ,Kulturkampf‘ gipfelten. Einig wa- nenden Katholiken nach Bürgel ren sich die christlichen Kirchen in die Kirche, und erhielten auch nur im Abscheu vor der bildungs- dort ihr Begräbniß. Es war zwei- bürgerlichen Moderne, wie sie felhaft, ob man dies letztere ei- die Weimarer Klassik verkörperte, ner Evangelisch-Lutherischen im Kampf gegen jede bürgerliche Polis 48 Frau als Ausnahme gestatten Gleichstellung der Juden und in würde; aber auf die Anfrage der ihrer traditionellen Misogynie. Familie antworteten der Pfarrer Es kann nicht verwundern, dass und die Gemeinde einstimmig die erste Lebensschilderung der

bejahend, mit dem Ausspruch: ersten Romanautorin deutscher 33 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

Sprache in einer theologischen (protestantischen) Taufe unterzo- Zeitschrift verrissen wurde. gen und ließ auch seine Kinder Für die Autorin rührte die Er- entsprechend taufen. Anders als kenntnis, dass Sophie von La Rahel hatte er aber keine christ- Roche konfessionelle Toleranz lichen Taufnamen angenommen. vorgelebt hatte, an ihr eigenes Er variierte nur den Nachnamen Selbstverständnis. Wenige Wo- und behielt mit „David Assur As- chen vor Erscheinen des Buchs sing“ seinen Familiennamen als im April 1859 war ihr Onkel ver- middle name bei. Seine Ehefrau, storben, an dessen Seite sie seit die Erzieherin Rosa Maria geb. über fünfzehn Jahren in Berlin Varnhagen war evangelisch-lu- gelebt hatte. Karl August Varn- therisch, ihr jüngerer Bruder Karl hagen von Ense wurde, wie es in August katholisch getauft. Schon den Nachrufen hieß, „obwohl er ihre Eltern, Anna geb. Kuntz aus Katholik war, seinem Wunsche Straßburg und der Düsseldor- gemäß gleich seinem Vater auf fer Medizinalrat Johann Jakob protestantischen Friedhof“2, und Andreas Varnhagen hatten „zur zwar „nach seiner Anordnung großen religiösen Beunruhigung ohne Beistand eines Geistlichen seiner sehr katholischen und begraben“3; übrigens nicht ne- strenggläubigen Mutter, die nur ben seiner 1833 verstorbenen mit Widerstreben eine Protestan- Ehefrau, deren Sarkophag, testa- tin ihre Schwiegertochter werden mentarischen Wünschen folgend, ließ“5, eine gemischt konfessio- noch bis 1867 in der Trauerkapel- nelle Ehe geführt. Doch anders le des Dreifaltigkeitskirchhofs am als der Protestant Georg Friedrich Halleschen Tor stand. Rahel Varn- Gutermann, der die Verbindung hagen, mit ihrem philosophischen seiner siebzehnjährigen Tochter Briefwerk für die Frauenbildung Sophie mit dem Arztkollegen so maßgeblich wie Sophie von Bianconi zu verhindern wusste, La Roche, war jüdischer Herkunft, gab sich Maria Antonetta Amalia doch fehlt ihr Geburtsname Le- Varnhagen mit der getrennten re- vin im Testament und auf ihrem ligiösen Erziehung der Kinder zu- späteren Grabstein; der von ih- frieden; wenn schon nicht Schwie- rer Familie angenommene Name gertochter und Enkelin, sollte Robert stand auf dem protestan- wenigstens der Enkel katholisch tischen Taufschein von 1814, der werden (in einer Phase der Fami- ihr die zusätzlichen Vornamen lientrennung wurde Karl August Antonie Friederike beilegt.4 dann allerdings eine Zeitlang bei Jüdischer Herkunft war auch der Lutheranern in der rheinischen Polis 48 Vater Ludmilla Assings gewesen. Diaspora untergebracht). Dr. med. David Abraham Assur Für Leserinnen und Leser von So- aus Königsberg hatte sich 1816, phie La Roche, die Freundin Wie- als Voraussetzung für seine Nie- lands, lag die „Zeit der Empfind- derlassung in Hamburg und den samkeit“, die mit einem Varnha-

34 Schwur des Bürgereides, der gen-Zitat eingangs als „nothwen- Nikolaus Gatter „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“ dige Epoche unserer Kulturge- Frauennamen wie Pamela (1740) schichte“ bezeichnet wird, schon und Clarissa (1749) von Richard- fast ein Jahrhundert zurück. Das son, die Geschichte des Fräuleins Vergegenwärtigen jener Ära hielt von Sternheim der Sophie von Karl August Varnhagen für ge- La Roche oder Das Leben der boten, weil sie als überzeitliche, schwedischen Gräfin von G*** von von jeder Generation neu zu voll- Gellert. Frauen waren Protagonis- ziehende Entwicklungsstufe zu tinnen und Zielgruppe von Rühr- verstehen sei: „Wir Jetztleben- stücken (Die zärtlichen Schwestern den alle haben unsern Antheil von Gellert, 1747) und moralischen an diesen Ergebnissen, wir Alle Wochenschriften; überdies grif- genießen der Frucht jener Bemü- fen sie, wie nicht nur das Beispiel hungen, auch wo wir es nicht wis- Sophie von La Roche zeigt, zuneh- sen, noch ahnden. Jene Zeit ist mend selbst zur Feder. Doch war vorüber als Epoche der Nation, die Empfindsamkeit mehr als ein aber dem Einzelnen wiederholt Leseerlebnis; Assing erwähnt aus- sie sich als Uebergang noch stets drücklich das Bedürfnis nach ge- in eigner Lebenserfahrung.“6 selligen Zusammenschlüssen und Als „eine seltsame Zeit damals ,Mittheilung‘. Mit ,Zärtlichkeit‘, die in Deutschland“ charakterisiert wir vielleicht mit ,emotionale Intel- Ludmilla Assing die Empfindsam- ligenz‘ übersetzen dürfen, setzte keit: „Die Gemüter waren in be- das gebildete Bürgertum (und geisterter Erregung, und gaben der verbürgerlichte kleine Adel) sich freudig den Einflüssen der dem aufgeklärten und zugleich Poesie hin, die Gleichfühlenden bornierten Zweckrationalismus und Gleichdenkenden schlossen des Absolutismus einen eigenen sich mit Wärme und Innigkeit an- Tugendbegriff entgegen. Dies ge- einander; es entstand damals ein schah sowohl literarisch vermittelt wahrer Kultus der Freundschaft als auch, mit Symbolik und Ritu- und der Zusammengehörigkeit, alen verbrämt, in freimaurerischen der zu den höchsten und edelsten und geselligen Zirkeln. Zielen anfeuerte. [...] Man sehnte Zu Beginn der 1770er Jahre trafen sich nach Mittheilung, nach einem sich z. B. die sogenannten »Emp- Austausch der noch gährenden findsamen« unter Decknamen im 7 Ideen und Empfindungen.“ Herrngarten zu Darmstadt: „Ura- Das Adjektiv ,empfindsam‘ be- nia“ hieß die Hofdame der Her- nutzte zuerst Louise Adelgunde zogin von der Pfalz-Zweibrücken, Victoria Gottsched 1757 in einem Henriette von Roussillon; Sophie Brief; Empfindsame Reise laute- von La Roche wurde „Mylady Sey- te 1768 auf Lessings Vorschlag mour“ genannt. Karoline Flachs- Polis 48 die Übersetzung des Romans land (damals bereits mit Johann Sentimental Journey von Law- Gottfried Herder verlobt) ging als rence Sterne. Doch die Romane, „Psyche“; Luise von Ziegler, das mit denen die Empfindsamkeit Hoffräulein der Landgräfin von

in Deutschland aufkam, trugen Hessen, wählte „Lila“ als Pseudo- 35 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

nym.8 Lila hütete ein Schaf und Mann). Sie regte die Herausgabe wohnte in einem „Hüttchen von der Klopstockschen Oden an und Geißblatt“, wo sie „ein Schüssel- lud Wieland, Gleim, Herder und chen mit Erdbeeren, ein Stück La Roche an ihren Hof. Es gelang Schwarzbrot, ein Trunk frisch dieser tapferen Frau, ihre sämt- Wassers“ zur Mahlzeit auftischte. lichen fünf Töchter (neben die- Naturverbundenheit und Kulti- sen hatte sie noch drei Söhne zur vierung des Gefühlslebens, trä- Welt gebracht) trotz notorischen nenreiche Klopstock-Lektüre und Fehlens einer repräsentativen Selbstvergewisserung beim Brief- Aussteuer standesgemäß an eu- und Tagebuchschreiben sollten ropäischen Fürstenhäusern zu Empfindung und Moral beför- verheiraten. Von Sophie wird in dern. Goethe dichtete in diesem Assings Buch folgende Anekdo- Kreis einen Fels-Weihegesang an te berichtet: „Wenn sie einmal zu Psyche: „Mit einem Kuß und Trä- der großen Landgräfin von Darm- ne im Herzen“ nahm er Abschied, stadt sagte, daß sie immer bei um in Wetzlar zu studieren und der Zeitungsnachricht von der das Kultbuch seiner Generati- Vermählung einer jungen Fürstin on zu schreiben: Die Leiden des für die Braut bete, so war dies jungen Werthers.9 War schon die gewiß in ihr keine höfische Un- umstrittene ,Felsweihe‘ ein Vor- terordnung gegen die Prinzessin, recht des Genies, des schöpfe- sondern nur der einfache Antheil rischen Alleinherrschers, der sich für die Frau, da die Braut in der herausnehmen kann, eine eigene Hütte wie auf dem Thron bei ihr Landmarke mit Namen zu verse- dasselbe Mitgefühl fand.“10 hen und dem Andenken an eine ,Mitgefühl‘: ein weiteres Schlüs- schöne Frau zu widmen (vom ei- selwort der Empfindsamkeit. fersüchtigen Herder wurde er da- Solche Fürbitten hätte Karoline für als „irrer Götzenpriester“ ver- von Hessen-Darmstadt selbst spottet), so brach erst recht der bitter nötig gehabt, als sie den Werther-Skandal dem Starkult Erbgrafen Ludwig von Hanau- um Goethe die Bahn. Lichtenberg ehelichte. Dieser Schirmherrin der Darmstädter verbrachte nach seiner Thronfol- „Empfindsamen“ war Karoline ge mehr Zeit bei den Soldaten als Henriette von Hessen-Darmstadt, bei ihr und widmete seine ganze die Goethe als „einsichtsvolle und Aufmerksamkeit seiner Operet- große Landgräfin“ titulierte und tenarmee, deren Uniform er stän- deren Kriegszahlmeister Johann dig verbesserte und für die er Heinrich Merck mit ihm im März nicht weniger als 30.000 Marsch- Polis 48 1772 zu Sophie von La Roche musiken komponierte (ohne reiste. Friedrich der Große ehrte selbst je in die Schlacht gezogen das Andenken an die Landgräfin zu sein). Damit sie in Pirmasens mit einer Urne, auf der „femina täglich und bei jedem Wetter sexu, ingenio vir“ stand (Frau von exerzieren konnte, wurde eigens

36 Geschlecht, an Geisteskraft ein eine monströse Halle errichtet, Nikolaus Gatter „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“ während das Schloss verfiel. „Seit doch schon damals eine psycho- dem 12. August 1741 bin ich mit logische Zeitschrift mit Fallstu- meiner Gemahlin vermählt gewe- dien gegeben: das 1782 von Karl sen“, notierte der Landgraf, als Philipp Moritz gegründete, zuletzt seine Frau verstorben war, „bis mit seinem Freund, dem jüdischen den 30. März 1774: 32 Jahre, 13 Gelehrten Salomon Maimon, he- Wochen, 6 Tage. Hiervon bin ich rausgegebene Magazin für Erfah- bei ihr gewesen 14 Jahre, 13 Wo- rungsseelenkunde. chen, 2 Tage, also abwesend von Hören wir kurz hinein in den O- ihr: 18 Jahre, 19 Wochen, 4 Tage. Ton der Empfindsamkeit, lesen Seit der Zeit, als ich mich meiner wir Goethe: „Was ich von der Ge- Gemahlin versprochen, habe ich schichte des armen Werthers nur von ihr 2555 Briefe erhalten.“11 habe auffinden können, habe ich Landgraf Ludwig mag ein Sonder- mit Fleiß gesammlet, und leg es ling gewesen sein, doch macht euch hier vor, und weiß, daß ihr das Zitat anschaulich, weshalb mir’s danken werdet. Ihr könnt eine Art Gefühlskultur mitten im seinem Geist und seinem Cha- Zeitalter der Aufklärung und des rakter eure Bewunderung und männerdominierten wissenschaft- Liebe, und seinem Schicksaale lichen Fortschritts zum Bedürfnis eure Thränen nicht versagen. wurde, auch wenn sie sich mit- Und du gute Seele, die du eben unter in Formen äußerte, die uns den Drang fühlst wie er, schöpfe heute bizarr erscheinen. Die Spra- Trost aus seinem Leiden, und laß che der Empfindsamkeit hat sich das Büchlein deinen Freund sein, allerdings dauerhaft eingeprägt.12 wenn du aus Geschick oder eig- Sie war eine säkularisierte Fortbil- ner Schuld keinen nähern finden dung des Vokabulars pietistischer kannst.“13 Das Bemühen, her- Erbauungsschriften, das schon kömmliche Stilkonventionen zu- die Gottschedin in ihrer Komödie gunsten einer zwangloseren, ge- Die Pietisterey im Fischbein-Rocke sprochener Rede angenäherten (1736) parodiert hatte. Zwar ist die Schreibweise zu durchbrechen, exzessive Verwendung von Ge- prägt nicht nur den Briefroman, dankenstrichen und Ausrufezei- sondern auch die Korrespon- chen in der modernen Literatur, denz, für die Christian Fürchte- von Arno Schmidt einmal abgese- gott Gellert eine Anleitung mit hen, kaum mehr üblich, doch sind Textbeispielen gab. Und kaum viele Ausdrücke jener Epoche jemand dürfte die Empfehlung, noch immer lebendig. „Innerlich- ihre Briefe als freie Nachahmung keit“ und „Einfühlung“ sind Allge- mündlicher Gespräche aufzufas- meingut geworden, „Seelenadel“ sen und mangels besserer Gesel- Polis 48 oder „Herzensbildung“ werden ligkeit das Büchlein zum Freund in Heiratsannoncen verlangt, „mit zu machen, so ernst genommen etwas umgehen“ und „sich hinein- haben wie Rahel Levin. versetzen“ gehört zum Jargon „Ein Fest war sonst ein neuer

der Therapiegruppen. Hatte es Band Goethe bei mir“, schrieb Ra- 37 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

hel am 22. Juli 1808 dem vierzehn zu haben, sondren ich glaubte, in Jahre jüngeren Varnhagen; „ein der Nähe G: versetz und dieses lieblicher, herrlicher, geliebter, ge- alles im natürlichsten tohn des ehrter Gast, der mir neue Lebens- umgangs [...] nach und nach ge- pforten zu neuem unbekannten, hört zu haben.“15 hellen Leben gewiß erschloß. Dieser pragmatische Umgang mit Durch all mein Leben begleitete dem Dichterwort ist eine Remi- der Dichter mich unfehlbar, und niszenz an die moralische Nutz- kräftig und gesund brachte der anwendung, die der schönen mir zusammen, was ich, Unglück Literatur von der Aufklärungs­ und Glück zersplitterte, und ich ästhetik abverlangt wurde. Sophie nicht sichtlich zusammenzuhalten von La Roche hatte sich mit dem vermochte. Mit seinem Reichthum erbaulichen happy end ihres Fräu- machte ich Kompagnie, er war leins von Sternheim von diesem ewig mein einzigster, gewissester Anspruch nicht so radikal eman- Freund; mein Bürge, daß ich mich zipieren können16 wie Goethe, nicht nur unter weichenden Ge- der am Schluss des Werther zum spenstern ängstige; mein supe- Entsetzen der Philisterwelt keine riorer Meister, mein rührendster vermittelnde, den Selbstmord Freund, von dem ich wußte, wel- verurteilende Lehre folgen ließ. che Höllen er kannte! – kurz, mit La Roches Lebenswerk wird von ihm bin ich erwachsen, und nach ihrer Biographin in drei unter- tausend Trennungen fand ich ihn schiedlich bewertete Teile ge- immer wieder, er war mir unfehl- gliedert. Nützliche Erziehungs- bar; und ich, da ich kein Dichter schriften für junge Frauenzim- bin, werde es nie aussprechen, mer, die sie vielleicht aus Rosa was er mir war! Noch muß ich Maria Varnhagens Töcherschule weinen, so rührt es mich!“14 Die- ser sentimentale Goethe-Kult kannte, und die Zeitschrift Pomo- hatte zugleich eine ganz prak- na hielt Assing für das eigentliche tische Funktion, wenn Rahel im Hauptwerk. Gelobt werden auch Trauerfall Bücher verschickte, ein La Roches Reiseberichte, wo „ru- Trost, den Friederike Liman am hige Betrachtung, reflectirender 13. Juni 1821 erwiderte: „Mei- Verstand und einfache Gerad- ne liebe, gute R.: Ich muß es dir heit“ vorherrschen. Ihre Romane, unendlich dancken daß Du mich denen nur als zeittypischer Aus- bey meinen Leiden mit dem aus druck der Empfindsamkeit eine dem Himel gesandten neuen allenfalls kulturhistorische Bedeu- Werke Göthens wirklich waß man tung zukomme, gelten dagegen sagt ein wenig aufgerichtet hast. als nachrangig; in ihnen herrsche Polis 48 [...] Mich im einzelnen über dem „jenes empfindungsvolle Gefühl Buche selbst auszulaßen ist mir [...], wie es in der Zeitrichtung ih- bey meiner jetzigen Schwäche rer Jugend lag“. nicht recht möglich so viel weiß Mit unverkennbarer Ironie cha- ich aber daß ich gar nicht glaube rakterisiert Assing „jene unter

38 etwaß waß man so nent gelesen Thränen lächelnden Heldinnen Nikolaus Gatter „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“

[...], die von den schwersten in Ludmilla Assings Elternhaus Schicksalsschlägen gebeugt, gepflegt wurde. Gut ein Viertel- um ihrer Tugenden willen leiden jahrhundert nach dem Erschei- müssen, und in dem stillen Be- nen der Leiden Werthers hatte wußtsein ihrer Vortrefflichkeit sich in Hamburg ein solcher Kreis ihre einzige Stütze finden. Sophie um Rosa Maria Varnhagen gebil- von Sternheim, Rosalia, Miß Lony, det, die in jüdischen Familien als u.s.w., alle sind sie tugendhaft Hauslehrerin arbeitete und sich und voll überschwänglichen Ge- später selbstständig machte.18 fühls; sie sind meistens in einfach Der schwäbische Medizinstudent Englischem Anzug, und lieben und spätere „Geisterseher“ Justi- alles, was Englisch ist, wodurch nus Kerner lernte Rosa Maria und sie gegen den beliebten fran- ihre Freundin Amalia Schoppe, zösischen Modeputz und seine ebenfalls Erzieherin, während Uebertreibungen angenehm ab- seines Hamburg-Aufenthalts im stechen. Die Helden sind häufig Frühjahr 1809 im Haus der Op- junge Engländer von edelster penheimers Auf dem Kamp Nr. Gesinnung und vielem Gelde. 276 kennen. Dort saß man „um Die Zimmer haben zarte Farben, den [...] wohlbekannten runden sie sind blaßgrün oder blaßblau, Tisch zum erwärmenden Thee“, mit Kupferstichen an den Wän- wenn Kerner aus seinen Gedich- den; in den Gärten stehen Urnen ten las und auf der Maultrommel mit zärtlichen Inschriften und spielte. Man wurde selbst kreativ vielsagenden Allegorien, vor de- bei der Teilnahme an Musenal- nen man wohl zuweilen nieder- manachen (die Damen nur unter kniet und sich ewige Liebe und Vornamen), der Anfertigung von Freundschaft schwört. Was uns Scherenschnitten, der Lesung von Dramen mit verteilten Rollen19 an diesen pathetischen Gestal- und – weil die meisten Freunde ten, die bald mit bedeutungs- in Süddeutschland wohnten und vollem Blick und erhobenen Hän- die Verbindung zu Rahel und Karl den sich zum Himmel wenden, August Varnhagen in Berlin nicht bald sich gerührt in die Arme sin- abreißen sollte – in ausgiebigen ken, oder einer auf der Hand des Briefwechseln. Dem Freund- andern weinen, übertrieben und schaftsbund, der sich daraus ent- unnatürlich vorkommen möchte, wickelte, gehörten beispielswei- erschien damals niemandem so; se Ludwig Uhland, Adelbert von ja, es war in der That zum größ- Chamisso, Rahels Bruder Ludwig ten Theile die treue Darstellung Robert, Fanny Tarnow, Friedrich des damaligen Lebens, und so- de la Motte Fouqué und Gustav mit sind diese Romane [...] immer Schwab an. Als wolle sie Sophie Polis 48 interessant und charakteristisch, 17 von La Roches Nachfolge an- und von bleibendem Werth.“ treten, wurde die Fehmarnerin Ein Nachhall dieser empfind- Amalia Schoppe Journalistin, samen Geselligkeit war wohl erfolgreiche Zeitschriftengrün-

noch der Freundschaftskult, der derin, Autorin von vielbändigen 39 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

Romanen, Hausbüchern und Er- sind später journalistisch und ziehungsschriften. an der Seite von Revolutionären In den späten 1820er Jahren hervorgetreten. führte die inzwischen verheira- überwarf sich mit dem Onkel, der tete Rosa Maria Assing einen sich aus der Nähe weniger revo- Salon, in dem jungdeutsche und lutionär ausnahm als erhofft, und rebellische Schriftsteller ver- übersiedelte nach einer Fehlspe- kehrten: Heine, Hebbel, Theodor kulation mit einem Hamburger Mundt, Ludolf Wienbarg, Ludwig Theaterunternehmen, die ihr Wihl, und Georg ganzes Vermögen kostete, 1851 Schirges; jüdische Aufklärer wie in die Vereinigten Staaten. Dort Gabriel Riesser und Salomon trat sie Amalia Schoppes Nach- Ludwig Steinheim kamen hinzu. folge als Korrespondentin für Von den Töchtern des Hauses, Cottas Morgenblatt für gebildete Ottilie (geb. 1819) und Ludmilla Leser an und lernte bei einem (geb. 1821) schrieb ein Besucher Interview den Afroamerikaner dieser Abende später, sie seien kennen. Der „gleichsam im Banne der Musen Vorkämpfer der Antisklaverei- herangewachsen“ und „bei aller bewegung, der es bis zum US- Liebenswürdigkeit [...] Philoso- Marschall brachte, wurde Ottilies phinnen“ gewesen, „scharf kri- Geliebter; als seine Mitarbeiterin tische Wesen, die sich die Welt übersetzte sie 1860 seine Auto- nach einem strengen Gesetz zu- biographie Sclaverei und Freiheit rechtgelegt hatten und von sich ins Deutsche.21 wiesen, was diesem sich nicht Ludmilla Assing hütete den lite- fügen wollte. [...] Die Mädchen rarischen Nachlass ihres Onkels waren sonst in ihrem Denken Varnhagen und ging während und Fühlen sehr modern, sie hat- der Debatte um dessen Veröf- ten dies von der Mutter. [...] Sie fentlichung, von der noch die schwärmten für das dunkle Capi- Rede sein wird, 1861 nach Ita- tel der Frauen-Emancipation, ver- lien, wo sie sich dem linken Flü- ehrten die Georges Sand als eine gel des Risorgimento, der ita- Hohepriesterin und hegelten so lienischen Freiheitsbewegung rücksichtslos ins Aschgraue hi- anschloss. Sie wurde Italien- nein, daß der gute Wiehl, wie er Korrespondentin für die Frank- behauptete, sich manchmal wie furter Zeitung, die Wiener Neue ein Mädchen vorkam und sehr Freie Presse und die Allgemeine roth wurde. Daneben waren sie Zeitung, arbeitete aber auch für fanatisch jungdeutsch und inte- italienische Blätter, übersetzte Polis 48 ressirten sich aufs höchste für Al- Mazzinis Schriften und schrieb les, was diesem neuen Begriff im Biographien ihrer revolutionären 20 entferntesten anhing.“ Freunde Piero Cironi, Giovanni Beide Mädchen, die nach dem Grilenzoni und Federico Cam- Tod ihrer Eltern 1842 zu Varnha- panella.22 Feuilletons deutscher

40 gen nach Berlin übersiedelten, Zeitschriften hatte sie seit 1842 Nikolaus Gatter „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“ beliefert; die Märzrevolution von begeistern, als aber die Wogen 1848, die sie an Varnhagens Seite der Revolution höher gingen, erlebte, begleitete sie mit Berich- und andre Gestalten den Schau- ten über den Barrikadenkampf in platz beherrschten, da konnte sie Berlin, die anonym oder mit dem sich nicht mehr zurechtfinden, Vermerk „aus dem Tagebuch und obgleich sie selbst vor eini- einer deutschen Frau“ erschie- gen Jahren in Paris mit richtigem nen.23 Dass sie ihre demokra- Urtheil die Mißbräuche und Be- tische Gesinnung nicht verhehlte drückungen erkannt hatte, die (ebensowenig ihr Onkel), wurde das Volk zu gerechter Erbitterung ihr in den vornehmeren Salons entflammen mußten, so vergaß von Berlin verübelt. In der Vos- sie dies alles vor Entsetzen über sischen Zeitung erschien im Ok- die schrecklichen Blutscenen, tober 1848 eine anonyme Anzei- und wandte Ludwig dem Sech- ge, in der ihr unverhohlen Prügel zehnten und der ganzen könig- angedroht wurden, falls sie nicht lichen Parthei ein gefühlvolles „ihre bluthroth republikanischen Mitleid zu [...].“ Gesinnungen etwas mäßigen Varnhagens Nichte erlebte mit wolle“. Karl Marx, der ihre pu- 27 das Scheitern des demokra- blizistische Tapferkeit schätzte tischen Aufbruchs von 1848, So- (auch wenn er sie despektierlich phie von La Roche stand schon „Camilla Essig“ nannte) war stolz im sechzigsten Lebensjahr, als darauf, dass seine Neue Rhei- die Bastille gestürmt wurde. Die- nische Zeitung gegen solche sen Generationsunterschied führt „Heldenthaten – gegen Frauen“ Assing zur Entlastung ihrer Hel- 24 polemisiert hatte. din an, indem auch sie geschicht- Vor diesem Hintergrund ist As- liche Epochen auf menschliche sings Kritik an Sophie von La Ro- Entwicklungsstufen bezieht: „Nur che zu verstehen, die zugleich eine wenige Menschen haben die Abrechnung mit der vermeintlich Kraft, ihr ganzes Leben hindurch unpolitischen, letztlich aber doch mit der Entwickelung ihrer Zeit zum Konservativen tendierenden gleichen Schritt zu halten; waren Empfindsamkeit ist: „Die franzö- sie ihr auch wohl eine Zeitlang vo- sische Revolution“, stellte sie fest, raus, in der edlen Begeisterung „erschreckte Sophien; sie, die der ersten Jugend, und in der lebenslang für Freiheit und Men- Reife und Klarheit des mittleren schenrechte gewesen war, [...] die Alters, so erlahmt doch leicht spä- bisher immer auf der Höhe ihrer ter ihr Geist, und die Wogen, die Zeit gestanden, konnte doch bei sie sonst beherrschten, strömen dem großen und kühnen Hel- unaufhaltsam über sie hinweg. Polis 48 dendrama, welches Frankreich Auch die edle und ausgezeich- vor den erstaunten Augen der nete Frau, die bisher so muthig Welt aufführte, nicht mehr den vorwärts gestrebt hatte, konnte klaren Ueberblick behalten. Für nicht ganz diesem Geschick ent- 25 Mirabeau konnte sie sich noch gehen.“ 41 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

Allen politischen Differenzen Ihre erste selbstständige Veröf- zum Trotz: Für die nach 1800 an fentlichung von 1857 hatte Assing die literarische Öffentlichkeit tre- einer heute vergessenen Berliner tenden Frauen hatte La Roches Salonière gewidmet, der Gräfin literarische, wiewohl durch einen Elisa von Ahlefeldt.27 Sie war die Mann – Christoph Martin Wieland Witwe des Freischärlers Lützow – als Ratgeber und Herausgeber und langjährige Mäzenin und initiierte Karriere Modellcharak- Geliebte von Karl Immermann ter. Nicht an die empfindsame gewesen, der die Heiratsunwil- Belletristik, wohl aber an die lige später zugunsten einer viel journalistischen Arbeiten ihres jüngeren Braut verließ. Seit Ah- Vorbilds konnte Ludmilla Assing lefeldt in Berlin lebte, lud sie jun- anknüpfen. Die Empfindsamkeit ge Leute ein, die bei ihr leichter hatte schließlich auch bewirkt, Zugang fanden als in den stock- dass Schriften belehrenden – heu- preußisch-konservativen Adels- te würden wir sagen: informativen kreisen. In diesem Salon hatte – Inhalts nicht mehr mit den in Assing auch den gleichaltrigen der Gelehrtenrepublik üblichen Feodor Wehl kennengelernt, Gliederungen nach Einleitung, der ihr literarischer Verbünde- Hauptteil, a), b) und c) versehen ter wurde und als Redakteur der wurden. Diesen Fortschritt wuss- Jahreszeiten und anderer Blätter te die Biographin zu würdigen: ihre anonymen Korrespondenzen „Sophie band sich nicht zu sehr brachte. Doch kaum war ihr Erst- an eine strenge Form; aber was ling unter eigenem Namen ge- dadurch an Kunstvollendung ver- druckt, als konservative Kritiker loren ging, wurde ersetzt durch schon ,Abweichung von einer frische Natürlichkeit und ein lie- gesunden und zumal weiblichen benswürdiges Sichgehenlassen. Denkungsweise‘, kurz, Unsittlich- Manche ihrer Bücher, wie zum keit unterstellten: „An vielen Stel- Beispiel die ,Briefe über Mann- len muß man sich fragen: Konn- heim‘ und der ,Schreibetisch‘ te das ein Deutsches Mädchen sind deßhalb wie lebendige Ge- schreiben?“28 spräche einer geistreichen und Über ein Drittel des Buchs neh- eigenthümlichen Frau, die ohne men Briefe ein, die Assing aus eigentlichen Plan sich ihren Ge- dem Nachlass der Elisa von Ah- danken und Erinnerungen über- lefeldt erhalten hatte, um ihre Le- läßt, denen der Leser gerne folgt. bensschilderung dokumentarisch Und eine besondere Geschick- zu ergänzen. Einen ähnlichen, lichkeit zeigt sich auch grade in wenn auch viel schmaleren An- Polis 48 dieser Behandlungsweise, und hang bilden in ihrer La-Roche- Wenigen möchte es wie ihr gelin- Biographie die damals noch gen aus der Beschreibung ihres unbekannten Briefe des jungen Schreibtisches und allem was Goethe an seine „Mama“. Doch sich an diesen knüpft, zwei unter- hatten die Recherchen für das 26 42 haltende Bände zu machen.“ zweite Buch unter weit schwie- Nikolaus Gatter „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“ rigeren Vorzeichen begonnen. zum Werk seiner Nichte bei; so Dessen Heldin war seit einem finden sich im Anhang unter der halben Jahrhundert verstorben Überschrift „Nachweisung der ge- und nahe daran, in Vergessenheit brauchten Hülfsmittel“ Hinweise zu geraten; „ihre Werke“, schreibt wie: „Ungedruckte Briefe von So- Assing, „haben schon heute kei- phie La Roche durch die Güte des ne Leser mehr, und bald werden Herrn Professor Dielitz in Berlin, diese Werke mit Ausnahme weni- aus dessen Handschriftensamm- ger in Bibliotheken aufbewahrter lung“; auch Richard Zeune sowie Exemplare, ganz verschwunden Theodor Schmid in Halberstadt sein. Und dennoch darf die vor- werden genannt. Da es selbst an treffliche, ausgezeichnete Frau, den meisten gedruckten Büchern dürfen ihre großen und unleug- fehlte, wurden Goethe-Forscher baren Verdienste nicht vergessen wie Heinrich Düntzer30, Verfas- werden. Sie war die erste Schrift- ser der Frauenbilder aus Goethes stellerin in Deutschland, welche Jugendzeit, und die Weimarer auf dem Gebiete des Romans Großherzogliche Bibliothek um und des Erziehungsfaches mit Leihgaben und Auskünfte gebe- Erfolg auftrat, und wenn sie in ten. ersterem der damals herr- Was die Autographensammlung schenden sentimentalen Mo- des Onkels betrifft, so wird sie derichtung sich anschloß, so nicht eigens vermerkt, doch hatte gewann sie durch letzteres, als Varnhagen die Autorin bereits zur edle und einsichtige Lehrerin der künftigen Besitzerin bestimmt: in weiblichen Jugend, eine außer- seinem Testament sowie durch ordentliche und wahrhaft einzige eine zusätzliche Erklärung vom 7. Wirksamkeit“.29 Dezember 1856, die ihr den ge- Allerdings stand Assing eine samten Bestand überschrieb und Quelle von einzigartigem Reich- ihm selbst nur den Nießbrauch zu tum zur Verfügung: die Auto- Lebzeiten vorbehielt. Eine Woche graphensammlung ihres Onkels, nach dem Schenkungsakt fasste dessen teils von Rahel hinter- sie den Plan zu ihrer La-Roche- lassene, teils von befreundeten Biographie, deren Entstehung Stifterinnen und Stiftern einge- Varnhagen über die nächsten sandte Briefkonvolute seit 1842 zwei Jahre hinweg kontinuierlich gewaltig angewachsen waren. begleitete. Dies zeigt ein Blick in 31 Allein Sophies Enkelin Bettine seine Aufzeichnungen , die sei- von Arnim hatte ihm 1856 nahezu ne Nichte posthum zu einem Drit- tausend handschriftliche Blätter tel unter dem Titel Tagebücher geschenkt, da sie ihre Papiere in publizierte (einige Zitate sind aus Polis 48 der Mauerstraße 36 besser auf- dem Manuskript nachgetragen): gehoben wusste als in der eige- 16. Dezember 1856: „Mit Lud- nen Familie. Sammlerkollegen, milla vielerlei besprochen. Unter mit denen Varnhagen mitunter andern eine neue Aufgabe für

tauschte, trugen mit Leihgaben ihr schriftstellerisches Talent er- 43 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

mittelt, eine Schilderung des Le- daß Ludmilla sich mit Sophie von bens von Sophie Laroche, und für La Roche beschäftige.“ die Zukunft, in weiter Ferne, eine 11. Juni 1858: „Nach dem Thee gleiche Arbeit über Bettina von mit Ludmilla viel über Sophie Arnim, wozu sie Hülfsmittel hat, von La Roche und ihr Zeitalter wie niemand sonst.“ gesprochen. Manche Hülfsmittel 25. Dezember 1856: „Gute Ge- fehlen noch, und mit Ungeduld spräche mit Ludmilla, [...] be- erwarten wir die aus Görlitz!“ sonders auch über Frau Sophie 11. Juli 1858: „Bettina fragte von La Roche, deren Briefe über Ludmilla’n besorgt, sie habe doch Mannheim grade zur Hand wa- nicht aufgegeben, das Leben der ren.« La Roche zu schreiben, und freute 15. April 1857: „Nach dem Thee sich zu hören, daß es schon weit mit Ludmilla Schach gespielt, vorgerückt sei. Dann sagte sie, und noch viel mit ihr besprochen. von der La Roche habe sie noch Ein unerschöpfliches Thema für viele Briefe; auf die Frage von ihr uns ist nun Sophie von La Roche, oder an sie, erwiederte sie: ,viel- deren Leben sie schreiben will, leicht von ihr!‘ was bezeichnend und von der sie alles liest; in die- ist für ihre Kenntniß!“ ser Frau spiegelt sich ein großes Stück des vorigen Jahrhunderts 4. August 1858: „Es war schon be- ab, sie war mit den bedeu- kannt, daß Ludmilla an einer Bio- tendsten Zeitgenossen in Verbin- graphie der Frau von La Roche dung, war eine Hauptlehrerin der schreibt, der Großherzog lieferte Frauen, und viel von ihr lebt noch ihr dazu ein paar Anekdoten, die heute in ihrer Enkelin Bettina von ihm erzählt worden waren.“ Arnim.“ 22. August 1858: „Mit Ludmilla 25. September 1857: „Von den die begonnene Durchsicht [ihrer Antiquariaten, die wir aufsuchten, Sophie La Roche] fortgesetzt. hatte der eine nur hebräische Sie hat sehr viel geleistet und Bücher, der andre war aus Berlin schreibt sehr gut, besonders be- weggezogen, ein dritter, Scholem hält sie stets die Hauptsache, das nomine Brühl, in der Oranienbur- Ganze, vor Augen, und ordnet die gerstraße 85, handelt eigentlich Nebenschilderungen geschickt nur mit alten Kleidern! Endlich, bei unter. Ich habe Vergnügen, ihre Franz in der Friedrichstraße 99, Arbeit zu lesen, und ohne Zweifel fanden wir ein Buch von Sophie wird sie Andern auch gefallen.“ von Laroche, das unsre bisher ver- 1. Oktober 1858: „Geschrieben; gebliche Jagd etwas belohnte.“ Ludmilla gleichfalls, sie arbei- Polis 48 21. April 1858: „Ausgegangen tet ebenso fleißig als gewissen- mit Ludmilla. In den Thiergarten haft, und thut sich selten volles zu Frau Bettinen von Arnim. [...] Genüge; mir ist es eine Freude, Für uns war sie überaus gütig, bot dies mitanzusehen. Ob ihr neues uns immer auf’s neue die Hand, Buch, Sophie von La Roche, den

44 lächelte dankbar als ich ihr sagte, außerordentlichen Erfolg haben Nikolaus Gatter „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“ wird, den das erste hatte, mag Bei vielem ließ er mir ganz freie zweifelhaft sein, aber daß sie Hand, und oft erwiederte er auf eben solchen und noch größeren meine Fragen mir in diesem und verdient, das ist ganz gewiß.“ oder jenem etwanigen Fall seine Neun Tage später, am 10. Okto- Wünsche genau anzugeben: ,Du ber 1858, verstarb der Chronist, wirst sehen! Folge Deiner Ein- der gerade noch die Übergabe sicht, Deinem Urtheil, nur ziehe der Regentschaft des demenz- nicht Andre unnöthigerweise in’s kranken Preußenkönigs Friedrich Vertrauen, thue alles allein, sieh Wilhelm IV. an seinen Bruder, den alles allein durch, du wirst schon späteren Kaiser Wilhelm I. regis- das Rechte thun!‘ – Einzelnes, was trieren konnte. Die Biographie er bestimmt angab, habe ich treu 34 war um diese Zeit bereits abge- und genau erfüllt.“ schlossen; im November begab Zu den ersten Veröffentlichungen sich die Autorin auf Verlagssuche. aus dem Varnhagen-Erbe ge- „Mein Onkel hat mein Buch noch hörten Nachträge zu seinen viel- in seinen letzten Lebenstagen bändigen Denkwürdigkeiten und gelesen, und freundlich darüber Vermischten Schriften, Rahels geurtheilt“, konnte sie dem Ver- Briefe an ihren Jugendfreund lag F. A. Brockhaus mitteilen und David Veit, die Herausgabe einer bat darum – bei 2 Friedrichsd’or Abschrift ungeklärter Herkunft Honorar für den Druckbogen und von Liebesbriefen Börnes an Hen- 25 Freiexemplaren – , dass die Bio- riette Herz sowie – im Februar graphie im Februar des kommen- 1860 – die Briefe von Alexander den Jahres erscheinen möge.32 von Humboldt an Varnhagen von Doch obwohl in Leipzig schon Ense.35 Von diesem Buch, das un- eine Kalkulation vorlag, wurde geheures Aufsehen erregte und man offenbar nicht handelseinig, die weiteren Lebensschicksale und auch die Buchhandlung Rei- der Herausgeberin mitbestimmt mer in Berlin erteilte im Frühjahr hat, muss schon deshalb die Rede 1859 eine Absage.33 sein, weil es die Wirkung ihrer Völlig anders erging es Assing La Roche-Biographie nachhaltig mit den gleichzeitig begon- überschattete. nenen, in Zeitungsmeldungen Im Hinblick auf den Skandal, den angekündigten Publikationen die von Demokraten und Libe- Aus dem Nachlaß Varnhagens ralen enthusiastisch begrüßten, von Ense, deren Programm wohl in fast jeder Tageszeitung Euro- teilweise noch zu dessen Lebzei- pas beachteten Humboldt-Briefe ten gemeinsam erarbeitet wor- auslösten, wirkt es wie eine pro- den war: „Hundertmal haben phetisch vorweggenommene Polis 48 wir im Einzelnen und im Ganzen Inschutznahme, wenn es 1859 in diesen Gegenstand besprochen, der La Roche-Biographie hieß: die gleiche Sinnesart, das innige „Auffallend ist es, daß Sophie in Vertrauen, die uns verbanden, allen ihren Schriften, besonders

erleichterten die Verständigung. in ihren Reisen, alle die Personen, 45 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

denen sie begegnet, offen und In diesen Briefen bekannte er ungescheut bei ihrem Namen sich nun auch noch als Anhänger nennt, und zwar nicht nur dieje- der Ideale von 1789, kritisierte nigen, die in der Literatur oder die bedrückenden politischen sonst in der Oeffentlichkeit eine Verhältnisse und kommentierte Rolle spielen, sondern auch sol- sarkastisch die Huldigungs- che, die nur der Stille des Privat- schreiben gekrönter Häupter, lebens angehören; sie beschreibt die er Varnhagen für seine Auto- ihr Aussehen, erzählt ihre Schick- graphensammlung überließ. Or- sale, und theilt auch wohl ihre thodoxe Frömmler mit ihren (bei Gespräche mit. Man würde un- Humboldt erfolglosen) Bekeh- seren heutigen Schriftstellern, rungsversuchen, die pietistische wenn sie dergleichen wagten, auf ,Kamarilla‘ am Königshof und die das bitterste, Indiscretion und reaktionäre Kreuzzeitungspartei Rücksichtslosigkeit vorwerfen; wurden nicht geschont. damals war man harmloser, und Im Hickhack um die Vertragsbe- sah nichts Schlimmes in solcher dingungen, um redaktionelle Ab- Veröffentlichung.“36 milderungen der oft drastischen Wie riskant ihr Vorhaben war, Humboldtschen Ausdrucksweise ahnte Ludmilla Assing, als sie und um ein Vorwort, das den Ver- Brockhaus eine Abschrift von lag von jeglicher juristischer Ver- zwanzig Humboldt-Briefen ein- antwortung dispensieren sollte, sandte, um den Verleger „von konstatierte Brockhaus, „wie dem Werthe des ganzen Werkes, schwierig es ist, mit Damen in welches einzig in seiner Art ist, geschäftlichen Dingen zu verhan- und wie Ihnen nicht wieder ein deln“.38 Für dieses Buch konnte zweites angeboten werden wird“, Assing nämlich ein Bogenhono- zu überzeugen: „Sicher werden rar von 10 Friedrichsd’or erzielen, auch die Tagebuchstellen meines was nicht zuviel verlangt war. Als Onkels großes Aufsehen erre- es in den letzten Februartagen gen, welche zu dem brieflichen 1860 erschien, war es im Hand- Verkehr noch die mündlichen umdrehen überall ausverkauft. Unterredungen hinzufügen.“37 Nachdem der Polizeipräsident Als Naturwissenschaftler von von Berlin vergebens angeordnet internationalem Ruhm, der sich hatte, die zirkulierende Auflage allerdings, was viele nicht wuss- (wenige Wochen später waren, ten, mit selbstfinanzierten For- von Übersetzungen und Raub- schungsreisen verausgabt hatte drucken abgesehen, vier weitere und im Alter auf seine Stellung gedruckt) zu beschlagnahmen Polis 48 als königlich-preußischer Kam- und vom Innenminister zurückge- merherr und das Freundschafts- pfiffen wurde, ließ sich Heinrich verhältnis mit Friedrich Wilhelm Brockhaus in Leipzig mit einem IV. angewiesen war, genoss Ale- Trinkspruch feiern, „daß wir recht xander von Humboldt beim Lese- oft solche Bücher wie ,Humboldts

46 publikum höchste Anerkennung. Briefe‘ verlegen möchten, die für Nikolaus Gatter „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“ einen Tag in Preußen verboten unter den Gästen aufkommen zu würden“.39 Der spätere Kaiser lassen. Friedrich III. hielt in seinem Ta- Die konservative Presse, allen gebuch fest: „Ein infames Buch voran die Kreuzzeitung, begann ,Briefe Alex. v. Humboldts an eine Verleumdungskampagne, Varnhagen‘ ist soeben erschie- die mit jeder Publikation neu auf- nen, von einem gemeinen De- flammte, zumal im Winter 1861 mokratenweibe Ludmilla Assing die ersten Bände Tagebücher herausgegeben, mit kompro- Varnhagens folgten – eine unver- mettanten Äußerungen über den blümte Chronik der Märzrevoluti- König und alle lebenden Zeitge- on, ihrer Vorgeschichte und der nossen.“40 Nur der Großherzog nachfolgenden Ära der Reaktion. von Weimar, der die Herausge- Die Veröffentlichung hatte Karl berin anderthalb Jahre zuvor mit August Varnhagen von Ense aus- La-Roche-Anekdoten versorgt drücklich gewünscht, als er 1837 hatte, leistete effektives Skan- notierte: „Die Welt sieht bis jetzt dalmanagement. Er versah eine nur mein Censurleben; es wäre seinen Adelsdünkel geißelnde doch billig, daß sie auch mein Anekdote Humboldts am Seiten- censurfreies kennen lernte!“42 rand mit einem handschriftlichen Doch unter Bismarck sollte jede Dementi („Lüge! Carl Alexander“) geschichtliche Erinnerung an die und stellte sein Exemplar in die vormärzliche Opposition und den damals schon öffentlich zugäng- demokratischen Aufbruch ausge- liche Büchersammlung, die heu- löscht werden. Die längst in Flo- tige Anna-Amalia-Bibliothek.41 renz lebende Herausgeberin wur- Trotz ihres Bestseller-Erfolgs mus- de wegen Majestätsbeleidigung ste die Herausgeberin erleben, und anderer ,Preßvergehen‘ zu dass sie in den geselligen Kreisen mehrjähriger Gefängnishaft ver- Berlins geächtet wurde. Im No- urteilt. Die preußische Obrigkeit vember 1859 hatte sie die preu- ließ sie steckbrieflich suchen, ßische Staatsbürgerschaft bean- doch selbst das Auslieferungsbe- tragt und war – eine Vorbedin- gehren an fremde Staaten konnte gung – aus dem Hamburgischen ihr in Italien nichts anhaben. Staatsverband ausgeschieden. Mit ihren umstrittenen Büchern Als das Buch gedruckt vorlag, hatte Assing eine „europäische wurde ihr die Einbürgerung ver- Reputation“ erlangt; Fürst Pück- weigert und sie blieb zunächst ler, der ihr dies prophezeit hatte, staatenlos, bis im Spätherbst beschloss seinerseits, ihr seine 1860 eine von Papiere ebenfalls zur posthumen glänzend formulierte Beschwer- Veröffentlichung zu überlassen.43 Polis 48 de beim Innenministerium Erfolg Am meisten verunsicherte die Kri- hatte. Henriette Solmar, deren tiker, dass „dieses Aergerniß von Salon Varnhagen fast allabend- einer Dame ausgeht“, die man lich besucht hatte, lud seine Nich- allerdings nicht immer als solche,

te förmlich aus, um keinen Streit sondern weit häufiger als „Blau- 47 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

strumpf“ und „Jüdeline“ mit der Noch vor dem Skandal hatte der „literarischen Fabrik“ bezeichne- Berichterstatter der Allgemei- te. „Die Begriffe von Ruhm und nen Zeitung begrüßt, dass die Ehre liegen begreiflicherweise Verfasserin „der Aufgabe, ein dem Vorstellungskreise eines treues Lebensbild der Verstor- Weibes ferner“, hieß es in Rudolf benen zu entwerfen, mit Liebe Hayms Preußischen Jahrbüchern; und Selbstentsagung nachge- „dieselben werden gekreuzt kommen“ sei: „Selbst wo der sa- durch die Vorstellung des Bedeu- tirische oder neidische Geist der tenden und Geistreichen, des Braut Herders oder Miß Burneys Merkwürdigen und Pikanten, und sie verlocken konnte, oder wo so gerät selbst das Urtheil über der Unmuth der Herzogin-Mutter das menschlich-Schickliche in ein von Weimar und Goethes Mutter verhängnißvolles Schwanken.“44 durchbricht, weiß sie die Anwalt- Kein Wunder, wenn sich nach schaft ihrer Heldin trefflich zu dem Erscheinen der Humboldt- führen. Es ist der gleichmüthige, Briefe die Literaturkritik der im ausgleichende Geist Varnhagens, 48 Vorjahr erschienenen Biographie der ihr die Feder führt.“ nicht mehr unbefangen anneh- Ein halbes Jahr später ließ sich men konnte. „Warum Sie wün- der evangelische Pfarrer Karl von schen, daß man meine ,Sophie Helmolt49 eine Anspielung darauf La Roche‘ nicht mehr besprechen nicht nehmen, dass die „litera- solle, begreife ich nicht recht“, er- risch sehr thätige Dame, welche widerte Ludmilla Assing auf ent- auf dem Titelblatt sich als Ver- sprechende Vorhaltungen einer fasserin nennt, [...] einen Sturm Jugendfreundin in Hamburg, „in gegen sich heraufbeschworen“ deutschen, französischen, ja so- hatte: „In diesem Sturme spie- gar in russischen Blättern haben gelte sich so recht unsere Zeit: die anerkennendsten Kritiken da- ihr Losungswort ist Oeffentlich- rüber gestanden, und noch immer keit in allen Dingen, nur an den begegne ich solchen, ebenso wie Gegenständen ihrer Anbetung über die ,Gräfin Ahlefeldt‘.“45 Tat- will sie solches nicht wissen, wer sächlich brachte die elsässische an ihnen nachweist, daß alles Revue Germanique nicht nur eine Fleisch Heu ist, begeht eine Im- Ankündigung, sondern auch ei- pietät oder versündigt sich an nen längeren Aufsatz, Sophie de großen Todten oder Lebenden.“ la Roche. Esquisse d’histoire lit- Wie Humboldts Kritiker die Brief- téraire et morale aus der Feder texte nach bedenklichen Stellen von Auguste Nefftzer.46 Ande- durchblättert hatten, wollte der Polis 48 re Rezensenten wollten sich auf Rezensent nun Belege für sein „eine kürzere Anzeige und einige Verdammungsurteil über die Bemerkungen über dieses und Empfindsamkeit finden, wobei jenes darin enthaltene beschrän- Goethe, den er bei anderer Gele- ken“ und gaben nur ein ober- genheit als Kirchenfeind erbittert 47 50 48 flächliches inhaltliches Referat. bekämpft hatte , mehrmals als Nikolaus Gatter „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“

Kronzeuge herhalten soll. Offen- land urteilte ein katholischer Kol- bar sei „Nichts im Stande“ ge- lege über die „anmuthig geschrie- wesen, in dieser Generation „die bene Monographie“, für den der hereinbrechende Irreligiosität „einst so überschätzte Dichter des und die nahende Herrschaft des Oberon“ nur dient, „um diesem Unglaubens aufzuhalten“, wobei lebenstreu und plastisch indivi- „das Eintauschen Französischer dualisirten Bilde seiner Freundin Romane gegen die Bibel keinen tieferes Interesse und höheren Segen gebracht“ habe. Werth zu geben, wenn auch die Der Frevel Sophie von La Roches Anschauungs- und Darstellungs- besteht vor allem darin, dass sie, weise der Verfasserin nicht nach „ihre natürliche Stellung, sich allen Seiten gleichmäßig zu be- 51 an ihren Mann anzulehnen, ver- friedigen vermag“. lassend sich selbst zum Manne Schon in früheren Jahren hatte macht und servile Männer mit die Evangelische Kirchen-Zeitung Vorliebe zu ihren Füßen sieht“, die Teilnahme von Autorinnen und die Freundschaftsbekun- am Literaturbetrieb kategorisch dungen ihres literarischen Men- missbilligt, was dem Herausge- tors, der als Wüstling dargestellt ber ein Spottgedicht von Feodor wird, nicht abweist: „Eine keu- Wehl eintrug: sche treue Deutsche Frau mußte Über die schreibenden Frau’n hat Wieland als Mann verachten!“ Hengstenberg neulich gezetert, Der Biographin wird vorgewor- Klar es beweisend, wie sehr alle fen, „daß dieselbe für tiefere Bestimmung verfehlt. Seelenkunde kein Fassungsver- mögen und über das, was über Pfui, daß es Männer noch giebt, die rationalistische Aufklärung vom Weibe nichts anderes for- hinausliegt, gar keinen Geist dend: der Unterscheidung hat.“ Hatte Als daß es Kinder erzeugt, Strümp- Sophie von La Roche „ihren aus fe zu stricken versteht.52 dem Leben gegriffenen Roman, Als weitere Bände aus Varnha- die Geschichte des Fräuleins von gens Nachlass erschienen, nahm Sternheim, aus schöpferischem Helmolt dies zum Anlass einer Selbsttriebe“ ersonnen, so „fing grundsätzlichen (ebenfalls ano- sie, als ihr Mann gestürzt, und nymen) Polemik, die unter dem Ti- noch mehr als sie Witwe ward [...] tel Das Literatenthum im Weiber- an ums Brot zu schreiben, und die rock in der Kreuzzeitung erschien: Titel ihrer Novellen, Briefe, Rei- „Ebenso wie ein betrunkener Kerl sebeschreibungen, Beiträge zu widerwärtig ist, aber ein betrun- Zeitschriften füllen vier Octavsei- kenes Weib einen Mann von Ner- Polis 48 ten; ihr Werth für uns beschränkt ven wie Bindfaden mit Entsetzen sich darauf, daß sie jene Zeit wie- erfüllen kann, so beschimpft die derspiegeln.“ Nichte des Literaten Varnhagen Wohlwollender, aber nicht ohne v. Ense und selbst Schriftstellerin

ähnliche Seitenhiebe gegen Wie- den Literaten-Namen durch He- 49 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

rausgabe der Tagebücher ihres einem Verbot der Bände 7 und 8 Onkels. Denn dieses Literaten- vorzubeugen – es half nichts. Aus- thum liefert keinen Beitrag zur führlich hatte er sich auch schon Vergeistigung und zur Veredlung mit ihrer Sophie-La-Roche-Bio- der Menge, sondern wir sehen graphie beschäftigt: „Sie haben hier den Weibergeist, der zu allen das zierliche süße Apfelbäum- Zeiten dämonischer war, als der chen des vorigen Jahrhunderts der Männer, wie er die Sünden im mit seinem nötigen Erdreich und Grabe aufdeckt, vermeintlich, um mit allen seinen Wurzeln heil und einen Todten an seinen Feinden unversehrt herausgestochen und dabei sich selbst zu rächen; und in unsern Garten gesetzt“, in Wahrheit aber wird damit wi- urteilte Keller am 15. Mai 1859, derwärtige Eitelkeit, Neid, Miß- vermisste jedoch eine gründliche gunst und lauter Unedles und Behandlung der Werke: „da ein- Gemeines an das schwarze Brett mal die Literargeschichte schließ- geschlagen – der Schmach, die lich das Theater wird, auf dem sie einem Königsgeschlechte ange- spielt, dürfte vielleicht eine ein- than wird, nicht zu gedenken. Wie gehendere kritische Analyse ih- ist doch dieses Literatenthum von rer Schriften, wenn auch nur ein allem Christenthum so ganz und kürzeres Kapitel bildend, doch gar abgekommen! Für Frauen ist etwas ausführlicher als die dahin zunächst Luthers Erklärung zum einschlagenden Seiten nicht un- achten Gebote: ,Gutes von dem willkommen gewesen sein.“ Nächsten reden und Alles zum Spöttisch würdigt Keller „die tap- besten kehren‘ geschrieben [...]; fere Verteidigung, welche eine aber hier sind Frauenaugen vom Frau für eine ihrer Schwestern Haß geblendet und das Herz für gegenüber den wankelmütigen jede Regung edler Weiblichkeit und nichtswürdigen Dichtern abgestumpft, daß die Hände al- führt“, während allerdings nach lein das Regiment haben, die in seiner Meinung „die gleichen Gräbern wühlen.“53 ,verratenen Dichterfreundinnen‘ Die Herausgeberin ließ sich nicht niemals verlegen sind, urplötzlich beirren. Nachdem Brockhaus, ganz unerwartete Heiraten ,abzu- von Bismarck unter Druck gesetzt, schließen“.54 die Serie der Tagebücher (deren Offenbar ging sein Exemplar in Texte immer wieder durch die Ta- Zürich von Hand zu Hand und gespresse nachgedruckt wurden) gab Keller somit „Gelegenheit, mit dem sechsten Band einstell- den Frauen gegenüber meine te, suchte Assing Verbündete in feindlichen Grundsätze und Auf- Polis 48 der Schweiz und in Hamburg und fassungen, die Ihnen bekannt brachte sie 1870 mit dem vier- sind, in betreff der Dichterlieb- zehnten Band zu Ende. Der mit schaften, murrend vorzutragen. ihr befreundete Dichter Gottfried Das trägt mir dann immer den Keller bemühte sich, durch Strei- Ausspruch ein: ich bekäme jeden-

50 chungen in den Korrekturfahnen falls weder Frau noch Freundin Nikolaus Gatter „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“ und verdiente auch keine, womit können; sie war darauf angewie- ich mich dann bestens zufrieden sen, einen männlichen Begleiter erkläre“.55 Auf die Heiratspolitik oder Bedienten mitzunehmen. der Sophie von La Roche mit ihren In ihrem Aufsatz La posizione so- Töchtern kam er nach erneuter ciale della donna (1866) mahnte Lektüre des Buchs noch einmal sie die Italienerinnen, sich an zurück: „[...] weil sie selbst keinen den emanzipierteren deutschen ihrer Schätze bekommen hat und Frauen ein Beispiel zu nehmen. mit dem oktroyierten Mann doch Aus der Sammlung ihres Onkels gut gefahren ist, so wollte sie ließ sie weitere Briefbände, Bio- ihren Töchtern in guter Absicht graphische Porträts und Blätter das gleiche Los bereiten, beson- aus der Preußischen Geschichte ders da sie sah, daß Wieland mit (Varnhagens Aufzeichnungen einer gleichgültigen Frau eben- der Jahre 1819–1830) sowie falls herrlich zufrieden war. [...] Briefe und Tagebücher seiner Das war eben das Abscheuliche, Zeitgenossen wie Friedrich von wenn auch unbewußt, und sie Gentz und Hermann von Pück- dachte undankbar nicht, daß ihr ler-Muskau erscheinen. Zugleich Laroche noch ein vollkommener gelang es ihr als Journalistin, sich Gentleman war und sogar Wie- von Florenz aus einen neuen li- land gegenüber äußerlich eine terarischen Markt zu erschließen glänzende Erscheinung. Wenn und als deutsch-italienische Ver- sie einen rechten Heuochsen be- mittlerin zu wirken. Ihre zahllosen kommen hätte, so würde sie die Korrespondenzberichte ergeben Differenz zwischen Ungeliebten insgesamt eine kleine Geschichte und Ungeliebten schon gese- der italienischen Einheitsbewe- hen und erfahren haben. Doch gung: „Auch daß eine Frau die da ich nicht im Sinn habe, ein Verfasserin war, hat gewiß kein Heiratsbureau zu etablieren, so Leser vermuthet.“57 wollen wir diese komische Ma- Eine Amnestie im Herbst 1866, die terie endlich fahren lassen.“ Ab- Reichsgründung von 1871 und das schließend lobte Keller das Buch Drängen mancher Freunde wie erneut als „ansehnliche Bereiche- Karl Gutzkow, der einst auch ein rung unserer Literatur- und Kul- Exemplar der Sophie La Roche- turgeschichte“ und kommentiert Bio­graphie von der Autorin er- hinsichtlich der Humboldt-Briefe halten hatte, konnten sie nicht zur „mit Teilnahme die Kämpfe und Rückkehr bewegen. In Berlin mo- Anfechtungen [...], denen Sie seit- kierte sich die Kreuzzeitung über 56 her ausgesetzt waren“. ihren emanzipierten Lebenswan- In ihrem italienischen Exil hatte del und meldete, wenn sie Son- Polis 48 Ludmilla Assing neue Widerstän- nenbäder im Boboligarten nahm de zu überwinden, und sie klag- („Hoffentlich wird‘s dem Teint te in ihren eigenen Tagebüchern nicht mehr schaden!“).58 Großes beispielsweise darüber, als Frau Aufsehen erregte ihre nach kurzer

nicht allein ins Theater gehen zu Frist wieder geschiedene Ehe mit 51 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

Cino Grimelli, einem zwanzig Jah- es denn wohl, daß ich zuweilen re jüngeren Bersaglieri-Offizier. mit meiner Zeit nicht recht aus- „Es sollte mein Schicksal sein, al- komme.“61 Über den wilhelmi- lein zu bleiben“, schrieb sie Feo- nischen Obrigkeitsstaat machte dor Wehl, „wenn ich auch gewiß sie sich allerdings keine Illusi- zum Zusammenleben geeignet onen und warnte ihre liberalen gewesen wäre“; und in einem spä- Freunde vielmehr vor dem auf- teren Brief: Inzwischen seien „Itali- kommenden Hurrapatriotismus: ener meine nächsten Freunde und „Das preußische Volk konnte man ihre Sprache meine Umgangs- immer lieben, nicht bloß erst sprache, neuerdings sogar zum jetzt, aber die Regierung? Wel- Theil schon meine Schriftsprache cher Schwamm wäre wohl das, geworden“.59 Doch widmete Lud- der die Unthaten Bismarcks und milla Assing 1876 die Ausgewähl- des Königs auslöschte?“62 ten Schriften Varnhagens „dem Noch einmal wandte sie sich, weni- deutschen Vaterlande, dem ich ge Jahre vor ihrem Tod, der emp- auch in der Ferne unwandelbar findsamen Epoche der Sophie von angehöre“.60 La Roche zu. In Florenz traf sie mit- Dass eine Frau ihr Leben „mit Ver- unter ihren Landsmann, den Essa- gnügen immer am Schreibtisch yisten Karl Hillebrand, und dann oder lesend“ zu verbringen ge- war „beinah nur vom achtzehnten wohnt war und noch mit 53 Jah- Jahrhundert, von Rahel, von Varn- ren Latein lernte, um Cäsar und hagen, von Wieland und Sophie Ovid im Original zu studieren, La Roche“ die Rede.63 Allerdings widersprach zeitgenössischen hatte ein Wieland-Biograph na- gesellschaftlichen Konventionen. mens Ludwig Felix Ofterdinger Zu Lebzeiten Rahel Varnhagens, gegen ihr Buch, „welches ich hoch deren Briefe und Tagebücher achte, da es mit großem Fleiße Ludmilla Assing nun in den Druck und umsichtiger Gründlichkeit gab, war der Spielraum für weib- abgefaßt ist“, diverse Einwände in liches Bildungsstreben größer den Wieland betreffenden Passa- gewesen. Ihrer eigenen Gegen- gen erhoben. Assings Erwiderung wart fühlte sie sich zunehmend war eine Rezension von Ofterdin- entfremdet: „Die schöne Schläfe- gers Wielands Leben und Wirken rin im Walde schlief hundert Jah- in Schwaben und in der Schweiz, re. Ich glaube aber man könnte die in dem Satz gipfelte: „Die auch unversehens hundert Jahre Schriftsteller sollten stets nach sitzen bleiben, einsam und zu- Kräften sich zu ergänzen suchen frieden mit seiner Feder, in einer und, als eine litterarische Familie, Polis 48 Welt der Gedanken lebend, die sich zu gemeinsamem Wirken die 64 kein äußerer Einfluß zerstören Hand reichen.“ kann. Ich komme immer mehr Dies führte 1878 zu einem freund- dahin, in der Beschäftigung die schaftlichen Briefwechsel mit dem eigentliche Essenz des Lebens Mathematiker und Gymnasialpro-

52 zu finden, und darum geschieht fessor, der ihr Porträts der Sophie Nikolaus Gatter „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“ von La Roche und des Grafen nen Verlag für die Biographie Stadion, aber auch Stiefmütter- ihrer Eltern, die am Ende unge- chen aus seinem Garten in Ulm druckt blieb – wie die Bondeli-Bi- zusandte. Ofterdinger, der seine ographie ungeschrieben. Dann Wieland-Kenntnisse dem Biber- trat sie eine Reise in die Schweiz acher Elternhaus verdankte65, an und fuhr von dort in den letzten tauschte sich mit Ludmilla Assing Augusttagen nach Biberach, wo über Julie Bondeli aus und schlug Ofterdinger sie persönlich vom ihr vor, deren Lebensgeschichte Bahnhof abholte: „Wir begrüßten zu schreiben. Um ein Autograph uns als alte Freunde: sie war sehr dieser Wieland-Freundin, die nach begierig, sogleich alles zu sehen, Assings Meinung „unzweifelhaft was in Biberach an Sophie von viel genialer und originaler als die La Roche erinnert, [...] und so be- gute Sophie“ war, hatte sich schon sichtigten wir vor dem Mittages- Varnhagen erfolglos bemüht.66 In sen [...] das Haus des Predigers Zürich lebte noch ein Urenkel von von St. Maria Magdalena, in wel- Leonhard Usteri, der einst mit Ju- chem Wieland seine Kindheit zu- lie Bondeli korrespondiert hatte; brachte. Das Fenster an diesem durch eine Empfehlung Ofterdin- Hause interessierte sie beson- gers, an der offenbar auch Ber- ders, an welchem Sophie von Gu- thold Auerbach mitwirkte, ließ er termann mit thränenvollem Auge sich bewegen, Ludmilla Assing stand und hinausschaute nach die Originalhandschriften nach dem damaligen, noch baumlosen Florenz auszuleihen. Sie wurden großen Kirchhof, und die Musik Paul Usteri-Blumer 1881 aus ihrem anhörte, welche zuerst während Nachlass von der Königlichen Bi- des katholischen Gottesdienstes bliothek zurückerstattet.67 in der St. Martinskirche und nach- Noch aber war die Autorin mit her in einem Nebenzimmer von einem anderen Manuskript über ihrem Vetter C. M. Wieland ge- Rosa Maria Varnhagen und David spielt wurde, von welch wehmuts- Assing beschäftigt: „Mit dieser vollem Augenblick Sophie noch Arbeit hoffe ich, wenn mir nichts in späteren Zeiten sprach.“69 Störendes dazwischen kommt, im Ofterdingers Bericht zufolge Laufe dieses Winters fertig zu wer- besuchte die mittlerweile ange- den“, schrieb sie am 4. Dezember wachsene Reisegruppe am sel- 1878 an Ofterdinger, „und dann ben Nachmittag „das alte Hospi- kann ich mich mit Ruhe und Ei- talgebäude; besonders den Teil, fer Julie Bondeli zuwenden. Ich wo [...] Sophie bei ihrem Großva- werde mir erlauben, [...] Sie, der ter, dem Hospitalverwalter Guter- Sie sich doch zum litterarischen mann wohnte“, und wanderte auf Polis 48 Schutzpatron von Julie gemacht die Höhe des Lindenbergs „ganz haben, davon zu benachrichti- denselben Weg, welchen Wie- 68 gen.“ land und Sophie vor 128 Jahren Doch im Sommer 1879 suchte an einem heißen Augusttag aus-

Ludmilla Assing noch immer ei- führten. Nur wurde von uns nicht 53 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

wie damals – eine etwas steife Pre- Frühjahr an einer Hirnhautent- digt über den Text: ,Gott ist die zündung erkrankte, hieß es in der Liebe‘ besprochen, auch nicht ein deutschen Presse, sie sei „infolge Plan gefaßt zu einem Lehrgedicht übermäßiger literarischer Arbeit über die vollkommenste Welt; in Florenz irrsinnig geworden“.71 dagegen wurde von diesem und Die Schilderung ihres Züricher den früheren Wielandschen Dich- Treffens mit , tungen, vom Verspruch Wielands deren gehässiger Unterton aus mit Sophie und von der Freund- seiner sarkastischen und frau- schaft, welche diese beiden enfeindlichen Attitüde herrührt, durch ihr ganzes Leben verband, könnte auch auf Symptome ei- gesprochen“. Man nahm den Zug ner nervlichen Überreiztheit nach Warthausen, zur Park- und schließen lassen: „Sie hatte eine Schlossbesichtigung und an- goldene Brille auf der Nase, re- schließenden Weiterfahrt nach nommierte, daß sie Latein treibe, Ulm. Dort besichtigte Ludmilla warf die Gegenstände auf dem Assing anderntags mit Ofterdin- Tisch mit barschen Mannsbewe- ger das Münster und „dann mei- gungen herum, heulte dazwi- ne Bildersammlungen [...], beson- schen, rückte mir auf den Leib, ders diejenige, welche die Bilder immer von sich sprechend etc. Es enthielt, die auf Wieland und So- ist ein Glück, daß sie zu leben hat, phie La Roche Bezug haben. Zum sonst würde sie noch die unse- Schluß wurde meine Bibliothek ligste Person der Welt werden.“72 und meine Kollektaneen durch- Tatsächlich hatte Ludmilla Assing gegangen und von letzteren seit Jahresbeginn über Kopfweh die, welche auf Julie von Bonde- geklagt; die letzten Tage war sie li sich beziehen, der Frau Assing in der psychiatrischen Klinik von zum Geschenk gemacht. Nach Florenz (Manicomio di San Boni- eingenommenem Mittagessen facio) interniert und starb am 25. begleitete ich Frau L. Assing auf März 1880. den Bahnhof, von wo sie um 2 Uhr Ihr letztes, in Deutschland nie 70 nach Stuttgart fuhr«. gewürdigtes Verdienst ist die Aus der Exkursion sollte eine Schenkung, mit der sie Varnha- Abschiedsreise werden, auf der gens Archiv, das Rahels Erbe und die Autorin Bekannten aus dem viele weitere Lebenszeugnisse Varnhagenschen Kreis und Ju- schreibender Frauen überliefert, gendfreunden wie Feodor Wehl eine Bibliothek von mehreren und Christoph Schwab in Stutt­ tausend oft seltenen und hand- gart, Sophie Klüpfel in Tübingen, schriftlich annotierten Bänden, Polis 48 in Weinsberg Theobald Kerner, seine Büste von Elisabeth Ney, dem Enkel des ,Geistersehers‘, Rahels Reliefporträt von Friedrich in München dem Geologen Emil Tieck, Rosa Marias Silhouetten, Stöhr, dessen Sohn ihr Patenkind ihre eigenen Pastelle, zahlreiche war, und Moritz Carrière begeg- Zeitungsausschnitte, aber auch

54 nete. Als sie im darauffolgenden den Nachlass des Fürsten Pückler Nikolaus Gatter „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“ und ihre eigenen weitreichenden Frau; damit könnte das ganze Briefwechsel der Königlichen Bi- Land gründlich umgewandelt bliothek zu Berlin vermachte. Bei- werden. Waschen und Kämmen, de Bedingungen, alles unter dem Lesen und schreiben, die Frauen Namen ,Varnhagen von Ensesche aus dem unwürdigen Bigottis- Sammlung‘ zusammenzuhalten mus und der elenden Unterdrü- und „der allgemeinen Benutzung ckung herausgerissen.“75 möglichst [zu] überlassen“, wur- den weitgehend ignoriert.73 Heu- te werden die vor den Bombarde- Anmerkungen ments im Zweiten Weltkrieg nach Schlesien ausgelagerten und 1 Ludmilla Assing: Sophie von La Ro- damit geretteten Autographen che, die Freundin Wielands. Berlin in der Krakauer Jagiellonischen 1859, S. 349 f. Bibliothek aufbewahrt, während 2 Eduard Hiersemenzel in: National- Bücher, Zeitungsausschnitte und Zeitung (Morgen-Ausgabe) Jg. 11, Kunstwerke in Berlin verblieben Nr. 493 v. 23.10.1858. 3 Emil Palleske in: Allgemeine Zei- sind. tung (Beilage) Nr. 311 (Beilage) v. Ihr restliches Vermögen und ihr 7.11.1858, S. 5027. Dem Autor, der Haus in der Via Luigi Alaman- als Rezitator und Biograph Schillers ni Nr. 27 stiftete die Autorin zur bekannt wurde, hat Assing die La- Roche-Biographie „in Freundschaft Gründung einer Schule für die zugeeignet“. – Zu seiner Biogra- Kinder des Armenviertels, mit phie vgl. Maximilian Weller: Die obligatorischem Deutschunter- fünf großen Dramenvorleser. Zur richt und Erziehung „im Geist Stilkunde und Kulturgeschichte der wahren Demokratie“. Eine des deutschen Dichtungsvortrags von 1800–1880. Würzburg-Au- Scuola Ludmilla Assing ist noch mühle 1939 („Das Nationaltheater“. bis 1936 als Handelsschule in Schriftenreihe des theaterwissen- Florenz nachweisbar.74 Ob und schaftlichen Instituts der Fried- inwieweit Mädchen unterrichtet rich-Schiller-Universität Jena III), S. wurden – spätestens ab 1907 202–268. 4 Hermann Patsch: „Als ob Spinoza waren die Lehrgänge jedenfalls sich wollte taufen lassen“. Biogra- zweizügig – ist den Statistiken phisches und Rechtsgeschicht- nicht zu entnehmen. Doch ver- liches zu Taufe und Trauung Rahel band die Autorin mit ihrem Levins. In: Jahrbuch d. Freien Deut- Schulprojekt eine dezidiert poli- schen Hochstifts 1991, S. 149–178. tische Zielsetzung, die es jeden- 5 Ludmilla Assing: Manuskript der Biographie ihrer Eltern. Sammlung falls für Frauen anzuwenden galt. Varnhagen, Jagiellonische Biblio- „Wer für die Demokratie arbeiten thek Krakau, Kasten 19. will“, so fasste sie auf einer Reise 6 Assing (wie Anm. 1), S. 7. Polis 48 die Eindrücke einer Fabrikbe- 7 Ebd., S. 150. sichtigung im Süden zusammen, 8 Vgl. Goethe in vertraulichen Brie- fen seiner Zeitgenossen. Zusam- „muß nach drei Dingen streben mengestellt v. Wilhelm Bode. Bd. in Italien: Reinlichkeit, Schulun- 1: 1749–1793. München 1982, S. 19 terricht, und Emanzipation der ff. 55 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

9 Vgl. Karl Otto Conrady: Goethe. Le- 19 Vgl. Michael Jones: Dramatische ben und Werk. Erster Teil: Hälfte des Leseabende. In: Makkaroni und Lebens. Frankfurt a. M. 1981, S. 172 f. Geistesspeise. Almanach der Varn- 10 Assing (wie Anm. 1), S. 361. hagen Gesellschaft 2, Berlin 2002, 11 Zit. nach Nikolaus Gatter: Karoline S. 351–356. Henriette von Hessen-Darmstadt. 20 [Wilhelm] H[amm]: Hamburger In: Harenberg – Das Buch der 1000 Abende. In: Neue Freie Presse Nr. Frauen. Ideen, Ideale und Errun- 3500 v. 24.5.1874, S. 5. genschaften in Biografien, Bildern 21 Vgl. Britta Behmer: Anonymität und und Dokumenten. Mannheim u. a. Autorschaft. Die fremde Stimme 2004, S. 466 f. vgl. ders., Stichwort: Ottilie Assings. In: Makkaroni und Empfindsamkeit, ebd. Geistesspeise (wie Anm. 19), S. 12 Vgl. August Langen: Deutsche 369– 376. Sprachgeschichte vom Barock bis 22 Vgl. Nikolaus Gatter: „Also vorwärts zur Gegenwart. In: Deutsche Phi- wie eine ächte – Nichtpreußin [...]“. lologie im Aufriß. Hg. v. Wolfgang Ludmilla Assing: Demokratin im ita- Stammler. 2. Aufl., Bd. I, Berlin 1957, lienischen Exil. In: Italien in Preußen Sp. 1081 ff. – Preußen in Italien. Stendal 2006 13 Johann Wolfgang von Goethe: Die (Schriften der Winckelmann-Ge- Leiden des jungen Werthers. Leip- sellschaft XXV), S. 236–247. zig 1774, S. A 2 f. 23 Vgl. ders.: „Letztes Stück des Te- 14 Aus dem Nachlass Varnhagens von legraphen. Wir alle haben ihn be- Ense. Briefwechsel zwischen Varn- graben helfen...“ Ludmilla Assings hagen und Rahel. Hg. v. Ludmilla journalistische Anfänge im Revoluti- Assing. Bd. 1, Leipzig 1874, S. 17. onsjahr. In: Internationales Jahrbuch 15 Friederike Liman: Briefwechsel mit der Bettina-von-Arnim-Gesellschaft Rahel Levin Varnhagen und Karl 11/12, 1999/2000, S. 101–120. Gustav v. Brinckmann sowie Auf- 24 Vgl. Nikolaus Gatter: „Das Litera- zeichnungen von Rahel Levin Varn- tenthum im Weiberrock“. Ludmilla hagen und Karl August Varnhagen. Assing: Zeitzeugin, Schriftstellerin, Eine historisch-kritische Edition mit Dokumentaristin der Märzrevoluti- Nachwort. Hg. v. Brigitte Anna Bo- on. In: Frauen in der bürgerlichen sold. Diss. masch. Hamburg 1996, S. Revolution von 1848/49. Hg. v. Jo- 110. hanna Ludwig, Ilse Nagelschmidt, 16 Über das „Normenkontrollsystem“, Susanne Schötz. Leipzig 1999, S. das ihre dichterische Produktion 189; Martin Hundt: Ludmilla As- bestimmte, vgl. die noch immer sing und Karl Marx. In: Beiträge zur maßgebliche Studie von Gudrun Marx-Engels-Forschung N. F. 2005, Loster-Schneider: Sophie La Roche. S. 259–268. Paradoxien weiblichen Schreibens 25 Assing [wie Anm. 1], S. 299 f. im 18. Jahrhundert. Tübingen 1995 26 Ebd., S. 357. (Mannheimer Beiträge zur Sprach- 27 Ludmilla Assing: Gräfin Elisa von und Literaturwissenschaft 26), S. Ahlefeldt, die Gattin Adolphs von 137 ff. Lützow, die Freundin Karl Immer- 17 Assing (wie Anm. 1), S. 354 ff. manns. Eine Biographie. Berlin 1857. 18 Vgl. Nikolaus Gatter: Rosa Maria As- 28 [Tie]tz: Emancipirt! In: Neue Preu-

Polis 48 sing (1783–1840). „Was doch der As- ßische (Kreuz-) Zeitung (Beilage) sing und der August für vortreffliche Nr. 274 v. 22.11.1857; Nr. 277 v. Frauen haben!“ Heines Freundin 26.11.1857. Rosa Maria. In: Vom Salon zur Bar- 29 Assing [wie Anm. 1], S. 10. rikade. Frauen der Heinezeit. Hg. v. 30 Vgl. Karl August Varnhagen von Ense Irina Hundt. Stuttgart / Weimar 2002 / Heinrich Düntzer: „durch Neigung

56 (Heine-Studien), S. 91–110. und Eifer dem Goethe’schen Le- Nikolaus Gatter „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“

benskreis angehören“. Briefwechsel 40 Eintrag v. 28.2.1860. In: Kaiser 1842–1858. Hg. v. Berndt Tilp. Frank- Friedrich III.: Tagebücher von furt a. M. 2003 (Forschungen zum 1848–1866. Mit einer Einleitung Junghegelianismus. Quellenkunde, und Ergänzungen hg. v. Hans Otto Umkreisforschung, Theorie, Wir- Meisner, Leipzig 1929, S. 63. kungsgeschichte 7). Bd. 1, S. 118 f. 41 Abgebildet in Nikolaus Gatter: „Gift, 31 Zit. nach: Tagebücher von K. A. geradezu Gift für das unwissende Varnhagen von Ense. Hg. v. Ludmilla Publicum!“ Der diaristische Nachlaß Assing, Bd. 13 u. 14, Hamburg 1870 von Karl August Varnhagen von Ense (Aus dem Nachlaß Varnhagens von und die Polemik gegen Ludmilla As- Ense); Bd. 15: Register v. Heinrich sings Editionen. Bielefeld 1996. Hubert Houben. Berlin 1905; unge- 42 Karl August Varnhagen von Ense, druckte Einträge: Tagesblätter 8. 28.9.1837; zit. nach Gatter (wie Anm. 1856 –1857 und 9. 1858. Sammlung 34), S. 262. Varnhagen, Biblioteka Jagiellons- 43 Hermann von Pückler-Muskau an ka, Kraków, Kasten 256. Ludmilla Assing, 3.3.1860. In: Brief- 32 Ludmilla Assing an F. A. Brockhaus, wechsel Bd. 4. Hg. v. Ludmilla As- 16.11.1858. Sächsisches Staatsar- sing-Grimelli. Berlin 1874 (Aus dem chiv Leipzig, Verlag F. A. Brockhaus, Nachlaß des Fürsten von Pückler- Leipzig, Nr. 153. Muskau), S. 43. Vgl. Ludmilla Assing: 33 Vgl. Georg Ernst Reimer an Lud- Fürst Hermann von Pückler-Mus- milla Assing, 22.1.1859. Sammlung kau. Eine Biographie. Faksimilierter Varnhagen, Biblioteka Jagiellons- Neudruck mit Vorwort, Materialien ka, Kraków, Kasten 211. und Register von Nikolaus Gatter. 2 34 Ludmilla Assing: Über die mir von Bde., Hildesheim 2004. meinem Onkel Varnhagen von Ense 44 Zit. nach Gatter (wie Anm. 24), hinterlassenen Briefschaften; zit. S. 191 f. nach Nikolaus Gatter: „Sie ist vor al- 45 Ludmilla Assing an Rahel de Castro, len die meine...“ Die Sammlung Varn- 4.5.1861. Archiv der Varnhagen Ge- hagen bis zu ihrer Katalogisierung. sellschaft, Köln (Leihgabe aus Pri- In: Wenn die Geschichte um eine vatbesitz). Ecke geht. Almanach der Varnhagen 46 Vgl. Revue germanique Bd. 7 (1959), Gesellschaft 1, Berlin 2000, S. 267. H. 9, S. 694 ff.; Auguste Nefftzer: 35 Vgl. Briefe von Alexander von Hum- Sophie de la Roche, ebd. Bd. 10 boldt an Varnhagen von Ense aus (1860), H. 5, S. 450–476. den Jahren 1827 bis 1858. Nebst 47 Hermann Marggraff: Sophie von La Auszügen aus Varnhagens Tagebü- Roche und ihre Freunde, Blätter für chern, und Briefen von Varnhagen literarische Unterhaltung Nr. 33 v. und Andern an Humboldt. Hg. v. 16.8.1860, S. 604; vgl. auch Didas- Ludmilla Assing. 1.–5. Aufl., Leipzig kalia. Blätter für Geist, Gemüth und 1860. Publicität [gez. R. H.] Jg. 39, Nr. 269 36 Assing (wie Anm. 1), S. 359 f. f. v. 28. u. 29.9.1861. 37 Ludmilla Assing an F. A. Brockhaus, 48 Allgemeine Zeitung [gez. K.] Nr. 251 9.11.1859. Sächsisches Staatsarchiv f.. (Beil.) v. 8. u. 9.9.1859 (Beil.), S., S. Leipzig, Verlag F. A. Brockhaus, 4089 ff.; 4106 f. Leipzig, Nr. 153. 49 Evangelische Kirchen-Zeitung [gez.

38 Heinrich Brockhaus an Ludmilla K. v. H.] Bd. 68, Nr. 10 v. 2.2.1861, Polis 48 Assing, 14.1.1860. Sammlung Varn- Sp. 105 – 118. Vgl. Anneliese Kriege: hagen, Biblioteka Jagiellonska, Geschichte der evangelischen Kir- Kraków, Kasten 39. chen-Zeitung unter der Redaktion 39 Eintrag v. 4.3.1860. In: Aus den Ta- Ernst-Wilhelm Hengstenbergs (von gebüchern von Heinrich Brockhaus. 1. Juli 1827 bis zum 1. Juni 1869).

Bd. 3, Leipzig 1885, S. 392. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte 57 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

des 19. Jahrhunderts, Diss. masch. 65 Vgl. Biberacher Zeitung Nr. 27 v. Bonn 1958, Bd. 2, S. 146. 30.1.1933. Für biographische Aus- 50 Vgl. Goethe und die Kirche [gez. künfte zu Ofterdinger bin ich Frau K. v. H.]. In: Evangelische Kirchen- Viia Ottenbacher M. A. vom Wie- Zeitung Bd. 63, Nr. 92 f. v. 17. u. land-Museum in Biberach zu Dank 20.11.1858. verpflichtet. 51 Katholische Literatur-Zeitung Jg. 8, 66 Ludmilla Assing an Ludwig Felix Nr. 19 v. 13. 5. 1861, S. 150. Ofterdinger, 21.6.1878, Erinne- 52 Feodor Wehl: Berlin in Epigram- rungen (wie Anm. 61), S. 404; vgl. men. In: Telegraph für Deutschland Birgit Christensen: „Mon esprit est Jg. 11 (1848), Nr. 1, S. 27. un enfant gâté“ oder: Autonomie 53 Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung als wichtigstes Gut der Julie Bonde- (Beilage) [gez. K. v. H.] Nr. 286 v. li. In: Makkaroni und Geistesspeise 7.12.1861. (wie Anm. 19), S. 120; Berndt Tilp: 54 Gottfried Keller: Gesammelte Der Briefwechsel zwischen Karl Au- Briefe. Hg. v. Carl Helbling. Bd. 2, gust Varnhagen von Ense und Lud- Bern 1951, S. 85 f. Vgl. Emil Bebler: wig Eckardt 1847–58. In: Bettinen- Gottfried Keller und Ludmilla As- Jahrbuch 17 (2005), S. 42–45. sing, Zürich 1952, S. 98 f. 67 Vgl. Gatter (wie Anm. 41), S. 307; 55 Ders., 30.11.1859, ebd., S. 90 f. Hans Lülfing: Die Handschriftenab- 56 Ders., 22.4.1860, ebd, S. 95 f. teilung. Von der Gründung der Kur- 57 Ludmilla Assing an Unbekannt, fürstlichen Bibliothek bis zum Be- 12.5.1876. Deutsches Literaturarchiv, ginn des 19. Jahrhunderts. In: Deut- Marbach am Neckar, Sign. 55. 1051. sche Staatsbibliothek 1661–1961. 58 Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung Leipzig 1961, Bd. 1, S. 352. Nr. 169 v. 23.7.1862. 68 Ofterdinger (wie Anm. 61), S. 411. 59 Feodor Wehl: Zeit und Menschen. 69 Ebd., S. 417. 70 Ebd., S. 418 f. Möglicherweise wur- Tagebuch-Aufzeichnungen aus den den Ofterdingers Geschenke eben- Jahren von 1863–1884. Bd. 2, Altona so wie Abschriften von Bondeli- 1889, S. 86 u. 89. Briefen, die Ludwig Eckardt für Karl 60 Nachwort zu Karl August Varnhagen August Varnhagen angefertigt hatte, von Ense: Ausgewählte Schriften, versehentlich ebenfalls an Paul Uste- Leipzig 1876, Bd. 19, S. 360. ri-Blumer nach Zürich abgegeben. 61 Ludmilla Assing an Hermann von 71 Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung Pückler-Muskau, 4.9.1869. Samm- Nr. 72 v. 25.3.1880. lung Varnhagen, Biblioteka Jagiel- 72 Gottfried Keller an Marie Melos, lonska, Kraków, Kasten 19. 26.12.1879. In: Briefe (wie Anm. 54), 62 Dies. an Ferdinand Freiligrath, S. 395 und die boshafte Antwort 21.8.1866. Stiftung Weimarer Klas- v. 6.1.1880, S. 396. Vgl. Bebler (wie sik, Goethe- und Schiller-Archiv, Anm. 54), S. 166 f. Weimar, Freiligrath VIII, 62. 73 Vgl. Gatter (wie Anm. 42), S. 268. 63 Dies. an Karl Gutzkow, 22.9.1877. 74 Vgl. ders.: „Ameisenarbeit!“ Lud- Stadt- und Universitätsbibliothek milla Assings Lebensspuren in Flo- Frankfurt am Main, Handschriften- renz. In: Makkaroni und Geistes- abteilung, Nachlass Gutzkow, Sign, speise (wie Anm. 19), S. 300–308. Nr. 37, Bl. 69–79. 75 Eintrag v. 13.9.1865. In: Ludmilla Polis 48 64 Stuttgarter Neue Zeitung 1878, Nr. Assing: Tagesblätter. Sammlung 19 u. 21, zit. nach Ludwig Felix Ofter- Varnhagen, Biblioteka Jagiellons- dinger: Erinnerungen an Ludmilla ka, Kraków, Kasten 19. Assing. In: Archiv für das Studium der neuern Sprachen und Litteraturen Jg. 40, Bd. 76 (1886), S. 401–424. Das

58 Buch erschien Heilbronn 1877. Drei Briefe Sophie von la Roche

Drei Briefe an Elise zu Solms-Laubach

Die drei faksimilierten Briefe – Die Wiedergabe im Druck erfolgt zwei von Sophie von La Roche, diplomatisch, d. h. text- und zei- einer von ihrer Tochter Luise chengetreu mit allen Sprach- und (Lulu) von Möhn – sind an die ver- Schreibeigentümlichkeiten (z.B. witwete Gräfin Elisabeth (Elise) „Utpha“ statt richtig Utphe; Striche Charlotte Ferdinande zu Solms- vor Zeilen, die Zitate wiedergeben; Laubach, Prinzessin von Isenburg Weglassen des Wortes „ich“). Die gerichtet, die seit 1795 dem Hof- Briefzählung oben rechts und die gut Utphe bei Hungen vorstand Datierung des Briefs Nr. 3 sind von und auch mit Lavater, Wieland anderer Hand. Auszüge der Briefe und Goethes Mutter verkehrte. in modernisierter Orthographie Rund 350 an sie gerichtete La- sind nachzulesen bei Kurt Kampf: Roche-Briefe wurden 1965 vom Sophie Laroche. Ihre Briefe an die Haus der Stadtgeschichte / Ar- Gräfin Elise zu Solms-Laubach chiv und Museum der Stadt Of- 1787–1807. Hg. v. Offenbacher fenbach erworben, dem wir auch Geschichtsverein, Offenbach am für die Abdruckgenehmigung Main 1965 (Offenbacher Ge- danken. schichtsblätter 15). Polis 48

59 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

1. Sophie von La Roche an Elise zu Solms-Laubach, 29. Juli 1800

Dieser Brief wurde im Sommer Die Autorin schildert die Lasten 1800, unter dem Eindruck der Nie- der Okkupation durch die ,pol- derlage Österreichs im 2. Koaliti- nische Legion‘ (eine 1794 in Italien onskrieg gegen die Franzosen bei und Straßburg aus Exilpolen ge- Marengo geschrieben. Mit ihrer bildete napoleonische Truppe), Bemerkung über den Einzug des zitiert im Zusammenhang mit den Ersten Konsuls Bonaparte in die „âmes blanches“ (unschuldigen Wohnräume Ludwigs XIV. im Tuile- Seelen) ihre einstige Reisegefähr- rienschloss scheint Sophie von La tin, Frau von Steinberg, Ehefrau Roche den absehbaren Griff nach des kurhannöverischen Gesand- der Kaiserwürde vorauszuahnen. ten am Mainzer Hof, dessen Fami- Neben ihren Enkelinnen werden lienunglück im Postskriptum be- Lulu sowie Cordula, die Base des klagt wird, und berichtet von ihrer verstorbenen Ehemanns, erwähnt. Lektüre. Polis 48

60 Drei Briefe Sophie von la Roche Polis 48

61 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag Polis 48

62 Drei Briefe Sophie von la Roche Polis 48

63 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag Polis 48

64 Drei Briefe Sophie von la Roche

Offenbach d 29 Jully 1800 Edelste Fürstinn So lange daß Schiksal unßers guten Offenbach, noch in den Händen der Pohlnischen Legion stand – und von beyden seiten der Strasse alle garten wände durchge brochen waren, um sich wechselseitig zu unterstüzen – – so lange konnte, und wolte nicht schreiben – aber nun sind wir zu der Ehre deß französischen Haupt quatiers gekommen – unßere garten wände wieder hergestelt – daß land Isenburg hat 36/m schaden gelitten – und wir können wieder etwas ruhig schlafen oder wachend von bessern Zeiten traümen – denn Gütigste Fürstinn es wird immer mehr bekräftigt, daß Gutes hoffen – Traum ist – auch höre ich niemand mehr an – leße keine Zeitung und frage nur nach dem nächsten so man zu thun hat. – – Die Providenz weiß alles besser als ich – hatt die allmacht – u läßt es so gehen – ich will anbeten u schweigen so binn ich ruhiger geworden – u leße und arbeite, um so mehr: meine Enke- linen wurden zu ihrem Bruder geholt – und ich blieb gerne bey meiner Tochter und der alten 80 jahr alten Baaße eine erfahrung deß Lebens – habe ich mehr gemacht in den letzt verflossenen 3 Wochen und mich oft an Frau v Steinberg erinnert welche zu sagen pflegte – O Liebe! was ist es für eine drekige sache um Menschen – – excepté les Ames blanches – antwortete ich – aber so gewiß als Gott von dießer Gattung in Utpha – Assenheim – Laubach u andren erwälten stellen hat – so gewiß sind von der ersten Gattung in offenbach geweßen selbst untern Bürgern, die Haüser zum Polis 48 Plündern anzeigten – dem Himel sey Dank, es geschah nicht so viel als man fürchtete – nun aber ist Frankfort gespert – alles Fuhrwerk darf hienein –

aber nichts heraus u sie sollen 800/m livres 65 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

bezalen – auf Neu- =tralitet zälend wollen Sie nicht – u haben nun 2000 Mann executions trouppen biß am Samßtag der abgeschikte Courier die entscheidung von Buonaparte bringt. O wenn ich dießen Menschen denke, der die ruhe – den Seegen u die verehrung von ganz Europa in seinen Händen hat u nur Gerechtigkeit, und Güte ausüben dürfte, um der größte Sterbliche zu werden. ich hofte Er solle dießen Ehrgeiz haben, aber seit er Ludwig deß 16 Zimmer bezog – und darinn schlafen konnte – glaubte ich es nicht mehr – – und sage – als nichts da war – sprach der Ewige Es werde – und alles war – nun ist allgemeine Verwirrung – nur der Ewige kann sagen – Ordnung entstehe wieder und biß dorthin – dulte ich – und bedaure ich – alle Lehrbücher sind mir odios geworden, die Geschichte allein – mein St Pierre Bernhardin, sind mir Was neben der Mathematik – u schönen Romanen – ich leße jetzt Ciceros Briefe – habe Platos seine geschloßen. Die lei= denschaften wirkten blind wie jetzt, und die Weißheit wurde nur gehört wenn dieße ausgetobt hatten – – also gedult – Möge ich nur – ehe ich mein 70 lebensjahr erreiche Utpha und die verehrungswür =dige Fürstin daselbst gesehen u gehört haben keinen andern plan mache nicht mehr, keine wünsche keine Hoffnungen, nähre nicht mehr – aber dießen ersatz für vielfaches weh – ach wer will es mir nicht erlauben – Beste! gütigste Fürstinn und Frau! o wünschen Sie aus Großmuth die erfüllung dießer schönen Bitte – Ach nicht alle Bitten sind um moralisch schönes und Gute – wie dieße – Ist gnädigste Frau! die gesundheit Ihrer Person wie die von Ihrer Seele? nur eine Zeile bittet

Polis 48 Ihre ganz eigene LaRoche /Der Engel Wilhelmine leidet noch sagt mir frau von Heiden – u H v. Steinberg verlohr seine 18 Jahre alte blühende Tochter – voll Grazie u Geist – u be- hält von 4 Kinder den Sohn der durch Epilepsie blödsinnig ist

66 O Schicksal! warum? Drei Briefe Sophie von la Roche

2. Sophie von La Roche an Elise zu Solms-Laubach, 6. August 1806

Jener Brief antwortet auf ein herausgegebene letzte Werk der (verschollenes) Schreiben vom Autorin (Halle 1806). Ihrer Ant- 3.8.1806, in dem die Gräfin von wort zufolge war sein Tadel „der einem Spaziergang in den Wald- Vernachläßigung der Schreib ge- gebieten von Laubach erzählt setze, wirklich so voll stachlen [...] hatte. Die politische Situation die mir selbst alles zerstörten was ist von der Unterzeichnung der in so viel weh mich stürzte“ (an Rheinbundakte geprägt, mit der Christoph Martin Wieland, 23. 7. Napoleon die deutschen Mittel- 1806, in: Wielands Briefwechsel. staaten vereinigte. Zahlreiche Hg. v. Siegfried Scheibe. Bd. 17.1, kleine Territorien, auch die Graf- Berlin: Akademie-Verlag 2001, schaft Solms-Laubach, verloren Nr. 8, S. 99 f.). Für Urteile wie „lieu ihre Reichsunmittelbarkeit; das Hl. commun“ (Gemeinplatz) wollte sie Römische Reich hörte auf zu exi- sich humorvoll mit Zitaten aus Brie- stieren (am Tag der Niederschrift fen der Schweizerin Julie Bondeli des Briefes legte Franz II. die und einer gemalten Mimose re- Kaiserkrone nieder). Ihre Skep- vanchieren. John Osborn war ein sis angesichts dieser Umbrüche englischer Reisender, der sich im kleidet La Roche in die Metapher Herbst 1803 mit Madame de Staël des damals vieldiskutierten Vul- in Frankfurt und später in Weimar kanismus und erwähnt in diesem aufhielt. Erwähnt wird auch der im Zusammenhang den Geologen vorangegangenen Brief (31.7.1806) Jean André de Luc und ihren ausführlich geschilderte Freitod Freund Karl Victor von Bonstetten. der unglücklich verliebten Karoli- Wie damals durchaus üblich, ne von Günderode, die von dem wurden der Gräfin einige Briefe Heidelberger Philosophieprofes- Wielands zur Lektüre beigelegt, sor Georg Friedrich Creutzer zu- von denen einer (vom 28.5.1806) rückgewiesen worden war. Sophie Sophie von La Roche empfindlich von La Roches Enkelin Bettine von verletzt haben muss, aber nicht Arnim hat ihrem Schicksal später erhalten ist. Er betraf Melusinens ein eigenes Buch (Die Günderode) Sommerabende, das von Wieland gewidmet. Polis 48

67 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag Polis 48

68 Drei Briefe Sophie von la Roche Polis 48

69 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag Polis 48

70 Drei Briefe Sophie von la Roche Polis 48

71 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

d 6 august 1806 Es ist nicht möglich, daß ich die Geist und güte vollen Blätter, von dem 3 dieß, bey andre Briefe lege – Gnädigste, beste Frau! meine Seele folgte Ihrem Spaziergang in dem Wald, Ihren edlen, wahren Gefühlen bey dießer rückerinnerung, indem Ihre Blike auf den von Vorfahren beschüzten Waldungen geheftet waren – wie verehre, und Seegne ich die heilige Wehmut, welche die wirkung, der reinsten Gefühle für das wahre, und Gute in der natur ist – die Weiße Kenntnis volle fürstin Elise, mißdeutet mich nicht, wenn ich dazu seze – daß Ihre Seele für dieße Wehmuth geschafen, und innig wohlthätigen gefühls ganz würdig ist – ja das mich freut, den Werth dießer Wehmuth von Ihnen, so geschäzt zu sehen – Mich dünkt, es ist auch immer, eine dunkle idèe damit verbunden = daß die Natur = in den unbeseelten Geschöpfen, immer die = Geseze des gütigen urhebers so getreu be- = folgt, wo sie nur irgend raum, und Zeit = findet – treibt sie nüzliche Pflanzen aller = Art und Schüzende, prächtige Eichen hervor und moralische Welt, mit unsterblichen Kräf ten scheint sich in verheerung zu gefallen. Bonstetten schrieb mir einmal aus Neapel | Es ist fürchterlich einen Volcan zum Nachbar | zu haben – – H. de Luc welcher der Königinn von Engelland – hat auf einer Reiße längs dem Rhein, biß über Hessen Cassel – 35 ausgelöschte Volcans ge= zählt, welche lang vor den Zeiten des Tacitus erloschen waren – – Haben nicht unßere Zeiten eben so viel moralische verwüstende Feuer Schlünde erzeugt? werden unßere Enkel sie erlöschen sehen. Polis 48 Vergebung gnädigste Frau! ich gieng aus der Bahn eines Briefs, und weit von dem was anfangs sagen wollte, und nun mit einer art gewalt- samer wendung zu fünf briefen von

72 Wieland gehe, welche beylege, weil sie Drei Briefe Sophie von la Roche

Maastäbe meines Glüks in verbindung Mit ihm zeigen – – mich dünkt es eine kleine Zerstreuung, deß über Deutschland ausgebrochnem innrem Weh zu seyn. Von Nro 3 hatt jede seitte, mich geschmerzt nicht wegen dem Tadel, der gerecht war, aber das rafine -ment, mir in allem geliebten weh zu thun, Mimosa den, mir, und ihm geweßnen Wohlthäter von Groschlag – und der außdruck lieu commun von einer aus dem ganzen Zusammenhang gerißnen moralischen Betrachtung, NB an ein junges Frauenzimmer von 19 Jahren – ich darf bitten daß alles, nur von der Edelsten Frau geleßen werde – Eine kleine rache bekenne – ich habe aus züge aus Briefen, von Julie Bondely, an ihn geschikt – und laße in Paris, eine Mimosa Pflanze malen – welche er auch bekommt – O warum hat nicht Osborn, der gute Beobachter – Herder – Göthe – Wieland, und Schiller caracterisirt, als sie alle noch zusammen lebten u webten Der Elende Zerstörer, von armer Günderode Grundsäze ist wie gesagt Prof Kreuzer in Heidelberg – welchem sie schrieb: den Tag wo Sie sich von ihrer Frau scheiden – lassen, schreiben Sie mein Todes urteil, denn – ich will dießes nicht über leben – und sie hielt unseeliger weiße wort, denn nachmitag be- =kam sie die nachricht – daß seine Frau, in scheidung | willige und als Haushälterinn, bey ihnen beyden | bleiben wolle – – – – tödtete, die arme sich | abends halb zehn uhr, als sie noch einen, ein | samen spazier gang zu machen vorgab: alles ist begierig, was der unseelige Mensch thun und sagen mag – aber die neue HE Philosophen, sind bald über so was hinaus. Gott erfülle jeden Seegen welchen die jungen Herrn Grafen von Röddelheim, aus Utpha und Laubach mit sich nehmen werden Edle würdigste Fürstinn – Man sagt Meerholz wolle das Land verlassen – Polis 48 Isenburg, und Darmstadt – die Schönbornische Herrschaft Heusenstamm theilen: Oder Strich! mit bley stift durch eine deutsche Landcarte – ich bitte um ein Blatt der Lieblings Linde!

für unterthanige La Roche 73 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

3. Luise von Möhn an Elise zu Solms-Laubach, Februar 1807

In diesem Brief schilderte Lulu ihrer Mutter am 18. Februar 1807 (Luise von Möhn, geb. von La Ro- für deren langjährige Brieffreun- che) als Augenzeugin den Tod din. Polis 48

74 Drei Briefe Sophie von la Roche

Gnädigste Frau, Frau! Nichts ist härter für mich als ihre Durchlaucht mit dem grossen Verlust bekant zu machen den ich am 18ten dieses Monats Abends gegen 7 Uhr durch den Tod meiner besten Mutter erlitt. Doppelt Empfindlich ist mir es ihnen Gnädigste Frau! zu schreiben, daß eine Frau die das grosse glück genoß Von Eüer einen so ausgezeichneten Vorzug zu erhalten, dieses auch so tief so innig Empfand nicht mehr ist. Ach! ihr Herz sprach noch auf ihrem Kranken Bett die Worte: Die Edle! Die Vortreffliche! Die gütige! – – Sie war auf ihrem Kranken Bett so wie sie lebte ruhig, sanft, geduldig, ergäben. schmerzen hatte sie in den letzten 8 tage gar keine, gänzliche entkräftung war ihr Tod. Verzeien ihre Durchlaucht das ich in diese Détail eingieng, aber sie liebten ja diese gute Mutter die nun mir entrissen ist. Erlauben Sie daß ich mich mit schuldigstem Respect nenne Euer Durchlaucht Polis 48 gehorsamste Dienerin Von Möhn g. Von La Roche

Kommentierung der Briefe von Nikolaus Gatter 75 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

Bedeutende Stationen im Leben der Sophie von La Roche (1730–1807)

1730 Am 6. Dezember wird übersiedelt die Familie Sophie Gutermann in La Roche nach Stadions Kaufbeuren als erstes Alterssitz Schloss Wart- von elf Kindern einer hausen bei Biberach. Arztfamilie geboren. Sie 1761 Sophie von La Roche wächst in Augsburg auf. wird Gesellschafterin 1749 Aus konfessionellen des pensionierten Gra- Gründen erzwungene fen Stadion. Lösung ihres Verlöb- 1768 Tod des Grafen Stadion. nisses mit Gian Ludovi- co Bianconi, dem Leib- 1769 Übersiedlung der La arzt des Fürstbischofs Roches auf Stadions von Augsburg. Wegen Schloss Bönnigheim bei der Spannungen mit Heilbronn. der zweiten Frau ihres 1769 La Roche tritt als Confe- Vaters kommt sie in das renz-Rat in den Dienst Haus des entfernt ver- des kurfürstlichen Erz- wandten Stadtpfarrers bischofs von Trier, wo er Wieland nach Biberach. in das regierende Drei- 1752 Heimliches Verlöbnis männerkollegium auf- mit dessen Sohn Chri- steigt. stoph Martin Wieland. 1770 Übersiedlung der Fami- 1753 Lösung des Verlöb- lie nach Koblenz-Ehren- nisses; 27. Dezember breitstein (Tal). Im Salon Verheiratung mit dem der La Roche verkehren kurmainzischen Hofrat u.a. Heinse, Lavater und Georg Michael Frank, der junge Goethe. genannt La Roche. 1771 Die „Geschichte des 1754 Umzug nach Mainz. Fräuleins von Stern- 1756 Geburt des ersten Kin- heim“ von Sophie von des. Von ihren acht Kin- La Roche erscheint und dern sollten nur zwei wird, herausgegeben Töchter (Maximiliane von Wieland, ein Sensa-

Polis 48 und Luise) und drei Söh- tionserfolg. Die zweite ne (Fritz, Carl und Franz Auflage erscheint unter Wilhelm) die frühe Kind- ihrem Namen und macht heit überleben. die Autorin berühmt. 1761 Im Gefolge des Grafen 1774 Maximiliane von La Ro-

76 Friedrich von Stadion che wird mit dem Frank- Bedeutende Stationen im Leben Sophie von la Roche

furter Großkaufmann 1788 Ihr 68-jähriger Ehemann Peter Anton Brentano erliegt einem Schlagan- verheiratet. Aus dieser fall. Ehe gehen u.a. Clemens 1789 Trennung der Tochter und Catarina Elisabeth, Luise von ihrem Ehe- genannt Bettina, spä- mann, Rückkehr ins El- tere Bettina von Arnim, ternhaus. hervor. 1792 Tod ihres Sohnes Franz 1776 Der von der Familie ge- mit 24 Jahren. führte Adelstitel wird bestätigt. 1793 Maximiliane Brentano stirbt mit 37 Jahren bei 1780 La Roche, inzwischen der Geburt ihres 13. Kin- kurtrierischer Kanz- des. ler, wird wegen seiner freigeistigen Haltung 1794 Da Trier französisch gestürzt. Umzug nach wird, verliert Sophie ihre Speyer. Kleiner litera- Rente. Sie übernimmt rischer Salon; zu den die Pflegschaft für drei Gästen zählen der jun- Enkelinnen, darunter ge Schiller und Matthias Bettina Brentano, und Claudius. weitere Kinder. 1783 Sophie von La Roche 1799 Sophie von La Roche gibt mit „Pomona für reist nach Weimar und Teutschlands Töchter“ besucht Goethe und die erste Zeitschrift für Schiller; Aufenthalt in Frauen heraus. Oßmannstedt auf dem Gut des Christoph 1784 Sophie von La Roche Martin Wieland mit der besteigt als erste deut- Enkelin Sophie Brenta- sche Frau einen Alpen- no. gipfel: den Mer de Clac 1800 Bei einem neuerlichen im Montblancgebiet. Besuch bei Wieland er- 1786 Kauf der sog. „Grillen- liegt Sophie Brentano Hütte“ in der Domstra- mit 24 Jahren einem ße mit einem Kredit von Nervenleiden und wird Peter Anton Brentano im Park von Oßmann­ und Übersiedelung der stedt bestattet. Familie nach Offenbach 1807 Am 18. Februar stirbt am Main. Sophie von La Roche im Polis 48 1787/88 Sophie von La Roche Alter von 78 Jahren in publiziert ihre Reisebe- Offenbach und wird an richte aus England, Fran- der Seite ihres Gatten kreich, den Niederlan- und ihres Sohnes Franz

den und der Schweiz. in Bürgel, heute Stadt- 77 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

teil von Offenbach am Main, beigesetzt. 1928 Der Bürgeler Friedhof um die katholische Kir- che wird aufgelassen. Der originale Grab- stein wird im Arkaden- gang des Offenbacher Schlosses, an der Bür- geler Kirche eine Kopie aufgestellt. Polis 48

78 Chronologie der Veranstaltungen Sophie von la Roche

Chronologie der bisherigen Veranstaltungsprojekte (Aus- stellungen mit Begleitprogramm), die aus der mittlerweile 12-jährigen Kooperation von Volkshochschule Offenbach, Frauenbüro Offenbach, Hessischer Landeszentrale für po- litische Bildung und Initiative FrauenEnergie in Offenbach präsentiert wurden

1995 Auf den Spuren der Göt- 2001 Macht und Ohnmacht tin – Bilder einer Reise in in der Darstellung des die Vergangenheit Weiblichen 1996 Frauenrechte sind Men- 2002/03 Philosophinnen - Lieb- schenrechte – im Alltag haberinnen der Weis- und zu jeder Zeit heit 1997 Stadt der Frauen – Stadt 2004 Starke Europäerinnen - im Wandel was bringt Europa den 1998 Die Frauen & 1848 – Frauen? Emanzipationsbestre- 2005 frauen und naturwissen- bungen im Vormärz und schaften Revolution 2006 ohne Glanz und Gla- 1999 Wer stimmt, bestimmt? mour – Prostitution und Elisabeth Selbert und Frauenhandel im Zeital- die Frauenpolitik der ter der Globalisierung Nachkriegszeit 2007 frauen & literatur – 2000 POLITEIA –Szenarien Schreiberinnen, Lese- aus der Deutschen Ge- rinnen, Verbreiterinnen schichte nach 1945 aus Frauensicht Polis 48

79 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag

Die Autorinnen und Autoren Dr. Nikolaus Gatter, freiberuflicher Mitglied des Zentrums für Ge- Publizist in Köln, studierte Germa- nder Studies und feministi­sche nistik und Geschichte, promovierte Zukunftsforschung an der Phi- 1996 mit einer Arbeit über den lipps-Universität Marburg. For- ­dia­ristischen Nachlass von Karl Au- schungsschwerpunkte: Psycho- gust Varnhagen von Ense, arbeite- analytische Kulturtheorie, Ge- te als Regieassistent und Producer schlechterverhältnisse, Mentali- beim Westdeutschen Rundfunk in tätsgeschichte und Medienfor- Köln und als Lektor eines großen schung. Zahlreiche Veröffent- Publikumsverlages. Von 1988 bis lichungen zu der Inszenierung 1997 war er wissenschaftlicher Mit­- sozialer Konflikte in Literatur und arbeiter und Lehrbeauftragter Film, u.a. „Die Illusion vom großen am Germanistischen Seminar Paar. Bd 1: Weibliche Lebensent- der Universität Bonn, seit ihrer würfe im Deutschen Bildungsbür- Gründung 1997 Vorsitzender der gertum von 1750–1770, Bd 2: Das Varnhagen Gesellschaft. Zuletzt Tagebuch der Cornelia Goethe“ erschien von ihm die Übersetzung (Frankfurt 1992), „Doku-Soap, der Hatschep­sut-Biographie von Reality-TV, Affekt-Talkshow, Fan- Christiane Desroches Noblecourt tasy-Rollenspiele. Neue Soziali- (Bergisch Gladbach 2007). sationsagenturen im Jugendalter. Hrsg. zusammen mit Mechtild M. Jansen (Marburg 2006). Mechtild M. Jansen, Erziehungs- wissenschaftlerin, Referatsleiterin für Frauen, Gender Mainstrea- Dr. Pia Schmid, Professorin für Hi- ming, geschlechtsbezogene Ju- storische Erziehungswissenschaft gendarbeit und Migration bei der an der Martin-Luther-Universität Hessischen Landeszentrale für Halle-Wittenberg. Forschungs- politische Bildung. Lehraufträge schwerpunkte: Geschichte von an verschiedenen Universitäten Erziehung und Bildung, beson- und Fachhochschulen. Zahlreiche ders des 18. Jahrhunderts; hi- Veröffentlichungen und Heraus- storische Geschlechtertheorien gaben zu den oben genannten Be- und Bilder von Männlichkeit und reichen, unter anderem „Gender Weiblichkeit; historische Kind- Mainstreaming. Herausforderung heitsforschung; die Herrnhuter für den Dialog der Geschlechter“ Brüdergemeinde als pädago- (Hrsg.: Mechtild M. Jansen u.a., gische Landschaft. Publikationen München 2003). Zuletzt erschien waren u.a.: Zeit des Lesens. Zeit des Fühlens. Anfänge des deut-

Polis 48 die Publikation „Religion und Mi- gration“ (Hrsg.: H. Nagel, Mechtild schen Bildungsbürgertums. Ber- M. Jansen, Frankfurt 2007). lin 1985 und Kinderkultur als For- schungskonstrukt. Ein Ereignis aus dem Jahr 1727. In: Zeitschrift Dr. Ulrike Prokop, Professorin für für Pädagogik. 52. Jg. 2006, Heft

80 Erziehungswissenschaften und 1, S. 127–148. Herausgeberin: Mechtild M. Jansen, Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Wiesbaden.

POLIS ist eine Publikationsreihe der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung (HLZ). Redaktion: Mechtild M. Jansen, Verana Stange Gestaltung/Satz: G·S Grafik & Satz, Wiesbaden Druck: Dinges & Frick, Wiesbaden Auflage: 2000 © Wiesbaden 2007

ISBN 978-3-927127-77-7

Schriftliche Bestellungen an die HLZ: Taunusstraße 4–6, 65183 Wiesbaden, Telefon (0611) 32-4051, Fax (0611) 32–4055, E-Mail: [email protected] Von der Reihe POLIS sind erhältlich:

Nr. 27 Mechtild M. Jansen (Hrsg.) Hessen engagiert. Freiwilliges soziales Engagement in Hessen

Nr. 31 Wolfgang Benz Gedenkstätten und Erinnerungsarbeit. Ein wichtiger Teil unserer politischen Kultur

Nr. 36 Angelika Ehrhardt, Mechtild M. Jansen Gender Mainstreaming. Grundlagen – Prinzipien – Instrumente

Nr. 39 Bernd Heidenreich, Sönke Neitzel (Hrsg.) Der Bombenkrieg und seine Opfer

Nr. 41 Mechtild M. Jansen, Mechthild Veil (Hrsg.) Familienpolitiken und Alltagspraxis

Nr. 42 Bernd Heidenreich, Sönke Neitzel (Hrsg.) Der militärische Widerstand gegen Hitler – der Beitrag Hessens zum 20. Juli 1944

Nr. 43 Walter Mühlhausen Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 Lehren aus der Vergangenheit für die Gestaltung der Zukunft

Nr. 44 Mechtild M. Jansen, Angelika Röming (Hrsg.) K(l)eine Helden? Förderung von Jungen in Schule und außerschulischer Pädagogik

Nr. 45 Evelyn Brockhoff, Bernd Heidenreich, Sönke Neitzel (Hrsg.) 1945: Kriegsende und Neuanfang

Nr. 46 Renate Knigge-Tesche (Hrsg.) Politischer Widerstand gegen die NS-Diktatur in Hessen. Eine Auswahl

Nr. 47 Mechtild M. Jansen u.a. (Hrsg.) Denken ohne Geländer – Hannah Arendt zum 100. Geburtstag

Vergriffene Ausgaben (Nr. 1–15, 17–20, 22–26, 28–30, 32–35, 37, 38, 40) können Sie über das Internet (www.hlz.hessen.de) herunterladen.