Hessische Landeszentrale für politische Bildung POLIS 48 Analysen – Meinungen – Debatten Mechtild M. Jansen (Hrsg.) frauen & literatur Zum 200. Todestag der Sophie von La Roche (1807) POLIS soll ein Forum für Analysen, Mei­ nungen und Debatten aus der Ar beit der Hessischen Landes zentrale für politische Bildung (HLZ) sein. POLIS möchte zum demokratischen Diskurs in Hessen bei­ tragen, d.h. Anregun gen dazu geben, wie heute möglichst umfassend Demo­ kratie bei uns ver wirklicht werden kann. Der Name PO LIS erinnert an die große geschichtli che Tradition dieses Problems, das sich unter veränderten gesellschaft­ li chen Bedingungen immer wieder neu stellt. Politische Bildung hat den Auftrag, mit ihren bescheidenen Mitteln dazu einen Beitrag zu leisten, indem sie das demo­ kratische Bewusstsein der Bür gerinnen und Bürger gegen drohende Gefahren stärkt und für neue Heraus forderungen sensibilisiert. POLIS soll kein behäbiges Publikationsorgan für ausgereifte aka­ demische Arbeiten sein, sondern ohne große Zeitverzö gerung Materialien für aktuelle Dis kussionen oder Hilfestel­ lungen bei konkreten gesellschaftlichen Proble men bieten. Das schließt auch mit ein, dass Auto rin­ nen und Autoren zu Wort kommen, die nicht unbedingt die Meinung der HLZ wi derspiegeln. Sophie von La Roche (1730–1807) Bildnis der Sophie von La Roche, um 1776, Öl / Lwd. 51,7 x 44,0 cm, Georg Oswald May aus Offenbach zugeschrieben Mit freundlicher Genehmigung des Gleimhauses – Literaturmuseum und Forschungsstätte, Halberstadt Sophie von La Roche Zum 200. Todestag Inhalt Mechtild M. Jansen: Vorwort 3 Ulrike Prokop: Sophie von La Roche – Leben und Werk Was machte Sophie Gutermann – später Sophie von La Roche – zu einer berühmten Autorin? 5 Pia Schmid: Das Frauenzimmer und das Buch – Weibliche Lesekulturen um 1800 18 Nikolaus Gatter: „... ihr Losungswort ist Oeffentlichkeit in allen Dingen“ Ludmilla Assing, erste Biografin der Sophie von La Roche 33 Drei Briefe an Elise zu Solms-Laubach 59 Zwei Briefe von Sophie von La Roche: – Zur Besetzung von Offenbach (1800) 60 – Zum Tode der Karoline von Günderode (1806) 67 Ein Brief von der Tochter Luise von Möhn, geb. von La Roche zum Tode der Mutter (1807) 74 Bedeutende Stationen im Leben der Sophie von La Roche (1730–1807) 76 Chronologie der bisherigen Veranstaltungsprojekte 79 Die Autorinnen und Autoren 80 Polis 48 2 Vorwort Mechtild M. Jansen Vorwort Vor zweihundert Jahren, am 18. Noch im Alter bereiste sie selbst- Februar 1807, starb 76-jährig So- ständig die Schweiz, Frankreich, phie von La Roche in Offenbach Holland und England und be- am Main. Als erste deutsche Ro- richtete in ausführlichen Reise- manschriftstellerin („Geschichte beschreibungen ihre Erlebnisse des Fräuleins von Sternheim“, und Beobachtungen einem brei- 1771) und Herausgeberin der ten Lesepublikum. Zu einer Zeit, ersten Frauenzeitschrift steht da schreibende Frauen meist ein die Großmutter Bettina von Ar- männliches Pseudonym wählten, nims und Clemens Brentanos am um überhaupt eine Leserschaft zu Anfang weiblicher Bildungsge- erreichen, muss es als ein beson- schichte. Ihre Reiseberichte wur- deres Kunststück der La Roche den zum Tagesgespräch in den angesehen werden, dass sie offen Salons, ihr Werk zum Ansporn als Autorin auftrat und dennoch für eine ganze Generation schrei- nicht ins soziale Abseits geriet. bender Frauen in der Ära der Ro- Sie blieb zwar in den Grenzen der mantik und des Vormärz. Konvention, schmuggelte aber un- Das war Grund genug, das Ge- auffällig „Verbotenes“ ein: Bilder denkjahr dieser bedeutenden weiblicher Selbstständigkeit und Offenbacherin zum Anlass für Kritik am „starken Geschlecht“. Ausstellungen mit begleitender Die Geschichte des Fräuleins von Veranstaltungsreihe zu nehmen, Sternheim (1771) ist der erste Er- die Einblicke gaben in die vielfäl- folgsroman einer deutschen Au- tigen Facetten der Beziehungen torin und machte die La Roche zu von Frauen und Literatur der da- Recht berühmt. maligen Zeit, die aber auch für Die weibliche Lesekultur, die die heutige Zeit von Bedeutung um 1800 Gegenstand heftiger sind. Debatten war, bildet den Inhalt Grundlage dieser Publikation des zweiten Beitrages. Gelesen, sind die viel beachteten Vorträge zumal belletristische Literatur, der Veranstaltungsreihe. wird bis heute mehr von Frauen Der erste Beitrag beschäftigt sich als von Männern. Das hat eine mit dem Leben und dem Schaffen lange Tradition. Als Sophie von der Sophie von La Roche (1730– La Roche ihre Romane und Zeit- 1807). La Roche war eine „Lebens- schriftenbeiträge schrieb, wurde Künstlerin“. Sie behauptete sich sogar eine regelrechte Lesesucht erfolgreich in sehr verschiedenen bzw. Lesewut beim weiblichen Polis 48 sozialen Welten: als Gesellschaf- Publikum ausgemacht und heftig terin des Grafen Stadion am kur- kritisiert. Was sollten (bürgerli- fürstlichen Mainzer Hof sowie als che) Frauen lesen und was lasen Schriftstellerin und Begründerin sie? Was gaben ihnen Bücher und der Frauenzeitschrift Pomona. wozu nutzten sie ihre Lektüre? 3 Sophie von La Roche Zum 200. Todestag In einem weiteren Schritt wird ginäres Photoporträt von Sophie Ludmilla Assing (1821–1880), die von La Roche an, welches in der erste Biographin von Sophie von Ausstellung zu sehen war und La Roche, vorgestellt. Ihre Bücher von der Stadt Offenbach ange- lösten Stürme der Entrüstung aus: kauft wurde. „An vielen Stellen muss man sich Das Veranstaltungsprojekt wurde fragen: Konnte das ein Deutsches konzipiert und durchgeführt von Mädchen schreiben?“ hieß es in Dr. Gabriele Botte, Leiterin der der ultrakonservativen „Kreuzzei- Volkshochschule Offenbach, Ka- tung“; und als sie politisch misslie- rin Dörr, Leiterin des Frauenbü- bige Briefe Alexander von Hum- ros der Stadt Offenbach, Mech- boldts drucken ließ, wurde sie in tild M. Jansen, Referatsleiterin in den Berliner Salons zur persona der Hessischen Landeszentrale non grata. In Preußen war die für politische Bildung und Grete Nichte Karl August Varnhagen von Steiner, Initiative FrauenEnergie. Enses und Herausgeberin seiner Wir hoffen mit der Veröffentli- Tagebücher wegen Majestätsbe- chung der Vorträge einerseits leidigung steckbrieflich gesucht. ein weiteres Interesse sowohl an In Florenz schloss sie sich dem Sophie von La Roche als auch an Risorgimento an und war langjäh- den Schriftstellerinnen und Le- rige Italien-Korrespondentin der serinnen ihrer Zeit wecken und Frankfurter Zeitung. vertiefen zu können, andererseits Zwei Briefe von Sophie von La soll damit zugleich ein Beitrag Roche und einer von ihrer Toch- zur „Frauengeschichte“ geleistet ter Luise runden die Publikation werden. ab. So können die Leserinnen und Leser einen authentischen Eindruck ihrer Art und Weise zu schreiben und somit auch über Mechtild M. Jansen die Person der Sophie von La Ro- Hessische Landeszentrale che gewinnen. für politische Bildung Die Vorträge bildeten das Begleit- programm zu den Ausstellun gen „Lebensbilder, die Zukunft zu be- völkern“ – von Rahel Levins Salon zur „Sammlung Varnhagen“ (eine Ausstellung der Varnhagen Ge- sellschaft e.V. Köln) und „Like a Dog Walking on its Hind Legs“ Polis 48 – Imaginär-historische Photopor- träts bedeutender Literatinnen der Vergangenheit (12. bis 19. Jahrhundert) der Offenbacher Künstlerin Karin Nedela. Zum 4 Gedenkjahr fertigte sie ein ima- Ulrike Prokop Sophie von La Roche – Leben und Werk Ulrike Prokop Sophie von La Roche – Leben und Werk Was machte Sophie Gutermann – später Sophie von La Roche – zu einer berühmten Autorin? Wie die bedeutendsten Schrift- Tradition des Erzählens und des steller ihrer Zeit, an erster Stelle Schreibens entstehen. Aber mehr Goethe, schrieb sie eine neue noch – um Autorin zu werden, Literatur, deren Kern in der Be- bedurfte es auch eines persön- arbeitung autobiografischer Er- lichen Mutes und eines Selbstbe- fahrung bestand. Zwei Jahre vor wusstseins, welches für Frauen dem Erscheinen des Jahrhun- dieser Zeit höchst ungewöhnlich dert-Romans Die Leiden des jun- war. Es war wie gesagt eine Fra- gen Werthers erschien das erste ge des persönlichen Mutes, aber Buch der La Roche – Geschich- auch der günstigen Umstände, te des Fräuleins von Sternheim die diesem begabten Mädchen – im Jahr 1771. Die Grundlage das nötige Wissen und jenen Re- ihres Erzählens waren autobio- spekt der Mitwelt verschafften, grafische Erfahrungen, die sie in die es ihr ermöglichten, das Wort die Form des Briefromans fasste, zu ergreifen. wie er von England durch die Ro- mane Richardsons nach Deutsch- Ich möchte im folgenden deut- land gekommen war. Was die lich machen, wie Sophie von La literarische Qualität ausmachte, Roche Lebenserfahrung in litera- war jene besondere Lebendig- rische Gestalt umformte und wie keit, die sie der Introspektion eine Verbindung zwischen ihrem verdankte – so wie auch Goethes Leben und ihrem Schreiben zu größter literarischer Erfolg seine denken ist. Bearbeitung der bürgerlich all- Sophie Gutermann wurde am täglichen Lebenswirklichkeit und 6.12.1730 geboren. Sie wuchs in seiner eigenen Leiden war. eine Zeit der geistigen Erneue- Mit anderen Worten: Diese Auto- rung hinein. Sie war eine Tochter rin, die der Welt mit vierzig Jah- aus dem gebildeten Bürgertum. ren das erste Geschöpf aus ihrer Ihr Vater, der Arzt Georg Fried- Feder präsentierte, befand sich rich Gutermann, war in Augsburg sofort im Mainstream der Erneu- Dekan des medizinischen Kolle- erung der deutschen Literatur. giums. Polis 48 Dazu musste sie nicht nur begabt Das Selbstbewusstsein des sein, fähig und phantasievoll – das aufstrebenden Bürgertums äu- setzte dazu auch Wissen, Bildung
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