Untervazer Burgenverein Untervaz

Texte zur Dorfgeschichte

von Untervaz

1999

Untervaz im Wanderführer

Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini. - 2 -

1999 Untervaz im Wanderführer Walter Schmid Auszug aus: Schmid Walter: Region , Bündner Rheintal Chur 1999

S. 07: Geologischer Ost-West-Konflikt Nirgendwo anders zwischen Mittelmeer und Wien findet sich in en Alpen ein breiteres, eindrücklicheres Quertal als jenes des Rheins zwischen Thusis und Bodensee. Und nirgendwo treffen Ost-West-Gegensätze so aufeinander wie in der Geologie dieser Rheintalstrecke. - 3 -

Schluchten im Bündner Schiefer prägen die rechte Talseite.

Die Geschichte der Talbildung des Alpenrheins ist mit vielen Fragezeichen behaftet, weil die Eiszeiten die wichtigsten Spuren früherer Vorgänge verwischt haben. immerhin weiss man, dass die Anlage des Rheintals mit dem Flussnetz und den Bergen, die den heutigen generell entsprechen, über ein Dutzend Mio. Jahre alt ist. Die Rheinphysiognomie ist also lange vor den Eiszeiten geprägt worden. Die Gletscher folgten einem bereits bestehenden Hauptflussnetz, akzentuierten es allerdings kräftig durch Erosion, Auskolkung, Ausräumung und Übertiefung der Täler und füllten sie mit dem gewaltigen Schutt nach dem Abschmelzen der Gletscher wieder auf. In den vergangenen 1,5 bis 2 Mio. Jahren, während derer die Gletscher mehrmals die Alpentäler füllten, sind menschliche Funde erst aus den letzten 50'000 Jahren bekannt. Der Mensch als Jäger rückte während der letzten Eiszeit mit den Gletschern vor und zurück, den Hängen entlang, entlang auch jenem fjordähnlichen See, der sich vor mehr als 10000 Jahren über Chur hinaus ausdehnte.

Zwischen Helvetischem und Penninischem Bereich Beschränken wir uns auf das Bündner Rheintal zwischen Bonaduz und Fläsch oder anders ausgedrückt: zwischen Felssturzgebiet und Weinland. Im Süden ereignete sich vor rund 15000 Jahren bei Flims der grösste Bergsturz im

S. 08: Alpengbiet und bedeckte eine Fläche von gegen 50 Quadratkilometern. Der Rhein liess sich dadurch nicht behindern. - 4 -

Der Fürstenwald liegt auf dem grössten Schuttkegel des schweizerischen Alpenraums.

Innert Jahrtausenden grub er sich einen rund zehn Kilometer langen Weg durch die Schuttmassen. Es entstand die Ruinaulta, eine beeindruckende Schlucht zwischen Sagogn und Bonaduz, die nicht umsonst «Grand Canyon der Schweiz» genannt wird. Auf dem rund 30 Kilometer langen Rheintalabschnitt vom Felssturzgebiet bis zum Weinland Bündner Herrschaft - eben dem Bündner Rheintal - zeigt sich dem Betrachter ein auffälliger geologischer Gegensatz zwischen den bei den Talflanken. Zum unvermittelt breiter werdenden Tal fällt der immense Kalkklotz des (2808 m) auf, dessen grobgebankte Partien regelmässig nach Osten einfallen und vor Erreichen des Rheins unter dem Talboden verschwinden. Diese Gesteine gehören dem Helvetischen Bereich an, der - mit Ausnahme des Fläscherbergs - stets westlich des Rheins anzutreffen ist. Ganz an ders das Gesicht der Talflanke östlich des Rheins zwischen Chur und Fläscherberg, mit Erhebungen bis 2532 Meter über Meer (Hochwang). Von Thusis bis Fläsch gehören alle Gesteine dem Penninischen Bereich an. Auf dieser Talseite herrschen bewaldete, steile und oft felsige Schichtkopfhänge vor, mit Alpwiesen bis in die Gipfelregionen. Tief eingeschnittene, schluchtartige Tobel, die sich in die weichen, tonig-kalkigen Gesteine der Bündner Schiefer und des Prättigauer Flysches eingesägt haben, unterbrechen das Gehänge der felsigen Partien. Am Ausgang eines jeden Tobels breitet sich ein weit ausladender Schuttkegel aus. Ein jeder ist im ganzen Rheintal überzogen mit Ackerflächen und - zwischen Chur und Fläsch - mit den streng begrenzten und doch so anmutig angelegten Rebbergen. - 5 -

S. 10: Vom Föhn verwöhnt und gepflegt Im meteorologischen Spannungsfeld zwischen der Süd- und Nordseite der Alpen entstehen oft Föhnlagen. In der Höhe herrscht dann eine starke alpenüberquerende Strömung aus Süd bis Südwest.

Nach dem Föhnzusammenbruch ergiesst sich der Himmel über der Bündner Herrschaft.

Die zuströmende feuchte Luft steigt von Genua kommend am Alpensüdfuss auf und kühlt sich ab. Nördlich des Alpenkammes fällt die Luft in die Quertäler, wie das Bündner Rheintal hinunter. Sie erwärmt sich dabei stark und trocknet aus. Im Mittelland trifft die Föhnströmung meist auf eine dort lagernde neblige Kaltluftmasse. In den höheren Luftschichten entstehen Wellenbewegungen, und die Wolken lösen sich im Alpenvorland teilweise auf. Es bilden sich linsenförmige Wolken, die Föhnfrische oder Lenticulariswolken.

Zwischen verflucht und heiss ersehnt Diese Föhnlagen beeinflussen das Klima im Bündner Rheintal - und die Menschen dazu. Besonders wetterfühligen Bewohnern bereiten solche Föhnperioden - oft im Vorfeld von Wetterumschlägen -

S. 11: wortwörtlich «Kopfzerbrechen». Dem Unwohlsein gegenüber steht meist ein blauer Himmel, extreme Fernsicht, und durch die trockene Luft stehen die Horizonte wie Scherenschnitte vor dem Himmel. Während das Mittelland von starken Niederschlägen und kühlen Temperaturen betroffen wird, herrscht zur gleichen Zeit in den Föhngebieten sonniges Wetter, das selbst im Spätherbst von sommerlichen Temperaturen begleitet ist. - 6 -

Sommer-Hoch über dem Rheintal.

Föhn. das bedeutet aber auch Stürme, die besonders in der Vergangenheit verheerende Wirkungen hatten. Das Feuer, das 1574 die Hälfte der Stadt Chur in Schutt und Asche legte, wurde durch ein Föhnsturm in alle Richtungen getrieben. Vom gleichen Schicksal wurde fast jedes Dorf im Laufe der Jahrhunderte ein- oder mehrmals betroffen. In der am rechten Rheinufer gelegenen Ortschaft zum Beispiel warf der ungestüme Wind im November 1687 die Flammen von Haus zu Haus, von Dach zu Dach, 70 Häuser und mindestens so viele Ställe, Schuppen und Torkel fielen innert zweier Stunden dem vom Wind getriebenen Feuer zum Opfer. Als am 20. August 1943 der Calanda brannte und gegen 500 Hektaren Wald zerstört wurden, war der Föhn der Blasbalg, der einen durch militärische Schiessübungen verursachten Funken zum vernichtenden Feuerteufel werden liess. Dass Freud und Leid miteinander verbrüdert sind, lässt sich auch auf den Föhn münzen. Von ihm profitiert die Landwirtschaft, und ohne ihn könnten im Bündner Rheintal die Trauben nicht jene Reife erreichen, die den Herrschäftler-Weinen die ausserordentliche Qualität bringt. «Traubenkocher» wird der Föhn dann genannt, wenn er im Herbst durch die Rebberge bläst und mit seiner trockenen Wärme den Saft aus den Rebstöcken in die Trauben treibt.

S. 15: Vom Verkehr geprägt Nach ihrem Einmarsch in Rätien im Jahr 15 vor Christus begannen die Römer die bestehenden Saumwege auszubauen. Diese blieben in der Folge über Jahrhunderte hinweg erhalten und dienten sowohl strategischen als auch wirtschaftlichen Zwecken. - 7 -

Alle Routen gingen von Chiavenna aus und führten via den Splügen-, Maloja- und Julierpass sowie über den Septimerpass nach Chur und von hier aus gemeinsam, dem Rhein entlang, nach Bregenz (römisches Brigantium) am Bodensee. Nach dem Zerfall des Wegnetzes in Mittelalter brachten die Kreuzzüge einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung. Deutsche Kaufleute führten Güter aus dem Orient via Bündner Rheintal mit Fuhrwerken und Saumzügen über die Alpen nach Italien. Zwischen Lindau und Mailand wurde die erste ständige Postverbindung eingerichtet, mit wichtigen Lagerstätten (Porten) in , Chur und Rhäzüns. Der rege Verkehr brach den Fuhrleuten, Gastwirten und Händlern grosse Verdienste. Allein für eine Speditionsfirma in Chur waren manchmal bis zu 120 Pferde zwischen Chur und Chiavenna unterwegs, und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts arbeiteten etwa 3000 Männer im alpenüberquerenden Saumverkehr.

Auch heute noch eine «Prachts-Chaussée». Kantonsstrasse zwischen Maienfeld und Landquart.

Eine «Prachts-Chaussée» Vom Donaugebiet und dem Bodenseebecken führte im Mittelalter ein Weg an die liechtensteinisch-schweizerische Grenze beim Katharinenbrunnen und über die Luzisteig weiter zum Städtchen Maienfeld. Via eine Fähre über den Rhein vereinigte sich hier die Zürcher Linie mit der Deutschen Strasse, die nach dem Bau der Tardisbrugg (1529), den Rhein bei Landquart überquerte und sich dort der Deutschen Strasse anschloss. Weiter führte die Route via Obere Zollbrücke über den Fluss Landquart bis nach Chur.

Die Wege durch das Bündner Rheintal waren alles andere als komfortabel. Sumpflöcher und tiefe Furchen behinderten die Wagen, - 8 -

S. 16: bis Napoleon - vorwiegend aus kriegsstrategischen Zielsetzungen - den Strassen erhöhte Aufmerksamkeit schenkte. Darüber hinaus sollten sie die Wirtschaftseinheit Europas anbahnen. Das Zeitalter des Kunststrassenbaus begann auch im Bündnerland. Auf Anregung der Österreicher, und um nicht durch eine Umfahrung ins Abseits gedrängt zu werden, beschloss man, 1799 die Strasse über die Luzisteig kunstgerecht auszubauen. Eine erste Probestrecke in der Maienfelder Au fiel so gut aus, dass die Gemeinden unverzüglich der Fortsetzung des Baus von der Landesgrenze über die Luzisteig bis nach Chur zu stimmten. Im Jahr 1785 wurde die 28 Kilometer lange und zwischen 5 und 7 Meter breite, nach französischem Vorbild gebaute «Chaussée», fertiggestellt. Das «Meister werk der Strassenbaukunst» verkam aber unter der Last der Kriegsfuhren um die Jahrhundertwende und wurde nur ungenügend wieder instand gesetzt.

Die Gefährte von damals sind im Kutschenmuseum im Hotel «Stern,> in Chur zu besichtigen.

In 36 Stunden von Chur nach Milano Die eigentliche Ara des Alpenstrassenbaus begann mit der Erstellung der Simplonstrasse (1805) und der «Italienischen Strasse» über den San Bernardino (1821). Nach der Fertigstellung der Julier und Malojastrecke (1820-1840) konnte die «Obere Strasse» zwischen Chur und Chiavenna auf ihrer ganzen Länge mit Zwei- und Vierradkarren, später mit komfortablen Kutschen befahren werden. Gut begüterte Personen reisten am Sonntagmorgen um 4 Uhr in Chur ab und entstiegen der Kutsche am Montagnachmittag um 4 Uhr in Mailand. 1849 übernahm die Eidgenossenschaft das Postwesen und setzte die fahrplanmässigen Kurse mit den gelben Alpenpostwagen ein. In der Extrapost wurden gekrönte Häupter, - 9 -

Fürsten und andere hochgestellte Persönlichkeiten kutschiert. Als 1856 die Kaiserin von Russland vom Bodensee durch das Bündner Rheintal über Chur und den Splügenberg nach Magadino reiste, standen an jeder Umspannstation 130 frische Pferde bereit.

S. 17:

Noch heute ist das Bündner Rheintal Verkehrskorridor zwischen Nord und Süd. - 10 -

S. 21: Industriemetropole Bündner Rheintal Fast alle Bündnerinnen und Bündner sind in irgendeiner Weise mit dem Tourismus verknüpft und von ihm abhängig - er ist der wichtigste Industriezweig unseres Kantons. Dennoch sind einige bedeutende Industriebetriebe im Kanton ansässig, die sich fast ausschliesslich auf das Bündner Rheintal konzentrieren. In Igis-Landquart wurde vor 125 Jahren die Papierfabrik gegründet, heute eines der grössten Industrieunternehmen in Graubünden. Unter anderem wird hier, als exklusives Qualitätserzeugnis, für verschiedenste Länder der Welt Banknotenpapier hergestellt. Ebenfalls in Landquart domiziliert ist die Ziegelei Landquart, die ihre Produktion bereits 1863 aufgenommen hat und heute noch das Rohmaterial Lehm auf Gemeindegebiet abbaut. Weiter südlich, zwischen und Untervaz, liegen die Produktionsstätten der Bündner Cement AG, im weiten Um kreis der wichtigste Rohstofflieferant für das Baugewerbe. Zu den traditionellen Grossbetrieben der Stadt Chur zählt die Brauerei. Nach unsicheren Jahren und der Fusionierung mit der Brauerei Haldengut ist Chur heute ein solide verankerter Standort für die Produktion von international geschätzten Brauereierzeugnissen. Mit der Gasser-Gruppe beherbergt Chur zudem den grössten Medienkonzern der Südostschweiz, der die gleichnamige, viertgrösste Tageszeitung der Schweiz heraus gibt. Kernstück in Sachen Industrie im Bündner Rheintal ist zweifellos die Ems-Chemie AG in Domat/Ems. Während des Zweiten Weltkrieges mit der Produktion von Ersatztreibstoffen auf der Basis von Holz angefangen, ist aus dem Bündner Unternehmen in den letzten Jahren eine weitverzweigte Industriegruppe mit 2400 Beschäftigten geworden. Synthesefasern, Faserrohstoffe und Polymere Werkstoffe (für technische Anwendungen, Prozessmaterialien, Automobil- und Bauindustrie) aus Domat/Ems geniessen weltweit ein hohes Ansehen. 800 Millionen Franken beträgt der jährliche Umsatz, und gegen 90 Prozent der Produkte werden im Ausland abgesetzt.

S. 42: Sagen und Bräuche Chur Ein eher düsteres Kapitel nimmt nicht nur in Chur das Handwerk des Scharfrichters ein. Seiner Tätigkeit als «angestellter Vollstrecker», die er zum letzten Mal in Chur 1846 ausübte, haftet aber auch manch Sagenhaftes an. - 11 -

Bei den Menschen des Mittelalters galten Krankheiten weniger als Störungen des körperlichen Organismus, sondern als Folge von Einwirkungen göttlicher oder dämonischer Kräfte. Und dieser Götterzorn verlangte wirksame Gegenmittel, die beim von Mystik umgebenen Scharfrichter gesucht wurden. Ein paar Müsterchen aus seinem «medizinischen» Angebot: Gegenstände, an denen das Blut eines Gerichteten haftete, galten als besonders heilkräftig, mit einer abgeschnittenen Diebeshand liess sich unbemerkt stehlen, mit dem Finger eines Gehängten ging jeder Wunsch in Erfüllung, ein gebrauchter Galgenstrick nützte gegen Blitzschlag und Ungeziefer, Armesünderfett und Schädelmoos senkten das Fieber, Menschenhaut heilte die Gicht. Gefragt waren zu dem hausgemachte Potenzmittel und allerlei Zaubergetränke. Des Scharfrichters nebenamtliche Tätigkeit ging jedoch noch weiter: so soll er 1686 durch den Churer Bürgermeister gegen Bezahlung als Vieharzt auf die Alp entsandt worden sein. Möglicherweise war er im 15. Jahrhundert in Chur auch Zuhälter und Bordellaufseher.

Die Geisterkutsche Zur Pestzeit war Chur ein kleines Städtchen, umringt von Wiesen, Äckern und Weingärten. Durch die Strassen lief das Vieh und weidete im Herbst vor der Stadt. Eine Ringmauer mit vielen Türmen und fünf Toren umschloss das Städtchen. Das Untertor und das Obertor waren die bedeutendsten Eingänge. Um neun Uhr abends wurden sie geschlossen. Wer später Einlass verlangte, musste an der Türglocke läuten. Der Nachtwächter öffnete das kleine Tor und verlangte für diese Sonderleistung einen Batzen. Nicht selten verriet er die Spätheimkehrer beim Pfarrer oder beim Sittengericht. Soweit die Tatsachen.

In einer Sage wird erzählt, dass einst der geizige Churer Bürger und Schneider namens Rubitschon spät nachts in Richtung Untertor wanderte. Er ärgerte sich schon im Voraus darüber, dass er wieder einmal dem Torwächter eine seiner hart verdienten Münzen als Eintrittsgeld in die Stadt auszuhändigen hatte. Noch vor dem Tor preschte plötzlich eine schwarze Kutsche an ihm vorbei, vollbesetzt mit schwarz gekleideten Gestalten. Ein eigenartiger süsslicher

S. 43: Geschmack zog an ihm vorbei, begleitet von einem eiskalten Windhauch. Da rannte Rubitschon der Kutsche nach, in der Hoffnung, ohne Entgelt durch das - 12 -

Untertor in die Stadt zu gelangen. Doch die Kutsche sauste wie ein dunkler Schatten durch das geschlossene Tor, und der Schneider stand am ganzen Körper zitternd davor. Ohne Murren bezahlte er den Batzen. Der Torhüter wollte von einer Kutsche nichts gehört und gesehen haben, worauf der Spätheimkehrer blass wurde wie ein Leichentuch. Von diesem Tag an nähte er nicht mehr viel, nur noch an seinem Totenhemd - und das brauchte nicht viele Stiche.

In der Churer Hölle schmoren Gar Sonderbares und Schauerliches soll sich heute noch in den schroffen Rüfen, Hängen und Felswänden über dem Füstenwald ab spielen. Seit Generationen wissen es alle Einheimischen: Hier, im Scaläratobel, liegt die Hölle der Churer, und auch die Scharfrichter dürften hier in Unruhe «weiterleben». Kein Mensch wagt es, seinen Fuss in diese Schründe an der zerklüfteten Seite des Montalin zu setzen. Der Blick um Mitternacht vom Füürhörali in das Tobel offenbart allerdings Grausames. Auf einem Fels sitzt traurig ein Mann mit einem leeren Weinglas, weil er zu Lebzeiten zuviel davon getrunken hat und jetzt fast verdurstet. Da neben erkennt man bessere Herren, die sich jammernd die Finger abbeissen und wegwerfen. Ratsherren sind das, die falsch geschworen haben. Auch einen Bäcker sieht man im fahlen Mondlicht. Er wägt sein Brot noch und noch und kommt nie auf das Gewicht, das er seinen Kunden einst vorgegaukelt hat. Rund um ein Feuer sitzen die Advokaten und braten ihre Zungen wegen ihren früheren Lügen. Schlimm ergeht es auch den Weinhändlern von Chur, die nun endlos Wasser trinken und für ihre Panscherei büssen müssen. Und da sind auch noch die Weiber, die aus Tannzapfen Kaffee mahlen und wegen ihres Getratsches und Gezänks über andere Leute nie mehr zur Ruhe kommen.

S. 46: Eine Igiser Sage Die letzten Herren von Facklastein In der Mitte zwischen Facklastein (Falkenstein) und dem Schloss Marschlins liegen viele schöne Güter, unter anderem auch eine Wiese, in welcher in der Richtung von einem Schlosse zum anderen im Boden in fortlaufender Reihe Vertiefungen sich weiten, welche die Existenz eines geheimen Ganges zwischen den beiden Schlössern anzeigen sollen. - 13 -

Der Volkssage nach sollen die letzten Zwingherren auf Facklastein, zwei Brüder, Tyrannen gewesen sein, von denen der Eine, als er in einer Tenne des Dorfes Igis das ihm zu liefernde Korn untersuchen wollte, von den ergrimmten Bauern mit den Dreschschlegeln erschlagen wurde. Der andere Bruder wurde verfolgt, flüchtete in den geheimen Gang und soll, in denselben eingeschlossen, ein jämmerliches Ende gefunden haben. Jetzt noch will man in den finsteren Nächten die Seelen des Brüderpaars als kleine Lichtlein leuchtend, vom Dorfe herauf in den Ruinen erblicken.

«Schibaschlaha» - ein uralter Brauch in Untervaz Was fast aus dem gesamten Alpenraum längst verschwunden ist, wird in Untervaz Jahr für Jahr mit Begeisterung noch immer gepflegt: das «Schibaschlaha» (Scheiben schlagen). Dieser uralte Brauch am ersten Fastensonntag könnte seinen Ursprung bei den bronzezeitlichen Siedlern oberhalb des Dorfes haben. Folgendes spielt sich dann in Untervaz ab: Nach Neujahr versorgt sich jeder Knabe im nahen Buchenwald mit 15 Zentimeter dicken Stämmchen. Diese werden zu Scheiben verarbeitet, in der Mitte durchbohrt, auf eine Schnur aufgezogen und zum Trocknen aufgehängt. Vor dem grossen Tag bereiten die Jungen oberhalb des Dorfes die «Abschussrampen» vor. Die Mädchen backen derweil «Chüachli», «Mütsch», Berliner», brauen Kaffee und schlagen «Luggmilch» (Niedel). Fängt es am Fastensonntag an zu dämmern, bevölkern sich

S. 47: langsam die Schlagplätze. Die Scheiben, auf zwei Meter langen Haselruten im entfachten Feuer glühend gemacht, werden eine um die andere durch die Knaben mit Schwung über die talseits gerichtete Rampe weit in die Nacht hinaus geschlagen. Den Flug jeder glühenden Sonne begleiten die Knaben mit lauten Rufen und widmen den feurigen Schweif ihrem Schulschatz. Nachdem die letzte Scheibe den Weg durch den Nachthimmel ins Tal gefunden hat, wandern die Untervazer mit Fackeln in den Händen zum Dorf zurück. Die Knaben gehen dann von Haus zu Haus und werden von ihren Freundinnen mit den vorbereiteten Backwaren für die ihnen gewidmeten feurigen Scheiben belohnt.

Eine Trimmiser Sage Das Fräulein von Ruchenberg und das goldene Kegelspiel - 14 -

Die fromme und mildtätige Gemahlin Cuno's, des Ritters von Ruchenberg, hatte der im Inneren des Gebirges thronenden Elfenkönigin bei ihrer Entbindung beigestanden und zum Lohne dafür ein goldenes Kegelspiel erhalten, mit dem sie die guten Berggeister zu ihren Diensten heraufbeschwören konnte. Als aber ein Urenkel der frommen Frau, ein wilder und wüster Geselle, das Elfengeschenk dazu missbrauchte, um im Übermute immer neue Schätze zu erpressen, er schienen zuletzt auf seinen Frevelruf statt der Kegel neun entsetzliche Riesen, und unter fürchterlichem Getöse stürzte die Burg zusammen. Der Ritter und seine Gesellen verschwanden mit grässlichem Geheule, nur des Frevlers fromme Tochter wurde von den Elfen gerettet, bei denen sie seit her im Schosse der Berge in stiller Wehmut ihr Leben vertrauert. In jedem Jahrhundert kehrt sie ein Mal nach der Oberwelt zurück, er scheint im Brautschmucke und in weissem Gewande, schwermütig durch die dunklen Tannen dahinschwebend, und späht von den verwitterten Trümmern der väterlichen Burg nach dem glücklichen Jüngling, der sie erlöse, und mit ihrer Hand das goldene Kegelspiel der Elfen wieder gewinne.

S. 64: Wandervorschlag ab Igis Landquart aus der Vogelperspektive Einen einzigartigen Blick über die dem Sumpf abgerungene Agrarebene, über die Igiser Fraktionen Landquart und Landquart-Fabriken, über die Weinberge und Dörfer der Bündner Herrschaft bis weit hinunter ins Sarganserland bietet der Tritt. Diesen 1200 Meter über Meer an der rechten Talseite liegenden Aussichtspunkt bei der Mittagplatte, mit dem von weither sichtbaren Sendeturm, erreicht man in etwa eineinhalb Stunden über einen steilen Fussweg von Igis aus. Die markante Anhöhe kann aber auch von der Hinterseite bestiegen werden: Von Landquart fährt man auf der alten Kantonsstrasse durch die Klus ins Prättigau und folgt gleich hinter der Talenge dem Wegweiser nach Valzeina. Von diesem Walserdorf, das auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Postauto) erreichbar ist, geht's zu Fuss in einer knappen Stunde über eine gute Strasse (Fahrverbot für Motorfahrzeuge) bis zu den Gebäuden Flüeli. Dort führt ein kurzer Fussweg zum Tritt hinaus, wo sich die weite Ebene des Rheintals mit der Herrschalt öffnet. - 15 -

Fast senkrecht unterhalb der Felswand liegt das Schloss Marschlins, das aus der Vogelperspektive ein besonders eindrucksvoller Anblick ist. Vom Tritt führt der Weg weiter zur hoch aufragen den Antenne des Senders Valzeina, von wo aus der Blick ins obere Bündner Rheintal bis nach Chur reicht. (Landeskarte der Schweiz 1:50000, Blatt 248 Prättigau)

Wandervorschlag ab Prächtiger Rundblick Gerade wegen der Aussicht ist Mastrils ein beliebter Ausflugsort und Ausgangspunkt zu ausgedehnten Wanderungen im gegen Norden auslaufenden Calandamassiv. Eines der am meisten begangenen Wandergebiete von Mastrils aus ist der 1478 Meter hohe Pizalun, die nördlichste Erhebung des Calanda. Der etwa eineinhalbstündige Aufstieg über den markierten Wanderweg entschädigt mit einem Panoramablick über die Bündner Herrschaft mit dem Falknis und dem Schesaplana im Hintergrund, über die Rheintalebene, die

S. 65: schluchtartige Talenge ins Prättigau bis zum hochaufragenden schroffen Montalin über Trimmis und der Stadt Chur. Nur einen Kilometer südlich des Pizalun liegt die Jägeri-Hütte. Sie bietet Übernachtungsmöglichkeiten und ist zugleich Einstieg in ein weitverzweigtes Wegnetz, das bis zur SAC- Calandahütte im Süden, ins Taminatal im Osten oder hinunter nach Bad Ragaz im Norden reicht. (Bündner Wanderkarte 1:60000, Blatt Prättigau- Albula)

Wandervorschlag ab Zizers Aussichtsberg Cyprianspitz Der weite Schuttkegel der Schlund- und Chessirüfi, mit den ausgedehnten Weinbergen, Obstgärten, Heckenfluren und die mit Büschen durchsetzte Ochsenweid sowie das auffällige Ackerland in der Rheinebene, bieten den Besuchern reizvolle Wandermöglichkeiten. Sozusagen der Hausberg von Zizers bildet der Cyprianspitz, einer der von Chur aus so markant sichtbaren drei Sayserköpfen. Von Zizers aus führt der Weg oberhalb der Weinberge südwärts an der auf Trimmiser Boden liegenden Ruine Aspermont vorbei. Via Says er reicht man das Walserdörfchen Stams. Der Ausflug kann zur Tagestour ausgedehnt werden, indem man nordwärts in Richtung Valzeina die Mittagplatte er reicht. - 16 -

Hinunter durch den Schlund erreicht man wieder das Wies- und Ackerland oberhalb von Zizers. (Bündner Wanderkarte 1: 60000, Prättigau-Albula)

Wandervorschlag ab Untervaz Eine Stunde bis zur Calandahütte Obwohl Untervaz kein Fremdenverkehrsort ist, bietet die Gemeinde auch Feriengästen und Erholungssuchenden eine Vielzahl an Möglichkeiten. Abgesehen von der Erkundung der beiden ganz besonderen Burgruinen lassen sich von Untervaz aus auch ausgedehnte Wanderausflüge unternehmen. Der Oberberg mit seinen Maiensässen auf einer Höhe um 1600 Meter und die Vazer Alp können mit Bewilligung durch die Gemeinde über den gut ausgebauten Naturweg angefahren werden. Von der Vazer Alp aus erreicht man in rund einer Stunde auf dem fast ebenen, südwärts führenden Gebirgsweg die zwischen Juni und Oktober bewartete SAC-Calandahütte. Sie bietet Übernachtungsmöglichkeiten und ist eigentlicher Ausgangspunkt zur Besteigung des 2800 Meter hohen Calanda. Beim Oberberg zweigt auch die etwa halbstündige Wegstrecke zur wunderschönen Alp Salaz ab. Hinter dem Kamm des nach Norden auslaufenden Calanda liegt das Taminatal mit dem berühmten Drachenberg auf der gegenüberliegen den Talseite. Hier fand man zwischen 1917 und 1923 auf einer Höhe von 2445 Metern über Meer in einem 70 Meter tiefen Höhlensystem Reste von Höhlenbären sowie

S. 66: Brandspuren, Knochen- und Steinartefakte. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass dort vor etwa 50000 Jahren, am Rande der Gletscher, Höhlenbärenjäger zumindest temporär gehaust haben. (Bündner Wanderkarte 1:60000, Blatt Prättigau-Albula, Landeskarte der Schweiz, 1:50000, Blatt 247, Sardona) Als Ausgangspunkt zur Erkundung des Bündner Rheintals - und für Aktivferien - bietet das Hotel «Fünf Dörfer» beim RhB-Bahnhof Untervaz ideale Herberge. Das Sportcenter liegt direkt am Radweg Rhein-Route, verfügt über Fitnessparcours, Finnenbahn, Tennishalle, einen grosszügigen Kinderspielplatz sowie Pferdestände.

Wandervorschlag ab Trimmis Zwischen Almend und Montalin Die Witenen oder Trimmiser Almend genannte Ebene auf dem riesigen Schuttkegel zwischen Chur und Trimmis ist nicht nur für die Dorfbewohner ein beliebtes Naherholungsgebiet. - 17 -

Mit dem Stadtbus bis zum Fürstenwald gefahren, zieht es an schönen Tagen auch die Stadtbevölkerung auf Trimmiser Gebiet. Die nördlich des Fürsten- waldes gelegene, von alpähnlichen Weiden, von Hecken und Baumgruppen durchsetzte Almend mit den nahen bergseitigen Wäldern und der meist nur wenig Wasser führenden Maschänserrüfe, bietet jung und alt geruhsame, sportliche oder spielerische Stunden. Als eigentlicher Geheimtip gilt die Wanderung auf die Fürstenalp. Ausgehend vom Dorfplatz Trimmis via den beschilderten Wanderweg erreicht man diesen prachtvollen Aussichtspunkt in rund drei Stunden. Den ultimativen Eindruck über Rüfen, Bündner Schiefer, Erosion und furchterregende Tobel erhält man aber erst, wenn man die Wanderung fortsetzt. Nach etwa zwei weiteren Stunden Fussmarsch steht man auf dem Gipfel des 2266 Meter hohen Montalin mit Panoramablick ins Schanfigg, das Churwaldnertal und das Rheintal. Über den stufenartigen und nicht schwierig zu bewandern den Gratweg erreicht man die Waldgrenze und trifft nach weiteren drei Stunden (ab dem Gipfel) in Chur ein. Der Ausgangsort Trimmis und der Zielort Chur lassen sich leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Postauto) verbinden. (Bündner Wanderkarte 1:60000, Blatt Prättigau-Albula)

S. 91: Untervaz - Landwirtschaft, Industrie und Burgen Die flächen- und einwohnermässig grösste linksrheinische Gemeinde unterhalb von Chur ist Untervaz. Das Dorf entstand auf der nördlichen und damit besser besonnten Seite des Valcosenztobels, in einer Nische des steil abfallenden Calanda. Der Cosenzbach drängte mit seinem Schuttkegel den Rhein gegen die Mitte des Rheintales ab und bildete so die dem Dorf vorgelagerte weite Ebene. Erst durch die Rheinkorrektion und die 1984 erfolgte Gesamtmelioration wurde jedoch die Basis für die heutige landwirtschaftliche Nutzung der grossflächigen Fluren gelegt.

Markante Burgen Erstmals erwähnt wird Untervaz im Reichsurbar von 831. Das Dorf gehörte zu einem grossen Teil dem Kloster Pfäfers. Die niedrige Gerichtsbarkeit war zwischen dem Bischof von Chur und dem Kloster Pfäfers geteilt. - 18 -

Daneben dürften die Herren Thumb von Neuenburg über die zu dieser Feste gehören den Leute und Güter eine Hofgerichtsbarkeit ausgeübt haben. Diese Feste mit ihren Rechten und Besitzungen ging schliesslich 1496 ebenfalls in bischöflichen Besitz über. Vermutlich die Herren von Neuenburg waren es, die um 1200 in fast unzugänglicher Lage am Cosenzbach westlich von Untervaz die nur mit einer Frontmauer abgeschlossene Grottenburg Rappenstein errichteten. Ein Monument der mittelalterlichen Geschichte Rätiens bildet die Schlossruine Neuenburg ganz im Süden des Gemeindegebiets, auf 600 Metern Höhe gelegen. Die vierstöckige Anlage wird bereits 1152 erwähnt und 1190 vom Geschlecht der Thumb aus Unterrätien beherrscht. Dank des grossen Engagements des Burgenvereins Untervaz konnte die imposante Ruine mit Pallas, Reste des Berings und der Zisterne in vorbildlicher Weise gesichert und somit der Nachwelt erhalten werden. Ganz in der Nähe der Burg wurde 1786 der schwäbische Räuberhauptmann «Hannikel» gefangen und kurz darauf hingerichtet.

Vom Bauerndorf zum Industrieort Bis vor wenigen Jahrzehnten war Untervaz, wie so viele andere Gemeinden auch, eine reine Bauerngemeinde. Den Ausschlag für die wirtschaftliche Wende gab die Bündner Cementwerke AG, die sich 1957 im Süden des Dorfes, zwischen dem Calanda und dem Rhein niederliessen. Das Rohmaterial Kalkstein wird vom werkeigenen Fenzakopf abgesprengt und

S. 92: zu staubfeinem Cement verarbeitet. Vom Geschiebe, das Gletscher und Rhein im Laufe von Jahrtausenden in das Bündner Rheintal brachten, profitiert die Kieswerke Untervaz AG. Sie bauen das Kiesvorkommen in der Talsohle ab, füllen nach der Entnahme die Gruben wieder auf, so dass die landwirtschaftlich nutz baren Flächen langfristig erhalten bleiben.

Untervaz in Zahlen Höhenlage: 565 Meter über Meer Fläche: 27,6 km Einwohner: 2015 (1996) In der Land- und Forstwirtschaft tätige: 60 Gästebetten: 10 - 19 -

Gemeindeverwaltung: Telefon 081/300 07 30 Tourismusverein: Telefon 081/30001 64 (Landquart und Umgebung)

Blick auf Untervaz.

Internet-Bearbeitung: K. J. Version 01/2016 ------