"Opfer"-/"Täter"-Familiengeschichten
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Gerhard Botz / Peter Dusek / Martina Lajczak (Hg.) "Opfer"-/"Täter"-Familiengeschichten Erkundungen zu Nationalsozialismus, Verfolgung, Krieg und Nachkrieg in Österreich und seinem europäischen Umfeld Ludwig Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft LBIHS-Arbeitspapiere, Nr. 20, Wien 2014 3 Gerhard Botz / Peter Dusek / Martina Lajczak (Hg.) "Opfer"-/"Täter"-Familiengeschichten Erkundungen zu Nationalsozialismus, Verfolgung, Krieg und Nachkrieg in Österreich und seinem europäischen Umfeld Ludwig Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft LBIHS-Arbeitspapiere, Nr. 20, Wien 2014 4 5 Inhalt Vorwort 7 Botz Gerhard 9 Einleitung: Eine neue Generation von familiengeschichtlichen Erkundungen zu Nationalsozialismus, Verfolgung, Krieg und Nachkrieg? Dusek Peter 15 Über die Ambivalenz der Gefühle NS-Aufarbeitung am Beispiel meines Stiefgroßvaters Leo Stein Domes Nikolaus 17 Zwischen Ideologie und Opportunismus Eine bürgerliche Familie inmitten gesellschaftlicher Umbrüche in Spanien und Österreich vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre Liszt Peter 45 Heimatlos im Heimatland: eine Burgenländische Familiengeschichte Rekonstruktion der Kriegserlebnisse meines Großvaters – Stefan Liszt Bystricky Peter 71 Verflochtene und flexible nationale Identitäten Meine tschechischen Verwandten im Wien vor, während und nach der NS-Zeit Schmatz-Rieger Lucinda 107 Haus Kellermanngasse 8 Vom Verschwinden der BewohnerInnen Rosenkranz Cornelia 145 Die jüdische Seite Entwurzelung und Vertreibung meiner Familie – Eine Fallstudie Pöcksteiner David 179 Zwischen Mitgliedschaft und Ablehnung Kindheitserinnerungen meiner Großeltern an den Nationalsozialismus 6 Kreutzer Kristina 215 Zwischen Wahrnehmung und Wahrheit Kindheitserinnerungen meiner Loosdorfer Familie aus dem Jahr 1945 Turmalin Stephan 245 Die Oma im Stollen Lampl Andreas 273 Vom „Täter“ zum „Helden“ und zurück Die Ambivalenz eines Menschenbildes in der Familienerinnerung Pirker Bettina 307 Zwischen Opfermythos, Heroisierung und Verharmlosung Eine Murauer Familie und der Nationalsozialismus Siegmund Veronika 367 Der lange Schatten der Napola Nachwirkungen der „nationalpolitischen Erziehung“ auf das Leben meines Großvaters Autorinnen und Autoren 405 7 Vorwort Im Wintersemester 2012/13 haben Emerit. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Botz und Honorar- prof. Dr. Peter Dusek das Seminar zum Thema "Opfer"-/"Täter"-Familiengeschichten" abgehalten. In dieser Lehrveranstaltung wurden schriftliche Arbeiten erarbeitet und diskutiert, von denen die meisten auch als Bachelorarbeiten am Institut für Zeitge- schichte der Universität Wien eingereicht wurden. Unterstützt vom Ludwig Boltzmann- Institut für Historische Sozialwissenschaft (LBIHS) des Clusters Geschichte der LBG, Wien (Leiter: Gerhard Botz) können nach einer längeren Bearbeitungs- und Nachbear- beitungszeit elf dieser Texte, zum Teil geringfügig gekürzt, hier einer kleinen Öffent- lichkeit übergeben werden. Dabei wurden die Lehrveranstaltungsleiter von Martina La- jczak (Bakk. phil.), die auch das Korrektorat und die Formatierung besorgte, tatkräftig unterstützt. Wir danken den Verfasserinnen und Verfassern der Beiträge dieses Bandes für die Fer- tigstellung ihrer Texte, vereinzelt nach einiger Wartezeit, Familienangehörigen unserer Studierenden, den hilfreichen Mitarbeitern der konsultierten Amtsstellen, Bibliotheken und Archiven, vor allem der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte der Universität Wien und des Österreichischen Staatsarchivs, und - last but not least - den Mitarbei- tern des LBIHS Mag. Heinrich Berger und Dr. Richard Germann für ihre Hilfe und Ex- pertise. Wien, Juni 2014 Gerhard Botz, Peter Dusek, Martina Lajczak 8 9 Gerhard Botz Einleitung: Eine neue Generation von familiengeschichtlichen Erkundungen zu Nationalsozialismus, Verfolgung, Krieg und Nachkrieg? Die Beiträge dieses Sammelbandes wurden von Österreicherinnen und Österreichern, die im Studienjahr 2012/13 an der Universität Wien studierten, verfasst. Der größte Teil davon stammt von Autorinnen und Autoren, die zu "Generationen"1 gehören, die überwiegend in den 1980er Jahren geboren wurden. Ihre Aufgabe war es, durch Oral History-Interviews2 mit Familienangehörigen und unter Heranziehung auch von ande- ren Quellen (persönlichen Dokumenten, Mitgliedschaftsregistern, amtlichen Akten, Fo- tos etc.) zu recherchieren und zu beschrieben, wie Großeltern und andere ältere Ange- hörige ihrer eigenen Familie das NS-Regime, die Kriegshandlungen und die unmittel- bare Nachkriegszeit erlebt hatten, wie sie davon erzählten oder nicht erzählten und in welchen generationenübergreifende Familiengeschichten3 sie eingebunden waren. Dies bedeutete, dass die Forschenden als "teilnehmende Beobachter"4 in die innerfamiliären Diskurse selbst eingriffen, sie auf mancherlei Weise beeinflussten und (manchmal) ihr eigenes Verständnis vom Verhalten ihrer Vor-Generationen und der bisher tradierten Familiengeschichte verändert haben. Somit werden auch generationenmäßige Schich- tungen5 und Überlagerungen der Geschichtsbilder sichtbar.6 Als Enkel und Enkelinnen waren für sie die alten Menschen, die schon ein Geschehen, das über ein halbes Jahrhundert entfernt war, erlebt hatten, bewunderte Großväter oder geliebte Omas.7 Zugleich wollten sie aber auch kritisch deren Vergangenheit und individuelles Verhalten erkunden. (In einzelnen Fällen reichten die Familienerzählun- 1 Zum aussagekräftigen, aber auch problematischen Begriff von "Generation" siehe allg.: Karl Mannheim, Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk, hg. v. Kurt H. Wolff, 2. Aufl. Neuwied am Rhein 1970, S. 509-565 und Ulrike Jureit / Michael Wildt, Generationen, in: dieselben (Hg.), Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005, vor allem S. 7-14; sowie hier die Einzelbeiträge von M. Rainer Lepsius (Kritische Anmerkungen zur Generationenforschung, S. 45-52) und Christina Benninghaus (Das Geschlecht der Generationenfolge. Zum Zusammenhang von Generationalität und Männlichkeit, S. 127-158); allg.: Beate Fietze, Historische Generationen. Über einen sozialen Mechanismus kulturellen Wandels und kollektiver Kreativität, Bielefeld 2009, vor allem S. 61-82; Hartmut Berghoff / Uffa Jensen / Christina Lubinski / Bernd Weisrod (Hg.), History by generations. Generational dynamics in modern history, Göttingen 2012, S. 7-13 (Introduction). 2 Zur Methode siehe vor allem: Gabriele Rosenthal, Erlebte und erzählte Lebensgeschichte. Gestalt und Struktur biographischer Selbstbeschreibungen, Frankfurt a. Main 1995 und konkret: Alexander von Plato, Oral History nach politischen Systembrüchen, in: Julia Obertreis / Anke Stephan (Hg.), Erinnerungen nach der Wende. Oral history und (post)sozialistische Gesellschaften, Essen 2009, S. 63-81. 3 Meinrad Ziegler, Das soziale Erbe. Eine soziologische Fallstudie über drei Generationen einer Familie, Wien 2000, Kap. 3, S. 85-229. 4 Siehe etwa: Roland Girtler, Methoden der Feldforschung. Böhlau, Wien 2002. In Hinkunft verwende ich der Einfachheit halber die männliche Form auch für Gesamtheiten, die sowohl Männer wie Frauen umfassen. 5 Vgl. Margit Reiter, Die Generation danach. Der Nationalsozialismus im Familiengedächtnis, Innsbruck 2006, S. 29-52, 466-468. 6 Ziegler, Erbe, S. 231-250. 7 Harald Welzer / Sabine Moller / Karoline Tschuggnall (Hg.), "Opa war kein Nazi". Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt am Main 2002, S. 44-80 und 81-87. 10 gen, die hier wiedergegeben bzw. konstruiert werden, weiter zurück, bis in die Urgroßelterngeneration, die (damals etwa 15-jährig) noch direkt in National- sozialismus und Kriegsgeschehen verstrickt gewesen sein konnte, jedoch nicht mehr am Leben war.) In den lebensgeschichtlichen Interviews die bestehenden Familienge- schichten distanziert und doch rücksichtsvoll in Frage zu stellen, war eine der schwie- rigsten Aufgaben, die die Seminarteilnehmer lösen mussten und die manche zum vor- zeitigen Ausscheiden aus dem Projekt veranlasst haben. Denn ihre Forschungs- und Darstellungsanstrengungen bewegten sich oft auf einem "gefährlichen" Untergrund und ließen leicht innerhalb der Familien, aber auch in den Selbstverständnissen der "Generation" unserer Studierenden selbst manche schmerzhaften Gegensätze aufbre- chen, wie wir vermuten können. Einige Jahre früher wäre das in Österreich wohl so nicht möglich geworden, ja ich hatte manchmal den Eindruck, man sollte dem morali- sierenden vergangenheitspolitischen Impetus und der Suche nach täterschaftlichem Verhalten bei den eigenen Vorfahren mehr Distanzierung empfehlen.8 Gelegentlich scheinen dabei als vermittelnde oder unterstützende Instanzen auch die schon in der Nachkriegs- und "Wirtschaftswunderzeit" aufgewachsenen und vom ge- sellschaftlichen Klima der sozial-liberalen und von Nach-68er-Reformen beeinflussten Eltern9 der Studierenden einbezogen gewesen zu sein. Wir liegen wohl nicht ganz falsch mit der Annahme, dass in diesem Seminar so etwas wie ein "kollektiver" Lern- und Umdenkprozess abgelaufen ist, der in heutigen universitären und bildungsbegüns- tigten Milieus eine kritische Sicht10 auf die mit dem Nationalsozialismus verflochtene eigene wie österreichische Vergangenheit erkennen lässt. Als Lehrende, (wiederum) begleitende Beobachter und (manchmal) Intervenierende im Entstehen dieser Arbeiten, haben wir in einem solchen (heute unter den gegebenen universitären Rahmenbedingungen schwieriger gewordenen) Experiment einer for- schenden Lehre selbst wertvolle Eindrücke gewonnen; doch wollen wir diese keines- wegs als breit empirisch belegte Thesen, aber auch