Die deutsche Emigration nach Nordamerika 1683 und 1709

Religionsfreiheit als Faktor der Auswanderung und der Staatswerdung

Pennsylvanias

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

eines Magisters der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität

vorgelegt von

David KOBER

am Institut für Geschichte

Univ.-Prof. Mag. Dr.phil. Alois Kernbauer

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen

Prüfungsbehörde vorgelegt und noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

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Datum, Ort Unterschrift

Inhalt Einleitung ...... 2 1 Deutsche Einwanderungswellen nach Nordamerika, 1683 und 1709 ...... 5 1.1 Penns Reise 1677 und die Auswanderung von 1683 ...... 5 1.2 Massenauswanderung der Pfälzer 1709 ...... 12 2 Reiseberichte, Redemptioner und Menschenhandel ...... 23 2.1 Mittelberger und die „Menschendiebe“ ...... 25 3 Deutsche Anfänge in Nordamerika ...... 31 3.1 Franz Daniel Pastorius, die Krefelder Gemeinde und Gründung Germantowns ...... 31 3.2 Johann Christoph Sauer und die Etablierung deutscher Kultur in Amerika ...... 40 4 Von West Jersey nach – Das legislative Fundament der Religionsfreiheit bei Penn .... 46 4.1 Penn und West Jersey ...... 47 4.2 Erhalt Pennsylvanias und die Frames of Government ...... 50 5 Vergleich der Religionsfreiheit in Pennsylvania, Maryland und Rhode Island ...... 58 5.1 Act of Toleration 1649, Maryland ...... 58 5.2 Die Religionsfreiheit bei Roger Williams ...... 61 6 „Integration“ und Wirken der Deutschsprachigen in den Kolonien ...... 66 7 Resümee ...... 73 8 Literaturverzeichnis ...... 76

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Einleitung

„Das wichtigste dieser Schrift möchte wohl die Erzehlung der Schiksale seyn, die auf den größten Theil der unglüklichen Leute warten, die Teutschland verlassen, um in der neuen Welt ein ungewisses Glük zu suchen, an dessen statt aber wo nicht den Tod, doch gewiss eine beschwerliche Knechtschaft und Sklaverey finden.“1

Diese Worte schrieb Gottlieb Mittelberg einleitend in seinem Bericht über Pennsylvania und die Erfahrungen, die er während seines Aufenthaltes sammeln konnte. Dieser Bericht war von ihm als Warnung an die auswanderungswilligen Deutschen gedacht. Die von den Agenten

William Penns in Umlauf gebrachten Flugblätter, Mundpropaganda der Rotterdamer Werber und Berichte von Franz Daniel Pastorius, Josua von Kocherthal, aber auch veröffentlichte

Briefe von Christoph Sauer hatten zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Auswanderung in die britischen Kolonien, allen voran Pennsylvania, befeuert. Ausgelöst wurden die transatlantischen Emigrationen vor allem durch die Auswirkungen des 30-Jährigen Krieges, die nicht nur zu wirtschaftlicher Verelendung weiter Gebiete in Deutschland und der konfessionellen Verfolgung religiöser Minderheiten führte, sondern die auch einen Konflikt mit Frankreich nach sich zogen, der gerade für die Auswanderungswelle von 1709 von großer

Bedeutung war. Zu Beginn der Arbeit werden William Penns Reisen nach Holland und

Norddeutschland beleuchtet, um aufzuzeigen, wie er über seine Verbindungen zu den pietistischen Zirkeln um Johanna von Merlau bereits vor Erhalt der Provinz Pennsylvania die

Besiedelung dieses Gebietes zu planen begann. Im Zuge der Darstellung der

Massenauswanderung von 1709 wird sowohl auf die Vorgeschichte des Kurfürstentums

Rheinland-Pfalz als auch auf die Situation in England eingegangen, das aufgrund dieses Stroms an Menschen mit innenpolitischen Unruhen zu kämpfen hatte. Das zweite Kapitel legt die

Schwierigkeiten einer transatlantischen Reise mittels zeitgenössischer Berichte von

Auswanderern dar. Weiters werden die Folgen einer aus Rotterdam gelenkten, immer besser funktionierenden Auswanderungs-Branche untersucht, wobei das Hauptaugenmerk auf dem

Redemptioner-System und dessen Bedeutung für die Emigranten liegt. Es folgt im dritten

1 Gottlieb Mittelberger: Gottlieb Mittelbergers Reise nach Pennsylvanien im Jahr 1750 und Rückreise nach Teutschland im Jahr 1754. Jenisch: Stuttgart, 1756, Vorrede. 2

Kapitel die Untersuchung, wie sich die Gruppe um Franz Daniel Pastorius in ihrer neuen

Heimat organisierte, wobei die politische Relevanz dieser Gemeinde in einem weiteren

Abschnitt anhand der Person von Johann Christoph Sauer belegt wird. Das vierte Kapitel behandelt die Herausbildung provinzieller (vorstaatlicher), politischer Strukturen. Anhand der

Chronologie der Frames of Government of Pennsylvania, in denen auch auf den politischen

Werdegang von William Penn eingegangen wird, soll gezeigt werden, dass im Fall

Pennsylvanias die Religionsfrage auch auf Verfassungsebene ein prägendes Element war.

Gleichzeitig wird durch die Analyse der verschiedenen Frames of Government ein Einblick in die damalige politische Lage und die Anfangsschwierigkeiten der Provinz ermöglicht. Das fünfte Kapitel vergleicht das Zustandekommen der Religionsfreiheit von Pennsylvania mit jenen von Maryland und Rhode Island. Auf diesem Weg wird gezeigt, dass die

Religionsfreiheit, die damals, angesichts der aus Europa gewohnten Kirche-Staats-

Beziehungen, etwas absolut Neues war, ein politisches Instrument darstellte, mit dem jeweils unterschiedliche Ziele verfolgt wurden. Die Untersuchung der deutschen Gemeinde im

Mohawk-Valley, die im sechsten Kapitel erfolgt, zeigt die unterschiedlichen Wege der

„Integration“ und die daraus resultierenden Folgen auf. Des Weiteren lässt sich gerade im

Vergleich der Gemeinden von Germantown und Mohawk-Valley erklären, woraus die gravierenden Unterschiede in den Beschreibungen des Lebens in der Kolonie resultierten.

Zur historischen Verortung

Einen Staat „Deutschland“ gab es noch nicht: Das 660.000 km² umfassende Gebiet des Reiches verfügte mit Beginn des 18. Jahrhunderts über etwa 27 Millionen Einwohner und war in 310

Territorien und 50 Reichsstädte aufgeteilt.2 Für das Reich war das Jahr 1683 vor allem aufgrund der abgewehrten Belagerung Wiens durch die Osmanen und deren anschließende

Vertreibung über den Balkan von Bedeutung. Dies führte dazu, dass eine Migration in die nun befreiten ungarischen Gebiete einsetzte, die weit größer war als die Amerika-Emigration in

2 Vgl. Hans Fenske: International Migration: Germany in the Eighteenth Century. In: Central European History, Vol.13, No.4 (Dec.1980), pp.332-347. Hrsg. von: Cambridge University Press on Behalf of the Conference Group for Central European History of the American Historical Association, S.332. Im Folgenden unter der Sigle “Fenske” zitiert. 3 den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts.3 Die Jahre zwischen 1683 und 1709 markierten jenen Zeitraum, in dem die Emigration aus Deutschland erstmals die Immigration überwog.4

Dies geschah entgegen der von Johann Joachim Becher um 1660 aufgestellten

Wirtschaftstheorie, dass die Stärke eines Staates von dessen Einwohnerzahl abhänge, was in

Folge des 30-Jährigen Krieges dazu führte, dass hunderttausende Immigranten sehr willkommen waren, um die entvölkerten Gebiete wieder zu besiedeln.5 Mit dem extrem kalten

Winter von 1708/09 setzten die ersten großen interkontinentalen Migrationsströme ein, die von einem „well-organized propaganda system“ massiv beeinflusst wurden.6 Fenske stellt aber klar, dass bei diesen Emigrationen, welche die Deutschen auch nach Russland führten, das nach dem Sieg über die Türken 1739 im Süden des Landes unter Bevölkerungsmangel litt, die Pull-Faktoren immer von größerer Bedeutung waren als die Push-Faktoren. Fenske erläutert weiters, dass Faktoren wie religiöse Unterdrückung, potenzielle kriegerische

Auseinandersetzungen und die Gefahr von Hungersnöten vor allem in den kontinentalen

Emigrationszielen nicht seltener als in den deutschen Gebieten vorkamen, aber der Anreiz einer wirtschaftlich besseren Lage die Menschen trotzdem zur Auswanderung bewegte.7 Dies ist wichtig für die Beurteilung der Auswanderung nach Nordamerika. Betrachtet man die

Migrationsströme dieser Zeit, wird deutlich, dass Nordamerika bei weitem nicht das Hauptziel der Emigranten war. Dennoch erörtert die vorliegende Arbeit die Rolle der

Religionszugehörigkeit bei der Organisation der Emigrationen nach Nordamerika, dargestellt anhand der Quäker und deren Netzwerken sowie den Einfluss, den die religiösen

Überzeugungen der Provinzhalter, allen voran William Penn, aber auch jene von George

Calvert und Roger Williams bei der Konstituierung der jeweiligen Regierungen und

Verfassungen in den Provinzen hatten.

3 Vgl. ebda, S.333. 4 Vgl. ebda. 5 Vgl. ebda, S.334. 6 Vgl. ebda, S.337. 7 Vgl. ebda, S.338. 4

1 Deutsche Einwanderungswellen nach Nordamerika, 1683 und 1709

Einleitend für die folgenden Abschnitte werden in diesem Kapitel die Wellen deutscher

Einwanderung von den 1683 und 1709 betrachtet. Das Augenmerk wird dabei auf den beidseitigen Nutzen und die sich daraus ergebende Beschleunigung des

Einwanderungsprozesses gelegt. Agnes Bretting nennt die Jahre 1709, 1749-1752, 1757, 1759 und 1782 als jene der „Massenauswanderung“ der Deutschen nach Nordamerika.8 Besagte

Zeiträume sollen mit Ereignissen auf europäischem Boden in Verbindung gebracht und die

Rolle William Penns in den Anfängen der Auswanderungen untersucht werden.

1.1 Penns Reise 1677 und die Auswanderung von 1683

Am 26. Juli 1677 bestieg William Penn9 in Harwich ein Schiff, das ihn in die Niederlande brachte, wo eine Versammlung in der schon seit zwanzig Jahren bestehenden Gemeinde der

8 Vgl. Agnes Bretting: Mit Bibel, Pflug und Büchse: deutsche Pioniere im kolonialen Amerika. In: Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart, S. 135-148. Hrsg. von Klaus J. Bade. München: Beck, 1992, S.142. 9 William Penn (14.10.1644, London-30.7.1718, Buckinghamshire): Penn war der Sohn des Admirals Sir William Penn. Penns Ausbildung fand in Essex statt, wo er unter puritanischen Einfluss kam. Nach der Niederlage von Sir William Penn 1655 in den West Indies, zog die Familie nach London und von dort nach Irland, wo William Penn mit dem Quäker Thomas Loe in Kontakt kam. 1660 inskribierte Penn an der OxfordUniversity, von der er aber aufgrund seiner Ablehnung des Anglikanismus 1662 ausgeschlossen wurde. Er wurde daraufhin von seinem Vater zu einer Tour durch Europa verpflichtet, die auch einen Aufenthalt am protestantischen College in Saumur, Frankreich beinhaltete. Nachdem Penn von dieser Tour nach zwei Jahren zurück nach London kehrte, besuchte er ein Jahr lang Vorlesungen der Rechtswissenschaften am Lincoln’s Inn. 1666 trat er offiziell den Quäkern bei, was vier Mal zu seiner Verhaftung führte. Von seinen zahlreichen Publikationen ist “No Cross, no Crown“, das im Tower von London 1669 entstand, das bekannteste. Penns Vorstellungen von Religionsfreiheit sind Thema in “The Great Case of Liberty of Conscience Once More Debated and Defended”. Der so genannten “Bushell’s Case”, in dem gerichtliche Jurymitglieder verhaftet wurden, da sie Penn nicht verurteilten und somit nicht dem erwarteten Schuldspruch nachkamen, war äußerst bedeutend für die englische Jurisdiktion: Sir John Vaughan, der die Position eines vom König ernannten Justizministers innehatte, ließ die Jurymitglieder enthaften, woraufhin schriftlich festgehalten wurde, dass die Entscheidung der Jurymitglieder zur Kenntnis genommen werden musste, was die endgütige Unabhängigkeit der Jury bei Gericht besiegelte. 1671 und 1677 unternahm er Reisen nach Holland und Deutschland, um für die Sache der Quäker zu werben. Prominentester Reisegefährte war George Fox, der Gründer der Quäker. 1672 heiratete Penn Gulielma Springett. Er wurde Trustee von Eduard Byllynge, dem eine Hälfte von West New Jersey gehörte. 1681 kam er in den Besitz der Provinz westlich des Delawares, die Penn nach seinem Vater Pennsylvania nannte. Penn segelte erst 1682 nach Nordamerika, musste aufgrund von Grenzstreitigkeiten mit Lord Baltimore aber schon 1684 wieder zurück nach England. Sein gutes Verhältnis mit James II. Half ihm, viele Quäker aus englischer Gefangenschaft zu befreien. Als William von Oranien auf den Thron kam, hatte das vormals gute Verhältnis zu James II. negative Konsequenzen für Penn: Die Regierungsgewalt über Pennsylvanien wurde Penn von 1692-1694 entzogen und an die Provinz New York übertragen. 1699 kehrte Penn mit seinem Sekretär James Logan nach Pennsylvania zurück. 1701 unterzeichnete Penn die Charter of Privileges, musste Penn nach England zurück. Er übergab die Geschäfte an James Logan. Da er von vielen anderen Vertrauten übergangen wurde und große Schulden anhäufte, musste Penn für einige Monate in das Schuldgefängnis. Enttäuscht von seinem “Holy Experiment”, dachte er in seinen letzten Jahren daran, die Provinz an die englische Krone zu übergeben. Diese Verhandlungen konnten aufgrund eines 5

Quäker stattfand.10 Von dort reiste er weiter nach Deutschland.11 Als Quäker kommend, legte er mit seinem Werben um Glaubensgenossen den Grundstein dafür, dass Pennsylvania sich in den folgenden Jahrzehnten als Zentrum der deutschen Migranten in Nordamerika etablieren konnte. Die ersten Versuche der Quäker, in Europa Fuß zu fassen, geschahen allerdings bereits gut zwanzig Jahre zuvor mit den Missionarsreisen von William Ames (1655-1662), William

Caton (1656 – 1665) und jenen von Stephen Crisp, der seit 1663 in Europa missionierte.12 Die

Idee für Penns „Holy Experiment“ war zu diesem Zeitpunkt schon lange gereift, jetzt galt es,

Siedler anzuwerben und seine Vorstellungen auf dem europäischen Festland weiter zu verbreiten. William Penns Verhältnis zu seinem gleichnamigen Vater, einem Admiral mit großem politischen Einfluss, war zeitweise derart zerrüttet, sodass ihn der Vater auf Reisen nach Frankreich verbannte.13 Gerade in dieser Zeit dürfte er erstmals mit der Bewegung der

Quäker, der „Society of Religious Friends“, wie sie sich selbst nennen, in Berührung gekommen sein.14 Um der im Jahr 1665 in England ausbrechenden Pest zu entfliehen, ging William Penn nach Irland, wo er mit Thomas Loe in Kontakt kam, der ihn endgültig für die Sache der Quäker gewinnen konnte.15 Seine Bekehrung wird auf das Jahr 1668 datiert - zusammen mit Barclay und George Fox16 wurde er nun ein führender Vertreter der Quäker-Bewegung, was ihn

Schlaganfalls Penns nicht zu Ende geführt werden. (Vgl. Frederick B. Tolles: William Penn. In: Encylopedia Britannica. Hrsg. Von Encyclopaedia Britannica inc. [URL: https://www.britannica.com/biography/William-Penn-English-Quaker-leader-and-colonist], aufgerufen am 23.04.18. [URL: http://www.ushistory.org/penn/bio.htm], aufgerufen am 23.04.18. 10 Vgl. Marion Dexter Learned: The Life of Franz Daniel Pastorius. The Founder of Germantown. Philadelphia: William Campbell, 1908. S.105. Im Folgenden unter der Sigle „Learned“ zitiert. 11 Vgl. Oswald Seidensticker: William Penn’s Travels in Holland and Germany 1677. In: The Pennsylvania Magazine of History and Biography, Vol. 2, Nr. 3 (1878), S.237-282. University of Pennsylvania Press, S. 238. Im Folgenden unter der Sigle “Seidensticker: Travels” zitiert. 12 Vgl. Learned, S.104. 13 Vgl. George Hodges: William Penn. (= The Riverside Biographical Series, 6). New York: Houghton and Mifflin, 1901, S.24f. Im Folgenden unter der Sigle „Hodges“ zitiert. 14 Vgl. ebda, S.25. 15 Vgl. ebda, S. 29-31. 16 George Fox (Juli 1624, Drayton-in-the-Clay, Leicestershire – 13.01.1691, London). Fox war Sohn eines Webers. Es finden sich keine Quellen, dass Fox einer geregelten Arbeit nachging und auch über keine höhere Bildung verfügte. Da er trotzdem genügend finanzielle Mittel besaß, widmete er sich privaten theologischen Studien. Religiös stand er den Puritanern näher als den Anglikanern, stellte aber persönliche Erfahrungen über die Dogmen religiöser Lehrschriften. Als er zu predigen begann, gelang ihm bald die Gründung eigener Gemeinde, aus denen die Society of Friends (Quäker) hervorgingen. Mitglieder der Quäker respektierten keine kirchlichen Autoritäten, legten nicht den Eid auf die Krone ab und Verweigerten den Waffendienst. Dies geschah im Zeitraum von 1649-1660. Ab 1660 wurden die Quäker massiv verfolgt. Anerkennung folgte mit dem Toleration Act von 1689. Missionsreisen führten Fox nach Irland, Holland, Norddeutschland, in die Karibik, nach Rhode Island und 6 mehrmals in Haft brachte. Eine ererbte Schuldforderung über 16.000 Pfund Sterling17 an Karl

II., die von diesem anerkannt wurde, brachte Penn in den Besitz und die Regierungsgewalt jenes Gebietes, das von nun an Pennsylvanien hieß und in dem er sein „Holy Experiment“ in die Tat umsetzen konnte.18 Dieses Experiment hatte die Schaffung einer „harmonischen“19

Gesellschaft zum Ziel und Penn war sich im Klaren darüber, dass seine Ideale, auf denen er diese Gesellschaft errichten wollte, in Amerika eine größere Chance hatten realisiert zu werden als in Europa.20 Während der Regierungszeit Karl II. kamen über 15.000 Quäker in britische Haft, an die 4.000 starben in Gefangenschaft.21 Nicht gänzlich geklärt werden kann die Frage, was Karl II. dazu veranlasste, Penns Forderung mit einer derart potenziell wichtigen

Region und zusätzlich so weitreichenden Rechten, sogar für Penns Erben, abzugelten.22

Seidensticker erwähnt in seinem Artikel, dass die Quäker damals in Deutschland der die anderen Glaubensgemeinschaften einigende Feind einer ohnehin zerrissenen Gesellschaft waren. Um dies zu untermauern führt Seidensticker die Titel von Druckwerken an, die sich gegen die Quäker wandten: „Quaker-Grewel, d.i. abscheuliche, aufrührische verdambliche

Irthumb der neuen Schwermerei“, 1661 in Hamburg gedruckt; „Neue Schwarmgeister Brut“ von Johann Berkendal, ebenfalls 1661 gedruckt.23 Penn wusste, bei wem seine Ideen Anklang finden würden und die gute Vernetzung der Quäker half ihm, sowohl Unterkunft zu bekommen als auch eben jene Personen, die er in sein Vorhaben einweihen wollte, zu finden.24 Laut dem Bericht waren einige Frauen unter seinen engeren Vertrauten: In

Westfalen kam es am 10. August 1677 zu einem Treffen mit Elisabeth von der Pfalz, der Nichte

Maryland. Vgl. Henry J. Cadbury: George Fox. In: Encyclopaedia Britannica. [Online-Version: URL: https://www.britannica.com/biography/George-Fox, aufgerufen am 25.04.18]. Eine kommentierte Autobiografie ist unter http://www.strecorsoc.org/gfox/title.html abrufbar. 17 Vgl. Rudolf Cronau: Eine Geschichte der Deutschen in den Vereinigten Staaten. Reimer: Berlin, 1909. S.50. Im Folgenden unter der Sigle „Cronau“ zitiert. 18 Vgl. Paul Gerhard Aring: William Penn. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd.7. Hrsg. von F.W. Bautz. Herzberg: Bautz, 1994. Sp.186f. 19 Penns Vorstellung dieser Harmonie und seine sich daraus ergebende Gesetzgebung für Pennsylvania ist Thema des Kapitels 4.2. 20 Vgl. William Wistar Comfort: William Penn and Our Liberties. Philadelphia: Penn Mutual Life Insurance Company, 1947, S.12. Im Folgenden unter der Sigle “Comfort“ zitiert. 21 Vgl. Bryan LeBeau: Religion in America to 1865. New York: New York University Press, 2000, S.43. 22 Vgl. http://www.phmc.state.pa.us/portal/communities/documents/1681-1776/pennsylvania-charter.html 23 Vgl. Seidensticker: Travels, S.241f. 24 Vgl. ebda, S.268. 7 von Karl I. und Äbtissin des Frauenklosters Herford, die heute vor allem für ihren Briefwechsel mit René Descartes bekannt ist. Diese schien von den Ideen der Quäker sehr angetan zu sein und lud sie sogar mehrmals zu sich ein. 25 Von anderer Seite wird aber darauf hingewiesen, dass sich Elisabeth de facto zu keinem eindeutigen Bekenntnis zu den Quäkern hinreißen ließ und der offene Empfang für Penn und seine Anhänger vielleicht doch mehr politisches Kalkül als wahres Interesse darstellte, waren die schottischen Quäker doch von Bedeutung in den

Bemühungen um den englischen Thron.26 Barclay und Elisabeth blieben weiterhin in

Briefkontakt, sie bewirkte bei ihrem Cousin, dem Duke of York, sogar die Freilassung Barclays, als dieser in Haft kam sowie die Immunität aller schottischen Quäker, doch obwohl Penn mit zunehmenden Druck auf Elisabeth einzuwirken versuchte, scheiterte er an ihrer

Grundhaltung, die es nicht als notwendig erachtete, andere von Glaubensinhalten zu

überzeugen.27 Am 20. August 1677 erreichte die Gruppe Frankfurt, wo sie auf Johanna

Eleonora von Merlau und Maria Juliana Bauer trafen, zwei Damen, die noch eine entscheidende Rolle bei der Gründung von Germantown spielen werden.28 Von Merlau, welche 1680 den Namen ihres Mannes (Petersen) annahm, kann als Beleg einerseits dafür gesehen werden, dass es gerade Frauen waren, welche in den Führungsposition der pietistischen Strömungen standen, und anderseits zeigt sich an ihr sehr schön die internationale Vernetzung, über welche die verschiedenen pietistischen Gruppen verfügten.29

Die Führungspositionen der Frauen in den pietistischen Strömungen erklärt Martin mit den politisch instabilen Zeiten und der weit verbreiteten Weltuntergangsstimmung, welche besondere Bedingungen hervorbrachte, ja sogar erforderte und so althergebrachte

Anschauungen aufweichte oder gar verwarf.30 Der Umstand, dass eben diese Frauen in der

Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts so gut wie nicht präsent sind, ist der sich bis zu

25 Vgl. ebda, S.254. 26 Vgl. Lisa Shapiro: Elisabeth, Princess in Bohemia. [URL: https://plato.stanford.edu/entries/elisabeth- bohemia/#CorQua; zuletzt abgerufen am 04.05 2018]. 27 Vgl. Lucinda Martin: Female Reformers as the Gatekeepers of : The Example of Johanna Eleonora Merlau and William Penn. In: Monatshefte, Vol. 95, No. 1 (Spring 2003), S.33-58. University Wisconsin Press, 2003. S.39-41. Im Folgenden unter der Sigle Martin: Female Reformers zitiert. 28 Vgl. Seidensticker: Travels, S.260. 29 Vgl. Martin: Female Reformers, S.33. 30 Vgl. ebda. 8 diesem Zeitpunkt entwickelten Radikalität in jenen Gruppierungen geschuldet, die zwar oftmals auf eben den theologischen Überlegungen dieser Frauen beruhte, jedoch zur Folge hatte, dass es damals schlichtweg nicht mehr vorstellbar war, Frauen eine derart wichtige

Funktion zukommen zu lassen.31 Beispielgebend sei eine Beschreibung der Johanna Maria von

Merlau/Petersen von Oswald Seidensticker aus dem Jahr 1883 gegeben: „…denn als

Verfasserin von Folianten über abstruse theologische Fragen trat sie erst auf, nachdem sie sich mit dem gelehrten Theologen, Dr. Wilhelm Petersen, verheiratet hatte.“32 Martin verweist wiederum auf die Habilitationsschrift von Ruth Albrecht, die zwar nicht als erste, aber am umfassendsten diesen Irrtum aufklärt und darlegt, dass von Merlau bereits davor großen

Einfluss hatte und die Heirat vor allem ein Mittel zum Zweck war, um ihre gesellschaftliche

Akzeptanz zu erweitern.33 Religiöse Gruppen von außen versuchten nun ganz gezielt über eben jene zumeist adelige und bestens ausgebildete Frauen ihre religiöse Anschauung in

Europa verbreiten zu können. Antoinette Bourignon und Anna Maria von Schurmann sind als weitere Damen zu nennen, die große Bedeutung für die Verbreitung religiös abweichender

Anschauungen hatten.34 Merlaus Bedeutung für die Quäker bestand einerseits darin, dass durch sie die Bewegung Verbreitung in Europa fand - es war dabei vor allem ihr geistlicher

Berater Johann Jacob Schütz, der sich stark publizistisch einsetzte, und andererseits ihre

Bemühungen um die Frankfurt-Land-Kompagnie (Frankfurt Company).35 Maria Juliane Bauer von Eyseneck wiederum war eine enge Vertraute von Philipp Jakob Spener und hatte eine stark vermittelnde Funktion in dieser Zeit.36 Bauer von Eyseneck, von Merlau, Schütz sowie

Dr. Gerhard Mastricht, ein Pietist, den Penn bei dem missglückten Versuch eines Treffens mit der Gräfin von Falkenstein kennenlernte,37 gehörten zur Gründungsriege der Frankfurt

Company, deren Ziel es war, Land für deutsche Glaubensflüchtlinge in Nordamerika zu kaufen,

31 Vgl. ebda, S.34. 32 Oswald Seidensticker: Gründung von Germantown im Jahre 1683. Festschrift zum deutsch-amerikanischen Pionier-Jubiläum am 6. October 1883. Global Printing: Philadelphia, 1883. S.30. Im Folgenden unter der Sigle Seidensticker: Gründung“ zitiert. 33 Vgl. Martin, S.35. 34 Vgl. ebda, S.36. 35 Vgl. ebda, S.42 und 46. 36 Vgl. ebda, S.35. 37 Vgl. ebda, S.34. 9 und die Seidensticker als Wegbereiter für Germantown sieht.38 Da die Company 1682 gegründet wurde und die genannten Erstteilhaber sich alle mit Penn im Jahre 1677 getroffen hatten, zieht Seidensticker den Schluss, dass es eben aufgrund des Treffens mit Penn zu dieser

Gründung kam.39 Als Beweis zitiert er Pastorius, der selbst erst 1686 Teil der Company wurde und in seinen Memoiren davon berichtet, wie er davon erfuhr.40 Martin hält dem entgegen, dass keines der Gründungsmitglieder jemals nach Amerika auswanderte und der Plan der

Company, eine eigenständige, separate Gesellschaft in Amerika zu gründen, niemals verwirklicht wurde.41 Es ist unbestritten, dass es ausgiebigen Kontakt und gegenseitige

Beeinflussung zwischen den Gruppen gab – die Gründung der Company aber direkt mit der

Reise Penns 1677 zu verknüpfen, wie Seidensticker es tat, mag vielleicht vorschnell gewesen sein. Franz Daniel Pastorius, der zunächst gar nicht in die Pläne der Company eingeweiht war

– er kehrte erst 1680 von seiner Kavalierstour mit Johann Bonaventura von Bodeck zurück, den er auf Vemittlung von Spener begleiten durfte42-, wurde 1682, als Penn bereits Besitzer von Pennsylvania war, Beauftragter der Gesellschaft für den Landkauf und führte im

Folgenden die erste deutsche Siedlergruppe in Germantown an.43 Die Frankfurt Company erwarb 25.000 Acker44 Land, was in etwa 100 km² entspricht. Mit 18.000 Acker Land sicherte sich die Krefelder Gemeinde dabei den größten Anteil.45 Der von Cronau angegebene Erbpacht von einem Schilling je 100 Acker46 ist übereinstimmend mit ein Schilling Grundrent je 100

Morgen, den Gottlieb Mittelberger in seinem Bericht angibt.47 Am zweiten April 1683 reiste

Pastorius nach Krefeld, wo einige der dortigen Mitglieder Pastorius zusicherten, ebenfalls die

Überfahrt nach Pennsylvania anzutreten. Am 6. Juni trat Pastorius von Gravesend aus seine

Reise nach Amerika an, die am 20. August ein Ende hatte.48 Am 6. Oktober kamen die 13

38 Vgl. Seidensticker: Travel, S.263. 39 Vgl. ebda. 40 Vgl. ebda, S.264. 41 Vgl. Martin, Fußnote 107. 42 Vgl. Learned, S.90. 43 Vgl. ebda, S.108f. 44 Acker wird in dieser Arbeit als Übersetzung des englischen acre verwendet. Dessen Fläche beträgt 4047m². Grob 2,5 Acker ergaben einen Hektar. 45 Vgl. Cronau, S.51. 46 Vgl. ebda. 47 Vgl. Mittelberger, S.42. 48 Vgl. Cronau, S.52. 10

Krefelder Familien an, eine Gruppe von insgesamt mindestens 33 Personen, die zusammen mit Pastorius die Gründer von Germantown waren.

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1.2 Massenauswanderung der Pfälzer 1709

Die erste große Auswanderungswelle erfolgte 1709 bei der es sich, im Unterschied zu jener von 1683, um eine Massenauswanderung handelte. Weiters führte diese Welle nicht nur nach

Amerika, sondern vor allem nach England, was dort große innenpolitische Debatten zur Folge hatte. Als weiterer wichtiger Unterscheidungsfaktor ist zu nennen, dass es sich bei den

Auswanderern 1683 um eine überschaubare, religiös anders ausgerichtete Gruppe handelte, die das Abenteuer der Emigration wagte, um in Pennsylvania ihrem Glauben frei nachgehen zu können – es war demnach eine konfessionell motivierte Auswanderung einer Gemeinde.

Die Auswanderungswelle von 1709 kann als Ergebnis der politischen Unruhen der vorausgehenden Jahrzehnte gesehen werden. Auch Cronau argumentiert auf diese Art und sieht einen Übergang weg von der religiös hin zu einer wirtschaftlich motivierten

Auswanderung.49 Wenn auch die Konfessionen in damaliger Zeit nicht von der Politik zu trennen waren, so soll der folgende Abschnitt doch zeigen, dass es vor allem wirtschaftspolitische Ambitionen waren, welche die Leute dazu brachten, ihre Heimat zu verlassen. Zusätzlich soll geklärt werden, warum es von England zunächst das Werben um die

Deutschen gab, dann aber Überforderung und Abweisungen überhandnahmen.

Als 1709 die große Auswanderung der Pfälzer einsetzte, hatte das Gebiet fast ein ganzes

Jahrhundert ständiger kriegerischer Auseinandersetzungen hinter sich. Ein mit Kurfürst

Friedrich V. beginnender historischer Abriss soll in dieser Arbeit darlegen, warum es gerade die Pfalz war, in der die ersten großen Auswanderungen stattfanden. Der 1596 geborene

Friedrich wurde 1614, mit dem Erreichen der Volljährigkeit, Kurfürst von der Pfalz, wobei darauf hingewiesen wird, dass er zwar im Stil der Amtsführung eine erhebliche Änderung vollzog – als „elegant-französisch“ wird sein Hofstil beschrieben – seine Handlungen als

Kurfürst aber vielfach und weitgehend von den Ratgebern vorgegeben wurden. Gerade dieser

49 Vgl. Cronau, S.97. 12 französische Stil war es aber, der die Finanzen der Pfalz sprengte.50 Cronau beschreibt diese

Situation, die nicht nur auf die Pfalz zutraf, auf seine eigentümlich pathetische Weise:

„Auf ihr Gottesgnadentum pochend und ihre Länder als persönliches Eigentum betrachtend, zwangen sie ihre Untertanen in ein entwürdigendes, von völliger Leibeigenschaft kaum noch zu unterscheidendes Knechtschaftsverhältnis.“51

Verheiratet war Friedrich V. mit Elisabeth Stuart, zwei seiner Töchter hießen Elisabeth, wobei es sich bei der jüngeren Elisabeth um jene Äbtissin von Herford handelte, die ausgiebigen

Kontakt mit der Reisegruppe um William Penn im Jahr 1677 hatte. Seine durch Vermählung entstandene enge Beziehung zum Hause Stuart sollte später seinem Sohn bei der Schließung der Friedensverträge zu Gute kommen. Nennenswert ist auch der Umstand, dass die Linie der pfälzischen Wittelsbacher dem Calvinismus angehörte, was vor allem für die Zeit nach dem

30-jährigen Krieg von Bedeutung war.52 Alle weiteren Verstrickungen in die damalige Politik sowie die verschiedenen Kriegsetappen in der Pfalz während des Krieges sollen weitestgehend ausgeklammert werden, wenn nicht ein unmittelbarer Bezug zu den Geschehnissen des verbleibenden Jahrhunderts gezogen werden kann. 1623 musste Friedrich einen von England und Spanien ausgehandelten Friedensvertrag ratifizieren, sein Sohn Karl Ludwig folgte ihm, nun als achter Kurfürst nach, da die vormals pfälzische fünfte Kur an Bayern übergegangen war, erst nach dem Westfälischen Frieden im Jahr 1649.53 Karl Ludwig war 1620 in die

Niederlande geflohen, wo er unter der Aufsicht von Friedrich Heinrich von Oranien aufwuchs und ausgebildet wurde. Da der Prager Frieden von 1635 die pfälzischen

Wiederherstellungsansprüche so gut wie gänzlich überging, zog Karl Ludwig nach England.54

Seine engen Verbindungen zum Hause Stuart halfen maßgeblich dabei, dass seine

Restitutionsansprüche Thema der europäischen Diplomatie blieben und es im Westfälischen

50 Vgl. Friedrich Hermann Schubert: "Friedrich V." in: Neue Deutsche Biographie 5. Hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1961. Berlin: Dunker und Humboldt, 1971, S.535. 51 Cronau, S.49. 52 Vgl. Christian Decker: Die „Zweite Reformation“, Flüchtlingsbewegungen und der steinige Weg durch das katastrophale 17. Jahrhundert. Von Calvins Einfluss. [URL: http://www.pfalzgeschichte.de/die-zweite- reformation-fluechtlingsbewegungen-und-der-steinige-weg-durch-das-katastrophale-17-jahrhundert/], Aufgerufen am 8.3. 2018. 53 Vgl. Peter Fuchs: Karl I. Ludwig: In: Neue Deutsche Biografie 11. Hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. Berlin: Dunker und Humboldt, 1977, S.246. 54 Vgl. ebda. 13

Frieden zu einer der Pfalz sehr entgegenkommenden Lösung kam, vor allem wenn man bedenkt, dass Karl Ludwig 1638 mit Hilfe seiner erkauften Herrschaft in Meppen im Emsland vergeblich versuchte, in den Krieg einzugreifen. Dem der Pfalz entgegenkommende

Friedenschluss waren Verhandlungen am Hamburger Kongress 1638/39 und am

Regensburger Reichstag 1640/41 vorausgegangen.55 Den Bevölkerungsverlust der Pfalz beziffert Cronau mit 43.000 Überlebenden von ursprünglich 500.000 Einwohnern, wobei er betont, dass darunter kaum 200 Bauern waren.56 Da die Oberpfalz an Bayern überging und die Unterpfalz auch nur in verkleinertem Zustand an ihn zurückfiel, was Karl Ludwig als

Schmähung betrachtete, entwickelte er eine für ihn charakteristische Rechthaberei, die ihn an die diplomatischen Grenzen führte, jedoch stets bemüht, den Frieden zu wahren.57 Noch im

Jahre 1667 hielten Söldner von Herzog Karl IV. von Lothringen westfälische Gebiete besetzt, wobei der Konflikt trotz einer Niederlage von Karl Ludwig bei Bingen 1668 nach Interventionen von Seiten des Kaisers und der Franzosen zu Gunsten von Karl Ludwig gelöst wurde. 1681 verheiratete er seine Tochter Liselotte von der Pfalz an den Herzog von Orléans, den Bruder von Ludwig XIV., in der Hoffnung, seine Beziehungen zu Frankreich festigen zu können. Der pfälzische Erbfolgekrieg, der von 1688 bis 1697 andauerte, sollte nicht nur die Vergeblichkeit dieser Hoffnung offenbaren, sondern auch entscheidend dafür sein, dass es 1709 zur ersten großen Auswanderung kam. Zuvor muss aber noch auf den oben erwähnten

Bevölkerungsrückgang um über 90 Prozent eingegangen werden. Karl Ludwig reagierte darauf mit einer groß angelegten Populationspolitik, wobei die Konfession der Zuwanderer zur

Nebensache wurde. Karl Ludwig verwendete die Kammergüter, reformierte die Verwaltung, bedachte die Bauern mit besonderem Schutz und versuchte auch anderweitig die Wirtschaft wieder anzukurbeln, was nur mäßigen Erfolg hatte.58 1674 musste er an der Seite von Leopold

I. gegen Frankreich in den Krieg ziehen, wobei es bezeichnend für Karl Ludwig ist, dass er aufgrund der grausamen Kriegsführung des Marschalls Turenne diesen persönlich zum Duell

55 Vgl. ebda. 56 Vgl. Cronau, S.46. 57 Vgl. Fuchs: Karl I. Ludwig, S.247f. 58 Vgl. ebda. 14 aufforderte, was dieser jedoch nicht annahm.59 Der Frieden von Nimwegen, der in der

Hoffnung auf die Rückkehr zum Status des Westfälischen Friedens geschlossen wurde, erfüllte seine Funktion nicht. Vielmehr stellt er den Anfang neuer Spannungen dar, die vor allem durch

Ludwigs XIV. aggressive Reunionspolitik bedingt waren.60 Trotz der andauernden politischen

Unruhen hatte die eher neutrale Einstellung gegenüber den Konfessionen zur Folge, dass die

Pfalz ein Sammelplatz der verschiedenen Sekten wurde.61 Laut Cronau waren auch einige

Hugenotten darunter, was mit ein Grund gewesen sei62 – neben dem Streben nach einer

Pufferzone den Deutschen gegenüber -, dass Ludwig XIV. 1688 wieder in die Pfalz einfiel.63

Tatsächlich war der sogenannte, jedoch im Titel irreführende Pfälzische Erbfolgekrieg der letzte Krieg seiner Reunionspolitik, die nach dem Westfälischen Frieden als „zuvor unbekanntes Instrument französischen Vorgehens im Zeichen der voll entfalteten Theorie staatlicher Souveränität“ die Politik im Reich stark beeinflusste.64 Kurfürst war seit 1680 Karl

Ludwigs Sohn, Karl II., ein kränklicher Mensch und allgemein als schwach bezeichneter

Herrscher, der bereits 1685 starb.65 Sein Tod war es, der Ludwig XIV. den Vorwand bot, aufgrund des Umstandes, dass sein Bruder mit Karls Schwester Liselotte von der Pfalz verheiratet war und Karl kinderlos starb, Anspruch auf das Erbe und somit die Herrschaft über die Pfalz zu erheben. Ludwig erhob diesen Anspruch im Alleingang – Liselotte hatte bereits zuvor auf ihr Erbe verzichtet. Martin führt allerdings an, dass es bis dato nicht geklärt sei, ob nicht der Kriegsminister Marquis de Louvois die treibende Kraft hinter diesem Angriff war.66

Zweifelhafte Berühmtheit bekam der Befehl Louvois, alles niederzubrennen – („Brûlez le

Palatinate!“), den Mélac am ordentlichsten ausführte.67 Karls Nachfolger, Philipp Wilhelm,

59 Vgl. ebda, S.248. 60 Vgl. Anton Schindling: Reichstag und Europäischer Frieden: Leopold I., Ludwig XIV. und die Reichsverfassung nach dem Frieden von Nimwegen (1679). In: Zeitschrift für Historische Forschung, Vol.8, No.2 (1991), S.159-177. Duncker und Humblot, 1981, S.160f. 61 Vgl. Peter Fuchs: Karl I. Ludwig, S.248. 62 Karl II. siedelte einige Hugenotten in Friedrichsfeld an. Vgl. Peter Fuchs: Karl II. In: Neue Deutsche Biografie 11. Hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. Berlin: Dunker und Humboldt, 1977, S.250. 63 Vgl. Cronau, S:97. 64 Vgl. Anton Schindling, S.160f. 65 Vgl. Peter Fuchs: Karl II., S.249. 66 Michael Martin: Mélac! In: Die Zeit. Portät. 20/2004. 6. Mai 2004. [URL: https://www.zeit.de/2004/20/ZL- Melac, aufgerufen am 04.05.2018]. 67 Vgl. ebda. 15 selbst streng katholisch, unterschrieb noch kurz vor Karls Tod den Schwäbisch-Hallischen-

Rezess, mit dem Karl den Protestantismus in der Pfalz schützen wollte.68 Philipp Wilhelm starb aber auch bereits nach fünf Jahren 1690 in Wien. Ihm wiederum folgte sein Sohn Johann

Wilhelm. Von diesem schreibt Cronau, dass er der Pfalz nicht nur den katholischen Glauben wieder aufzwang, sondern weiters die ohnehin vom Krieg geplagte Bevölkerung in seinem

Streben, die Lebensweise Ludwigs XIV. nachzuahmen, ausbeutete.69 Politisch agierte er resolut gegen Ludwig, schloss sich als erster Kurfürst der Haager Allianz an und brachte auf diese Weise die an Bayern verlorene Oberpfalz mitsamt der Grafschaft Cham sowie die ranghöhere vierte Kur wieder in Besitz der Pfalz.70 Nach abermaligen Verwicklungen in das europäische Kriegsgeschehen im Spanischen Erbfolgekrieg und dem Katastrophenwinter von

1708/09 im Zusammenhang mit den seit dem Westfälischen Frieden andauernden

Repressalien gegenüber den deutschen Sekten71 setzte nun jene Migration ein, die als

Massenauswanderung der Pfälzer von 1709 in die Geschichte eingehen wird.

Einer der diese Phase besonders prägenden Menschen war Josua Harrsch, der unter seinem

Pseudonym Josua Kocherthal diese Auswanderung entscheidend mit seinem 1709 erschienen

Büchlein „Außführlich- und umständlicher Bericht Von der berühmten Landschafft Carolina In dem Engelländischen America gelegen“ beeinflusste. Harrsch war ein protestantischer Pfarrer aus Eschelbronn in der Nähe von Karlsruhe, der bereits 1704 nach London reiste, wo er auf

Großgrundbesitzer aus Carolina und Pennsylvania traf, die in London gerade um Arbeitskräfte warben.72 Schon in seinem Vorwort aber bekannte der Autor, dass er sein Wissen nur von

„bestenskundigen und glaubwürdigen Personen“ hatte, fraglich sind jedoch die Hintergründe, warum der Bericht gar so schmeichelhaft und ohne wahre Nachfragen verfasst wurde.73 Nun sollen einige der geschilderten Annehmlichkeiten genannt werden – ein Vergleich mit der

68 Vgl. Vgl. Peter Fuchs: Philipp Wilhelm. In: Neue Deutsche Biografie 20. Hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. Berlin: Dunker und Humboldt, 2001, S.384. 69 Vgl. Cronau, S.98. 70 Vgl. Max Braubach: Johann Wilhelm. In: Neue Deutsche Biografie 10. Hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. Berlin: Dunker und Humboldt, 1974, S.517. 71 Vgl. Bernd Brunner: Nach Amerika. Die Geschichte der deutschen Auswanderung. Beck: München, 2009. S.12. 72 Vgl. ebda, S.20. 73 Vgl. Kocherthalern: Ausführlich- und umständlicher Bericht von der berühmten Landschaft Carolina. In dem Engelländischen America gelegen. An den Tag gegeben von Kocherthalern. 3. Druck. Oehrling: Frankfurt am Main, 1709, S.iii. 16 tatsächlichen Situation in Nordamerika wird im zweiten Abschnitt folgen. Neben Carolina wird von Harrsch auch ein Bericht über Pennsylvania abgegeben. Über Carolina sagt er, dass jedem

Hausvater 50 bis 100 Morgen Land geschenkt werden, die dann drei Jahre zinsfrei bleiben und danach ein englischer Stüber pro Morgen und Jahr bezahlt werden muss.74 Er lobt weiters, dass dortige Menschen frei verkehren können, es den „Herrschenden“ nur melden müssen, damit mögliche Gläubiger ihre Schulden geltend machen können.75 Besonders begehrt seien jene Handwerker, welche zusätzlich eigene Felder bewirtschaften. Diese müssten keine monetären Abgaben in Form von Grundsteuern leisten, wären dafür aber dazu verpflichtet, einen Teil der Ernte abzuliefern.76 Es folgen Schilderungen über die Fruchtbarkeit des Bodens, den einfach zu erlangenden Reichtum durch Viehwirtschaft, die vielfach vorkommenden

Bodenschätze sowie über den vollkommenen Frieden mit den Indianern.77 Naiv bis irreführend wird der Bericht, wenn es um die Mängel geht: An erster Stelle stünden die großen

Entfernungen zu anderen Orten, an zweiter der Mangel an Leuten generell und an dritter

Stelle der Mangel an Deutschen im Besonderen.78 Das Redemptioner-System, das sich für viele deutsche Einwandererfamilien zu einem fatalen Problem entwickelte, wird im Bericht erst bei den Beschreibungen zur Überfahrt nach Amerika und da auch mehr nebenbei erwähnt.79

Pennsylvania, dessen Darstellung weit geringeren Platz einnimmt als die Carolinas, kommt in dem Bericht weniger gut weg: Die Ländereien seien meistenteils bereits vergeben, die Winter strenger, weshalb die Kosten erhöht seien, da die Menschen mehr Gewand bräuchten, festere

Häuser bauen müssten und die Viehzucht sei schwieriger, da die Tiere für den Winter

Scheunen benötigten, was in Carolina aufgrund des milderen Klimas nicht der Fall sei. Weiters gäbe es nicht die Möglichkeit, das Redemptioner-System in Anspruch zu nehmen, da im dortigen Lande kein weiterer Bedarf an Arbeitskräften herrsche.80 Es bleibt an dieser Stelle die

Frage offen, ob es blindes Vertrauen in das Gehörte war, dass Harrsch zu dieser Schilderung

74 Vgl. ebda, S.11f. 75 Vgl. ebda, S.13. 76 Vgl. ebda. 77 Vgl. ebda, S.14-21. 78 Vgl. ebda, S.27. 79 Vgl. ebda, S.29. 80 Vgl. ebda, S. 35f. 17 verleitete oder ob er bei seiner Reise nach London geschäftliche Kontakte knüpfen konnte und ein Eigeninteresse an der Auswanderung weiterer Deutscher hatte. Anhaltspunkte gibt es dafür in dem dem Bericht angefügten Brief, den er vor seiner Überfahrt nach London schrieb.

Darin schildert er, wie er seit seiner Reise auf dem Rhein bis nach London von den verschiedensten Menschen beschenkt wurde, sei es noch auf dem Rhein, in Rotterdam oder in London. Die Leute beschreibt er als hilfsbereit und gütig. Die Königin selbst habe ihm 100

Pfund Sterling für sich und seine Gruppe geschenkt und zusätzlich alle Handwerker mit

Werkzeug ausstatten lassen. Nach getaner Überfahrt nach New York sollte die Gruppe Land und freien Unterhalt für ein Jahr geschenkt bekommen.81 Wirklich verheerend ist seine optimistisch klingende Verlautbarung, dass die Königin möglicherweise Schiffe zur Verfügung stelle, welche die Auswanderer in Rotterdam kostenlos abholten. Harrsch führt aus, dass „ein

Vorschlag geschehen [abgegeben wurde]“ und verspricht in dieser Sache nichts.82 Trotzdem wurde diese Schrift unglaublich populär und hatte einen Zug von annähernd 15.000 Pfälzern zur Folge, was bald darauf zu politischen Unruhen in England führte.83 Tatsächlich war die damalige Whig-Regierung bereit, die Auswanderer von Rotterdam nach England zu bringen, die Kosten für die Überfahrt nach Amerika wurde aber nie von der englischen Regierung getragen.84 Christian Staas verweist in einem Artikel auf Simone Eick, die Leiterin des

Deutschen Auswandererhauses in Bremen, die vermutet, dass das Anwerben weiterer

Auswanderer die Gegenleistung für eine freie Überfahrt war.85 Nachdem die Königin eine

Petition erhielt, in der sie von den Justices of Peace um die Erlaubnis gebeten wurde,

Spendensammlungen für die Ankömmlinge durchführen zu dürfen, gab sie nicht nur die

Erlaubnis dafür, sondern ließ selbst einen Brief verbreiten, in dem sie dazu aufforderte, in den

Kirchen Kollekten zur Unterstützung der Flüchtlinge durchzuführen.86 Um die Pfälzer

81 Vgl. ebda, S.69-71. 82 Vgl. ebda, S.30. 83 Vgl. Brunner, S.20. 84 Vgl. Emil Heuser: Pennsylvanien im 17. Jahrhundert und [sic!] Die ausgewanderten Pfälzer in England. Neustadt a.d. Hardt: Witter, 1910, S.60. Im Folgenden unter der Sigle „Heuser“ zitiert. 85 Vgl. Christian Staas: Wohin mit all den Flüchtlingen? In: Die Zeit. 01/2016 vom 13. Jänner 2016. [URL: http://www.zeit.de/2016/01/deutsche-fluechtlinge-london-daniel-defoe-anne-stuart, aufgerufen am: 04.05.2018]. 86 Vgl. Frank Ried Diffenderffer: The German Exodus to Englnad in 1709. Lancaster: 1897, Pennsylvania-German- Soviety, S.294. Im Folgenden unter der Sigle „Diffenderffer“ zitiert. 18 unterbringen zu können, wurden in der Folge Zeltstädte in Blackheath und Camberwell errichtet.87 Publizistisch aktiv wurde in dieser Causa auch ein gewisser Daniel Defoe, der vor seinem literarischen Durchbruch in seinem „Review of the State of British Nation“ vom 2. Juli

1709 die Flüchtlingsproblematik behandelte.88 Die gesamte Bewältigung der Migrationswelle stand unter der Oberaufsicht des Trade of Boards, das sich regelmäßig auch mit den führenden

Vertretern der verschiedenen Konfessionen traf, um an einer Lösung zu arbeiten.89 Auch

Brunner, ebenso wie der bereits erwähnte Cronau, sieht in dieser Auswanderungswelle eine

Migration von Wirtschaftsflüchtlingen, die zur Folge hatte, dass das Verständnis der Engländer für die Auswanderer stark fiel, mehr noch als man erkannte, dass gar nicht wenige Katholiken unter diesen Emigranten waren.90 Die Tories verweigerten eine Politik, die auch den katholischen Einwanderern entgegengekommen wäre und stellten auch an die Protestanten die Bedingung, dass sich diese der Staatskirche anschließen müssten.91 Häuptlinge der

Mohawk, die zu dieser Zeit in London um Unterstützung im Kampf gegen die Franzosen baten,

übermittelten der Königin das Angebot, den Pfälzern Land in Amerika zur Verfügung zu stellen.92 Dieses Angebot wurde gegen den Willen der englischen Regierung von rund 50

Familien angenommen, wobei das versprochene Gebiet am Schoharie-Fluss für diese nur eine

Zwischenstation darstellen sollte, da es bis zu ihrer Ankunft bereits Großgrundbesitzern

überschrieben worden war und deren Forderung für die Auswanderer zu hoch waren.93

Prominente Unterstützer der Pfälzer waren auch Herzog Marlborough, der in den Pfälzern vor allem die Möglichkeit auf billige Soldaten sah und Bischof Burnet, der sich auch innerhalb der staatskirchlichen Strukturen für die Auswanderer einsetzte.94 An dieser Stelle sei der Einwand eingeschoben, dass unter Einbezug der geschilderten kriegerischen Ereignisse des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, denen die Pfalz über Jahrzehnte massiv ausgesetzt war, es doch

87 Vgl. ebda, S.295f. 88 Vgl. Staas. 89 Vgl. Diffenderffer, S.297f. 90 Vgl. Heuser, S.21. 91 Vgl. Diffenderffer, S.304. 92 Vgl. ebda, S.305. 93 Vgl. Brunner, S. 21f. Auf die hier angesprochenen Auswanderer, die schließlich im Mohawk-Valley siedelten, wird in Kapitel 6 detaillierter eingegangen. 94 Vgl. Diffenderffer, S.307f. 19 gewissermaßen erstaunt, dass eine Mehrheit der Ansicht zuneigt, dass die Auswanderung wirtschaftlich motiviert war. Bereits im Jahr 1710 wurden erste Schriften veröffentlicht, welche die Deutschen (Pfälzer) eindringlich vor der Überfahrt nach England warnten.95 „Das nicht erlangte Kanaan“ ist eine Sammelschrift von Moritz Wilhelm Höen, in denen er nicht nur gegen die falschen Versprechungen von Kocherthal schreibt, sondern auch die

Verhaltensweise der Deutschen in England kritisiert.96 Höen lobte Königin Anne und beziffert die Ausgaben von Seiten des Königshauses für die Auswanderer mit 800.000 Gulden.97 Höen griff bei seiner Schrift auf die Werke von Daniel Häberle und einen Brief von Anton Wilhelm

Böhme98 zurück. Letzterer war ebenso wie Kocherthal der Meinung, dass Carolina das erstrebenswertere Ziel sei, da es aufgrund der höheren Temperaturen möglich sei, mehr Güter für den Export zu produzieren.99 Schon im April 1709 kauften Lewis Mitchell und Christopher de Graffenreid 10.000 Acker Land in Carolina. Im Dezember desselben Jahres erreichten an die 650 Pfälzer dieses Gebiet, nachdem von den Beamten des Boards of Trade fünf Pfund pro

überführtem Kopf zugesichert wurden.100 Brunner hingegen meint, dass zwar 650 Personen nach Amerika übersetzten, aber nur knapp die Hälfte die Reise überlebte und die verbliebene

Hälfte in kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Indianern aufgerieben wurde.101 Ein

Hinweis darauf, dass Pennsylvania als Ziel aber äußerst begehrt war, sind die Preise für Boden:

Konnte man in Carolina für 100 Thaler 1000 Acker Land erwerben, so kosteten in Pennsylvania, besonders im bereits erschlossenen Gebiet 100 Acker Land 6-10 Pfund, was 30 bis 50 Thalern

95 Vgl. Heuser, S.60. 96 Vgl. Heuser, S.60f. 97 Vgl. ebda, S.61. 98 Anton Wilhelm Böhme (1.6. 1673, Oestorff bei Pyrmont – 27.5.1722, Greenwich). Böhme studierte an der Universität in Halle, wo er Schüler von August Hermann Francke war. Nach seinem Studienabschluss wurde Böhme Hauslehrer beim Grafen von Waldeck und Geistlicher bei der Herzoginwitwe von Coburg. 1701 zog er auf den Wunsch von Auswanderern, die einen deutschen Lehrer wünschten nach London, wo er 1702 eine Schule eröffnete. Als Vermittler einer pietistischen Pädagogik schaffte er es bald, die Stelle des Hofpredigers zu erlangen, wobei er seinen zunehmenden Einfluss, den er bei Hofe genoss, Francke zur Verfügung stellte. Auf diese Weise erreichte er, dass der englische Hof 5000 Taler an die Franckesche Stiftung zur Unterrichtung englischer Schüler überwies. (Vgl. Friedrich Schneider: Böhme, Anton Wilhelm. In: Neue Deutsche Biografie 2 (1955), S.387. [URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118904159.html#ndbcontent, aufgerufen am 04.05.18]. 99 Vgl. Diffenderfer, S.65. 100 Vgl. Diffenderffer, S.318 101 Vgl. Brunner, S.21. 20 entsprach.102 Böhme meinte weiters, dass die Möglichkeit, dass die Provinzbesitzer die

Reisekosten für die Deutschen vorstrecken würden, nicht gegeben sei.103 In diesem

Zusammenhang stellt sich die Frage, warum Agnes Bretting in ihrem Artikel schreibt, dass das

Redemptioner-System erst seit 1728 nachweisbar sei und nur durch dieses die

Auswanderungswelle in der Jahrhundertmitte möglich war.104 Böhme bezifferte die Kosten für die Überfahrt mit 7 Pfund Sterling105, was der Nennung der Kosten von Kocherthal annähernd gleicht.106 Widersprüchliches findet sich in Bezug auf die Glaubensfreiheit: Böhme meinte in seinem Brief, dass alle Sekten geduldet wären107, aber sogar Katholiken wurden zu Hunderten nach Rotterdam zurückverschifft108, nachdem sie sich weigerten, ihre Konfession zu ändern, wobei die Katholiken aufgrund des andauernden Krieges mit dem katholischen Frankreich von den Engländern besonders schlecht behandelt wurden. Brachte der Toleration Act 1689 zwar nachteilige Folgen für die Katholiken mit sich, so wurden unter den Pfälzern trotzdem zu hunderten deutschsprachige Bibeln verteilt, da man zunächst befürchtete, dass, wenn die

Pfälzer bleiben würden, diese sich andernfalls den Dissentern anschließen würden.109 Wenn sich weiter oben die Frage stellte, ob die Reise William Penns tatsächlich diese unmittelbaren

Auswirkungen im Zusammenhang mit der Frankfurt Company hatte und die

Auswanderungswelle einläutete, so findet Heuser bei Höen nun einen Bericht eines Beamten an einen Würdenträger eines Fürstenstums, in dem es hieß, dass die Auswanderer als

Hauptgrund für ihre Emigration die von Penn nach Rotterdam entsandten Agenten zur

Unterstützung der Auswanderer angaben.110 Böhme schrieb weiter, dass die Königin, nachdem sie erfuhr, dass in ihrem Namen Versprechungen gemacht wurden, auf den Verdacht hin, dass es sich hierbei um das Werk von Anwerbern aus den Kolonien handelte, die Überfuhr der Flüchtlinge nach Pennsylvania und Carolina untersagte, es im Zuge dieser Arbeit aber offen

102 Vgl. Heuser, S.65. 103 Vgl. ebda, S.65f. 104 Vgl. Bretting, S.137 und 143. 105 Vgl. Heuser, S.67. 106 Vgl. Kocherthal, S.29. 107 Vgl. Heuser, S.68. 108 Vgl. Brunner, S.21. 109 Vgl. Diffenderffer, S.304, 311-313. 110 Vgl. Heuser, S.70. 21 bleiben muss, ob dies als Sanktion gegen die Kolonien zu werten ist oder das Eigeninteresse an Arbeitskräften für die Harzgewinnung in der Umgebung von New York im Vordergrund stand.111 Von den 3000 Siedlern, die mit dem Ziel New York außer Landes gebracht wurden, starben 470 bereits an Bord und 250 weitere in den Quarantänelagern an Typhus.112 Der größte Teil der Auswanderer, der von Diffenderffer mit 3.800 von 11.500 beziffert wird, wurde nach Irland gebracht113 und gründete dort eine deutsche Kolonie, die sich nach Aussage selbigen Autors, von den ursprünglichen Problem „[…] as well, if not better, than any of the unwelcome visitors that poured into London in the spring and summer of 1709“ befreite.114

111 Vgl. Brunner, S.21. 112 Vgl. Brunner, S.21. 113 Vgl. Diffenderffer, S.341. 114 Vgl. ebda, S.339. 22

2 Reiseberichte, Redemptioner und Menschenhandel

Zur Beschreibung der Überfahrt wird in dieser Arbeit auf drei Quellen zurückgegriffen: Einen

Brief von Johann Christoph Sauer115,116, einen von Johann Georg Käsebier117 und den Bericht von Gottlieb Mittelberger. Es scheint so, dass der Eindruck, den die Genannten von Amerika hatten, ganz entscheidend dafür war, wie sie in der Nachbetrachtung die Überfahrt bewerteten. Sowohl auf Christoph Sauer als auch auf Gottlieb Mittelberg und sein Werk wird noch genauer eingegangen. Es sei hier vorweggenommen, dass sich Ersterer bestens in seiner neuen Heimat einleben und sehr erfolgreich sein konnte. Die Beschreibung seiner Überfahrt, die er nur wenige Wochen nach der Ankunft verfasste – er kam am 29. Oktober 1724118 an und der Brief ist auf den 1. Dezember 1724 datiert119 – fiel sehr positiv aus, ja geradezu

115 Vgl. Johann Christoph Sauer: Early Description of Pennsylvania. Letter of Christopher Sower, Written in 1724. Describing Conditions in Philadelphia and Vicinity, and the Sea Voyage from Europe. In: The Pennsylvania Magazine of History and Biography, Vol.45, No.3 (1921), S.243-254. Im Folgenden unter der Sigle “Sauer: Early Description” zitiert. 116 Johann Christoph Sauer (2.2.1695 in Ladenburg – 25.9.1758, Germantown, Pennsylvania). Sein Vater war der reformierte Pfarrer Johann Christian Sauer, der auch Direktor der Schule in Ladenburg war, aber bereits 1701 verstarb. Über die Kindheit von Sauer gibt es keine Quellen. Mit 18 Jahren lebte er in Schwarzenau und arbeitete als Schneider. Sauer heiratete Marie Christine Gross und zog mit ihr nach Lassphe, wo sein einziger Sohn, Johann Christoph Sauer II. 1721 auf die Welt kam. Sauer konnte die Mitgliedschaft bei der Gemeinde der Schwarzenau Bethren nie nachgewiesen werden, Sympathien waren in seinen Werken jedoch klar ersichtlich. Sein Sohn wurde in Pennsylvania, wohin die Familie 1724 übersiedelte, sogar ein Bischof der Gemeinde. Sauers Briefe aus Pennsylvania erreichten in Deutschland ein großes Publikum und trugen zu weiteren Auswanderungen bei. In Pennsylvania wurde Sauer zunächst Glockengießer und reparierte Töpfe und Pfannen. 1726 erwarb Sauer eine Farm in Lancaster-County, musste aber 1731 wieder nach Germantown, was mit dem Übersiedeln seiner Frau in das Kloster von Ephrata zusammenhing. Von dort kehrte sie 1744 zurück und starb 1752 in Germantown. Ab den 1730er Jahren ging Sauer daran, eine deutsche Druckerei aufzubauen, da die meisten Zeitungen in Romanischen Lettern (antiqua) gedruckt waren, die von den Deutschen nur schwer gelesen werden konnten. Von Gottlieb August Francke, Sohn von August Hermann Francke, dessen Schüler Anton Wilhelm Böhme war, wollte er die Lettern erhalten. Dieser war der Idee jedoch abgeneigt. Sauer erhielt die deutschen Lettern schließlich von Heinrich Ehrenfried Luther. Die Presse konnte er eigenhändig bauen. Sauer publizierte anfangs nur religiöse Schriften und einen Almanach. Ab 1739 auch die Zeitung „Der Hoch-Deutsch Pensylvanische Geschicht-Schreiber, oder Sammlung Wichtiger Nachrichten aus der Natur und Kirchen-Reich“. Nach seinem Tod publizierte sein Sohn von 1762 bis 1777 die „Germantowner Zeitung“. Sauers Zeitung wurde sehr beliebt, doch Sauer hatte Probleme sowohl mit der Verteilung der Zeitung als auch damit, die ausständigen Kosten bei den Abonnenten einzutreiben. Sein bekanntestes Druckwerk war jedoch die erste deutschprachige Bibel in Amerika (1743). Vgl. Hans Leaman: Johann Christoph Sauer (1695-1758). [URL: https://www.immigrantentrepreneurship.org/entry.php?rec=195, aufgerufen am 25.04.18]. 117 Vgl. Donald F. Durnbaugh, John George Käsebier, John Christopher Saur: Two Early Letters from Germantown. In: The Pennsylvania Magazine of History and Biography, Vol.84, No.2 (April, 1960), S.219-233. Im Folgenden unter der Sigle “Durnbaugh” zitiert. Über die restliche Biografie von Käsebier ist wenig bekannt. Er wurde 6. August in Kuhnau in Anhalt-Dessau geboren. Er war verheiratet mit Maria Elisabeth Mathes. Wie aus dem Nachwort seiner Frau im oben zitierten Brief ersichtlich wird, starb Käsebier bereits am 19. Dezember 1724 an einer Fiebererkrankung. 118 Vgl. ebda, S.225. 119 Vgl. Sauer: Early Description, S.244. 23 geschönt, wenn man sie mit dem nüchternen Logbuch-Stil von Käsebier vergleicht, der auf dem gleichen Schiff die Reise antrat. Mittelberger hingegen schrieb seinen Bericht als

Warnung an all jene, die an Auswanderung nach Nordamerika dachten120, nachdem er bereits mehrere Jahre in British-America lebte. Dementsprechend drastisch beschrieb er die

Überfahrt und deren potenzielle Gefahren. Dass Sauer von der Überfahrt in positiverem Ton als Mittelberger schrieb, mag unter anderem auch daran gelegen haben, dass die Dauer seiner

Überfahrt von 23 Tagen, was eine gesamte Reisedauer von etwas über sechs Wochen ergab, für damalige Verhältnisse überdurchschnittlich kurz war. Böhme berichtete, dass man oft schon in London bis zu 20 Wochen warten musste, ehe man die Gelegenheit bekam, ein Schiff zu besteigen.121 Die Dauer der Überfahrt, die Sauer angibt, stimmt mit jener von Käsebier

überein. Die sechs Wochen und drei Tage als Gesamtdauer ergeben sich aber nur, wenn man das Datum vom 14. August 1724 an zählt, als Sauer und Käsebier von Helfer Schleis aus nach

Dover segelten und die Zeit von Rotterdam, das sie am 3. August 1724 verließen, bis nach

Helfer Schleis nicht berücksichtigt.122 Als Probleme gab Sauer die Enge der Menschen auf dem

Schiff, die Wasserrationen, das versalzene Fleisch und den Lausbefall an.123 Trotzdem findet sich kein Hinweis auf Verärgerung in seinem Brief. Kein Sturm sei gewesen und das Wetter milde wie im Mai und wenn doch eine Brise aufkam, hätten die Pfälzer ihren Spaß daran gehabt.124 Er übersprang die restliche Überfahrt und erzählte nur von der Begebenheit, als sie auf den Sandbänken vor der Mündung des Delaware aufsetzten und alle befürchteten, das

Schiff würde zu Bruch gehen und nur er, fest im Glauben verankert, die Ruhe bewahrte.125

Informativer ist bestimmt die Schilderung von Käsebier, der die Windverhältnisse für fast jeden Tag angibt. Die dreiwöchige Wartezeit, welche die beiden in England verbringen mussten, kam dadurch zustande, dass sie von Dover aus nicht lossegeln konnten und nach

Thielen mussten, von wo aus die Überfahrt begann.126 In einer ausgesprochen emotionslosen

120 Vgl. Mittelberger, S.4. 121 Vgl. Heuser, S.61. 122 Vgl. Durnbaugh, S.219. 123 Vgl. Sauer: Early Description, S.245f. 124 Vgl. ebda. 125 Vgl. ebda, S.246. 126 Vgl. Durnbaugh, S.220. 24

Aufzeichnung dokumentierte er die einzelnen Todesfälle. So gab er an, dass bereits in Dover zwei Kinder und ein Mann der Reisegruppe verstarben, gefolgt von einer Frau, die nach nur vier Tagen auf See an den Folgen eines Aderlasses starb, und zwei Kindern, die nach weiteren vier Tagen ablebten.127 Am 24. September 1724 erlag eine Frau ihren bei einem Sturz erlittenen Verletzungen und auch am 4. sowie am 8. Oktober war jeweils ein Todesfall zu beklagen.128 Das versalzene Fleisch, von dem Sauer sprach, bestimmte er als sieben Jahre in

Fässern gelagertes Fleisch, das von Reisen nach Indien zurückkam.129 Als Randnotiz zu bemerken ist, wie er von der langen Seekrankheit Sauers berichtete, von der Sauer kein Wort verlor.130

2.1 Mittelberger und die „Menschendiebe“

Mittelberger verknüpfte seine Warnung vor der Reise mit einer harschen Kritik an den von ihm so genannten „Menschen-Händlern“ und „Menschen-Dieben“, die aus Neuengland kommend, die Menschen in Amsterdam und Rotterdam verführten und in deren Verderben lockten.131 Die Reisedauer summierte sich bei ihm auf 1700 Stunden, die er mit den 1700 französischen Meilen gleichsetzte, welche die Reise lang sei.132 Diese sich dadurch ergebenden

71 Tage Reisedauer erstreckten sich dann meist doch auf bis zu einem halben Jahr. Der Grund lag laut den Beschreibungen bei Mittelberger darin, dass alleine auf dem Rhein von Heilbronn aus bis nach Holland 36 Zollstationen zu passieren seien, wobei bei jeder einzelnen das Schiff inspiziert würde.133 Die dadurch entstandenen Verzögerungen wirkten sich fatal auf die

Reisenden aus: Großteile der Vorräte, die man für den Eigenbedarf während der Überfahrt nach Amerika mitnahm, mussten verzehrt werden, noch ehe man England erreicht hatte. Er schätzte die Zeit auf vier bis sechs Wochen, welche die Auswanderer alleine auf dem Rhein zubrachten, gefolgt von weiteren Wochen des Wartens, bis sie nach England übersetzen

127 Vgl. ebda, S.220f. 128 Vgl. ebda, S.223. 129 Vgl. ebda, S.222. 130 Vgl. ebda. 131 Vgl. Mittelberger, S.4. 132 Vgl. ebda, S.6. (Da heute nur mehr die französische Lieue (Postleuge) zu finden ist und diese mit 3989 Metern angegeben ist, würde dies einer Länge von 6630km entsprechen). 133 Vgl. ebda, S.6. 25 konnten.134 Die große Überfahrt schilderte er als Gemenge aus Mangel an Wasser und

Lebensmitteln, sich verbreitenden Krankheiten und der Angst vor dem Sinken als ständigen

Begleiter, wobei er berichtete, dass er selbst eine Krankheit zu überstehen hatte.135 Die Kinder traf es besonders hart: 32 Kinder seien alleine auf dieser Überfahrt gestorben.136 Als Kosten für die Fahrt gab er zehn Pfund (60 Florin) für Erwachsene und fünf Pfund für Kinder bis zum

Alter von 10 Jahren an. Oftmals konnten diese sogenannten „Frachten“ nicht bezahlt werden, was die Passagiere zu Schuldnern des Kapitäns machte. In Pennsylvania angekommen, durften die Menschen erst nach Tilgung ihrer Schuld das Schiff verlassen. Hatten sie keine finanziellen

Mittel mehr, kam nun das Redemptioner-System zu tragen: Bereits ansässige Pennsylvanier kamen zum Hafen und kauften diese Menschen frei, die im Gegenzug für eine zuvor ausverhandelte Zeit – meist drei bis sechs Jahre137 - für den Käufer arbeiten mussten. Auf diese

Weise wurden immer wieder Familien zerrissen, da der Käufer keine Rücksicht auf

Familienbande nehmen musste.138 Alan Taylor widerspricht dieser Darstellung aber und gibt an, dass das Redemptioner-System im Gegensatz zum Indentured-System das Zerreißen von

Familien nach Ankunft nicht zugelassen hätte.139 Grubb legt in einem seiner Artikel dar, dass es eine Entwicklung weg vom System der indentured servants hin zu den redemptioners gab.

Ersteres wurde bald nach der Gründung von Jamestown eingeführt und spielte bis ins 18.

Jahrhundert eine Rolle.140 An dieser Stelle soll Mittelbergers Vorwurf aufgegriffen werden, dass in Holland Menschendiebe am Werk seien. „Unter allerhand schönen Vorspiegelungen“ würden die „Neuländer“ und deren Agenten die unbedarften Menschen zur Überfahrt

überreden, wobei am Ende die Reeder den Großteil des Profites dieser Machenschaften erhalten würden.141 Gesellschaftlicher Rang und Beruf wirkten sich dabei nicht auf das

134 Vgl. ebda. 135 Vgl. ebda, S.8f. 136 Vgl. ebda, 11. 137 Vgl. ebda, S.14. 138 Vgl. ebda, S.16. 139 Vgl. Alan Taylor: The People of British America, 1700-1750. In: American Colonies. New York: Viking Penguin, 2001, S.256. Im Folgenden unter der Sigle “Taylor” zitiert. 140 Vgl. Farley Grubb: Redemptioner Immigration to Pennsylvania: Evidence on Contract Choice and Profitability. In: The Journal of Economic History, Vol.46, No.2, The Task of Economic History, (June 1986), pp.407-418, S.407f. Im Folgenden unter der Sigle “Grubb” zitiert. 141 Vgl. Mittelberger, S.4. 26

Vorgehen oder die Behandlung der Betrogenen aus.142 Da diese Menschen die harte, körperliche Arbeit nicht gewohnt waren, wurden sie „mit Schlägen wie das Vieh“ traktiert, was immer wieder zu Selbstmorden unter den Auswanderern führte.143 Der Gewinn für die

Reeder oder eben den Kapitän selber kam dadurch zu Stande, dass die Werber für jede Person im Alter über zehn Jahren drei Florin oder einen Dukaten bekamen. In Philadelphia wurden dieselben Personen aber für 60 bis 80 Florin verkauft, wobei natürlich darauf geachtet wurde, dass sich die Emigranten während der Reise auch ja genug verschulden, sodass man sie verkaufen konnte.144 Mittelberger erwähnte nicht nur die Vorspiegelungen geschönter

Tatsachen, sondern auch den handfesten Betrug, der begangen wurde, wenn die Werber unter dem Vorwand, sie würden im Namen nicht näher genannter Obrigkeiten über

Vollmachten verfügen oder den Nichts-Ahnenden zu einem Erbe in Amerika verhelfen zu wollen, Kontakt zu möglichen Opfern aufnahmen.145 Grubb verweist aber darauf, dass der

Konkurrenzkampf unter den Reedern zu groß war, als dass man die Gewinnspannen großzügig hätte kalkulieren können.146 Der Unterschied zwischen den indentured servants und jenen, die als Redemptioner die Reise antraten, lag vor allem in der Form des Vertrages, der mit dem

Kapitän des Schiffes oder dem Reeder geschlossen wurde: Handelte es sich um indentured servants, wurden mit ihnen vor Reisebeginn Arbeitsverträge abgeschlossen. Es waren diese

Verträge, die nach Ankunft vom Kapitän weiterverkauft werden konnten. Sollte es während der Fahrt zu Todesfällen kommen oder der Passagier durch Verletzung oder Krankheit in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sein, minderte dies den Preis, der für die Arbeitsverträge verlangt werden konnte und der Kapitän hatte geringere Einnahmen.147 Das Redemptioner-

System hingegen war ein Kreditsystem, bei dem über eine festgelegte Summe ein Kredit-

Vertrag abgeschlossen wurde, der mit Arbeit abgeglichen wurde. Diese ausverhandelte

Summe war unveränderlich, der Zustand der Passagiere hatte nur Auswirkungen auf die

Arbeitsdauer, die er als Gegenleistung bringen musste. Der Kapitän konnte sich auf diese

142 Vgl. ebda, S.27. 143 Vgl. ebda, S.29. 144 Vgl. Ebda, S.27. 145 Vgl. ebda, S.29. 146 Vgl. Grubb, S.408. 147 Vgl. ebda, S.409. 27

Weise vom Risiko eines Verlustgeschäftes befreien.148 Da der Kapitän entgangene Einnahmen auf verbleibende Familienmitglieder abwälzen konnte, falls es zu Todesfällen kam, liefen die

Schiffe in der Folgezeit erst recht überladen aus, was die hygienischen Bedingungen auf den

Schiffen weiter verschlechterte. „Wie die Heringe“ wurden laut Mittelberger die Passagiere in den Schiffen auf zwei mal sechs Fuß großen Schlafplätzen zusammengepfercht.149 Als besonders abschreckendes Beispiel zitierte Cronau den Fall der „April“ aus dem Jahr 1818, die für 400 Personen ausgelegt war und mit 1200 Menschen vollgepfercht wurde.150 Mittelberger machte auf die unmenschlichen Auswüchse dieses Systems explizit aufmerksam, wenn er davon berichtet, was mit jenen passierte, die Familienangehörige auf der Reise verlieren, wobei er besonders die Kinder erwähnte:

„Wann beede Eltern auf dem Meer über halb Wegs von ihren Kindern gestorben, so müssen solche Kinder,

sonderheitlich wann sie noch jung sind, und nichts zu versezen oder zu bezahlen haben, vor ihrer samt

der Eltern Fracht serviren und stehen, bis sie 21. Jahr alt sind.“151

War die Fahrt überstanden, so gingen die Betrügereien allerdings weiter: Kredithaie, die

Mittelberger als Creditore bezeichnet, machten sich die mangelhaften Sprachkenntnisse zu

Nutze. Die Ankömmlinge mussten oft alle verbliebenen Habseligkeiten, so welche vorhanden waren, verkaufen, um dem Schuldgefängnis zu entgehen. Um aber weiterhin liquide zu sein und sich Land und Haus leisten zu können, wurden ihnen Kredite in Aussicht gestellt, deren

Rückzahlungsbedingungen aber unmöglich einzuhalten waren. Mittelberger beschrieb einen

Fall, bei dem ein unwissender Auswanderer einen Kredit im Glauben unterschrieb, zwei Jahre für dessen Tilgung Zeit zu haben. Tatsächlich unterschrieb er eine Zahlungsvereinbarung, die zwei Tage vorsah, woraufhin der mittellose Auswanderer vollends ins Elend gestürzt wurde.152

Dieses Opfer wurde von Mittelberger als Vogt Daser von Nagold beschrieben und taucht auch in einem anderen Werk auf. In diesem wird er als Paul Achatius Daser, Vogt von Nagold beschrieben, geboren am 15. Februar 1707 in Württemberg, was für die beschriebene Zeit

148 Vgl. ebda. 149 Vgl. Mittelberger, S.17 und S.7. 150 Vgl. Cronau, S.118. 151 Mittelberger, S.17. 152 Vgl. ebda, S.22. 28 passt.153 Dies spielt eine bedeutende Rolle für die Bewertung der Berichterstattung von

Mittelberger. Zwar kann aufgrund dieser zwei Quellen noch nicht mit letzter Sicherheit bestätigt werden, dass es sich um dieselbe Person handelt, jedoch sind die

Übereinstimmungen sehr groß, sodass die Nennung von zwei unterschiedlichen Männern

äußerst unwahrscheinlich wird. Herr Daser gehörte als namentlich genannter Auswanderer zu den Ausnahmen in Mittelbergers Bericht. Wenn also die Richtigkeit der Angaben bei ihm festgestellt werden kann, ist dies ein Hinweis darauf, dass Mittelberger bei der Beschreibung der Verhältnisse und Ereignisse tatsachentreu blieb. Er muss dafür umso mehr kritisiert werden, dass in der Mehrheit der Vorfälle und Ereignisse, auf die Mittelberger einging, keine

Namen genannt wurden. In Folge beschrieb Mittelberger, dass man, als er zurück in Holland war, versucht hätte, ihn davon zu überzeugen, dass es seine Frau zu Hause nicht mehr ausgehalten hätte und nach Amerika gegangen wäre. Namen, Geburtsdaten sowie Adressen waren den betrügerischen Händlern wohl bekannt, doch er hätte sich geweigert, ihnen zu glauben und habe seine Rückreise fortgesetzt und sei zu Hause wohlbehalten auf Frau und

Kinder gestoßen.154 Laut Cronau kamen diese Auswüchse daher, dass vormalige holländische

Sklavenhändler in den auswanderungsbereiten Europäern das leichter und schneller verdiente Geld sahen als in den afrikanischen Sklaven, für die sie bis nach Guinea segeln mussten. Sogar mit den Besitzern der Herbergen sollen die Reeder in Verbindung gestanden haben, nur um ganz sicher zu gehen, dass Schulden bei den Auswanderern zusammenkamen und sie deshalb auf das Redemptioner-System angewiesen waren.155 Zusätzlich erhob

Mittelberger den Vorwurf, dass in der europäischen Presse nicht über die Schiffsunglücke berichtet werde, um Auswanderer nicht abzuschrecken, wobei es diese Meldungen in den

Kolonien sehr wohl in die Zeitungen schaffen würden.156 Als Belege dienten Mittelberger

Berichte von Schiffsunglücken, die einmal 1752 und einmal 1754 geschahen: Beim ersten

überlebten nur 21 von 340 Passagieren, nachdem das Schiff aufgrund ungünstiger Winde über

153 Vgl. Johann Jacob Moser: Genealogische Nachrichten von seiner eigenen, auch vilen [sic!] anderen angesehenen Würtembergischen, theils auch fremden Familien. Zweyte vil vermehrte Auflage. Thübingen: Schramm, 1756, S.164. 154 Vgl. Mittelberger, S.32f. 155 Vgl. Cronau, S.116. 156 Vgl. Mittelberger, S.23-25. 29 ein halbes Jahr auf dem Meer zubrachte, beim zweiten konnten sich 63 von 360 Passagieren auf ein Rettungsboot flüchten.157 An dieser Stelle findet sich auch ein Beleg für die ansteigende

Auswanderung aus Deutschland in der Mitte des 18. Jahrhunderts: So seien nach Mittelberger jährlich 20 bis 24 Schiffe im Hafen von Philadelphia eingelaufen, was sich innerhalb von vier

Jahren auf 25.000 Auswanderer summierte, die vornehmlich aus Württemberg stammten.158

Die Bevölkerungsstatistik von Pennsylvania, wo drei Viertel der deutschen Amerika-

Auswanderer an Land gingen, belegt ein Wachstum von 18.000 Einwohner im Jahr 1700 auf

120.000 im Jahr 1750.159 Oftmals waren die Auswanderer aber so krank, dass sie für die bevorstehenden und einzubringenden Arbeiten nicht geeignet waren, was oftmals dazu führte, dass die Eltern ihre Kinder verkaufen mussten, um überhaupt vom Schiff gelassen zu werden.160

157 Vgl. ebda, S. 23-25. 158 Vgl. ebda, S.26. 159 Vgl. Taylor, S.256. 160 Vgl. Mittelberger, S.26. 30

3 Deutsche Anfänge in Nordamerika

3.1 Franz Daniel Pastorius, die Krefelder Gemeinde und Gründung Germantowns

Am 4. März 1681 erfolgte die königliche Bestätigung der Belehnung William Penns mit dem

Gebiet am Delaware, woraufhin nach kurzer Zeit eine Schrift mit dem Titel „Some Account of the Province of Pennsylvania in America“ von Penn in Umlauf gebracht wurde.161 Im Jänner des Jahres 1683 ist die Auswanderung der Deutschen auch Thema in einem Brief von James

Claypoole162 an Furly163, in welchem er die Auswanderungspläne kundtat und den Deutschen seine Hilfe anbot.164 In einem weiteren Schreiben vom 18. März war bereits die Rede davon, dass er mit der „Concord“ ein passendes Schiff für die Überfahrt gefunden hätte. Als Kapitän nannte Claypoole in einem Brief an William Penn den erfahrenen Kapitän William Jefferson, der bereits mehrere Male nach Virginia gesegelt war. Claypoole schrieb weiter, dass er und seine Frau sowie die gemeinsamen sieben Kinder in guter Verfassung wären und der Überfahrt optimistisch entgegen sahen.165 Das Fuhrgeld wurde mit fünf Pfund für eine Person über zwölf

Jahren angegeben.166 Mehrmals wurde in dem Schreiben auch erwähnt, dass nicht viel Zeit bliebe, da er, Claypoole, nur nach schriftlicher Bestätigung und dem Erhalt der Hälfte des

Fährgeldes die Plätze sichern könne, die Kosten damit aber auch fixiert wären. War im vorangegangen Kapitel die Rede von den absolut überfüllten Schiffen, so versicherte

161 Vgl. Seidensticker: Gründung, S.31. 162 James Claypoole (6.10.1634, England – 6.8.1687, Philadelphia). James Claypoole war der Sohn von John Claypoole of Norborough. Sein Bruder John Claypoole war mit Elizabeth Cromwell verheiratet. Obwohl sein Bruder Norton Claypoole bereits 1678 nach Pennsylvania emigrierte und sich auch Edward Claypoole bereits vor 1681 auf den Barbados aufhielt, wurde James Claypoole als ältester Bruder zum Kopf der Claypoole-Familie in Pennsylvania. James Claypoole war mit Helen Merces verheiratet. Zusammen mit Nicholas Moore, Philip Ford, William Sherloe Edward Peirce, John Symcock, Thomas Brassey Thomas Barker und Edward Brookes gründete er die „Free Society of Traders in Pennsylvania“, deren Geschäft der Landkauf und -verkauf in Pennsylvania war. Am 8.8.1683 erreichte die Concord, mit der Claypoole, zusammen mit der Krefelder Gemeinde, nach Amerika segelte, Philadelphia. Schon bald darauf „we find him, filling various positions of public trust” (S.46). So war er Mitglied der Assembly, aber auch Richter des „Justice of the Peace and Court for the County of Philadelphia”. Claypoole wurde am Quäker-Friedhof in Mulberry-Street, Philadelphia begraben. Vgl. Rebecca Irwin Graf: Genealogy of the Claypoole-Family of Philadelphia, 1588-1893. J.B. Lippincott: Philadelphia, 1893, S.20-49. Im Folgenden unter der Sigle “Graff” zitiert. 163 Vgl. Seidensticker: Gründung, S.34 164 Vgl. ebda, S.35. 165 Vgl. Graff, S.39. 166 Vgl. ebda. 31

Claypoole, dass die Concord für ein Maximum von 160 Passagieren ausgelegt sei, man sich aber das Recht vorbehalte, auch bei 130 Passagieren einen Aufnahmestopp durchzuführen.167

Das Datum der Abfahrt wurde mit dem 30. Juni festgelegt und bei Vertragsbesiegelung auf den 6. Juli verlegt.168 Trotz dieser Verschiebung schafften es die Krefelder nicht, zeitgerecht anzukommen. Am 7. Juli fuhr das Schiff bereits nach Gravesend und aus den Briefen geht hervor, wie bemüht Claypoole war, den Krefeldern die Überfahrt zu ermöglichen. Seine

Schilderung liest sich nach einer Mischung aus gutem Verhandlungsgeschick und zum Glück ungünstigen Wetterbedingungen, sodass das Schiff erst am 24. Juli 1683 mitsamt allen

Krefeldern den Anker lichtete und so die erste geschlossene Gruppe deutscher Auswanderer nach Nordamerika brachte.169 Die Größe dieser Gruppe wird zumeist mit 33 Personen angegeben, was nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, da es sich dabei laut den

Aufzeichnungen um die Anzahl der bezahlten Frachten handelt, es so also keine Rückschlüsse darauf gibt, wie viele Kinder unter ihnen waren.170 Seidensticker greift hier wieder die

Tätigkeit der Frankfurt Company auf und gibt Auskunft darüber, dass erstens der Landkauf der

Kompanie unabhängig von jener der Krefelder Gemeinde war, wobei er aufgrund der

Doppelnennungen in den Briefen von Claypoole an Furly davon ausgeht, dass erster erst sehr spät erfuhr, dass die auswandernde Gruppe nicht die Frankfurter Gesellschaft war, sondern die Krefelder. Pastorius war als Agent für beide Gruppen in Bezug auf den Landkauf tätig. Die

Frankfurter Gesellschaft kaufte zunächst nur 15.000 Acker Land, später zusätzliche 10.000

Acker und weitere 15.000 Acker wurden in drei Mal 5.000 Acker-Tranchen unabhängig von den ersten Landkäufen von den Krefeldern am 9./10. März 1682 erworben171, wobei es am

11. Juni noch einmal zu einem letzten Kauf von je drei Mal je 1.000 Acker vonseiten der

Krefelder kam.172 Dies belegt, dass beide Gruppen ihr Geschäfte zwar über Pastorius als

Mittelmann abschlossen, die Landkäufe jedoch unabhängig voneinander getätigt wurden. In aller Kürze sei auch der Umstand erwähnt, dass Pastorius über einen Anteil von 1.000 Acker

167 Vgl. ebda. 168 Vgl. ebda. und S.38. 169 Vgl. ebda, S.39. 170 Vgl. ebda, S.41. 171 Vgl. Learned, S.123. 172 Vgl. Seidensticker: Gründung, S.37 und S.44. 32 der Frankfurter Gesellschaft verfügte und weitere 1.675 Acker geltend machte, der Rest aber aufgrund der nicht erfolgten Auswanderung der verbliebenen Gesellschaft erst von Pastorius‘

Nachfolger 1701 in Besitz genommen wurde.173 Nachfolgend erklärt Seidensticker, dass entgegen der Meinung der Auswanderer, das gesamte gekaufte Land der Frankfurter und der

Krefelder auf verschiedene Stellen aufgeteilt war und man sich erst nach Nachverhandlungen darauf einigen konnte, ein längliches Stück Land von 5.700 Acker Fläche weiter im

Landesinneren, dafür am Schuylkill River gelegen, in Besitz zu nehmen. Von dieser Fläche gehörten etwas über 3.000 Acker den Krefeldern, 1.000 Pastorius selbst174 und eben die 1.675

Acker, die Pastorius für die Gesellschaft in Besitz nahm. Das Gebiet wurde in einer im Jahr

1684 erfolgenden Landvermessung allerdings um knapp 1000 Acker verkleinert und zwar genau um jenen Teil, der an den Fluss grenzte.175 In der Literatur findet man aber auch die

Angabe, dass Pastorius schließlich nur 200 Acker Land für sich beanspruchte.176 Pastorius gelang es sogar, die 15.000 Acker der Gesellschaft in einem Stück Land mit der Zusage zu bekommen, dass die Deutschen hier eine Provinz in der Provinz gründen könnten, vorausgesetzt, dass binnen eines Jahres 30 Haushalte das Land bewirtschaften würden.177

Diese Bestimmung wurde allerdings nicht eingehalten, was zu großen juristischen

Komplikationen führte, welche die deutschen Auswanderer in ihrer Existenz bedrohte: Im

Jahre 1700 bat Pastorius die Gesellschaft in Frankfurt, ihm die Verwaltung des Gebietes, für die er keine finanzielle Entschädigung bekam, abzunehmen. Diese Bitte wurde ihm erfüllt und als seine Nachfolger wurden Daniel Falckner, Johann Kelpius und Johann Jawert bestimmt.178

Es waren Falckner und Jawert, die sich am 25. Oktober 1701 das ihnen noch zustehende Land von 22.025 Acker anweisen ließen und 1708 trat Falckner in Verhandlungen, das Land zu verkaufen, wobei darauf hingewiesen wurde, dass Frau Schütz die Anteile ihres Mannes

173Vgl. ebda, S.48. 174 Vgl. ebda, S.46. 175 Vgl. ebda, S.53. 176 Vgl. Vgl. Learned, S.137 und Samuel Pennypacker: The Settlement of Germantown Pennsylvania and the Beginning of German Emigration to North America. Philadelphia: Campell, 1899, S.19. Im Folgenden unter der Sigle „Pennypacker“ zitiert. Die fast wörtliche Deckung des Abschnittes bei Seidensticker: Gründung, S.54 und jenem bei Pennypacker, S. 19f. führt zum dringenden Verdacht, dass hier von Seidensticker, ohne ihn auch nur zu nennen, abgeschrieben wurde. 177 Vgl. ebda. S.54. 178 Vgl. ebda, S.57. 33 wahrlich an Falckner (und zwei weitere Personen) veräußert hatte, es aber sonst keine

Urkunden gäbe, die den Verkauf des Landes an Falckner bezeugen würden.179 Falckner verkaufte aber schließlich das gesamte Land an Johann Heinrich Sprögel für 500 pennsylvanische Pfund, die Seidensticker mit 1333,3 Dollar umrechnet.180 Sprögel versuchte nun mittels Aussetzungsbefehl, die Siedler vom Land zu vertreiben, was vom Provinzialrat zwar unterbunden werden konnte, nicht jedoch der Verkauf des Stück Landes, das nun als

„Falckner Swamp“ bezeichnet wurde.181

Bereits am 24. Oktober 1683 wurde das Land per Losentscheid unter den ersten

Ankömmlingen aufgeteilt und man beeilte sich, ordentliche Hütten zu erbauen, um den

Winter überstehen zu können. 182 In genau geführten Tabellen legte Seidensticker dar, wie das

Gebiet, das nun in Germantown, Crefeld, Sommerhausen und Krisheim unterteilt wurde, am

29. Dezember 1687 und am 4. April 1689 aufgrund der wachsenden Bevölkerungszahl so verlost wurde, dass jeder ein Stück Land im mittleren Stadtgürtel und eines in den sogenannten „side lots“, den Randgebieten bekam. Da auf diesem Wege Krefelder in den

Besitz von Land kamen, das zuvor die Frankfurter Gesellschaft gekauft hatte, kam es entweder zu nochmaligen Verkäufen oder aber man einigte sich mit der Gesellschaft auf die Zahlung einer Erbpacht.183 Seidensticker kann dabei für jeden Namen zuordnen, welches Stück Land der- oder diejenige bekam, allerdings bleibt er die Antwort auf die Frage schuldig, wie mit den bis dahin erbauten Hütten und angelegten Feldern umgegangen wurde. Die Landwirtschaft wurde so erfolgreich vorangetrieben, dass nach wenigen Jahren Überschüsse für den Export nach England und Irland erwirtschaftet werden konnten und mit der indigenen Bevölkerung zog man einen lukrativen Handel mit Pelzen auf, die in weiterer Folge ebenfalls nach England verschifft wurden.184 1691 bekam Germantown das Stadtrecht verliehen und Franz Daniel

Pastorius wurde zum ersten Bürgermeister der ersten deutschen Gemeinde auf

179 Vgl. ebda, S.58. 180 Vgl. ebda. 181 Vgl. ebda, S.59. 182 Vgl. Cronau, S.53. 183 Vgl. Seidensticker: Gründung, S.57. 184 Vgl. Cronau, S.53. 34 amerikanischen Boden gewählt.185 Im Jahr 1700 veröffentlichte Pastorius die „Umständige geographische Beschreibung Der zu allerletzt erfundenen Provinz Pensylvaniae In Denen End-

Gräntzen Americae in der West-Welt gelegen.“ Das Datum der Veröffentlichung wird sowohl mit 1700186 als auch mit 1704187 angegeben. Politisch aktiv wurde die Gemeinde allerdings schon, bevor sie über das Stadtrecht verfügte: 1688 protestierte die Gemeinde gegen

Sklaverei, was den ersten Protest dieser Art auf dem amerikanischen Kontinent darstellte.

Dass der Protest heute meist als einer von deutschen Quäkern dargestellt wird, liegt nach der

Auslegung Gerbners daran, dass die verschiedenen Gruppen damals nicht so genau abgegrenzt waren, wie es aufgrund der Einteilung der heutigen Geschichtsforschung erscheint. So sind die meisten Krefelder und Krisheimer, die den Mennoniten zugehörig waren, damals aufgrund ihrer Glaubenspraxis den Quäkern zugerechnet worden.188

Begründet wurde der Protest damit, dass die Unterdrückung der Sklaven jener gleiche, welche die Auswanderer in Europa selbst zu ertragen gehabt hätten, die Sklaverei viele Auswanderer von ihrer Emigration zurückhalten würde und die Massen an Sklaven eine Bedrohung wären, da diese Revolten auslösen könnten.189 Dies war nicht der einzige Protest: 1739 wurde auch von Salzburgern aus Eben-Ezern ein Protest gegen die Sklaverei unterzeichnet. Dieser Protest formierte sich allerdings aus rein wirtschaftlichen Interessen, was dazu geführt haben mag,

185 Vgl. ebda, S.56. 186 Franz Daniel Pastorius: Umständige Geographische Beschreibung der zu allerletzt erfundenen Provinz Pensylvaniae. In denen End-Gräntzen Americae in der Welt gelegen. Frankfurt und Leipzig: Andreas Otto, 1700. [URL: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10912730_00007.html, zuletzt aufgerufen am 04.05.2018], und Franz Daniel Pastorius: Beschreibung von Pennsylvanien. Nachbildung der im Jahre 1700 erschienen Original-Ausgabe. Hrsg. vom Crefelder Verein für wissenschaftliche Vorträge. Crefeld: Kramer und Braun, 1884. 187 Vgl. Franz Daniel Pastorius: Umständige Beschreibung Der zu allerletzt erfundenen Provinz Pensylvaniae In denen End-Gräntzen Americae In der West-Welt gelegen. Frankfurt, Leipzig: Andreas Otto, 1704. Abgedruckt in: Andreas Hojern: Kurtz gefaßte Dännemärckische Geschichte. Vom Anfang dieses mächtigen Reichs bis zum Ausgang des XVII. Seculi. Erfurt: Christoph Ehrts, 1719. Die Seitenzählung beginnt mit Pastorius’ wieder bei 1. Auf das Gesamtwerk bezogen sind es die Seiten 601-752. Entspricht der Seitenzählung des verwendeten Digitalisats von 651-802. [URL: https://archive.org/stream/umstndigegeograp00past#page/n3/mode/2up, zuletzt aufgerufen am 04.05.2018]. 188 Vgl. Katharine Gerbner: „We are against the Traffik of Men-Body”: The Germantown Quaker Protest of 1688 and the Origins of American Abolitism. In: Pennsylvania History: A Journal of Mid-Atlantic Studies, Vol.74, No.2 (Spring 2007), pp.149-172, S.149. Im Folgenden unter der Sigle “Gerbner” zitiert. 189 Vgl. ebda. 35 dass ihm weit weniger Bekanntheit beschieden war als jenem aus Germantown.190 Der Protest wurde zwar in Abington eingereicht, dort aber ohne viel Aufhebens fallen gelassen und nicht weiter behandelt – zu wichtig war die Institution der Sklaverei damals auch noch für die

Quäker.191 Binder-Johnson verweist auch darauf, dass diesem Protest weit mehr Ansehen und

Bewunderung als wissenschaftliche Nachforschungen entgegengebracht wurden, wobei sie im selben Absatz bekennt, dass aufgrund der Eindeutigkeit in diesem Dokument wenig

Interpretationsspielraum bleibt.192 Allerdings kann Binder-Johnson die Unterzeichner der

Petition, darunter Franz Daniel Pastorius, zumindest für die Zeit ab 1692 tatsächlich als Quäker festmachen, da sie ab diesem Jahr im Verzeichnis der Quäker in Abington aufscheinen.193

Mehrere Hinweise, darunter die auffallend ähnliche Handschrift, deuten darauf hin, dass

Pastorius persönlich der Verfasser dieses Protests war.194 Der Umstand, dass der Protest an eine kleine Gruppe an Quäkern gerichtet war und nicht an die Assembly gerichtet wurde, stellt für Binder-Johnson einen Hinweis dar, dass auch Pastorius klar war, dass es noch zu früh war, um derartige politische Forderung im großen Rahmen zu stellen.195 Zwar fanden sich in

Pastorius‘ Privatbibliothek mehrere Bücher, welche die Sklaverei behandelten, Protest ging von ihm nach 1688 aber keiner mehr aus.196 Gerbner weiß dafür von einem Protestschreiben aus dem Jahr 1696 zu berichten, das von Cadwalader Morgan verfasst wurde und im

Gegensatz zum Schreiben aus Germantown eine unmittelbare Warnung vor Sklavenhaltung der jährlichen Quäkerversammlung in Philadelphia zur Folge hatte.197 Auch bei Cadwalader waren es keine ethischen Beweggründe, welche ihn zu dem Protest veranlassten, sondern schlicht eine Warnung vor der Gefahr und Amoralität der Sklaven.198 Gerbner geht in ihrer

Interpretation des Schreibens aber noch weiter und meint, dass das Schreiben ein

190 Vgl. Hildegard Binder-Johnson: The Germantown Protest of 1688 Against Negro-Slavery. In: The Pennsylvania Magazin of History and Biography, Vol.65, No.2, (April,1941), pp.145-156, S. 145. Im Folgenden unter der Sigle “Binder-Johnson“ zitiert. 191 Vgl. Gerbner, S.150. 192 Vgl. Binder-Johnson, S.145f. 193 Vgl. ebda, S.146. 194 Vgl. ebda, S.151. 195 Vgl. ebda, S.152. 196 Vgl. ebda, S.154. 197 Vgl. Gerbner, S.151. 198 Vgl. ebda. 36 anschauliches Beispiel dafür sei, dass die Gemeinde von Germantown bewusst eine

Außenposition unter den Quäkern einnahm.199 Diese Positionierung begann damit, dass die holländischen und deutschen Auswanderer im Jahr 1683 auf die Zuweisung eines geschlossenen Stückes Land bestanden und sich nicht, wie von Penn vorgeschlagen, in den noch verbliebenen Gebieten von Philadelphia aufteilten. 1689 wurde Germantown zum

„borough“ erklärt – kein anderes Gebiet in Pennsylvania wurde davor oder danach zum borough erklärt. Die Bedeutung der Boroughs sei anhand der Entwicklung des Begriffs erklärt:

Befestigte Gemeinden wurden ab dem 10. Jahrhundert in England als „buhrs“ bezeichnet. Im

12. Jahrhundert setzte die Praxis ein, das Eintreiben von Angaben an den höchstbietenden

Steuerpächter abzutreten. Mittels verschiedener Charter erlangten gewisse buhrs das Recht, die Abgaben in Eigenverwaltung erheben zu können. Bisweilen erreichten diese nun boroughs genannten Gemeinden den Status als eigener Rechtsbezirk, was zur Folge hatte, dass diese

Städte zum Sitz verschiedener Gerichte wurden. Ein weiteres Privileg dieser Gemeinden war die Erlaubnis, einzelne hohe Beamte eigenbestimmt einsetzen zu können.200 Diese

Geschlossenheit der deutschen Gruppe führte demnach zu starken Unabhängigkeitsgefühlen, die sich 1701 darin äußerten, dass man in der Stadtregierung Bestrebungen aufgriff, von den pennsylvanischen Steuern befreit zu werden.201 Den Sklavenhandel betreffend sei noch angemerkt, dass 1688 zwar der erste derartig formulierte Protest stattfand, jedoch bereits

George Fox dem Sklavenhandel kritisch gegenüberstand. Zum einen bemerkte schon er, dass der Sklavenhandel nicht mit den Moralvorstellungen der Quäker, die Gleichheit und

Gewaltlosigkeit enthielten, vereinbar sei und zum anderen sah er sein Familienbild bedroht, da die Sklaven doch Fremde wären, welche die Ordnung durcheinanderbrachten und verhindern würden, dass Kinder lernen, was harte, ehrliche Arbeit ist.202 Die Angst vor

Sklavenrevolten, die zwar auch in Germantown in den Protest einfloss, in späteren

199 Vgl. ebda, S.152. 200 Vgl. Dominik Nagl: No Part of the Mother Country, but Distinct Dominions. Rechtstransfer, Staatsbildung und Governance in England, Massachusetts und South Carolina, 1630-1769. [= Studien zur Geschichte, Politik und Gesellschaft Nordamerikas, Band 33. Hrsg. von Norbert Finzsch, Knud Krakau, Ursula Lehmkuhl], Berlin: Hopf, 2013, S.81f. 201 Vgl. Gerbner, S.152. 202 Vgl. ebda, S.155. 37

Warnungen vor der Sklavenhaltung aber weit eindringlicher beschrieben wurde, beruhte auf

Aufständen auf Barbados in den Jahren 1649, 1674/75 und einem späteren aus dem Jahr 1692.

Die Aufstände stellten für die Quäker, die ja nicht über eigene militärische Mittel verfügten, eine erhebliche Gefahr dar.203 Trotz aller Bedenken wurde der Sklavenhandel zusehend intensiviert – für viele englische Quäker stellten Sklaven sowohl ein Statussymbol als auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit dar. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren die Einfuhrzahlen der Sklaven noch immer steigend.204 Aus eben dieser Zeit liegt der Bericht eines gewissen

Gabriel Thomas vor.205 Wie aus dem Titel erkenntlich, sah Thomas sein Werk als die

Fortführung des Berichts von Franz Daniel Pastorius. Dieser Continuatio angehängt war die

Curieuse Nachricht von Pensylvania in Norden-Amerika von Daniel Falkner. Auf die

Sklaventhematik ging Thomas mit keinem Wort ein, sehr wohl aber auf die Indianer: Diese wären gute Menschen und verhielten sich auch den Christen gegenüber friedlich, außerdem bestünde ein reger Handel mit Fellen und Tabak mit ihnen.206 Er stimmte in diesem Punkt also mit dem bereits erwähnten Brief von Christoph Sauer überein, dass es keine kriegerischen

Auseinandersetzungen mit den Indianern gab. Auch Mittelberger schrieb 50 Jahre später in einem ähnlichen Ton über die Eingeborenen: Zu beiden Seiten von Philadelphia, jenseits des

Ohio- und des Hudson-Rivers würden sie wohnen und ihre Hütten wären so weit verstreut, dass keiner wisse, wie weit sich ihr Gebiet erstrecke. Als Gewand trügen sie nur Teppiche und als Zierde würden sie ihr Gesicht rot anmalen. Im Herbst aber würden sie immer zahlreich in die Städte kommen, um dort ihre Korbwaren, aber auch Biberfelle und andere Tierhäute zu verkaufen. Von der christlichen Religion hätten sie zwar keine Ahnung, doch auch die Ehen der Indianer wären lebenslang geschlossen worden.207 Falkners Bericht, der ebenfalls 1702 verfasst wurde, deutete bereits an, dass der Alkoholkonsum der Indianer, der aus

Exportgründen von den Siedlern gefördert wurde, bei den sonst sehr sozialen und freigiebigen

203 Vgl. ebda, S.156. 204 Vgl. ebda, S.153f. 205 Gabriel Thomas: Continuatio der Beschreibung der Landschafft Pensylvaniae an denen End-Gräntzen Americae. Frankfurt und Leipzig: Andreas Otto, 1702. Im Folgenden unter der Sigle „Thomas“ zitiert. 206 Vgl. ebda, S.2, 20. 207 Vgl. Mittelberger, S.72-75. 38

Indianern zu Problemen führte.208 Ganz explizit verwies Falkner darauf, dass die

Krankheitserreger der Siedler zu Epidemien unter den Eingeborenen geführt hatten:

„Ihre Anzahl vermindert sich gewaltig, indeme sie durch die Kranckheiten der Europäer angestecket dahin gerissen werden, daß wo man derselben vor 30 Jahren 100 und mehr gesehen, itzo kaum einen siehet.“209

Der Vorwurf des Kannibalismus, der angeblich vollzogen wurde, wenn in Kriegsfällen

Gefangene von anderen Stämmen gemacht wurden, den Falkner erhebt210, kann nach heutigem Stand der Forschung nicht bestätigt werden, wohl aber, dass dieser Vorwurf ein fast fester Bestandteil der Reiseliteratur über die Neue Welt der damaligen Zeit war.211 Das Thema der Sklaverei wurde von Falkner mit keinem Wort erwähnt, umso mehr kümmerte er sich um die Beantwortung der Fragen, die sich um die Lebenswelt der Indianer drehten. Falkner als verlässliche Quelle für die Lebensumstände der Indianer heranzuziehen ist allerdings problematisch, da schon das Kannibalismus-Beispiel darlegt, dass Falkner auf Legenden und

Schauergeschichten sowie Klischees der damaligen Zeit zurückgriff, was in Folge natürlich auch alle weiteren Aussagen von ihm in Frage stellt.

Philadelphia verfügte laut Gabriels Bericht zu dieser Zeit schon über 2000 Häuser und 500 weitere, was im Kontext so gedeutet werden kann, dass die meisten der Häuser aus Stein gefertigt waren und es daneben noch 500 kleinere Holzhütten gab.212 Thomas erwähnte auch, dass Pennsylvania weit bessere Verdienstmöglichkeiten für die verschiedensten

Berufsgruppen zu bieten hätte, als sie in England oder auf Kontinentaleuropa zu finden seien und dies obwohl die Lebenserhaltungskosten nicht teurer seien, da es Nahrung im Überfluss gäbe.213 Interessant sind auch die Zahlen zur Entwicklung der Grundstückspreise, die Gabriel

Thomas angab: So seien Preissteigerung von 15 Schilling auf 84 Pfund Sterling möglich

208 Vgl. Daniel Falkner: Curieuse Nachricht von Pensylvania in Norden-Amerika. Frankfurt und Leipzig: Otto, 1702, S.11. (Der Bericht ist jenem von Thomas Gabriel angefügt, beginnt allerdings mit einer neuen Seitenzählung!) 209 Falkner, S.11. 210 Vgl. Falkner, S.26. 211 Vgl. Bastian Brauns: “Sofort ziehen sie den Toten über das Feuer“. In: Zeitgeschichte, Nr.1/2011 vom 15. Februar 2011. [URL: http://www.zeit.de/zeit-geschichte/2011/01/Kannibalismus-Neue-Welt, zuletzt aufgerufen am 04.05.2018]. 212 Vgl. Thomas, S.4,28. 213 Vgl. ebda, S.7,22,23. 39 gewesen und in den vergangenen zwei Jahren, was dem Zeitraum von 1699 bis 1701 entsprach, sei es sogar vorgekommen, dass Grundstücke für drei Pfund gekauft und für 100

Pfund weiterverkauft wurden.214 Dies lag vor allem daran, dass sich Pennsylvania als bestens geeigneter Handelsknotenpunkt etablierte. Sogar das Hinterland war von diesen

Verteuerungen betroffen, da dort die größten Eisenerz- und Kupfervorkommen gefunden wurden und weiters der Handel mit den Eingeborenen in diesen Gebieten weit intensiver getätigt werden konnte.215 Mittelberger berichtete davon, dass im „Blauen Gebirge“ viel

Eisenerz, Kupfer und Schwefel gefunden wurde, das man von Philadelphia aus nach Irland und

England exportierte.216 Bei diesem geografisch nicht näher bestimmten Gebirge dürfte es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um die Ausläufer des Allegheny-Gebirges handeln – die von

Thomas genannten Eingeborenen wären demnach die Lenape, auch Delawaren genannt217, gewesen.

3.2 Johann Christoph Sauer und die Etablierung deutscher Kultur in Amerika

Wie in Kapitel 1.2 beschrieben, spielte die Auswanderungswelle von 1709 keine bedeutende

Rolle für die Geschichte der Deutschen in Pennsylvania. Der nächste markante Anstieg der

Auswanderer nach Amerika datiert auf die Jahre um und nach 1727.218 Mit Johann Christoph

Sauer betrat jedoch genau zwischen zwei Auswanderungswellen eine Person das Geschehen, die mit ihren publizistischen Tätigkeiten großen Einfluss auf die deutsche Gemeinde hatte.

Brunner liegt jedoch mit 1717 als Jahr der Auswanderung falsch219, dieses war 1724, was auch mit dem oben zitierten Brief220 belegt werden kann. Christoph Sauer gilt als die führende

Stimme unter den deutschen Sekten der damaligen Zeit und obwohl sein Lebenswerk wohl die 1743 erschienene erste deutschsprachige Bibel in Amerika war – die erste in Amerika gedruckte englische Bibel wurde erst 1782 von Robert Aitken publiziert -, so besaß er aufgrund

214 Vgl. ebda, S.19. 215 Vgl. ebda, S.19. 216 Vgl Mittelberger, S.90. 217 Vgl. [URL: https://www.indianerwww.de/indian/delawaren.htm, zuletzt aufgerufen am 04.05.2018]. 218 Vgl. Brunner, S.23. 219 Vgl. ebda, S.22 220 Vgl. Fußnote 108. 40 der erfolgreichen Zeitung „Der Hoch-Deutsch Pensylvanische Geschicht-Schreiber“ und des

„Hoch-Deutsch[en] Americanisch[en] Calendar[s]“ auch politisches Gewicht.221 Er war es, der aufgrund seines Widerstandes die Pläne von Nicholas Lewis von Zinzendorf, alle Deutschen in

Pennsylvania zu vereinen vereitelte und laut William Smith222 ein entscheidender Faktor im

Sieg der Quäker bei den Provinz-Wahlen in der Mitte des Jahrhunderts war.223 Interessant sind die Aussagen Smiths, auf die sich Durnbaugh und Luther beziehen allenfalls224: Im

Zusammenhang mit den Vorbereitungen auf den so genannten „Spanish War“ bezichtigte er

Sauer, ein „French Prophet“ zu sein, der verdächtigt sei, in den Diensten des Papstes zu stehen.225 Es muss natürlich erwähnt werden, dass William Smith als Befürworter eines anglikanischen Bischofs in Pennsylvania den deutschen Sekten gegenüber kein Naheverhältnis aufwies. Smith beschrieb weiterhin, dass jene Vertreter der Great Assembly, welche den

Quäkern angehörten, mit dem Ziel, die Deutschen auf ihre Seite zu ziehen, auf die Dienste von

Christoph Sauer zurückgriffen und diesen verbreiten ließen, dass, wenn nicht die Quäker wieder die Wahlen gewinnen würden, es Pläne gäbe, die Deutschen zu unterjochen, sie mit

221 Vgl. Donald F. Durnbaugh and Luther: Christoph Sauer Pennsylvania-German Printer: His Youth in Germany and Later Relationships with Europe. In: The Pennsylvania Magazine of History and Biography, Vol. 82, No.3 (Jul.,1958), pp.316-340, S.317f. Im Folgenden unter der Sigle “Durnbaugh, Luther” zitiert. 222 William Smith (1727, Aberdeen, Schottland - 1803, Philadelphia). Er brach sein Studium erstmals 1747 in Aberdeen und zum zweiten Mal in New York bei Josiah Martin ab. Sein 1753 erschienener Essay „A General Idea of the College of Mirania” beeindruckte so sehr, dass Smith auf den Lehrstuhl für Naturphilosophie und Logik der Academy of Philadelphia berufen wurde. 1754 wurde er ein Kirchenbeamter der Anglikanischen Kirche und wurde im selben Jahr zum ordentlichen Professor gewählt. 1755 wurde er Vorsteher der Academy, behielt diese Position bis 1789 und hatte sie ab 1791, als die Academy zur Pennsylvania University wurde, erster Rektor dieser Universität. Franklin unterstützte Smith die ersten Jahre, allerdings entzweiten sich die beiden nach politischen Uneinigkeiten, die vor allem die militärische Organisation der Provinz betrafen. In weiterer Folge schied Franklin als Trustee von Penn aus und wurde durch Richard Peters ersetzt. Smith kam indessen 1758 kurz in Haft, nachdem er die Heeres-Politik der Assembly in der Presse angegriffen hatte. Smith bekam den Ehrendoktortitel von Oxford, Aberdeen und Irland und wurde auch in die „American Philosophical Society“ aufgenommen. Während den Unruhen im Zuge des Stamp Act trat Smith für die Erweiterung der Freiheiten der Kolonisten ein. Trotzdem wurde er von einigen verdächtigt ein Loyalist zu sein, weshalb er 1779 nicht als Trustee der nun neu gegründeten Pennsylvania State University ernannt wurde. Smith blieb aber weiterhin Vorsteher des Colleges. In den 1780er-Jahren zog Smith nach Maryland und gründete das Washington College. Er war bei der Gründung der Diözese Maryland beteiligt, wurde sogar zu deren erstem Bischof gewählt, aber nicht mehr im Amt eingeweiht. Vgl. [URL: https://www.archives.upenn.edu/people/1700s/smith_wm.html, zuletzt aufgerufen am 04.05.2018]. 223 Vgl. Durnbaugh, Luther, S.317f. 224 Da beim Verfassen der Arbeit nur ein Nachdruck von Smiths Werk zur Verfügung stand, weichen die zitierten Seiten von jenen bei „Durnbaugh und Luther“ ab. 225 William Smith: A Brief State of the Province of Pennsylvania. London: Griffith 1755. Reprinted for Joseph Sabin, 1863, S. 28f. Im Folgenden unter der Sigle “Smith” zitiert. 41 außerordentlichen Steuern zu belasten und zum Kriegsdienst zu zwingen.226 Es kann an dieser

Stelle nicht dargelegt werden, wie viel Propaganda und wie viele Fakten in dieser

Beschreibung vorhanden sind, jedoch ist es Tatsache, dass die Quäker mit Hilfe der Deutschen die Wahlen gewinnen konnten, was Smith allerdings als „not the worst consequence“ bezeichnete.227 Weit schlimmer sei das Bewusstsein um die eigene politische Bedeutung, welches die Deutschen erlangten und das auch von den Franzosen erkannt wurde, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Deutschen ihre Siedlungen am Ohio hatten und mittels jesuitischer Missionare versuchten, die Deutschen wieder zum Katholizismus zu bekehren.228

Der Vorwurf der Loyalität der Deutschen gegenüber den Franzosen und die dadurch bestehende Verbindung zum Papst, den Smith hier aufgriff, soll zu den zähesten Vorbehalten werden, die man den deutschen Auswanderern in den nächsten Jahrzehnten entgegenbrachte. Durnbaugh bescheinigt Sauer, keiner bestimmten religiösen Gruppe anzugehören229, was er in einem eigenen Artikel ausführlicher darlegt.230 Seinen Beinamen

„Good Samaritan“ bekam Sauer aufgrund seines sozialen Engagements, mit dem er sich vor allem um Bildung und um die Eindämmung des Missbrauches bei der Überführung der deutschen Auswanderer einsetzte.231 Sauer war der Sohn eines reformierten Pfarrers. Ein

Hinweis darauf, dass er um das Jahr 1720 aber aus der Kirche austrat, ist der Umstand, dass er zwar 1720 die Witwe eines reformierten Pfarrers heiratete, die Geburt seines Sohnes am

26. September 1721 aber in keinem Kirchenverzeichnis aufscheint.232 Seine bereits zitierten

Briefe hatten in Wittgenstein, wohin die Brief adressiert waren, zur Folge, dass laut

Aufzeichnungen eines gewissen Charles Hector Marquis St. George de Marsay zumindest hundert weitere Personen aus diesem Gebiet die Auswanderung wagten,233 wobei im

Anschluss daran darauf hingewiesen wird, dass die Überfahrt 1726 sehr unglücklich verlief und

226 Vgl. ebda. 227 Vgl. ebda, S.30. 228 Vgl. ebda, S.31. 229 Vgl. Durnbaugh, Luther, S.317. 230 Siehe dazu: Donald F. Durnbaugh: Was Christopher Sauer a Dunker? In: The Pennsylvania Magazine of History and Biography, Vol.93, No.3 (Jul.,1969), pp.383-391. 231 Vgl. Durnbaugh, Luther, S.318. 232 Vgl. ebda, S.322f. 233 Vgl. ebda, S.324. 42 die Mehrheit der Reisenden starb.234 Nachdem ihn seine Frau 1730 verließ, um der Kommune von Ephrata beizutreten, kehrte Sauer, der bis dahin beruflich an verschiedenen Orten in

Pennsylvania tätig gewesen war, nach Germantown zurück und begann damit, eine deutschsprachige Presse aufzubauen.235 Ein Brief von Gotthilf August Francke236, der sich zu dieser Zeit in Halle aufhielt und mit Sauer in Kontakt stand, belegt, dass man zunächst nicht viel von dem Vorhaben hielt. Ein Brief Sauers aus dem Jahr 1738 wiederum gibt Zeugnis, dass

Sauer die notwendigen Materialien für seine Druckerei bekam und das Gesangsbuch der

Kommune von Ephrata sowie der Hoch-Deutsch Americanische Calender die ersten Werke waren, die gedruckt wurden.237 Immer wieder bekannte Sauer, dass er kein finanzielles

Interesse an der Presse hätte, sondern bloß „for the glory of God and my neighbor’s good“ arbeiten würde.238 Mittelberger schrieb in seinem Bericht von vier Druckereien, die es in der

Mitte des 18. Jahrhunderts bereits in Pennsylvania gab: Zwei in Philadelphia, wovon eine eine englische, die andere eine deutsche war, eine in Lancaster und die vierte war eben jene in

Germantown.239 Die deutsche Presse in Philadelphia gab es seit 1743 und gehörte Joseph

Crellius.240 Eine Folge von Sauers Presse war allerdings, dass Sauer ein entscheidender Faktor in den religiösen Diskussionen der deutschen Kolonisten wurde, vor allem in der bereits erwähnten Kontroverse mit Zinzendorf. Johann Philipp Fresenius241 kann als Archivar dieses

234 Vgl. ebda, S.325. 235 Vgl. ebda. 236 Gotthilf August Francke (31.3.1696 – 2.9.1769). Francke war der Sohn von August Hermann Francke und dessen Nachfolger als Direktor des von August Hermann F. gegründeten Waisenhauses und den weiteren Anstalten. Francke wurde zunächst mittels Privatlehrer erzogen, kam dann in das königliche Pädagogium und studierte schließlich Theologie. 1720 wurde Francke Pastor am Zucht- und Arbeiterhaus in Halle. 1727 wurde er ordentlicher Professor und trat im selben Jahr nach dem Tod des Vaters dessen Posten an. Da vor allem die „Medicamenten-Expedition“ große Gewinne abwarf, spendete Francke großzügige Summen für Medizin für Arme, Essen für die Tafeln und auch die Missionsreise der 1732 aus Salzburg vertriebenen Salzburger Protestanten wurde finanziell von ihm unterstützt. Eine Stütze für sein Waisenhaus waren die Zuwendungen Friedrich Wilhelm I. Vgl. Gustav Kramer: Francke, Gotthilf August. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Hrsg. von der Historischen Kommission der Bayrischen Akademie der Wissenschaft, Band 7, 1878, S.231-233. [URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Francke,_Gotthilf_August, zuletzt aufgerufen am 04.05.2018]. 237 Vgl. ebda, S.325f. 238 Vgl. ebda, S.318, 329. 239 Vgl. Mittelberger, S.91. 240 Vgl. Cronau, S.143. 241 Johann Philipp Fresenius (22.10.1705 – 4.7. 1761). Fresenius war der Sohn des Pfarrers von Niederwiesen. 1723 begann er ein Theologiestudium in Straßburg. Er wurde 1727, nach dem Tod des Vaters, Pfarrer von Oberwiesen. 1736 wurde er Hofprediger von Darmstadt. 1748 erlangte er seinen Doktortitel an der Universität 43

Streits angesehen werden – sowohl seine Sammlung „Bewährte Nachrichten von

Herrnhutischen Sachen“ als auch die „Büdingische Sammlung“ sowie ein dritter Band, der hundertfache Nachdrucke von Briefen und Pamphleten enthält, geben Aufschluss über einen

Streit, der sehr persönlich wurde, wenn Sauer Zinzendorf als unchristlich bezeichnet wurde, da dieser sich nur um seine Ehre kümmern würde, umgekehrt der Vorwurf erhoben wurde,

Sauer würde Blasphemie betreiben und Unwahrheiten verbreiten.242 Die Kontroverse der beiden Herren wurde auch in Europa ein Thema, vor allem da die Pamphlete Sauers in

Berleburg im „Geistlichen Fama“, einem Journal der Separatisten nachgedruckt wurden.243

Der Druck der Bibel wurde auch in Europa als großartige Leistung anerkannt244, jedoch mehrten sich die Gegner, da Sauer mit seinen Zeitschriften Kritik an der Kirche schnell und effektiv verbreiten konnte und seine Auslegung der Bibel Empörung nach sich zog.245 Neben

Zinzendorf geriet Sauer auch mit Caspar Lewis Schnorr246 in Streit, der sich in einem Brief nach

Amsterdam darüber ausließ, dass „he [Sauer] falsifies the entire Bible. I preach against it every place I go […]“, wobei mit “it” Sauers Bibel gemeint ist. Das Problem war, dass nicht genügend

Göttingen. Im selben Jahr wurde er zum Senior des lutherischen Ministeriums bestellt. Auch Jacob Philipp Spener und August Hermann Francke, die zweit zentralen Figuren des Pietismus in Deutschland ab 1675, hatten die Stelle inne. Vgl. Georg Eduard Steitz: Fresenius, Johann Philipp. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Hrsg. von der Historischen Kommission der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, Band 7, 1878. S.353f. [Online-Version; URL: https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Fresenius,_Johann_Philipp, zuletzt aufgerufen am 04.05.2018]. 242 Vgl. Durnbaugh, Luther, S.332. 243 Vgl. ebda, S.333. 244 Vgl. ebda, S.334. 245 Vgl. ebda, S.336. 246 Caspar Lewis (Ludwig) Schnorr war ab November 1744 Pfarrer der reformierten Gemeinde in Lancaster County. Er kam in Westfalen auf die Welt und war ein konvertierter Katholik. Mit finanzieller Unterstützung der Amsterdamer Classis kam er nach Pennsylvania. Neben Lancaster betreute er auch noch die Tulpehocken Reformed Church, welche im heutigen Berks County lag. Auch er forderte aufgrund der Bibel-Knappheit hunderte Exemplare aus Amsterdam an. Die Größe seiner Gemeinde, die sich auf die Herstellung von Eisen sezialisierte (Cronau, S.139) bezifferte er mit 106 Mitgliedern. Sauer reagierte auf den Streit mit ihm, indem er mittels seiner Presse die Vorwürfe der Trunkenheit über Schnorr publik machte. Übereinstimmend mit Sauer berichtete auch Heinrich Melchior Mühlenberg von denselben Vorwürfen. Schnorr wurde bereits 1746 seines Amtes enthoben. Der Kirchenhistoriker James I. Good meint, dass Schnorr damit eine schwierige Zeit für die Reformierten in Lancaster einleitete: Sein Nachfolger, Johann Jacob Hochreutiner, brachte sich aus Versehen kurz vor seinem Amtsantritt bei einem Unfall mit einem Gewehr selbst um, Johann Conrad Steiner sagte der Gemeinde zwar als Pfarrer zu, entschied sich aber dann unmittelbar vor Dienstantritt dazu, nach Philadelphia zu wechseln und der 1750 angetretene, aus Heidelberg stammende Ludwig Ferdinand Vock, schaffte es nicht, die Gemeinde in geordnete Bahnen zu bringen. Vgl. Mark Häberlin: The Practice of Pluralism. Congregational Life and Religious Diversity in Lancaster, Pennsylvania. 1730-1820. Pennsylvania State University Press: Pennsylvania, 2009, S.18-22. 44

Bibeln aus Europa schnell genug geliefert wurden, was Sauers Bibel zu zusätzlicher Popularität verhalf.247 Mit Michael Schlatter „a Swiss Reformed pastor“, geriet er in Streit, da Sauer seine

Reputation in Artikeln beschädigte und Henry Melchior Muhlenberg, der Patriarch der

Lutheran Church in America, bezeichnete Sauer als „thorn in the flesh“.248 Er schrieb auch gegen , den Vorsteher der Kommune von Ephrata, der seine Frau angehörte.

Pennypacker gibt an, dass die beiden aus Deutschland waren und Sauer Beissel ursprünglich schätzte. In Amerika verdächtigte er Beissel jedoch, in seinem Kloster eine ihm nicht zustehende Führungsposition einzunehmen, wobei Pennypacker sogleich zu bedenken gibt, dass schlichte Eifersucht ein Grund gewesen sein möge, da Sauers Frau ihn aufgrund ihres

Eintritts in das Kloster verließ und dort zur Sub-Priorin ernannt wurde.249 Die Zusammenarbeit in Bezug auf die Druckaufträge des Klosters bei Sauer hatte unterdessen aber nie unter dem

Streit gelitten. Die Bekanntheit Sauers in Europa wurde weiters durch die Veröffentlichung einer Satire gegen die Herrenhuter im Jahr 1750 gesteigert, die zwar von Carl Hermann

Hemmerde, dem Begründer des Halleschen Verlages, verfasst wurde, aber ohne Sauers

Kenntnis unter seinem Namen publiziert wurde, sowie ein originales Schreiben Sauers, welche die Missionierung der Indianer durch eine schottische Mission zum Thema hatte.250 Am Ende seines Artikels verweist Durnbaugh darauf, dass die intellektuellen Interessen Sauers und sein

Besitz der ersten fremdsprachigen Presse im kolonialen Amerika dazu führten, dass Sauer eine außerordentlich bedeutende Rolle im interkulturellen Austausch einnahm.251

247 Vgl. ebda, S.337 248 Vgl. ebda. 249 Vgl. Samuel W. Pennypacker: The Quarrel between Christoph Sower, the Germantown Printer and Conrad Beissel, Founder and Vorsteher of the Cloister at Ephrata. In: The Pennsylvania Magazine of History and Biography, Vol. 12, No.1 (April 1888), pp.76-96, S.76. 250 Vgl. Durnbaugh, Luther, S.339. 251 Vgl. ebda, S.340. 45

4 Von West Jersey nach Pennsylvania – Das legislative Fundament der Religionsfreiheit bei Penn

Möchte man sich dem Streben Penns nach einer Kolonie, in der Religionsfreiheit herrscht, nähern, kommt man nicht umhin, die in Europa schon länger bestehende Tradition religiös- liberaler oder anders gearteter Gruppen zu betrachten, wobei für die damalige Zeit immer zu bedenken ist, dass Kirche und weltliche Macht als Machtgaranten für den jeweils anderen zu betrachten sind.252 Für Englands religiöse Untergruppen war die Loslösung Heinrichs VIII. von

Rom von größter Bedeutung: Der König selbst war in ihren Augen der von ihnen geforderten

Gewissensfreiheit nachgegangen, die keiner Autorität unterstehe. Natürlich war für eben jene

Gruppen Heinrichs Vorgehen nach der Etablierung der Staatskirche nicht mehr akzeptabel – alleine schon die Etablierung einer Staatskirche war es nicht -, doch bloß die Tatsache, dass der König den Bund mit Rom aufhob, bestätigte viele in ihrem Eifer, der darauf aus war,

Religion von Autoritäten zu trennen. Ohne zu weit auf die europäisch-ideologische

Vorgeschichte der verschiedenen Gruppen eingehen zu wollen, muss doch eine wichtiger

Umstand erwähnt werden: Religion als identitätsstiftendes Momentum von Menschen verschiedener Herkunft, sprachlich wenig bis nicht integriert und auf so weiten Gebieten verstreut, dass gerade die sogenannten Frontiers, zu denen die Deutschen zählten, nur eingeschränkt sozial in ihr Umfeld eingebunden waren.253 War die Religion in Deutschland, aber auch im restlichen Europa ein Politikum, das vor allem für die herrschenden Klassen von

Bedeutung war, so wurde Religion nun in Nordamerika auch zu einer Frage der sozialen

Zugehörigkeit innerhalb relativ kleiner Siedlergruppen, deren Beantwortung umso dringlicher war, da aufgrund des von Anfang an bestehenden Multikulturalismus die Ethnie und Herkunft immer weniger als Charakteristikum einer Gruppe herangezogen werden konnte.254 Als

Beweis, dass die Wahrung der Herkunft jedoch weiterhin eine nicht zu unterschätzende Rolle

252 Vgl. Comfort, S.13-16. 253 Vgl. Otto Holzapfel: Religiöse Identität und Gesangbuch. Zur Ideologiegeschichte deutscher Einwanderer in die USA und die Auseinandersetzung um das „richtige“ Gesangsbuch. Bern, Berlin, Frankfurt a. Main u.a.: Peter Lang, 1998, S.40. 254 Vgl. ebda. 46 während des 18. Jahrhunderts spielte, können die Verweise und Dokumentationen auf und

über die verschiedenen Gesangsbücher gesehen werden, die Holzapfel gibt und einen bedeutenden deutschen Auswanderer preisgibt: Christoph Sauer.255 In Anbetracht der

Ereignisse des 18. Jahrhunderts fügt es sich passend zusammen, dass die Gesangsbücher bis

1799 auch in Deutsch erschienen, was wiederum ein Hinweis darauf ist, dass mit dem

Unabhängigkeitskrieg sich auch in der Selbstwahrnehmung der Auswanderer etwas grundlegend änderte.256 Bevor die Entwicklung der deutschen Auswanderer weiter verfolgt wird, stellt sich die Frage nach der Verwaltung der Provinz. „Holy Experiment“ und freie

Religionsausübung sind Schlagworte, die jeder Artikel über Penn oder Pennsylvania in Bezug auf diese Zeit beinhaltet, weit seltener jedoch werden die Organisation und Regierung in den

Anfängen der Kolonie betrachtet. Wie begründete Penn seine Toleranz gegenüber anderen religiösen Gruppen, da er selbst doch die Verfolgung in der Heimat am eigenen Leib zu spüren bekam? Woher nahm er sein Wissen, welches für die Ausarbeitung der ersten Verfassungen notwendig war? Nach welchen Prinzipien waren diese ausformuliert und lassen sich darin

Entwicklungen erkennen? Dies sind nur einige Fragen, die zu klären sind, wenn man die religiös motivierte Wunschvorstellung eines Staates/einer Provinz mit der Organisation einer tatsächlich bestehenden Kolonie in Einklang bringen möchte. Zu diesem Zweck werden die drei „Frames of Government of Pennsylvania“, die 1682, 1683 und 1696 erschienen, untersucht, wobei nach Möglichkeit Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu Maryland aufgezeigt werden, wo diese liberalen Vorstellungen zwar unter anderen Vorzeichen, jedoch bereits Jahrzehnte früher in der Gestaltung der Politik eine Rolle spielten.

4.1 Penn und West Jersey

Penn begann die Konkretisierung seiner Vorstellungen bereits in England, als im Jahr 1664 der

Conventicle Act erlassen wurde, der es Gruppen ab fünf Personen verbot, eine andere Religion als die der englischen Staatskirche gemeinsam auszuüben.257 An dieser Stelle findet sich nun

255 Vgl. ebda. 256 Vgl. ebda. 257 Vgl. Susan Forbes Martin: A Nation of Immigrants. New York: Cambridge Press, 2011, S.46. Im Folgenden unter der Sigle “Martin: Immigrants” zitiert. 47 ein wegweisender Hinweis darauf, wie Penn bereits vor Erhalt der Kolonie begann,

Erfahrungen in der Organisation zu sammeln und auf diese Weise seine Vorstellungen immer weiter konkretisieren konnte. Sich in Haft befindend, legte er seine religiösen Leitideen 1669 in seinem Werk „No Cross, no Crown“ dar, worin er verkürzt beschrieb, dass kein zeremonielles Gehabe einen Weg zu Gott darstellen würde und es eben diese Einstellung sei, die den Weg zu einer guten Politik ebnen würde.258 1674 wurde er der Trustee von Edward

Byllinges Besitzungen, welche auch Gebiete in West Jersey beinhalteten und deren Verfassung

Penn auch bereits mit ausgearbeitet hatte.259 Da West Jersey ebenfalls als Quäker-Kolonie bezeichnet werden kann, die sich durch eine liberale Politik auszeichnete260, wird nun der

Versuch unternommen, mittels einer Untersuchung der von Penn aufgesetzten Verfassungen in West Jersey und der Frames of Government of Pennsylvania eine Chronologie der

Gesetzgebung aufzuzeigen, um auf diese Weise nachzuvollziehen, wie Penn seine Kolonie organisierte und schließlich zu eben jener Verfassung kam, die so prägend für den weiteren

Verlauf der US-amerikanischen Geschichte sein wird.

1664 übertrug der Duke of York, der später als James II. den englischen Thron bestieg, das

Gebiet zwischen dem Hudson River und dem Delaware River zwei loyalen Verbündeten im

Englischen Bürgerkrieg, Lord Berkeley und Sir John Cateret. Ersterer wiederum verkaufte seinen Teil, West Jersey, für 1000 Pfund an John Fenwick und Edward Byllinge, welche beide

Zugehörige der Quäker waren.261 Nach einem Streit der beiden, den William Penn schlichten sollte und den dieser daraufhin zu Gunsten von Byllinge entschied, zog Fenwick trotz der

Überredungsversuche von Penn weiter und gründete Salem.262 Penn stieg daraufhin zu einer der Leitfiguren West Jerseys auf, nachdem er eine Regierung etablierte und die Besiedelung organisierte, was auch bei Janney als Vorbereitung für sein Schaffen in Pennsylvania bezeichnet wird.263 In der „Charter of Fundamental Laws, of West New Jersey, Agrees Upon

258 Vgl. S.45f. 259 Vgl. ebda. 260 Sydney E. Ahlstrom: A Religious History of the American People. New Haven, London: Yale University Press, 1972, S.206. Im Folgenden unter der Sigle “Ahlstrom” zitiert. 261 Vgl. Samuel M. Janney: The Life of William Penn. With Selections From His Correspondence and Auto- Biography. Philadelphia: Hogan, Perkins & Co., 1852, S.110. Im Folgenden unter der Sigle “Janney” zitiert. 262 Vgl. ebda, S.111. 263 Vgl. ebda, S.112. 48

1676”, die Penn mitformulierte, wurden die Gewissensfreiheit und die Rechte der Menschen

über jene der (Land-) Besitzer und der herrschenden Klasse gestellt.264 Ist man gewillt der

Reihenfolge eine Hierarchie zu entnehmen, so findet man zuvorderst die

Mahnung/Feststellung, dass die Charter von den Eigentümern von West New Jersey einzeln unterzeichnet wurde und die auf Basis dieser Verfassung einberufene Versammlung (Great

Assembly) nicht berechtigt ist, Kraft ihres Amtes diese abzuändern (Chapter XIII.). Nach zwei kurzen Abschnitten (Chapter XIV., XV.), die vor allem die Veröffentlichung der Beschlüsse thematisieren, werden sogleich die Glaubensfreiheit und die freie Ausübung derselben in den

Verfassungsrang erhoben (Chapter XVI.). Bis Chapter XXIII. wird danach der Ablauf eines ordentlichen Gerichtsverfahren dargelegt, wobei es zur Installation der Geschworenen kommt, mit der Zusicherung, dass in jedem Fall dem Angeklagten ein Prozess ermöglicht werden muss und weiters in Chapter XXI. ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sowohl vor als auch nach dem Prozess der Kläger oder der Geschädigte die Möglichkeit hat, dem

Angeklagten Pardon zu gewähren.265 Im selben Jahr wurde in einer Urkunde, die zum einen von Cateret und zum anderen von Edward Byllinge, William Penn, Gawen Laurie und Nicholas

Lucas unterzeichnet wurde, die Grenze zwischen den nun so genannten Provinzen New West

Jersey und New East Jersey besiegelt.266 Martin verweist auf Penns Prägung durch das englische Recht, in dem er aufgrund seines Studiums Kenntnisse hatte, aber auch die nicht zu unterschätzende Wirkung der Erfahrungen, die er auf seinen Reisen nach Holland gesammelt hatte, wo den Quäkern mehr Toleranz entgegengebracht wurde.267 In den folgenden zwei

Jahren kamen 800 Emigranten, die meisten davon Quäker, nach West New Jersey.268 Das

Gebiet wurde in 100 Teile gegliedert, zehn waren Fenwick vorbehalten, die restlichen 90 standen zum Verkauf, wobei die zwei größten Käufer jeweils Quäkergruppen waren. Eine kam

264 Vgl. Martin: Immigrants, S.47. 265 Vgl. The Charter of Fundamental Laws, of West New Jersey, Agreed Upon – 1676. [URL: http://avalon.law.yale.edu/17th_century/nj05.asp, zuletzt abgerufen am 04.05.2018]. 266 Vgl. Janney, S.112. 267 Vgl. Martin: Immigrants, S.46f. 268 Vgl. Janney, S.113. 49 aus London, die andere aus Yorkshire, die auf Chygoes Island die Stadt Burlington gründeten.269

4.2 Erhalt Pennsylvanias und die Frames of Government

Obwohl West New Jersey unter der Leitung von William Penn erblühte, es eine friedvolle

Nachbarschaft mit der indigenen Bevölkerung gab, die auch zu intensivem Handel mit dieser führte270, so betrachtete Penn die Kolonie zwar als nützlich für die Sache der Quäker, jedoch nicht als ausreichend und strebte immer mehr nach einer eigenen Kolonie, um die er wie bereits erwähnt, mittels Petition an König II. nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1680 bat und schließlich auch bekam.271 Ebenfalls bei Martin findet man die Antwort auf die anfangs gestellt Frage, warum Penn mit dem Recht der Legislatur ausgestattet wurde und wie dieses genau aussah: Aus Erfahrung wusste man in England, dass es wiederholt zu Problemen kam, wenn die Besitzer der Kolonien zu viele Rechte gegenüber der Krone oder den Siedlern hatten.272 Aus diesen Beweggründen gestattete man Penn zwar das Recht, die

Regierungsform zu bestimmen, jedoch konnte er selbst nur Gesetze erlassen, wenn diese im

Einklang mit der Versammlung erlassen wurde. Weiters wurde Penn dazu verpflichtet, einen

Agenten in London zu installieren und alle Gesetze dem König vorzulegen, was de facto einem

Vetorecht des Königs gleichkam. Zusätzlich behielt sich der König das Recht vor, in allen

Provinzialgerichten zu erscheinen. Im Gegenzug stimmte der König zu, keine Steuern zu erlassen, außer diese waren mit den Besitzern der Kolonie und der Versammlung abgestimmt oder, und dies war nur im Jahr vor dem Unabhängigkeitskrieg der Fall, wenn diese durch einen

Act of Parliament erlassen wurden.273 Sollten mehr als 20 Personen um einen anglikanischen

Minister bitten, musste laut der Charter for the Province of Pennsylvania dieser Bitte nachgekommen werden.274 Schon anhand dieser Umstände zeigt sich, dass die Freiheiten

Penns in der Gestaltung der Gesetzgebung eingeschränkt und sowohl einer lokalen als auch

269 Vgl. ebda, S.113f. 270 Vgl. ebda, S.116. 271 Vgl. Martin: Immigrants, S.47. 272 Vgl. ebda. 273 Vgl. ebda, S.47. 274 Vgl. ebda. 50 einer royalen Kontrolle unterworfen waren. Gleichzeitig darf man davon ausgehen, dass die englische Krone durchaus bestrebt war, der Gründung und vor allem der weiteren Entwicklung dieser Kolonie durch Zugeständnisse auf der fiskalen Seite entgegenzukommen. Zieht man in

Betracht, dass das Zugeständnis an Penn erfolgte, kurz bevor das Vergeben von Besitzrechten in Übersee durch das Parlament eingeschränkt wurde275, stellt sich die in dieser Arbeit nicht zu beantwortende Frage, wie man sich in London die langfristige Entwicklung der Kolonien und die Zusammenarbeit mit diesen in London vorstellte und welche Umstände es waren, die dazu führten, dass diese Besitzrechte bald darauf seltener erteilt wurden. Auf die Frage nach den Grundprinzipien von Penns Gesetzesgebung verweist Janney auf den bleibenden Einfluss der schon von George Fox formulierten Doktrin der Quäker und zieht zusätzlich einen

Vergleich zum Vorgehen von Locke, der an der Verfassung von Carolina mitwirkte, ein

Zeitgenosse Penns war und der ebenfalls in Oxford studierte.276 Den Umstand, dass Penns

Verfassung in der weiteren nordamerikanischen Geschichte von größerer Bedeutung war, begründet Janney damit, dass Penn zum einen enge Verbindungen zu kirchlichen Kreisen hatte und zum anderen - und dies im Gegensatz zu Locke - keine Standesunterschiede anerkannte, was alleine schon „demokratisierende“ Folgen hatte und Penn dafür das seiner

Ansicht nach in jedem Menschen vorhandene göttliche Prinzip in den Vordergrund stellte.277

Noch bevor er auf weltliche Belange eingeht, beschreibt Penn im „Preface“ seines ersten

Frames of Government of Pennsylvania, wie aufgrund des Sündenfalls das Gesetz überhaupt erst für den Menschen notwendig wurde und das dieses zwei fundamentale Aufgaben hätte, welche die weiteren Gesetze bedingen würden. Diese Aufgabe seien einerseits „to terrify evil- doers“ und zweitens „to cherish those that do well“.278 Er fährt wörtlich fort, dass „government seems to me a part of religion itself” und legt seine Ansicht dar, dass „good men” zu einer guten Regierung führen werden, da diese auch eine schlechte Regierung „heilen“ könnten und dass er dem Einwand, dass „good laws“ auch zum Ergebnis führen würden, zwar zustimme,

275 Vgl. ebda. 276 Vgl. Janney, S.175. 277 Vgl. ebda, S.175f. 278 Vgl. ebda, S.177. 51 aber „good men do better“.279 Alleine das Vorwort zu dieser ersten Verfassung Pennsylvanias lässt klar erkennen, dass Penn in seiner Gesetzgebung theologisch motiviert war und sie mehr als lästige Notwendigkeit aufgrund der Fehlerhaftigkeit der Menschen erachtete, die abzustreifen er strebte und weiters gibt das Vorwort auch Einblicke dahingehend, dass Penn wirklich an die Menschen, die sich in seiner Kolonie ansiedelten glaubte – ein eindeutiges

Bekenntnis zum Guten im Menschen, das sich auch durch die abgeänderten Verfassungen ziehen wird. Wörtlich spricht er in seinem Vorwort zum ersten Frame davon, dass Gott den

Menschen als seinen „Deputy“ auf Erden eingesetzt habe und aufgrund seines „native goodness“ keine „coercive or compulsive means“ von Nöten gewesen wären, was sich mit dem Sündenfall radikal änderte und dem Recht erst Macht über den Menschen gab, das Recht also notwendig für die Menschheit machte.280 Die Regierung, die Penn einzusetzen beschloss, sollte aus einem „provincial Council“, das sich aus Gouvernor und den sogenannten „freemen“ zusammensetzte und der „General Assembly“ bestehen. Das Council sollte wie im „Frame of

Government of Pennsylvania“ 1682 festgehalten, 70 Personen zählen.281 An anderer Stelle ist allerdings zu lesen, dass das Council 72 Personen umfasste (Chapter II.).282 Es liegt auf der

Hand, dass die Zahl von 72 Abgeordneten zutreffend ist, da im Frame of Government 1682 weiters festgehalten wird, dass ein Drittel der Abgeordneten für drei Jahre, ein weiteres Drittel für zwei Jahre und das letzte Drittel für ein Jahr gewählt wird (Chapter III.). Keiner der

Abgeordneten dürfe länger als drei Jahre dem Council angehören. Alle jährlich gewählten

Abgeordneten dürften nach sieben Jahren zumindest ein Jahr nicht gewählt werden und für

Beschlüsse von größerer Bedeutung (Umwandlung von bills in laws, Errichtung von

Gerichtshöfen, Wahl von Amtsleitern) waren Zwei-Drittel-Mehrheiten nötig, bei Belangen minderer Wichtigkeit reichte hingegen bereits der Zuspruch eines Drittels (Chapter V.).283 Das gesamte Council wiederum wurde in vier Komitees zu je 18 Abgeordneten unterteilt, wobei

279 Vgl. ebda. S.177f. 280 Vgl. Frame of Government of Pennsylvania, May 5, 1682. [URL: http://avalon.law.yale.edu/17th_century/pa04.asp, zuletzt aufgerufen am 04.05.2018]. 281 Vgl. Martin: Immigrations, S.47. Die Anzahl der Freemen ist exklusive der Vertreter in der Assembly zu verstehen. 282 Vgl. http://avalon.law.yale.edu/17th_century/pa04.asp 283 Vgl. ebda. 52 sich eines mit den Themen Landwirtschaft, Siedlern und Besiedelung, Hafen, Märkten und

Straßenbau, das zweite mit Sicherheit und Recht, das dritte mit den öffentlichen Finanzen und

Handel und das vierte mit Bildung und Kunst, zur Bewahrung der Jugend vor einem

„scandalous living“ und Hinführung zu einem tugendhaften Leben beschäftigen sollten

(Chapter XIII.). Betrachtet man Penns Vorwort zu diesem Frame so wird deutlich, dass er diesem vierten Komitee besonders viel Bedeutung zuwies. Mittelberger beschreibt eine Folge dieses Grundgedankens in Penns Staatsphilosophie, wenn er erzählt, dass für das Fluchen

Strafen in der Höhe von fünf Pfund oder 30 Florin angesetzt wurden.284 Diese 72

Abgeordneten sollten wiederum jährlich Männer für die General Assembly auswählen, wobei die Anzahl dieser mit 200 begrenzt (Chapter XIV.). Vorausahnend, dass das demokratische

Prozedere dem zeitlichen Druck dieser Zeit nicht gerecht werden konnte, Beschlüsse aber aufgrund der steigenden Siedlerzahlen dringend notwendig waren, verfügte Penn in Chapter

XVIII., dass er Richter, Schatzmeister, Untersuchungsrichter und Sheriffs zunächst selbst ernennen würde. Dieser Frame beinhaltet weiters auch die „Laws Agrees Upon in England“, deren 35. die Religionsfreiheit für alle garantiert, die an den einen Gott glauben. Dieser Frame of Government hielt jedoch nicht einmal ein Jahr. Bereits am 2. Februar 1683 trat ein weiterer

Frame in Kraft, der grundlegende Veränderungen in der Regierungsbildung mit sich brachte:

Das Council bestand nun nur mehr aus 18 Personen, drei aus jedem der folglich sechs gegründeten Counties und Anzahl der Vertreter in der Assembly wurde auf 36 beschränkt.285

Der nächste große Einschnitt in der Geschichte Pennsylvanias kam mit dem Ende der Glorious

Revolution 1688. William Penn, der sich zu dieser Zeit in London aufhielt, wusste zwar, dass sein Erscheinen in Philadelphia sehr gewünscht wurde, um die Siedler zu beruhigen, allerdings war er sich auch der Optik bewusst, welche ein unmittelbares Übersetzen nach Amerika für die Behörden in London haben musste. So entschied er sich zu bleiben und wurde am zehnten

Dezember 1688 in Whitehall befragt und musste Kautionen hinterlegen.286 Captain Blackwell, der auf den Wunsch von William Penn hin die Assembly in Philadelphia leitete, scheiterte an

284 Vgl. Mittelberger, S.94. 285 Vgl. Martin: Immigrants, S.48 und http://avalon.law.yale.edu/17th_century/pa05.asp 286 Vgl. Janning, S.342. 53 seiner Aufgabe, ihm folgte Thomas Lloyd, jener Mann, an den Penn als erstes gedacht hatte, der sich zunächst aber geweigert hatte, dieses Amt zu übernehmen.287 Penn wurde nach sowohl nach der Befragung durch die Lords als auch nach mehreren Verhaftungen in den folgenden Jahren immer wieder frei gelassen – auch sein Naheverhältnis zum vormaligen

König James I. hatte keine strafrechtlichen Konsequenzen. Janney geht soweit zu behaupten, dass das Königshaus sogar von Penns Unschuld überzeugt war, ihn jedoch trotzdem immer wieder auf die Liste von verdächtigen Personen setzen ließ: „[…] his name to be inserted in the proclamation for effect, in compliance with the wishes of some members of the cabinet and to satisfy the clamors of the public.”288 Unterdessen gingen in Pennsylvania die innenpolitischen

Streitigkeiten so weit, dass Thomas Lloyd als Governor nur von jenen drei Counties anerkannt wurde, die der „province“ zugerechnet wurden und William Markham von den anderen drei

Counties, die als „territories“ zusammengefasst waren.289 Die von Janney als „some member of the cabinet“ bezeichneten Gegner Penns erreichten, dass am 21. Oktober 1692290 ein

Dokument erlassen wurde, dass Pennsylvania unter die Jurisdiktion des Governors von New

York, Benjamin Fletcher stellte. Als Gründe für die Notwendigkeit dieses Schrittes wurde angegeben, dass die Franzosen und die Eingeborenen die Grenzen bedrohen würden und aufgrund der Spaltung innerhalb der Regierung Pennsylvanias keine effektive Verteidigung aufgestellt werden könnte.291 Die Lage Penns verschlechterte sich zusehends: Aufgrund des

Widerstandes in London gegen seine Person war er privat sehr isoliert, die Instandhaltung seiner Provinz hatte ihn verarmt, die dortige Regierung war uneins und zusätzlich starb kurz darauf seine Frau. Schon fast mitleidserregend wirkt da ein Brief vom 4. Dezember 1693, den er an seine Freunde in Pennsylvania schrieb, in dem er aufzählt, wie viele Kosten er pro Jahr für die Kolonie zu zahlen hatte und er aufgrund seiner finanziellen Lage nicht nach Amerika kommen könne. Seiner Bitte, für ihn Geld zu sammeln, dass er mit einer Frist von vier Jahren zurückzahlen würde, wurde nicht nachgekommen. So gibt es zwar keine wörtliche Absage,

287 Vgl. ebda, S.344f. 288 ebda, S.355. 289 Vgl. ebda, S.361. 290 Vgl. ebda, S.379. 291 Vgl. ebda, S.366. 54 jedoch gibt es laut Janney auch keine Quellen, die einen Hinweis darauf geben würden, dass

überhaupt der Versuch unternommen wurde, Penn finanziell zu unterstützen.292 Nachdem der König Penns Unschuld endgültig als erwiesen erachtete293 und sich Fletcher aufgrund einer

Steuerfrage mit der Assembly in Pennsylvania zerstritten hatte, da letztere sich weigerte, zusätzliche Gelder für die Landesverteidigung bereitzustellen, wurde im August 1694 Penn mittels Patent die Regierungshoheit über Pennsylvania zurückgegeben.294 Da es ihm persönlich aber nicht möglich war, nach Pennsylvania zu kommen, übernahm nach dem Tod von Thomas Lloyd William Markham das Amt des Governors, der aber wie schon Fletcher zuvor versuchte, die Assembly und das Council aufzulösen. Diese bestanden allerdings auf ihren bereits zugesicherten Rechten und erreichten so die Verabschiedung einer „Bill of

Settlement“, welche nun als „The Frame of Government of the Province of Pennsylvania, and the territories thereunto belonging“ von William Markham am 1. November 1696 verlautbart wurde.295 Mit diesem Gesetz296 wurde Regierungszusammensetzung abermals geändert:

Jedes County sollte nun zwei Personen ans Council und vier weitere an die Assembly entsenden. Die Freiheit und Freiwilligkeit der Wahl wurde verschriftlich, Annahme oder

Anbieten von Wahlgeschenken führten zum Verlust des Stimmrechtes oder der Wählbarkeit.

Abwesenheit oder ausbleibendes Erfüllen beruflicher Pflichten von Personen der Regierung hatte deren Ausschluss zur Folge. Weiters wurde festgelegt, dass Vertretern des Council fünf

Schilling, Vertretern der Assembly vier Schilling als Diäten zustanden, die auch angenommen werden musste, um ein Lohndumping zu Wahlkampfzwecken zu verhindern. Jagd und

Fischerei durften frei von allen Einwohnern ausgeübt werden. Zur Änderung des Frames war eine Sechs-Siebentel-Mehrheit notwendig. (Sechs Vertreter aus insgesamt acht Counties und der Governor ergaben 49 Stimmberechtigte). Die wichtigste Änderung allerdings war, dass von nun an die Assembly Gesetzesvorschläge unterbreiten durfte. Dies stellte einen ersten

Schritt zur Entmachtung des Councils dar, der in der Charter of Privileges von 1701 noch weiter

292 Vgl. ebda, S.368f. 293 Vgl. ebda, S.375. 294 Vgl. ebda, S.382. 295 Vgl. ebda, S.383. 296 Siehe: http://avalon.law.yale.edu/17th_century/pa06.asp 55 ging. Am 9. September 1699 konnte Penn endlich seine Reise nach Pennsylvania antreten.297

Dort wurde er am ersten Dezember zwar freudig empfangen, doch schon bald stellte sich heraus, dass ihm die Verlautbarung des letzten Frames missfiel.298 Tatsache war, dass die

Quäker bei Penns Ankunft nicht mehr als die homogene Gruppe betrachtet werden konnte, als die sie in den 1680er Jahren erschien. Zu unterschiedlich waren die Vorstellungen der lower counties und jene der upper counties. Es ging dabei vor allem um Steuerrechte und die

Finanzierung des Provinzhaushaltes und Penn musste mehrere Male persönlich eingreifen, um ein Auseinanderbrechen der Provinz zu vermeiden299. Ein ständiger Punkt des Anstoßes, der durch königliche Schreiben noch dringender wurde, waren die Finanzierung von

Verteidigungslinien. Zum einen wurden immer wieder religiöse Bedenken von Seiten der

Quäker geäußert, zum anderen ging es bei diesen Verteidigungsstellungen auch um Gebiete außerhalb Pennsylvanias. Eine heftige Diskussion entbrannte etwa um die mit 350 Pfund

Sterling zu unterstützende Anlage in New York.300 So uneins man sich in der Regierung auch war, Penn und der Krone gegenüber trat man mit großem Selbstbewusstsein auf und erreichte, dass Penn am 28. Oktober 1701 die Charter of Privileges unterzeichnete. Der erste

Absatz dieser Charter301 war ganz der Religionsfreiheit gewidmet und sicherte allen christlichen Konfessionen das Recht zu, sich für politische Ämter bewerben zu können. Dem englischen König musste allerdings Treueschwur geleistet werden. Dieser erste Absatz, so wird in Absatz VIII. festgehalten, unterliegt nicht der Änderbarkeit ab einer Sechs-Siebtel-Mehrheit, sondern ist für alle Zeit gültig und durch keine zukünftige Regierung zu ändern. Der weitere bedeutende Schritt dieser Charter war die Abschaffung des Councils, womit die Assembly als einzige gesetzesgebende Kammer bestehen blieb, in der der Governor nur mehr ein Vetorecht hatte.302 Die letzte Handlung auf amerikanischen Boden von William Penn bestand darin,

Andrew Hamilton zum Lieutnant-Governor und James Logan zum Provincial-Secretary zu

297 Vgl. Janney, S.401. 298 Vgl. ebda, S.411. 299 Vgl. ebda, S.426. 300 Vgl. ebda, S.429f. u. 436. 301 Siehe: http://avalon.law.yale.edu/18th_century/pa07.asp 302 Vgl. Martins: Immigration, S.48. 56 ernennen.303 Der Briefwechsel zwischen Penn und Logan war sowohl von privater als auch geschäftlich-politischer Natur und dient, laut Janney, als gute Quelle für die Beweggründe und

Hintergedanken der pennsylvanischen Politik für die Jahre nach Penns Abreise.304

303 Vgl. Janney, S.438. 304 Vgl. ebda, S.440. 57

5 Vergleich der Religionsfreiheit in Pennsylvania, Maryland und Rhode Island

Penns Streben nach der „Freedom of Conscience” wurde in dieser Arbeit bislang vor allem als

Ergebnis europäischer Faktoren betrachtet, die in erster Linie das Vorgehen der englischen

Obrigkeit gegen die Quäker305 und die Verfolgung religiöser Minderheiten nach dem

Westfälischen Frieden auf Kontinentaleuropa umfassen. Davon ausgehend wurde gezeigt, wie die Quäker und Pietisten mit Hilfe eines dichten Netzwerkes an Vertrauten, dessen

Knotenpunkt vor allem in Amsterdam zu finden ist, begannen, ihre Pläne zur Erschaffung einer religiös liberalen Heimat in die Tat umzusetzen. Der Act of Toleration von 1649 in Maryland sowie die Charter of Rhode Island von 1663 und Roger Williams sind aber essenzielle Faktoren, will man die Entwicklung der Religionsfreiheit in diesem Zeitraum beleuchten.

5.1 Act of Toleration 1649, Maryland

Wie wenig der Act of Toleration306 mit dem heutigen Verständnis von Religionsfreiheit gemeinsam hatte, zeigt bereits der erste Absatz, in dem festgehalten wurde, dass jedem die

Todesstrafe drohe, der Blasphemie an dem einen Gott betreibe, Jesus Christus als Sohn des einen Gottes oder die Dreifaltigkeit leugne.307 Diese befremdliche Definition von

Religionsfreiheit wird aber rasch verständlich, wenn man beachtet, dass Maryland von Lord

Baltimore als Refugium der englischen Katholiken gedacht war, sich die Katholiken aber bereits in den Anfängen mit einer puritanischen Bevölkerungsmehrheit konfrontiert sahen.308

Im Gegensatz zu den Puritanern, die in Neuengland ein Glaubensmonopol inne hatten und eine strikte Gesetzgebung, welche dieses festigte, ging es in Maryland nie darum, den

305 Auf die Frage, wieweit eben dieser Widerstand die Quäker in der Ausarbeitung ihrer theologischen Konzepte und Wertevorstellungen prägte, wird in dieser Arbeit bewusst nicht eingegangen. 306 Der für die Arbeit verwendete Volltext ist unter: http://avalon.law.yale.edu/18th_century/maryland_toleration.asp, zuletzt aufgerufen am 04.05.2018, zu finden. 307 Vgl. Frederic D. Schwarz: Toleration in Maryland. In: American Heritage, Vol.50/2, April 1999, S. 138. 308 Vgl. Michael Zöller: Washington und Rom. Der Katholizismus in der amerikanischen Kultur, Berlin: Duncker und Humblot, 1995, S.33f. (= Soziale Orientierung. Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission bei der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach. Band 9. Hrsg. von Anton Rauscher). Im Folgenden unter der Sigle „Zöller“ zitiert. 58

Katholizismus zur Staatreligion zu erklären, sondern man musste eine politische Lösung finden, um dem puritanischen Druck, der mit dem Beginn des englischen Bürgerkriegs und der

Unterstützung von Virginia stärker wurde und in der Person von William Claiborne, Anführer der Puritaner, bereits 1645 zu einer Invasion führte, die zur Vertreibung der Jesuiten und der

Konfiszierung katholischer Güter führte, entgegen zu wirken.309 Erst nach zwei Jahren konnte

Calvert Truppen stellen, welche Maryland zurückeroberten. Der Act Concerning Religion, der als Toleranzakte von Maryland bekannt wurde, stellt aber nur eine abgeschwächte Form der

Gesetze von 1639 dar, die ja bereits die Rechte und Freiheiten der verschiedenen Kirchen sichern sollten, aber aufgrund Marylands militärischer Schwäche nicht durchgesetzt werden konnten.310 Die Annäherung an die Puritaner erkennt Zöller in den eingangs erwähnten drakonischen Bestrafungen der Nicht-Christen.311 Nach der Glorious Revolution 1688 erfasste die Kolonien eine Welle der anti-katholischen Propaganda, hinter der sich die verschiedensten protestantischen Gruppen vereinen konnten. Waren es in Deutschland nach dem

Westfälischen Frieden die Quäker und Pietisten, die zum Feindbild der etablierten Religionen wurden312, so fand in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts derselbe Prozess in

Nordamerika statt, nur dass diesmal die Katholiken von einer an sich höchst heterogenen

Masse protestantischer Glaubensgemeinschaften angefeindet wurden.313 Das Ausmaß an

Anti-Katholizismus, das damals in den Kolonien herrschte, stand im Gegensatz zur Verbreitung der Katholiken: In Pennsylvania und Maryland, jenen Kolonien, welche die meisten Katholiken beheimateten, kamen diese nie auf mehr als 10 Prozent der Bevölkerung. Die erste

Volkszählung in den Vereinigten Staaten im Jahr 1790 kam bei einer Gesamtbevölkerung von vier Millionen auf 35.000 Katholiken.314 1688 fiel die Association in Arms for the Defense of the Protestant Religion and Assisting in the Rights of King William and Queen Mary, kurz

Protestant Association in Maryland ein. Die Charta an Calvert wurde von König William aufgehoben und Maryland erlangte den Status einer königlichen Provinz. Damit direkt der

309 Vgl. Zöller, S.34. 310 Vgl. ebda. 311 Vgl. ebda. S.34. 312 Vgl. Kapitel 1.1 313 Vgl. Zöller, S.34f. 314 Vgl. ebda, S.35. 59 englischen Krone unterstellt, wurde der Anglikanismus 1712 endgültig in Maryland etabliert.315 Dieser Ausschnitt der Geschichte Marylands soll einen entscheidenden

Unterschied zur Penns Vorstellung von Religionsfreiheit verdeutlichen: Penn schrieb sowohl in den Frames of Government wie auch in persönlichen Briefen316 von seinem Glauben an die

Göttlichkeit im Menschen und seiner eigenen theologischen Argumentation der

Religionsfreiheit, die er aber immer als freedom of conscience bezeichnete. Die Toleranzakte von Maryland hingegen bildet in erster Linie einen Strafkatalog gegen jene, die gegen diese erlassenen Freiheiten verstoßen. Ein theologischer Hintergrund oder eine fundamentale, theologisch hergeleitete Überzeugung, wie sie bei Penn zu finden war, kommt in dieser

Toleranzakte nicht zum Ausdruck. Die Entwicklung der Religionsfreiheit kann in drei Schritten verfolgt werden: Maryland wagte die ersten Schritte in diese Richtung, wobei mit dem

Gedanken der Religionsfreiheit Vorstellungen in die Tat umgesetzt wurden, die zwar bereits in Europa gedacht wurden, sich dort aber aufgrund politischer Gegebenheiten nicht entfalten konnten. Roger Williams ging diesen Weg bereits „schon [mit] sicheren Schritten“ und Penn wagte dann den „zuversichtlichen Fortschritt“ in diesem Prozess. 317 Dabei muss festgehalten werden, dass diese Entwicklung keine zielgerichtete war, sondern aus der schlichten

Notwendigkeit der ersten Siedler begann, Andersgläubige dulden zu müssen. Bis zur

Niederschrift der Verfassung war die Vorstellung von Religionsfreiheit so selbstverständlich im Weltbild der Amerikaner, dass der Kongress gar nicht anders konnte, als die

Religionsfreiheit in der Verfassung festzuhalten. Jede Religionsgruppe hatte schrittweise so weitreichende Rechte und Zugeständnisse bekommen, dass die Vorstellung einer etablierten

Staatsreligion, die anfangs aufgrund der Vielfältigkeit der Religionsgruppen unmöglich war, nun aufgrund der faktisch schon vorhandenen Gleichstellung der Glaubensgemeinschaften absurd erschien.318 Bemerkenswert ist weiters auch die Tatsache, dass das

Zugehörigkeitsgefühl zu bestimmten Religionen im 18. Jahrhunderts sogar abnehmend waren,

315 Vgl. ebda, S.36. 316 Zahlreiche Briefe sind in der bereits zitierten Biografie von Janney vollständig enthalten. 317 Vgl. Sidney E. Mead: Das Christentum in Nordamerika. Glaube und Religionsfreiheit in vier Jahrhunderten. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1987, S.23. Im Folgenden unter der Sigle „Mead“ zitiert. 318 Vgl. ebda. 60 wobei um 1800 ein Tiefststand mit sieben Prozent erreicht wurde. Die Studie von Caplow reicht nur bis zum Jahr 1978, aber in diesem Zeitraum lag der Höhepunkt an Personen, die sich zu einer Religionsgruppe bekannten im Jahr 1960 mit 64 Prozent. Nimmt man die oben genannte Zahl von vier Millionen Einwohnern bei der ersten Volkszählung im Jahr 1790, würde dies bedeuten, dass nur etwa 300.000 Personen um 1800 einer Religion zugehörig fühlten.319

Warum das Ringen um die Religionsfreiheit auf der einen und die Etablierungsversuche einzelner Religionsgruppen auf der anderen Seite in der nordamerikanischen Politik seit der

Mitte des 17. Jahrhunderts eine derart prominente Position einnahm, lässt sich durch die

Organisation der Kolonien begründen: Die Etablierung einer Religion bedeutete keineswegs immer eine Mehrheitsposition, hatte aber politische und rechtliche Privilegien, wie die

Erhebung von Kirchensteuern und die Reservierung öffentlicher Ämter zur Folge.320

5.2 Die Religionsfreiheit bei Roger Williams

Roger Williams Wirken war entscheidend für die weitere Entwicklung sowohl der

Religionsfreiheit in den zukünftigen Vereinigten Staaten als auch als auch jener des

Verhältnisses zwischen Staat und Kirche. Der Antrieb für sein Schaffen ging von dem seiner

Meinung nach falschen Konzept der Puritaner in New England in Bezug auf Staat und Kirche aus. Die Puritaner strebten einen Protestantismus an, der die strenge Auslegung der Bibel enthielt. Gleichzeitig waren sie die ersten, welche den Kongregationalismus anstrebten. Dies bedeutete, dass die einzelnen Gemeinden nicht mehr einem Bischof oder Synode unterstellt waren, die Einfluss auf den Glauben der Gemeindemitglieder nehmen konnten, sondern eigenbestimmt Angelegenheiten innerhalt der Gemeinde regeln konnten. Politisch waren sie aber darauf angewiesen, dass die Legislative die Glaubenseinheit der Gemeinde wahrte. Auf diese Weise wollten sie die aus Europa bekannte Kirche-Staat-Beziehung in New-England beibehalten. 321 Roger Williams ging ab 1635 gegen die Beibehaltung dieser Beziehung vor.

Seit 14 Jahrhunderten hätte diese Beziehung nichts als Krieg bedeutet und ein Blick nach

319 Vgl. Zöller, S.23. 320 Vgl. ebda, S.24. 321 Vgl. Edwin S. Gaustad: Church and State in America. New York, Oxford: Oxford University Press, 1999, S.20. Im Folgenden unter der Sigle “Gaustad” zitiert. 61

Europa würde reichen, um zu erkennen, dass keine Besserung in Sicht sei, monierte er.322 Er forderte eine „wall of separation“ zwischen Kirche und Staat, ein Gedanken, der in der

Philadelphia Covention 1787 vor allem von Thomas Jefferson vertreten wurde.323 Bei der politischen Führung in Massachusetts traf mit seinen Thesen auf vehementen Widerstand, der

1636 zu Williams Verbannung führte und das, obwohl die Bindung an den Staat auch von anderen Puritanern als Gefahr einer staatlichen Einmischung in Glaubensangelegenheiten

(„impure influence“) thematisiert wurde. Williams floh im Jänner 1636 aus Salem über

Plymouth in jenes Gebiet, in dem er Providence an der Narragansett Bay gründete und das in

Folge zur Kolonie Rhode Island wurde.324 Seine prominenteste Mitstreiterin war Anne

Hutchinson, die 1637 aus ebenfalls Boston verbannt worden war und 1638 die „Island of

Aquidneck“ kaufte, die später zu Portsmouth wurde.325 Sehr bald nachdem die ersten

Siedlungen in Providence erbaut waren, besiedelten Quäkern und Baptisten das Gebiet.326 Das

Wirken von Samuel Gorton, einem radikalen Pietisten, der bereits aus Boston und Plymouth verbannt worden war und nun durch seine politische Intrigen Unruhe in Providence stiftet, hatte zur Folge, dass Williams die Städte Providence, Newport und Portsmouth zu einer

Föderation vereinigte.327 Anlass für diesen Schritt war eine Revolte Gortons gegen William

Coddington, dem Richter von Portsmouth, die zu dessen Absetzung und zur Berufung von

William Hutchinson, dem Mann von Anne Hutchinson, führte. Coddington zog sich daraufhin mit seinen Anhängern, zu denen auch John Clarke gehörte, nach Süden zurück und gründete am 1. Mai 1639 Newport. Coddington begann bereits 1640 mit Portsmouth über eine Union zu verhandeln, scheiterte aber an der Erlangung einer „propietary control“, die ihn zum

Governor autorisiert hätte.328 Williams gelang die Vereinigung des gesamten Narragansett-

Gebietes, jedoch fehlten auch ihm die parlamentarische Genehmigung, welche das legislative

322 Vgl. ebda. 323 Vgl. Daniel L. Dreisbach: The Meaning of Separation of Church and State. In: The Oxford Handbook of Church and State in the United States. Hrsg. Von: Derek H. Davis. Oxford, New York: Oxford University Press, S.207-225, S.209. 324 Vgl. Ahlstrom, S.154, 166. 325 Vgl. ebda, S.107,153,167. 326 Vgl. ebda, S.166. 327 Vgl. ebda, S.166f. 328 Vgl. ebda. 62

Fundament der Kolonie gewesen wäre. In England publizierte er 1644 das Werk „The Bloudy

Tenent of Persecution for the Cause of Conscience Discussed” und bekam mit Hilfe von Sir

Harry Vane ein Patent, welches die Vereinigung von Providence, Portsmouth und Newport unter dem Namen „Providence Plantations“ genehmigte.329 1647 wurde die Assembly zum ersten Mal einberufen und eine demokratische Regierung gegründet, die sowohl legislative als auch judikative Befugnisse hatte. Aufgrund von Uneinigkeiten mit Coddington mussten

William und Clarke 1651 nach England reisen. Als sie 1654 wieder in die Kolonie zurückkehrten, war die Kolonie in einem so schlechten Zustand, dass Williams die bis dahin verweigerte Präsidentschaft über die Kolonie annahm und 1655 in einem Brief von Oliver

Cromwell dazu aufgefordert wurde, alle notwendigen Maßnahmen zur Sicherung des Friedens zu ergreifen. Coddington ordnete sich im folgenden Jahr offiziell den Autoritäten der Kolonie unter und Williams legte 1657 das Amt des Präsidenten nieder.330 Die Stuart-Restauration

1660 hatte die Aberkennung des 1644 ausgestellten Patents zur Folge, jedoch gelang es John

Clark, der sich zu dieser Zeit in England aufhielt, eine am 8. Juli 1663 ausgestellte, königliche

Charter zu bekommen, welche die Rechtmäßigkeit der Provinz wiederherstellte.331 Der

Gesetzestext zur von 1647 an streng gewahrten Religionsfreiheit war in der Formulierung weit liberaler als jener von Maryland: Die Religionsfreiheit wird nicht eingeschränkt und die zu erwartende Strafen wurden nicht schon in den Gesetzestext aufgenommen. Martin Kriele weist darauf hin, dass nicht die Religionsfreiheit das Grundgesetz, sondern die Cokesche

Formel zum Schutz vor willkürlicher Verhaftung, die Edward Coke in der Petition of Rights 1628 formulierte, die rechtliche Basis sei, in welche die Religionsfreiheit eingebettet ist.332 Die

Religionsfreiheit von Rhode Island wurde ein Faktor für die Etablierung der Quäker in

Nordamerika: Aufgrund der gesetzlich gewährleisteten Toleranz wurde Rhode Island vor der

Gründung Pennsylvanias nach Barbados der zweite Sammelpunkt exilierter Quäker aus

England.333 Wie weit der Weg zu einem modernen Verständnis von Religionsfreiheit noch war,

329 Vgl. ebda, S.168. 330 Vgl. ebda, S.168f. 331 Vgl. ebda, S.169. 332 Vgl. Martin Kriele: Einführung in die Staatenlehre. Die geschichtlichen Legitimitätsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates. 5., überarbeitete Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994, S.137. 333 Vgl. Ahlstrom, S.169. 63 zeigen Punkte wie die bereits genannten Körperstrafen in Maryland, wenn man nicht dem

Christentum angehörte, aber auch die Tatsache, dass in Rhode Island und später in

Pennsylvania, jenen Kolonien, die als liberalste ihrer Zeit galten, die Religionsfreiheit erstens nur von freien Bürgern geltend gemacht werden konnte und zweitens, dass diese Freiheit weit mehr einer Duldung als einer Akzeptanz glich. Zu öffentlichen Ämtern waren auch in den liberalen Kolonien weiterhin nur Christen zugelassen.334 Es wurde bereits erwähnte, dass die

Religionsfreiheit, wie sie in der Verfassung von 1787 niedergeschrieben wurde, keiner vorangegangenen, zielgerichteten Entwicklung unterlag, sondern mehr das Produkt äußerer

Faktoren darstellte, die keine Alternative mehr zuließen. Anhand der drei angeführten

Beispiele sind sowohl unterschiedliche Argumentationsstränge, als auch eine Chronologie erkennbar: In Maryland diente der Erlass der Religionsfreiheit vor allem dem Schutz der katholischen Minderheit, die, noch die Machtpositionen haltend, dem Aufbegehren der einströmenden Puritaner standhalten musste. Mit der Glorious Revolution wurde die

(öffentliche) Ausübung des Katholizismus in Maryland bis zum Inkrafttreten der Verfassung von 1787 untersagt. Roger Williams liberale Forderungen waren viel mehr die Konsequenzen seiner theologisch radikalen Ansichten, die über weit über jene der restlichen Puritaner hinausgingen, und hatten „almost nothing in common with the rationale by which the idea of religious liberty became operative in the United States history“.335 Ahlstrom stellt fest, dass die

Religionsfreiheit in Rhode Island weder als gänzlich praktisch noch als naturrechts- philosophisch oder mit religiöser Gleichgültigkeit begründet werden kann.336 Williams argumentierte vor allem dafür, dass eine Einmischung des Staates die Glaubensinhalte verunreinigen würde, was in weiterer Folge bedeutete, dass dem Staat das Recht genommen werden sollte, Gesetze zu erlassen, welche die Ausübung des Glaubens betreffen. William

Penn argumentierte in eine ähnliche Richtung, sprach aber nicht von der Verunreinigung der

Glaubensinhalte durch staatliche Interventionen, sondern griff in seinen Werken, in denen er die „freedom of conscience“ forderte, das Argument auf, dass die gesetzliche Regelung von

334 Vgl. Tina Alexandra Kaufmann: Religionsfreiheit in der Verfassung der USA, Uni Graz, 2014 (Masterarbeit), S.8. 335 Vgl. Ahlstrom, S.182. 336 Vgl. ebda. 64

Religion nicht in den Verantwortungsbereich einer staatlichen - auch nicht in jenen einer kirchlichen – Legislative fallen könne, da es um subjektiv und individuell zu entscheidende moralische Fragen gehe, die nicht mittels Gesetzen für einzelne Menschen autoritär entschieden werden könnten.

65

6 „Integration“ und Wirken der Deutschsprachigen in den Kolonien

Die Frage nach der Rolle der Deutschsprachigen, ihrer Prägung und der Rolle der Konfession in ihren Gemeinden, muss für die jeweiligen Kolonien einzeln beantwortet werden. Als

Beispiele seien hier einmal die deutschen Auswanderer in Pennsylvania und einmal jene deutsche Gruppe genannt, die im Zuge der Auswanderung von 1709 und den darauffolgenden

Jahren nach New York kam. Die Krefelder Gemeinde unter der Leitung von Franz Daniel

Pastorius war im Glauben konfessionell einheitlich337, wanderte gewollt und geplant nach

Pennsylvania aus und gründete dort Germantown, wobei die Auswanderer vor der Ankunft zwar nicht wussten, in welcher Lage sich das von ihnen gekaufte Land befinden würde, aber zumindest die Zusicherung hatten, dass sie Land bekommen würden, war bereits vor Antritt der Fahrt durch die Vermittlung von Pastorius bestätigt worden. Jene Deutschen, die 1709 als indentured servants der englischen Regierung nach New York kamen, waren mehr durch Zufall oder die Entscheidung des englischen Parlaments nach Übersee gebracht worden. Sie waren

Teil der großen pfälzischen Massenauswanderung von 1709. Im Gegensatz zur Krefelder

Gemeinde waren die Pfälzer nur eine Teilgruppe der ungefähr 13.000 Emigranten aus der

Pfalz, meist mittellos, hatten – wenn sie überhaupt eines hatten – England als Ziel und nicht

New York, Irland, New Jersey, Carolina oder die Virgin Islands, jene Gebiete, in die sie aber gebracht wurden und verfügten über keinerlei Sicherheiten.338 Die Gruppe, auf die sich

McGregor bezieht, war zum Teil bereits 1710 nach New York gekommen, wurde aber im Zuge von „economic experiments“ der Kolonialregierung immer wieder zu Umsiedelungen gezwungen, bevor sie 1720 im Mohawk Valley Land zugesprochen bekam.339 Die Lage des ihnen zuerkannten Landes führte zu einer politischen und sozialen Isolation, welche die

Deutschen aber gerne annahmen, da sie auf diese Weise von den Obrigkeiten der Provinz ungestört blieben und in ihrem Anpassungsprozess einen Mittelweg zwischen amerikanischer

337 Es finden sich in den Quellen zu dem beobachteten Zeitraum keine Hinweise darauf, dass die geringen konfessionellen Unterschiede zwischen Quäkern, Pietisten und den Krefelder Mennoniten zu politisch oder gesellschaftlich relevanten Problemen geführt hätten. 338 Vgl. Robert Kuhn McGregor: Cultural Adaption in Colonial New York. The Palatine Germans of the Mohawk Valley. In: New York History, Vol.69, No.1 (Jan. 1988), pp.4-34. Hrsg. von: New York State Historical Association, S.9. Im Folgenden unter der Sigle “McGregor” zitiert. 339 Vgl. ebda, S.6. 66

„Moderne“ und europäischer Tradition finden konnten.340 Religiös verortet McGregor diese

Gruppe zu den Pietisten um Spener und August Hermann Francke.341 Dieser Umstand, zusammen mit der Beibehaltung einer adaptierten Ständegesellschaft, legte den Weg zur

Bildung jener Gesellschaftsform, die sich ab diesem Zeitpunkt abzeichnete: McGregor verweist zwar auf den schwindenden Einfluss der Kirche während des 17. Jahrhunderts, doch die Ständeordnung, die ja gerade von der Kirche ausgerufen und verteidigt wurde, blieb weiterhin die vorherrschende Gesellschaftsform. In Amerika wurde die Gesellschaftspyramide dahingehend verändert, dass nun die Reichsten die Spitze darstellten. Diese hatten sowohl die politische als auch die wirtschaftliche Kontrolle inne. Ein anerkannter Maßstab für den

Reichtum einer Person waren die Anzahl ihrer Diener. Diese Diener wiederum wurden aus den

ärmsten Familien „rekrutiert“, die anderweitig kein Auskommen gehabt hätten. So

übernahmen die Reichen einer Gemeinde Verantwortung für die ärmeren Familien und bekamen im Gegenzug politischen Zuspruch.342 Ursprünglich bestand die Gruppe aus 126

Familien, die in das Schoharie-Valley zogen, wo sie aufgrund leerer Geldversprechungen und dem dortigen ertragsarmen Boden in großer Armut lebten.343 Nach einem Rechtsstreit mit

Händlern aus Albany, denen, mittels des Seven Partners Patent dieses Land bereits zugesprochen worden war, kam es 1723 zu einer Lösung: 26 Familien wurde von Governor

William Burnet das Land im Mohawk Valley, insgesamt 12.700 Acker, zugesprochen. Burnet sah darin eine Möglichkeit, die Deutschen als Puffer gegen die dort ansässigen Irokesen und die Franzosen in Kanada zu nutzen.344 Die Deutschen nannten das Gebiet „Stone Arabia“ und teilten jeder Familie zunächst 50 Acker zu. Neben den Flächen für öffentliche Gebäude wurden

8000 Acker für künftige Bedürfnisse einbehalten. Die Bauweise der Deutschen war für damalige Verhältnisse ungewöhnlich, da nicht ein zentral im Gebiet liegendes Dorf erbaut wurde, sondern die Siedler jeweils auf ihren Parzellen, die aber nicht zwangsläufig beieinander lagen, ihre Hütten erbauten.345 McGregor sieht darin einen Zusammenhang mit der Zeit,

340 Vgl. ebda, S.5. 341 Vgl. ebda, S.8. 342 Vgl. ebda, S.6f. 343 Vgl. ebda, S.11, 17. 344 Vgl. ebda, S.11. 345 Vgl. ebda, S.12f. 67 welche die Siedler bereits im Land verbracht hatten, da jene Gruppe, die 1725 ankam und der im sogenannten Burnetfields Patent346 9400 Acker zur Bildung der German Flats zugesprochen wurde, eine zentrale Siedlung errichtete.347 Der Boden im Gebiet des Stone Arabia erwies sich als so fruchtbar, dass die deutschen Auswanderer sehr bald als hervorragende

Weizenproduzenten bekannt wurden, sich aus ihrer Armut befreien konnten und fester

Bestandteil von „New York’s cash economy“ wurden.348 Pro Flächeneinheit übertrafen die

Erträge jene aus Europa um das Vierfache. Bezeugt wurde dies vom schwedischen

Naturforscher Peter Kalm im Jahr 1749, in der „History of the late Province of New York“ von

William Smith, aber auch von Richard Smith, einem Landspekulanten aus New Jersey, im Jahr

1769.349 Sir William Johnson, königlicher Beamter und Mitglied der Provinzversammlung, attestierte den Deutschen „the most industrious people“ zu sein, da sie Fruchtwechsel betrieben, um die Böden zu erhalten und bereits Pferde statt Ochsen als Zugtiere einsetzten.350 Dass der Weizenanbau auch längerfristig ertragreich war, ist an den Berichten von Pfarrer John Taylor aus dem Jahr 1802 zu erkennen. Ab etwa 1825 musste diese Gemeinde aufgrund der wirtschaftlichen Überlegenheit weiter westlich gelegener Bauern auf

Milchprodukte umstellen.351 Der Reichtum, der sich in diesem Gebiet aufgrund der

Weizenproduktion anhäufte, ist an Forderungen zu erkennen, die von französischer und indianischer Seite nach einem Überfall 1757 mit über 40 Toten und 150 Verschleppten, gestellt wurden: 3000 Rinder, 3000 Schafe, 1500 Pferde und Unmengen an Weizen, was laut dem damaligen Lieutnant Governor James DeLancey einem Gegenwert von 20.000 Pfund entsprach.352 Von 1725 bis 1790 vermehrte sich die Bevölkerung von 400 auf 5800 Personen, was zusätzlichen Landkauf unumgänglich machte. Zwischen 1752 und 1765 wurden 61.829

Acker gekauft, was aber inzwischen enorme Kosten mit sich brachte.353 Dass die deutschen

346 Siehe: Burnetsfield Patent Holders [URL: https://herkimer.nygenweb.net/patent.html, zuletzt aufgerufen am 04.05.2018]. 347 Vgl. McGregor, S.12f. 348 Vgl. ebda, S.17. 349 Vgl. ebda. 350 Vgl. ebda, S.18. 351 Vgl. ebda, S.18f. 352 Vgl. ebda, S.19. 353 Vgl. ebda, S.20f. 68

Siedler in der Mitte des Jahrhunderts trotz der gestiegenen Kosten immer mehr in den

Wettbewerb um Landbesitz miteinstiegen, kann als Zeichen dafür gesehen werden, dass sie mit den „modernen“ Gegebenheiten, wie etwa einem freiem Markt zusehends vertraut waren.354 Die Bewohner des Mohawk-Valleys hatte eine sehr ambivalente Beziehung zu ihrer

„German Reformed Church“: 1751 wurde ein Schreiben formuliert, in dem ausdrücklich das

Wohlgefallen an einem Pastor beschrieben wurden, im Wissen, dass dieser keiner war und in keiner Weise befähigt war, sein Amt zu leiten. Trotz der Zustimmung der Gemeinde wurde der

Mann nach 14 Monaten aus seinem Amt entfernt355. John Aemilius Wernig, ein Pastor, der von der Gemeinde nicht anerkannt wurde, schrieb 1752 über die Deutschen:

„On the whole, this German people is one that cannot well bear the noble English freedom. […] It takes strong legs to bear prosperity. The liberty, peace, wealth, and abundance which they enjoy cause them to be uncivil, wanton, proud, and violent.”356

McGregor sieht auch darin eine Loslösung von einer Wertevorstellung, welche die Deutschen zuerst aus Europa übernahmen, dann aber aufgrund fehlender Autoritäten und dem Umstand, dass sie nun zur Mittelschicht zählten, immer weiter ablegten.357 Dies widerspricht der

Argumentation Holzapfels, der der Kirche gerade aufgrund der sozialen Isolation der

Auswanderergruppen eine besondere Bedeutung zukommen lässt. 358 Dass die deutschen

Siedler von Mohawk auch politisch aufbegehrten, war an den Kontroversen mit Sir William

Johnson ersichtlich, der mit einem Landbesitz von 80.000 Acker der größte Landbesitzer im

Mohawk-Valley war.359 Dabei führten die Deutschen keinen offenen Aufstand, sondern versuchten Johnson vor allem in seiner Handelspolitik mit den Indianern zu behindern. Ihre

Abneigung ging so weit, dass sie die Warnung vor einem französischen Überfall bewusst ignorierten, der 1757 zum oben angeführten Massaker führte.360 Ab 1770 besaß die Familie der Johnson entgegen des Widerstandes der Deutschen die absolute Macht in der lokalen

Politik, allerdings nur, bis die Deutschen 1774 das „Palatine District Committee of Safety“

354 Vgl. ebda, S.22. 355 Vgl. ebda, S.22f. 356 Ebda, S.24. 357 Vgl. Fenske, S.25. 358 Vgl. Kapitel 4.1 359 Vgl. ebda, S.26. 360 Vgl. ebda. 69 gründeten, mit dem sie sich politisch gegen Guy Johnson, Sohn des 1774 verstorbenen Sir

William Johnson und dessen Nachfolger, formierten, wobei es konkret um Verhandlungen mit den Indianern ging, die zwar der Johnson-Familie gegenüber loyal waren, aber eine zunehmende Bedrohung für den Rest der Bevölkerung darstellten.361 Der Konflikt endete in der Vertreibung der Familie Johnson nach Kanada, die von dort aber zahlreiche Angriffe auf deutsche Siedlungen startete.362 Auch in diesem Verhalten sieht McGregor Anzeichen für die typisch amerikanische „competitive individualist society“, die sich vor allem nach der

Revolution zu bilden begann.363 Jedoch verweist er darauf, dass sowohl in der Sozialstruktur der Deutschen, die noch immer bedeutende Ähnlichkeiten mit der europäischen

Ständegesellschaft hatte, als auch in der Art der Haushaltsführung und der Art, wie

Landwirtschaft betrieben wurde, die europäischen Wurzeln weiterhin erkennbar waren.364

Dass der Unmut dieser Gemeinde gegen Johnson nichts mit dessen Herkunft zu tun hatte, belegt folgender Vorfall: Peter Hasenclever, ein Großindustrieller der Eisenindustrie, von

Cronau sogar als erster Großindustrieller Amerikas bezeichnet365 und selbst deutscher

Emigrant, plante eine weitere Gruppe deutscher Auswanderer in dem Gebiet anzusiedeln, die ihm bei der Produktion von Pottasche behilflich sein sollte. Die ansässige deutsche Gemeinde stellte sich allerdings solange gegen die Pläne quer, bis Johnson, der gut mit Hasenclever befreundet war, über die politische Mehrheit verfügte und auch gegen die Einwände der

Gemeinde die Pläne umsetzen konnte.366Die Veränderungen, welche die Deutschen durchliefen, geschahen jedoch nicht aus dem Willen heraus, bewusst ein anderes Leben führen und das eigene Weltbild ändern zu wollen, sondern aus der Notwendigkeit, sich anpassen zu müssen, um von gegebenen Möglichkeiten profitieren zu können.367 Cronau argumentiert anhand der „Deutsch-Pennsylvanier“, dass es gerade die Nähe zu vielen verschiedenen Bevölkerungsgruppen war, welche die Deutschen ihre Wurzeln behalten ließ.

361 Vgl. ebda, S.28f. 362 Vgl. ebda, S.28f. 363 Vgl. ebda, S.29. 364 Vgl. ebda. 365 Vgl. Cronau, S.140 366 Vgl. McGregor, S.27. 367 Vgl. ebda, S.33. 70

Deshalb sei auch, so seine Meinung, das Pensylvanian-Dutch als Regiolekt entstanden.368

Zahlreich sind bei Cronau auch die Nennungen jener Menschen, die sich besonders verdient gemacht haben. So gründeten die Deutschen als erstes Schmelzhütten, Hochöfen,

Papiermühlen und Gewehrfabriken: Heinrich Nerring baute 1703 in New York die erste Orgel in Nordamerika369, Thomas Rütter errichtete 1716 die erste Eisenhütte in Germantown, 1717 wurde die erste Glasfabrik von Kaspar Wistar in New Jersey in Betrieb genommen370.

Erwähnung finden weiters die Drucker Christoph Sauer und Joseph Crellius, David

Rittenhausen aus Germantown, der als Mathematiker, Astronom und Landvermesser arbeitete, Vorsitzender der Philosophischen Gesellschaft von Philadelphia und nach der

Revolution der erste Münzdirektor der Vereinigten Staaten wurde sowie Peter Miller, der auf

Wunsch von Thomas Jefferson die Unabhängigkeitserklärung in sieben Sprachen übersetzte und den damals berühmten „Märtyrerspiegel“ verfasste und auch Christoph Witt, Gründer des ersten botanischen Gartens, wird erwähnt.371 Für Germantown bedeutend war auch

Wilhelm Rettinghaus, der die erste Papiermühle in Amerika betrieb.372 Pennypackers Werk ist ebenso wie jenes von Cronau in vielen Punkten, aufgrund mangelnder Quellenangaben und

Überprüfbarkeit, für heutige Maßstäbe wissenschaftlich nicht mehr haltbar. Wenn es aber darum geht, zu untersuchen, wie die deutschen Auswanderer in ihrer neuen Heimat aufgenommen wurden und welches Bild man von den Deutschen hatte, können gerade die sehr subjektiven Schilderungen Pennypackers, die sich im zitierten Werk freilich vorrangig mit den Auswanderern in Germantown befassen, einen guten Eindruck vermitteln. Die

Verdächtigungen, die Deutschen würden aufgrund der geographischen Nähe mit den

Franzosen kollaborieren, die William Smith publizierte, wurden bereits abgehandelt.373 Bei

Pennypacker, der das Werk in genügendem zeitlichen Abstand verfasste, sodass seine

Äußerung im Gegensatz zu Smith nicht mehr der damaligen Tagespolitik zugerechnet werden müssen, ist von diesen Anschuldigungen keine Rede mehr. Im Kapitel über die Bedeutung der

368 Vgl. Cronau, S.137. 369 Vgl. ebda, S.141. 370 Vgl. ebda, S.139. 371 Vgl. ebda, S.143f. 372 Vgl. Pennypacker, S.165-167. 373 Vgl. Kap. 3.2 71

Siedlung schrieb er: „There are many features about the settlement of Germantown, which make it an even not of local but of national and cosmopolitan importance.”374 Keine andere

Siedlung hätte, so seine Meinung, solche Bedeutung für die Literatur und den (religiösen)

Disput errungen, wie es Germantown tat.375 Eine „potent race“ seien die Deutschen, wobei er zur Untermauerung seiner Lobesrede bis auf die Schlacht im Teutoburger Wald eingeht, die nun, in Amerika angekommen, sich so bemühten, „to enrich, strengthen and liberalize the state of Pennsylvania and to establish those commonwealth in the west where in the future will rest the control of the nation.“376 Er lobt auch die Weitsichtig- und Menschlichkeit der

Deutschen in der Frage der Sklaverei, indem er auf Hister, Muhlenberg und Wynkoop verweist, alle drei deutsche Auswanderer und damalige Abgeordnete im Kongress, welche als erste die

Petition von Benjamin Franklin, dem damaligen Präsidenten der Pennsylvania Society for

Promoting the Abolition of Slavery, positiv aufnahmen.377 Er schließt sein Lob mit dem Satz, dass „… they best represented the meaning of the colonization of Pennsylvania, and the principles lying at the foundation of her institutions and of those of the great nation of which she formed a part.”378

374 Pennypacker, S.289. 375 Vgl. ebda. 376 Ebda, S.290. 377 Vgl. ebda, S.292. 378 Ebda, S.293. 72

7 Resümee

Den wirtschaftlichen Motiven nachgereiht, waren die religiösen Verfolgungen in den Jahrzehnten nach dem Westfälischen Frieden in Mitteleuropa ein starkes Argument für die Auswanderung nach Nordamerika. Dem Jahr 1681 kommt dabei durch William Penns Erhalt des Patents von Karl II. zur Gründung einer Kolonie besondere Bedeutung zu. Penns „Holy Experiment“, das eine jede Religionsgruppe duldende Provinz vorsah, entwickelte sich rasch zur wohlhabendsten und bevölkerungsreichsten englischen Kolonie in Nordamerika. Zwar ist das Schlagwort der „Religionsfreiheit“ in der Literatur über Penn und die Anfänge von Pennsylvania omnipräsent, doch in welcher Form hatte sie einen unmittelbaren Einfluss sowohl auf die überseeischen Migrationen als auch in den Provinzen bei der Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen der neuen Kolonien. Der erste Teil der Arbeit erörtert Penns Bemühungen vor dem Erhalt des Patents, in Deutschland Unterstützer für sein Experiment zu finden. Dies zeigt zum einen, dass William Penn offensichtlich davon ausging, eine Möglichkeit zur Verwirklichung seiner Pläne zu bekommen. In der verwendeten Literatur wird zwar darauf hingewiesen, dass Penn die Idee eines Staates mit Religionsfreiheit schon sehr früh theoretisch zu konkretisieren begann, jedoch finden sich kaum Hinweise darauf, wie er ursprünglich dachte, seine Pläne umsetzen zu können. Zum anderen konnte anhand der Darstellung des engen Kontakts mit den pietistischen Zirkeln um Johanna von Merlau und der daraus folgenden Gründung der Frankfurter Gesellschaft zum Landkauf in Nordamerika gezeigt werden, dass es sich bei der Gründung von Pennsylvania um ein Projekt handelte, dass zum einen schon konkrete Auswirkungen hatte, noch bevor ein zu besiedelndes Gebiet zur Verfügung stand und weiters, dass es nur mit Hilfe der engen Vernetzung der religiösen Minderheiten in Mitteleuropa bewerkstelligt werden konnte. Der Erhalt des Patents selber lässt einige historische Fragestellungen offen: Die Auswahl des Gebietes lässt sich aufgrund der geografischen Lage gut erklären, jedoch konnten in der Recherche keine ausreichenden Hinweise auf den Entscheidungsprozess zur Besiedelung des Gebietes von Seiten William Penns gefunden werden. Eine weitere Frage, deren Antwort nicht gegeben werden konnte, ist, warum William Penn, der mehrmals aufgrund seiner religiösen Überzeugung inhaftiert wurde, das Patent zugesprochen bekam. Die Schuldforderung an den König, die Penn von seinem Vater erbte, gibt dafür nur eine ungenügende Erklärung. Die Auswanderung der „Original 13“, jenen 13 Familien, die unter der Leitung von Franz Daniel Pastorius im Jahr 1683 73

Germantown gründeten, belegt abermals, wie eng die religiösen Gruppierungen untereinander vernetzt waren und dass die Auswanderung ihren tatsächlichen Ursprung nicht in der „großen“ Stadt Frankfurt, sondern in der kleinen Gemeinde Krefeld hatte. Anhand der ersten als solche so zu bezeichnenden Massenemigration der Deutschen nach Nordamerika im Jahre 1709 konnte dargelegt werden, dass Penn zu diesem Zeitpunkt bereits über ein straff organisiertes System aus Anwerbern und Mittelsmännern verfügte, welche die Besiedelung der Provinz vorantreiben sollten. Auch in diesem Punkt sind die Folgen dieses Systems gut belegt, jedoch bedarf die Installierung dieses Systems, welches die Reedereien und Herbergsbesitzer miteinschloss, einer tiefer gehenden wissenschaftlichen Bearbeitung. Das Redemptioner-System, das sich erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollends entwickelt hatte, liefert einen starken Grund dafür, warum die Meinungen über eine Auswanderung in den verwendeten Quellen, die in einem Zeitraum von etwa 40 Jahren verfasst wurden, derart stark divergieren. Fehlende oder noch nicht bearbeitete Statistiken machen es leider unmöglich, exakte Zahlen in Bezug auf die verschifften Personen sowie die darauf hervorgegangen Zahl an Redemptionern zu ermitteln. Ein Ansatz hierbei wäre die Untersuchung der Bilanzen der von Cronau angeführten Sklavenhändler, um nachweisen zu können, dass es tatsächlich die Sklavenhändler waren, die ihr Geschäftsmodell adaptierten, um am Redemptioner-System zu profitieren. Am Beispiel der Besiedelung von Germantown wird ersichtlich, wie die Siedler mit der neuen Situation, selbst über Land zu verfügen, umgingen und sich bald darauf eine rege Wirtschaft zu bilden begann. Dass ein eigenständiges, politisches Bewusstsein von Anfang an vorhanden war, zeigt der Protest gegen die Sklaverei 1688, welcher der erste Protest auf amerikanischem Boden war, der aus ethischen Gründen erfolgte. Mit Christoph Sauer wurde ein deutscher Emigrant behandelt, der mit seiner Druckertätigkeit großen politischen Einfluss gewann und dessen Kontroversen dazu führten, dass das Selbstbild der Deutschen sowie ihr politisches Selbstverständnis geschärft wurden. Der zweite Teil der Arbeit zeigte die Entwicklung der Religionsfreiheit bei Penn auf und verglich sie mit jener bei George Calvert und Roger Williams. Neben Penns theoretischen Überlegungen über die Religionsfreiheit, die er bereits in England anstellte, konnte er als Trustee von George Calvert in West Jersey Teile seiner Idee in die Praxis umsetzen, als er die dortige Verfassung mitformulierte. Eine Analyse der drei Frames of Government in Pennsylvania verdeutlicht, dass der Idealismus, dem Penn in seinem ersten Frame noch

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Ausdruck verlieh, indem er das Gute im Menschen beschwört, sehr bald von innenpolitischen Uneinigkeiten übermannt wurde und ein immer komplexer werdender, administrativer Tonfall durch die Dokumente spürbar wird. Gleichzeitig offenbarte ein Blick in die Biografie von William Penn, dass „sein“ Projekt aus dem Blickwinkel von Penn selbst als gescheitert erklärt werden muss. Fehlende Voraussicht und Konsequenz in der Finanzierung der Kolonie ließen Penn vollends verarmen, während die Regierung seiner Provinz ihn zeitgleich zusehends entmachtete. Im Vergleich mit der Formulierung der Religionsfreiheit in Maryland und Rhode Island konnte gezeigt werden, dass diese keineswegs nur auf ethischen oder theologischen Überlegungen beruhte, sondern vor allem als Konsequenz einer Politik zu werten ist, die aufgrund der politischen und sozialen Gegebenheiten der damaligen Zeit keinen anderen Schluss zuließ und auf diesem Wege in der Folge in den Verfassungsrang erhoben wurde. Ein abschließender Vergleich von Germantown mit jener Gruppe Deutscher im Mohawk- Valley legt den Schluss nahe, dass die Art und Weise, wie die Auswanderung von den Emigranten persönlich empfunden wurde und die Lage der zu besiedelnden Gebiete, welche den Auswanderern geboten wurden, maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung und Situierung der Deutschen in ihrer neuen Heimat hatten.

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