Das amt für wald Graubünden Informiert ... Waldspazier- gang durch die Brigitte Wolf Ruinaulta Die Wälder auf dem Gebiet des Flimser Bergsturzes

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E S TA LE D O R E F I G IO R I Faktenblatt 6 IZ G V I O R N E

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V H E C T Juli 2000 IS S C R H G F O A L R E S TA L D Gleichauf mit Matterhorn und Als der Berg Rheinfall 1977 nahm der Bundesrat die Ruinaulta als eine der ersten zu tale stürzte Landschaften ins «Bundesin- ventar der Landschaften und Kurz nach Reichenau, wo sich die als 1’000 Meter in die Tiefe und Naturdenkmäler von nationaler Schienen Richtung Bündner Ober- begruben das Vorderrheintal auf Bedeutung (BLN)» auf und stell- land und Engadin trennen, taucht einer Länge von 12 Kilometern te die Vorderrheinschlucht damit die Rhätische Bahn in eine andere (von Castrisch bis Reichenau) un- auf die gleiche Stufe wie den Schuttmasse. Welt ein. An der Seite des Vorder- ter einer Diese Rheinfall, den Vierwaldstätter- rheins schlängelt sie sich hinein in ist mancherorts mehrere hundert see oder das Matterhorn. die Schlucht mit dem klingenden Meter dick. Ruinaulta. Namen Das eidgenössische Natur- und Das gesamte heutige Waldgebiet Heimatschutzgesetz (NHG) Die Ruinaulta ist eine der grossar- südlich der Strasse -- schreibt für BLN-Objekte «die tigsten Landschaften der Alpen: 18 Laax- sowie die Wälder ungeschmälerte Erhaltung oder Kilometer ungezähmter Fluss; tote westlich von und nördlich jedenfalls grösstmögliche Scho- Baumstämme auf offenen Kiesin- der Strasse Versam-- nung» vor. Für die Umsetzung seln; 300 Meter hohe, weisse Castrisch wurzeln über der ehe- des Gesetzes sind Kanton und Kalkwände. Auf bizarren Felstür- maligen Schuttmasse des Berg- Gemeinden zuständig, welche men klammern sich knorrige Föh- sturzes. Das sind nicht weniger als im Rahmen der Raumplanung ren fest; in urtümlichen Wäldern 50 Quadratkilometer! über kantonale beziehungswei- glitzern zauberhafte Seen ohne se lokale Schutzzonen bestim- sichtbare Zu- und Abflüsse. Der genaue Zeitpunkt des Flimser men. Für die Ruinaulta fehlen Bergsturzes ist bis heute nicht ein- bis heute einheitliche raumpla- Die Schlucht ist die Folge eines deutig bestimmt. Allgemein wird nerische Bestimmungen. gewaltigen Naturereignis- ein Alter zwischen 13’000 und ses. Die mächtigen Gletscher der 17’000 Jahren angenommen. Die letzten Eiszeit hatten sich bereits Tatsache, dass die Schuttmasse Das BLN-Gebiet «Ruinaulta» aus dem Tal zurückgezogen, als nochmals von Gletschern überfah- liegt auf dem Boden der neun zwischen Flimserstein und Piz ren wurde, deutet auf ein solches Gemeinden Bonaduz, Flims, Laax, Sagogn, Schluein, Trin, Grisch rund 12 Kubikkilometer Datum in der Endphase der letzten Castrisch, Valendas und Fels losbrachen. Sie stürzten mehr grossen Eiszeit hin. Versam. Die Karte zeigt die bis 1998 realisierten Schutzzonen. qUELLE: aMT FÜR rAUMPLANUNG DES kANTONS gRAUBÜNDEN

Flims

realisierte Landschafts-, Natur und Ruhezonen auf Gemeinde-ebene innerhalb des Bln-gebiets trin GEmeindegrenzen

Bonaduz laax

versam Schluein Sagogn 1

valendas

0 1 2.5km

Castrisch der Rhein formt die Schlucht

Durch den Bergsturz wurde der Heute, nach mehreren tausend Auf den Bergsturztrümmern findet man zahlreiche Pio- Rhein bei Ilanz zu einem grossen Jahren scheint die Landschaft nierpflanzen wie beispiels- See aufgestaut. Sein Abfluss be- geformt. Doch die Dynamik weise die Silberwurz, norma- gann, sich einen Weg durch die geht weiter. Der Rhein fliesst noch lerweise eine typische Hoch- Schuttmassen zu bahnen und immer in den Schuttmassen des gebirgspflanze. Fotos B.Wolf formte eine erste Schlucht. Bergsturzes. Lediglich bei der Es folgte eine Zeit mit kleineren Hochwassermarkierung bei der Bergstürzen auf beiden Talseiten Ruine Wackenau kommt ursprüng- und neuen Gletschervorstössen. licher Fels zutage. Das ausgegli- Eine Barriere aus Eis und Schutt chene Gefälle von der Surselva bis zwischen Castrisch und Schluein zum Zusammenfluss mit dem Hin- staute den zweiten Ilanzersee. terrhein deutet aber darauf hin, dass die Erosion in der Schlucht Als der See schliesslich ausbrach, heute eher in die Breite als in die überspülte eine gewaltige Flut- Tiefe wirkt. welle aus Wasser und Gesteins- trümmern die Rheinschlucht und «Ruinaulta» kommt aus dem schwappte bis hinein in das untere Romanischen und bezeichnet die bis 300 Meter hohen Kalk- Domleschg. Ihre Ablagerungen wände unterhalb Tuora bilden heute die Ebene von Bona- («Ruina» bedeutet Geröllhalde, duz und Rhäzüns. Die genaue Ab- «aulta» bedeutet hoch). folge all dieser Ereignisse haben die Geologen bis heute nicht ent- schlüsselt.

Allmählich besiedelten erste Flechten und Moose die Trümmer des Bergsturzes, der Regen löste Mineralsalze aus dem Gestein. Abgestorbene Pflanzenreste sam- melten sich an, Gräser und Kräu- ter konnten Fuss fassen. Mit der Zeit bildete sich eine Boden- schicht, in welcher auch die ersten Bäume genügend Halt fanden. So eroberten sich die Pflanzen und mit ihnen auch die Tiere das Gebiet des Bergsturzes zurück. Einzig an den steilen Abhängen der Schlucht konnten sich mancherorts bis heute keine Pflanzen ansiedeln.

Die unbändige Kraft des Wassers formte die Ruinaulta massgeblich mit. 2 Exposition: Der Bergsturz vorlieben und hinterliess ein interessantes Relief mit oft kleinräumig wechselnden Abhängen in allen Expositionen abneigungen und Steilheiten. Je nach Sonnen- einstrahlung variieren die kleinräu- Warum gedeihen auf den Sand- Hangneigung, geologischem Un- migen klimatischen Verhältnisse. bänken am Rhein praktisch nur tergrund, Boden und Konkurrenz- Weisserlen? Weshalb gesellt sich verhältnissen ab. Boden: Auf den Gesteinstrüm- zur Fichte einmal die Föhre, ein mern aus Malm- und Kreidekalken anderes Mal die Tanne? Wieso ist Höhenlage: Der Flimser hat sich seit dem Bergsturz erst an den südexponierten Abhängen Bergsturz liegt zwischen 600 eine dünne (flachgründige) und der Schlucht die Föhre alleinherr- Metern über Meer am Rhein und kalkreiche Bodenschicht gebildet. schend? Warum wachsen im östli- ca. 1’200 Metern über Meer im Regen- und Schmelzwasser ver- chen Teil der Ruinaulta Buchen, Grosswald. sickern rasch in den vielen Ritzen nicht aber im westlichen? und Spalten des Untergrundes, so Klima: Das Klima ist gekenn- dass die Böden nach längeren So wie die einen ihre Ferien lieber zeichnet durch den Übergang zwi- Perioden ohne Niederschlag stark in den Bergen verbringen, die an- schen den ozeanisch getönten austrocknen. Eine Ausnahme bil- deren hingegen im warmen Tessin, Nordalpen mit kühlen Sommern den die durchnässten Auenböden so haben auch Tiere und Pflanzen und milden Wintern sowie den entlang des Rheins. ihre Vorlieben und Abneigungen. kontinental getönten Zentralalpen Welche Kombination von Bäumen mit relativ heissen Sommern und und anderen Pflanzen – Botaniker kalten Wintern. Die Niederschläge und Förster sprechen von Wald- sind mit 900 Millimetern pro Jahr gesellschaften – an einem in Sagogn bis 1’200 Millimetern in Ort wachsen, hängt von den so Flims eher bescheiden (Säntis genannten Standortfaktoren wie 2’500 Millimeter pro Jahr). Die Wald- Höhenlage, Klima, Exposition, gesellschaften der Ruinaulta Foto B.wolf

Erika-Föhrenwald Auf den Tannen-Fichtenwald Auf Erika-Fichtenwald Auf extrem flachgründigen und etwas weniger flachgründi- flachgründigen, trockenen, trockenen Böden der süd- gen, weniger trockenen aber noch fichtenfähigen exponierten Abhänge der Böden in mulden, in hang- Böden in der Schlucht und schlucht fusslage oder auf ehemaligen insbesondere im grosswald Fluss-terrassen

Weisserlen-Auenwald Auf 3 regelmässig überschwemmten, vom Grundwasser beeinfluss- ten sandig-kiesigen Böden entlang des rheins WALDSPAZIERGANG, abschnitt 1 Felsblöcke im fichtenwald

Wir laden Sie ein zu einem Wald- spaziergang durch die Ruinaulta!

Auf den nächsten Seiten schildert der einleitende Kursivtext jeweils den nächsten Abschnitt der Wan- derung, der nachfolgende Text beschreibt die typische Waldge- sellschaft. Die Nummern im Text finden Sie auf der Karte auf der Heftrückseite wieder.

Ausgangspunkt ist Flims Waldhaus 1 , wohin wir be- quem mit dem Postauto gelangen. mancherorts scheint die Föhre Der Caumasee hat weder einen 2 sichtbaren Zu- noch abfluss. Vorbei am Caumasee gelangen fast ebenso häufig zu sein wie die sein wasserstand wird unter- wir durch den Grosswald 3 nach Fichte. Auf den flachgründigen, irdisch reguliert. Fotos R.Hefti Conn 4 , von wo wir zum ersten zum Teil sehr trockenen Böden Mal ehrfürchtig in die Schlucht blik- kann sich die Föhre neben der ken. 400 Meter unter uns umfliesst Fichte behaupten. der Rhein in weiten Schlaufen «Isla Casti» und «Chli Isla». Dank dem hügeligen Gelände mit vielen Kuppen und Senken ent- Der Grosswald – oder romanisch steht ein spannendes Mosaik von Uaul Grond – wächst auf den Bodenpflanzen mit unterschiedli- Schuttmassen des Bergsturzes chen Ansprüchen. Mit ihren lebhaft zwischen der Strasse Laax-Flims- rosa Blüten am auffälligsten ist Trin und dem Rhein. Er bildet ein wohl die Erika oder Schnee- zusammenhängendes Waldgebiet heide, weshalb Förster und Botani- von rund 1’100 Hektaren. Riesige ker im Grosswald vom Erika- Felsblöcke, tiefe Löcher und Fichtenwald 3 sprechen. Trotz der vielen Waldstrassen und Wanderwege hat der Senken, umgestürzte Bäume und Grosswald seinen urwüchsigen glasklare Waldseen machen den Charakter behalten. Uaul Grond zum geheimnisvollen Märchenwald.

Der Uaul Grond ist im Prinzip ein grosser Fichtenwald. Nur vereinzelt sind Weisstannen oder Laubbäume wie Buche, Vogel- oder Mehlbeere eingestreut. Doch

Die Fichte (romanisch: Pign) in der Ruinaulta. Für die Fichte sind die Wuchsbedingungen auf den zur Austrocknung neigenden Böden des Flimser Bergstur- zes alles andere als ideal. Der sonst bis 50 Meter hohe Baum wird vielerorts nicht höher als 25 Meter, und zeigt häufig eine schüttere und gelbliche Benadelung, was deutlich auf Trockenstress hinweist. Trotzdem ist die Fichte auf dem Gebiet des Bergsturzes die häu- 4 figste Baumart und dominiert mit Ausnahme der stei- len, sonnenexponierten Abhänge der Schlucht das Waldbild (Abbildung Fichte aus: U. Hecker, BLV- Handbuch Bäume und Sträucher). . WALDSPAZIERGANG, abschnitt 2 heimlich mischt sich die Buche ein

Von Conn 4 führt der Wander- zen in hellerem Grün spriessen, weg durch den östlichsten Teil des wechselt die Buche wie alle Laub- Uaul Grond 5 hinunter nach baumarten mit jeder Jahres- Pintrun 6 . Am Rand der zeit ihr Kleid. Am kahlen Baum- blumenreichen Wiese stehend, gerippe des Winters entfalten sich blicken wir über eine liebliche Kul- im Frühsommer die zart hellgrünen turlandschaft hinüber nach Trin. Blätter, welche sich im Sommer in Nach wenigen Minuten kommen ein sattes Grün verwandeln, bevor wir erneut an die Kante zur sie sich im Herbst rotbraun verfär- Schlucht 7 . ben und von heftigen Herbst- und Die heimlich lebende Wald- ohreule nistet in ehemaligen Winterstürmen von den Ästen ge- Krähen- und Elsternnestern. Das Waldbild hat sich kaum verän- tragen werden. Foto Chr. Meier dert. Und doch gibt es einen klei- nen, aber wichtigen Unterschied: Zwischen den Fichten und Föhren mischt sich da und dort eine Bu- che ein. Die Wissenschafter spre- chen vom Erika-Fichten- wald mit Buche 5 . Die Buche in der Ruinaulta. Auf nährstoffreichen, nicht zu trok- kenen und nicht zu nassen Böden Obwohl in der Minderzahl und sel- tieferer Lagen ist die Buche allen ten höher als 15 Meter, fallen die anderen Baumarten überlegen. In eingestreuten Buchen auch dem höheren Lagen jedoch ist es ihr im Laien sofort auf. Während Tanne Winter bald einmal zu kalt. Eben- und Fichte jahraus jahrein das falls zu schaffen machen ihr allzu gleich dunkelgrüne Nadelgewand trockene Sommer. Diese Eigen- tragen und einzig im Frühsommer schaften machen die Buche zu die Schösslinge an den Zweigspit- einem wichtigen Baum für die Abgrenzung so genannter Höhen- stufen. Die Buche bildet die Gren- ze zwischen der obermontanen Tannen-Buchenwald-Stufe und der Die hellgrünen Blätter der Buchen heben sich vom dunk- hochmontanen Tannen-Fichten- len Grün der Fichten ab. Foto wald-Stufe. R.Hefti Eine solche «Buchengrenze» ver- läuft mitten durch das Gebiet des Flimser Bergsturzes – etwa auf der Linie Fidaz-Plaunca Biala-Bar- gaus-Station Valendas/Sa- gogn. Östlich dieser Grenze finden wir die Buche (an geeigneten Standorten) häufig, jedoch nicht wald- bildend. Oft erreicht sie nur geringe Höhen und bildet krüppelige For- men. Westlich der Gren- ze kommt die Buche nur noch vereinzelt vor, so zum Beispiel in je einem Bestand bei Ilanz und Trun 5 (Abbildung Buche aus: U. Hecker, BLV-Handbuch Bäu- me und Sträucher). WALDSPAZIERGANG, abschnitt 3 viel Licht und Wärme im Föhrenwald

Sobald wir den steilen Abstieg in substrat oder sehr nassen Böden, die Schlucht unter die Füsse neh- wo andere Baumarten nicht mehr men, ändert sich das Bild. Am existieren können. Auf solchen schönsten ist der Tiefblick Extremstandorten bildet sie offene vom Aussichtspunkt bei der ersten Wälder mit einer lockeren Baum- Kurve des Zickzack-Wegleins 8 . schicht, durch welche genügend In der Ruinaulta leben zwi- Wir blicken fasziniert hinunter zum Licht für das Wachstum von Kräu- schen fünfzig und hundert Rhein, der mit den Sandbänken tern und Sträuchern dringt. gämsen. Foto B.Wolf und Kiesinseln zu spielen scheint. Und wir blicken ehrfürchtig hinauf Die Erika nimmt eine noch do- zu den Kalkwänden und Felstür- minantere Rolle ein als im Erika- men, die sich zu unserer Rechten Fichtenwald. Etwas weniger auffäl- in den Himmel erheben. Wenn wir lig sind die Horste der Niedrigen Glück haben, verraten herunter Segge, einer Grasart mit langen, kollernde Steine eine Gämse, die schlaff ausgebreiteten Blättern. behende durch die Felsen steigt. Die Felsenmispel, ein etwa 3 Me- So weit das Auge reicht, gibt es ter hoher Strauch, fällt im Frühling nur noch Föhren. Der Erika-Fich- durch weisse Blüten und im Herbst tenwald wird in der Schlucht vom durch blaue Beeren und rot ge- Erika-Föhrenwald 8 ab- färbte Blätter auf. Wirklich attraktiv gelöst. Die Waldföhre ist sehr ge- jedoch ist der Erika-Föhrenwald nügsam und anpassungsfähig. Sie dank seinem grossen Reichtum an gedeiht auch auf äusserst trocke- Orchideen. nen Standorten mit wenig Boden-

Die Erika-Föhrenwälder der Ruinaulta sind von besonde- rem ökologischem Wert, weil sie in der Schweiz von Natur aus selten sind. Foto R. Hefti

Die Waldföhre (romanisch: Tieu da guaud) in der Ruinaulta. Die extrem steilen und südexponierten Sonnenhänge der Schlucht sind für das Gedeihen von Wäldern alles andere als ideal. Auf den trockenen Kalkroh- böden, wo sich seit dem Bergsturz erst eine dünne Boden- schicht entwickelt hat, schafft das nur die Föhre. Auf normal mit Wasser und Nährstoffen versorgten Böden ist die Föhre anderen Baumarten wie Fichte, Tanne oder Buche unterlegen. Auf Extremstandorten, wie wir sie in der Ruinaulta vorfinden, 6 übernimmt sie jedoch die Alleinherrschaft und kann ganze Wäl- der bilden. Föhrenwälder prägen insbesondere auf der linken Schluchtseite das Landschaftsbild (Abbildung Waldföhre aus: U. Hecker, BLV-Handbuch Bäume und Sträucher). WALDSPAZIERGANG, abschnitt 4 Besuch der Zwillings- schwester

Nach dem steilen Abstieg durch haben auf der Unterseite zwei auf- den trockenen Erika-Föhrenwald fällige weisse Wachsstreifen. Die 8 erreichen wir wenig oberhalb Zapfen stehen wie Kerzen auf des heutigen Flussbettes die isla den Zweigen, während sie bei der Bella 9 , eine kleine Terrasse, Fichte vom Ast herunter hängen. die der Rhein bei seiner Arbeit in Wenn wir am Boden einen «Tan- Kraterelle. Foto B.Wolf die Tiefe vor noch nicht allzu lan- nenzapfen» finden, stammt er ger Zeit stehengelassen hat. stets von einer Fichte. Bei der Tan- ne fallen die geflügelten Schuppen Dank den ehemaligen Flussabla- einzeln zu Boden. Auf dem Zweig gerungen ist der Boden hier etwas bleibt die dürre Spindel des Zap- tiefgründiger und nährstoffreicher. fens noch jahrelang stehen. Die Sonne brennt etwas weniger erbarmungslos als am südexpo- Die häufigste Begleiterin der Tan- nierten Abhang. Und schon haben nen-Fichtenwälder der Ruinaulta wir wieder eine neue Waldgesell- ist die Weisse Segge. Das gelb- schaft vor uns. Auf den ersten grüne Gras mit den weisshäutigen Blick handelt es sich um den Eri- Deckspelzen gilt als typischer ka-Fichtenwald mit Buche. Doch Trockenheitszeiger kalkhaltiger zur Fichte gesellt sich ihre «Zwil- Böden und bildet vielerorts dichte lingsschwester», die Weisstanne. Rasen, die einzig durch kleinere Wir befinden uns in einem Tan- oder grössere Ansammlungen des nen-Fichtenwald mit Wald-Wachtelweizens Die Weisstanne (romanisch: Aviez) in der Ruinaulta. Die Buche 9 . aufgelockert sind. Weisstanne bevorzugt im Gebiet des Flimser Bergstur- Fichte und Weisstanne sehen sich zes nicht zu steile, etwas recht ähnlich und werden oft ver- weniger trockene und der wechselt. Die Nadeln der Tanne Sonne eher abgewandte sind jedoch breiter und flacher und Hanglagen. Im Gegensatz zur Fichte wurzelt die Tanne gerne tief im Bo- den. Allzu flachgründige Die Tanne ist auf den ersten Böden, wie sie im Ge- Blick schwierig von der Fichte biet fast ausschliess- zu unterscheiden. Foto R.Hefti lich vorkommen, sa- gen ihr nicht sonder- lich zu. In Mulden, am Hangfuss oder auf ehemaligen Flussterrassen fin- det die Tanne aber auch in der Ruin- aulta geeignete Lebensbedingungen. Im Uaul Grond beträgt das Verhältnis Fichte: Tanne: Föhre etwa 6:3:1 (Ab- bildung Weisstanne 7 aus: U. Hecker, BLV- Handbuch Bäume und Sträucher). WALDSPAZIERGANG, abschnitt 5

vielfältiger Zu den Auenlandschaften der Ruinaulta gehören aber nicht nur die Weisserlenwälder, sondern Auenwald auch offene Kiesbänke, welche bei jedem Hochwasser neu gestal- Der Weg führt auf der Eisenbahn- Auf den Terrassen nur wenig über tet werden. An sandigen Ufern brücke über den Rhein. Ob in den dem Flussbett herrschen erstmals wachsen Gräser oder Alpenpflan- nächsten Minuten wohl ein Zug nicht Nadel-, sondern Laubbäume zen, deren Samen vom Wasser fürs Foto kommen wird oder nicht? vor. Wir befinden uns mitten im aus den Bergen mitgebracht wur- Wahrscheinlich kommt er, wenn Weisserlen-Auenwald den. Dichte Weidengebüsche wir bereits Richtung «Chli Isla» 10 , wie er für die Ufer von Ge- stehen manchmal wochen- oder 10 wandern. Der Rhein umfliesst birgsflüssen typisch ist. Im Som- monatelang im Wasser. die Halbinsel in einer eleganten mer, wenn das Blätterdach nur Schlaufe, und der Zug durchquert wenig Tageslicht durchlässt und Dank der vielen unterschiedlichen sie im Tunnel. Uns bleibt nichts an- die üppige Bodenvegetation voll Biotope sind bei uns Auen diejeni- deres übrig, als die 40 Höhenme- entfaltet ist, erscheint der Wald gen Lebensräume mit der grössten ter hinauf und wieder hinunter zu ganz in schummrigem Grün. Vielfalt an Pflanzen und Tieren. steigen. Von da ist es nicht mehr weit zur Station Versam- Auenwälder liegen im Über- 11 . schwemmungsbereich von Fliess- gewässern. Die Stämme und Äste der Bäume erzählen vom ständi- gen Ringen mit den zerstöreri- schen, oft todbringenden Kräften der Hochwasser. Die gleichen Wasser sichern den Auenbewoh- nern aber auch das Überleben. Bleiben die Überschwemmungen über längere Zeit aus (z.B. infolge Uferverbauungen), wachsen auf den fruchtbaren Auenböden bald Dem Flussuferläufer bieten die Kiesflächen in der Ruin- einmal «Allerweltsbäume» wie aulta ideale Brutmöglichkei- Fichte, Buche oder Tanne und ver- ten. Foto Vogelwarte Sempach drängen die typischen Auenwald- bäume. Die Weisserle kann entlang von Gebirgsflüssen sehr dichte, gleichförmige Rein- bestände bilden. Foto B.Wolf Die Weisserle (romanisch: Ogn grisch) in der Ruinaulta. Entlang des Rheins wachsen fast überall Weisserlen – je nach Steilheit des Ufers lediglich als schmaler Streifen oder als dich- ter Auenwald. Als ausgespro- chener Pionierbaum ist die Weisserle ein Erstbesiedler von Rohböden und Schutt- flächen. Dank ihrer biegsamen Äste und ihrer enormen An- passungsfähigkeit erträgt sie auch meterhohe Schuttüber- deckungen, wie sie am Rande von Gebirgsflüssen vorkom- men. Die Weisserlenwälder unterhalb von Ilanz gehören zur 8 Auenlandschaft «Cauma» von nationaler Bedeutung. (Abbildung Weisserle aus: U. Hecker, BLV- Handbuch Bäume und Sträucher). WALDSPAZIERGANG, abschnitt 6 Musse, spiel

Obwohl die Ruinaulta bis heute und abenteuer vom Massentourismus verschont geblieben ist, stellt sich immer Von der Station Versam-Safien 11 Vor allem im Sommerhalbjahr wird mehr die Frage, wieviel Nut- können wir den Zug nach Reichen- die Ruinaulta von unzähligen Ein- zung die Ruinaulta erträgt und au oder Ilanz nehmen. Viel schö- heimischen und Touri- wieviel Schutz sie braucht. Ei- ner ist es aber, den Weg bis Sta- sten aufgesucht. Besonders be- ner Vielzahl von individuellen Nut- tion Valendas-Sagogn liebt sind Wandern sowie Spielen, zungsformen, touristischen Ange- 12 zu Fuss zurückzulegen. Der Baden und Grillieren in den Wäl- boten und gewerblichen Interessen Wanderweg führt am Fuss bizarrer dern und auf den Wiesen am steht die einzigartige biologische Felstürme, durch Föhren- und Rheinufer. Wassersportlern bietet Vielfalt gegenüber. Natur und Fichtenwälder, über landwirtschaft- der wilde Fluss zwischen Ilanz und Landschaft stellen für die Region lich genutzte Wiesen oder dem Reichenau Abenteuer und Heraus- ein intaktes ökologisches und öko- Bahngeleise entlang. forderung. Touristen aus aller Welt nomisches Kapital dar. Um diesen Bei der Station Valendas-Sagogn geniessen das Naturschauspiel A Wert auch künftigen Generatio- benteurer Badende Ba endet unser Waldspaziergang. Von vom Glacier Express aus, ern Bikerinnennen zu erhalten,Campie- braucht es rer Erholungssuchende hier aus können wir nach Cast- dem «langsamsten Fischer Försterheute Hunde- eine weitsichtige risch, Sagogn oder Laax wandern Schnellzug der Welt». halterinnen Jäger Kanu-Planung und regionale - oder über «Tuora» 13 und ten Kajakfahrerinnen Zusammenarbeit. Kieswerksbesitzer Kraft- «Conn» 4 nach Flims Waldhaus werksbetreiberinnen 1 zurückkehren (ca. 3 Stunden Picknickende Riverrafter Wanderzeit). Sonnenbadende Spazier- gängerinnen Touristik- erinnen Umweltschützer Mit dem Auf und Ab des Wander- W u weges wechselt auch das Wald- anderer Wildhüte - bild. Dem Rhein entlang gedeiht der Weisserlen-Auenwald, an den steilen Abhängen weiter oben der Erika-Föhrenwald. Dazwischen kann sich der Erika-Fichtenwald oder der Tannen-Fichtenwald (mit oder ohne Buche) behaupten.

r Doch in der Ruinaulta fühlen sich nicht nur die Bäume wohl. Ähnlich wie verschiedene Baumarten Waldgesellschaften bilden, vereini- gen sich Menschen zu «Erholungsgesellschaften»: Wanderer, Riverrafterinnen, Picknicker, Hundehalterinnen, Fischer und viele mehr.

Der 18 Kilometer lange Fluss- 9 abschnitt zwischen Ilanz und Reichenau ist die längste Riverraftingstrecke der Schweiz. Fotos B.Wolf Waldnutzung im wandel der Zeit

von Reto Hefti Holz war bis nach dem zweiten Heute haben die Abhänge der Weltkrieg der wichtigste Ex- Ruinaulta für die Holznutzung Die Nutzung der Bündner Wälder portartikel Graubündens. praktisch keine Bedeutung mehr; war einst stark an grössere und Das feinjährige Gebirgsholz eig- der Wald wird mehrheitlich sich kleinere Flüsse gekoppelt. Lange nete sich hervorragend für den selbst überlassen. Er schützt vor bevor die erste Lokomotive durch Schiffsbau, wurde in Bergwerken Erosion und Steinschlag, und bil- die Ruinaulta schnaubte und sich in ganz Mitteleuropa dringend be- det dank seiner Unzugänglichkeit Riverrafter auf den Wellen des nötigt und war der wichtigste Bau- wertvolle Rückzugsgebiete Flusses vergnügten, war der Rhein stoff für alle Hochbauten. So wur- für Tiere und Pflanzen. eine Wasserstrasse zur Be- den auch die steilen Abhänge der förderung von Holz. Bis ins 20. Ruinaulta sehr stark genutzt. Die Die auf den angrenzenden Pla- Jahrhundert wurden jedes Jahr Nähe des Rheins lud geradezu teaus und Abhängen gelegenen Tausende von Holzstämmen aus ein, grossflächige Holzschläge mit Tannen-Fichtenwälder sind ver- der Surselva dem Fluss überge- grosser Rendite auszuführen. gleichsweise wüchsig. Der Jung- ben und nach Reichenau trans- wald wächst rasch in die Kronen portiert. Erst dank restriktiven Forstge- der alten Bäume. Ungleichmässig setzen sowie der Verlagerung aufgebaute und stellenweise lichte Um 1850 hatte sich in Reichenau der Transporte auf die Bahn oder Wälder können den vielen Anfor- der französische Holzexportkauf- den Lastwagen wurde die Holzpro- derungen, die an sie gestellt wer- mann Victor Bourgeois aus Besan- duktion in verträglichere Bahnen den, am besten entsprechen. Um çon niedergelassen. Er liess das gelenkt. Der Begriff der «nachhalti- einen solch stufig aufgebauten Holz sägen, zu Flössen binden gen Nutzung» wurde gesetzlich Wald zu erhalten, der nicht nur die und über Basel und den Rhone- verankert und vom eigens dafür Erholungssuchenden freut, son- Rhein-Kanal bis nach Lyon expor- geschaffenen Forstdienst umge- dern auch gegen Schnee und tieren. Die Nachfrage nach Holz in setzt. Mit Beginn des 20. Jahrhun- Sturm widerstandsfähiger ist, wird Europa war riesig: Allein die Stadt derts durfte nur mehr so viel Holz der Wald vom Förster gepflegt. Wien benötigte um 1850 jährlich genutzt werden, wie nachwuchs. 500’000 Scheiterklafter Brennholz. Auch wurden andere Waldfunktio- nen – vor allem der Schutz von Siedlungen und Verkehrswegen – immer wichtiger, sodass die Ge- meinden aus eigenem Interesse auf intakte Wälder zu achten be- gannen.

Der forstwart bei der Arbeit. Fotos R.Hefti

10 mehr zum thema Impressum

Literatur • Frey, H.U., Bichsel, Ruinaulta. IG Ruinaulta, Versam, Text Brigitte Wolf, dipl. Biologin M., Preiswerk, T.: Waldstandorte 2000. Kontakt-Adressen und freie Wissenschaftsjournali- und Waldgesellschaften Grau- Amt für Wald Graubünden, stin, Brig • Grafische Ge- bündens. 3. Teil «Vorderrhein». Loëstrasse 14, 7000 . Tel. staltung Markus Weidmann, Amt für Wald Graubünden 2000 • 081/257 38 61, Fax 257 21 59, Chur • Druck Sulser, Chur • Hecker, U.: Bäume und Sträu- email: [email protected] • Reto Hefti, 1. Auflage 1’000 Exemplare • cher. BLV Handbuch. BLV Verlags- Kreisforstamt 5 Trin, Casa Camut- Bezugsquelle Richard Wal- gesellschaft mbH, München, Wien, schera, 7017 Flims Dorf, Tel. 081/ der, Koordination für Öffentlich- Zürich, 1995 • Herold, H.: Trift und 911 53 55 • Arthur Sandri, Kreis- keitsarbeit des Amtes für Wald Flösserei in Graubünden. Verlag forstamt 8 Ilanz, Poststrasse 1, Graubünden, Loëstr. 14, 7000 Bündner Monatsblatt, Chur, 1990 • 7130 Ilanz, Tel. 081/925 10 31 Chur. Tel. 081/257 38 54, Fax 257 Kirchen, E: Wenn der Berg stürzt. • IG Ruinaulta, Werner Stucki, 21 59; email: richard.walder@ Terra Grischuna Verlag, Chur, 7122 Valendas, Tel. 081/921 31 71 afw.gr.ch • © Amt für Wald Grau- 1993. • Steiger, P.: Wälder der • Brigitte Wolf, dipl. Biologin, Hofji- bünden, Juli 2000. Schweiz. Ott Verlag, Thun, 1994. • strasse 29, 3900 Brig, Tel. und Fax E S TA LE D O R E F I G Wolf B. und Scheidegger B.: Le- 027/924 33 42, email: b.wolf@ O R I I IZ G V I O R N E

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V H aulta. Eine Ausstellung der IG E C T S IS C R H G F O A L R E S TAL D

Wandervorschlag Wanderzeiten Erläuterungen von Flims Waldhaus (1’100müM) nach ... 1-4 ...... Seite 4 ... Conn (1’000müM) 1 Std. 4-7 ...... Seite 5 Karten ... Pintrun (900müM) 1½ Std. 8 ...... Seite 6 • Blatt 1194 (1:25’000) ... Eisenbahnbrücke (626müM) 2 Std. 8-9 ...... Seite 7 • Blatt 1195 Reichenau (1:25’000) ... St. Versam-Safien (635müM) 2½ Std. 10-11 ...... Seite 8 • Blatt 247 Sardona (1:50’000) ... St. Valendas-Sagogn (669müM) 4 Std. 11-13 ...... Seite 9

flims 1 Kilometer Reproduziert mit Bewilligung des Bundesamtes für landestopographie (BA002486) 1 2

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