Der Heitere Girondin
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Tageblatt 4 THEMA PHILIPPE SOLLERS Mi.-Fr., 24.-26. Dezember 2014 • Nr. 299 Der heitere Girondin PORTRÄT Das Tageblatt zu Besuch bei Philippe Sollers Michèle Vallenthini so will er wissen, ob das Ding ein- Si la presse papier geschaltet sei und zeigt dabei auf Philippe Sollers ist so etwas das iPhone, das zwischen be- meurt, c’est la tyrannie, wie der letzte Mohikaner der schriebenen Seiten, Büchern und französischen Literaturszene. Infini-Ausgaben auf dem il ne faut pas l’accepter Immer leicht „politiquement Schreibtisch untergeht. Ja, ist es. incorrect“ hat er mit seinen „Bon. Allez hop, on y va. Je suis à avantgardistischen Romanen vous.“ und Essays ganze Wenn man bei ihm ist, hat man Generationen geprägt. tatsächlich den Eindruck, dass er Er ist sozusagen Frankreichs einem voll und ganz gehört, aber Literatur-Dinosaurier eben so, wie ein Charismatiker schlechthin. Das Tageblatt einem gehört: ganz und doch ir- L’écriture est la hat sich in Paris mit ihm über gendwie gar nicht. Er greift nach Lebenslust, Kindbleiben, seiner berühmten Zigarettenspit- continuation de la Revolution, die Literatur als ze: da ist sie, die Diva in Grau, politique par d’autres Masterplan zum Leben und wie aus der Zeit gefallen. Philip- die dringende Notwendigkeit pe Sollers der Elegante, Philippe moyens einer lebendigen Print-Presse Sollers der Genießer und Ästhet, unterhalten. Philippe Sollers, bürgerlich Phi- lippe Joyaux, mit der Liebe zum „Gallimard, c’est la banque cen- schmückenden Detail. Das Ziga- trale“, sagt Philippe Sollers gern. rettenmundstück ist wie das Irgendwie stimmt das. Da ist zum Madeleine-Gebäck bei Marcel Beispiel der Empfang. Die Wän- Proust, dem Autor des Jahrhun- de holzverkleidet und gepflastert dertromans „A la recherche du von den literarischen Grands temps perdu“: Genauso wie bei Hommes und Grandes Femmes Proust der Geschmack eines in des Hauses. Aufgeregtes Treiben Lindenblütentee getunkten Ge- herrscht hinter der eher un- bäckstücks als Schlüssel zur Ver- scheinbaren cremefarbenen Fas- gangenheit dient, lässt die Geste sade in der rue Gaston Galli- der Rauchens die ganze Karriere mard, ehemals rue Sébastien Bot- Sollers’ noch einmal aufsteigen tin. Sonst ist er die schwarz glän- zende Marmortreppe immer Der Girondin selbst hinuntergekommen, ist auf halber Höhe stehen geblieben als Frauenliebling und hat die Arme ausgebreitet „Vous voilà! Venez, venez!“. Jetzt tut das die Assistentin. Das war Wenn er seine Zigarette ansteckt, dann aber auch schon alles, was erhebt sich vor dem geistigen Au- dem Zahn der Zeit zum Opfer ge- ge des Besuchers der junge Phi- fallen ist, denn kaum betritt man lippe Sollers, treibende Kraft der das winzig kleine, bis zur Decke Tel-Quel-Gruppe, Philippe Sol- mit Büchern vollgestopfte Büro lers im Militärkrankenhaus von im ersten Stock der rue Gaston Belfort, wie er Schizophrenie si- Gallimard, erlebt man Philippe muliert, um sich dem Algerien- Sollers in seinem Element. Un- krieg zu entziehen, der vielver- bändig aufgeregt, überschäu- sprechende von François Mauri- mend vor Worten und Gedan- ac und Louis Aragon – dem „Va- ken. tican und dem Kreml“ wie Sollers „Voilà, c’est tout moi là“, sagt er gerne sagt – hoch gelobte junge und deutet dabei auf ein Bild von Autor von „Le Parc“, für den er sich, wie er in Bordeaux, seiner 25-jährig mit dem Prix Médicis Geburtsstadt, auf den Stufen des geehrt wird –, der Philippe Sol- Grand Théâtre sitzt. Im Hinter- lers der eigenwillig fließenden, grund erhebt sich das Monument punkt- und kommalosen Roma- aux Girondins. Es erinnert an die ne „Drame“, „Nombres“, „Lois“, Abgeordneten der Gironde, die „Paradis 1“ und „Paradis 2“, der gemäßigten Revolutionäre, die scheinbar zur narrativen Ruhe während der Französischen Re- bekehrte Autor von „Femmes“, volution Opfer des Terrors wur- schließlich dann der rege Kolum- den. nist, Essayist und Biograf der über Dante, Sade, Lautréamont, Mozart, Genet und unzählige an- „Never complain. dere schreibt. Das alles ist Philip- pe Sollers. Phillipe Sollers ist Il faut rester gai.“ scheinbar alles. Alles und nichts, wie böse Zungen behaupten. „Le monde est con. On est dans Fragt man ihn nach seinem Alter, une époque épouvantable, une antwortet er „j’ai trois ans, non névrose ambiante.“ Würde man attendez, quatre plutôt“. – „Sûr? ihn nicht kennen, dürfte man Pas douze?“ Kurze Denkpause jetzt begründeterweise Sorge he- … – „Trois, quatre, six, sept, dou- gen, von einer endlosen Jeremia- ze, enfin tout ce que vous vou- de getroffen zu werden und das lez.“ Ob er zeitlos sei? Er blickt ehrwürdige Gallimard-Gebäude plötzlich ernster drein: Es bringe von Weltschmerz erschlagen zu nichts, gegen die Zeit anzukämp- verlassen. „Mais: never com- fen, „il faut rester enfant“. Er plain. Il faut rester gai!“, sagt er sucht den Augenkontakt, mag es und zeigt dabei auf eine Ausgabe nicht, wenn man aufschreibt, von Nietzsches „Fröhliche Wis- während er spricht, er schaut ger- senschaft“, irgendwo hoch oben ne in aufmerksame Augen, und im Bücherregal. Auf dem Schreibtisch liegt sein nächstes Buch: „L’école du mys- tère“. Ende Januar 2015 soll es er- scheinen. Er greift zu der Sein neuestes Buch schwarzumrandeten Lesebrille und liest eine Seite daraus vor. Er Littérature et politique liest eigentlich ständig vor. Beim Flammarion, 2014 Vorlesen seines Romans ohne In- terpunktionszeichen „Paradis“ Bernard-Henri Lévy über hat er sich sogar filmen lassen. das Werk: „Vous avez là, Die Stimme dazu hat er und den dans ce livre, l’esprit et la Gestus eines Tenors, um sein lettre des quinze dernières „propos“ zu untermalen, auch. années de cette histoire si Die Intonation sitzt, man hört française qu’est le rapport ihm gerne zu. Er liest einen fikti- des écrivains à la politique.“ ven Dialog über seine Beziehung zu Frauen vor. Das ist bezeich- Philippe Sollers in Bordeaux. Im Hintergrund erkennt man das Monument aux Girondins. Tageblatt Mi.-Fr., 24.-26. Dezember 2014 • Nr. 299 THEMA PHILIPPE SOLLERS 5 nend. Es ist nämlich so, dass er Freigeist, als wissbegieriger, den- 1936 schon immer der Liebling der kender Mensch. Man kann es Geboren in Bordeaux als Mädchen war. Männer mögen den Romanciers der Libertinage Philippe Joyaux. ihn weniger. Wieso? „Ils sont ja- kaum nachmachen. Philippe Sol- loux.“ Er hat es leicht mit den Da- lers versucht es trotzdem. Und es 1957 men und vielleicht lastet gerade gelingt. So sind dann auch die Sein Erstlingswerk „Le Défi“ deswegen auf ihm der Verdacht drei Gesichtspunkte, unter denen erscheint. der Oberflächlichkeit. Das war er jede Person prüft, fest in sei- immer schon so: „superficiel“, nem Lieblingsjahrhundert, der 1958 „touche-à-tout“ und „fumiste“ Aufklärung, verwurzelt: „1.A Mit „Une curieuse solitude“ sind noch die freundlichsten At- tendance à penser, 2. A tendance verhelfen ihm die tribute, die man ihm an den Kopf à être honnête, 3. Qu’est-ce que etablierten Schriftsteller geworfen hat. Er hat es geschafft, il/elle ne veut pas savoir?“. François Mauriac und Louis bereits zu Lebzeiten leidenschaft- Er darf ruhig von sich behaup- Aragon zur Berühmtheit. lich gehasst zu werden, das freut ten „je suis un écrivain engagé“. Knapp 25-jährig wird er zu ihn heute diebisch: „J’ai gardé ma Dass muss man ihm lassen. Auch einer Größe in der mauvaise réputation, ça me wenn man ihn nicht mag. Seine französischen maintient en vie.“ Mit anderen Biografie hat dieses Engagement Literaturszene. Worten: immer leicht suspekt mehr als einmal bewiesen. Nicht wirken, das schafft Freiraum und ang zuletzt liefert auch seine Literatur 1960 hält Quälgeister fern. „Superfi- Zh Belege für seine Gesellschaftskri- Gründung von Tel Quel, ciel, coupable, voilà les deux tik. Wie kaum ein anderer schafft einer literaturkritischen masques parfaits pour notre épo- phie er es zum Beispiel in „Médium“, So Bewegung um die que. Si vous ne les prenez pas s: die kritischen Töne in Richtung gleichnamige Zeitschrift. vous-même, on vous les tend“, to Organ- und Kunsthandel, Verfall schreibt er irgendwo. Fo der westlichen Welt elegant in Philippe Sollers am Schreibtisch den Kanälen der hundertjährigen 1960-1970 Stadt Venedig unterzubringen. Im Rahmen von Tel Quel Schreiben als „Je parle de l’histoire qui est à verkehrt Sollers mit den Oxymoron übrigens – so erfolg- muss, ist es das Haptische von notre portée.“ Er sitzt nicht im Größen der intellektuellen Muskeltraining reich im TV vorgestellt, mit dem Papier und Füller, der Leistungs- Elfenbeinturm wie die schwind- Szene Frankreichs: Jacques Moderator so versiert über die sport des Schreibens, der ihn am süchtigen Poeten der Romantik. Lacan, Michel Foucault, Den schlechten Ruf hat Philippe amourösen Abenteuer François Leben erhält, ihn heiter sein lässt, Er steht mitten im Leben, saugt es Louis Althusser und Roland Sollers nicht zuletzt auch wegen Hollandes konversiert, dass er den Girondin, Philippe Sollers: auf wie ein Schwamm und lässt Barthes. seiner überwältigenden Medien- wieder einmal die Gunst des Pu- „L’inspiration est dans le bras, dann den skripturalen Bizeps präsenz. „Il fait flèche de tout blikums erobern konnte. Wer, le muscle, c’est du sport de très spielen. Alle meinen, ihn zu ken- bois“, lautet hier der Vorwurf. Er wenn nicht er, hat den Nutzen haut niveau, l’écriture.“ Und so nen, weil er ja auf allen Kanälen 1961 ist ein Meister des perfekten Auf- des Web erkannt und sogleich kommt es, dass er auch ein gro- ist, und doch bleibt er eigenartig Für „Le Parc“ wird er mit tritts. In Fernsehen, Radio oder auch genutzt: er betreibt zwei In- ßer Verfechter der Printmedien fremd und ungreifbar. Vielleicht dem renommierten Prix in Kolumnen vermarktet er sich ternetseiten, einen Twitter- und ist. Was zurzeit mit der Presse ist das die Essenz des engagierten Médicis ausgezeichnet. und seine Bücher. Gerade neu- Facebook-Account. Und doch ist passiert, regt ihn auf: „Si la presse Schriftstellers, niemandem gehö- lich hat er sein letztes Werk „Lit- es ein perfekt inszeniertes Mas- papier meurt, c’est la tyrannie, il ren, für alle da sein.