Francia­Recensio 2017/1 19.‒‒ 21. Jahrhundert Époque contemporaine

Bernard O’Connor, Agents françaises. French women infiltrated into during the Second World War, Lulu.com (Raleigh, NC) 2016, 613 p., num. b&w ill. ISBN 978­1­326­70328­8, GBP 19,99. rezensiert von/compte rendu rédigé par Corinna von List, Berlin

In seinem Buch präsentiert Bernard O’Connor die Werdegänge von 36 Französinnen, die zwischen September 1942 und August 1944 als Agentinnen1 nach Frankreich entsandt wurden. Sie gehörten vorwiegend der Sonderabteilung Special Operations Executive (SOE) des britischen Geheimdienstes an. Nur wenige von ihnen wurden durch den Geheimdienst der France libre in Nordafrika rekrutiert. In der Einleitung stellt der Autor die verzweigte Geschichte dieser beiden Geheimdienste dar, deren verschiedene Abteilungsdirektoren mehr gegen­ als miteinander arbeiteten. Außerdem beschreibt er die einzelnen Trainingsstationen, die alle Agentinnen und Agenten erfolgreich durchlaufen mussten, bevor sie zum Einsatz kommen konnten. Folgt man den Orten der Rekrutierung und Ausbildung ergibt sich eine vom Verfasser bebilderte Rundreise nicht nur durch London, sondern auch zu zahlreichen Schlössern und Herrenhäuser der umliegenden Grafschaften.

Bei den einzelnen Biografien stützt sich O’Connor zum einen auf die vom SOE geführten Personalakten und offiziellen Berichte der Agentinnen und Agenten über ihren Einsatz in Frankreich. Zum anderen greift er auf Memoirenliteratur, Zeitzeugeninterviews und ca. 70 Internetquellen zurück, von denen jedoch bereits unmittelbar nach der Drucklegung nicht mehr alle abrufbar sind (http://arch.oucs.ox.ac.uk/detail/95915/index.html). So gut der Leser den Ursprung des verwendeten Materials anhand der Bibliografie nachvollziehen kann, so unklar bleibt ihm, wie es zur Auswahl der 36 vorgestellten Agentinnen kam. War es deren französische Staatsangehörigkeit, die Überlieferungssituation der Quellen oder die Tatsache, dass zahlreiche Missionen ihren Ausgangpunkt beim Militärflughafen Tempsford in Bedfordshire hatten? Wie dem auch sei, ergibt diese Auswahl ein unvollständiges Bild, weil Agentinnen wie etwa oder Yvonne Cormeau nicht berücksichtigt werden, obwohl sie mit der ebenso ausbildungsintensiven wie gefährlichen Mission einer Funkerin betraut waren.

Ein Ungleichgewicht besteht auch beim Umfang der einzelnen Biografien. Bei Odette Sansom, die dank einer Verfilmung ihrer Lebensgeschichte und mehrerer Biographien zu den bekanntesten Agentinnen in Großbritannien gehören dürfte, umfasst der Eintrag mehr als 50 Seiten und ist damit der umfangreichste des ganzen Buchs. Ihr Einsatz begann im November 1942 in Marseille. Im April 1944 wurde sie in der Nähe von Annecy verhaftet und in das KZ Ravensbrück deportiert. In die Beschreibung ihrer Mission und ihres Privatlebens vor und nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Autor 1 Im Titel des Buches müsste es richtig »Agentes« heißen.

Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative­Commons­Lizenz Namensnennung­Keine kommerzielle Nutzung­Keine Bearbeitung (CC­BY­NC­ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by­nc­nd/4.0/ an verschiedenen Stellen Ausführungen zu anderen Agenten des SOE sowie zur Situation englischer Frauen in Ravensbrück eingewoben. Illustriert durch seitenlange Zitate, ergeben alle diese Informationen ein kaum noch zu durchdringendes Detailgeflecht zum Einsatz von Odette Sansom. Dem gegenüber stehen Beiträge von nur 3 Seiten, die außer dem Flugzeugtyp, dem Zeitraum der Mission, dem Datum der Verhaftung und den verliehenen Auszeichnungen keine weiteren Angaben enthalten wie im Falle der zur France libre gehörenden Agentinnen Suzanne Mertzisen2 oder Marcelle Somers.

Da sich der Autor auf Akten des britischen Geheimdienstes sowie Monografien zu dessen Geschichte konzentriert, fehlt ihm der Blick auf die Situation in Frankreich. Dies zeigt sich am Beispiel von Denise Bloch, die bereits vor ihrem Einsatz als Agentin des britischen Geheimdienstes in der Résistance aktiv war. Sie ging damit ein höheres Risiko als die meisten anderen Agentinnen ein, weil sie den französischen Polizei­ und Justizbehörden einschließlich ihrer im Untergrund verwendeten Decknamen bekannt war.

Die Anordnung der Biografien erfolgt in chronologischer Reihenfolge nach dem Datum des Einsatzes, was bei der Benutzung sehr gewöhnungsbedürftig ist, zumal ein Personenindex fehlt. Ärgerlich sind die zahlreichen aus dem Internet stammenden Fotos, auf denen Frauen mit einem Gewehr in der Hand abgebildet sind und die mit der nichtssagenden Bildunterschrift »Unknown Woman in the « versehen sind. Damit verfälscht der Verfasser die Perspektive auf das Engagement von Frauen innerhalb der französischen Widerstandsbewegung, weil deren Leistungen auf dem Gebiet des zivilen Widerstandes (Kurierdienst, Fluchthilfe, Untergrundpresse) lagen, was mittels dieser Fotos völlig an den Rand gedrängt wird. Selbst die vom britischen Geheimdienst nach Frankreich entsandten Agentinnen setzen Waffen allenfalls zum Selbstschutz ein.

Bernhard O’Connor hat zweifellos große Ausdauer beim Erarbeiten der einzelnen Biografien und dem Zusammentragen englischsprachiger Quellen und Literatur an den Tag gelegt. Jedoch hat er es versäumt, seine Ergebnisse in den historischen Kontext in Frankreich einzubetten, was mit Hilfe einschlägiger Arbeiten von Robert Gildea oder Julien Jackson möglich gewesen wäre3. Deshalb erschließen sich den Leserinnen und Lesern weder die einzelnen Erfolge einer Agentenmission noch die Gründe für ein etwaiges Scheitern. Wer sich hingegen vornehmlich für die Ausbildungswege der Agentinnen beim britischen Geheimdienst, die Dauer einer Mission in Frankreich, die zum Absetzen eingesetzten Flugzeugtypen, den Ort und Zeitpunkt einer Verhaftung bzw. Deportation und die verliehenen Auszeichnungen interessiert, wird in diesem Werk fündig.

2 Heute unter dem Namen Mertzisen­Boitte bekannt. 3 Julian Jackson, The Dark Years, 1940–1944, Oxford 2003; Robert Gildea, Marianne in Chains. In the Search of the German Occupation, 1940–1945, London 2002; id., Fighters in the Shadows. A New History of the French Resistance, London 2015.

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