Kultur

KULTURGESCHICHTE Der Menschensammler Bismarck, Rathenau, Rilke, Maillol, Josephine Baker – Harry Graf Kessler kannte sie alle. Der Museumsleiter, Mäzen, Diplomat und Autor regte den „Rosenkavalier“ an und druckte traumhaft schöne Bücher. Seine Tagebücher entfalten eindrucksvoll das Panorama einer Epoche.

Gedanken, die was wert sind, wollen Jahrzehnte steigert sich seine Kunst bis zur Einen Händedruck vom US-Präsidenten nicht begriffen sondern erlebt sein. Perfektion. Eine Momentaufnahme vom und Gletschertouren bei Sankt Moritz, ei- Harry Graf Kessler, Mai 1896 Februar 1926 in Berlin: „Ich fuhr also zu nen Blick von der Cheopspyramide und Vollmoeller in seinen Harem am Pariser Nächte in kanadischen Blockhütten, die ie ein „grosser schöner Hund, ein Platz und fand dort … zwischen einem hal- Festspiele in Oberammergau und ein Anti- Bernhardiner“, blickt der Mann ben Dutzend nackter Mädchen auch Miß semitentreffen in Berlin („das Hauptresul- Wauf dem Sofa. Und wie ein Hund Baker, ebenfalls bis auf einen rosa Mull- tat war ein ziemliches Bier-Besäufnis“), gibt er Pfötchen: „Die Finger sind auffal- schurz völlig nackt.“ Josephine Baker, die Opiumhöhlen – plus Kostprobe – in Shang- lend lang und fein gebildet; nur die Farbe er zum ersten Mal sieht, „tanzte mit äu- hai und ein Gespräch mit Cosima Wagner, fast leichenhaft. Er sieht Einen fest und ßerster Groteskkunst und Stilreinheit…So der Herrin von Bayreuth: Das hat schon lange an; Irres ist im Blick Nichts.“ müssen die Tänzerinnen Salomos und Tut- der 25-Jährige hinter sich. Von Helsingör Harry Graf Kessler trifft den geistes- ench-Amuns getanzt haben. Sie tut das bis Syrakus, von Tokio bis zum Sankt- kranken . Sprechen stundenlang scheinbar ohne Ermüdung, Lorenz-Strom kennt er die Welt und wird kann der „Gott ist tot“-Denker, den seine immer neue Figuren erfindend wie im doch nicht müde, sie erkennen zu wollen. AKG (L.) AKG Der kranke Nietzsche (Ölskizze von Hans Olde, 1899) Eröffnung der Monet-Ausstellung in (1905)* Kessler-Lebensthemen: Unentwegt auf der Jagd nach geistiger Erfüllung, nach dem großen, schöpferischen Augenblick

Schwester in Weimar pflegt, nicht mehr – Spiel, wie ein glückliches Kind. Sie wird Mit zwölf Jahren sah Harry Clemens aber schreien: „Ich hatte“, so Kessler, dabei nicht einmal warm, sondern behält Ulrich Kessler (1868 bis 1937), Sohn eines „noch keine Viertelstunde das Licht aus- eine frische, kühle, trockene Haut“. reichen, 1891 im Hauruckverfahren zum gemacht, als ich plötzlich durch das laute Porentief präzis und mit einem Hauch Grafen erhobenen Bankiers, im Kurort Bad Brüllen des Unglücklichen unten aufge- Ironie hält er fest, was er sieht, wen er Ems den Kaiser Wilhelm I. Abends schrieb schreckt wurde. Ich stand halb auf und hör- trifft. Und er trifft sie alle: die Schauspie- er in ein Schulheft: „The emperor comes te noch zwei drei Mal die langen, rauhen, lerin Sarah Bernhardt und den Surrealisten on the promenade and speaks to mamma.“ wie stöhnenden Laute, die er mit ganzer Jean Cocteau, Otto Fürst von Bismarck Seither hat er Buch geführt, nahezu täglich, Kraft in die Nacht hinausschrie; dann war („stockend, pustend … wie eine riesige bis zuletzt. Das Ergebnis liegt heute sorg- wieder Alles still“. Kessler, Übernach- Dampfmaschine“), Albert Einstein und sam behütet im Deutschen Literaturarchiv tungsgast der „Villa Silberblick“, notiert George Bernard Shaw. Das sind nur fünf in Marbach: 57 Hefte und Bücher, über dies Anfang Oktober 1897, mit 29 Jahren. der weit über 10000 Kulturgrößen, die der 10000 Seiten penibel redigierte Manuskrip- Es sind solche Details, die ihn immer Menschensammler Kessler gesehen, ge- wieder fesseln und die er schildern kann sprochen und verewigt hat – nicht zuletzt * Von rechts: , Kessler, Helene von wie kein Zweiter – im Lauf der Jahre und dank einer schier unglaublichen Reisewut. Nostitz, .

160 der spiegel 17/2004 Kessler-Porträt von te, die wie ein ungeheures Panorama Stim- (1906) mung, Akteure und Schlüsselszenen einer ganzen Epoche festhalten. 1961 erschien ein Band mit Auszügen aus den letzten 20 Jahren; 1988 porträtier- te eine glänzende Marbacher Ausstellung den Weltmann. Irgendwann musste der komplette Text des gewaltigen Werks zu- gänglich werden. Aber erst jetzt, nach viel technischem und personellem Hin und Her, ist es so weit: Diesen Mittwoch wird der erste von neun großformatigen Bänden ausgeliefert. Der Zählung nach ist es der zweite – Teil eins haben die Archivare, vor allem weil Kessler als Schüler auf Englisch schrieb, für den Schluss aufgehoben*. Schon die Startlieferung bietet einen Vorgeschmack dessen, was bis 2008 alles kommen soll. So lernt der junge Graf auf einer monatelangen Bildungsweltreise größten Stils Amerika und den Orient ken- nen. Bei den 3. Garde-Ulanen – nicht dem allerfeinsten Regiment übrigens – leistet er öden Felddienst ab. Er tritt der noblen Ber- liner Kunstgesellschaft „Pan“ bei, besucht in Paris den Dichter nur Monate vor dessen Tod, erlebt seine ersten Bayreuther Festspiele und wird bei einer AKG (R.) AKG Josephine Baker (1926), Rodin-Zeichnung (1905)

Ballonfahrt mit Freunden bis auf russisches Gebiet abgetrieben. Allein das Namenre- gister des Bandes umfasst 233 Seiten. Doch das sind nur Vorahnungen von Vielfalt und Zwiespalt eines Lebens, das sich von früh auf ans Erleben zu ver- schwenden scheint. Kessler, in Paris gebo- ren, wird in einem Internat im englischen Ascot und dann auf dem ehrwürdigen Hamburger Johanneum zur perfekten Dreisprachigkeit erzogen und liest sein Leben lang fließend Latein und Altgrie-

* Harry Graf Kessler: „Das Tagebuch 1880–1937“. Hrsg. von Roland S. Kamzelak und Ulrich Ott. Zweiter Band: 1892–1897. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart; 780 Seiten;

AKG 58 Euro.

161 Kultur chisch; er spielt mit der gleichen Selbst- der Bühne; wie intim er mit einigen jungen Stimme einen Eindruck wie von einem verständlichkeit Chopin, wie er tanzt, ficht, Männern wurde, an denen er offenkundig unschönen jungen Mädchen. schwimmt oder reitet. interessiert war und die er, falls sie Künst- Scharf zu beobachten genügte Kessler Fasziniert schaut er zu, wie Autos und ler zu sein versprachen, auch mit Geld för- auf die Dauer freilich nicht. Er hungerte Flugzeuge den Verkehr revolutionieren; derte, verschweigt das Tagebuch sorgfäl- nach Aufgaben. Nach einem lustlos absol- schon mit 13 Jahren benutzt er einen Tele- tig. Mutter und Schwester in Frankreich vierten Jurastudium stürzte der junge fonhörer; 1907 zeigt er, vermutlich als Ers- suchte er bei aller Zuneigung nur zuweilen Ästhet sich in die Kunstgeschichte. Wäh- ter in Deutschland, bei Kunstvorträgen far- auf. Die Jagd nach geistiger Erfüllung – rend der Jahre 1898 bis 1900 füllte sich das bige Diapositive. Ein unvergleichlicher, ein vor Gemälden und Fresken, bei unermüd- Tagebuch mit intensiven Bildnotizen, die – im wahren Wortsinn – mondäner Über- licher Lektüre, auf Premieren, ja noch im großenteils in nächster Nähe des Originals flieger. Was eigentlich ging vor in diesem Tingeltangel – trieb ihn vorwärts. Nach der entstanden. Ob London oder Assisi, Ma- Kopf? Hatte er ein Ziel? Devise „Unsere Heimat ist die Gegenwart“ drid oder Athen, Kessler reiste einfach hin „Den meisten fiel an ihm zuerst das sauste er zur nächsten Einladung, mitunter – immer wieder – und machte sich sein Sprunghafte seines Denkens auf“, meint der dritten am selben Abend. privates Bild vom Rang der Bilder. John Dieter Brinks, der Kessler und seine In den frühen Morgenstunden, beim Re- So war er bestens vorbereitet, als es ihm künstlerische Hinterlassenschaft seit vie- sümee, bleibt davon gelegentlich ein netter 1901 dank seines riesigen Netzwerks von len Jahren kennt und sammelt. Brinks, 60, Giftblütenstrauß. Perlenbehängte, welke Bekannten gelang, den belgischen Design- polyglotter Ästhet und Überzeugungstäter Edeldamen sind einmal kurzweg „schlecht Pionier und Architekten Henry van de Velde wie sein Idol, hat Kesslers buchkünstleri- serviertes Fleisch“; auch die Kaiserin er- als Gestaltungslehrer nach Weimar zu sche Großtaten kürzlich in einem Pracht- scheint beim Hofball 1898 „in ihrer unele- holen. Zwei Jahre darauf wurde Kessler, band gewürdigt*. Tragisch, findet Brinks, ganten Aufmachung … wie ein billiges der für sich mit Nietzsche-Verve die Kunst dass Kessler, den nichts so fesselte wie der Knallbonbon“. Für den eitlen Kritiker Al- „eine Unterart der Wollust“ nannte, Chef Moment schöpferischer Inspiration, weder fred Kerr genügt die Beschreibung „Pa- des neuen Weimarer Museums für Kunst für seine Druckwerke noch für das Tage- viankopf und lyrische Augen“; Italiens und Kunstgewerbe, ließ sich vor Ort von buchporträt seiner Epoche bei Lebzeiten pompöser Literaturheld Gabriele d’An- van de Velde eine Wohnung einrichten und wirklich Anerkennung finden konnte. „Er nunzio erscheint als „bergabgehender Kaf- versuchte mit deutlichem Wink in Rich- blieb fast immer Außenseiter, bei Bürgern feehaus Don Juan“. Das Interieur einer tung Goethe-Zeit, den jungen Großher- zog Wilhelm Ernst zum Kultur- Schirmherrn aufzubauen. Ganze drei Jahre hielt der Traum. Moderne Franzosen wie Monet, Cézanne oder Gauguin kamen in der Kleinresidenz schlecht an. Als dann im Januar 1906 eine Folge von Aktzeich- nungen des Bildhauers Auguste Rodin zu sehen war, hetzten Intriganten bei Hof, provin- zielle Kritiker und Neider so lange, bis Kessler den Job auf- gab. Hatte er den ungehobel- ten, jähzornigen Jung-Herzog anfangs noch als „armes Ge- schöpf“ entschuldigt, war Wil- helm Ernst nun bald bloß noch der „Fleischkloss“, der ihn hat- te fallen lassen. Dennoch blieben handfeste Errungenschaften – nicht nur die prachtvoll schlichten „Großher- zog-Wilhelm-Ernst-Ausgaben“

BPK deutscher Klassiker, die Kess- Tanzcafé in Berlin (um 1925): „Unsere Heimat ist die Gegenwart“ ler nach englischen Vorbildern im Insel-Verlag herausbrachte. wie beim alten Adel, unter Museumsleuten Wohnung schnurrt gar auf „Rosen und Im- Kundig wie kaum ein anderer spähte er wie Literaten“, erklärt Brinks. „Nie zehn potenz“ zusammen. seither nach Talenten; so taucht Max Beck- Tage am selben Ort, dazu dieser Hang zum Oft aber hält das Tagebuch auch fest, mann schon 1906 im Tagebuch als Aus- Gesellschaftlichen“ – das konnte Zweifel was kein Foto bewahrt. „Sie hat etwas nahmebegabung auf. wecken. So viele Menschen Kessler trifft, Grosses und Einfaches, Willensstarkes, fast Auch der Dichter Hugo von Hofmanns- „kein einziger bleibender Freund“ ist Männliches“, heißt es Ende 1907 von der thal, der 1898 als „kleiner, lustiger“ und darunter. In Weimar habe der Mäzen am Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff, die mit sehr egozentrischer Wiener „mit hoher, Esstisch oft nur mit seinen Hunden bei- ihrem Mann, dem Lyriker Rainer Maria detonierender Stimme“ in Berlin erschien, sammengesessen. Rilke, neben Kessler in Bremen tafelt. macht mehrfach in Weimar Halt, um mit Natürlich war er selbst daran schuld. Er erscheint wie der femininere von Bei- dem gebildeten Grafen neue Werke zu dis- Frauen sah Kessler in Gesellschaft oder auf den. Wenn er beim Sprechen zusammen- kutieren. Mal missmutig und Großportio- gekauert mit übergeschlagenen Beinen nen rohen Schinkens vertilgend, lässt Hof- und Armen auf seinem Stuhle sitzt, hat mannsthal sich ein anderes Mal, 1909, im * John Dieter Brinks (Hg.): „Das Buch als Kunstwerk. Die Cranach Presse des Grafen Harry Kessler“. Triton man von seinem dünnen Körper und sei- Gespräch eine alte Vorlage reichen, nach Verlag, Laubach; 456 Seiten; 144 Euro. ner leisen, immer fast bittend klingenden der beide am folgenden Tag wie im Rausch

162 der spiegel 17/2004 Kultur die Handlung des späteren „Rosenkava- mittler seither zum entscheidenden An- liers“ skizzieren. trieb. Sofort nach Kriegsende begann er Es ist eine Sternstunde – noch im Jahr sich zu engagieren. Als Gesandter in War- zuvor hat eine gemeinsame Griechenland- schau, in einer „Weltjugendliga“, mit ei- Reise die Freundschaft arg strapaziert. nem eigenen „Plan zu einem Völkerbun- Doch die Harmonie bleibt unsicher. Als de“, beim Pazifistenkongress, schließlich 1911 die Strauss-Oper Erfolg hat, würdigt als Kandidat der Deutschen Demokrati- Hofmannsthal Kesslers Mithilfe nur in ei- schen Partei (DDP) versuchte der Visionär ner flüchtigen Danknotiz, für die ihm die- die Welt friedlicher zu machen. ser lange gram bleibt. Dennoch versuchen Entsprechend liest sich das Tagebuch der beide, den Riss zu kitten. 1912 entwerfen Weimarer Jahre oft wie das Protokoll eines sie in Paris aus dem Stand ein Szenario für diplomatischen Insiders. Der „rote Graf“, die heute legendären „Ballets Russes“ Ser- wie er in Berlin hieß, war dem Puls der gej Diaghilews, dessen jungen Solotänzer Zeitgeschichte ganz nah, hielt mit Vaclav Nijinsky Kessler wie alle anderen Schlüsselfiguren wie dem schon für ein „gottbegnadetes Individuum“ hält. 1922 ermordeten Walther Ra- Überhaupt Paris: Hier ist der Graf von thenau und später Gustav der Halbwelt bis in höchste Kreise ein In- Stresemann engen Kontakt – timus. Gesellschaftslöwe und Kunstfach- doch eigene Erfolge blieben mann zugleich, eilt er von einer Vernis- aus. So schrieb Kessler, wei- sage zur nächsten. „Das Kunstwerk ist eine Cranach-Druck, Signet terhin im Takt der Nacht- momentane Weltanschauung, das Gesuch- Schwarm der Sammler züge quer durch Europa un- te eine Lebensganzheit“, umreißt er seine terwegs, erst eine gediegene private Utopie, für die er fast jedes Opfer deutscher Patriot, diente als Rathenau-Biografie und wid- bringt. Über Jahrzehnte fördert er zum Offizier in Polen, sinnierte über mete sich dann allmählich wieder Beispiel den Bildhauer Aristide Maillol, Europas politische Zukunft nach dem seiner alten Leidenschaft, der Kunst. führt ihm Modelle zu, bestellt Werke bei Ende des Mordens – und hatte Glück: 1916 „Jede Zeit muss sich ihre Form suchen“, ihm und nimmt ihn sogar auf eine Galerie- durfte er als deutscher Kulturpropaganda- hatte er mit 22 notiert. „Kunst kann nur Studienreise nach London mit. leiter ins friedliche Bern gehen, von wo neu oder garnicht sein“, ergänzte er mit 40. Erst die Katastrophe des Weltkriegs un- aus er etlichen bedrohten Künstlern und In einer Geschmacksreform von oben soll- terbrach schlagartig die schöne Existenz Intellektuellen weiterhalf. te die nach Nietzsche entgötterte Welt als Dauer-Logengast des Weltgeistes. Kess- Kultur braucht politischen Rückhalt – durch das „Schaffen von neuen Symbo- ler, bei allem Kosmopolitentum stets ein das wurde für den prädestinierten Ver- len“ ästhetisch erlöst werden. „Ein Früh- ling geht wieder durch die Welt“, jubelte Die kulturelle Energie des Mannes, der Kessler 1903, als er einen Augenblick lang zeitlebens fieberhaft nach Schönheit such- meinte, endlich zögen wieder „die Freu- te, erscheint in der Marbacher Edition wie digkeit, die Helle, die leichte Seele“ Alt- zwischen Aktendeckeln erstickt. griechenlands in Kunst und Leben ein. Erst in frühestens drei Jahren werden Geblieben sind von diesen Hoffnungen ausdauernde Leser zwischen den Tage- nur ein paar Bilder, Baupläne, Büsten – buchzeilen erspüren können, unter wel- und die wohl schönsten deutschen Bücher chen Nöten der Graf seine phantastische des 20. Jahrhunderts. Edelpresse in Gang hielt: Kriegswirren und Von 1910 an suchten Helfer in Maillols Inflation hatten sein einst stattliches Ver- ländlichem Atelier nach der richtigen mögen so dezimiert, dass er ab Ende der Papiermischung. Kessler engagierte die zwanziger Jahre Bilder verkaufen oder sei- besten englischen Schriftschneider und ne Schwester Wilma anpumpen musste, konnte schließlich 1913 in Weimar seine um über die Runden zu kommen.

„Cranach Presse“ gründen. Bis 1931 ent- / ROGER-VIOLLET HARLINGUE Schlimmer noch: Im Exil auf Mallorca, standen dort nach oft jahrelangen Proben Tagebuch-Autor Kessler (1936) wo er den ersten Band seiner Memoiren in Handarbeit – vielfach griff der Chef Trübe Wochen bis zum Tod abschließen konnte, erfuhr Kessler, wie die selbst zu – Werke von zeitloser Eleganz. braunen Machthaber 1935 sein Eigentum Krönung der Kollektion: die Hirtenge- hat Brinks gemerkt. Der Enthusiast, dessen samt Kunstschätzen in Weimar und Berlin dichte („Eklogen“) des Römerdichters Ver- Stilsinn sich auf Augenhöhe mit seinem beschlagnahmt und zerstreut hatten; bei sei- gil, illustriert mit kraftvoll-zarten Holz- Helden trifft, kann nicht verstehen, dass ner Schwester, auf einem Landsitz im Süden schnitten Aristide Maillols, die heute welt- weder Berlin noch Marbach, wo die Tage- Frankreichs, verbrachte der ausgelaugte, weit Sammler ins Schwärmen bringen. bücher lagern, sein Ausstellungsangebot schwer erkrankte, nun endgültig Mittel- und Auch John Dieter Brinks, der Kessler- annehmen wollten. Heimatlose trübe Wochen bis zum Tod. Fachmann im hessischen Laubach, gehört Verschüchtert der Allesseher, den Brinks Wie gemeißelt wirkt auf den letzten dazu. Mitte Mai wird er eine Ausstellung als „Integrationsfigur“ zwischen Kunst und Fotos sein Kopf, wie nach innen gewandt von Cranach-Presse-Drucken in Detmold Wissenschaft sieht, gar noch die Erben? blicken die Augen des Mannes, der das alte eröffnen, wo Kessler 1923 als Reichstags- Kesslers Stilgefühl hat auf die neue Aus- Europa und seinen langen, schmerzhaften kandidat der DDP scheiterte; von Ende gabe jedenfalls kaum abgefärbt. Ihre kärg- Untergang eindringlicher porträtiert hatte Juni an wird sie in der US-Universität Wil- lich kommentierten Textbände sind nur als als jeder andere. Doch um die schmalen liamstown, kommendes Jahr dann in Lon- Lesehilfe gemeint; eine Komplettversion Lippen zuckt wie früher ein leicht ver- don gezeigt. „Der Enthusiasmus ist im auf CD-Rom soll im Herbst, eine endgülti- snobtes, wehmütig-liebevolles Lächeln. englischsprachigen Raum stärker als hier“, ge elektronische Fassung erst 2008 folgen. Johannes Saltzwedel