„… aus politischen Gründen eine heikle Angelegenheit“

Das Burgundbuch der Stadt Freiburg im Breisgau 1941/42

Wolfgang Freund

In der zweiten Märzwoche des Jahres1941 besuchte der nationalsozialistische Oberbürgermeister von Freiburg im Breisgau, Franz Kerber (1901–1945), in Dijon im besetzten Frankreich die Schriftsteller und burgundischen Regionalis- ten Gaston Roupnel (1871–1946)1 und Johannès Thomasset (1895–1973). Kerber bat die beiden Verfechter burgundischer Eigenheit2 gegen Honorar zu einem deutschen Sammelwerk über Burgund beizutragen. Roupnel und Thomasset sagten beide zu. Nach seiner Rückkehr nach Freiburg erklärte Kerber seinen neu gewonnenen burgundischen Mitarbeitern den Plan der Aufsatzsammlung: Über Roupnel und Thomasset hinaus würde um angesehene deutsche Wissen- schaftler und Dichter geworben. Alle Beitragenden genössen in der Wahl und Gestaltungihres Themas größte Freiheit.Vor allem betonte Kerber,dass sein Burgundbuch keine politische Aufgabe habe,3 denn er warsich bewusst, dass das Thema Burgund gerade „aus politischen Gründen eine heikle Angelegen- heit“ sei.4 Das Buch ‚Burgund. Das Land zwischen Rheinund Rhone‘ erschien nach fast eineinhalbjähriger Vorarbeit Anfang 1942 als fünfter und letzter Banddes Jahr- buchs der Stadt Freiburg.5 Die dichterischen Beiträge überstiegen an Zahl die wissenschaftlichen, aber nichtanUmfang. Das in Frakturschrift gesetzte Werk

1Philip Whalen,Gaston Roupnel (1871–1946), in: Philip Daileader/Philip Whalen (Hrsg.), French Historians, 1900–2000. New Historical Writing in Twentieth-Century France, Malden, MA/Ox- ford/Chichester 2010, S. 538. 2Laurent Olivier,Nos ancêtres les Germains.Les archéologues français et allemands au service du nazisme,(Texto. Le goût de l’histoire), Paris 2012, S. 203–224; Laurent Olivier/Jean-Pierre Leg- endre, Johannès Thomasset (1875–1973). Un préhistorien bourguignonauservice de l’Allema- gne nazie, in: Laurent Olivier/Jean-Pierre Legendre/Bernadette Schnitzler (Hrsg.), L’archéologie nationale-socialiste dans les pays occupés àl’Ouest du Reich. Actes de la table ronde interna- tionale „Blut und Boden“ tenue àLyon(Rhône) dans le cadre du Xe congrès de la European Association of Archaeologists (EAA), les 8et9septembre 2004, Gollion 2007, S. 177–202; Max Hildebert Boehm, Geheimnisvolles Burgund.Werden und Vergehen eines europäischen Schicksalslandes, München 1944, S. 383 f., 389. 3Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Kerber an Thomasset vom15.3.1941, Kerber an Roupnel vom 15.3.1941. 4Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Kerber,[Denkschrift] Zur Vorbereitungdes 5. Bandesdes Freiburger Jahrbuchs [ca. Anfang Januar 1941]. 5Franz Kerber (Hrsg.), Burgund. Das Land zwischen Rhein und Rhone (Jahrbuch der Stadt Freiburg im Breisgau,Bd. 5), Straßburg 1942; vgl. Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Auszug aus dem Schreiben der Stadtbücherei vom14.12.1942. 182 Wolfgang Freund wurde reich mit Schwarzweißfotografien auf Hochglanzseitenund sogar mit Faksimilefarbdrucken ausgestattet und richtete sich an ein breites Publikum. Die vonWissenschaftlern verfassten Aufsätze verzichteten fast vollständig aufeinen wissenschaftlichen Apparat. Nach der Trennung vomSpemann-Verlag, der bisher die Freiburger Jahrbücher verlegt hatte, unterzeichnete die Stadt mit dem durch den Chef der Zivilverwaltung im Elsass (CdZ), Robert Wagner,6 geförderten Hünenburg-Verlag des führendenMitglieds der nationalsozialisti- schen Sammelbewegung für das Elsass, des Elsässischen Hilfsdiensts, SS-Mann Fritz Spieser (1902–1987),7 der im Begriff stand, seinem Hünenburg-Konglo- merat den gesamtenelsässischen Kulturhandel einzuverleiben und „zu einer Art ,Kultur-Warenhaus‘“ auszubauen.8 Im Folgendensollen die Hintergründe der Freiburger Burgund-Veröffentli- chung beleuchtetwerden. Dabei wird sich die Untersuchung dem Herausgeber Franz Kerber und den Beteiligten widmen, ihren Aufsätzen und natürlich ihren wissenschaftlichen und politischen Aktivitäten. Die Beiträge aus Erzähl- und Dichtkunst stehennicht im Vordergrund der Analyse. Vonbesonderem Interesse sind vielmehr die Beiträge der wissenschaftlichen Mitarbeiter und deren Motive. Waswar so anziehend an der Mitarbeit am Freiburger Burgundbuch? Wieso gaben sich bekannte Forscher für eine populärwissenschaftliche Veröffentli- chung mit unterschwellig expansionistischen Ambitionen her? Hatte Kerber den Professoren tatsächlich weisgemacht, dass sie zu einem unpolitischen Buch beitragen würden? Oder waren Sie sich bewusst, dass sie – zumindest indirekt – der nationalsozialistischen Politik territorialer Ausdehnung in das besiegte Frankreich Vorschub leistet würden? Wiefassten die beteiligten Wissenschaftler ihre Arbeit über Burgund auf ?Hielten sie sich mit politischen Aktualisierungen zurück oder suchten sie die Nähe zur nationalsozialistischen Großreichideolo- gie? Vorwelchem Hintergrund tatsächlicher deutscher Burgundpolitik fand die wissenschaftliche Auseinandersetzung statt? Welche Traditionen deutscher Burgundforschung gingen dem Freiburger Burgundbuch voraus?Schließlich sollen die wissenschaftlichen, politischen und moralischen Verantwortungen geklärt werden.

6Lothar Kettenacker, NationalsozialistischeVolkstumpolitik im Elsaß (Studien zur Zeitge- schichte), Stuttgart 1973; Jean-LaurentVonau, Le Gauleiter Wagner.Lebourreau de l’Alsace. Strasbourg2011. 7Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Kerber an Spemann vom 13.6.1941, vgl. Harden-Rauch an Oberbürgermeister von Freiburg,Abt. Ivom 4.6.1941;vgl. Nicolas Stoskopf/Marie-Claire Vitoux, Repères biographiques, in: Marie-JosephBopp, Ma ville àl’heure nazie, Colmar1940– 1944, hrsg. von Nicolas Stoskopf/Marie-Claire Vitoux, Strasbourg 2004, S. 488–489. 8Archives Nationales Paris, AJ40, 1408/1:[Adolf Schmid] CdZ im Elsaß – Abt. Volksaufklärung und Propaganda an G[ä]deke (CdZ im Elsaß – Persönliche Abt.) vom19.6.1941:Durchschlagfür Stellv.Gauleiter Röhn. vgl. H[ans] D[ietrich]Loock, Der Hünenburg-Verlag Friedrich Spiesers und der Nationalsozialismus, in: Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.), Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1966, S. 432. „… aus politischen Gründen eine heikle Angelegenheit“ 183

Burgund in den nationalsozialistischen Planungen

Schon völkische Denker des deutschen Kaiserreichs hatten über Elsass-Loth- ringen hinaus weitere ostfranzösische Gebiete, darunter Burgund, begehrt und wissenschaftlich untersucht.9 Nach der Niederlage im ErstenWeltkrieg wurde die deutsche Forschung zu Frankreich und zu Burgund10 in den institutionellen Rahmen der Westforschung eingebunden. Auf den Tagungen der Deutschen Mittelstelle für Volks- und Kulturbodenforschung,der späterenLeipziger Stif- tung für Volks- und Kulturbodenforschung,11 und denen der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft (WFG) suchte man ein seit dem Mittelalter beständiges Vordringen Frankreichs in das reichsromanische und deutschsprachige Gebiet bloßzustellen, um durch umfassende wissenschaftliche Aufklärungsarbeit Frankreichs territorial- und kulturpolitische Offensive seit dem Ersten Weltkrieg vordem Rheinzustoppen. Nach dem politischen Erfolg der kulturellen Ab- wehrbemühungen, namentlich bei der Volksabstimmung im SaargebietAnfang 1935, arbeiteten die völkischen Wissenschaftler die historischen Beziehungen der mittelalterlichen Reichsregionen zu Deutschland heraus und versuchten, eine germanische Volksgrundlageganz Nordfrankreichs diesseits der Loire zu be- weisen.12

9Laurent Olivier,Le„Mont Lassois“ de Vix(Côte-d’Or) dans la Westforschung nationale-socialiste. Archéologie et géopolitiquenazie dans le Nord-[E]st de la France, in: Antiquités nationales 32 (2000), S. 128; Jacques Kalb (PseudonymJacques Lorraine),Les Allemands en France, Paris 1945, S. 27–31;Henri Hiegel, L’historiographie française et allemande en Lorraine de langue allemande de 1858 à1958, in: Annales de l’Est 9(1958), Serie 6, S. 127–157;Wolfgang Haubrichs, Der Krieg der Professoren. Sprachhistorische und sprachpolitische Argumentation in der Auseinander- setzung um Elsaß-Lothringen zwischen 1870 und 1918, in: Roland Marti (Hrsg.), Sprachenpo- litik in Grenzregionen,Saarbrücken 1996, S. 221, 225, 229; Wolfgang Freund, Burgund in den nationalsozialistischen Planungen, in: Volker Gallé (Hrsg.), Die Burgunder – Ethnogenese und Assimilation eines Volkes. Dokumentation des 6. wissenschaftlichen Symposiums der Nibe- lungenliedgesellschaft Worms e. V. und der Stadt Worms vom 21. bis 24. September 2006, Worms 2008, S. 395–420. 10 Die Burgundforschung befasste sich zumeist mit Burgund in einem aus dem Mittelalter über- tragenen Sinn; sie konzentriertesich auf die Franche-Comté, die so genannte Freigrafschaft Burgund,dazu auf Teile der Departements Côte-d’Or,Saône-et-Loire und Ain. 11 Bayerisches Hauptstaatsarchiv,MA108049: Dt. Mittelstelle, Tagung in Heppenheim 5.–7.10. 1924, S. 3–5; Michael Fahlbusch, „Wo der deutsche … ist, ist Deutschland!“ Die Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung in Leipzig 1920–1933, Bochum 1994. 12 Politisches Archiv Auswärtiges Amt, R60272, fol. E062051:Franz Steinbach, Eröffnungsan- sprache zur WFG-Tagung in Bad Bentheim, 6.–7.7.1935; R60279, fol. E062713: WFG-Vortrag von Paul Egon Hübinger zu Oberlothringen, Rhein und Reich im Hochmittelalter am 12.3.1937; R60274, fol. E062185; vgl. Peter Schöttler,Die historische „Westforschung“ zwischen „Ab- wehrkampf“ und territorialer Offensive, in: Ders. (Hrsg.), Geschichtsschreibungals Legitima- tionswissenschaft 1918–1945, Frankfurt, M. 1997, S. 204–261;ders., Eine Art „GeneralplanWest“. Die Stuckart-Denkschrift vom 14. Juni 1940 und die Planungen für eine neue deutsch-franzö- sische Grenze im Zweiten Weltkrieg.Dokumentation, in: Sozial.Geschichte 18 (2003), H. 3, 83– 130; ders., La „Westforschung“ allemandedes années 1930–1940. De la défensiveàl’offensive territoriale, in: Christian Baechler/François Igersheim/Pierre Racine (Hrsg.), Les Reichsuniver- 184 Wolfgang Freund

In diesem Zusammenhang sprach man auf den WFG-Tagungen hin und wieder über Burgund. Der Romanist Heinrich Kuen (1899–1989) vonder Uni- versität Freiburg referierte auf der Tagung in Bad Dürkheim im Oktober 1935 über den „sprachlichen Einfluss der Germanen in Frankreich“ und ermittelte das burgundische Element im Wortschatz südostfranzösischer Mundarten.13 Auf der Tagung zum burgundisch-alemannischen Raum in St. Märgen im März 1936 stellte Kleo Pleyer (1889–1942)der WFG seine These von einer „nordische[n] Bewegung“ im französischen Regionalismusdes gesamten Nordostens Frank- reichs von der Normandie bis in die Bourgogne hinein vor.14 In einem Beitrag zum ‚Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums‘ beschrieb Pleyer die zentrifugalen Kräfte im „alten reichsromanischen Gebiete der Freigrafschaft Burgund“,der Franche Comté also.15 In seinem Buch ‚Die Landschaft im neuen Frankreich‘ schwärmte er,die Freigrafschaft habe in ihrem Namen noch den Klang der Unabhängigkeitbehauptet und viele Burgunder seien unzufrieden, dass ihre Landschaft dem Reich verloren gegangen sei.16 Auf der WFG-Tagung in Schönau befasste man sich im Frühjahr 1938 mit ‚Fragen des burgundisch-ale- mannischen Raumes‘.17 Insgesamt standendie Burgunden und ihr Einfluss in Frankreich aber nicht im Mittelpunkt der deutschen Westforschung.ImGe- gensatz zu Franken und Alemannen hätten die Burgunden auf Grund ihrer geringen „Volkskraft“18 ihr Siedlungsgebietnicht restlos durchdrungen und „sich nicht als Schrittmacher des Germanentums behauptet“,wie Edmund Ernst Stengel (1879–1968) von der Universität Marburg in St. Märgen zusammen- fasste.19 Über lange Jahre hatte die Burgundforschung in Deutschland keine promi- nente Rolle gespielt. Dies änderte sich nach dem Sieg über Frankreich, als die

sitäten de Strasbourg et de Poznan et les résistances universitaires 1941–1944, Strasbourg 2005, S. 35–46; Michael Fahlbusch, Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften von 1931–1945, Baden-Baden 1999, S. 382 f. 13 Politisches Archiv Auswärtiges Amt, R60274, fol. E062187:Kuen, Der sprachliche Einfluss der Germanen in Frankreich am 20.10.1935. 14 Politisches Archiv Auswärtiges Amt, R60276, fol. E062384: Pleyer,Regionalismus in Frankreich am 28.3.1936, vgl. fol. E062385: Diskussionsbeitrag von Walter Platzhoff. 15 H[aupt‐]R[edaktion] auf Grund der Darstellung von K[leo] Pleyer,Frankreich:IV. Die politische Struktur des modernen Frankreich.Die Fremdvölkischen im französischen Staat und die Selb- ständigkeitsbewegungen der französischen Landschaften (Regionalismus). b) Übersicht über die Landschaften, in: Carl Petersen/Otto Scheel/Paul HermannRuth/Hans Schwalm (Hrsg.), Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums, Bd. 2: Ceylon bis Fugger,Breslau 1937, S. 538. 16 Kleo Pleyer,Die Landschaft im neuen Frankreich. Stammes- und Volksgruppenbewegung im Frankreich des 19. und 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1935, S. 284 f. 17 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem,1.HARep. 178/VII 3A1, III, fol. 220–223: Die Tätigkeit der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft (Auf Grund der Nie- derschriftenüber ihre Tagungen) [1935–38]; Politisches Archiv Auswärtiges Amt, R60280: Liste der Vorträge für die Tagung in Schönau, Einladung nach Schönau vom21.2.1938; R60294: Theodor Mayer,Jahresbericht 1937/38; vgl. Fahlbusch,Wissenschaft (wie Anm. 12), S. 398 f. 18 Politisches Archiv Auswärtiges Amt, R60276, fol. E062398: Diskussionsbeitrag vonBaier (Karlsruhe). 19 Politisches Archiv Auswärtiges Amt, R60276, fol. E062396: Diskussionsbeitrag von Stengel. „… aus politischen Gründen eine heikle Angelegenheit“ 185 nationalsozialistische Führung gedachte, dem Feind im Westen große Gebiete zu entwenden und ihn insgesamt in seine regionalen Einzelteile aufzulösen. Der Berliner Reichsstellefür Raumordnung (RfR) schwebte im Juli 1940 „eine groß- zügige geopolitische Grenzziehung vor,die sich etwamit der historischen Grenze des ersten Reichesdecken [solle], die über 800 Jahre (von 843 – Vertrag vonVerdun – bis1648 – dem Vertrag vonMünster –)Geltung hatte.“ In ihrer Maximalforderung definierte die RfR in Nordostfrankreich, Belgien und den Niederlandenein breites Gebiet, das entweder in der Form vonfünf „Schutz- staaten“ (Niederlande,Flandern, Wallonie, Lothringen und Burgund) strate- gisch, zoll- und währungspolitisch mit Deutschlandverbunden oder in Gänze vomReich annektiert werden sollte.20 Der Geograph FriedrichMetz (1890–1969) aus Freiburg, Leiter der WFG im Zweiten Weltkrieg, reichte Anfang August 1940 dem Reichsinnenministerium ein Gutachtenzur politischen ‚Neugestaltung des Raumes Lothringen-Oberrhein-Burgund-Schweiz‘ ein: Da das germanische Volkstum der Burgundenund Alemannen bisnach Dijon gereicht habe, wollte er hier einen Reichsgau Burgund schaffen lassen. Mitte 1941 wiederholte er dem Auswärtigen Amt gegenüber seine Westgrenzplanung.21 Karl Mehrmann (1866–?) vomnationalsozialistisch dominierten Bund Deutscher Westen trium- phierte nach dem Sieg im Westen: „Die Front ist wieder,wie sie die Herkunft der Burgunder und die Geographie des Landes verlangen, nach dem Süden ge- richtet“.22 Mit dem Nachweis einer vor- und frühgeschichtlichen germanischen Besiedlung weiter französischer Gebiete versuchte die deutsche Archäologie, das germanische Rassenparadigma im Westendurchzusetzen. Der Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts Martin Schede (1883–1947) schaltete sich umgehendnach dem Waffenstillstand in die französischen Ausgrabungen am Mont Lassois in der Côte-d’Or ein, um Hinweisen auf eine frühe Besiedlung durch östliche Menschen nachzugehen. Wolfgang Kimmig (1910–2001) vonder archäologischen Abteilung des Kunstschutzes beim Militärbefehlshaber in Frankreich (MBF) besuchte mehrere Male den Mont Lassois, wobei er geäußert haben soll, dass alle Fundstücke deutsch seien.23

20 Politisches Archiv Auswärtiges Amt, R105124: Leiter der RfR, Raumplanerische Möglichkeiten einer Grenzziehung und Einteilung der Grenzräume im Westen vom15.7.1940, S. 1–2, vgl. 6–19, HervorhebungimOriginal. 21 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem, Rep. 178/VII,3A5, I, fol. 142r: Zipfel, Aktenvermerk [über Besprechung mit Metz in Freiburg am 15.10.1940] vom 23.10.1940; vgl. Peter Schöttler,Von der rheinischenLandesgeschichte zur nazistischen Volksgeschichte oder Die „unhörbareStimme des Blutes“,in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hrsg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt1999, S. 100 f.; Fahlbusch, Wissenschaft (wie Anm. 12), S. 473 f., 707–709, 704 f.; Schöttler, „GeneralplanWest“ (wie Anm. 12), S. 102–107. 22 Karl Mehrmann,Burgund, in: Friedrich Heiß (Hrsg.), Deutschland und der Westraum, Berlin 1943, S. 127, HervorhebungimOriginal; vgl. Thomas Müller,Imaginierter Westen. Das Konzept des „deutschen Westraums“ im völkischen Diskurs zwischen Politischer Romantik und Na- tionalsozialismus, Bielefeld 2009, S. 173 f. 23 Olivier, „Mont Lassois“ (wie Anm. 9), S. 118–19; vgl. ders., Une „ambassade de l’archéologie allemandeenFrance“.Lebureau „Préhistoire et archéologie“ du Kunstschutz (1940–1944), in: Legendre/Olivier/Schnitzler (Hrsg.), L’archéologie nationale-socialiste (wie Anm. 2), S. 145–162. 186 Wolfgang Freund

Ab dem Sommer1940 zeigte die SS verstärktes Interesse an Burgund. Der Mitarbeiter der SS-Lehr- und Forschungsgemeinschaft , Erich Röhr (1905–1943), schrieb über den betrüblichen Zustand eines burgundischen Dorfes und über Bevölkerungsrückgang und Landflucht, denensich eine planmäßige Siedlungs- und Wirtschaftspolitik entgegenstellenmüsse.24 Die Klageüber den Niedergang der burgundischen Geburtenziffer und über eine vermeintliche rassische Überfremdung wurde vomMitarbeiter am AlemannischenInstitut der Stadt Freiburg, Universitätsbibliothekar Ruthardt Oehme (1901–1987), wieder- holt.25 Schließlich ist das Buch ‚Geheimnisvolles Burgund‘ von Max Hildebert Boehm (1891–1968), dem führendenVolkstumshistoriker und fördernden Mit- glied der SS,26 zu nennen, das vom Verwaltungschef des MBF,SS-Gruppenführer (entspricht dem Generalleutnant im Heer) Werner Best (1903–1989), nach besten Kräften unterstütztwurde. Best ließ im Krieg nichts unversucht, um in den französischen Regionen partikularistische Bewegungen zu ermutigen. Im Juni 1941 legte Boehm in Paris Best seinen Plan dar: Er wolle „zu einer reichischen Betrachtungsweise vorstoßen“ und in Burgund „das metapolitische Unterbe- wußtsein der geschichtsgültigen Kräfte dieses Raumes“ erschließen, um Bur- gund aus Frankreich herauszulösen und im deutschen Bewusstsein seine his- torische Verbindung mit dem Reich wach zu rufen.27 Im August 1940 feierte ‚Das Schwarze Korps‘,das Organ der Reichsführung SS, aufeiner ganzen Seite die Erzählung von 1933 des Dichters Johannès Tho- masset, ‚Les merveilleuses victoires de l’empereurUlrich‘,als burgundische „Erkenntnis“ aus altem „Bluterbe“;28 dieser Kaiser Ulrich, in dem man Hitler wiedererkennen soll, baut im Norden und Osten Frankreichs ein Burgund ein- schließendesProtektorat des Deutschen Reiches auf.29 Thomasset besuchte 1936

24 Erich Röhr,Montigny.Bevölkerung und Volkstum eines burgundischen Dorfes im 19. und 20 Jahrhundert, (Volksforschung, Bd. 3) Berlin 1942, S. 113; vgl. Michael H. Kater,Das „Ahne- nerbe“ der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches (Studien zur Zeit- geschichte, Bd. 6), 4. Aufl., München 2006, S. 287;Otto Gerhard Oexle, „Zusammenarbeit mit Baal“.Über die Mentalitätendeutscher Geisteswissenschaftler 1933 – und nach 1945, in: His- torische Anthropologie 8(2000), S. 10 f. 25 Ruthardt Oehme, Die Freigrafschaft – Eine geographische Skizze, in: Deutsches Archiv für Landes- und Volksforschung 5(1941), S. 482–505. 26 Schöttler,Historische Westforschung (wie Anm. 12), S. 251. 27 Archives Nationales Paris, AJ40 570/2, fol. 97:Boehm an Alfred Toepfer vom8.5.1941;vgl. fol. 94: W[ermke] an Boehm vom 24.5.1941;fol. 95: Wermke an Best durch Dahnke vom 20.5. 1941;570/3, fol. 21, 22: Telegramme OKVR Dr.Ernst Wermke (MBF-Bibliothekenschutz) an Boehm vom 10.6.1941, Boehm an Wermke vom16.6.1941;vgl. Bundesarchiv,N1077/7:Boehm an Toepfer vom25.2.1948; Boehm, Geheimnisvolles Burgund (wie Anm. 2), S. viii; Robert Specklin, La frontièrefranco-allemande dans les projets d’,in: Recherches géogra- phiques àStrasbourg(1983), Nr.24, S. 12; Paul Kluke, Nationalsozialistische Europaideologie, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 3(1955), S. 256; Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903–1989, 2., durchges. Aufl., Bonn 1996, S. 291–295. 28 Botschaft aus Burgund,in: Das Schwarze Korps 6(22.8.1940), F. 34, S. 6; vgl. Olivier, „Mont Lassois“ (wie Anm. 9), S. 117. 29 Johannès Thomasset, Les merveilleuses victoiresdel’empereur Ulrich (Les cahiers de Bour- gogne, Nr.2), Château de Saint-Gilles/Domois 1933, S. 21. „… aus politischen Gründen eine heikle Angelegenheit“ 187 das Deutsche Reich und huldigte in der Zeitschrift ‚La Bourgogne d’or‘ dem Staat Hitlers.30 Für den Sommer1942 wurde er vonWolfram Sievers (1905–1948), dem Chef des SS-Ahnenerbes, mit dem ausdrücklichen EinverständnisHimmlers nach Berlin zu einem Vortrag über die ‚Künftige politische und kulturelle Be- deutung Burgunds nach dem Sieg über Frankreich‘ eingeladen.31 Thomasset redete der SS nach dem Munde: Als „Mark des neuen germanischen Reiches“ solle Burgund „mit dem germanischen Block“ verbunden und aus seiner Be- völkerung alles „ausgeschieden werden […], wasunwiderruflich französisch, bolschewistisch und entartet“ sei.32 Indes prüfte Himmler das Manuskript Thomassets,erklärte es zur „geheime[n] Reichssache“ und ließ es im Panzer- schrank des Ahnenerbes wegsperren.33 Für Himmlers Fernziel eines eigenen SS- Staates Burgund warThomassets Forderung nach einem Reichsprotektorat zwar vorzüglich geeignet, der Öffentlichkeit durfte dies aber nicht zu früh bekannt werden. Schon vordem Angriff auf Frankreich hatte Hitler Burgund als Siedlungs- gebiet für volksdeutsche Umsiedler ausgewählt. Dafürvorgesehen waren über 200 000 Südtiroler,die nach dem Abkommen zwischen Hitler und Mussolini vomOktober1939 für das Deutsche Reich optiert hatten. Mit dieser Umsiedlung wurde im Mai 1940 Himmler als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums (RKFDV) beauftragt und die WFG mit Burgundstudien betraut. Im August 1940 wardie Franche-Comté und Teile vonetlichen Nachbardeparte- ments für die Südtiroler Optanten als Ansiedlungsgebiet festgelegt, aus dem bis auf die vermeintlichen Nachkommen des germanischen Volkes der Burgunden alle „Romanen“,fast eine halbe Millionen Einwohner,vertrieben werden sollten. Bis zum Abschlussder Ansiedlung wollte Himmler als RKFDV wirtschafts-, innen- und sogar außenpolitisch allein über das Siedlungsgebiet herrschen. Als Ende 1940 der Sonderfriede mit Frankreich in weite Ferne gerückt war, nahm man für die Südtiroler andere Siedlungsgebiete im zu erobernden Osten in Aussicht und die Burgundpläne der SS wurden aufgeschoben. Vonseinem SS- Staat Burgund ließ Himmler deswegen noch lange nicht ab: „Für Burgund werden wir dann eben einen anderen Volksstamm oder eine andere Bevölkerung finden.“34

30 Olivier,Nos ancêtres (wie Anm. 2), S. 214 f. 31 Olivier,Nos ancêtres (wie Anm. 2), S. 218 f. 32 Bundesarchiv,NS19/1860:Abschrift Vortrag vonDr. Thomasset im Ahnenerbe am 20.7.1942, Übs. M[argarete] Grasses, fol. 3, 5, 7. 33 Bundesarchiv,NS19/1860, fol. 2: Randnotiz Himmlers auf dem Vortragsmanuskript Thomassets vom 4.9.1942. 34 Himmler an Gauleiter Alfred Frauenfeld vom10.7.1942, zitiert nach: Helmut Heiber (Hrsg.), Reichsführer! … Briefe an und von Himmler,Stuttgart 1968, S. 126. Vgl. Aufzeichnung des Gesandten Braun von Stumm über „Grenzfragen im Westen“ und über „Umsiedlungen im Westen“ vonMai/Juni 1940, in: Reinhard Opitz (Hrsg.), Europastrategien des deutschen Kapitals 1900–1945, Köln 1977, S. 672 f.: Dok. Nr.92; Karl Stuhlpfarrer,Umsiedlung Südtirol 1939–1940, Wien 1985, S. 649–669; Walter Pichler/Carlo Romeo/Paul Rösch/Martha Verdorfer,Dableiber und Dagebliebene, in: Benedikt Erhard (Hrsg.), Option, Heimat, opzioni. Eine Geschichte Südtirols.Vom Gehen und vom Bleiben, Wien 1989, S. 270; vgl. Bundesarchiv,R49/2156: Robert 188 Wolfgang Freund

Die Planung zum Freiburger Burgundbuch

Burgund warenvogue. Da wollte die Stadtverwaltung Freiburg nicht beiseite- stehen. OberbürgermeisterKerber begann Ende 1940 die Planungen zu seinem Burgundbuch als dem fünften Band des Freiburger Jahrbuchs. Anfang Januar 1941 versandte er ein vertrauliches Memorandum:Die letzten beiden Bände des Jahrbuchs, ‚Reichsstraße31. Vonder Ostmark zum Oberrhein‘ von 1939 und ‚Das Elsaß. Des Reiches Torund Schild‘ von1940,35 seien auf Grund ihres geopoliti- schen, kulturpolitischenund historischen Ansatzes sehr erfolgreich gewesen. Gewissermaßen in Verlängerung der Reichstraße 31, die „zu den alten Wegen des Kultur- und Güteraustauschs nach Burgund“ geführt habe, habe die Stadt Freiburg das Recht, sich mit Burgund zu befassen.Durch die Rückkehr des Elsass ins Reich eröffneten sich dem oberrheinischen Raum neue verkehrswirt- schaftliche Entwicklungsmöglichkeiten, die sich auf auf die Landschaft südlich der Burgundischen Pforte bezögen: „Dabei werden längst entschwundene Er- innerungen wach an Burgund, vondem man sich in Deutschland kaum eine rechte Vorstellung macht. Die französischePolitik hat es verstanden, uns den Blick nach Burgund seit Jahrhunderten zu behindern und diesen Begriff uns völlig zu entfremden.“ Auf keinen Fall wollte Kerber jedoch politischen Ent- scheidungen vorgreifen. Er warkein politischer Anfänger und kannte sich in den Kräfteverhältnissen des nationalsozialistischen Staats aus. Damit im Auswärti- gen Amt oder im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda kein politischer Verdacht aufkäme, dürfe aus dem Buch kein territorialer Anspruch herauszulesen sein.36

Zu Franz Kerber

Eine eingehende biographische Studie zu Freiburgs Oberbürgermeister in der Zeit des Nationalsozialismus steht noch aus. Der einzige biographische Vermerk stammt vonWolf Middendorff aus der ‚Neuen Folge‘ der ‚Badischen Biogra- phien‘.37 Die folgende Biographie Kerbers stützt sich vorwiegend auf Unterlagen aus dem Berlin Document Center im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde (BDC). Im Stadtarchiv Freiburg findet sich keine Personalakte Kerber; möglicherweise

Kukla, Gedächtnisnotiz zur Besprechung mit Reichsführer SS Himmler vom 18.7.1940; ders., Aktenvermerk über die Reise vom 19.7. bis 23.7.1940 nach Burgund [o. D.]. 35 Franz Kerber (Hrsg.), Reichsstraße 31. Vonder Ostmark zum Oberrhein. Natur,Volk, Kunst, (Jahrbuch der Stadt Freiburg im Breisgau, Bd. 3), Stuttgart 1939; ders. (Hrsg.), Das Elsaß. Des Reiches Torund Schild, (Jahrbuch der Stadt Freiburg im Breisgau, Bd. 4), Stuttgart 1940. 36 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Kerber,[Denkschrift] Zur Vorbereitungdes 5. Bandesdes Freiburger Jahrbuchs [ca. Anfang Januar 1941]. 37 Zur Biographie Kerbers:Wolf Middendorff, Kerber,Franz Anton Josef, in: Bernd Ottnad (Hrsg.), Badische Biographien.Neue Folge, Bd. 2, Stuttgart 1987, S. 157 f. „… aus politischen Gründen eine heikle Angelegenheit“ 189 hat er diese vor der Ankunft der alliierten Truppen in Freiburg im Frühjahr 1945 beseitigt. Kerber wurde am 25. Februar 1901 in Freiburg geboren. Sein Vater war Bahnhofsvorsteher in Endingen am Kaiserstuhl. Seine Familie stammte nach eigenen Angaben „väterlicherseits aus einem Bauerngeschlecht aus Preußen- Schlesien, mütterlicherseits aus oberbadischem Winzergeschlecht“.38 Nach dem Abitur studierteerab1920 an der TechnischenHochschuleKarlsruhe technische Fächer und Volkswirtschaft. 1923 gab er sein ursprüngliches Ausbildungsziel „technischer Kaufmann“ zugunsten des Studiums der Rechtswissenschaft und der Volkswirtschaft auf, das er in Freiburg fortsetzte und 1925 in Erlangen mit dem Diplom und der Promotion zum Doktor der Wirtschafts-und Sozialwis- senschaftenabschloss. Nach dem Studium begann er seine Berufstätigkeit als freier Kaufmann und Teilhaber einer Weinhandelsfirma. Er heiratete 1925, seine drei Kinder wurden in den Jahren 1927 bis 1932 geboren.39 Seine politischeKarriere begann Kerber im Herbst 1921 im Freikorps Oberland „beim Oberschlesischen Selbstschutz“,dem er die letzten zwei Monate vordessen Auflösung angehörte.40 1922 trat er der Deutschvölkischen Frei- heitspartei bei und führte derenOrtsgruppeEndingenan.41 1930 wechselte er zur NSDAP und wurde auch hier Ortsgruppenleiter von Endingen.42 Da er das „amtliche Kampfblatt der NSDAP in Oberbaden“, ‚Der Alemanne‘,herausgab, wurde er von Gauleiter Robert Wagner (1895–1946) als dessenHauptschriftleiter nach Freiburg berufen.43 SeinenZivilberuf gab er auf, als er dort 1932 zum NSDAP-Kreisleiter befördert wurde. Im April 1933 machte die Partei ihn zum Oberbürgermeister vonFreiburg. Nachdem er sich im Mai 1936 vonseinem Amt als Kreisleiter von Freiburg hatte entbindenlassen, wurde er vom Gauleiter mit der Führung des Gauamtes für Kommunalpolitik und der Leitung der Landes- dienststelle Baden des Deutschen Gemeindetagesbetraut.44 Kerber warrömisch- katholisch getauft, trat jedoch am 30. Dezember 1936 aus der Kirche aus und gab seitdem als Bekenntnis „gottgläubig“ an.45 Am 11. September 1938 trat er der SS bei und wurde umgehend vomeinfachen Sturmmann zum Sturmbannführer

38 Bundesarchiv,R9361/II: Kerber,Lebenslauf [ca. 1940]. 39 Bundesarchiv,R9361/II: Kerber,Lebenslauf vom1.6.1938. 40 Ebd. 41 Bundesarchiv,R9361/V:Antrag zur Aufnahme in die Reichsschriftumskammer vom15.4.1941, vgl. R9361/II: Kerber,Lebenslaufvom 1.6.1938; vgl. Gideon Botsch/Christoph Kopke, Deutschvölkische Freiheitspartei, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Handbuchdes Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Bd. 5. Organisationen, Institutionen, Bewe- gungen, Berlin/Boston 2012, S. 204–206. 42 Bundesarchiv,R9361/II (ehem. BDC, ParteikanzleiF343): Kerber,Personalangaben vom 1.8. 1937:Mg.-Nr.357 022. 43 Bundesarchiv,R9361/II: Kerber,Lebenslauf vom1.6.1938. 44 Bundesarchiv,R9361/II: Kerber,Lebenslauf [ca. 1940], Lebenslauf vom1.6.1938. 45 Bundesarchiv,R9361/II, Kerber,Personalangaben vom1.8.1937. 190 Wolfgang Freund

(Major) und am 1. Juni 1941 zumObersturmbannführer (Oberstleutnant) be- fördert.46 1943 verlieh ihm Himmlerden SS-Totenkopfring.47 Nach seinem frühen Soldatenzwischenspiel beim Bund Oberland meldete Kerber sich zwischen 1936 und 1939 dreimal freiwillig zu Militärübungen. Ab August 1939 diente er immerwieder für längere Zeit als Leutnant in einem Artillerieregiment;48 so stand er im März 1941 mit einer schwerenGeschütz- batterie am Ärmelkanal in der Nähe von Calais49 und im Sommerander Ost- front.50 1943 wurde er aus dem Wehrdienst entlassen.51 Gegen Ende des Krieges geriet Kerber in alliierte Gefangenschaft. Im Juni 1945 verschwand er unter un- geklärten Umständen aus der französischen Internierung. Seine Leiche wurde zweieinhalb Monate später am Schauinsland gefunden. Kerber warerschossen worden; sein Mörder wurde angeblich 1951 in Paris voneinem französischen Militärgericht verurteilt.52

Mitarbeit am Burgundbuch

Kerber suchte nach namhaften Beitragenden zum Burgundwerk. Ende März 1941 schickte er einer großen Zahl von Wissenschaftlern und Schriftstellern meist gleichlautende Anschreiben, deneneroft als Geschenk den dritten und vierten Band der Jahrbücher der Stadt Freiburg beilegte. Nach einem Rückblick auf Themen und Erfolge dieser beiden Jahrbücher stellte Kerber seine Ideen zum fünften Band vor: VomOberrhein wolle er durch die Burgundische Pforte auf Burgund blicken, dieses Verbindungsgebiet zwischen Nord und Süd, das Jahr- hunderte zum Reich gehört habe. Hier hätten im Frühmittelalter die Burgunden ein Reich begründet, um ihm ein „Bluterbe zu schenken, das noch nicht völlig verloren sei“.Aus dem Norden kommende Maler,Bildhauer und Architekten hätten im Königreich Burgund Werke geschaffen, die „heute noch vondeutscher Kunst“ zeugten. Schließlich schlug er jedem ein Bearbeitungsthema vor,das aber nicht bindend sei.53 Bei Roupnel und Thomasset warKerber schon persönlich vorstellig geworden. Mitte März1941 hatte Thomasset detailliertereAnweisungenerhalten: Am Beispiel vonfrühgeschichtlichen Fundenund vonmittelalterlichen Meisternder Plastik und Architektursolle er Vielgestaltigkeitund Schönheitder burgundischen Kunst auf-

46 Bundesarchiv (ehem. BDC), SSO, A164: Dienstlaufbahn des Dr.Franz Kerber: SS-Mg.- Nr.309 080. 47 Bundesarchiv (ehem. BDC), SSO, A164: Kerber an Himmler vom18.9.1943. 48 Bundesarchiv,R9361/II: Kerber,Lebenslauf [ca. 1940]. 49 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanPinder und an Schaffner vom 28.3.1941. 50 Stadtarchiv Freiburgi.Br.,C4/VI/32/2: Harden-Rauch an AugustFriedrichVelmede vom 28.7. 1941. 51 Bundesarchiv,R9361/II: Personal-Blatt Kerbers. 52 Middendorff, Kerber (wie Anm. 37), S. 158. 53 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanAndreas vom28.3.1941. „… aus politischen Gründen eine heikle Angelegenheit“ 191 zeigen.54 Nun bat Kerber auch Willy Andreas (1884–1967), Historikerander Uni- versität Heidelberg, um die Bearbeitung des Themas „Burgund zur Zeitder Ho- henstaufen“55 Der Germanist Friedrich Panzer (1870–1956), Emeritus an derselben Universität, könneüber den „Kampf der Burgunder gegen die HunneninNibe- lungensageund Nibelungenlied, Waltharius-und Rosengartenlied“ arbeiten.56 Ernst Gamillscheg (1887–1971) wurdevon Kerberersucht, über „Germanisch-ro- manischeWechselbeziehungen in Burgund“ zu schreiben und sichüberdies zu überlegen,welchen Stoff man demDichter Wilhelm Schäfer (1868–1952) vorschla- gen könne.57 Helmut Göring(1894–1957) vonder Weltkriegsbücherei in Stuttgart sollte sich Gedanken zumThema „HabsburginBurgund“ machen.58 Für Johannes Haller (1865–1947), den emerierten Historiker an derUniversität Stuttgart, schwebte Kerber „Karl der Kühne in Burgund“ vor.59 Architekturhistoriker RudolfKautzsch (1868–1945), der im Wissenschaftlichen Institut der Elsass-Lothringer im Reich an der Universität Frankfurt am Main mitarbeitete, wurde um einenBeitrag über „Romanische BauteninBurgund“ gebeten.60 Gegenüberdem burgundischen Pfarrer der protestantischen Gemeinde vonVesoul, Charles Mathiot (1877–1963), aufden der frühere elsässische AutonomistEduard Haug (1907–96) hingewiesen habe,betonte Kerbernochmals, dass er mitdem Buch kein politisches Ziel verfol- ge.61 Der KunsthistorikerWilhelm Pinder (1878–1947), früher an derUniversität Berlintätig, hattedie Wahl, ob er „Konrad Meit undClausSluter,rheinische Meister in Burgund“, „DeutscheMalerei, Plastik und Baukunst in Burgund“ oder eben ein eigenesUntersuchungsobjektbehandeln wollte.62 Den HistorikerFranz Steinbach (1895–1964)vom Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn, den früherenLeiter derWFG, bat manumeinen Aufsatz über „Volkskundliche BeziehungenBurgunds zu Deutschlandund Italien“.63 Die beiden Elsassforscher Friedrich Metz, Leiterdes Alemannischen Instituts derStadt Freiburg und Chef der WFG, und der emeritierte Zeitungswissenschaftler derUniversität Freiburg Wilhelm Kapp (1865–1943) wurdenebenfallsangefragt.64

54 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanThomasset vom 15.3.1941. 55 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanAndreas vom28.3.1941. 56 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanPanzer vom 28.3.1941. 57 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanGamillscheg vom 28.3.1941. 58 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Kerber an Göring vom 28.3.1941;vgl. Jürgen Rohwer, 50 Jahre Weltkriegsbücherei, Bibliothek für Zeitgeschichte, in: Bibliothek für Zeitgeschichte (Hrsg.), 50 Jahre Bibliothekfür Zeitgeschichte, Weltkriegsbücherei Stuttgart, 1915–1965, Frankfurt a. M. 1965, S. 18 f. 59 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanHaller vom 28.3.1941. 60 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanKautzsch vom 28.3.1941. 61 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanMathiot vom 28.3.1941. 62 Stadtarchiv Freiburgi.Br.,C4/VI/32/2: Kerber an Pinder vom 28.3.1941;vgl. Daniela Stöppel, Wilhelm Pinder (1878–1947), in: Ulrich Pfisterer(Hrsg.), Klassiker der Kunstgeschichte 2: Von Panofsky bis Greenberg, München 2008, S. 7–20. 63 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanSteinbach vom28.3.1941. 64 Mario Seiler,Uneindeutige Grenzen und die Idee der Ordnung. Der Grenzlanddiskurs an der Universität Freiburg im Zeitalter der beiden Weltkriege (Rombach Wissenschaften), Freiburg i. Br./Berlin/Wien 2015, S. 447, Anm. 129. 192 Wolfgang Freund

Schließlich hatte Kerber,umdie Werbetrommel für das Burgundbuch zu rühren, für das Geleitwort den Reichsführer-SS ins Auge gefasst. Er übersandte dem Höheren SS- und Polizeiführer Südwest Kurt Kaul den Inhaltsplan und seinen eigenen Beitrag und bat ihn, HimmlersInteresse am Buch zu wecken, da es aufzeigen wolle, „wasdieses Land mitdem volksdeutschen Schicksal in guten wie in bösen Zeiten verband“.Wenn ein Beitrag sein Gefallen fände, dürfe Himmler schon vorab auf den Entwurf zugreifen.65 Letzten Endes trug von allen diesen Vorgenannten niemand zum Bur- gundbuch bei. Es gab kein Himmler’sches Grußwort und auch keine Aufsätze der beidenBurgunder Roupnel oder Thomasset, obwohl letzterer noch Ende Oktober 1941 von Kerber als Autor des Beitrags „Burgund als nordischer Le- bensraum“ aufgelistet worden war.66 Da in den Unterlagen des Stadtarchivs Freiburg kaum Antwortschreiben überliefert sind, lassen sich über die Gründe für die Absagen keine Angaben machen. Möglich wäre nicht zuletzt, dass ein- zelne eingesandte Manuskripte aus politischer Vorsicht in Freiburg abgelehnt wurden, vielleicht auch das von Thomasset. Zur konkreten Vorarbeit für das Burgunduchplanten der Dichter Josef Wenter und der oben genannte Studienrat Eduard Haug aus Hagenau, der mehrere Jahre in Burgund tätig gewesen warund als Elsässer besser Französisch sprach als die anderen Teilnehmer,imAugust 1941 zwei Wochen lang zusam- men mit einem Fotografen Burgund zu befahren, um die Bildaufnahmen für den Band zu machen.67 Haug hatte sich nach der de facto-Annexionseiner elsässi- schen Heimat durch das Deutsche Reich aufdie Nationalsozialisten eingelassen; für den Gau Oberrhein deutschte er die romanischen Vor- und Familiennamen ein.68 Da die Reise erst im Frühherbst zu Stande kam, sprang Heribert Reiners für Haug ein.69 Frankreichfahrten waren im Krieg sehr beliebt; ebenfalls in der zweiten Septemberhälfte gönntesich Kerber samt Ehefrau einen beruflichen Ausflug nach Burgund.70 Anfang November waresanGeorg Niemeier (1903– 1984), Autor des geographischenBeitrags, zu dreiwöchigen Studien in das be- rühmte Weinanbaugebiet aufzubrechen.71 Wieeingangs schon bemerkt, wardas FreiburgerBurgundbuch kein wis- senschaftliches Werk im engeren Sinne. VieleBeiträge waren Dichtung in Prosa und Lyrik. Einige dieser Schriftsteller finden wir schon in vorangegangenen Jahrbüchern, wie Wilhelm Schäfer72 mit seiner historischen Erzählung über „Das

65 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanKaul vom 8.7.1941. 66 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: ns., „Burgund“.Das neue Jahrbuch der Stadt Freiburg, in: Freiburger Zeitung, Nr.301 (31.10.1941). 67 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Fahrtnachweisfür Reisen in die besetzten Gebiete vom 9.7.1941, Kerber an Gauamt für Kommunalpolitik der NSDAP Straßburg vom 22.7.1941. 68 AlphonseIrjud, La germanisation des noms en Alsace entre 1940 et 1944, in: Revue d’Alsace 113 (1987), S. 242–250. 69 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Oberbürgermeister Amt IanMoosmaier vom 28.7.1941. 70 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanPassierscheinhauptstelle vom 18.9.1941. 71 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Antrag auf Genehmigung einer Reise ins besetzte Gebiet vom 18.10.1941;Abt. I, Beschlussvom 1.11.1941. 72 Vgl. Stadtarchiv Freiburgi.Br.,C4/VI/32/2: Kerber an Gamillscheg vom 28.3.1941. „… aus politischen Gründen eine heikle Angelegenheit“ 193

Königreichder Burgunden“73 oder Hermann Burte (1879–1960). Weitere Stücke im Burgundwerk stammen von Otto Brües(1897–1967),74 Jakob Schaffner(1875– 1944),75 vom westfälischen Erzähler Hugo Paul Uhlenbusch (1905–1978),76 vom Kenner nordischer Mythologie und germanischer Heldensagen Leopold Weber (1866–1944)oder vom Österreicher Josef Wenter (1880–1947).77 Georges Nor- mandy (das Pseudonym von Georges Charles Segaut, 1882–1946) schriebunter Anderem über burgundische Kücheund burgundischen Wein.78 DieVerlobung vonMaria von Burgund, der Tochter Herzog Karls des Kühnen, mit dem Erz- herzog vonÖsterreich, dem späterenKaiser Maximilian I., malte sich der österreichische Nationalsozialist Mirko Jelusich (1886–1969)79 aus; da durch diese Ehe 1477 Maximilian Herzog von Burgund wurde, gab Jelusich seiner Erzählung den bezeichnendenTitel „Das Reich holt Burgund heim“.80

Wissenschaftliche Beiträge zum Burgundbuch

Oberbürgermeister Kerber übernahm den einleitenden Aufsatz und ging an die Grenzen dessen, wasman einen „unpolitischen“ Beitrag nennen durfte:Burgund stehe Deutschland „räumlich wie im Herzen nahe“.Germanische Rassespuren fand Kerber zwar nur noch im „Anblick wuchtiger Bauerngestalten oder hoch- gewachsener Winzerinnen“, „vielfach blond und blauäugig“,aber um dieszu ändern, würde das Deutsche Reich Burgund sein rassisches und historisches Eigenleben zurückgeben.81 Wiebei Röhr oder Oehme lieferte wieder die unge- nutzte landwirtschaftliche Fläche Grund zur Klage: Kerber hatte auf seiner

73 Wilhelm Schäfer,Das Königreich der Burgunden, in: Kerber (Hrsg.), Burgund (wie Anm. 5), S. 62–70. 74 Vgl. Franz Janssen, Bewahrendesund progressives Wertebewußtsein. Der rheinische Feuille- tonist und Erzähler Otto Brües, Diss. phil. Düsseldorf1991. 75 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Kerber an Schaffner vom 28.3.1941;vgl. Charles Lins- mayer, Schaffner,Jakob, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 22, Berlin 2005, S. 538. 76 Hugo Paul Schreiber-Uhlenbusch, in: Literaturportal Westfalen, http://www.literaturportal- westfalen.de/main.php?id=00000173&article_id=00000389&author_id=00001613&p=1 (Zugriff am 13.12.2016). 77 Friedbert Aspetsberger,Literarisches Leben im Austrofaschismus. Der Staatspreis (Literaturin der Geschichte, Geschichte in der Literatur,Bd. 2), Königstein, Ts.1980, S. 116–150; Wenter,Josef (Gottlieb), in: aeiou. Österreich Lexikon, http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.w/w465116.htm (13.12.2016). 78 Georges Normandy[=Georges Charles Segaut], In Burgund, in: Kerber(Hrsg.), Burgund (wie Anm. 5), S. 235–245. 79 Monique Mense, Mirko Jelusich – der „halbe“ Deutsche, in: Rolf Düsterberg (Hrsg.), Dichter für das „Dritte Reich“,Bd. 3: Biografische Studien zum Verhältnis vonLiteratur und Ideologie. 9 Autorenporträts und eine Skizze über das Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes, Bielefeld 2015, S. 155–179; Jürgen Hillesheim/Elisabeth Michael, Lexikon nationalsozialistischer Dichter. Biographien – Analysen – Bibliographien, Würzburg 1993, S. 255–262; DietmarGoltschnigg, Jelusich, Mirko, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 10, Berlin 1974, S. 398. 80 Mirko Jelusich, Das Reich holt Burgund heim, in: Kerber,Burgund (wie Anm. 5), S. 155–160. 81 Franz Kerber,Blick auf Burgund, in: Ders. (Hrsg.), Burgund (wie Anm. 5), S. 12. 194 Wolfgang Freund

Burgundfahrt zu viele verfallene Siedlungen, „verlassene Höfe, sterbende Wäl- der,brachliegende Äcker und vernachlässigte Weiden“ gesehen. Ebenfalls fand Kerber in Burgund Platz für die dreifache Bevölkerungszahl, die die Deutschen „als Volk ohne ausreichendenLebensraum“ ohne Mühe stellen könnten.82 Vonden angeschriebenen Forschern brachten zehn in das FreiburgerBur- gundbuch Aufsätze ein. Die Wissenschaftler,die Kerber gewann, solltenver- suchen, „die an die VolkstumslageimWesten geknüpften geschichtlichen Er- innerungen“ zu beleben.83 Anstatt des von Kerber vorgeschlagenen Titels „BurgundenanRheinund Rhone“84 nannte Hans Zeiß (1899–1944), Archäologe an der Universität München, seinen Beitrag „Germanen in Burgund“.Beim „Zuschuß germanischen Blutes“ zu Burgund wollte er sich nicht in der Quantität dieses Blutanteils festlegen. Allerdings zeigte Zeiß auf, „daß Burgund nicht nur einmal und nicht nur von einer Seite germanischen Zuzug erhalten hat.“ Unter den Germanenvölkern, die „an die Burgundische Pforte“ geklopft hätten, listete er Kimbern und Teutonen, Sueben unter Ariovist, Endusier und Haruden auf.85 Hans F. K. Günther (1891–1968) von der Universität Freiburg, der so genannte „Rassen-Günther“,86 hingegenbeantwortete die Rassenfrage nicht so zögerlich: „Sowohl helle Haare wie helleAugen wie hoher Wuchs“ machten den „Ras- seneinschlag, den die germanischen Burgunder ins Land brachten, bis heute noch deutlich genug bemerkbar.“87 Es warnicht das erste Mal, dass Günther die burgundische Bevölkerung in seine Analyse einbezog. In seiner ‚Rassenge- schichte der Germanen‘ hatte er behauptet, dass sich in den an die Schweiz angrenzenden Gebieten Frankreichs die nordische Rasse der Burgunden noch heute nachweisen lasse.88 Seine Kenntnisse über die Rasse der Burgunder bezog Günther in seinem ausgesprochen kurz gehaltenen Aufsatz für das Burgund- buch unter Anderem von dem französischen SD-Mitarbeiter und Antisemiten

82 Kerber,Blick (wie Anm. 80), S. 13; vgl. die Besprechung von Pierre Gras, Bibliographie bour- guignonne, in: Annales de Bourgogne 19 (1947), S. 54; Karen Schönwälder,Historiker und Politik. Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus,Frankfurt a. M. 1992, S. 352 f. 83 Kerber,Blick (wie Anm. 80), S. 10; vgl. Wolfgang Geiger,L’image de la France dans l’Allemagne nazie, 1933–1945 (Histoire), Rennes 1999, S. 355 f. 84 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanZeiß vom28.3.1941. 85 Hans Zeiß, Germanen in Burgund,in: Kerber,Burgund (wie Anm. 5), S. 19 f., vgl. S. 28; Politi- sches Archiv Auswärtiges Amt, R60276, fol. E062392–95: Zeiß, Das Problem der burgundischen Funde (Vortrag auf der WFG-Tagung in St. Märgen 28.–30.3.1936); Fahlbusch,Wissenschaft (wie Anm. 12), S. 393. 86 Vgl. UweHoßfeld,Die Jenaer Jahre des „Rasse-Günther“ von1930 bis 1935. Zur Gründungdes Lehrstuhlsfür Sozialanthropologie an der Universität Jena, in: MedizinhistorischesJournal 34 (1999), S. 47–103; Elvira Weisenburger,Der „Rassepapst“.Hans Friedrich Karl Günther,Pro- fessor für Rassenkunde,in: Michael Kißener/Joachim Scholtyseck (Hrsg.), Die Führer der Pro- vinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg (Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 2), Konstanz 1997, S. 161–199. 87 Hans F. K. Günther,Die rassische Eigenart der frühmittelalterlichenBurgunder, in: Kerber, Burgund (wie Anm. 5), S. 72; vgl. ders., Herkunft und Rassengeschichte der Germanen, 5.– 7. Tsd., München 1935, S. 104 f. 88 Günther,Herkunft (wie Anm. 86), S. 105. „… aus politischen Gründen eine heikle Angelegenheit“ 195

George Montandon vonder Pariser Ecole d’Anthropologie, für den „Burgund zu einem ,subnordischenGebiet‘“ zählte.89 Für Hans Naumann (1886–1951), Germanist und Mediävist an der Univer- sität Bonn, gehörte mehr als ihr Blut der Name der Burgunden „den heiligen Erscheinungen vom Typdes unzerstörbaren Lebens an“.90 Durch die Herrschaft des Reiches über Burgund sah der Historiker vonder Universität Berlin Friedrich Baethgen (1890–1972) im Hochmittelalter zwar „die deutschsprachigen Lan- desteile vor französischer Überfremdung geschützt“.91 Doch allgemein und nicht nur auf Grund des Mangels an Geschichtsquellen klagte er über „die entschei- dende Tatsache einer eigentümlichen Schwäche des geschichtlichen Eigenle- bens“ im gesamtenKönigreich Burgund.92 Heribert Reiners (1884–1960), Kunsthistoriker von der Universität Freiburg in der Schweiz, wusste in seiner Kunstgeschichte Burgunds zwischen germanischen und romanischen Einflüs- sen zu unterscheiden.93 Bauformen der Zisterzienser erklärte er „zum Teil auch aus dem Völkischen“.94 Der Romanistund eifrige Rezensent im ‚Europäischen Wissenschafts- Dienst‘95 Wallfried Vernunft (1911–?) schrieb über Karl den Kühnen, dessen „mächtiges Zwischenreich […]noch einmalandie Tradition des alten Lotha- ringien aus dem Vertrage von Verdun (843) anknüpfte.“96 Der Entstehung eines burgundischen Nationalstaates widersprachen aber die „geopolitisch ungüns- tigen Voraussetzungen“;Burgund sei „ein ausgesprochenes Durchgangsland“ gewesen. Für den an das „deutsche Reich“ wiederum „fehlte über Karl eine wahrhaft kaiserliche Autorität, ein Mann, der das Aufkeimen des welsch-germanischen Gegensatzes zu vermeiden und die französischsprachigen Länder wie früher innerhalb des Reiches zu befriedigen gewußt hätte – ohne Gefahr einer Verwelschung deutschen Landes.“97 Neben seiner Benutzung des abfälligen Adjektives „welsch“98 tritt bei Vernunft der seit dem 19. Jahrhundert in

89 Günther,RassischeEigenart (wie Anm. 86), S. 72; vgl. George Montandon, L’ethnie française, Paris 1935, S. 71, 193 f.; Wolfgang Freund, BesetzteKultur.Interkulturelle Kommunikation in der militärischen Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg, in: Ders./Cédric Guinand/Ralph S. Seidel (Hrsg.), Begegnungen. Perspektiven Interkultureller Kommunikation, Frankfurt 2002, S. 55–59. 90 Hans Naumann,Das Volk des Nibelungen-Untergangs, in: Kerber,Burgund (wie Anm. 5), S. 45. 91 Friedrich Baethgen, Das Königreich Burgund in der deutschen Kaiserzeit des Mittelalters, in: Kerber,Burgund (wie Anm. 5), S. 98. 92 Baethgen,Königreich Burgund,in: Kerber,Burgund (wie Anm. 5), S. 73. 93 Heribert Reiners, Germanische Kunst in Burgund,in: Kerber,Burgund (wie Anm. 5), S. 101. 94 Reiners, Germanische Kunst (wie Anm. 92), S. 105. 95 Vgl. Wallfried Vernunft, Deutschland und der Westraum, in: Europäischer Wissenschafts-Dienst 2(1942), [Nr.7/8], S. 27–29. 96 Wallfried Vernunft, Karl der Kühne, Herzog von Burgund (1467–1477), in: Kerber,Burgund (wie Anm. 5), S. 115. 97 Vernunft, Karl der Kühne (wie Anm. 95), S. 127 f. 98 Vgl. Heinz Schmitt, Grenzen im Oberrheingebiet. Ihre Bedeutung in Vergangenheitund Ge- genwart, in: Rolf Wilhelm Brednich/Heinz Schmitt (Hrsg.), Symbole. Zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur.30. Deutscher Volkskundekongreß in Karlsruhe vom 25. bis 29. September 1995, Münster/New York/München/Berlin 1997, S. 36. 196 Wolfgang Freund der völkischen Historiographiebeliebte Anachronismus zu Tage, den Kultur- und Sprachnationalismus seiner Zeit auf das Mittelalter zu projizieren. In seiner „Bedeutung der Burgunderkriege für die Entwicklung des deut- schen Nationalgefühls“ behauptete Bauernhistoriker und SS-Obersturmführer (Oberleutnant) Günther Franz (1902–1992), ab 1941 an der Reichsuniversität Straßburg,inhaarsträubender Übertreibung des politischen Interessesweiter Teile der spätmittelalterlichen deutschen Gesellschaft, dass nichts anderes „das deutsche Volk so einheitlich in all seinen Schichten und Stämmen in den Jahr- zehnten vor der Reformation bewegt [habe] wie der Kampf gegen Burgund, gegen Karl den Kühnen.“99 Er deutete die Burgunderkriege des 15. Jahrhunderts allgemein als „Kampf zwischen der völkischen Ordnung des Reiches und der staatlichenGliederung des Westens“.100 Das ursprünglich für Franz vorgesehene Thema „Der burgundische Vogt Peter Hagenbach im Elsaß“101 übernahm, da er für die ‚Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins‘ ohnehin über Hagenbach schrieb,102 Hermann Heimpel (1901–1988), wie Franz seit 1941 Historiker an der Reichsuniversität Straßburg.Erpries den „völkischen Widerstand“ elsässischer Städte gegen die französische Verwaltung Burgunds und klagte über Peter von Hagenbach: „Deutsche Grobheit machte er durch welsche Kälte unerträglich.“103 Der Geograph Georg Niemeier,designierterDekan der Naturwissenschaft- lichen Fakultät der Reichsuniversität Straßburg,erinnerte daran, dass das Reich einst unter Einschluss Burgunds in dessen größterAusdehnung bis in die Pro- vencegereicht habe. Dabei benutzte er,umden Bezug zurGegenwart hervor- zukehren, den für die Stauferzeitunangemessenen Titel des „Heiligen Römi- schen Reichs Deutscher Nation“,ein Wort, das erst an der Schwelle zurFrühen Neuzeit aufgekommen und niemals offizielle Staatsbezeichnung geworden war.104 Bis auf den Freiburger Historiker Gerhard Ritter(1888–1967)105 verkniff sich kein wissenschaftlicher Autor Anspielungen auf einen epochenübergrei- fenden deutsch-burgundischen Zusammenhang oder gar einen Seitenhieb gegen Frankreich. Trotz gelegentlicher falscher Wortwahl, unnnötiger Über-

99 Günther Franz, Die Bedeutung der Burgunderkriege für die Entwicklung des deutschen Na- tionalgefühls, in: Kerber,Burgund (wie Anm. 5), S. 161. 100 Franz, Bedeutung der Burgunderkriege (wie Anm. 98), S. 163. 101 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Kerber an Franz vom 28.3.1941, vgl. KerberanHeimpel vom 28.3.1941. 102 Hermann Heimpel,Das Verfahren gegen Peter vonHagenbach zu Breisach (1474), in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 94 (1942), S. 321–357. 103 Hermann Heimpel,Peter vonHagenbach und die Herrschaft BurgundsamOberrhein (1469– 1474), in: Kerber,Burgund (wie Anm. 5), S. 154, 145; vgl. Pierre Racine, Hermann Heimpel à Strasbourg, in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hrsg.), Deutsche Historiker im Natio- nalsozialismus, Frankfurt a. M. 1999, S. 148; vgl. Oexle, „Zusammenarbeit mit Baal“ (wie Anm. 24), S. 10, 22 f.; vgl. Frank-Rutger Hausmann, „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ (1940–1945), Dresden 1998, S. 177–203. 104 Georg Niemeier,Burgundische Landschaften und Lebensräume, in: Kerber (Hrsg.), Burgund (wie Anm. 5), S. 262 f.; vgl. Joachim Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches (Enzyklo- pädie Deutscher Geschichte, Bd. 31), 4. Aufl., München 2012, S. 97. 105 Gerhard Ritter,Die BurgundischePforte und das Reich, in: Kerber,Burgund (wie Anm. 5), S. 174–196. „… aus politischen Gründen eine heikle Angelegenheit“ 197 treibungen und einseitiger Interpretationen waren die beteiligten Professoren ihrer wissenschaftlichen Verantwortung jedoch über weite Strecke gerecht ge- blieben. Eine aktuelle Forderung nach einer deutschen Annexion Burgunds, wie sie in Äußerungen anderer Burgundforscher oder gar in den Denkschriften von FriedrichMetz und der RfR zu Tage trat, lässtsich nur in Einzelfällen,zum Beispiel bei Günther,herauslesen. Der einzige stark verdächtige Titel aus der ganzen Aufsatzsammlung „Das Reich holt Burgund heim“ steht über der Er- zählung Jelusichs. Nur Kerbers einleitende Expansionswünsche sind nicht so vorsichtig formuliert, wie man es von einem „unpolitischen“ Buch erwarten wollte.

Die Mär vomunpolitischen Buch

Insgesamt ist Kerber nicht abzunehmen, dass er sein Burgundbuch für „unpo- litisch“ hielt. In den Anschreiben an die angefragten Autorensprach er von dem Bluterbe der Burgunden, „das noch nicht verloren“,106 also noch zu retten sei, wie er in seiner Einleitungschrieb, mit vomReich neu zuzuführendem deutschem Blut. Ebensowenig konnte Adolf Spemann (1886–1964), der bisherige Verleger des FreiburgerJahrbuchs, erkennen, wie man die Forderung der Parteiamtlichen Prüfungskommission zumSchutze des NS-Schrifttums erfüllen und „dieses Buch ohne ,politischen Charakter‘ machen könne, denn im Grunde genommen ist ja schon das Thema und ein Buch über dieses Thema in diesen Zeitläuften eine hochpolitische Angelegenheit.“107 Kerber gestandzu, dass dieses Unterfangen nicht leicht sein würde.108 Es ist ebenso wenig anzunehmen, dass die beitra- genden Professoren der Illusion vomabsolut unpolitischen Buch aufgesessen waren, mussten sie doch in acht Jahren nationalsozialistischer Herrschaft er- fahren haben, dass so gut wie keine Veröffentlichung offizieller Stellen in der Diktatur unpolitisch war. Vielmehr ist zu vermuten, dass die meisten Mitarbeiter die unterliegendenpolitischen Intentionen von Kerbers Burgundbuch billigend in Kauf nahmen. Da sie jedoch Kerbers politischen Plan in ihren einzelnen wis- senschaftlichen Beiträgen kaum explizit umsetzten, hofften sie, ihre Hände in Unschuld zu waschen. Die Rezensionen legten sich weniger Zurückhaltung auf. Nochvor seinem Erscheinen stellte Kerber Ende Oktober 1941 der örtlichen Presse das Bur- gundbuch der Stadt Freiburg vor.109 In Ermangelung eines Besprechungsexem- plars schrieben die beiden Rezensenten von ‚Freiburger Zeitung‘ und ‚DerAle-

106 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanAndreas und viele andere vom28.3.1941. 107 Stadtarchiv Freiburgi.Br.,C4/VI/32/2: Spemann an [den Büchereidirektor der Städtischen Bü- chereien in Freiburg Philipp] Harden-Rauch vom1.4.1941. 108 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: KerberanSpemann vom 13.6.1941. 109 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Kerber,Aktennotiz für die Pressebesprechung vom29.10. 1941, Abt. I, Aktennotiz vom 30.10.1941. 198 Wolfgang Freund manne‘ Kerbers Pressetext aus.110 Im März 1942 konnten die ersten Exemplare ausgeliefert werden und die Presse verstand sehr wohl den tieferen Sinn des Burgundbuchs.FriedrichBaser begrüßte im ‚Alemannen‘,dass der Sieg im Westfeldzug „dem Großdeutschen Reich auch die alten germanischen Sied- lungslande im Westen wieder nahe“ gebrachthabe; das Burgundbuchsei mehr als ein gelungener Versuch, es könne „später einmal mit zu einer Grundlage werden, alte, blutbedingte und kulturelle Beziehungen und Verwandtschaften in einem von neuem Geist erfüllten Europa zu neuer,friedvoller Wirklichkeit werden zu lassen.“111 Noch klarer erfasste WaldemarWucher112 von der ‚Volk und Reich‘ die politischeLinie, die dem Band zu Grunde lag. Das Burgundbuch berühre „nicht nur Freiburger sondern gesamtdeutsche Interessen“ und stelle „die ungelöste Frage,Das Reich und der Westraum‘“.Auf den wissenschaftli- chen Inhalt ging Wucher nicht ein; wichtig waren ihm einzig die „[p]olitische[n] Überlegungen“ und diese habe „nur der Herausgeber in seinem einführenden Beitrag mit deutscher Zurückhaltung angestellt.“113 Aus „politischen Gründen eine heikle Angelegenheit“ warKerbers Bur- gundbuch ohnehin nicht in einem außenpolitischen Sinne. Zu unerwartet, zu heftig, zu nachhaltig warFrankreich 1940 militärisch zusammengebrochen, als dass man auf den westlichen Nachbarn noch groß hätte Rücksicht nehmen müssen. Frankreich wurde nur noch als europäische Macht zweitenRanges wahrgenommen und sollte territorial zerschlagen und beraubt werden – Kerber wusste dies besser als irgendeiner der anderen Beteiligten am Burgundbuch. Politische Vorbehalte betrafen also nicht die französische Diplomatie, sondern vielmehr die Entscheidungshoheit der Berliner Ministerien.114 Die Antwort auf die Fragen, wieviel Gebiet aus Frankreich herausgetrennt würde und wann, stand den höchsten Reichsbehörden zu, weshalb man auf die offizielle Geneh- migung vonAuswärtigem Amt, Propagandaministerium und Parteiamtlicher Prüfungskommission zu warten hatte.115 Aber noch im Dezember 1942 äußerte

110 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: ns., „Burgund“.Das neue Jahrbuch der Stadt Freiburg, in: Freiburger Zeitung, Nr.301 (31.10.1941); tr., Burgund – Land zwischen Rhein und Rhone. Der neue Band (5) des Jahrbuchs der Stadt Freiburg schlägt die Brücke, in: Der Alemanne, Nr.301 (31. 10.1941). 111 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: FriedrichBaser,Burgund.Das Land zwischen Rhein und Rhone. Das 5. Jahrbuch der Stadt Freiburg – Burgund,Geschichte, Landschaft und Volk, in: Der Alemanne,Nr. 68 (9.3.1942). 112 Vgl. FriedrichHeiß (Hrsg.), Deutschland und der Westraum, Zsarb. Günter Lohse, Waldemar Wucher,Amsterdam/Berlin/Prag/Wien 1943; Gjalt R. Zondergelt, „Nach Westen wollen wir fahren!“ Die Zeitschrift ,Westland‘ als Treffpunkt der ,Westraumforscher‘,in: Burkhard Dietz/ Helmut Gabel/Ulrich Tiedau (Hrsg.). Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch- nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919–1960), (Studien zur Ge- schichte und Kultur Nordwesteuropas,Bd. 6), Münster/New York 2003, S. 655. 113 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Buchbesprechung aus der Zeitschrift ‚Volk und Reich‘, Politische Monatshefte, Heft 6, Juni 1942, 18. Jahrgang. Burgund. Das Land zwischenRhein und Rhone. 114 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Kerber,[Denkschrift] Zur Vorbereitungdes 5. Bandesdes Freiburger Jahrbuchs [ca. Anfang Januar 1941], S. 2. 115 Vgl. ebd. „… aus politischen Gründen eine heikle Angelegenheit“ 199 das Auswärtige Amt politische Zweifel, obgleich der Hünenburg-Verlag schon längst mitder Auslieferung begonnen hatte. Die Parteiamtliche Prüfungskom- mission zum Schutzedes NS-Schrifttums warjedoch mittlerweile der Ansicht, dass „die außenpolitischen Rücksichtnahmen des A[uswärtigen] A[mt]’sdurch den jüngsten Verrat Frankreichs hinfällig geworden sein dürften“.116 Tatsächlich hatte sich kürzlich das deutsch-französische Verhältnis komplett gewandelt. In der alliierten Befreiung vonMarokkound Algerieninder Operation Torch im November 1942 warAdmiral Jean-François Darlan, zweiter Mann im französi- schen Vichy-Regime, quasi auf die Seite der siegreichen Verbündetenhinüber- gewechselt, währendHitler den Befehlfür die Besetzung des Rests vonFrank- reich gegeben hatte.117 Für die Parteiamtliche Prüfungskommission wardie po- litische Schonzeit für Frankreich Ende 1942 endgültig vorüber.

Schluss

Ein wichtiger Grund für die Mitarbeit vonnamhaften Vertretern vonArchäo- logie, Geschichte und Kunstgeschichte, Germanistik und Geographie an Kerbers Burgundbuch warsicherlich der Wunsch, das eigene wissenschaftlicheRe- nommeeweiterzuvergrößern. Die Hälfte der akademischen Mitarbeiter war jünger als oder knapp vierzig Jahre alt und stand noch am Anfang der wissen- schaftlichenKarriere.Drei dieser aufstrebenden Professoren, Heimpel, Franz und Niemeier,begannen 1941 ihre Lehrtätigkeit an der neu aufgebauten Reichsuniversität Straßburg.118 Diese jungen Akademiker nutzten die Chance, in einer großen Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen, und stellten sich mit diesem publizistischen Auftritt gewissermaßen im Gau Oberrhein vor.Allemal

116 Stadtarchiv Freiburg i. Br., C4/VI/32/2: Auszug aus dem Schreiben der Stadtbücherei vom14.12. 1942. 117 William A. Hoisington, Jr., North Africa, Allied Invasion (Operation Torch), in: Bertram M. Gordon (Hrsg.), Historical Dictionary of World WarIIFrance. The Occupation, Vichy,and the Resistance, 1938–1946, Westport, CT 1998, S. 262 f.; RaymondCartier,Der Zweite Weltkrieg, München/Zürich 1977, S. 546–553 118 Kerber (Hrsg.), Burgund (wie Anm. 5), InhaltsverzeichnisS.5–6; Bundesarchiv, R43II/940a, fol. 45: Ernst Anrich (Dekan der Philosophischen Fakakultät der Reichsuniversität Straßburg) an Robert Ernst (Generalreferent für das Elsass beim CdZ) vom23.5.1941;vgl. Edmond Ponsing, Strasbourg1940–1944. Notes prises dans les Strassburger Neueste Nachrichten, Strasbourg 1992, S. 33; Christian Baechler/François Igersheim/Pierre Racine (Hrsg.), Les Reichsuniversitäten de StrasbourgetdePoznan et les résistances universitaires 1941–1944, (Les Mondes Germaniques), Strasbourg2005. Zuletzt zur Reichsuniversität Straßburg: Rainer Möhler,Zweierlei Erinnerung an einem „historischen Ort“–Das bedrückende Erbe der „Reichsuniversität Straßburg“ und die „Université de Strasbourg“ 1945 bis heute, in: Joachim Bauer/Stefan Gerber/Jürgen John/Gott- fried Meinhold (Hrsg.), Ambivalente Orte der Erinnerungandeutschen Hochschulen, (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Jena Bd. 13), Stuttgart [2016], S. 255–280; Rainer Möhler,Die Reichsuniversität Straßburg 1940–1944, eine nationalsozialistische Musteruniver- sität zwischen Wissenschaft, Volkstumspolitik und Verbrechen, Univ.des Saarlandes,Habil.- Schr., 2018. 200 Wolfgang Freund warman geschmeichelt, vomOberbürgermeister einer großen deutschen Stadt um einen Beitrag zum Jahrbuch seiner Stadt gebeten worden zu sein. Andere wissenschaftliche Autoren waren schon in der Regionansässig, Günther und Ritter lehrten an der Universität Freiburg. Es wäre schlechter Stil gewesen, dem Bürgermeister seiner Heimatstadt die Zusammenarbeit auszuschlagen. Da in der Vorbereitung des Bandes wiederholt betont wurde, dass es sich eben nicht um ein politisches Buch handle, konnte man formal sein Gewissen beruhigen. Der populäre Anspruch des Buches gab der Teilnahme etwas Spielerisches, schrieb man doch für die Kurzweil eines breiten Publikums. Nicht zuletzt lockte das gute Gelingen der letzten beidenBände des FreiburgerJahrbuchs und ebenso das Autorenhonorar. Über die wissenschaftliche Verantwortung hinaus besitzen Universitäts- professoren auf Grund ihrer herausragendenStellung im Erziehungs- und Bil- dungswesen und ihres sozialen Ansehens noch eine politische und besonders eine moralische Veranwortung. Alle Mitarbeiter wussten, dass ein deutsches Buch über die früheren Reichsgebiete von Burgund in Zeiten eines prononciert asynchronen Verhältnisses zwischen dem Deutschen Reich und dem französi- schen Staat einen problematischen politischen Subtext beförderte und für terri- toriale Ziele missbraucht werden könnte. Dieses Risiko ging man ein. Einige beteiligte Professoren hattensich ohnehin schon in einem viel höheren Maße vomnationalsozialistischen Regime korrumpieren lassen, namentlich als sie den Ruf an eine Reichsuniversität angenommen hatten, die völkerrechtswidrig im de iure zu Frankreich gehörenden Elsass installiert worden war. Schließlich war unter den meisten deutschen Wissenschaftlern, auch unter jenen,die dem Na- tionalsozialismus nicht eben zugeneigt waren, unterbewusst der Wunsch vor- handen, nach dem viel gefeierten Sieg im Westfeldzug – erinnert sei hier nur an die Genugtuung, die Gerhard Ritter und FriedrichMeineckeimSommer 1940 empfundenhaben119 – sich für im VersaillerFrieden und danach von Frankreich erfahrene Unbill und für die Jahre nationaler Schmachzurevanchieren. Man hatte Frankreich soeben das ehemalige Reichsland entrissen; das Burgundbuch unterstrich, dass man weitere früher mit dem Reich verbundene ostfranzösische Gebiete im Auge behalten würde.

119 Steffen Kaudelka,Rezeption im Zeitalter der Konfrontation. Französische Geschichtswissen- schaft und Geschichte in Deutschland 1920–1940, (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 186), Göttingen 2003, S. 23.