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Aus dem Zoologischen Institut der Universität des Saarlandes

Einige Bemerkungen zur Verbreitung von (Serpentes, ) in Spanien

Paul Müller

4 Abbildungen

Eingegangen am 17. April 1968

Während die Arealgrenze von Vipera aspis nes Faunenelement sei (zur Definition „Fau• (Linnaeus) in Italien, Nordfrankreich und nenelement" vgl. DE LATTIN, 1967 u. a.), un­ Deutschland durch die intensive faunistische wahrscheinlich gemacht. Tätigkeit zahlreicher Herpetologen als gesi­ REINIG (1950) nimmt im Gebiet,. das sich chert angesehen werden kann, gilt das jedoch im Wesentlichen mit dem des rezenten Areals noch nicht in gleichem Umfang für den spa­ der zinnikeri-Subspezies deckt, einen „Areal• nischen Raum. Die in den letzten Jahren ver­ kern" an, doch erweist es sich durch eine Unter­ öffentlichten spanischen Fundorte dieser Vipe­ suchung der im dortigen Raum subspezifisch ride (SCHWARZ, 1936; MERTENS und differenzierten Populationen, daß diese in den WERMUTH, 1960; KLEMMER, 1968 u. a.) meisten Fällen zu eurosibirischen oder mongo­ haben die bereits von MERTENS (1925) be­ lischen Faunenelementen gehören (u. a. die zeichneten südwesteuropäischen Arealgrenzen Schmetterlinge Heteropterus morpheus Pallas nicht wesentlich erweitern oder verändern und Thersamonia dispar Haw.). Für solche Ar­ können, wenn man einmal von der Arbeit von ten, die an kühle, moorige Wald- oder Step­ KRAMER (1958), der die aspis-Populationen penheiden-Biotope angepaßt sind, was im all~ nordwestlich der Pyrenäen (Gascogne) als be­ gemeinen für eurosibirische Faunenelemente sonders subspezifisch differenziert erkannte zutrifft (etwa ), ist es ohne weite­ und beschrieb, absieht. Allerdings wird durch res denkbar, daß sie im Pyrenäenvorland auch die Bemerkung KRAMERS, daß diese Sub­ während der Glazialzeiten noch adäquate spezies schon vor oder zu Beginn der Eiszeiten Existenzbedingungen vorfanden - ob das aber in diesem Gebiet existierte, die ursprüngliche, für die wärmeliebende Vipera aspis in gleichem sich aus dem Hauptareal (Abb. 1) eigentlich Maße gilt, erscheint höchst zweifelhaft. Diese eindeutig ergebende Vorstellung, daß Vipera Ansicht wird durch die klimatischen Bedin­ aspis ein monozentrisches, adriatomediterra- gungen während der Glazialzeiten und paläon- Salamandra, Band 5, Heft 1/2, 1969

Europa f:2*Mill. 300 600 /cm

Abb. 1 Das rezente Areal von Vipera aspis. The recent area of Vipera aspis.

tologische Befunde aus dem Raum der Das Vorherrschen borealer Arten im angren­ Gascogne bestätigt (BOURDIER, 1938; zenden Meeresgebiet (wie z. B. Pecten islan­ BASTIN und CAILLEUX, 1941; BALLAND, dica) ist unverkennbar. Das Vorkommen von 1936; BLAYAC, 1913-1914; MARCELLIN Vipera aspis, die ähnlich wie Lacerta muralis und CHAUVET, 1899; HARLE, 1910; FREN­ in den Pyrenäen noch über 2000 Metern vor­ ZEL, 1967; DE LATTIN, 1967 u. a.). Es ist kommt (wo sie dann allerdings sehr selten berechtigt anzunehmen, daß das Gascogne­ wird), sollte nicht als Indikator dafür ange­ Gebiet durch den nahegelegenen Golf klima­ sehen werden, daß die Art auch die Tempera­ tisch positiv beeinflußt wurde, doch scheint turen während der Glazialzeiten im Gascogne­ sich eine solche Beeinflussung deutlich nur auf Flachland ertragen konnte. Hier spielen zwei­ die Temperaturjahresamplitude bemerkbar ge­ fellos andere ökologische Ursachen (Sonnen­ macht zu haben. Auch im Golf von Biskaya einstrahlung, Schneeabdeckung etc.) eine wich­ herrschten zur damaligen Zeit extrem niedrige tigere Rolle. Temperaturen, was unter anderem durch Da Vipera aspis darüber hinaus eine außer• paläontologische Funde belegt werden kann. ordentlich polymorphe Art ist (man vergleiche P. Müller: Vipera aspis in Spanien 59

Abb. 2 Vipera aspis aspis. Weibchen aus der Umge­ bung von Roda (nördlich Vieh, Provinz Gerona). Female Vipera aspis aspis from the vicinity of Roda (north of Vieh, province of Gerona).

auffallenden Differenzierungen entstehen zu lassen, ist hinlänglich bewiesen (u. a. MAYR, 1942, 1947, 1948). Auf Grund der hier lediglich summarisch aufgezählten Tatsachen scheint es am wahr­ nur alpine Populationen), ist es durchaus denk­ scheinlichsten, wenn man den Beginn der di­ bar, daß bei entsprechend großer Elimination vergenten Entwicklung der Gascogne-Popula­ einer Kleinpopulation und veränderten Selek­ tionen in die Postglazialzeit verlegt. tionsbedingungen ein genetisch bedingtes Auf fünf Exkursionen nach Nordspanien Farbmuster in relativ kurzer Zeit reinerbig (Pyrenäen und Kantabrisches Gebirge) in den ausgebildet werden kann (man vergleiche Jahren 1963 bis 1967 ergab sich die Gelegen­ unter anderem Vipera aspis montecristi, die heit, dieses Gebiet nach dem Vorkommen von auf Grund der Tatsache, daß die Insel Monte­ Aspisvipern zu untersuchen. Was den nord­ cristo mit dem italienischen Festland durch die östlichen Teil anbelangt, so konnten wir zur 200-Meter-Isobathe verbunden ist, mit Sicher­ Nominatform gehörende Stücke im ganzen Be­ heit während der Glazialzeiten mit Festland­ reich zwischen Montseny im Süden und den populationen in Genaustausch stand). Daß die Pyrenäen im Norden fangen (Abb. 2). Auf ty­ Postglazialzeit ausreichte, um diese oftmals pische zinnikeri-Stücke stießen wir bereits bei

Abb. :, Biotop von Vipera aspis zinnikeri bei Pianolas (südlich Andorra). Habitat of Vipera aspis zinnikeri near Pianolas (south of Andorra). 60 Salamaitdra, Band 5, Heft 1/2, 1969

Planolas (Pyrenäen, südöstlich von Andorra). reihe voneinander isolierte schwarzbraune Ein Exemplar (Saarbrücken Nr. 2437, Juli 1967, Punkte, die nur einen kleinen Teil einer Schup­ PAUL MÜLLER) fällt dadurch besonders auf, pe bedecken. Das Weibchen besitzt 146 + 1 daß nur ein Ziliarring ausgebildet ist. Das dor­ Ventralia, 36/36 Subcaudalia und 21 Dorsal­ sale Zickzackband ist deutlich erkennbar, der schuppen um die Rumpfmitte. Neun Jungtiere, Kopf auffallend schmal und lang. Die Zahl der die das Weibchen im Terrarium warf (Saar­ Ventralia beträgt 141 + 1, jene der Subcauda­ brücken Nr. 1187-1195), besitzen ausnahms­ lia 33/ 33. Um die Rumpfmitte sind 21 Dorsal­ los jedoch ein zusammenhängendes dorsales schuppen vorhanden. Zickzackband, haben aber keinen so schmalen Stücke aus den östlichen Pyrenäen stehen Kopf wie typische zinnikeri-Stücke. Die Va­ der Nominatform näher als zinnikeri, worauf riationsbreite der Ventralia beträgt bei den bereits KRAMER (1958) hinwies. KNOEPFF­ Jungtieren 143-147. LER (1962) erwähnt jedoch auch aus der Um­ Besonders hervorzuheben ist nun ein Aspis­ gebung von Bouillouse (Pyrenees orientales) vipern-Fund, den wir (Große Zoologische

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MADRID. zo Abb. 4 Spanische Fundorte von Vipera aspis (nach Angaben aus der Literatur und eigenen Befunden). Kreise = Vipera aspis zinnikeri, gefüllte Kreise = Vipera aspis aspis. Spanish habitats of Vipera aspis (by literal quotation and own findings). Circles = Vipera aspis zinnikeri, filled circles = Vipera aspis aspis. Alle Abbildungen: Dr. P. Müller die zinnikeri-Subspezies. Aus den südlichen Exkursion der Universität des Saarlandes) im Gebirgsausläufern der Pyrenäen liegen uns nur August 1963 bei Barcenillas de Ribeiro im Stücke der Nominatform vor. Auffallend ist Kantabrischen Gebirge machten (Abb. 4). In ein Weibchen aus Vidra (Sierra de St. Magda­ der Literatur wurden bisher keine Fundorte lena, Saarbrücken Nr. 1186, 20. Juli 1967, westlich der Pyrenäen erwähnt. Um eventuelle HANS BACK), das eine Verlöschung des dor­ Zweifel an der Spezieszugehörigkeit des vor­ salen Zeichnungsmusters zeigt. Bei diesem liegenden Stückes (Saarbrücken Nr. 47) aus­ Stück sind fast alle Dorsalschuppen rotbraun, zuschließen, halte ich . es für gerechtfertigt, doch befinden sich in einem Abstand von je­ seine metrischen und morphologischen Merk­ weils 3 Schuppen zur vertebralen Schuppen- male kurz wiederzugeben: P. Müller: Vipera aspis in Spanien 61

Zwei Ziliarringe sind deutlich ausgebildet. gungen während der Eiszeit stark begrenztes Der erste Ziliarring weist links 9, rechts 10 Areal sehr deutlich erweitern können. Schuppen auf. Die Zahl der Supralabialia be­ trägt links 10, rechts 9, die der Sublabialia auf beiden Seiten 11. 143 + 1 Ventralia, 31/31 + 1 Subcaudalia und 21 Dorsalschuppen um die Rumpfmitte sind bei dem Stück vorhanden. Das Praenasale ist einfach, die Schnauzenspitze ZUSAMMENFASSUNG nur schwach aufgeworfen. Ein frontale, das nur etwas größer ist als die übrigen Kopf­ Das rezente Areal der Aspisviper (Vipera schuppen, läßt sich deutlich erkennen und ist aspis) wird besprochen und die Auffassung rechts und links durch je eine Schuppenreihe vertreten, daß die westeuropäischen Popula­ von den Supraocularia getrennt. Die Gular­ tionen ihr heutiges Vorkommen erst in der region ist weißlich mit vereinzelten gelbbrau­ Postglazialzeit erreichten. Als adriatomediter­ nen Punkten auf den Sublabialia. Die grau­ ranes Faunenelement war die Art während der weißen Ventralia sind mit winzigen schwärz• Eiszeit auf den italienischen Raum beschränkt. lichen Punkten übersät, die stellenweise sehr Ein Erstnachweis der Aspisviper aus dem Kan­ verdichtet sind, wodurch ein recht dunkler Ge­ tabrischen Gebirge widerspricht nicht dieser samteindruck entsteht. Die Subcaudalia sind Auffassung. ähnlich gefärbt, doch sind sie im Ganzen hel­ ler und weisen eine feine rötliche Tönung auf. Die drei mittleren vertebralen Schuppenreihen heben sich nur undeutlich durch etwas brau­ nere Färbung von der graubraunen dorsalen Grundfärbung ab. Rechts und links dieses SUMMARY Streifens befinden sich deutlich abgesetzte, ein bis zwei Dorsalschuppen große braune Flecken, The recent area of Vipera aspis is described. The die an keiner Körperstelle zu einem einheitli­ author takes the point that the west European popu­ chen Zickzackband verschmelzen, wie etwa bei Jation reached their recent habitat after the post Vipera aspis zinnikeri oder Vipera latasti. glacial period. During the glaciaJ period the Bisher liegen noch keine weiteren Fundorte were only found in the Italian area. The first found­ für das Kantabrische Gebirge vor. Ob die ing record of Vipera aspis in the Cordillera Cantabrica Kantabrische Population von den Pyrenäen• does not contradict this statement. Populationen isoliert ist, oder ob dieser Fund lediglich auf eine Lücke in den bisherigen Kenntnissen des Araels von Vipera aspis in Spanien hinweist, muß fürs erste noch offen bleiben. Auch dieses westliche Vorkommen in Spa­ SCHRIFTEN nien widerspricht nicht der eingangs gemachten Annahme, daß diese Art während der Glazial­ zeiten auf den italienischen Raum beschränkt Balland, R. (1936): Observations geologiques dans Ja vallee de Ja Jalle de Saint-Medard. - Proces­ war, haben doch auch andere adriatomediter­ verbaux. Soc. Linn., Bordeaux. rane Elemente, etwa die Lepidopteren Melanar­ Bastin, A. und A. Cailleux (1941): Action du vent et gia japygia und Hamearis lucina, in der Post­ du geJ au Quaternaire dans Ja region BordeJaise. glazialzeit ihr durch die f1imatischen Bedin- - Bull. Soc. Geol. de France. 62 Salamandra, Band 5, Heft 1/2, 1969

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