3. Professor an Der Universität Lüttich/Liège 1881-1885
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Rubrikenzeile 129 3. Professor an der Universität Lüttich/Liège 1881-1885 003_oeaw_fuchs.indd3_oeaw_fuchs.indd 129129 118.05.218.05.21 115:015:01 130 Gabriela Schmidt-Wyklicky, Ernst Fuchs (1851-1930) 003_oeaw_fuchs.indd3_oeaw_fuchs.indd 130130 118.05.218.05.21 115:015:01 3. Professor an der Universität Lüttich/Liège 1881-1885 131 ber die vier von Fuchs in Lüttich Üverbrachten Jahre – seine erste selb- ständige akademische Stellung – gibt es insgesamt drei authentische Quellen. Neben den Darstellungen in seinen bei- den Selbstbiografi en verfasste Fuchs auch regelmäßig ausführliche Briefe an seinen früheren Lehrer Arlt in Wien.398 Bis auf einen kleinen Auszug aus dem ersten Brief, den die Medizinhistorikerin Erna Lesky 1961 veröff entlicht hat399, sind diese bisher noch niemals in extenso pub- liziert worden. So lassen sich sowohl die wissenschaftlichen als auch die privaten Schwerpunkte von Ernst Fuchs während seiner Lütticher Zeit von diesen verschie- denen Zugängen her rekonstruieren. Über den Hergang seiner Berufung nach Lüttich erzählte Fuchs rückschauend: „Im Frühjahr 1881 erschien eines Tages ein alter Herr in einer Kursvorlesung: er machte dann auch eine Krankenvisite mit Abb. 29. und ich hielt ihn für einen Arzt. Er verlangte mit mir zu sprechen und ich Ernennung von Ernst Fuchs 400 nahm ihn auf mein Zimmer. Hier stellte er sich mir vor als Transenster [sic] , zum a. o. Prof. Mineningenieur und Rektor der Universität Lüttich, zu welcher auch eine école in Lütti ch am des mines gehörte. Er war nach Wien gekommen, um mich zu sehen und wäre 26. August 1881 dabei bald bei einem Eisenbahnzusammenstoß, in den er geriet, verunglückt; ich war dazu vorgeschlagen worden, die erst zu kreierende Lehrkanzel für Augenheilkunde einzunehmen und er wollte vorher erst sehen, welche Art von Mensch ich sei, wie ich vortrage usw.; die Berufung verdanke ich hauptsächlich Winiwarter 401, der damals Professor für Chirurgie in Lüttich war, und Donders. An diesen hatte man sich nämlich um Empfehlung eines Kandidaten gewendet, da es in Belgien keine dafür geeigneten Männer gab. Er hatte mich vorgeschlagen. Wir wurden bald handelseinig; mein Gehalt in Lüttich betrug damals als Extraordinarius mehr als der systemmäßige Anfangsgehalt eines Ordinarius in Wien. Meine Eltern waren auch sehr einverstanden. Nun galt es, über Hals und Kopf mein Französisch zu verbessern und die Ferien verwendete ich dazu, in 003_oeaw_fuchs.indd3_oeaw_fuchs.indd 131131 118.05.218.05.21 115:015:01 132 Gabriela Schmidt-Wyklicky, Ernst Fuchs (1851-1930) Evians, am französischen Ufer des Genfersees, eine Zeitlang zu sein und dann nach Paris zu gehen, um die Sprache besser zu lernen. Es dürfte Ende September gewesen sein, dass ich dann nach Lüttich reiste.“ 402 Durch einen Beschluss des belgischen Königs vom 26. August 1881 wurde Ernst Fuchs zum Extraordinarius für Augenheilkunde an der Universität Lüttich ernannt.403 (Abb. 29) Zwei Wochen nach seiner Ankunft in Lüttich berichtete Fuchs seinem Lehrer Arlt in Wien erstmals über die Reise nach Lüttich und den Beginn seiner selbständigen Tätigkeit an der dortigen Universität: „Lüttich, 12/10 81. Verehrter Herr Hofrath! Gestatten Sie, daß ich aus meiner neuen Heimath Nachricht von mir gebe. Von Heidelberg gieng ich nach Paris, wo ich bis Ende October 404 blieb. Ich besuchte hauptsächlich die Kliniken von Landolt und Wecker. Letzterer übertriff t sich selbst in der Erfi ndung neuer Operationen, die unbestreitbar den Werth haben, zu zeigen, was ein menschliches Auge auszuhalten vermag. Bei Netzhautabhebung brennt er mit einem spitzigen Glüheisen (Galvanocauter) ein Loch in die Sclera, um eine Fistelöff nung zu erhalten, die sich nicht sofort wieder schließt. Ich sah ihn diese Operation an dem einzigen Auge eines Mannes machen. In Fällen von Sehnervenatrophie, wo ein Auge ganz erblindet, das andere noch etwas sehkräftig ist, dehnt Wecker den Sehnerven des blinden Auges, um – durch das Chiasma – auf den Sehnerven des anderen Auges einzuwirken. Wecker’s Schüler Abadie macht bei Cyclitis, Chorioiditis, Glaucom die Denudation de l’œil, d. h. er legt von außen her die Sclera bis an den Sehnerven bloß, um die Ciliargefäße sämtlich durchzuschneiden und so die Blutzufuhr zum Auge zu vermindern. Alle diese Operationen eifern gerade nicht zur Nachahmung an. Ende September fuhr ich dann von Paris direkt nach Lüttich. Ich wurde hier von Allen sehr freundlich aufgenommen. Im Spitale fand ich zwei Zimmer mit zusammen 15 Betten vor, welche die bisherige Augenklinik vorstellten. Auch diese Zimmer waren im letzten Jahre leer gestanden, indem sich mein Vorgänger Borlé [sic]405 gar nicht mehr um die Klinik gekümmert hatte. Spiegelzimmer, Hörsaal u. s. w. existirten nicht. Von Instrumenten sind nur einige antediluvianische 406 da, die höchstens historischen Werth haben; Leseproben etc. waren niemals vorhanden. Ich habe nun erreicht, daß man mir 3 Sääle mit im Ganzen 34-36 Betten gibt. Ebenso werde ich mir ein Wartezimmer, Hörsaal, Refraktions- und Spiegelzimmer einrichten können. Außerdem werde ich in etwa 3 Jahren eine neue Klinik bekommen, denn man 003_oeaw_fuchs.indd3_oeaw_fuchs.indd 132132 118.05.218.05.21 115:015:01 3. Professor an der Universität Lüttich/Liège 1881-1885 133 wird in Kurzem mit dem Bau des neuen Spitales – im Pavillonsysteme – beginnen. Ich habe einen Assistenten, der 2500 frc. jährlichen Gehalt hat, und einen Chef de clinique, der Mediziner im letzten Jahre ist und 600 frc. hat. Nur der letztere hat eine Wohnung im Spitale. Der schwierigste Punkt sind die Patienten. Da durch fast ein Jahr keine Klinik mehr gehalten wurde, haben die Leute den Weg zur Augenklinik verlernt. Es wird daher noch einige Zeit dauern, bis ein ordentliches Material sich zusammenfi ndet. Die Krankenwartung wird durch Ordensschwestern besorgt, mit denen Nichts anzufangen ist; Alle klagen gleichmäßig darüber. Lüttich ist sehr hübsch gelegen, ziemlich belebt (es hat 130.000 Einw.) und hat auch in der nächsten Nähe volkreiche Fabriksstädte. Ich zweifl e also nicht, dass sich in Zukunft etwas machen lassen werde, und ich hoff e, dass die 34 Betten bald zu wenig werden mögen. Ich denke oft und mit größter Dankbarkeit an die lehrreichen Jahre zurück, die ich an Ihrer Klinik zubrachte und denen ich meine hiesige Stellung verdanke. Ihr ergebener und dankschuldiger Schüler Fuchs. 1 Rue des Anges.“ 407 Kein anderer Schriftsteller hat die Atmosphäre der alten Kulturstadt und auf- strebenden Industriemetropole Lüttich besser eingefangen als der österreichi- sche Dichter Stefan Zweig (1881-1942), der Lüttich rund zwei Jahrzehnte, nachdem Fuchs dorthin übersiedelt war, im August 1914 nur wenige Wochen nach Beginn des I. Weltkrieges beschrieb. Wegen der Authentizität des Zeitbildes sei dieser Passus hier in extenso eingefügt: „An Salzburg gemahnt sie ein wenig, die wallonische Stadt mit ihrer Zitadelle auf dem beherrschenden Hügel und dem strömenden Fluß, der das wirre Häusergeviert in zwei ungleiche Hälften teilt. An Salzburg gemahnt sie durch die vielen Kirchen, nur daß sie hier nicht in den üppig-zierlichen Formen des italienischen Barock in einen heiteren Himmel streben, sondern schwer und wuchtig zu nordischen Wolken sich heben, immer ein wenig verschleiert vom Dunst der Kohle aus den vielen Fabriken. Bischofsstadt wie Salzburg und jahrtausendalt wie sie – Walter Scott 408 hat die Tage ihrer Größe meisterhaft in einem seiner Romane geschildert – hat Lüttich viel seiner altertümlichen Formen dem Luxus preisgegeben: breite Straßen, unschön und lärmend, durchbrechen mit Lichtern und Plakaten die alten Quartiere, und die ernsten Kathedralen stehen fremd und inmitten einer großen Geschäftigkeit. Überall spürt man die 003_oeaw_fuchs.indd3_oeaw_fuchs.indd 133133 118.05.218.05.21 115:015:01 134 Gabriela Schmidt-Wyklicky, Ernst Fuchs (1851-1930) kleinen Städten so gefährliche Neigung, die innere Anmut zu ersetzen durch eine Wirkung ins Dimensionale, die provinzielle Sehnsucht, Boulevards zu haben wie Brüssel oder Paris, den unnützen Willen zur weltstädtischen Allüre, der das eigene Maß verachtet. Kaum, mit Ausnahme von Nürnberg, gibt es eine Stadt, deren Schönheit der Industrialismus und der eigene rasche Reichtum so gefährlich geworden ist wie diesem wallonischen Bischofssitz, der in den letzten fünfzig Jahren sich zu einer Kapitale weltlichen Erwerbes umgestaltet hat. Man muß sich einen kleinen Dampfer nehmen und die Maas stromauf oder stromabwärts fahren, um die ganze Wandlung im Stadtbild lebendig zu spüren. Innen, im Bereich der Brücken, ist’s noch still, man hört die Glocken klingen von den vielen Kirchen und vermeint – blickt man auf die stillen Häuserfronten und Villen – in einer Kleinstadt zu sein. Aber kaum, daß der Fluß ins Grüne biegt, hört man von rechts und links das Pochen der Eisenwerke, überall sind die roten Stifte der Fabrikschornsteine in die liebliche Landschaft gesteckt, Dunst von Kohle verschattet den Himmel. Rückwärts steigen wie Gebirge aschgraue Pyramiden empor, die Hochöfen und Erförderungen, unablässig fahren Schiff e vorbei mit schwarzer Kohlenfracht, Züge donnern in die Stadt hinein und hinaus. Immer meint man das Land, die Natur schon erreicht zu haben, aber der schwarze Wall der Gruben ist breit um die Stadt getürmt, unabsehbar die Tätigkeit, die sichtliche und unterirdische der tausend Werke. Nachts, von der Höhe der Zitadelle kann man ferne die roten Fanale der Hochöfen sehen, diese ewigen Flammen der Arbeit, die noch brennen, wenn die Häuser längst Dunkel in den Fenstern haben. Eine Arbeitsstadt, eine starke, kräftige, industrielle Werkstatt