ARNULFS LOTHRINGISCHE POLITIK AUF DEN WORMSER REICHSTAGEN DER JAHRE 894 UND 89 5

Die Spaltung im westfränkischen Reiche, derzufolge im Januar 893 neben Odo durch einige Grosse, an ihrer Spitze der Erz- bischof Fulko von Reims, der Karolinger Karl der Einfältige zum König erhoben wurde, war für den ostfränkischen König Arnulf von ganz besonderer Bedeutung, weil der westfränkische Karolinger unter Umständen auf Grund seiner legitimen Gebur t besondere Herrschaftsansprüche, etwa im gesamtfränkische n Sinne erheben konnte, denen der aussereheliche ostfränkisch e Spross nicht gewachsen gewesen wäre . Die eigentliche Gefahr lag dabei offensichtlich in Lothringen, das als altes karolingische s Kernland eine besondere Rolle in den legitimistischen Frage n spielte . Das drückt sich auch in dem regen Interesse aus, da s Arnulf sofort nach Karls Erhebung an diesem Lande zeigte . Er durchreiste es im Frühjahr 893 und knüpfte vor allem die Beziehungen zu den lothringischen Bischöfen fester 1. Aus die- sem Vorgehen hat Odo anscheinend die Zuversicht gezogen , ein Angriff seinerseits auf Karl werde ihm den Sieg bringen , da Arnulf voraussichtlich ihm dabei Hilfe gegen den Rivale n leisten würde. In diesem Augenblick trat aber eine überraschende Wendun g ein. Die Partei Karls erkannte, dass sie Odo gegenüber nicht stark genug war, und wandte sich deshalb an Arnulf um Unter- stützung 2. Karl selbst verliess heimlich Reims und erschien zu einem Reichstage, den Arnulf gerade in Worms hielt. Welche Angebote er zu einem Vergleich mit dem ostfränkischen Köni g mitbrachte, lässt sich nicht erschliessen . Regino von Prüm

1. Vgl. Ann. Fuld. Conlin . Ratisbon . 893 ; Regina 893. 2. Ann. Vedast, 894 ; vgl, auch Regina 893 . 168 schreibt zwar, Karl habe mit grossen Geschenken Arnulf für sich gewonnen, es ist aber gewiss, dass das allein nicht de n politischen Wechsel herbeiführen konnte . Über den Ausgang des Zusammentreffens drücken sich die Quellen ebenfalls nicht klar aus. Regino erklärt, Karl habe das Reich, das er usurpiert hatte, aus Arnulfs Händen empfangen 1, die Annalen von St . Vaast schreiben, Arnulf habe Karl das väterliche Reich einge- räumt 2, während die Annalen von Fulda sehr zurückhalten d erklären, Arnulf habe Karl mit Wohlwollen aufgenommen und entlassen B. Dieses Schweigen der ostfränkischen Quell e über Einzelheiten ist allerdings wohl daraus zu erklären, dass die anschliessende Aktion Arnulfs zugunsten Karls missglückte. Bemerkenswert aber ist in diesem Zusammenhang sicherlich, dass die Annalen von St, Vaast und die von Fulda die Verwand- schaft zwischen beiden Königen erwähnen . Man darf also vermu- ten, dass die Einigung auf dieser verwandschaftlichen Basis geschehen ist. Den Schlüssel hierzu geben die Worte Regieios, der ausdrück- lich sagt, Karl habe das von ihm usurpierte Reich aus der Han d Arnulfs empfangen. Demnach hat Karl in Worms zugegeben, dass er die Herrschaft nicht zu Recht besitze, und hat sie darauf von Arnulf angenommen . Der ostfränkische König schuf durch diese Einsetzung eine Rechtslage, die Karl von vorneherein au f das ihm überlassene Gebiet beschränkte . Darauf deutet auch di e Ausdrucksweise der Annalen von St. Vaast hin, das väterlich e Reich sei Karl von Arnulf eingeräumt worden, also doch in eine r Weise, dass diesem ursprünglich der Besitz des ganzen Gebiete s zugestanden habe. Hierin wird Arnulf die gesamte Rechtsgrund- lage für sein Auftreten gefunden haben . Indem nämlich ein Teil der westfränkischen Grossen sich von Odo abwandte und, nach der Ausdrucksweise in Fulkos Brief an Arnulf 4, den legitimen Erben erhob, gestaltete sich für die ostfränkische Auffassung di e Lage im westfränkischen Reich von Grund auf anders . Denn bei einem Zurückgreifen auf die Legitimität konnte Arnulf seine

s. a .. .regnumque, quod usurpaverat, ex eius manu percepit » . Regino 893. 2. a .. .eique regnum paternum concessit .. . » Ann. Vedast. 894 . 3. a . . .quem rex cum dilectione suscepit et absolvit N . Ann . Fuld . Contin . Ratisbon . 894 . 4. FLOD . Hist . Rem. Eccles, IV, 5, 169 zeitlich frühere Erhebung als Karolinger geltend machen un d somit beanspruchen, dass das westfränkische Reich also damals , als Odo gewählt worden war, in Wirklichkeit ihm zugestanden habe, dass also Karl mit seinen Ansprüchen nach ihm komme . Sobald demnach Karl das Seniorat Arnulfs und dessen urspriin- gliche Berechtigung auf den Besitz des Gesamtreiches aner- kannte, und das hat er zweifellos in Worms getan, hatte de r ostfränkische König ausserordentlich viel erreicht . Ein weiteres Festhalten am Bündnis mit Odo besass wenig Sinn. Denn dieses Bündnis hätte Karl nicht gehindert, nach Festigung seine r Herrschaft Ansprüche an Arnulf zu erheben ; dagegen war e s wesentlich besser, durch Karls Unterwerfung eine Rechtslage zu schaffen, die ihn unter Umständen auch gegenüber seine n Anhängern binden konnte 1. Eine Einigung mit ihm war auc h noch aus dem Grunde angebracht, dass Arnulfs Pläne zu einer Erhebung seines ausserehelichen Sohnes Zwentibold zum König von Lothringen auf diesem Reichstage zu grossen Widerstand fanden 2, so dass er sie aufschieben musste. Welche Bedeutung aber diese Pläne auch im Rahmen seiner westfränkischen Poli- tik besassen, wird aus den Geschehnissen des Wormser Reichs- tages im folgenden Jahre noch deutlicher hervorgehen. Der Sinn der Ereignisse in diesem Jahre 894 wird also der gewese n sein, dass Arnulf eine Art Führung in der karolingischen Sache übernommen hat . Bei der Ausführung der hierbei entworfenen Pläne ergab sic h aber eine unerwartete Schwierigkeit . Arnulf konnte nämlich jetzt seine Vorrangstellung nur dann behaupten, wenn durch seine Hilfe Karl zur Herrschaft im westfränkischen Reiche gelangte . Das jedoch misslang . Die von Arnulf gegen Odo entsandten

1. Df7MMLER (Geschichte des ostfränhischen Reiches, Band II, Berlin 1865, S. 386) hat zwar gemeint, Arnulfs Vorgehen sei wohl kaum durch Fulkos Hinweis auf das gemeinschaftliche Interesse des karolingischen Hauses zu erklären , weil er doch gegenüber der Legitimität Karls für die Nachfolge seines eigene n Sohnes Ludwig habe fürchten müssen . Diese Annahme ist jedoch keineswegs zwingend, vielmehr hat gerade im Zusammenhang mit Arnulf Tellenbach darauf hingewiesen, dass die illegitime Geburt nicht unbedingt mit einem gerin- geren Ansehen verbunden war, wie auch in dieser Frage die rechtliche Situatio n nicht in einem durchaus absoluten Sinne gesehen werden darf (Zur Geschichte Kaiser Arnulfs, Historische Zeitschrift Bd. 165 (1942), S. 231 ff.) . 2. Vgl. Regino 894. 170

Streitkräfte wagten keine Schlacht, weil der Gegner zu stark war 1. Der ostfränkische König scheint darüber sehr beunruhigt gewesen zu sein, besonders im Hinblick auf Lothringen . Denn auf der Synode zu Tribur im Mai 895 suchte er das Band zu de n lothringischen und ostfränkischen Bischöfen weiter zu festigen . In den Akten dieser Synode erscheint er als der von Gott er- wählte und allen vorgesetzte König 2. Er legte dabei Wert darauf, als Beschützer der Kirche gesehen zu werden, die Wech- selreden zwischen ihm und dem Klerus erinnern an das Verhält- nis westfränkischer Könige zur Kirche . Dabei entsteht der Eindruck, als habe man sich bemüht, den christlichen Königsge- danken, der im westfränkischen Reich z . B . zu Zeiten Karls d. Kahlen so starke Geltung erlangt hatte, jetzt auf das Königtum des ostfränkischen Reiches zu konzentrieren. Vielleicht wollte man auf diesem Wege einer vom Westreich her möglichen karo- lingischen Restauration, vor allem in Lothringen wirksam entgegentreten und darüber hinaus Ansprüche A.rnulfs auf das gesamtfränkische Königtum und das Kaisertum festigen . Anschliessend kam es zu einer merkwürdigen Änderung de r ostfränkischen Politik. Die Quellen berichten darüber nicht ein- heitlich. Die Annalen von St. Vaast schreiben, Arnulf habe auf Grund von Klagen über die unleidlichen Verhältnisse zwische n Odo und Karl beide zu sich geladen, um über ihre Sache z u entscheiden 3. Hiervon wissen die andern Quellen nichts . Die Annalen von Fulda berichten, Odo sei zu einem Reichstage

r . Ann . Vedast . 894 ; Regina 893 . 2. N Quapropter rex regnum, cuius cc regnum cc, ut psalmista canit, « regnum est omnium saeculorum cc, omnibus ecclesiasticae sublimitatis ordinibus nec non et secularis potentiae dignitatibus novum principem Arnolfum regem pacifico ordine perpetuae tranquillitatis praeferre dignatus est, cuius cor sancti Spiritus ardore infiammare et zelo divini amoris voluit accendere, ut totus cognoscat mundus non ab homine neque per hominem, sed per ipsum Dominu m eum esse electum cc. MG Capitularia II, Nr. 252. Der Anklang an Vorstellungen, wie sie im Ordo von 817 festgelegt wurden, ist dabei deutlich . Ober das Verhältnis Arnuifs zur Kirche ist jetzt gegenüber älteren Meinungen Tellenbach, a. a . O. HZ 165, 239 if. heranzuziehen . 3, cc Constricti vero hi qui sequebantur Karolum — nam Odo rex eis quic- quid in Francia habuerant tulerat — Burgundiam acriter depopulati sunt . Venitque clamor eorum ad aures Arnulfi regis. Qui missos in Franciam mitten s iussit, ut Odo et Karolus ad eum venirent, quatinus tantae calamitatis malu m inter eos finiret . Ann. Vedast . 895. 171 nach Worms gekommen, sei von Arnulf ehrenvoll empfangen und nach einigen Tagen ebenso entlassen worden 1. Regino schildert den Wormser Reichstag in besonderer Art, indem e r zunächst die Erhebung Zwentibolds zum König von Lothringen als den Hauptzweck dieses Tages hinstellt. Zu dieser Versamm- lung sei auch noch Odo gekommen, sei von Arnulf ehrenvoll aufgenommen worden und habe alles erlangt, weswegen e r gekommen sei 2. Die Annalen von Fulda erwähnen übrigens in dem ganzen Zusammenhang Karl gar nicht . — Regino und die Annalen von St . Vaast dagegen nähern sich in ihrem weiteren Bericht wieder etwas . Die letzteren erzählen nämlich, die Anhän- ger Karls hätten ihm abgeraten, der Vorladung Arnulfs persän- lich Folge zu leisten, und es sei daher nur eine Gesandschaf t nach Worms abgefertigt worden . Diese sei dem vom Reichstage zurückkehrenden Odo begegnet und von ihm auseinanderge- sprengt worden . Diesen letzteren Teil, d . h. den Kampf, erzählt auch Regino, ohne dass er einen Grund für die Abfertigung de r Gesandschaft angibt. In unserer Zeit ist man allgemein der Darstellung der Annale n von St. Vaast gefolgt, man hat also angenommen, Arnulf sei auf Grund von Beschwerden aus dem westfränkischen Reiche als Schiedsrichter aufgetreten . Feststehend erscheint indes nur die Tatsache, dass beide westfränkische Könige danach Streb- ten, irgendwie in Worms vertreten zu sein . Dabei muss al s Möglichkeit offen gelassen werden, dass sie diesen Schritt nicht auf Grund einer Aufforderung Arnulfs, sondern von sich au s taten. Von Wert für die Beurteilung dessen ist der Umstand , dass Karl nicht persönlich nach Worms reiste, was sehr ver- dächtig erscheint . Als Gründe glaubte die Forschung gelten d machen zu können, seine Anhänger hätten die Wege infolge de r Macht Odos für allzu unsicher gehalten, oder sie seien beunruhigt gewesen über die lässige Unterstützung, die Karl von Arnulf

i. cc Regale equidem placitum Wormacia habitum est. Ibn Odo rex Gallige ad fidelitatem regis cum muneribus veniens ab eo honorifice susceptus est et post paucos dies in sua, prout venerat, placabili licentia reversus est D . Ann. Fuld. Gontin . Ratisbon. 895 . 2 . a In eodem placito Odo rex cum magnis muneribus ad Arnulfurn venit, a quo honorifice susceptus est. Omnibusque impetratis, pro quibus venerat .. . n .Regino 895. 172

erfahren hatte, oder sie hätten der Lage in Worms überhaupt nicht getraut 1. Immerhin sieht das Benehmen Karls doc h eher so aus, als sei bereits eine gewisse Vorentscheidung beim ostfränkischen König gefallen gewesen . Werfen wir in diesem Zusammenhang einen Blick auf die eigentlichen Ereignisse in Worms. Dort wurde nach dem Erschei- nen Odos die Entscheidung Arnulfs offenbar : er gab die Sache Karls auf, indem er dessen Gegner ehrenvoll empfing . Das geschah aller Wahrscheinlichkeit nach nicht allein deswegen , weil Karl ausgeblieben war . Aus den Formulierungen der Quellen klingt noch nach, wie vollständig diese zwischen Odo und Arnulf geschlossene Einigung war 2. Deren Basis könnte in der Teilnah - me Odos an der Erhebung Zwentibolds zum König von Lothrin- gen liegen . Darüber berichten allerdings ausdrücklich nur di e Annalen von St . Vaast, doch sind das Schweigen der Annalen von Fulda und die Zurückhaltung Reginos so zu erklären, das s man die Selbständigkeit der Erhebung Zwentibolds nicht durch den Bericht über eine Teilnahme Odos abschwächen wollte . Die Annalen von St . Vaast wiederum bringen das Ganze in einer derartigen Verknüpfung, als habe gewissermassen das Ender- gebnis des Wormser Tages in dem guten Ausgang der Sach e Odos und in seiner Teilnahme an Zwentibolds Erhebung be - standen 3. Hierin muss man wohl noch Reginos Worten mehr Beachtung schenken, der den Hauptzweck des Reichstages i n Worms in Zwentibolds Sache sah und nicht in den Verhandlungen mit Odo. Auffallend erscheint es auch, dass in den Annalen vo n St. Vaast und in denen von Fulda die Erhebung zum König un d die Ùbertragung Lothringens deutlich als zwei Akte voneinander getrennt sind 4.

I . DUUMMLER, a. a. O. II, 406 ; FAVRE, ÉDOUARD, Eudes, comte de Paris et roi de France (88z-898), Biblioth. de l'École d. Hautes Études, fasc. 9g, Paris 1893, S. 173 ; EcKEL, AUGUSTE, Charles le Simple, ebenda fsc. 224, Paris 1899, S. 17. 2. Regino sagt dabei deutlich : «omnibusque impetratis, pro quibus vene- rat» (895). 3. «Rex vero ilium cum honore accoepit atque cum laetitia ad sua remisit, filiumque suum rex Arnulfus in praesentia Odoni regis nomine Zuendebolchum benedici in regem fecit eique concessit regnum quondam Hlotharii ». Ann . Vedast. 895. 4. « Zwentiboldus ergo filius regis infulam regni a patre suscipiens in Bur- gundia et omni Hlotharico regno receptis eiusdem primoribus rex creatus est 173

Zwentibold wurde also nicht als ein König von Lothringen , sondern als ein König schlechthin erhoben . Man hat zwar in dem ganzen Vorgang lediglich eine Ausstattung sehen wolle n zum Ersatz dafür, dass er nach der Geburt des legitimen Sohnes Ludwig nicht mehr im Reich nachfolgen konnte . Aber nach de r Sorgfalt, mit der Arnulf die lothringische Politik in den letzten Jahren behandelt hatte, ist schwer anzunehmen, dass er eine n so wichtigen Reichsteil lediglich als Ausstattung einem Sohne gab , dessen unbeständige und unkluge Charakterart ihm doch bekannt war. Und dazu erhielt Zwentibold sehr weitgehende Befugniss e in Lothringen, die an Selbständigkeit grenzten . Linien einer Bindung erscheinen auf den ersten Blick gar nicht, so dass man ihn nur noch in einem Abhängigkeitsverhältnis des Sohnes zum Vater, sonst aber völlig unabhängig gesehen hat 1. Die grundlegenden Bedingungen dieses Verhältnisses lage n wohl in der Art der Erhebung Zwentibolds . Allerdings, wenn die Annalen von St . Vaast recht hätten, dass Arnulf seinen Sohn zum König salben liess, so hätte das dessen Selbständigkeit bedeutend erhöht, zumal da eine Königsweihe bisher im ostfrän- kischen Gebiet nicht gebräuchlich gewesen war . Dann wäre in einem ganz besonderen, sogar allgemeingültigen Sinne da s lothringische Königtum als Gegengewicht gegen Karl eingesetz t worden 2. In dieser Hinsicht dürfen aber die Annalen von St. Vaast nicht zu ernst genommen werden, denn auf der ander n Seite berichtet Regino ja gar nichts von einer Königserhebung , während die Annalen von Fulda den Vorgang so darstellen, als habe Zwentibold die Königsinsignien aus der Hand des Vaters empfangen, wobei von einer kirchlichen Weihe nicht die Red e ist. Der ganzen Sachlage nach dürfte diese Darstellung de m

Ann. Fuld. Contin . Ratisbon . 895. Der Text der Ann. Vedast . ist bereits zitiert. Regino spricht nicht von der I{önigserhebung Zwentibolds, er nennt ihn auc h merkwürdigerweise nie König mit der einzigen Ausnahme in einem Nachsatz z u dessen Tode : « ...isdem Zuendibolch in prelio interficitur Idus Augusti. Eodem anno Gerardus comes Odam uxorem eiusdem Zuendibolch regis sibi in matri- monium copulat ». Regino 900 . Der Satz liest sich wie ein nachträglicher Zusatz . 1. Vgl. z. B. die Zusammenstellung der Meinungen bei GUSTAV RITEN, Das Unterkönigtum im Reiche der Merowinger und Karolinger, Heidelberger Abhandl . z, mittl. u . neueren Gesch . H. 18, Heidelberg 1907, S . 196, Anm. r. 2. Vgl. dazu PARISOT, ROBERT, Le royaume de Lorraine sous les Carolingiens (843-923), Paris 1898, S. 516. 174

wirklichen Vorgang entsprechen, während der Annalist von St. Vaast vielleicht gedankenlos ein ihm aus den westfränkische n Verhältnissen geläufiges Wortbild gebrauchte 1. Das Königtum Zwentibolds wäre also in diesem Falle ein reines, von Arnulf geschaffenes Unterkönigtum gewesen, und da dieses Unterkö- nigtum auf sich selbst und nicht als lothringisches eingesetzt erscheint, so war es wohl mehr als eine amtliche Funktion gedacht. Die tatsächliche Selbständigkeit, mit der wir Zwentibold anschliessend auftreten sehen, war wohl einerseits auf sein e persönliche Charakterart zurückzuführen, andererseits dadurch möglich, dass Arnulf jetzt die Lage an den Westgrenzen seine s Reiches so geregelt erachtet, dass die weiteren westfränkische n Streitsachen ihn nicht mehr in erster Linie interessierten . Für ihn hatte das Schwergewicht seiner Handlungsweise darin gelegen, das unruhige Lothringen besser auf die Seite der ostfränkischen Karolinger zu binden . In diesem Lichte besehen , ist aber dann die Entscheidung über die grossen Linien diese r Politik schon damals gefallen, als Arnulf das erste Mal versuchte, Zwentibold zum König zu erheben, also auf dem gleichen Reichs - tage zu Worms, auf dem der sich mit Karl geeinigt hatte. Somit müssen also auch die Ereignisse des Reichstages von 895 und der Wechsel Arnulfs von Karl zu Odo im Lichte dieser lothringischen Frage betrachtet werden, die in diesen Jahre n eine Schlüsselstellung in der ostfränkischen Politik eingenomme n hat . Danach war Arnulfs Einigung mit Karl im Jahre 894 durc h den Umstand bedingt, dass er damals seine lothringischen

1 . Nach Abschluss der vorliegenden Arbeit wurde mir die soeben erschie- nene Studie bekannt, die MARTIN LINTZHL noch kurz vor seinem Tode fertig - stellte (Heinrich I. und die fränkische Königssalbung, Berichte d . sächs. Akad . d. Wissensch . phil.-hist. Kl. rot, H. 3, Berlin 1955). Darin nimmt auch er an, a die Ann. Vedastini könnten in ihrer Ausdrucksweise durch westfränkische Anschau- ungen bestimmt sein (S . 29, Anm. I) . Schon früher hat P. E. SCHRAMM in seiner Studie n Die Krönung in Deutschland bis zum Beginn des Salischen Hauses » (Zeitschrift d . Savigny-Stiftung Bd. 55, kanon . Abt. Bd. 24 (1935), S. 190 ff.) zur Annahme geneigt, dass Arnulf dem Sohne die Krone überreicht habe, als o im Sinne des Berichtes der Annalen von Fulda . Daneben hat er aber auch an de m Bericht über die Salbung festgehalten, weil er es für möglich hielt, dass Arnul f durch die Salbung das Königtum Zwentibolds besser festigen wollte angesicht s des ursprünglichen Widerstandes der Grossen . Es dürfte allerdings bei einem Blick auf den Charakter des Königtums Zwentibolds doch eher anzunehme n sein, dass eine Salbung nicht stattfand . 175

Pläne mit Zwentibold nicht durchführen konnte . Denn in diesem Falle war es ja tatsächlich besser gewesen, sich mit Karl zu. einigen, um seine Konkurrenz in Lothringen auszuschalten . Der unentschiedene Ausgang der Auseinandersetzung zwische n Karl und Odo liess die lothringische Gefahr weiter bestehen . Denn die Lothringer konnten sich leicht auf die Seite des einen oder andern schlagen . Daraus erklärt sich auch das Zögern Arnulfs, nachdem seine erste Hilfsaktion für Karl fehlgeschlage n war. In dem Masse nämlich, wie jetzt seine lothringischen Plän e mit Zwentibold einer Verwirklichung entgegengingen, war ein Hinhalten bei den westfränkischen Auseinandersetzungen rat- sam. Dagegen ergab sich für Karl und Odo beim Bekanntwer- den dieser Pläne eine neue Situation . Odo hat zweifellos hie r sofort eine Gelegenheit zur Einigung mit Arnulf erkannt, denn er konnte das alles ohne Bedenken annehmen . Für Karl dagegen, der doch auf legitimistischen Ideen fusste, war die Lage schwieri- ger. Somit ist eher anzunehmen, dass Karl und Odo nicht nach Worms vorgeladen wurden, sondern dass sie sich aus eigenem Interesse um Verhandlungen mit Arnulf bemühten . Bei der ganzen Sachlage konnte dann Karl von vorneherein erkennen , dass er im Nachteil war, dass also die Entscheidung im Prinzi p bereits im voraus gefallen war, so dass es ratsam war, zunächst nicht persönlich mit Arnulf zu verhandeln 1. Auf welchem Wege die Gesandschaft, die er abfertigte, der neuen Stellung Odos am ostfränkischen Hofe entgegenwirken wollte, können wir nich t mehr ersehen, aber ihr Auftrag darf vielleicht indirekt aus de r

x. Mrrrzxs (Lchnrecht und Staatsgewalt, Weimar 1933, S. 213 f.) hat die ganzen Vorgänge auf eine bestechende Weise zu erklären gesucht . Danach habe Arnulf an Odo nicht das Land übertragen, sondern das Herrscheramt . Und so habe Arnulf, ohne sich zu widersprechen, mehrmals zwischen Odo und Karl wechseln können, so dass die Auseinandersetzung im Lichte eines Prozesse s zweier Vasallen vor dem Lehnsherrn erscheine . Die Entscheidung über den eigentlichen Sinn von Arnulfs Handlungsweise liegt indes wohl dabei, ob er sic h weitgehend von rechtlichen Vorstellungen leiten liess, oder ob er mehr nach de n Erfordernissen der Praxis handelte . Die Einwirkung solcher praktischer Faktoren der historischen Entwicklung erscheint immerhin in den Quellen so bedeutsam , dass es schwer ist, ihre Geltung bei Arnulfs Verhalten in den Hintergrun d treten zu lassen .

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Tatsache erschlossen werden, dass Karl sich anschliessend mi t Zwentibold verbunden hat .

Saarbrücken. Walter MOHR.