Porträt Einer Europäischen Kernregion
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Porträt einer europäischen Kernregion Der Rhein-Maas-Raurn in historischen Lebensbildern Herausgegeben von Franz Irsigler und Gisela Minn Kliomedia • Trier 2005 ZWENTIBOLD (870-90 KÖNIGVON Ein merk-würdiger Heiliger _ von Thomas Bauer Dreizehnter August. Nicht jener dreizehnte August, der jüngere deutsche Geschichte schrieb, sondern ein dreizehnter August, bevor esdeutsche Geschichte überhaupt gab. Es ist der 13.August 900, irgendwo nahe der Maas nördlich von Maastricht im Limburgischen, vielleicht bei Susteren und damit doch nur einen Steinwurf von der heutigen deutschen Staatsgrenze entfernt. Sie stehen sich gegenüber, zum Kampf bereit. Ein König auf der einen Seite, die mächtigsten Großen seines Reiches auf der anderen, fest entschlossen, ihn zu stürzen. »Das wird nicht gut gehen«, befürchtet König Zwentibold und läßt seinen Blick über die angstvollen Gesichter der wenigen Getreuen schweifen, die ihm noch verblieben und die noch bereit sind, für ihren König zu kämpfen. Es sind wahrlich nicht viele, und Zwentibold kennt sie alle mit Namen. Angst, die er bislang nie erfahren hatte, ergreift ihn schließlich selbst. Er schließt die Augen, um die siegessicheren Blicke nicht spüren zu müssen, die die übermächtigen Gegner auf ihre Beute werfen, die ihnen diesmal nicht mehr entkommen kann. Er bedeckt die Ohren, um ihr höhnisches Gelächter nicht ertragen zu müs- sen, das aus der Ferne über sein kümmerliches letztes Aufgebot herüberhallt. Er schließt den Mund, um seinen paar Leuten nicht gestehen zu müssen, was sie vielleicht längst schon wisse\l: Diesmal sind die Gegner, angeführt von dem stolzen, unbeugsamen Geschlecht der Matfridinger, namentlich den drei Brü- dern und Grafen Gerhard, Matfrid und Stephan, zum äußersten entschlossen. Diesmal werden sie nicht weichen, ohne die Sache zu Ende gebracht zu haben. Ein Gedanke fährt Zwentibold blitzartig in den Kopf und läßt ihn erschaudern: Sie wollen seiner Königsherrschaft hier und jetzt ohne Kompromisse ein Ende setzen, das ist klar, aber doch nicht seinem Leben. Oder vielleicht doch? Sie wollten und sie taten es. An jenem 13. August 900 fiel König Zwenti- bold, und mit seinem Tod fand auch die Existenz eines eigenen Königreiches Lotharingien ihr Ende - ein unwiederbringliches, wie der weitere Verlauf der Geschichte zeigen sollte. Vielleicht hat Zwentibold die letzten Augenblicke seines Lebens so oder ähn- lich empfunden, wie es in der erdachten Eingangsszene konstruiert worden ist. Über biographische Details, Elemente des Alltagslebens frühmittelalter- licher Herrscher und insbesondere über ihre Denkweisen und Gefühls- weisen ist generell zu wenig überliefert, um sich als moderner Betrach- ter in die Rolle und in die Situation der historischen Person hinein versetzen zu können. Ein solcher Versuch muß aus Sicht des Historikers zwangsläufig scheitern, weil er gezwungen wäre, das Erdachte und Konstru- ierte, die Fiktion über das historisch Greifbare und Erfahrbare zu erheben. So bleibt der folgende Beitrag, anders, als es die Eingangsszene zunächst anneh- men ließe, ganz auf dem sicheren Boden der Konzepte und Methoden perso- nengeschichtlicher Forschung und ihrer Präsentation. Wenn, wie dies insbeson- dere im zweiten, mit dem Nachleben Zwentibolds befaßten Teil der Fall sein wird, die nüchterne, sachliche Darstellung gelegentlich durch Streiflichter etwas aufgelockert wird, so soll dies der beabsichtigten Breitenwirkung eines Histori- schen Lesebuches durchaus entsprechen. Konkret in diesem Fall soll dazu beige- tragen werden, das Interesse an einer wenig bekannten, aber nicht unbedeuten- den historischen Person, am »heillgen« König Zwentibold, zu vertiefen. Zwentibold erblickte 870 als erstgeborener Sohn des Karolingers Arnulf »von Kärnten«, des späteren ostfränkischen Königs und Kaisers, das Licht der Welt. Seine Mutter war Winburg, die Arnulf später noch einen weiteren Sohn namens Ratold schenkte. Die Verbindung zwischen Arnulf und Winburg war nach den weltlichen und kirchlichen Eherechtsbestimmungen auf ihrem bis zum 9. Jahr- hundert erreichten Stand keine vollgültige, keine legitime Ehe. Winburg war eine Konkubine. Dies hatte weitreichende Konsequenzen im Hinblick auf die Herrschaftslegitimation Zwentibolds {und Ratolds), auf die unten noch näher einzugehen sein wird. Schon als Säugling wurde Zwentibold in die Politik seines Vaters eingebun- den. Seine Taufe 871 stand deutlich im Zeichen der Aussöhnung Arnulfs mit dem Mährerfürsten Svatopluk, dessen militärische Aktionen - unter anderem war es ihm gelungen, die mährische Herrschaft bis in das Donauland um Wien vorzuschieben - die Kräfte des ostfränkischen Reiches in dessen östlichen, vor allem südöstlichen Grenzgebieten wiederholt und in intensiver Weise gebunden hatte. Svatopluk fungierte als Taufpate Zwentibolds und gab ihm seinen Namen (Svatopluk = fränkisch Zwentibold). Zwentibold (87fr900). König von Lotbaringien - Ein merk-würdiger Heiliger 1 Zusammen mit seinem Jungeren Bruder Ratold wuchs Zwentibold im Südosten des ostfränkischen Reiches auf Sein Vater Arnulf war und blieb dort mit militärischen Aufgaben betraut und erhielt 876 dann mit »Karan- tanien« (Kärnten in einem weiteren Sinne) ein konkretes Herrschaftsgebiet zugewiesen. Zwentibolds Jugend und seine frühen Erwachsenenjahre liegen im Dunkeln; die über den Südosten durchaus gut unterrichtete ostfränkische Geschichtsschreibung dieser Zeit berichtet nichts darüber. Zwentibold trat erst wieder in das Blickfeld der Geschichtsschreiber, als sein Vater Arnulf in einem durchaus umstrittenen Akt - seiner Einsetzung war die Absetzung des regierenden Herrschers Kaiser Karls Ill. des Dicken vorausgegangen - 887/888 die ostfränkische Königsherrschaft an sich gebracht hatte. In der Tradition der Vorgänger bemühte sich Arnulf nach seinem Herrschaftsantritt sofort um die Regelung und Sicherung seiner Nachfolge, natürlich für seine beiden Söhne Zwentibold und Ratold. Die Pläne Arnulfs scheiterten zunächst am - offenbar breiten - Widerstand der Großen des ostfränkischen Reiches, der auf dem Argument der »illegitimen« Geburt der beiden Arnulf-Söhne beruhte. Eine Nachfolge Zwentibolds und Ratolds im ostfränkischen Königtum war damit zumindest prinzipiell in Frage gestellt. Völlig überzeugen konnte diese recht- liche Begründung allerdings insofern nicht, als König Arnulf selbst »illegl- tirner« Herkunft war, hervorgegangen aus einer nichtehelichen Verbindung seines Vaters Karlmann. War der Eigenanteil Arnulfs bei der Absetzung seines Vorgängers und seiner Königserhebung, wenn dies in der Forschung auch immer noch kontrovers diskutiert wird, wohl ein maßgeblicher, so hätte der Umsturz 887/888 ohne das entscheidende Mitwirken zahlreicher ostfränki- scher Großer sicherlich keinen Erfolg gehabt. Die Gegner der Nachfolgepläne Arnulfs argumentierten nun also mit de Iure-Positionen, die sie unmittelbar zuvor beim Herrschaftsantritt Arnulfs nicht geltend gemacht und unter ande- rem damit das Königtum Arnulfs de facto überhaupt erst ermöglicht hatten. Die Ereignisse der folgenden Monate zeigen, daß Arnulf diesen Widerspruch geschickt auszunutzen verstand. Schon 889 konnte er seine Nachfolgepläne zu einem erfolgreichen Abschluß bringen, der nur aus der Sicht der wider- spenstigen Großen als Kompromiß gewertet werden konnte; denn faktisch hatte sich Arnulf völlig durchgesetzt. Im Rahmen eines Reichstages in Forch- heim, der unter anderem die Nachfolgeregelung in der ostfränkischen Königs- herrschaft zum Verhandlungsgegenstand hatte, leisteten die versammelten ostfränkischen Großen folgenden Eid: Im Todesfall Arnulfs werden sie der Nachfolge Zwentibolds und Ratolds im ostfränkischen Königtum und einer Aufteilung des Reiches zustimmen, allerdings nur unter dem Vorbehalt, daß Arnulf wie bisher auch weiterhin bis zu seinem Tode ohne legitime männliche Nachkommen bleibe. Arnulf kann diesen Zusatz als eine reine Formalklausel verstanden haben, doch sollte gerade diese doch wirksam werden und die Zwentibold (8,()--{)OO), König von Lotharingien weiteren Geschicke nicht nur des Reiches, sondern auch Zwentibolds ganz entscheidend bestimmen. 893 nämlich wurden die Forchheimer Abmachungen durch eine völlig neue Grundlage in der Nachfolgeregelung zur Makulatur. Arnulf wurde von der aus konradinischem Haus stammenden Uta, mit der er eine vollgültige Ehe ein- gegangen war, ein Sohn geboren, der bei der Taufe einen der karolingischen Leitnamen, Ludwig, erhielt. Die Nachfolge wurde sogleich auf diesen Ludwig, der dann in der ostfränkischen Zählung als der vierte König dieses Namens erscheint und den Beinamen »das Kind« erhielt, umgestellt. Die späte Geburt eines legitimen Nachfolgers von einer Stiefmutter, die gut drei Jahre jünger war als Zwentibold, markierte offensichtlich einen tiefen Einschnitt in dessen Leben, zumal er nun ein eigenes Königtum in der Nachfolge seines Vaters mehr als nur gefährdet sehen mußte. Gleichzeitig erweckte Zwentibold nun als Handlungs- träger, in dem Bemühen, seine Nachfolgeambitionen doch noch durchzusetzen, das Interesse der Geschichtsschreibung. Von 893 an nehmen die Berichte und Nachrichten über Zwentibold in den Quellen deutlich zu. So führte Zwentibold in der unmittelbaren Folgezeit der Geburt seines Stief- bruders Ludwig, in den Jahren 893 und 894, mehrere militärische Aktionen ost- fränkischer Außenpolitik an. Er bekämpfte hauptsächlich die nichtfränkischen reguli - so die Bezeichnung des Historiographen Regino von Prüm -, die in der Folge der erkennbaren Krise sowohl der westfränkischen wie der ostfränkischen Monarchie in den Jahren 887 und 888 auf dem Boden des großfränkischen