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Update für Demokratie Ein Projekt der Das ist unsere Demokratie! Heinrich-Böll-Stiftung

Demokratie ist ein Garant für Freiheit und Gleichheit – deshalb müssen Parteien und Parlamente für eine breite Bevölkerung attraktiver werden

• VON RALF FÜCKS Es gibt in Deutschland eine unselige Tradition der Sicherheit und Zugehörigkeit in einer Zeit rapider Parteienverachtung, der wir keinen Raum geben Veränderungen aufgefangen werden kann. Mit der Demokratie verhielt es sich bis vor kur- dürfen. Das ist auch eine Auff orderung an die Demokratie braucht eine Wiederbelebung zem wie mit mancher in die Jahre gekommenen Parteien, wieder attraktiver zu werden. Sie müs- des öff entlichen Raums, in dem sich die Bürge- Ehe: unspektakulär, ein bisschen langweilig, aber sen wieder stärker zu Orten politischer Debatte rinnen und Bürger mit ihren unterschiedlichen solide. Diese Zeiten sind vorbei. Eine aggressive werden, um die Willensbildung der Gesellschaft Auff assungen begegnen können. Das soziale Stimmung gegen »die da oben« macht sich breit. zu bündeln und ihr eine Richtung zu geben. Sie Auseinanderfallen unserer Städte untergräbt die In Europa sind rechtspopulistische Parteien auf sollten sich für neue gesellschaftliche Fragen und republikanische Öff entlichkeit. Gleiches gilt für dem Vormarsch. Die weltoff ene, liberale Demo- Initiativen öff nen. Und sie müssen sich der Dis- das Auseinanderfallen des Internets in »digita- kratie gerät unter Druck. Wir sind aufgerufen, kussion stellen, ob sie sich stärker zurücknehmen le Echoräume«, in denen man sich nur noch mit die Grundlagen unserer freiheitlichen Verfassung müssen, wenn es um die Arbeit öff entlicher Institu- Gleichgesinnten in der eigenen Meinung bestärkt. gegen ihre Verächter zu verteidigen. Das gelingt tionen und die Besetzung öff entlicher Ämter geht. Deshalb ist jede Investition in öff entliche Räume aber nicht nur durch gut gemeinte Aufrufe und Ap- Auch die Parlamente können einiges tun, um und Infrastrukturen auch eine Investition in unsere pelle. Wir müssen genauer hinsehen, was schief an Ausstrahlung und Autorität zu gewinnen. Sie Demokratie. gelaufen ist und wo die Demokratie besser werden müssen wieder zum Zentrum der öff entlichen De- Nicht zuletzt müssen wir einen neuen Anlauf zur kann. Selbstbehauptung braucht auch Selbstver- batte werden. In den Volksvertretungen sollte sich Stärkung der europäischen Demokratie nehmen. gewisserung. die Vielfalt der Meinungen spiegeln. Das ist der Zentrale Herausforderungen wie die Regulierung Für die Heinrich-Böll-Stiftung und ihre Landes- Sinn der repräsentativen Demokratie. Es ist ungut, der Finanzmärkte oder die Flüchtlingsfrage lassen stiftungen stehen drei Fragen im Vordergrund: wenn sich wachsende Teile der Bevölkerung nicht sich nur noch gemeinsam lösen. Wir müssen nach Wie können wir Bürgerinnen und Bürger stärker mehr repräsentiert fühlen. Kontroverse Debatten neuen Wegen suchen, demokratische Willensbil- in politische Entscheidungen einbeziehen? Wie sind besser als Ausgrenzung. dung auf europäischer und nationaler Ebene zu kann es den Parteien gelingen, neues Vertrauen verzahnen. Eine lebendige demokratische Praxis zu gewinnen? Und wie können wir gewährleisten, Mehr Verantwortung in den europäischen Mitgliedsstaaten bleibt die dass sich alle gesellschaftlichen Schichten in der Grundlage für das Gelingen der europäischen repräsentativen Demokratie wiederfi nden? für die gemeinsame Demokratie. Gleichzeitig müssen nationale Par- Europapolitik teien, Parlamente und Regierungen mehr Verant- Erneuerung von Parteien wortung für die gemeinsame europäische Politik Die Demokratie ist das Gehäuse der Freiheit. Sie übernehmen. und Parlamenten zu verteidigen, heißt die Liberalität unserer Ge- Die Heinrich-Böll-Stiftung bietet im Oktober In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Bun- sellschaft zu verteidigen. Die off ene Gesellschaft fünf »Demokratie-Dialoge« in Stuttgart, Köln, desländer und Kommunen auf den Weg gemacht, bietet Raum für eine Vielzahl von Überzeugungen Dresden, Potsdam und Hamburg an, in denen die neue Formen der Bürgerbeteiligung zu erproben. und Lebensformen. Sie fordert gleiche Rechte und hier aufgeworfenen Fragen diskutiert werden. Die Dabei geht es nicht um ein Abwälzen der politi- Chancen für alle, unabhängig von ihrer Herkunft, folgenden Beiträge sind eine Einladung zum Mit- schen Verantwortung von Parlamenten auf Ent- ihrem Geschlecht, ihrer Religion und ihrem sozi- denken über die Zukunft unserer Demokratie. scheidungen der Bürgerinnen und Bürger. Formen alen Status. Erst in dieser Vielfalt kommt Demo- direkter Demokratie sind keine Alternative, son- kratie zum Tragen. Der Ruf nach ethnischer und dern eine Ergänzung parlamentarischer Politik. kultureller Homogenität ist eine Kampfansage an Jetzt gilt es weitere Schritte in Richtung einer de- diese vielfältige Demokratie. Gleichzeitig müssen RALF FÜCKS ist Vorstand mokratischen Beteiligungskultur zu gehen. wir aber auch aufzeigen, wie das Bedürfnis nach der Heinrich-Böll-Stiftung. Foto: Reichstagskuppel, Foto: Manolo Gómez, CC BY 2.0, https://www.fl ickr.com/photos/verborrea/8264594641/

Willkommen in der Die Länder haben es Liebe Leserinnen und Leser, Einwanderungsgesellschaft in der Hand

unter dem Titel »Gut vertreten? Update Die neue Migration fordert uns heraus: Gegen den aufkommen- Landespolitik kann das Feld für mehr Teilhabe gestalten – und für Demokratie!« organisiert die Bun- desstiftung der Heinrich-Böll-Stiftung den Rassismus hilft vor allem eine starke Zivilgesellschaft sollte sich als Demokratielabor begreifen gemeinsam mit allen Landesstiftungen seit drei Jahren Analysen, Handlungs- • VON ANETTA KAHANE konzipierte Gesellschaft nicht bestehen. Das gilt • VON ROLAND ROTH sinnig etwas gestalten kann, und ein politisch vorschläge und Debatten zur Zukunft erst recht angesichts des derzeit grassierenden produktiver Umgang mit Initiativen der Bürger- unserer Demokratie. Die Schwerpunkte bil- Die Flüchtlinge, die in unser Land kommen, sind Rassismus. Im Unterschied zu 1969, als der Bundeskanzler schaft. den dabei die Verzahnung von repräsenta- Teil einer millionenfachen Migration, die durch Willy Brandt seine Regierungserklärung unter das tiven Institutionen und Bürgerbeteiligung, tiefe globale Krisen ausgelöst wurde. Diese Mig- Mitmachen Motto »Mehr Demokratie wagen« stellte, sind es Die Erwartungen sind hoch die Zukunft der Parteiendemokratie sowie ration triff t in ungewohntem Maße Europa – und heute vor allem die Bundesländer und ihre Kom- die Stärkung demokratischer Teilhabe. Ei- die Menschen, die bislang das Privileg genossen statt wegsehen munen, die sich auf die Suche nach zeitgemäßen Die Bundesländer verfügen über Handlungsspiel- nige dieser Impulse möchten wir Ihnen ger- haben, in einer stabilen Demokratie relativ unbe- Besondere Bedeutung kommt dabei dem Enga- Erweiterungen repräsentativer Verfahren bege- räume – trotz föderaler Einbindungen und Res- ne mit dieser Beilage weitergeben. Mehr rührt von den Konfl ikten der Welt zu leben, spü- gement auf kommunaler und regionaler Ebene ben. Sie reagieren darauf, dass deutliche Mehr- triktionen. Viele Ansätze einer demokratischen dazu fi nden Sie unter gutvertreten.boell.de. ren, dass man sich vor der Entwicklung nicht mehr zu. Mitmachen statt wegsehen, engagieren statt heiten aktuell mehr politische Mitsprache fordern. Vielfalt stecken noch in den Anfängen, benötigen Gleichzeitig sind Sie eingeladen, sich an abschotten und schützen kann. Das löst Ängste echauffi eren – jede und jeder Einzelne kann sei- Dabei soll auch die gestaltende Kraft der Zivilge- institutionelle Garantien, Ressourcen und profes- den »Demokratie-Dialogen« im Oktober aus. Ängste, die nicht dadurch beseitigt werden, nen Beitrag leisten, sei es durch den Besuch einer sellschaft darüber mitentscheiden, ob es gelingt, sionelle Unterstützung. zu beteiligen, deren Programme Sie eben- dass man ihnen die Vorteile der Globalisierung lokalen Hilfsgruppe, die Gefl üchtete unterstützt, die »dunklen« und antidemokratischen Strömun- Die Erwartungen an mehr Beteiligung sind falls in der Beilage fi nden. Unser herzlicher gegenüberstellt. Es sind Ängste vor dem Fremden, das Mitwirken in einem Bündnis für Toleranz oder gen einzuhegen, die gleichzeitig Oberwasser be- hoch: bessere und kostengünstigere Ergebnisse, Dank gilt allen Autorinnen und Autoren so- vor »Überfremdung«, die einen in der Gesellschaft über die bloße Teilnahme an politischen Diskussi- kommen haben. mehr Transparenz, größere Interessenberücksich- wie allen Mitwirkenden. schlummernden Rassismus wachrufen, der schon onen und Protesten gegen rechte Aufmärsche. Bundesländer mit grüner Regierungsbeteili- tigung, gestärkte Legitimation und gesteigerte Be- Teil der bundesdeutschen und vor allem Teil der Die Willkommenskultur ist nicht vorbei. Im Ge- gung haben sich auf den Weg in Richtung ei- reitschaft, die Resultate zu akzeptieren. Wir wünschen eine anregende Lektüre! DDR-Geschichte war, der aber nie wirklich thema- genteil! Sie rüttelt sich gerade auf ein arbeitsfähi- ner vielfältigen Demokratie gemacht. Program- Es ist nicht zuletzt an der Landespolitik, diese Ihre Heinrich-Böll-Stiftung (www.boell.de) tisiert wurde. ges Maß zurecht. An sehr vielen Orten engagieren matisch stehen dafür Baden-Württemberg mit Erwartungen einzulösen, indem sie sich als De- Die Bundespolitik ist dem bis heute, wenn sich Leute von Format, die Flüchtlinge unterstüt- einer »Politik des Gehörtwerdens« und Rhein- mokratielabor begreift. Für die Bündnisgrünen überhaupt, eher reaktiv als aktiv begegnet. Umso zen und ihre Integration begleiten. Ein aufmerk- land-Pfalz mit der Enquête-Kommission »Aktive bedeutet dies die Chance, mit dem Leitbild einer mehr ist eine starke Zivilgesellschaft gefragt. samer Umgang mit den alltäglichen Problemen Bürgerbeteiligung für eine starke Demokratie«. vielfältigen Demokratie Akzente zu setzen, die an Denn nur dort, wo Menschen Diskriminierung und Konfrontationen ist dabei der erste von vielen Auch andere Bundesländer sind mit Trans- ihre Beteiligungstradition anknüpfen und eine aktiv entgegentreten und sich für die Rechte notwendigen Schritten in eine zukunftsfähige Ein- parenzgesetzen, verpfl ichtender Kinder- und landespolitische Alternative zum profi llosen prag- derjenigen einsetzen, die noch nicht gehört wer- wanderungsgesellschaft. Jugendbeteiligung oder Integrations- und Teil- matischen Verwalten oder zur exekutiven Führer- gutvertreten. den, kann Integration gelingen. Ohne zivilgesell- habegesetzen dabei, die repräsentative Demo- schaft anbieten. schaftliches Engagement, ohne den Mut, für die kratie durch Formen der Bürgerbeteiligung zu boell.de Belange von politisch, kulturell und sozial Be- ANETTA KAHANE ist Gründerin und Vorsitzende erweitern. Hinzu kommen die Förderung eines ROLAND ROTH ist Politologe und Autor zahlreicher nachteiligten einzustehen, kann eine freiheitlich der Amadeu Antonio Stiftung. freiwilligen Engagements, das durchaus eigen- Studien zum Thema Demokratie.

Unsere Demokratie-Dialoge Unsere Publikation 8 9 und Wirtschaftskrise (2008) sind die Zweifel an der vorzugehen. Wie man Wahlen « managt », Rivalen Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit der Politik wei- kooptiert, Medien kontrolliert oder kauft und die ter gewachsen: Wenn etwas als « alternativlos » be- Zivilgesellschaft drangsaliert, lernen sie auch von- zeichnet wird, bleibt nur noch, sich dem behaupteten einander. Das die Demokratie unter Druck ist, zeigt Sachzwang zu beugen. auch der beunruhigende Trend, dass Handlungs- Diese Kluft zwischen « Volk » und Elite(n) begüns- spielräume für zivilgesellschaftliche Akteur/innen tigt das Entstehen populistischer Parteien, die es massiv eingeschränkt werden. in ganz Westeuropa gibt, im reichen Skandinavien In Eurasien bildet sich derzeit ein spezifischer wie im krisengebeutelten Südeuropa, und die in ver- Herrschaftstyp heraus, den John Keane « neue Des- schiedenen Ländern schon beachtliche Wahlerfolge potien » nennt: weder defekte, delegative oder il- erzielt haben. Sie sind mit den Begrifflichkeiten des liberale Demokratien noch Autokratien, sondern Für Demokratie– 20. Jahrhunderts (« links », « rechts ») nur bedingt zu eine sehr moderne Variante einer sehr alten Herr- fassen, auch wenn einige traditionell linke (gegen schaftsform. Diese Staaten werden entschlossen Austeritätspolitik) oder als rechts geltende Anlie- und bis ins Detail von oben gesteuert: über kliente- gen (gegen Zuwanderung, gegen den Islam, gegen listische Netzwerke und den systematischen Einsatz die Gleichstellung von Homosexuellen) artikulieren. von Medien. Sie bedienen sich geschickt demokra- Fast alle Populisten wettern gegen « Europa » und tischer Elemente, haben aber so gut wie alles unter Vom Engagement der den damit verbundenen Verlust an nationaler Sou- Kontrolle. Sie regieren per Gesetz, es herrscht aber Wir diskutieren u.a. über die Baustellen veränität. Wie weit diese Vorbehalte geteilt werden, organisierte Rechtlosigkeit. Sie erwarten freiwillige zeigt sich – ausgerechnet – bei den Wahlen zum Eu- Unterordnung, dafür liefern sie aber: Güter, Glamour ropaparlament im Mai 2014: In Großbritannien wird und Geschichte. die UK Independence Party (UKIP), in Frankreich Peter Pomerantsev beschreibt am Beispiel Russ- der Demokratie, über Orte und Wege der Front National zur stärksten Partei. lands, worin das Geschäft besteht: « Im 20. Jahrhun- Heinrich-Böll-Stiftung In Ungarn gewinnt die nationalkonservative Re- dert hatte der demokratische Kapitalismus des Wes- gierungspartei Fidesz. Sie regiert das Land bereits tens eine machtvolle Antwort auf den sowjetischen seit 2010 und hat ihre Zweidrittelmehrheit rigoros Totalitarismus: freie Märkte, freie Kultur und freie der Einmischung, über demokratische genutzt, um die Spielregeln der Demokratie ohne viel Politik. Mercedes, Handelsbanken, Rock’n’Roll und Debatte und Konsultation mit anderen Parteien wei- Parlament waren attraktivere Angebote als Ladas, Der Tahrir-Platz in Kairo im Juli 2011 Photo: Ahmed Abd El-Fatah ter zu ihren Gunsten zu verändern. Die Kompetenzen der Fünfjahresplan, der Chor der Roten Armee und des Verfassungsgerichts sind beschnitten, Presse das Politbüro. Die heutigen Neoautoritären bieten in der Welt und Nichtregierungsorganisationen (NGO) werden einen neuen Deal an: Ihr könnt all die Insignien eines Stadtentwicklung, die Aus wirkungen des auf verschiedenen Wegen massiv unter Druck ge- westlichen Lebensstils haben – all die deutschen Au- setzt. In einer Rede im Sommer 2014 stellt Minister- tos, Reality Shows, Naomi Campbells und Blue-chip- präsident Orbán die Wettbewerbsfähigkeit demokra- Aktien, die Ihr wollt –, ohne gleichzeitig irgendeine tischer Systeme offen in Frage und bekennt sich gar der politischen Freiheiten des Westens zu haben, ja dazu, einen « illiberalen Staat » aufbauen zu wollen. ihn dabei sogar verachten. » Das ist nicht nur eine

digitalen Wandels und setzen uns mit Schlaglicht – Protest: der Plätze Politik Die Botschaft an das eigene Volk, das ist auch ein Signal Nach dem Aufbruch. Demokratie der in Defensive Demokratie unter Druck an den liberal-demokratischen Westen. Protest: Seit 2006 schon beklagt Freedom House jedes Jahr, Nach der dritten Welle der Demokratisierung ist dass die Zahl der Demokratien nicht mehr wächst die Demokratie heute in der Defensive, Demokraten dem Rechts populismus auseinander: und mehr Länder Freiheitsverluste erleiden als an sind vielerorts unter Druck. Doch täglich versam- Freiheit hinzu gewinnen. Diese « demokratische Re- meln sich irgendwo auf der Welt Bürgerinnen und zession » wird vielfach besorgt kommentiert. Weni- Bürger zum Protest, in Demokratien ebenso wie un- ger pessimistische Beobachter/innen weisen darauf ter autoritären Regimen. Sie streiten für ihre Rechte, Die Politik hin, dass die statistischen Veränderungen relativ mo- gegen Diskriminierung und für Veränderung. Viele derat sind und im Graubereich der hybriden Regime Institutionen und Organisationen – staatlich wie zi- stattfinden. vilgesellschaftlich – stehen für demokratische Werte Was sich aber deutlich geändert hat, ist das Ver- ein. Sie zeigen, dass es Wege aus der Defensive gibt – halten einiger wichtiger autoritärer Staaten, die Wege, die gesucht und gefunden werden müssen. Demokratie ist kein Selbstläufer. nach innen wieder härter durchgreifen (z.B. Ägypten, der Plätze Russland und China): Freedom House spricht von der «Rückkehr der eisernen Faust ». Kritik von außen ver- bitten sich diese Länder explizit. Dadurch fühlen sich Köln: 1. Oktober 2016 (Sa) Demokratie muss erkämpft, auch kleinere Staaten ermuntert, Kritik an sich ab- prallen zu lassen und gegen Kritiker/innen im Land

Hinweis Stuttgart: 8. Oktober 2016 (Sa) mit Leben erfüllt und erneuert werden. Siehe Essay von Barbara Unmüßig ab S. 40 Hamburg: 8. Oktober 2016 (Sa) Potsdam: 13. Oktober 2016 (Do) Mit Beispielen und Essays von Dresden: 26. Oktober 2016 (Mi) Renate Wilke-Launer, Barbara Unmüßig, Oliver Stuenkel und Ralf Fücks, Berlin 2016, 120 Seiten

Sie sind herzlich eingeladen! Röhl Foto: Stephan www.boell.de/publikationen → boell.de Anzeige Update für Demokratie – Ein Projekt der Heinrich-Böll-Stiftung Anzeige Auslaufmodell Partei?

Von wegen! Warum wir Parteien noch immer dringend brauchen – und was wir von ihnen erwarten können

• VON PETER SILLER tive oder Exekutive weg zu delegieren. Dies kann und Etappen verbunden wird, die alle mitgehen nur gelingen, wenn sich politische Orientierung können. Vertrauen entsteht, wenn politische Ent- Es ist unübersehbar: Die Ressentiments gegen die in überzeugendem Personal verkörpert. Gefragt scheider nicht wie geölte Maschinen funktionie- grundlegenden Institutionen unserer Demokratie ist politische Führung, die sich nicht auf Politik- ren. Menschen haben Fragen, Menschen hören wachsen. Zumindest werden sie von einem wach- moderation zurückzieht. Gefragt ist politische auch zu. Solchen Vertreterinnen und Vertretern senden Teil der Bürgerschaft immer unverhohlener Führung, die unabhängig genug ist, um auch können wir folgen. vorgetragen. Und das keineswegs nur von sozial das Risiko der politischen Niederlage zu tragen. Ausgegrenzten, sondern auch von gut situierten Gefragt ist politische Führung, die gerade in Bildungsbürgern mit stattlicher Rente. Unsere viel- diesen unruhigen Zeiten vertrauenswürdig ist. PETER SILLER ist Leiter der Abteilung Politische fältige Medienlandschaft? »Lügenpresse!« Unsere Vertrauen entsteht, wo Orientierung mit Routen Bildung Inland der Heinrich-Böll-Stiftung. gewählten Parlamente: »Quasselbuden!« Unsere Parteienlandschaft? »Systemparteien!« Dabei sollten wir nicht vergessen, dass die politischen wie auch intellektuellen Widerstände gegen die – hart erkämpften – Institutionen der Die populistische Versuchung repräsentativen Demokratie und ihrer Parteien so alt sind wie diese selbst. Treiber ist der autoritäre Irrtum, dass »das Gemeinwohl« keine »Parteilich- Die Entwicklung in Europa zeigt: Demokratische Parteien keit« und keinen demokratischen Streit vertrage. müssen Visionen für alle entwickeln Hinzu kommt der Irrtum, dass Politik nicht mehr sei, als ein Kampf zwischen unterschiedlichen Ei- Foto: Abstimmung mit Nein, Foto: Marcus Sümnick, CC BY-SA 2.0, https://www.fl ickr.com/photos/arbyter_org/9257960322/ geninteressen. Wirkmächtig ist schließlich der an- • VON KLAUS LINSENMEIER Unscharfe Konzepte und politische Programme tiinstitutionelle Irrtum, laut dem sich eine demo- die Zwischenorte, an denen der allgemeinen Ent- eine bessere gesellschaftliche Repräsentation ge- erlauben breite Bündnisse. Die spanische Pode- kratische Entscheidung als »volonté générale« nur scheidung ein öff entlicher und möglichst reprä- lingt. Was ist zu tun, um auch die abgehängten Populisten haben großen Zulauf. Wollen Demokra- mos hat vor der Wahl im Dezember 2015 alles, über den unmittelbaren Volksentscheid herstelle. sentativer Raum unterschiedlicher Orientierungs- sozialen Milieus wieder in die gemeinsame Vertre- ten Gegenstrategien entwickeln und verhindern, was links war, eingesammelt, auch die grüne möglichkeiten vorangestellt wird. tung politischer Orientierungsangebote einzube- selbst populistischen Versuchungen auf den Leim Bewegung Equo. Zu den Wahlen vom Juni 2016 Was wir brauchen, Aus dieser Selbstvergewisserung muss dann ziehen? Die Parteien stehen vor der Aufgabe, sich zu gehen, ist es hilfreich, sich über den Charakter stieß dann noch die postkommunistische Verei- auch die Kraft zu notwendigen Schritten der Selbst- als allgemein zugänglichen Raum zu gestalten. populistischer Politik Gedanken zu machen. nigte Linke dazu. Es scheint jedoch, dass nach ist mehr Haltung erneuerung erwachsen. Die Parteien müssen sich Zweitens: Wenn es stimmt, dass wir wichtige Populismus lebt von der Entfremdung zwischen dem Brexit-Referendum den Spaniern die pro- Es ist höchste Zeit, Haltung anzunehmen und dem an ihrer repräsentativen Aufgabe der Orientierung, demokratische Entscheidungen globalisierungs- Teilen der Wählerschaft und den Regierenden. Da- grammatische Beliebigkeit dann doch unheim- fl orierenden Ressentiment gegen die demokrati- des Diskurses und der Entscheidung messen – bedingt nicht mehr in den nationalen Demokratien bei kommt es nicht darauf an, die Interessen der lich war. Das Bündnis erhielt weniger Stimmen als schen Institutionen und die Parteiendemokratie und sie müssen sich daran messen lassen. treff en können, dann ist die Herausbildung wirk- Gefolgschaft zu artikulieren, vielmehr wird Identi- im vergangenen Jahr. entgegen zu treten – anstatt sich verdruckst in die Zu diesem Erneuerungsprozess der Parteien ge- samer europäischer Parteien ein entscheidender tätspolitik betrieben. Aus »Wir sind das Volk« wird Demokratische Parteien müssen Visionen für Ecke zu stellen oder sich auf Erklärungsversuche hören Antworten auf die Frage, wie sie unter stark nächster Schritt. Da Demokratie immer eine ge- schnell »Nur wir sind das Volk«. Dieser exklusive alle entwickeln, aber sich und ihre Programme zu beschränken. meinsame Öff entlichkeit voraussetzt, geht es um Populismus lehnt Diversität und Pluralismus ab, auch auf politische Handlungsfähigkeit prüfen. Gleichzeitig kann eine Selbstbehauptung der zweierlei: Um die vielfältige Stärkung europäischer beides Kerne jedes demokratischen Systems. Da- Andernfalls tappen sie selbst in die populistische Parteien aber nur gelingen, wenn sie mit Selbst- »Vertrauen entsteht, wenn Parteiöff entlichkeiten. Und um eine Stärkung der mit ist Populismus tendenziell undemokratisch. Falle und der erst einmal entfesselte Populismus vergewisserung und Selbsterneuerung verbunden politische Entscheiderinnen nationalen Öff entlichkeiten als europäische Teil- Die britische Brexit-Kampagne macht deut- ist schwer wieder einzufangen. wird. Sie ist nur möglich, wenn diese sich ihren öff entlichkeiten. In Zukunft kommt es auf die ge- lich, dass Populismus nahezu unabhängig von Die Herausforderungen, vor denen die Eu- Auftrag bewusst machen und an einer Verbesse- und Entscheider nicht wie ge- sellschaftliche und institutionelle Verzahnung die- Fakten funktioniert. Mehr noch: Die Widersprü- ropäer stehen, sind groß: Verbesserung der rung ihrer Auftragserfüllung arbeiten. Gefragt ist ölte Maschinen funktionieren« ser beiden europäischen Öff entlichkeitsräume an. che, in die auch progressive Politik dabei gera- wirtschaftlichen Teilhabe, eine ökologische kritische Zuwendung statt verdrossenem Rückzug. Drittens: Wenn wir nicht vor die antidemokra- ten kann, verdeutlicht die TTIP-Kampagne. Diese Transformation, soziale Inklusion, ein moder- Selbstvergewisserung der Parteien muss hei- tische »Alternative« der Populisten gestellt werden hat berechtigte Kritik an dem Projekt artikuliert, nes Migrations- und Asylregime, Investitionen in ßen, deutlich zu machen, warum die besondere veränderten Umständen – vom digitalen Struktur- wollen, dann müssen die Parteien die Alternativen war aber von Beginn an defensiv ausgerichtet – Bildung, Innovation und Infrastruktur und eine Aufgabe der Parteien für die Demokratie so wich- wandel der Öff entlichkeit bis zum globalisierungs- innerhalb des demokratischen Spektrums zur Dis- als Abwehr des neoliberalen Projektes und als Ver- umsichtige Außen- und Sicherheitspolitik. Eine tig ist. Parteien bezeichnen nämlich genau die getriebenen Verlust nationaler Handlungsmöglich- kussion und zur Wahl stellen. Die Orientierungs- teidigung des Status quo. Die Vision eines nach- europaweite Debatte sollte die EU wieder politi- Orte, an denen sich unterschiedliche Vorstellun- keiten – ihre Aufgabe wahrnehmen können. aufgabe der Parteien fängt in ihrem Innenraum haltigen, fairen Handels ist kaum vermittelt wor- sieren und helfen, über Reformen ihre Legitimati- gen vom Allgemeinwohl öff entlich bündeln und Welche Arbeit liegt also vor der Parteiende- an – und muss sich nach außen fortsetzen in ihren den. Wie arg Populisten hier im Vorteil sind, zeigt on wieder herzustellen. Einfacher ist die Zukunft streitbar in die Gesetzgebung eingebracht wer- mokratie? Um welche Weiterentwicklung geht es? gesellschaftlichen Angeboten. sich in Österreich: FPÖ- und Präsidentschafts- Europas nicht zu haben. den. Auch als off ene Systeme sind Parteien weder Drei Ansatzpunkte seien genannt: Deshalb brauchen wir dringend eine Revi- kandidat Norbert Hofer hat sich als eigentlicher Verbände noch Bewegungen von Partikularinter- Erstens: Statt auf nationaler und europäischer talisierung unserer Parlamente als die Orte, an TTIP-Gegner präsentiert – mit einer vermeintlich essen. Sie sind aber auch nicht »der Staat«, der Ebene in die direktdemokratische Falle zu laufen, denen die grundlegenden Orientierungsfragen einleuchtenden Vision der nationalen Selbstbe- KLAUS LINSENMEIER leitet das Brüsseler Büro verwaltet und durchsetzt. Parteien sind vielmehr sollten sich die Parteien darauf konzentrieren, wie lebendig werden müssen, anstatt sie an Judika- stimmung. der Heinrich-Böll-Stiftung.

Die Trägheit der Großen Koalition »Die Kultur des menschlichen Warum wir mehr Transparenz und auch mehr Streit im Bundestag Umgangs in den Parteien muss brauchen – ein Plädoyer für ein lebendigeres Parlament sich verbessern« • VON BRITTA HASSELMANN das keine gute Entwicklung. Noch dazu fehlt Sie stärkt das Vertrauen in demokratische Struktu- dem Parlament häufi g das nötige Selbstbewusst- ren und beugt Korruption vor.

Foto: Katja-Julia Fischer Foto: Katja-Julia Drei Fragen an Hanno Burmester Ein zentraler Ort für eine lebendige und moderne sein gegenüber der Regierung. So lassen sich in Demokratie ist ein starkes, selbstbewusstes und dieser Wahlperiode zahlreiche Beispiele wie etwa Union und SPD verhindern handlungsfähiges Parlament. Unsere repräsen- das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Syrien- • Was braucht eine zukunftsfähige Partei? • Was motiviert Bürgerinnen und tative Demokratie ist Garant für die Vertretung Mandat, das Gesetz zur Erbschaftssteuer – alles ein Lobbyregister Die Lust am andauernden Dialog mit Nicht-Mit- Bürger dazu, sich trotzdem in einer der Gesamtgesellschaft gegenüber Einzelinter- Entscheidungen mit weitreichenden Folgen – fi n- Unsere parlamentarischen Initiativen zur Öf- gliedern. Die Lust an der Veränderung. Und die Partei zu engagieren? essen. Abgeordnete in den Parlamenten vertreten den, die ohne Not innerhalb weniger Tage durch fentlichkeit von Ausschusssitzungen und der Lust am Experiment. Erst wenn Parteien Freude Die Aussicht darauf, mit dem Engagement et- die Bürgerinnen und Bürger. Sie sind frei gewählt den Bundestag gehetzt wurden. Die gebotene Einführung eines Lobbyregisters scheiterten an Vielfalt und Wandel vorleben, werden sie als was zu bewirken. Und zwar nicht irgendwann, und unabhängig, entscheiden über Gesetze, kon- Sorgfalt bleibt auf der Strecke. ebenfalls bisher an Union und SPD. Auch der Treiberinnen gesellschaftlicher Veränderung sondern so schnell wie möglich. Menschen trollieren die Regierung und stellen diese öff ent- Ruf nach mehr Bürgerbeteiligung und Mitwir- wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen. investieren dann Zeit und Energie, wenn sie lich zur Rede. Ein lebendiges Parlament braucht Warum dürfen Abgeordnete kung ist in den vergangenen Jahrzehnten lauter damit etwas verändern und den Erfolg ihres den Diskurs, die Auseinandersetzung und das geworden. Hier müssen wir darüber diskutieren, • Was stellt die größten Herausforderungen Engagements sehen können. Aktive bleiben Ringen um die besten Lösungen. Es braucht klu- nicht die Kanzlerin befragen? wie mehr Bürgerbeteiligung und Möglichkeiten für Parteien bei ihren Reformvorhaben dar? dabei, wenn sie in Parteien mehr Wichtiges ge Ideen und Konzepte, das Aufzeigen von Alter- Für interessante öff entliche Debatten ist auch direktdemokratischer Entscheidungen ausse- Zwei Dinge ersticken Veränderung heute. Ers- bewirken als beispielsweise in Nichtregie- nativen und ein Abwägen konkurrierender Ziele. eine Reform der Regierungsbefragung überfällig. hen können. tens: die Haltung vieler Parteimitglieder. Gera- rungsorganisationen. Sprich: Parteien müs- Das kommt in Zeiten der Großen Koalition, der Mir ist nicht erklärlich, warum sich das Parlament Millionen von Menschen mischen mit. Ihr Enga- de die ältere Garde kann oder will sich häufi g sen sich nach den Wünschen und Gewohn- 80 Prozent der Abgeordneten im Bundestag an- das jeweilige Thema der Regierungsbefragung gement ist vielfältig und bunt. Ihr Mitwirken, ihre nicht vorstellen, dass es wirklich anders wer- heiten der Engagierten ausrichten, anstatt zu gehören, viel zu kurz. Rede und Gegenrede, ver- durch die Regierung vorschreiben lässt oder war- Eigeninitiative und Kreativität sind bedeutend den könnte. Das ist dann die berühmte, sich erwarten, dass die Engagierten sich an die bunden mit lebendigen Debatten, fi nden viel zu um sich die Kanzlerin zwar regelmäßig Fragen der für unsere lebendige Demokratie. Demokratie selbst erfüllende Prophezeiung. Wer sagt: muffi gen Strukturen und Prozesse der Partei- selten statt. Bundespressekonferenz stellt, die Parlamentarier braucht starke und transparente Parlamente und »Geht sowieso nicht«, der behält in aller Re- en anpassen. Stattdessen machen sich Trägheit und ein der Kanzlerin aber keine Fragen stellen können. eine verantwortungsbewusste Zivilgesellschaft. gel Recht, weil keinerlei Veränderungsenergie von der Großen Koalition zur Schau gestellter Jeder Versuch, dies zu ändern, scheiterte bislang Diese gilt es zu stärken und dafür einzustehen. aufkommen kann. Zweitens: die Kultur des Konsens breit. Auseinandersetzung oder Streit an Union und SPD. menschlichen Umgangs in Parteien. Wer auf HANNO BURMESTER ist freier Journalist in Berlin. über zentrale Fragen werden viel zu häufig in Parlamentarische Arbeit braucht mehr Trans- Neue und Neues mit Misstrauen und Unfreund- Er arbeitete an der Studie »Die Partei 2025« Koalitionsgipfel ausgelagert, statt dass sie im parenz. Transparenz ist dabei kein Selbstzweck, BRITTA HASSELMANN ist Parlamentarische lichkeit reagiert, bleibt zwangsläufi g im Beste- der Heinrich-Böll-Stiftung mit, die unter Parlament diskutiert werden. Für die politische sondern sie ist Voraussetzung für das Verstehen Geschäftsführerin sowie kommunalpolitische henden stecken. gutvertreten.boell.de zu fi nden ist. Kultur einer parlamentarischen Demokratie ist und die Nachvollziehbarkeit politischen Handelns. Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen.

Demokratie-Dialog Köln Programmauszug: Demokratie-Dialog Stuttgart Programmauszug: 1. Oktober 2016 WORLDCAFÈ 11 UHR 8. Oktober 2016 PODIUMSGESPRÄCH 11 UHR Sechs parallele Thementische Innovation im Süden? Parteien zwischen staatlicher WORKSHOPS 14 UHR Verantwortung und Zivilgesellschaft Drei parallele Workshops 1) Digitale Öffentlichkeit – PARALLELE FOREN 13 UHR digitale Sprache? 1) Parteien zwischen 2) Die Parteien 2025 Aktualität Repräsentation und Beteiligung 3) Interventionen gegen 2) Populist*innen in den den Rechtsruck Parlamenten 3) »Partei? Ohne mich!« oder PODIUMSGESPRÄCH 15:30 UHR und Erneuerung Und jetzt? »Partei? Beleben!« Partei ergreifen! Aber wie? Ein Update der Parteien PODIUMSGESPRÄCH 16 UHR mit Dr. , Dr. Anna-Katharina Meßmer, Prof. Dr. Frank Decker, in Zeiten des Populismus Ein starkes demokratisches Partei ergreifen! Mona Neubaur, Julia Schramm u.a. System braucht starke Parteien

mit , Bettina Gaus, , Hanno Burmester, Forum Volkshochschule Dr. Jasmin Siri, u.a. Rautenstrauch-Joest-Museum, KölnAnmeldung unter gutvertreten.boell.de Literaturhaus, Stuttgart Anmeldung unter gutvertreten.boell.de Anzeige Update für Demokratie – Ein Projekt der Heinrich-Böll-Stiftung Anzeige Mehr Demokratie wagen

Politikerschelte verbreitet sich viral, die parlamentarische Demokratie gerät unter Druck. Es ist dringend geboten, für das angegriff ene Modell zu kämpfen – »Business as usual« reicht dabei nicht aus

• VON PATRIZIA NANZ UND CLAUS LEGGEWIE für demokratische Prozesse und die Gesellschaft. PATRIZIA NANZ ist Politikwissenschaftlerin und Eine beteiligungsorientierte Politik kann an be- wissenschaftliche Direktorin am Institute for Das Volk, der »demos«, kann in modernen ar- reits bestehende Möglichkeiten in einem an sich Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam. beitsteiligen Gesellschaften und in international partizipationsfreundlichen Land anknüpfen: Ne- verfl ochtenen Flächenstaaten nicht ständig selbst ben Wahlen, Engagement in Räten und Parteien CLAUS LEGGEWIE ist Politikwissenschaftler tätig sein. Es muss vertreten werden; dies ist die in- ist es gängige Praxis, Bürgerinitiativen zu grün- und war Leiter des Kulturwissenschaftlichen Instituts geniöse Antwort der repräsentativen Demokratie. den, sich an Planverfahren zu beteiligen, Bürger- Essen. Politische Entscheidungen werden nicht unmittel- entscheide zu initiieren, in Planungszellen und bar durch das Volk getroff en, sondern durch vom Zukunftswerkstätten mitzumachen und viele Mög- Volk in gleichen, geheimen und fairen Wahlen ge- lichkeiten mehr. wählte Vertreter in Parlamenten. Politik wurde da- mit zum Beruf, und Parlamentarier handeln zwar Auch schwächere Stimmen Mehr Anerkennung für als Repräsentanten ihrer Wahlkreise, aber eigen- migrantische Initiativen verantwortlich und ihrem Gewissen verpfl ichtet. müssen zu Wort kommen Diese selbstverständliche Praxis in den meisten Zu wünschen ist, diese Ergänzungen der repräsen- In Deutschland gibt es eine Vielfalt von Mi- Demokratien der Welt wird zunehmend in Zweifel tativen Demokratie in einer Art »vierten Gewalt«, granten-Selbstorganisationen und Initiati- gezogen und durch populistische Propaganda der Konsultativen – neben Legislative, Exekutive ven von eingewanderten und gefl üchteten diskreditiert, die unterstellt, Berufspolitiker seien und Judikative – zu verankern, so dass Beteiligung Menschen. Sie agieren als kulturelle, frei- inkompetent und handelten nur in ihrem eigenen nicht den Konjukturen des Engagements unterwor- zeitliche und politische Orte, als Dienst- Interesse, im Extremfall würden sie die Interessen fen bleibt und zu versickern droht. Institutionen leisterinnen und Interessenvertretungen. ihres Landes verraten. Das Misstrauen hat sich vi- sind dauerhafter als punktuelle Initiativen. Da Be- Deshalb sind sie für die Integrationsarbeit ral ausgebreitet und nagt als Legitimationszweifel teiligungsverfahren oft von Sonderinteressen und so wichtig. an den Grundfesten der repräsentativen Demo- Betroff enen dominiert werden, ist es dabei auch Initiativen unterstützen Menschen bei kratie. Sicher hat Politikerversagen auf breiter notwendig sicherzustellen, dass auch schwächere Behördengängen, sprachlichen Barrieren, Front diesen Zweifel genährt. Aber die Ablehnung Stimmen zu Wort kommen. medizinischer und psychologischer Betreu- von Parlamenten und Parteien geht über jedes ra- In den verschiedenen Beteiligungsverfahren ung, Sprachunterricht, Sozialberatung und tionale Maß hinaus. muss daher gewährleistet sein, dass auch sol- vielem mehr. Viele Vereine engagieren sich Foto: Fotolia / Rawpixel.com che Stimmen zu Wort kommen, die sonst kaum schon seit den 1970er-Jahren, weitere sind Autoritäre Varianten von die Chance dazu haben. Darüber hinaus bedarf mit den Jahren dazugekommen. zieren, Ressentiments freien Lauf lassen und po- besteht darin, die Verbindung zwischen Bürgerin- es einer geeigneten Moderation des öff entlichen In jüngster Zeit wird ihre soziale und kul- Demokratie gedeihen litischen Unternehmern, die solche Stimmungen nen und Bürgern und der repräsentativen Demo- Diskurses und einer breiten Institutionalisierung turelle Brückenfunktion sowie ihre Zuarbeit Weltweit schießen autoritäre, illiberale Varianten befeuern, freie Hand geben. kratie zu stärken, ohne populistische Kurzschlüsse von Gremien, welche die Zukunft der Gesellschaft zu den Regeldiensten auch politisch wahr- der Demokratie ins Kraut, die das Volk als ethni- Gegen diese Entwicklungen muss man die re- zuzulassen. Der Auftrag erfordert institutionelle konstruktiv gestalten. Hierfür haben wir jüngst genommen. Die Initiativen organisieren sich sche Herkunftsgemeinschaft ansehen. In ihnen präsentative Demokratie in Schutz nehmen, aber Fantasie und Experimente mit dem reichhaltigen das Modell des Zukunftsrats vorgeschlagen. verstärkt in Netzwerken und Verbänden und wird die ethnische Gemeinschaft der politisch auch weiterentwickeln. Wenn die Entfremdung Repertoire demokratischer Beteiligungsverfahren. Prinzipiell muss sicher sein, dass Exekutive und fordern ein Umsteuern in der Förderpolitik: verfassten Gemeinschaft (dem demos) und dem zwischen breiten Kreisen der Bevölkerung und Verbessert werden können damit nicht nur die Legislative sich ernsthaft und responsiv mit Vorla- Weg von der stets befristeten Projektför- Rechts- und Verfassungsstaat vorgeschaltet (eth- den politischen Vertretern wächst, kann man nicht Grundlagen politischer Entscheidungen und ihre gen, die in verschiedenen Beteiligungsverfahren derung, die nachhaltiges Arbeiten schwer nos vor demos) und eine Überlegenheit der erste- einfach Business as usual machen. Man muss Umsetzungschancen. Verbindliche Teilhabe in der erarbeitet werden, befassen. Und gut durchdach- macht, und hin zu einer Anerkennung der vor- ren beansprucht. Diese Form der Demokratie setzt »mehr Demokratie wagen«, um aus einer angeb- Gestaltung von Gesellschaft, Stadtentwicklung te Konzepte, die Pro und Kontra sorgfältig abge- handenen Professionalität. auf Volksentscheidungen à la Brexit, die komplexe lich überalterten Herrschaftsform wieder eine und anderen Bereichen fördert auch das demo- wogen haben, können dann von Fall zu Fall auch Probleme auf einfache Ja-Nein-Alternativen redu- geschätzte Lebensform zu machen. Die Aufgabe kratische Bewusstsein und belebt das Verständnis in Volksabstimmungen zur Wahl gestellt werden.

Beteiligung gewinnt »Bürgerbeteiligung ist anstrengend und kommt nicht Für Städte wird der Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern zum Erfolg – wenn Politik und Verwaltung es ernst meinen ohne Konfl ikte aus« • VON CHRISTINE SCHWARZ mit Mut und Risikobereitschaft konkret angespro- Begründungen zu liefern, welche Auff assung guten chen wird, was es tatsächlich zu entscheiden gibt. Lebens sie jeweils bevorzugen. Anstrengend wird

Foto: Staatsministerium Ba.-Wü. Foto: Staatsministerium Drei Fragen an Gisela Erler Austausch und Kommunikation mit Bürgerinnen und das für alle. Politik und Verwaltung sind gezwungen, Bürgern stehen hoch im Kurs, fast alle Städte und Beteiligen heißt auch auf Dauer bürgernah zu arbeiten und zum Vermittler • In Baden-Württemberg arbeiten Sie an ten, etwa beim Minarettverbot. In Deutschland Regionen betreiben heute Kampagnen wie etwa zu werden. Beteiligen heißt auch Macht abgeben. einer Landespolitik, die zu Dialogen und steht das Votum der Bevölkerung nicht über Braunschweig mit dem Projekt »Denk-Deine-Stadt«. Macht abgeben Wer das praktiziert, erlebt Überraschungen, kann Beteiligung ermuntert. Wie fällt Ihre dem Rechtsstaatsprinzip. Das ist ein wesentli- Wandelt sich unsere Demokratie nachhaltig? Oder Gewählte Volksvertreter und Volksvertreterinnen aber bessere Lösungen schaff en. Wer sich weigert, Zwischenbilanz aus? cher Unterschied. handelt es sich dabei nur um partizipative Posen? sowie Verwaltungsprofi s sind noch viel zu wenig riskiert nämlich auch, die Kontrolle zu verlieren. Insgesamt positiv. Sicher gibt es am Anfang ab Trialoge zwischen Politik, Verwaltung und Öf- mit außerparlamentarischem Engagement ver- Ob Stadtentwicklung oder Energiewende – und an einen Gegenrefl ex: Bürgerbeteiligung? • Kritiker sagen, an Beteiligungsver- fentlichkeit gestalten sich in Kommunen, Ländern bunden. Es muss zur Routine werden, zu fragen, ohne Beteiligung geht es nicht mehr, nicht nur Haben wir noch nie gemacht, brauchen wir fahren nehmen nur die teil, die und Bund auf vielfältige Art. Mal beugen sie Wi- wen anstehende Veränderungen berühren, ob die weil Bürgerinnen und Bürger sie einfordern, son- nicht. Wenn aber die ersten positiven Erfahrun- sowieso schon gut vertreten sind. derstand vor, wie bei der Heidelberger »Vorha- Betroff enen (in spe) das wissen und wie sie dar- dern auch weil Planung sie braucht. Dabei ist gen gemacht sind, ist häufi g die Bereitschaft Andere sagen, die populistischen bensliste«. Mal legen sie Protest bei, wie in der über denken. Dabei ist es wichtig, zu beachten, Beteiligung gleichsam Symptom und Lösungs- da, Instrumente der Bürgerbeteiligung anzu- Gefahren würden unterschätzt. Potsdamer »WerkStadt«. Mal lösen sie ihn aus, wie dass es nie nur ein einzelnes Bürgeranliegen gibt, versuch von Demokratiekrisen. Dieser Form- wenden – und das obwohl die Beteiligung teils Wie sehen Sie das? beim Hamburger »Zukunftsplan Altona«. Oft klärt dass die Bedürfnisse und Ideen variieren. Die Un- wandel kommunaler Demokratie durch Bürger- großer Anstrengung bedarf und häufi g nicht Der Demokratie wohnt stets die Gefahr des Po- sich erst während der Projekte, wie weit die Kont- terschiede zwischen den Motiven und Interessen beteiligung kann glücken, wenn Demokratie als ohne Konfl ikte auskommt. Und: Den Menschen pulismus inne. Das zeigen die Schweizerische rollabgabe reicht: Geht es darum, zu informieren, der Beteiligten sind um einiges größer als die zu gemeinsames Erfolgsprojekt begriff en und prak- muss vermittelt werden, dass es sich dabei nicht Volkspartei (SVP) und ihre Initiativen, aber zu konsultieren, zusammenzuarbeiten – oder auch beplanenden Industriebrachen. tiziert wird. um direkte Demokratie handelt. Bei der Beteili- auch Trump in den USA, die Freiheitliche Partei darum, Verantwortung neu aufzuteilen? Doch der Ausblick auf die multiplen Anspruchs- gung empfehlen und beraten die Menschen le- (FPÖ) in Österreich oder der Front National in landschaften unserer Gesellschaft stellt auch eine CHRISTINE SCHWARZ ist Soziologin an der diglich. Nur bei Abstimmungen entscheiden sie Frankreich. Was parlamentarische Mehrheiten Alles nur wegen Stuttgart 21? riesige Chance dar. Allerdings sind von den Ent- Leibniz Universität Hannover und moderiert tatsächlich. anrichten können, sehen wir in Ungarn und Po- scheidern und Entscheiderinnen jetzt permanent Bürger- und Bürgerinnendialoge. len. Weder die repräsentative noch die direkte Passiert das eigentlich alles jetzt wegen dieser • Baden-Württemberg pfl egt einen starken Demokratie sind immun gegen Populisten. Es Stadt mit dem Bahnhof? In Stuttgart klagte die Austausch mit der Schweiz. Ist das Land kommt auf die Sicherungsmechanismen im Mitte der Gesellschaft 2010 vehement Mitsprache Vorbild? System an. Bei der direkten Demokratie sind ein – nachdem die Planer deren Impulse jahrelang Insbesondere mit den Grenzkantonen haben fl ankierende Maßnahmen für eine sachliche ignorierten hatten. Politik und Verwaltung können wir regen Kontakt. Wir können durchaus etwas öff entliche Diskussion unverzichtbar. Zudem es sich heute nicht mehr leisten, auf absehbaren vom Schweizer System lernen. Die Schweizer brauchen wir eine starke Zivilgesellschaft, die Ärger zu warten, wenn unterschlagen wird, was im gehen mit dem Instrument der direkten Demo- Fehlentwicklungen entgegentritt. Bei Bürger- Leben anderer zur Disposition steht. Kommunen kratie anders um. Die Debatten sind in der Re- beteiligungen ist es nicht gut, wenn sich im- sind heute gut beraten, ihre Einwohnerinnen und gel sachlicher. Parteien und Parlamente sind mer nur die Üblichen beteiligen und bestimmte Einwohner aktiv und dauerhaft einzubeziehen. dort keinesfalls entmachtet, sondern haben ihre Milieus gar nicht. Es gibt aber Konzepte, die Bürgerdialoge höhlen die Glaubwürdigkeit von eigene Rolle. Gleichzeitig wird aber auch klar, dem wirkungsvoll begegnen. Die müssen wir Politik aber auch aus. Sind sie gönnerhafte Gesten was aus meiner Sicht bei direkter Demokratie verstärkt anwenden. ratlos gewordener Demokratinnen und Demokra- nicht geht: In der Schweiz fehlen ein Bundesver- ten, dann enden sie oft in Pseudobeteiligungen. fassungsgericht und eine Normenkontrolle. Hier Wie zudem jene Menschen zu repräsentieren sind, ist das Land kein Vorbild. Im Einzelfall benach- GISELA ERLER ist Staatsrätin für Zivilgesellschaft die sich weder per Wahl noch per Stuhlkreis noch teiligt die direkte Demokratie sogar Minderhei- und Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg. per Online-Forum äußern, bleibt eine off ene Frage. Dialogangebote fi nden den meisten Anklang, wenn Foto: urbanista - Büro für partizipative Stadtentwicklung

Demokratie-Dialog Potsdam Programmauszug: Demokratie-Dialog Dresden Programmauszug: 13. Oktober 2016 VORTRÄGE 9:30 UHR 26. Oktober 2016 FACHGESPRÄCHE 11 UHR Drei Vorträge zu Bürger*innen- 1) Vom Masterplan zum Spielplatz beteiligung und Beteiligungs- 2) Erfolgreich im Rathaus verfahren organisieren 3) Im Arbeiten lernen PARALLELE WORKSHOPS 13 UHR 4) Dialoge auf Augenhöhe 1) Bürger*innenbeteiligung bei Gut Beteiligt? kommunalen Großprojekten THEMENTISCHE & FACHGESPRÄCHE 14 UHR Partizipation 2) Übergeordnetes Planungsrecht 1) Mitten aus der Praxis bei Großprojekten 2) Kollegiale Beratung 3) Direkte Demokratie vor der 3) Bürger*innenbeteiligung unter Zerreißprobe Bürger*innenbeteiligung erschwerten Bedingungen Bedingungen für die Etablierung 4) Inklusion durch Beteiligung unter erschwerten Bedingungen DISKUSSION 16:30 UHR einer guten Beteiligungskultur PANEL 16:30 UHR Was nehme ich mit, Perspektiven der Beteiligung in was packe ich morgen an der repräsentativen Demokratie GebäudeEnsemble mit Anna-Maria Hogeback, Eva Jähnigen, mit Prof. Dr. Angelika Vetter, Jörg Sommer, Sylvia Haas, Kerstin Arbter, Sylke Osterloh, WIS – Wissenschaftsetage Prof. Dr. Leo Penta, Dr. Bettina Reimann u.a. Deutsche Werkstätten Susanne Walz, Silke Baenisch u.a. im Bildungsforum, Potsdam Anmeldung unter gutvertreten.boell.de Hellerau, Dresden Anmeldung unter gutvertreten.boell.de Anzeige Update für Demokratie – Ein Projekt der Heinrich-Böll-Stiftung Anzeige Youtuber als Demokratieförderer

Aufsuchen statt Wegsehen: Was passieren muss, um abgehängte Jugendliche mit politischer Bildung zu erreichen

• VON THOMAS KRÜGER Nun stellt sich die Frage, wie dennoch Wege in Elitenbildung und des Abhängens benachteiligter formen für benachteiligte Gruppen zu entwickeln Die unmittelbare Wirkung unserer Arbeit mag eine inklusive und integrative Demokratie gelin- Milieus entgegenwirken und ihnen aktiv begegnen – im Sinne einer »aufsuchenden politischen Bil- manchmal schwer messbar sein. Aber politische Die grundsätzliche Zustimmung zur Demokratie gen können. Der politischen Bildung kommt hier müssen. Denn wenn deutlich wird, dass bestimm- dungsarbeit«. Bildung ist in jedem Fall elementarer Katalysator ist in Deutschland seit Jahrzehnten ungebrochen eine besondere Rolle zu. Unsere Aufgabe ist es, te soziale Gruppen objektiv schlechtere Zugangs- Einer unserer Ansätze ist es, die Distanz zwi- einer pluralen demokratischen Zivilgesellschaft, hoch. Neben dieser positiven Grundeinstellung möglichst allen die Chance zu eröff nen, ihre de- bedingungen haben, dann muss es Aufgabe der schen Experten und Laien aufzuheben, indem wir an deren gemeinsamer Gestaltung alle Bürgerin- zeigt sich jedoch eine soziale Diff erenzierung: mokratischen Rechte eff ektiv wahrzunehmen. politischen Bildung sein, sich besonders diesen wechselseitige Bildungsprozesse initiieren – und nen und Bürger mitwirken können sollten. Jugendliche aus benachteiligten Milieus bei- Dies bedeutet, dass wir solchen Tendenzen einer Gruppen zuzuwenden und passende Beteiligungs- somit die Adressaten der politischen Bildung als spielsweise artikulieren demnach eine geringere Koproduzenten ihrer eigenen Bildungsprozesse Zufriedenheit und verorten sich im Kontext einer verstehen. Wenn wir es schaff en, sie in die Lage THOMAS KRÜGER ist Präsident der Bundeszentrale politischen Selbsteinstufung häufi ger »rechts«, so zu versetzen, an der Gestaltung unserer Zivilge- für politische Bildung (bpb). die Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2015. sellschaft mitzuwirken, so gelingt uns gleichzeitig ein größeres Maß an Repräsentanz. Dies heißt Direkte Demokratie kann auch, den Dialog auf Augenhöhe einzugehen und zielgruppenspezifi sche Angebote zu konzipieren. Jede Stimme zählt Ausgrenzung bedeuten Diese »andere politische Bildung« muss erfah- Jenseits derartiger Selbsteinschätzungen be- rungsbasiert, kulturell achtsam und aktivierend In 15 der 28 EU-Mitgliedsstaaten dürfen stätigt auch die Analyse der politischen Beteili- ausgerichtet sein. auch sogenannte Drittstaatsangehörige gungspraxis soziale Disparitäten. Folgt man dem kommunal wählen. Die Bundesrepublik Demokratietheoretiker Wolfgang Merkel vom Wis- Eine gemeinsame gehört nicht dazu: Hierzulande werden senschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, so Zuwanderer eingeladen, sich einbürgern »sind demokratische Wahlen die egalitärste Parti- Sprache fi nden zu lassen. Schätzungsweise rund 4,5 Mil- zipationsform, weil sie die wenigsten individuellen Außerdem wollen wir kommunikative Räume er- lionen Menschen aber, die in Deutschland Ressourcen voraussetzen«. Bei einer direktdemo- schließen und weiter öff nen, die in der politischen leben und arbeiten, dürfen hier nicht wäh- kratischen Beteiligung besteht laut Merkel dage- Bildung bisher vernachlässigt wurden. Relevant len, weil sie keinen EU-Pass besitzen. gen die Gefahr einer Oligarchisierung privile- ist es dabei, eine gemeinsame Sprache zu fi nden Dafür, dass sich das ändert, wirbt die gierter Gruppen, bei der benachteiligte Gruppen und in den Zielgruppen glaubwürdige Protago- Kampagne »Demokratie braucht jede nisten als Partner zu fi nden. Die Bundeszentrale Stimme – Kommunales Wahlrecht für für politische Bildung hat dazu gleich mehrere alle«. Initiiert von den Migrations- und »Wir brauchen Dialoge auf Ansätze erprobt: So gibt es Kooperationen mit Integrationsbeiräten Bayerns und un- Augenhöhe und zielgruppen- Fernsehproduzenten oder Youtubern zu Fernseh- terstützt vom Paritätischen Wohlfahrts- und Webvideoformaten, die den Bogen zwischen verband hat die Initiative mittlerweile in spezifi sche Angebote« Unterhaltung und politischer Wissensvermittlung vielen Bundesländern und Kommunen viel schlagen. Gleichzeitig stellen wir im Sinne der In- Zuspruch gefunden. klusion Inhalte in leichter und einfacher Sprache Die Initiatoren der Kampagne argu- noch stärker abgehängt und die Grundfesten der zur Verfügung, die verständlich wichtige politi- mentieren: Wer Steuern zahlt, sollte auch repräsentativen Demokratie geschwächt werden. sche Zusammenhänge erklären. mitbestimmen dürfen, wofür diese ausge- Eine 2013 von der Bertelsmann Stiftung beauf- Aufsuchende politische Bildung, die den Weg geben werden. Es gehöre zur Integration, tragte Schätzung zur Wahlbeteiligung der sozia- zu einer inklusiveren und integrativeren Demo- an Entscheidungen mitwirken zu können, len Milieus fand entsprechend heraus, dass die kratie ebnet, bedeutet in diesem Sinne, andere die direkte Auswirkungen auf das Lebens- Wahlbeteiligung gerade in benachteiligten Milieus Lernorte zu suchen, neue Zugangswege und plu- umfeld aller Einwohner und Einwohnerin- deutlich unterdurchschnittlich ausfi el. Weder die rale Beteiligungsmöglichkeiten zu schaff en und nen haben. Zugehörigkeit wird dort geför- klassischen Beteiligungsformen noch unkonventio- dabei auch Risiken einzugehen. Eine sich demo- dert, wo es möglich ist, an der politischen nelle Pfade politischer Teilhabe scheinen indes zu kratisch legitimierende und demokratiefördernde Willensbildung durch kommunale Wahlen verhindern, dass sich soziale Benachteiligung zu- politische Bildung erfordert eben immer wieder, teilzunehmen. nehmend in politische Marginalisierung übersetzt. zu überprüfen, ob Schwellen abgebaut sind und Geringes soziales und kulturelles Kapital gehen of- allen Menschen der Zugang zu ihr off en steht. Mehr Informationen unter fensichtlich einher mit wachsender Distanz zu Po- Gleichzeitig müssen wir uns der Rolle bewusst demokratie.agaby.de litik sowie ausbleibender politischer Teilhabe und sein, als Agent politischer Sozialisation neben an- ausbleibendem politischen Interesse. deren zu stehen. Foto: Fotolia / Christian Jung Genossenschaften im Aufwind »Demokratische Inklusion muss gestärkt werden« Viele Menschen wollen selbst bestimmen, was sie essen und wie ihr Strom erzeugt wird. Kleine gemeinschaftliche Wirtschaftsverbände erfüllen diesen Wunsch

• VON ANNETTE JENSEN Mitglieder, was angebaut wird. Viele Jahre lang haben, auf Kosten anderer Menschen und der war der Buschberghof ein Unikum, dann kam Umwelt zu leben. Mit Verzicht hat das nichts zu An jedem letzten Sonntag im Juni herrscht der Kattendorfer Hof nördlich der Hansestadt tun, sondern mit der Sehnsucht nach einem gu-

Foto: privat Drei Fragen an Oskar Niedermayer Hochbetrieb auf dem Buschberghof östlich dazu. Inzwischen existieren über 100 solidari- ten, selbstbestimmten Leben. von Hamburg. Das Hoffest ist von großer Be- sche Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland. • Was ist demokratische Inklusion? Partizipation auch von bestimmten Einstellungen deutung, denn auf ihm kursieren mit Ähren Auch in anderen Wirtschaftsbereichen ANNETTE JENSEN ist freie Journalistin und Und vor allem: Wie fördern wir sie? geprägt, die nicht nur von der Ressourcenaus- dekorierte Zettel, die abends möglichst mit Un- etablieren sich gemeinschaftliche Modelle. Publizistin in Berlin. Demokratische Inklusion bedeutet zuerst einmal, stattung abhängen. Zentral ist das politische terschriften zurückkommen sollen: Zahlungs- Beispielsweise sind im Energiebereich in den dass man allen Bürgerinnen und Bürgern formal Interesse. Deshalb genügt es etwa nicht, das Bil- verpflichtungen über knapp 400.000 Euro sind vergangenen Jahren 900 Genossenschaften die gleichen Rechte und politischen Beteiligungs- dungsniveau anzuheben, auch die Bildungsinhal- gefragt, so viel, wie die sechs Bauern der Hof- entstanden. Deren über 100.000 Mitglieder möglichkeiten verschaff t. Hier könnte man zum te müssen verändert werden. Wir brauchen mehr gemeinschaft im folgenden Jahr zum Leben legen Geld zusammen, um Solaranlagen auf Beispiel über eine Herabsetzung des Wahlalters Angebote zur politischen Erwachsenenbildung. und Arbeiten brauchen. Denn der Buschberg- Schuldächern zu installieren oder gemeinsam diskutieren. Demokratische Inklusion bedeutet Und es müssen Konzepte erarbeitet werden, die hof ist mehr als ein Demeter-Bio-Hof. Er ist eine Windräder zu betreiben. Ohne solche Kleinin- Impressum aber auch, dass man die Hindernisse beseitigt, an der Lebenssituation vor allem sozial benach- Wirtschaftsgemeinschaft von rund 95 Haus- vestoren wäre die Energiewende in Deutsch- Herausgeberin: die einer gleichen Wahrnehmung dieser Partizi- teiligter Personen anknüpfen. halten, die die Kosten des Betriebs über einen land nie möglich geworden: Noch 1993 hatten Heinrich-Böll-Stiftung e.V. pationsmöglichkeiten faktisch entgegenstehen. Jahresbeitrag aufbringen und im Gegenzug die großen Elektrizitätskonzerne behauptet, Stiftungsverbund Hier gibt es keine einfachen Lösungen, weil es • Erreicht man damit auch die eine vollständige Grundversorgung aus Obst, langfristig könnten regenerative Energien Schumannstr. 8, 10117 Berlin mehrere Faktoren gibt, die politische Partizipati- sogenannten Wutbürger? Gemüse, Brot, Fleisch und Milchprodukten er- höchstens vier Prozent des Strombedarfs de- www.boell.de / [email protected] on beeinfl ussen. So beteiligen sich Personen mit Ein wesentlicher Faktor für deren Politikferne halten. »Manchmal kommt die nötige Summe cken. Tatsächlich wurde im vergangenen Jahr gutvertreten.boell.de geringerem sozioökonomischem Status politisch ist ihre Unzufriedenheit mit der Politik, die sich nicht zusammen und wir fordern die Leute auf, die 30-Prozent-Marke überschritten. Doch V.i.S.d.P. Annette Maennel weniger. Deshalb dienen alle Maßnahmen, die vor allem in der Ansicht äußert, die Politik küm- noch mal in sich zu gehen«, berichtet Schatz- auch mehr Demokratie bringen die Stromge- soziale Ungleichheit verringern, auch der demo- mere sich nicht mehr um ihre Sorgen, Proble- meister Wolfgang Stränz. Seit 28 Jahren hat es meinschaften. Nachdem in Hamburg 2013 ein Redaktion: kratischen Inklusion. me und Interessen. Sich um diese Menschen zu am Ende jedes Mal doch geklappt. Volksentscheid dafür sorgte, dass die Stadt die Anne Ulrich, Benjamin Pfeifer, Iris Witt kümmern, würde dem entgegenwirken. Parteien Auf den Feldern des Buschberghofs wach- Verteilnetze zurückkaufen muss, bündelt nun • Es geht also um mehr Bildungs- und sollten verstärkt in den unmittelbaren Lebenszu- sen 70 Gemüse- und mehrere Getreidesorten, die Genossenschaft EnergieNetz Hamburg die Bestellung: Einkommensgerechtigkeit? sammenhängen dieser Menschen aktiv werden, es gibt Schweine, Hühner und eine Herde Ost- Kräfte für eine möglichst regionale, demokrati- bei der oben genannten Adresse Ja, aber selbst bei gleicher Bildung und gleichem sich mit deren Interessen auseinandersetzen. angler Rotvieh. Dienstags holen die Mitglieder, sche und regenerative Versorgung. Die Unter- Einkommen bleiben weitere relevante Ressourcen Das heißt aber nicht, dass man diese Stand- darunter auch Lebensmittelgeschäfte, die Wa- nehmensform ist bewusst gewählt – egal wie Die Heinrich-Böll-Stiftung und ihre Landes- ungleich verteilt – nämlich kognitive Fähigkeiten, punkte immer gut fi nden muss. ren ab. »Wir übernehmen die Landwirtschaft hoch oder niedrig der finanzielle Beitrag, jedes stiftungen stehen der Partei Bündnis 90/ politisches Talent und vor allem die verfügbare und sie die Verteilung«, sagt Bauer Karsten Mitglied hat eine Stimme. Die Grünen nahe und fördern die Entwick- Zeit. Informierte Wahlteilnahme ist zeitaufwän- OSKAR NIEDERMAYER ist Politikwissenschaftler Hildebrandt. Er ist froh, sich nicht wie früher Weitere Lebensbereiche folgen. Eine wach- lung einer demokratischen Zivilgesellschaft dig, noch zeitaufwändiger sind über Wahlen hi- und leitet das Otto-Stammer-Zentrum an der Freien um Marktstand und Hofladen kümmern zu müs- sende Zahl von Bürgern will heute wissen, wo im In- und Ausland. nausgehende Beteiligungsformen. Zudem wird Universität Berlin. sen. Auch das Risiko einer verhagelten Ernte und wie die Dinge ihres Alltags hergestellt trägt die Gemeinschaft. Dafür bestimmen die werden – und möchte nicht länger das Gefühl

Demokratie-Dialog Hamburg Programmauszug: Unser Web-Dossier 8. Oktober 2016 KEYNOTE 11 UHR Kaputtalismus Wie der heutige Kapitalismus die Demokratie bedroht n.boell.de FOREN 13 UHR 1) Demokratisierung des Öko- gutvertrete nomischen – wie gelingt das? 2) Zukunftstaugliche Parteien – Baustelle Was tun? 3) Starke Kommunen für Demokratie demokratische Inklusion PODIUMSGESPRÄCH 16 UHR Wie stärken wir Teilhabe Den Wandel gestalten und Gerechtigkeit? Was hält unsere Gesellschaft In der Mediathek des Dossiers fi nden Sie alle Beiträge aus den zusammen? Themengebieten Beteiligung, Parteien und Inklusion zum Lesen, mit Ulrike Herrmann, Karl-Martin Hentschel, Ansehen und Nachhören. Alle Publikationen stehen als PDF dock europe Karoline Linnert, Robert Misik u.a. und ePub zur Verfügung. U.a. von Nancy Fracer, Markus Linden, Hamburg-Altona Anmeldung unter gutvertreten.boell.de Gisela Erler, Frank Nullmeier und Peter Siller.