Dr. Thomas Hettche Pfaueninsel Roman

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Dr. Thomas Hettche Pfaueninsel Roman Leseprobe Dr. Thomas Hettche Pfaueninsel Roman Bestellen Sie mit einem Klick für 11,00 € Seiten: 352 Erscheinungstermin: 08. Februar 2016 Mehr Informationen zum Buch gibt es auf www.penguinrandomhouse.de Inhalte Buch lesen Mehr zum Autor Zum Buch Es mutet an wie ein modernes Märchen: Alles beginnt mit einer Königin, die einen Zwerg trifft und sich fürchterlich erschrickt. Kaum acht Wochen später ist die junge Königin tot – und der kleinwüchsige Christian und seine Schwester Marie leben fortan weiter mit ihrem entsetzten Ausruf: »Monster!« Damit ist die Dimension dieser Geschichte eröffnet. Am Beispiel von Marie, die auf der Pfaueninsel zwischen den Befreiungskriegen und der Restauration, zwischen Palmenhaus und Menagerie, Gartenkunst und philosophischen Gesprächen aufwächst und der königlichen Familie bei deren Besuchen zur Hand geht, erzählt Thomas Hettche von der Zurichtung der Natur, der Würde des Menschen, dem Wesen der Zeit und der Empfindsamkeit der Seele und des Leibes – und nicht zuletzt von die Liebe in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen. Autor Dr. Thomas Hettche Thomas Hettche, 1964 am Rand des Vogelsbergs geboren, lebt in Berlin. Sein Romandebüt »Ludwig muß sterben« wurde 1989 als Geniestreich gefeiert. Danach erschien unter anderem »Der Fall Arbogast« (2001), ein Bestseller, der in zwölf Sprachen übersetzt worden ist. »Woraus wir gemacht sind«, 2006 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Zuletzt veröffentlichte Hettche den hochgelobten Roman »Die Liebe der Väter« (2010) und den autobiographischen Essayband »Totenberg« (2012). Die Pfaueninsel in der Havel bei Potsdam, Rückzugsort der Preußenkönige, wurde im 19. Jahrhundert von Lenné und Schinkel unter Mithilfe des Hofgärtners Fintelmann zu einem künstlichen Paradies umgestaltet. Es gab Känguruhs dort und einen Löwen, Palmen und Götterbäume, einen Südseeinsulaner, einen Riesen, Zwerge und einen Mohren. Thomas Hettche läßt diese vergessene Welt wieder auferstehen, in deren Mittelpunkt er die kleinwüchsige Marie stellt, das historisch belegte Schloßfräulein der Pfaueninsel. Von ihrem Leben und unseren Vorstellungen von Schönheit erzählt sein Roman, von der Zurichtung der Natur und unserer Sehnsucht nach Exotik, von der Würde des Menschen, dem Wesen der Zeit und von einer tragischen Liebe. Thomas Hettche, 1964 am Rand des Vogelsbergs geboren, lebt in Berlin und in der Schweiz. Sein Romandebüt »Ludwig muß sterben« wurde 1989 als Geniestreich gefeiert. Seitdem erschien u.a. »Der Fall Arbogast« (2001), ein Bestseller, der in zwölf Sprachen übersetzt worden ist. »Woraus wir gemacht sind« (2006) stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Es folgten »Fahrtenbuch« (2008) sowie der hochgelobte Roman »Die Liebe der Väter« (2010) und der autobiographische Essayband »Totenberg« (2012). Thomas Hettche erhielt zahlreiche Preise, u.a. Robert-Walser-Preis, Premio Grinzane Cavour, Düsseldorfer Literaturpreis, Wilhelm Raabe Preis, Bayerischer Buchpreis, Solothurner Literaturpreis. www.hettche.de. Thomas Hettche bei btb Die Liebe der Väter (74288) Thomas Hettche Pfaueninsel Roman für lenore Das Zukünftige nimmt ab, das Vergangene wächst an, bis die Zukunft verbraucht und das Ganze vergangen ist. Augustinus erstes Kapitel Das Wort der toten Königin Die junge Königin stand einen Moment lang einfach da und wartete, daß ihre augen sich an das Halbdunkel des Waldes gewöhnten. Gerade eben noch hatte sie auf der sonnigen Wiese Ball gespielt, jenes englische spiel mit den hölzer- nen Hämmerchen, das dem König so sehr gefiel. auch die Tapeten für ihr schloß in Paretz stammten von einem eng- länder, er hatte seine Manufaktur im scheunenviertel, und das Billard in Paretz war direkt aus london geliefert worden. und sie glaubte auch zu wissen, weshalb der König alles ad- orierte, was von der englischen insel kam: weil er sich nicht eingestehen konnte, wie sehr er diese insel hier liebte. Diese insel, die auf Karten einem fisch gleicht, einem flossenschla- genden, sich wild aufbäumenden Wal, aus welchen Gründen auch immer an gerade dieser stelle der hier besonders trä- ge mäandernden, sich weitenden und wieder verengenden Havel gestrandet, an der man wohl vergißt, daß jeder fluß eine Quelle hat und eine Mündung. als ob die Zeit selbst hier ihre Richtung verlöre, umstrudelt sie die insel, es ver- mischen Vergangenheit und Zukunft sich hier auf besondere Weise, denn zwar verbindet die Havel die auen des spree- –7– walds mit denen der elbe, gerade hier aber scheint ihr Wasser stillzustehen in einer Kette dunkler seen und sich unter den schattig verhangenen Blätterdächern von Traubeneichen, flatterulmen und Rotbuchen zu verlieren, in auenwäldern, feuchten erlenbrüchen, unter Grauweiden. im frühjahr blühen hier scharbockskraut und sumpfdot- terblume, später im Jahr sumpfcalla, Wasserschwertlilie und Blutweiderich. an den flachen ufern breite, undurchdring- liche Röhrichtgürtel, in denen unzählige Vögel brüten. eis- zeitliche Bildungen all das, endmoränen, urstromtal. nichts auf der Pfaueninsel steht sicher in seiner Zeit. Jede Geschich- te beginnt lange, bevor sie anfängt. Die Königin atmete tief durch. Wo war der Ball? Die kleine Hofgesellschaft, die heute zum ersten Mal nach dem exil wieder hergekommen war, umfaßte außer den Kindern mit ihren Gouvernanten nur zwei Hofdamen, die Gräfinnen Tauentzien und Truchseß-Waldenburg, den Prinzenerzieher ancillon und Wrangel, den flügeladjutan- ten seiner Majestät. Von Hardenberg, dem es noch immer verboten war, sich bei Hofe aufzuhalten, wurde morgen zu einem geheimen Treffen erwartet, um napoleons forde- rung nach einer abtretung schlesiens zu besprechen, die er jüngst erhoben hatte, weil Preußen die Reparationszahlun- gen von fast einhundert Millionen francs nicht aufbringen konnte. Heute aber genoß man den frühling, flanierte, un- terhielt sich und war wegen der für einen Maitag ungewöhn- lichen Hitze damit beschäftigt, die silberbecher mit geeister Citronenlimonade nachzufüllen. niemand hatte bemerkt, wie die lederkugel, von der kaum siebenjährigen Prinzessin alexandrine mit einem Jauchzer weggeschlagen, im unter- holz verschwand. und so schlüpfte die Königin selbst, be- –8– vor noch jemand sich anerboten hatte, den Ball zu suchen, lachend vom hellen Rasenplatz unter die schattigen Bäume. als wäre sie durch einen Vorhang in eine andere Welt ge- treten, war es plötzlich still um sie her bis auf das leise sum- men müder insekten. Überrascht spürte sie, wie sehr ihre Haut von der anstrengung des spiels und der sonne brann- te. Gleichwohl zog die Königin den shawl über der Brust zu- sammen, der aus derselben dünnen, fast durchsichtigen Gaze wie ihr Kleid war, ganz weiß war das Kleid, kurzärmelig, mit weitem Dekolleté und nur mit einem blauen seidenband unter dem Busen gegürtet. eine Königin? Was ist das? eine Märchengestalt, denken wir, und doch: dieser hier pulste das leben am Hals und flackerte über die Wangen, hier, in der schwülen enge der Bäume, eng um die junge frau herumgelegt wie jenes Wort sie zu bezeichnen. spricht man es aus, ist es, als zerginge die Person in ihm ebenso wie ihre Gestalt in den dunklen schat- ten dieses Hains. Dabei sind wir es, die sie mit allem, was uns jenes Wort durch den Kopf jagt, anhauchen, während wir sie betrachten, und das Wort dabei tonlos vor uns hin murmeln. eine Königin, eine Königin. Gar nicht verschämt glotzen wir, und ebenso indiskret betastet unsere Phantasie ihre Gestalt. eine Königin, was ist das? Wohin bringt uns dieses Wort? Wir glauben es ganz genau zu wissen, und wenn wir nur einen Moment nachdenken, wissen wir gar nichts. Wußte man damals mehr? War denn tatsächlich damals jenes Wort eines wie soldat oder arzt? Wir können es nicht wissen. al- les ist Märchen oder nichts. Wenn wir Heutigen auch noch nicht einmal zu sagen vermöchten, was denn ein Märchen, ernsthaft gesprochen, überhaupt sei. alles ist Märchen oder nichts. eine Königin, ein schloß, eine insel. ein Ball. und –9– noch ein Wort wird gleich nötig sein, ebenso märchenhaft wie dieses, dabei aber abstoßend und ekelhaft und doch ebenso unumgänglich wie jenes für die junge frau dort. Die frage wird sein, wohin es uns führt. sie hat es an diesem schwülen frühsommertag ins Däm- merlicht geführt, und der süße Geruch warmer, fleischiger Blätter, die im unterholz vermoderten, stach ihr in die nase. sie begann sich nach dem Ball umzusehen, entdeckte ihn auch gleich, weiß leuchtend am stamm einer alten eiche, halb im knorrigen Wurzelwerk gefangen, halb von einem farn verborgen. Doch als sie sich bückte und schon nach ihm greifen wollte, kam aus dem schatten des stammes plötzlich die Gestalt eines kleinen Jungen hervor, der, ganz dicht vor ihr, sie anstarrte, und an dem irgend etwas, wie sie sofort wußte, nicht stimmte. erschrocken rief die Königin den Kleinen an, wer er sei und was er hier wolle, wie immer, wenn sie aufgeregt war, im weichen singsang ihrer südhessischen Heimat, der nie wirklich scharf klang, und es gab das Kind, das sie auf viel- leicht vier oder fünf Jahre schätzte, ihr auch ganz unbefan- gen auskunft. Doch kaum hatte es den Mund aufgetan, stieß die Königin, von dem, was sie da hörte, nun in wirk- lichem abscheu erfaßt, einen nur mühsam unterdrückten schrei aus und wich zurück. Kam doch aus dem Körper des Kindes, unpassend wie bei einem Bauchredner, eine ganz erwachsene, sehr tiefe stimme, die so höflich wie schauer- lich einen namen nannte, den die Königin indes überhaupt nicht zur Kenntnis nahm. Denn nun bemerkte sie auch, was an der Gestalt sie vom ersten anblick an irritiert
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