Vom Protest zum Widerstand Radikalisierung und terroristisches Potential junger Erwachsener

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Gerald Kohne, MA

am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft Begutachterin: Ao. Univ.-Prof.in Dr.in Regina Mikula

Graz, 2019

1 Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre hiermit ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher weder im In- noch im Ausland in irgendeiner Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Graz, am 30. April 2019

(Gerald Kohne)

2 Danksagung

Ich bedanke mich in erster Linie bei meiner Betreuerin Ao. Univ.-Prof.in Dr.in Regina Mikula, die trotz der schwierigen Umstände meines zweijährigen Auslandsaufenthalts und meiner Berufstätigkeit stets bereit war, mich beim Schreiben der vorliegenden Arbeit zu unterstützen und die immer zuverlässig erreichbar war.

Mein Dank gilt auch meinen Freundinnen und Freunden, die mich inspiriert, zu verschiedenen Gedanken angeregt und dazu motiviert haben, meine Begeisterung für das Thema in eine Masterarbeit zu gießen. Ein besonderer Dank für's Korrekturlesen geht an Martin, Jan und Hans-Peter, der mit seiner direkten, lustigen Art dazu beigetragen hat, Heiteres in die dunkle Thematik zu bringen.

Den vielen Teilnehmer/innen meiner Befragung möchte ich dafür danken, dass sie sich Zeit und Muße genommen haben, sich mit diesem komplexen Thema zu befassen und dadurch einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen dieser Arbeit geleistet haben.

3 Zusammenfassung

Die vorliegende Untersuchung wurde durchgeführt, weil gesellschaftliche Aufstände von Protesten bis hin zu Terrorismus allgegenwärtig sind und der dabei oft stattfindende Radikalisierungsprozess für die Erwachsenen- und Weiterbildung von Interesse ist. Ziel der Arbeit war es, herauszufinden, ob Bildung Einfluss auf extremistische Tendenzen hat und in der Lage ist, diese durch Weiterbildungsangebote zu unterbinden. Darüber hinaus soll das terroristische Potential junger Erwachsener erforscht werden. Um dieses greifbar zu machen, wurde ein Kriterienkatalog erstellt. Die Untersuchung wurde mit ei- ner Onlinebefragung und einem Expert/inneninterview realisiert. Die Befragung hat ein großes terroristisches Potential Einzelner ergeben, das sich bei Vorhandensein einer re- volutionären Situation entfalten würde.

Abstract

The present study was conducted because social rebellions from protests to terrorism have become ubiquitous and the often occurring radicalization process is interesting for further education studies. The aim of this paper was to determine whether education has an influence on extremist tendencies and can prevent them through further education programs. In addition, the terrorist potential of young adults is to be researched. To make this tangible, a list of criteria was created. The investigation was carried out with an online survey and an expert interview. The survey has revealed a high terrorist potential that would unfold in the presence of a revolutionary situation.

4 Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung S. 7 2 Begriffsbestimmungen S. 9 2.1 Protest S. 9 2.2 Widerstand S. 9 2.3 Terrorismus S. 9 2.4 Junge Erwachsene S. 11 2.5 Extremismus S. 11 2.6 Linksextremismus S. 12 3 Sozialrevolutionärer Terrorismus S. 13 3.1 BRD: Rote Armee Fraktion (RAF) S. 13 3.1.1 Die erste Generation der RAF S. 14 3.1.2 Die zweite Generation der RAF S. 15 3.1.3 Der Deutsche Herbst S. 15 3.1.4 Die dritte Generation der RAF S. 16 3.2 BRD: Bewegung 2. Juni S. 17 3.3 Italien: Brigate Rosse S. 18 3.4 Frankreich: Action Directe S. 21 3.5 Belgien: Kämpfende Kommunistische Zellen S. 22 3.6 Österreich: Terroranschläge von links und rechts S. 22 4 Terrorismus heute und aktuelle Herausforderungen S. 24 4.1 Aktuelle Herausforderungen: Demonstrationen und Streiks in EU- S. 24 Ländern 4.2 Terrorismus heute: Der IS und sein Ende S. 25 5 Radikalisierung S. 27 5.1 Gesellschaftliche und politische Ereignisse, die Radikalisierung S. 28 auslösen 5.1.1 Der 2. Juni 1967 als Wendepunkt S. 29 5.2 Radikalisierung gestern: Die Rekrutierung von Terrorist/innen durch S. 31 das Sozialistische Patientenkollektiv 5.3 Radikalisierung gestern: Rote Hilfe S. 32 5.4 Pädagog/innen des Proletariats: Die Heimkampagne S. 33 5.4.1 Der Film „Bambule“ S. 34 5.5 Persönliche und private Ereignisse, die Radikalisierung auslösen S. 34

5 5.5.1 Die Radikalisierung von S. 35 5.6 Auslösende Faktoren der Radikalisierung heute S. 38 5.7 Biographische Auffälligkeiten von Terrorist/innen, die eine S. 40 Radikalisierung begünstigen 5.8 Radikalisierung heute: Internet und soziale Medien S. 43 5.9 Orte der Radikalisierung S. 46 6 Bildung und Terrorismus S. 49 6.1 Bildungsbiographien der RAF-Terrorist/innen S. 49 6.2 Bildungsbiographien der IS-Terrorist/innen S. 51 6.3 Radikalisierungsprävention durch die Erwachsenen- und S. 52 Weiterbildung 6.4 Praxis der Radikalisierungsprävention in einer S. 56 Weiterbildungsinstitution 7 Analyse der Befragungsergebnisse S. 58 7.1 Abbruchgründe S. 58 7.2 Einstiegsfragen S. 59 7.3 Einschätzungen S. 66 7.4 Einstellungen S. 68 7.5 Bewertung von Aussagen S. 75 7.6 Interpretation der Ergebnisse S. 84 7.6.1 Nutzen von Weiterbildungsteilnahme S. 84 7.6.2 Die Schritte vom Protest zum Widerstand S. 85 7.6.3 Das Fehlen einer revolutionären Situation S. 86 7.6.4 Terroristisches Potential S. 87 8 Fazit S. 91 9 Literaturverzeichnis S. 94 10 Abbildungsverzeichnis S. 100 11 Anhang S. 101

6 1 Einleitung Sozialrevolutionärer Terrorismus ist out. Eine Revolution ist nicht angesagt. Doch wie schnell können sich die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse ändern? Wendet man seinen Blick gen Westen, in das Mutterland der Revolution, Frankreich, kommt man an den Protesten der Gelbwesten nicht vorbei. Die Demonstrationen und Streiks laufen seit Monaten ohne Unterlass, auch Zugeständnisse des Präsidenten Macron brachten kein nennenswertes Abschwächen der Proteste. Sieht man sich in unserer un- mittelbaren Nähe liegende Länder wie Ungarn, Slowakei, Kroatien, Rumänien, Serbien und Montenegro an, scheinen Demonstrationen gegen die dort herrschenden, oft korrup- ten Regierungen immer größere Ausmaße anzunehmen. Und selbst in Österreich sind die Donnerstagsdemos gegen die Bundesregierung Alltag geworden. Wer sind nun diese Menschen, die ihre Missbilligung der Politik in regelmäßigen Abständen auf die Straße tragen? Wie weit würden Demonstrant/innen gehen, um ihrer Wut, ihrer Enttäuschung Ausdruck zu verleihen? Welcher Funke zündet das Feuer zur Revolution? Die Kernfra- ge dieser Arbeit ist, welche Umstände dazu führen, dass Protest zu Widerstand wird und darüber hinaus, welche Formen der Widerstand annimmt. Ob er sich in harmlosen Streiks äußert oder ob Menschen für eine politische Frage in den Untergrund gehen würden und wann Menschen zu Terrorist/innen werden. Es scheint, als würde sich die Wut über die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse, ob von links oder rechts, in Ermangelung einer revolutionären Situation heute vermehrt in Delinquenz junger Er- wachsener äußern.

Zunächst widmet sich das zweite Kapitel den Begriffsbestimmungen, die für das Ver- ständnis und die begriffliche Unterscheidbarkeit notwendig sind. Der dritte Teil der vor- liegenden Masterarbeit wirft einen Blick zurück auf vergangene Zeiten, in das 20. Jahr- hundert, in dessen zweiten Hälfte der sozialrevolutionäre Terrorismus junge Menschen mit terroristischem Potential euphorisierte. Dieses Potential wurde vor allem in der Bundesrepublik Deutschland und in Italien, aber auch unter anderem in Frankreich und Belgien ausgeschöpft. Nach der historischen Rückschau befasst sich der vierte Ab- schnitt mit dem Terrorismus des Islamischen Staats, mit dem sich die Gesellschaft ge- genwärtig auseinanderzusetzen hat, sowie mit aktuellen Herausforderungen wie Streiks und Demonstrationen in diversen EU-Ländern.

7 In Kapitel 5 werden die Vorgänge der Radikalisierung beschrieben. Dabei geht es zu- nächst um die gesamtgesellschaftliche Ebene und die Frage, welche politischen Ereig- nisse Radikalisierung begünstigen, um dann das individuelle Level der persönlichen und privaten Ereignisse sowie biographische Auffälligkeiten, die eine Radikalisierung auslö- sen können, zu beleuchten. Die Rekrutierung von Terrorist/innen gestern unterscheidet sich wesentlich von der heutigen. Diese Differenzen werden jeweils am Beispiel der RAF und des IS aufgezeigt. Auch der Ort, an dem Gewalttäter/innen rekrutiert werden, spielt eine wichtige Rolle. Kapitel 6 stellt schließlich einen Zusammenhang zwischen Bildung und Terrorismus her und erläutert dabei die Bildungsbiographien von ausge- wählten Terrorist/innen. Bildung kann Positives bewirken, indem gerade Weiterbil- dungseinrichtungen Fortbildungen zu Radikalisierungsprävention oder zur Aufklärung über Terrorismus anbieten können. Zudem wird die Praxis der Radikalisierungspräven- tion in einer Weiterbildungsinstitution auf Grundlage eines Expert/inneninterviews be- leuchtet.

Im zweiten großen Abschnitt der Masterarbeit werden die Ergebnisse der Befragung analysiert. Knapp 150 Menschen meiner Zielgruppe nahmen an der Onlineumfrage über Radikalisierung und terroristisches Potential junger Erwachsener teil. Die Befragung liefert teilweise unerwartete und spannende, in machen Bereichen auch erwartbare Er- gebnisse. Diese werden ausführlich geschildert und ausgewertet, um schließlich ein Fa- zit zu ziehen.

Die wichtigste Ausformulierung des Leitgedankens der Arbeit liefert die RAF-Terroris- tin Ulrike Meinhof (1968, S. 5): „Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger ge- schieht“.

8 2 Begriffsbestimmungen Der Titel der vorliegenden Arbeit Vom Protest zum Widerstand. Radikalisierung und terroristisches Potential junger Erwachsener steckt voller Begriffe, die auf den ersten Blick logisch erscheinen, die aber doch einer näheren Erläuterung bedürfen, will man bei der Analyse eine scharfe Abgrenzung zwischen ihnen vornehmen.

2.1 Protest Protest ist eine legitime Form der Willensbekundung des Volkes und wird in Demokra- tien als Stärke der freien Zivilgesellschaft verstanden. „Protest führt nicht grundsätzlich zu irgendeiner Form des abweichenden politischen Verhaltens“ (Bötticher/Mareš 2012, S. 53). Protest läuft in der Regel legal und gewaltfrei ab. Gruppierungen wie die RAF, ETA oder IRA sind aus entsprechenden Bewegungen entstanden. Der Duden (2019) de- finiert Protest als „meist spontane und temperamentvolle Bekundung des Missfallens, der Ablehnung“.

2.2 Widerstand Widerstand ist eine Form politischer Opposition, die mit illegalen Praktiken operiert. Dabei bedeutet Opposition, dass sich die Gegnerschaft gegen die gesamtstaatlichen Ver- hältnisse, gegen die Regierung oder gegen bestimmte Vorhaben der Regierenden richtet. Wendet man Widerstand an, bedeutet das gleichzeitig, dass man bewusst in Kauf nimmt, gegen Gesetze des Staates zu verstoßen. Der Begriff kann in aktiven/gewaltsa- men und passiven/gewaltfreien Widerstand (beispielsweise durch Emigration) eingeteilt werden (vgl. Ballestrem 2013, S. 69). „Wer aktiv Widerstand leistet, ist demnach bereit, Gewalt gegen Personen anzuwenden (bis hin zum Mord an Amtsträgern), wer passiv Widerstand leistet übt […] gewaltlosen Ungehorsam gegen Gesetze und Anordnungen bzw. versucht, sich diesen zu entziehen“ (ebd., S. 69). Laut Duden (2019) bedeutet Wi- derstand „das Sichwidersetzen, Sichentgegenstellen“.

2.3 Terrorismus „Terrorismus ist Folge einer gewalttätigen Eskalation von Konflikten“ (Eckert 2012, S. 229). „Terrorismus kann definiert werden als eine andauernde und geplante Gewalt-

9 anwendung mit politischer Zielsetzung, um mittels terroristischer Mittel das (politische) Verhalten des Gegners zu beeinflussen“ (Dietl/Hirschmann/Tophoven 2006, S. 17). Die Geschichte des Terrorismus beginnt im 11. Jahrhundert mit einer radikalen Sekte aus Persien, angeführt von Hasan-i Sabbah. Deren Ziel ist es, Gegner umzubringen, ins- besondere Herrscher aus dem Nahen Osten und Kreuzfahrer aus Europa. Die erste Flug- zeugentführung wird bereits 1931 durch Rebellen in Peru verübt (vgl. ebd., S. 359). Terrorismus kann vielschichtige Motive und Ausprägungen haben, weshalb man folgen- de Kategorien unterscheidet: Ethno-nationaler Terrorismus (säkularer Terrorismus im Nahen Osten durch die PLO, PKK (Partiya Karkeren Kurdistan/Arbeiterpartei Kurdi- stans) in Kurdistan, ETA (Euskadi Ta Askatasuna/Baskenland und Freiheit) in Spanien, IRA (Irish Republican Army) in Irland), Sozialrevolutionärer Terrorismus (RAF, Bewe- gung 2. Juni und Revolutionäre Zellen in Deutschland, Brigate Rosse in Italien, Action Directe in Frankreich), Terrorismus mit staatlicher Beteiligung sowie Islamismus und Dschihadismus. Eine weitere Unterscheidung existiert nach den Durchführungsformen des Terrorismus. Dabei wird differenziert zwischen konventionellem Terrorismus, Selbstmordattentäter/innen, maritimem Terrorismus, nuklearen, biologischen und che- mischen Waffen, Briefbomben (Franz Fuchs) sowie Cyberterrorismus (vgl. ebd., S. 5-7). Terrorismus findet nicht nur in weit von uns entfernten Gebieten der Welt wie dem arabischen Raum oder den USA statt, sondern auch in Europa. Man denke an die Bomben in Nahverkehrszügen in Madrid 2004 mit 191 Toten (vgl. ebd., S. 176) oder an jene in der Londoner U-Bahn 2005 mit 57 Toten (vgl. ebd., S 183).

Es können sieben Merkmale festgemacht werden, die Terrorismus auszeichnen. Das ers- te ist, dass Terroranschläge politisch motiviert sind. Alles andere würde man einfach als Verbrechen definieren. Zweitens muss Gewalt angewandt oder zumindest angedroht werden. Das dritte Merkmal des Terrorismus ist der Zweck, der darin besteht, eine Bot- schaft zu verkünden. Viertens haben der Anschlag und die Opfer in der Regel symboli- sche Bedeutung. Die psychologische Wirkung muss größer sein als der physische Scha- den. Das fünfte Charakteristikum ist die Vorgehensweise, die von Gruppen auf substaat- licher Ebene ausgeht, in der Regel nicht von Staaten. Sechstens sollte zwischen Opfern der Gewalt und Adressat/innenkreis, den die Terrorist/innen erreichen wollen, unter- schieden werden. Die Betroffenen werden als Mittel eingesetzt, um das Verhalten eines

10 größeren Personenkreises zu beeinflussen. Opfer werden entweder zufällig ausgesucht oder sind Repräsentant/innen einer Institution, der Attentäter/innen feindlich gegenüber- stehen. Das letzte Merkmal des Terrorismus ist, dass er meist bewusst gegen Zivilist/in- nen gerichtet ist (vgl. Richardson 2007, S. 28-30). Mit dieser Definition bezieht sich die irische Politikwissenschafterin Richardson hauptsächlich auf islamistisch motivierten Extremismus. Sozialrevolutionärer Terrorismus hingegen zielt darauf ab, politische Ent- scheidungsträger/innen dazu zu bringen, ihre Bedingungen zu akzeptieren und vermei- det in der Regel zivile Opfer.

2.4 Junge Erwachsene Der österreichische Gesetzgeber definiert im Bundes-Jugendförderungsgesetz und Bun- des-Jugendvertretungsgesetz junge Erwachsene als Menschen zwischen 18 und 30 (vgl. Bundeskanzleramt 2019).

2.5 Extremismus Der Begriff Extremismus wird in dieser Arbeit häufig gebraucht. Er beschreibt die For- derung nach einer radikalen Änderung der aktuellen Zustände. Vor allem die politische Linke hegt diesen weitreichenden Anspruch. Die Vorstellung davon, was als extrem gilt und was nicht, hängt von der jeweiligen Kultur und dem dortigen gesellschaftlichen Grundkonsens ab. Man denke an die besonders gesellschaftsliberale Einstellung in den Benelux-Ländern und vergleiche sie mit arabischen Staaten. Darüber hinaus muss zwi- schen extremistischen Ideen und Taten unterschieden werden (vgl. Neumann 2016, S. 29-31). Die Unterscheidung zwischen den gemäßigten und extremistischen politischen Strö- mungen, also zwischen rechts und rechtsextrem, links und linksextrem oder islamisch und islamistisch, ist wichtig. „So ist der Wunsch nach Abschaffung des Kapitalismus zwar links, aber nicht linksextrem, weil in der Verfassung die Frage der Wirtschaftsord- nung [in Deutschland, Anm. d. Verf.] offen gehalten ist“ (Eckert 2012, S. 279). Eine Forderung nach einer Diktatur des Proletariats wäre hingegen extremistisch. Eine isla- misch geprägte Lebensweise muss ebenfalls von der Einführung der Scharia, welche eindeutig extremistisch wäre, unterschieden werden. In einer demokratischen Auseinan- dersetzung müssen gegnerische Positionen ertragen werden (vgl. ebd., S. 279).

11 2.6 Linksextremismus Die Merkmale des Linksextremismus sind Antikapitalismus, Egalitarismus, Antifaschis- mus, Antimilitarismus, Internationalismus und Environmentalismus. Besonders die Kri- tik am Kapitalismus und die daraus resultierenden Machtverhältnisse sind prägend für den Linksextremismus. Heute werden oft die unsicheren Lebensverhältnisse, das Preka- riat und eine instabile Arbeitswelt von den Linken kritisiert. Die Gleichheitsidee mit der Verwirklichung einer klassenlosen Gesellschaft und die Unterstützung gesellschaftli- cher Randgruppen sind unter Linken besonders populär. Am Internationalismus kritisie- ren linke Gruppierungen vor allem die internationale Zusammenarbeit kapitalistischer Staaten und deren Organisationen wie NATO oder IWF. Zudem wird die Europäische Union als neoliberales Projekt angesehen. Die Umsetzung der Revolutionsideen kann vom individuellen anarchistischen Terrorismus bis hin zu einer Massenrevolution leni- nistischer Prägung reichen, mit Abstufungen wie punktuellen Revolutionsaktionen mit negativen Folgen für bisherige Herrschaftsverhältnisse wie zB der kommunistische Staatsstreich in der Tschechoslowakei 1948. Gegenwärtig existieren kommunistische Regimes in China, Nordkorea, Vietnam, Laos und Kuba. Schwieriger ist die eindeutige Einordnung in linksextremistische Regimes. Ansatzweise trifft diese Kategorie auf Län- der wie Bolivien und Venezuela, Weißrussland sowie zentralasiatische postsowjetische Staaten zu (vgl. Bötticher/Mareš 2012, S. 363-371).

12 3 Sozialrevolutionärer Terrorismus Seit dem 11. September 2001 ist das Thema Terrorismus wieder allgegenwärtig. Durch die vielen islamistisch motivierten Anschläge in Westeuropa (Madrid 2004, London 2005, Paris 2015, Brüssel 2016, Berlin 2016 usw.) hat sich der Blickwinkel hin zu reli- giös motiviertem Terrorismus verschoben. Das war nicht immer so. In den 1970er-Jah- ren lag der Fokus in Westeuropa durch die vielen Anschläge der RAF, Bewegung 2. Juni und Revolutionären Zellen in der Bundesrepublik Deutschland, der Brigate Rosse in Italien oder der Action Directe in Frankreich eindeutig auf sozialrevolutionärem Ter- rorismus. Diese Terrororganisationen haben sich allesamt aufgelöst. Zeitlich ging die Auflösung mehr oder weniger mit jener der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken einher. Durch den Zerfall real existierender sozialistischer Staaten fiel auch die Diskus- sions- und Argumentationsgrundlage für eine sozialistischen Gesellschaftsordnung nach Karl Marx, nach der der sozialrevolutionäre Terrorismus strebte, weg (vgl. Straßner 2008, S. 9-10). Ziele des sozialrevolutionären Terrorismus sind „[...] allgemein weit reichende politi- sche und gesellschaftliche Veränderungen eines Systems nach den Vorstellungen von Karl Marx oder der mit dem Marxismus verwandten oder aber aus ihm hervor gegange- nen Ideologien. Motiv für die angestrebte gewaltsame Veränderung eines Systems ist eine perzipierte soziale oder ökonomische Schieflage, die auf systemkonformem Wege nicht zu beseitigen ist, da die Eliten des Systems an eine qualitative Veränderung des Systemcharakters zu verhindern suchen“ (Straßner 2008, S. 20). Dadurch wird der sozi- alrevolutionäre Terrorismus zu einem „Erklärungs- und Rechtfertigungsterrorismus“ (ebd., S. 20).

3.1 BRD: Rote Armee Fraktion (RAF) Die linksextremistische und terroristische deutsche Rote Armee Fraktion (RAF) lässt sich der Kategorie sozialrevolutionärer Terrorismus bzw. Linksterrorismus zuordnen. Dieser erlebte seine intensivste Phase in den 1970er-Jahren und dauerte bis in die 1990er an. Seine Existenz erübrigte sich mit dem Verschwinden real existierender sozi- alistischer Staaten. Das Ziel des Linksterrorismus war die politische Neuausrichtung der als imperialistisch-kapitalistisch angesehenen westlichen Gesellschaft. Sie ging aus dem linken Rand der Post-68er-Bewegungen hervor und griff in der Regel Herrschende (Po-

13 litiker, Geschäftsführer) sowie symbolträchtige Gebäude an. Diesem Spektrum lässt sich die RAF als linke Untergrundorganisation zuordnen. Vor allem in den 1970er-, aber auch in den 1980er-Jahren prägte sie die politische Gewaltszene in Deutschland. Die vier Hauptfiguren und Gründungsmitglieder sind , Gudrun Ensslin, und Ulrike Meinhof. Als Vorbild dienten der Baader-Meinhof-Gruppe (so wurde die RAF in ihren Anfangsjahren genannt) südamerikanische Stadtguerillabanden, die gegen das herrschende System kämpften (vgl. Dietl et al. 2006, S. 69).

3.1.1 Die erste Generation der RAF Die Geburtsstunde erlebte der deutsche Linksterrorismus mit dem Kaufhausbrand in Frankfurt am Main 1968 als Protest gegen den Konsumterror. Baader, Ensslin und zwei weitere spätere RAF-Mitglieder hatten die Tat verübt. Sie wurden bereits drei Tage nach der Aktion festgenommen und zu jeweils drei Jahren Haft verurteilt. Aufgrund ei- ner Revision des Urteils durch den Bundesgerichtshof kamen die Verurteilten unter Vorbehalt wieder frei und Baader und Ensslin gingen in den Untergrund. Bereits 1970 wurde Baader bei einer Verkehrskontrolle erneut verhaftet. Die erste Aktion der RAF war die Befreiung Baaders 1970. Er wurde von Ensslin und Meinhof unter Schusswaf- fengebrauch während eines Bibliotheksbesuchs befreit. Von diesem Zeitpunkt an nannte sich die Gruppe RAF und zählte bereits 20 Mitglieder. Führende Köpfe der Baa- der-Meinhof-Gruppe gingen nach Jordanien und Syrien, um in Trainingscamps der PLO (Palestine Liberation Organization/Palästinensische Befreiungsorganisation) terroris- tisch ausgebildet zu werden. In der Aufbauphase verübte die RAF Banküberfälle, Fahr- zeug- und Dokumentendiebstähle. Das erste Opfer der RAF war ein Polizist, der 1971 bei einer Personenkontrolle erschossen wurde. Im Jahr darauf verübte die Rote Armee Fraktion einen Sprengstoffanschlag auf ein Quartier der US-Armee in Frankfurt am Main, bei dem ein Soldat getötet wurde. 1972 wurden bei einem Anschlag auf das Hauptquartier der US-Armee in Heidelberg drei Soldaten getötet. Daraufhin wurden bei einer Fahndungsaktion führende RAF-Mitglieder, darunter Baader, Ensslin und Mein- hof, gefasst. Im April 1977 wurden sie zu lebenslanger Haft verurteilt (vgl. Dietl et al. 2006, S. 72-74).

14 3.1.2 Die zweite Generation der RAF Danach eskalierte der Terror erst richtig. Aus den Zellen des Hochsicherheitstraktes in -Stammheim setzten die Gefangenen ihre Aktionen fort. Sie traten öfter in Hungerstreiks. 1974 endete jener für trotz Zwangsernährung tödlich. Dar- aufhin wurden die Bedingungen für die RAF-Gefangenen in den Haftanstalten gelo- ckert. Dadurch konnten sie Kontakt zu den noch im Untergrund lebenden Mitgliedern knüpfen. Somit wurde die zweite Generation der RAF aktiv und sah ihre Aufgabe darin, ihre inhaftierten Gesinnungsgenoss/innen freizupressen. Die erste diesbezügliche Akti- on war die Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm 1975, bei der zwölf Gei- seln genommen wurden. Die zweite Generation der RAF forderte die Freilassung von 26 Häftlingen der Roten Armee Fraktion. Bei der Aktion explodierten die Sprengladun- gen, woraufhin zwei Geiseln sowie zwei Geiselnehmer ums Leben kamen. Eine Ausein- andersetzung um die ideologische Ausrichtung der RAF unter den inhaftierten Füh- rungsmitgliedern gipfelte im Suizid von Ulrike Meinhof 1976 (vgl. Dietl et al. 2006, S. 74-75).

3.1.3 Der Deutsche Herbst Im Februar 1977 wurde das RAF-Mitglied aus der Haft entlassen. Sie sollte Führungsaufgaben übernehmen, tauchte sofort in den Untergrund ab und be- sorgte Waffen für die bevorstehenden Großaktionen. Zwei Monate darauf tötete die RAF Generalbundesanwalt Siegfried Buback, seinen Fahrer und einen Polizisten. Wie- derum drei Monate später wurde der Vorstandssprecher der Dresdner Bank Jürgen Pon- to in seinem Haus bei einem Entführungsversuch erschossen. Im September 1977 schließlich entführte die RAF den Präsidenten des Arbeitgeberverbandes Hanns-Martin Schleyer. Sein Fahrer und drei Polizisten wurden dabei ermordet. Die Entführer forder- ten die Freilassung von elf Gefangenen, darunter Baader und Ensslin. Die Bundesregie- rung wollte nicht nachgeben, spielte auf Zeit und setzte eine Großfahndung nach Schleyer an. Diese war nicht erfolgreich. Stattdessen entführte ein arabisches Terror- kommando, bestehend aus zwei Männern und zwei Frauen, eine Lufthansa-Maschine auf dem Weg von Mallorca nach Frankfurt am Main, um die RAF-Häftlinge freizupres- sen. An Bord der Boeing 737 befanden sich 86 Passagiere und fünf Besatzungsmitglie- der. Die vier Tage andauernde Tortur führte von Rom über Larnaca und Aden nach Mo-

15 gadischu, der Hauptstadt von Somalia. In Aden wurde der Kapitän Jürgen Schumann in der Maschine vor den Augen aller Passagiere von den Entführer/innen erschossen. Eine Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes, die GSG 9, befreite in einer nächtlichen Akti- on alle Geiseln. Dabei wurden drei Geiselnehmer/innen erschossen. Unmittelbar nach- dem die Nachricht über die Befreiung der Lufthansa-Maschine in die Bundesrepublik drang, begingen Baader, Ensslin und Raspe in ihren Gefängniszellen Suizid. Tags dar- auf wurde die Leiche Hanns-Martin Schleyers im Kofferraum eines Autos in Frankreich gefunden. Die zweite RAF-Generation zerfiel zusehends, da die Flugzeugentführung und die damit verbundene Gefährdung Unbeteiligter und Unschuldiger auf Unverständ- nis und Ablehnung bei Anhänger/innen der RAF stieß. Das endgültige Ende der zweiten Generation der RAF war an dem Tag gekommen, als die GSG 9 die RAF-Spitzen Mohnhaupt und Klar bei ihrem Waffenversteck festnehmen konnte (vgl. Dietl et al. 2006, S. 75-78). Nach dem Überfall auf eine Schweizer Bank in Zürich, bei dem Unbe- teiligte getötet wurden, stiegen zehn Mitglieder aus der RAF aus und setzten sich mit Hilfe des Ministeriums für Staatssicherheit in die DDR ab (vgl. ebd., S. 400).

3.1.4 Die dritte Generation der RAF Der aus 15-20 Personen bestehende Kern der dritten RAF-Generation verübte Anschlä- ge vor allem auf Politiker/innen und Wirtschaftstreibende. Da die RAF Führungsperso- nal und Logistik verloren hatte, schloss sie sich mit militanten Splittergruppen zusam- men. 1985 wurde Ernst Zimmermann, Vorstandsvorsitzender des Rüstungskonzerns MTU, ermordet. Im selben Jahr wurde ein Soldat der US-Armee ermordet und bei ei- nem Bombenanschlag auf die US-Airbase in Frankfurt am Main wurden zwei Personen getötet. Im Jahr darauf wurden Karl-Hein Beckurts, Vorstandsmitglied bei Siemens, so- wie sein Fahrer und Gerold von Braunmühl, Ministerialdirektor des Auswärtigen Am- tes, erschossen. 1989 wurde der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herr- hausen, durch die RAF getötet und 1991 Detlev Rohwedder, Vorstandsvorsitzender der Treuhand. 1992 veröffentlichte die Rote Armee Fraktion das sogenannte April-Papier, in dem die vorläufige Einstellung der Gewalt gegen Menschen angekündigt wurde. Das letzte Opfer der RAF war ein GSG 9-Beamter, der beim Zugriff auf die Mitglieder und am Bahnhof Bad Kleinen durch Wolfgang Grams erschossen wurde, bevor dieser sich selbst tötete. Im April 1998 schließlich erklärte die

16 RAF in einem achtseitigen Papier ihre Selbstauflösung. In den Jahren des Terrors hatte die RAF 34 Menschen getötet. Im selben Zeitraum kamen 20 Personen zu Tode, die der RAF zugeordnet werden (vgl. Dietl et al. 2006, S. 78-80).

3.2 BRD: Bewegung 2. Juni Die Bewegung 2. Juni wurde nach dem 2. Juni 1967 benannt, an dem der Student Ben- no Ohnesorg während eines Protestaufmarsches gegen den Schah von Persien von ei- nem Polizisten erschossen wurde. Sie wurde 1972 gegründet und existierte bis 1980, wobei nach ihrer Selbstauflösung einige Mitglieder der RAF beitraten. Die Bewegung 2. Juni trat nie so aktionistisch auf wie die RAF und kam auch nicht annähernd an deren Berühmtheit heran. Die Gründer Fritz Teufel, Michael „Bommi“ Baumann und Ralf Reinders verteilten mitunter bei ihren Banküberfällen Schokoküsse. Sie führte wie die RAF einen bewaffneten Kampf gegen das System der Bundesrepublik Deutschland. Ihre berühmteste Aktion war die Entführung des Berliner CDU-Politikers Peter Lorenz 1975. Damit erreichten sie sogar ihr Ziel der Freilassung von fünf Gesinnungsgenoss/in- nen (vgl. Korndörfer 2008, S. 237). Die Bewegung 2. Juni unterschied sich in einigen Punkten von der RAF. So waren sie eher dem proletarischen Milieu zuzuordnen, es gab kaum hierarchische Strukturen und die Mitglieder versuchten, so lange wie möglich in der Legalität zu bleiben und aus dieser heraus zu operieren. Darüber hinaus blieben die Aktivitäten der Bewegung auf Westberlin beschränkt. Einige Mitglieder der Bewegung 2. Juni waren bereits in der Vorgängerorganisation Tupamaros, die auch in München tä- tig war, aktiv, hatten sich dort bewaffnet, verübten Anschläge gegen Angehörige des Justizapparates und gegen US-amerikanische Einrichtungen. Weiters verfügten sie über konspirative Wohnungen sowie gestohlene Autos und durch Banküberfalle auch über genügend Kapital. Den ersten Toten hatte die Bewegung 2. Juni im Februar 1972 zu verantworten. Als Reaktion auf den „Bloody Sunday“ im nordirischen Londonderry, bei dem die britische Armee eine Demonstration katholisch-irischer Nationalist/innen blutig niedergeschlagen hatte, verübte die Terrororganisation einen Anschlag auf einen briti- schen Yachtclub in Westberlin. Dieses Attentat zeigt, dass die Aktionen der Bewegung 2. Juni auf spontane Rache abzielten. Ähnlich wie die italienischen Brigate Rosse ging die Bewegung 2. Juni wenig zimperlich mit Abweichler/innen um. 1974 wurde ein 22- jähriger Student, das ehemalige Mitglied der Stadtguerilla Ulrich Schmücker, von der

17 Bewegung 2. Juni exekutiert, nachdem er nach seiner Verhaftung mit den Behörden ko- operiert hatte. Im selben Jahr wurde der Berliner Kammergerichtspräsident Günther von Drenkmann von der Gruppierung im Zuge eines missglückten Entführungsversuchs in seiner Wohnung erschossen (vgl. Korndörfer 2008, S. 244-250). Die spektakulärste Aktion führte die Bewegung 2. Juni im Februar 1975, kurz vor der Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses, durch. Sie entführten den Bürgermeisterkandi- daten der CDU, Peter Lorenz. Da dieser Oppositionskandidat war und die SPD sowohl in Berlin als auch in der Bundeshauptstadt Bonn regierte, war das Kalkül der Entführer/innen, dass die SPD aus moralischen Gründen nachgeben würde – und der Coup ging auf. Im Monat darauf wurden fünf Gefangene in den Südjemen ausgeflogen. Die Entführer/innen setzten sich ebenfalls ins Ausland ab. Bei ihrer Rückkehr innerhalb eines Jahres wurden fast alle Terrorist/innen der Bewegung 2. Juni verhaftet, doch eini- ge konnten aus ihren Haftanstalten flüchten. Im November 1977 kam es schließlich zur letzten großen Aktion der Terrororganisation, die einen Bezug zu Österreich aufweist. Der österreichische Industrielle Walter Palmers wurde entführt. Bei dessen Freilassung konnten die Entführer/innen 4,3 Millionen Mark Lösegeld lukrieren, wovon jeweils eine Million an die RAF und an palästinensische Widerstandskämpfer ging. Doch Ende der 1970er-Jahre musste die Bewegung 2. Juni ernüchtert feststellen, dass die Arbeiter/in- nen nicht für einen revolutionären Umsturz zu gewinnen waren. Zudem war der Fahn- dungsdruck zu groß geworden und kam zu einer Spaltung innerhalb der Organisation. Zwei Mitglieder, Inge Viett und Juliane Plambeck, schlossen sich der RAF an und die Bewegung 2. Juni löste sich 1980 selbst auf (vgl. Korndörfer 2008, S. 250-255).

3.3 Italien: Brigate Rosse Von allen sozialrevolutionären Terrororganisationen waren die italienischen Brigate Rosse (Rote Brigaden) die aktivste und brutalste: 75 Morde, 115 versuchte Tötungen und 17 politische Entführungen haben die Roten Brigaden zwischen 1970 und 1988 zu verantworten (vgl. Holzmeier/Mayer 2008, S. 287). Sie wurden 1970 von Arbeiter/in- nen und Student/innen in der norditalienischen Stadt Reggio Emilia gegründet. Die Gründungsmitglieder beteiligten sich an öffentlichen Diskussionen über soziale und po- litische Entwicklungen sowie an Demonstrationen und Hausbesetzungen in Mailand. Die Gruppierung agierte sowohl aus dem Untergrund heraus als auch öffentlich. Ab

18 1972 gab es eine scharfe Trennung zwischen regulären (sich ganz den Brigate Rosse verschriebenen, im Untergrund lebenden) und irregulären Mitgliedern, die zwar legal weiterlebten, die Roten Brigaden allerdings logistisch unterstützten. Zu jener Zeit waren jeweils ca. 15 reguläre Mitglieder in Mailand, Turin und Padua aktiv. 1974 hatten die Brigate Rosse bereits ca. 300 reguläre und irreguläre Mitglieder. Daraufhin kam es zur Einführung von Städtekolonnen, 1980 existierten welche in Mailand, Turin, Genua, Ve- neto und Rom (vgl. Holzmeier/Mayer 2008, S. 280-282). „Die Spitze der Hierarchie bil- deten das Exekutiv-Komitee (comitato esecutivo) und die Strategische Direktion (dire- zione strategica)“ (ebd., S. 282). Die italienische sozialrevolutionäre Terrororganisation hatte eine Abteilung für Logistik und eine für Propaganda und Rekrutierung der Arbei- ter/innen (vgl. ebd., S. 282). Die terroristische Phase der Brigate Rosse begann 1970 mit einem Brandanschlag auf einen Unternehmer. Doch nicht nur Wirtschaftstreibende, sondern auch der Besitz von Unterstützer/innen des Neofaschismus in Italien gerieten zur Zielscheibe der Brigadist/innen. Da sie eine Vermengung von Kapitalismus und Faschismus konstatier- ten, wählten sie ihre Zielobjekte dementsprechend aus. 1972 begann die erste Entfüh- rung eines Managers. Damit wollte man Unternehmer/innen einschüchtern und die Ar- beiter/innen für sich gewinnen. 1973 fand die Geiselnahme des Leiters der Personalab- teilung von Fiat statt, die mit der Erfüllung der Forderung endete, 400 zuvor entlassene Arbeiter/innen wieder einzustellen. Im Jahr darauf wurde der stellvertretende Staatsan- walt von Genua, Mario Sossi, entführt. Dieser geriet ins Visier der Brigate Rosse, da er Mitglied einer faschistischen Student/innenorganisation sowie am Verfahren gegen eine andere sozialrevolutionäre Gruppierung beteiligt war. 1974 wurde der Kern der Brigate Rosse verhaftet und einige Waffenverstecke flogen auf. Danach zeigen sich Parallelen zur RAF: Wie bei der sozialrevolutionären Partnerorganisation steigerte die Inhaftie- rung der Gründungsfiguren der Terrororganisation die Gewaltspirale. In der Phase 1974 bis 1978, also mehr oder weniger im gleichen Zeitraum wie der Deutsche Herbst, propa- gierten die Roten Brigaden den „Angriff auf das Herz des Staates“. Ab dem Jahr 1975 standen die Entführungen reicher Industrieller und Gefangenenbefreiungen im Mittel- punkt. Bei der Befreiung Renato Curcios wurde Mara Cagol, seine Ehefrau, getötet. Doch durch die Auflösung anderer sozialrevolutionärer Terrororganisationen fanden die Brigate Rosse wieder vermehrt Zulauf von Extremist/innen. Die Brutalisierung der Or-

19 ganisation begann 1974 mit den ersten beiden Toten beim Überfall auf das Büro der neofaschistischen Partei MSI (Movimento Sociale Italiano) in Padua. 1976 wurde der Staatsanwalt Francesco Coco sowie zwei seiner Leibwächter ermordet. Mit den Attenta- ten auf den Präsidenten der Turiner Richtervereinigung sowie einem Mitherausgeber der Zeitung „La Stampa“ kam es zu einer zunehmenden Entfremdung von gesellschaftli- chen Problemlagen. Die deutlich sichtbare Radikalisierung und die Gruppendynamik führten zu Realitätsverlust. Im März 1978 wurde schließlich Aldo Moro, Parteivorsit- zender der Democrazia Cristiana (Christdemokratische Partei) und ehemaliger Minister- präsident, entführt und zwei Monate später ermordet. Auch fünf seiner Leibwächter/in- nen kamen im Zuge dessen ums Leben. Ziel der Ermordung war es, die Haftentlassung von 13 Mitgliedern sozialrevolutionärer Terrororganisationen zu erzwingen. Wie die Leiche Hanns-Martin Schleyers wurde auch jene von Aldo Moro im Kofferraum eines Autos abgelegt. Ähnlich wie nach dem Deutschen Herbst 1977, währenddessen auch in der Bundesrepublik Deutschland die Gewaltspirale eskalierte, hatten aus dem selben Grund die Brigate Rosse ab 1978 ebenfalls kaum noch Sympathien in der Gesamtbevöl- kerung. Der Höhepunkt der Brutalisierung des Aktionismus der Brigate Rosse, der An- griff auf das Herz des Staates und die damit verbundene Militarisierung, ging mit einer Delegitimierung und Sinnbefreiung einher. Genau wie der Roten Armee Fraktion fehlte auch den Brigate Rosse letztlich ein ideologisches Gesamtkonzept zur Neuordnung der Gesellschaft. Wie weit man sich davon entfernt hatte, zeigte der Rachemord am Bruder eines Aussteigers sowie die zunehmende Tötung von Gewerkschafter/innen, Arbeiter/innen, Polizist/innen und Militärangehörigen. Es kam zu einer zunehmenden Internationalisierung, die in scharfer Kritik am Imperialismus der Vereinigten Staaten von Amerika sowie an der NATO mündete. Darüber hinaus suchte man verstärkt die Nähe zu anderen sozialrevolutionären Terrororganisationen wie der RAF und der Ac- tion Directe. Gesetzesänderungen in den 1980er-Jahren, die eine Strafmilderung für Ab- schwörer/innen und Reuige vorsahen, leiteten das Ende der Brigate Rosse ein. Trotzdem veröffentlichte die Terrororganisation, im Gegensatz zu ihren westeuropäischen Part- nern, nie ein Auflösungsschreiben (vgl. Holzmeier/Mayer 2008, S. 287-301).

20 3.4 Frankreich: Action Directe Ende der 1970er Jahre gründete sich in Frankreich die AD (Action Directe) aus mehre- ren schon Jahre zuvor aktiven Organisationen wie der GARI (Groupes d'action révolu- tionnaire internationaliste), deren Mitglieder in Toulouse kämpfende spanische Gegner der Franco-Diktatur waren (vgl. Gursch 2008, S. 178). Die Action Directe konzentrierte sich, worauf der Name auch anspielt, auf die „direkte Tat“, nicht auf ideologische Schriften oder verschriftliche revolutionäre Begründungen (vgl. ebd., S. 186).

Als ab 1981 der Sozialist Miterrand Frankreich regierte, wurde den Häftlingen der Ac- tion Directe eine Amnestie gewährt. In den beiden vorangegangenen Jahren verübte die AD mehrere Terroranschläge gegen Ministerien und sonstige öffentliche Einrichtungen. Unter anderem wurde das Entwicklungshilfeministerium mit Maschinenpistolen be- schossen. Ab 1982 steigerte die Action Directe die Spirale der Gewalt, indem sie im Land mit libanesischen und palästinensischen Terrororganisationen zusammenarbeitete. Zu Beginn des Jahres wurde bei einem Anschlag der Militärattaché der US-Botschaft sowie der ein leitender Mitarbeiter der israelischen Botschaft in Paris erschossen. Be- gründet wurde der Anschlag von der AD-Führung mit der Situation im Libanon. Als die Action Directe 1982 verboten wurde, ging sie in den Untergrund. Gleichzeitig fand eine Europäisierung des Terrorismus statt. Die Action Directe kooperierte von nun an mit einer Abspaltung der Brigate Rosse. Vier Mitglieder der beiden Organisationen erschos- sen in Paris zwei Polizisten. 1984 wurde schließlich eine Kooperation mit der RAF ver- kündet. Diese beabsichtigte, eine revolutionäre antiimperialistische westeuropäische Front aufzubauen. Tatsächlich bestand die Partnerschaft hauptsächlich in der Unterstüt- zung in logistischen Aufgaben. Doch es kam auch zu Bombenanschlägen gegen militä- rische Einrichtungen und die Rüstungsindustrie. In einer abgesprochenen Aktion ermor- deten 1985 die AD den französischen General Audran und die RAF den Vorsitzenden der Motoren und Turbinenunion (MTU) sowie den Präsidenten des Bundesverbandes der Luft- und Raumfahrtindustrie. Im August des selben Jahres kam es zu einem ge- meinsamen Anschlag der beiden linksterroristischen Gruppen auf die Rhein-Main-Air- base in Frankfurt. Doch die extremistische Haltung der RAF und deren Avantgardean- spruch verhinderten eine dauerhafte, langfristige Kooperation. Eine solche suchte die Action Directe mit einer Annäherung an die belgische CCC (Cellules Communistes

21 Combattants). Doch 1987 wurden die Führungsfiguren der AD verhaftet. Damit löste sich die Terrororganisation auf (vgl. Gursch 2008, S. 178-183).

3.5 Belgien: Kämpfende Kommunistische Zellen Die Kämpfenden Kommunistischen Zellen, kurz CCC (Cellules Communistes Combat- tants) waren eine Terrororganisation, die in den Jahren 1984 und 1985 24 Spreng- stoffanschläge in Belgien verübten. Den Anlass dafür sahen die kommunistischen Kämpfer/innen im NATO-Doppelbeschluss, der eine Stationierung US-amerikanischer Atombomben in Westeuropa, unter anderem auch in Belgien, vorsah. Laut Umfragen waren zwei Drittel der belgischen Bevölkerung gegen dieses Vorhaben. Der Unmut dar- über wurde auch in Massenprotesten geäußert (vgl. Fendt/Schäfer 2008, S. 199). Bei ei- nem Anschlag gegen den US-amerikanische Rüstungskonzern Litton Industries verloren zwei Feuerwehrmänner (vgl. ebd., S. 198) ihr Leben. Die Ideologie war marxistisch-le- ninistisch und antiimperialistisch und richtete sich vor allem gegen Einrichtungen der NATO. Sie sahen sich als orthodoxe Marxist/innen, die ihre Ideologie durch etliche Veröffentlichungen von Schriften zu legitimieren versuchten. Das Ziel der CCC war die Einführung des Kommunismus in Belgien. Die Führungsfigur der CCC war Pierre Carette, ein ehemaliges Mitglied der Action Directe, der sich nach Belgien abgesetzt hatte (vgl. ebd., S. 189-190). Die Zusammenarbeit der CCC mit der RAF beruhte aus- schließlich auf Logistik und war aufgrund von ideologischen Differenzen nur von kurz- er Dauer (vgl. ebd., S. 195).

3.6 Österreich: Terroranschläge von links und rechts Der sozialrevolutionäre Terrorismus der 1970er- und 1980er-Jahre erfasste auch Öster- reich. Am 21. Dezember 1975 überfielen Terrorist/innen unter der Führung eines Vene- zolaners und unter Beteiligung zweier deutscher Mitglieder der linksextremistischen Revolutionären Zellen (RZ) eine Konferenz der OPEC (Organization of the Petroleum Exporting Countries/Organisation erdölexportierender Länder) in ihrem Hauptquartier in Wien. Dabei wurden drei Menschen getötet und 60 Geiseln genommen, vor allem Öl- minister und deren Mitarbeiter/innen. Sie flogen nach Algier, wo die Hälfte der Geiseln befreit wurde. In Libyen gelangten weitere Geiseln in Freiheit. Die Terroristen flogen zurück nach Algier und bekamen dort Asyl (Dietl et al. 2006, S. 362).

22 In den 1990er-Jahren kam dann der Terror von rechts. Der aus dem südsteirischen Gralla stammende Franz Fuchs experimentierte bereits im Alter von zwölf Jahren mit Sprengstoff. Unter der Bezeichnung Bajuwarische Befreiungsarmee (BBA) wurden zwi- schen 1993 und 1996 insgesamt 25 Briefbomben- und drei Rohrbombenanschläge ver- übt. Vier Menschen wurden durch diese Terrorattentate getötet, vor allem Minderheiten und Migrant/innen sowie in der Öffentlichkeit stehende Personen, die sich für sie ein- setzten. Unter ihnen war der damalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, dem die lin- ke Hand in Stücke gerissen wurde. In den Bekennerschreiben, die nach fast jedem An- schlag publik wurden, kam die rechtsextreme Gesinnung der BBA zum Ausdruck. Als Franz Fuchs im Jahr 1997 bei einer Verkehrskontrolle aufgehalten wurde, zündete er ei- nen Sprengsatz, der seine beiden Hände abriss. Danach versuchte er zu flüchten, konnte aber festgenommen werden. Bei der Verhandlung im Gerichtssaal brüllte er seine rechtsextremen Parolen, die sich gegen Ausländer/innen richteten, lautstark heraus. Der kleine Mann mit Hitlerbärtchen wurde 1999 zu lebenslanger Haft verurteilt, im Jahr dar- auf tötete er sich in seiner Zelle selbst. Franz Fuchs war von Lebensenttäuschung und Ausländer/innenhass geprägt und war Einzeltäter (vgl. Dietl et al. 2006, S. 291-293).

23 4 Terrorismus heute und aktuelle Herausforderungen Terrorismus heute unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht vom Terrorismus der 1970er- und 1980er-Jahre. Während damals in erster Linie der sozialrevolutionäre Terrorismus vorherrschte, ist es heute der religiös-islamistische. Dieser unterscheidet sich vom links- extremistischen Radikalismus durch die Durchführungsform. (Flugzeug-)Entführungen sind selten geworden, dafür hat die Anzahl an Selbstmordattentäter/innen zugenommen.

Ein weiter Unterschied zwischen sozialrevolutionärem und islamistischem Terrorismus besteht in der Quantität der Opferzahlen, die bei einem einzigen Anschlag getötet wer- den. Während in den 1970er- und 1980er-Jahren meist (wirtschaftstreibende oder in Po- litik und Justiz einflussreiche) Einzelpersonen Ziele eines Anschlags waren, oft auch de- ren Begleiter/innen, Personenschützer/innen und sonstige Unbeteiligte, treffen die isla- mistisch motivierten Terroranschläge meist tausende (11. September 2001), hunderte (Sri Lanka 2019) oder zumindest dutzende (London 2005) Schutzlose und Unbeteiligte. Qualitativ besteht eine Differenz hinsichtlich der Organisationsstruktur, die bei sozialre- volutionären Terrororganisationen – im Gegensatz zu islamistischen – streng hierar- chisch gegliedert ist (vgl. Straßner 2008, S. 9-10).

4.1 Aktuelle Herausforderungen: Demonstrationen und Streiks in EU- Ländern Eine Protestbewegung ist in der europäischen Öffentlichkeit seit Monaten präsent. Es ist die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich. Sie ist durch soziale Netzwerke organi- siert, in Stadt und Land aktiv und wird von den Protestierenden selbst getragen. Es gibt keine eindeutigen Anführer/innen, keine dahinterstehenden Gewerkschaften oder politi- schen Parteien. Jedes Wochenende wird protestiert. Im Spätherbst 2018 nahmen bis zu 300.000 Demonstrant/innen pro Samstag daran teil. Dabei kommt es immer wieder zu Ausschreitungen, zur Blockaden von Straßen und Autobahnen, zum Anzünden von Au- tos. Die wichtigsten Forderungen der Gelbwesten sind Steuersenkung sowie Anhebung des Mindestlohns und der Pensionen. Die Proteste begannen im November 2018, in Er- wartung des baldigen Inkrafttretens der Erhöhung der Ökosteuer auf Diesel und wegen der hohen Treibstoffpreise. Der Adressat des Unmuts ist der liberale Präsident der Gran- de Nation. Die Protestierenden skandieren „Macron démission“, also „Macron Rück-

24 tritt“. Die Bewegung hat einen Rat der Sprecher/innen eingerichtet, bestehend aus acht Mitgliedern der Bewegung, die mit der Regierung verhandeln (vgl. Stern 2018).

Die Bewegung der Gelbwesten entspringt einer Wut auf die Gesellschaft, die schon vor mehr als 20 Jahren in Frankreich kochte. Zu Beginn der 1990er-Jahre fuhr der französi- sche Soziologe Pierre Bourdieu in die Provinz, um die Lebenslagen der Menschen vor Ort zu erforschen. Er traf auf arbeitslose, abgehängte Menschen, die an schlechter Infra- struktur und der Schließung staatlicher Einrichtungen litten. Daraus entstand „Das Elend der Welt“, eine Sammlung von Portraits jener oft hoffnungslosen Menschen, die Bourdieu mit seinen Doktorand/innen besuchte. Der Zorn der Bevölkerung, von denen sich immer mehr eine Gelbweste überzogen, entlud sich im Herbst 2018 vor allem an den Treibstoffpreisen, die sich innerhalb eines Jahres um ein Viertel erhöhten. Doch weil Bahn- und Buslinien zunehmend geschlossen bzw. deren Fahrpläne ausgedünnt wurden, blieb den Menschen nur mehr das Auto, um am gesellschaftlichen Leben zu partizipieren. Die Wut der eher bildungsfernen Schicht hatte vor allem einen Adressa- ten: Emmanuel Macron. Vor der Wahl hatte er große Hoffnungen geschürt, immerhin hieß sein Wahlkampfbuch „Revolution“. Doch nach der Wahl entpuppte sich der junge Aufsteiger schnell als wirtschaftsliberaler Präsident – mit all den bekannten Folgen ei- ner solchen Politik. Diesmal haben sich die Protestierenden keiner Gewerkschaft oder Opposition zugewandt, sondern ihr Schicksal selbst in die Hand genommen und sich gelbe Westen übergezogen (vgl. Minkmar 2018). Die Bewegung der Gelbwesten schrumpft, seit Emmanuel Macron mit einer landesweiten, zwei Monate andauernden „Großen Debatte“ gegenzusteuern versucht. Doch die Gewalt bleibt. Macron polarisiert wie andere Präsidenten vor ihm auch, aber bei ihm geht es in die Extreme: extreme Wut, extremer Hass auf der einen Seite und extreme Euphorie und Zuneigung auf der anderen (vgl. Heyer 2019, S. 80-81).

4.2 Terrorismus heute: Der IS und sein Ende Zum aktuellen Zeitpunkt beherrscht vor allem eine Terrororganisation die Schlagzeilen: der Islamische Staat (IS). Den Zenit hat diese Terrormiliz schon überschritten, weil sie vor allem von Kurd/innen, der Türkei, Russland, dem staatlichen syrischen Militär so- wie den USA erfolgreich zurückgedrängt werden konnte. Den Höhepunkt erreichte der

25 IS im Jahr 2014, als im von ihm kontrollierten Gebiet in Syrien und im Irak das Kalifat ausgerufen wurde. Besonders zu diesem Zeitpunkt zog es viele europäische IS-Anhän- ger in diese beiden Länder. Daraufhin sanken die Ausreisezahlen dank der militärischen Erfolge der Allianz. Die Ausrufung des Kalifats hatte für Islamist/innen, besonders aber für Salafist/innen eine starke Mobilisierung zur Folge (vgl. BKA et al. 2016, S. 4-5). „In Deutschland nutzen vor allem salafistische Einrichtungen und Akteure den Konflikt in Syrien sowie dem Irak, um ihre extremistische Ideologie zu verbreiten und neue Anhän- ger zu rekrutieren“ (ebd., S. 5). Der Islamische Staat wurde bereits 2003 im Irak als Folge des völkerrechtswidrigen Krieges der USA mit ihren Verbündeten, allen voran Großbritannien und 14 weiteren (jetzigen) EU-Staaten, u.a. Spanien, Niederlande und Polen, gegründet. Der IS ist aller- dings nur eine jihadistische Gruppierung von vielen. Die Anzahl der Kämpfer/innen al- leine beim Islamischen Staat wird auf 50.000 geschätzt (vgl. Ruf 2016, S. 75-76). „Was die USA vorrangig interessierte, waren die Marktöffnung und die Kontrolle über das irakische Öl. Die verordnete konsequente Liberalisierung der Ökonomie führte zur Pri- vatisierung zahlreicher Staatsbetriebe [...]“ (ebd., S. 77). Mit der von den USA er- wünschten Konfessionalisierung des politischen Systems gingen die Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols und das Zusammenbrechen kritischer staatlicher Infra- struktur einher. Dies führte vier Jahre nach dem Beginn des Krieges zu zwei Millionen Flüchtlingen, die vor allem nach Syrien flohen, und zu weiteren zwei Millionen Binnen- flüchtlingen (vgl. ebd., S. 81).

Die Ideologie des IS kennzeichnet eine fundamentalistische Auslegung des Koran. Ein- zelne Glaubenssätze werden als Gebote dargestellt und als gottgegeben und daher ewig gültig vermittelt. Das sich daraus ableitende Gesetz, die Scharia, muss bedingungslos eingehalten werden, denn das zu errichtende Kalifat erfordert absoluten Gehorsam. Un- gläubige haben zu konvertieren, sich zu unterwerfen, werden versklavt und schließlich wird gegen sie Krieg geführt (vgl. Ruf 2016, S. 83). Viele Jihadist/innen erliegen dem Glauben, dass sie ins Paradies kommen, wenn sie bei Kämpfen für den Glauben ums Leben kommen. Der Islamische Staat missbraucht den Islam als Religion als Argumen- tation für das Köpfen von Menschen, für Versklavung und Massenmord (vgl. ebd., S. 85-87).

26 5 Radikalisierung Niemand wird als Terrorist/in geboren. „In Wirklichkeit ist Radikalisierung ein oft lang- wieriger Prozess, bei dem eine Vielzahl von Faktoren und Einflüssen zusammenkom- men und an dessen Ende Extremismus steht“ (Neumann 2016, S. 29). Die Verfügbarkeit eines revolutionären Umfeldes, das Eintreten einer revolutionären Situation und der Zu- fall entscheiden darüber, in welchen Zug potentielle Terrorist/innen einsteigen, also ob es in Richtung sozialrevolutionärem, rechtsextremistischem oder islamistischem Terro- rismus geht (siehe Kapitel 5.6). Man kann kriminelles, also abweichendes Verhalten nicht ausschließlich auf bestimmte Wesenszüge oder konkret vorherrschende soziale Begebenheiten zurückführen. Viel- mehr liegt abweichendes Verhalten in einer diffizilen Abfolge von Einstellungsänderun- gen begründet. Trotzdem müssen bestimmte charakterliche und intellektuelle Voraus- setzungen gegeben sein, die in bestimmten sozialen Situationen unter gewissen Zufällen zu Aktionen und Reaktionen führen und mitunter in terroristischen Handlungen gipfeln (vgl. Eckert 2012, S. 231). Diese charakterlichen Voraussetzungen beziehen sich bei- spielsweise auf unsichere Menschen. „Radikalisierung bringt einem verunsicherten Menschen Stabilität. Das ist natürlich nur eine Scheinstabilität, aber es ist eine Stabili- tät. Weil es ein ganz einfaches Muster bringt, eine ganz einfache Orientierung und es bringt die maximale Opposition zur Herkunftsfamilie“ (Saimeh 2017). Die Familie spielt also eine große Rolle bei jungen Erwachsenen mit terroristischem Potential. Hat man gar keine oder eine schlechte Bindung zu den Erziehungsberechtigten, fungiert oft die Gruppe als eine Art Familienersatz. Die während einer Radikalisierung stattfindende Gruppendynamik führt, ideologisch untermauert, zu tiefgreifenden Entfremdungserleb- nissen. Viele Extremist/innen haben das Gefühl, in einer Gesellschaft zu leben, in der vieles oder nahezu alles falsch läuft. Deshalb lohnt es sich nicht, sich für diese Welt zu engagieren. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit führt in vielen Fällen zu depressiven Ver- stimmungen (vgl. Schmidtchen 1981, S. 48). Wenn sich Gesellschaftsgruppen radikali- sieren, gehen diesem Prozess meist gewisse Erfahrungen wie Diskriminierung, Herab- würdigung, Bedrohung oder Besatzung voraus (vgl. Eckert 2012, S. 284).

27 5.1 Gesellschaftliche und politische Ereignisse, die Radikalisierung auslösen In der Zeitgeschichte gab es gesellschaftliche bzw. politische Ereignisse, die eine Radi- kalisierung vieler Protestierender begünstigten. „Nicht Einstellungen produzieren Ge- walt, sondern Gewalt erzeugt Einstellungswandel“ (Eckert 2012, S. 265). Die Gewalt- anwendung der Polizei und der persischen privaten Schlägertrupps des Schahs, der am 2. Juni 1967 in Berlin weilte, führten zu einer zunehmenden Radikalisierung der Kund- gebungsteilnehmer/innen. Dieser Radikalisierungskreislauf, der durch die Rigidität des ursprünglichen Konflikts ausgelöst wurde, wird durch zusätzliche Bedingungen wie der Identifikation mit einer Gruppe oder dem weiteren Verlauf der Ereignisse und ihrer me- dialen Darstellung in Gang gesetzt, wie sich an der Berichterstattung über diesen Tag zeigt. Gewaltereignisse erhöhen die Geschwindigkeit des Ablaufs der Vorgänge im Kreislauf (vgl. ebd., S. 265). Die marxistisch-leninistische Bewegung des SDS sah sich in ihrer Theorie, „der zufolge der Kapitalismus unausweichlich zum Faschismus führe“ (Eckert 2012, S. 269), bestätigt.

In Deutschland driftete die sich langsam auflösende Student/innenbewegung Anfang der 1970er-Jahre in drei verschiedene Richtungen ab. Die Gruppe der Reformist/innen ver- suchte, die kapitalistischen Auswüchse mithilfe der Institutionen, in die sie drängten, zu mildern. Die Revolutionär/innen waren für die Infrastruktur für eine bevorstehende Re- volution zuständig und rekrutierten das terroristische Personal. Die Terrorist/innen soll- ten schließlich die Revolution durchführen. Ihnen fehlte es aber an einer revolutionären Situation, an einer handfesten Krise des Kapitalismus, die laut Marx aber Vorausset- zung für eine gelingende Revolution ist. Vielmehr versuchten die Untergrund- kämpfer/innen, eine solche Situation herbeizuführen (vgl. Eckert 2012, S. 239-240). Dies führt in der Regel allerdings zu einem gegenteiligen Effekt, der Solidarisierung mit den staatlichen Institutionen, weshalb Terrorismus als revolutionäre Strategie in Deutschland gescheitert ist (vgl. ebd., S. 242).

In Italien sind zwei gesellschaftspolitische Ereignisse entscheidend für die Entstehung der Terrororganisation Brigate Rosse. Einerseits arbeiteten und agierten die radikale Ar- beiterbewegung und die Student/innenbewegung in den Jahren 1968 und 1969 zusam-

28 men. Die Arbeiter/innen protestierten gegen die desolaten Arbeitsbedingungen im in- dustriell geprägten Norden Italiens, die Student/innen wurden aufgrund der vielen nicht ihrem Ausbildungsniveau entsprechenden Arbeitsverhältnissen zu intellektuellem Prole- tariat (vgl. Holzmeier/Mayer 2008, S. 277-278). Andererseits war die Gründung der BR eine Reaktion auf das erste große Attentat neofaschistischer Gruppen im Dezember 1969 auf der Piazza Fontana in Mailand, bei der 16 Menschen ihr Leben verloren und 88 verletzt wurden. Auf den rechtsextremen Gewaltakt folgten restriktive Maßnahmen der ermittelnden Polizei, die auch die Arbeiter- und Student/innenbewegung trafen. All- mählich zerfiel die Bewegung aufgrund des zurückgehenden Protestpotentials. Eine Gruppe spaltete sich ab und radikalisierte sich: Die Brigate Rosse. Die Radikalisierung der Mitglieder äußerte sich in einem 1969 verkündeten Gebot, dass der bewaffnete Kampf und ein militärisches Vorgehen die Lösung der Probleme der Arbeiterklasse sei- en (vgl. Holzmeier/Mayer 2008, S. 279-280). Der „Imperialistische Staat der Multinati- onalen Konzerne/Stato Imperialista Multinazionale (SIM)“ wurde immer mehr zum Feindbild. Damit waren Bedingungen gemeint, die die USA, die BRD und der Internati- onale Währungsfonds dem Staat Italien im Umgang mit der Kommunistischen Partei auferlegten sowie die Finanzierung der Christdemokraten durch die USA. Wie auch die RAF rechtfertigten die Brigate Rosse Banküberfälle zur Geldbeschaffung mit Enteig- nungen durch das Proletariat (vgl. ebd., S. 286).

5.1.1 Der 2. Juni 1967 als Wendepunkt Ähnlich wie in Italien waren auch in Deutschland Student/innenproteste ausschlagge- bend für die Gründung sozialrevolutionärer Terrororganisationen. Die Geschichte der RAF begann mit der Außerparlamentarischen Opposition (APO) ab Mitte der 1960er- Jahre. Diese wurde vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) gestützt. Ihre Aktivitäten richteten sich vor allem gegen die seit 1966 regierende Große Koalition aus CDU/CSU und SPD. Im Parlament war die FDP die einzige Oppositionspartei, weshalb die beiden Großparteien Notstandsgesetze einfach erlassen konnten. Die APO kritisierte das Hochschulsystem sowie die Vätergeneration, den Nationalsozialismus aus dem Be- wusstsein verbannt zu haben. Die Ausrichtung war sozialistisch-revolutionär, es wurden mehr grundsätzliche gesellschaftliche Reformen in diese Richtung gefordert (vgl. Dietl et al. 2006, S. 70). Am 2. Juni 1967 demonstrierten knapp vierhundert Menschen gegen

29 den Besuch des Schahs von Persien in Westberlin. Die Demonstrant/innen wurden beim Empfang vor dem Rathaus Schöneberg von Mitgliedern des persischen Geheimdienstes mit Metallstangen und Holzknüppeln niedergeprügelt, während die Polizei tatenlos zu- schaute. Als diese nach mehreren Minuten einschritt, verhaftete sie einige Protestieren- de. Stunden später wurde vor der Deutschen Oper erneut demonstriert. Diesmal ging die Polizei mit Gummiknüppeln gegen die Mitglieder der Student/innenbewegung vor, sie schlug zu. Immer mehr Demonstrant/innen flüchteten vor der gewalttätigen Polizei. Schließlich wurde in einem Hinterhof der 26-jährige Student Benno Ohnesorg von ei- nem Polizeibeamten erschossen. Der Todesschütze wurde später vom Landgericht Ber- lin freigesprochen. Am nächsten Tag trafen sich die Studierenden an der Freien Univer- sität zu Diskussionen, die voller Wut gegen die Springerpresse, die eine kritische Hal- tung gegenüber den Demonstrant/innen einnahm, und des Westberliner Senats waren. Auch in anderen Städten der BRD kam es zu Trauerfeierlichkeiten. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) erlebte einen starken Zuwachs an Mitgliedern. Wäh- rend der Diskussionen in den westdeutschen Universitätsstädten berieten die Student/in- nen, ob Gewalt und Widerstand legitime Mittel des Protests wären und wenn ja, in wel- cher Form. Der Vorsitzende des SDS, Rudi Dutschke, regte Provokationen an (vgl. Peters 2004, S. 89-94).

Die Vorgänge des 2. Juni waren Schlüsselerlebnis für den Linksterrorismus. Ab diesem Zeitpunkt sank die Hemmschwelle für gewaltsame Aktionen gegen den Staat und die Gesellschaft. Die Student/innenbewegung radikalisierte sich und agierte vor allem ge- gen den Springer-Verlag, dem die Bild-Zeitung angehört. Zehn Monate nach dem Tod Benno Ohnesorgs wurde der als charismatisch beschriebene Anführer des SDS und der Student/innenproteste, Rudi Dutschke, von einem Rechtsextremen angeschossen. Dieser überlebte schwerverletzt, allerdings verstarb er 1979 an den Spätfolgen seiner Verlet- zungen. Dies führte zu schwersten Krawallen und Ausschreitungen. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) teilte sich nach 1968 in unterschiedlich ausgerichtete linke Fraktionen auf. Eine davon war die von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ul- rike Meinhof gegründete RAF, die den bewaffneten Kampf zum Ziel erklärt hatte (vgl. Dietl et al. 2006, S. 71-72). „Auch für Ensslin, Baader und Proll ist dieser 2. Juni ein Wendepunkt in ihrem Leben, der zu einer Radikalisierung führt“ (Peters 2004, S. 94).

30 Noch am selben Abend forderte Gudrun Ensslin die Bewaffnung der Gruppe. Eine an- dere setzte diese Forderung im Jahr 1972 um – die Bewegung 2. Juni gründete sich in Berlin (vgl. Peters 2004, S. 94-95).

5.2 Radikalisierung gestern: Die Rekrutierung von Terrorist/innen durch das Sozialistische Patientenkollektiv Nachdem der 2. Juni 1967 ins Land gezogen war, hatten sich Terrororganisationen in der BRD gegründet, allen voran die RAF. Diese rekrutierte ihre Terrorist/innen vorran- gig aus zwei Vorfeldorganisationen: dem Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK) so- wie der Roten Hilfe, die in den nächsten beiden Teilkapiteln beschrieben werden. Um Zugang zum terroristischen Nachwuchs zu bekommen, organisierten die Extremist/in- nen unter Führung von Baader, Meinhof und Ensslin sogenannte Heimkampagnen in Jugendheimen.

Eine wesentliche Organisation zur Rekrutierung von Terrorist/innen war das sogenannte Sozialistische Patientenkollektiv (SPK). Dr. Wolfgang Huber, Assistenzarzt an der Psychiatrischen Klinik der Uni Heidelberg, gründete es 1970 an besagter Universität, die ihrerseits Räume dafür zur Verfügung stellte. Ziel war es, aus der Krankheit eine Waffe zu machen. In den Jahren 1971 und 1972 stießen die Terrorist/innen Klaus Jünschke, Gerhard Müller, , Hanna Krabbe, Elisabeth von Dyck und Margit Schiller (vgl. Röhl 2018, S. 467) und ca. sechs weitere (vgl. Peters 2004, S. 239) vom SPK zur RAF. Huber attestierte der spätkapitalistischen Leistungsgesellschaft der BRD, krank zu sein und dass eine Revolution nur noch eine Frage der Zeit wäre. Er wollte seelisch erkrankte Menschen auf anderen Wegen behandeln. Das SPK gab auch eine Agitationsschrift, die Patienten-Infos, heraus. Vier Arbeitskreise wurden gebildet: Sprengtechnik, Fototechnik, Funktechnik (zum Abhören des Polizeifunks) sowie Judo/Karate. Dem Sozialistischen Patientenkollektiv gehörten bald mehr als 300 Mit- glieder an. Im Juli 1971 löste sich das SPK durch die Verhaftung der führenden Kräfte nach einer Schießerei bei einer Verkehrskontrolle auf (vgl. Peters 2004, S. 239-241).

31 5.3 Radikalisierung gestern: Rote Hilfe Eine weitere Organisation, die die RAF unterstützte, war die Rote Hilfe. Diese aus der Außerparlamentarischen Opposition heraus entstandene Gruppe wurde 1975 auf Initiati- ve der KPD gegründet mit dem Ziel, linken Aktivist/innen wie Beschuldigten, Ange- klagten und Straftäter/innen juristisch Beistand zu gewähren (vgl. Bötticher/Mareš 2012, S. 368). Das RAF-Terrorist/innenpaar Angelika und Volker Speitel trat Mitte der 1970er-Jahre in die Rote Hilfe ein. Dessen Sohn Grischa Speitel gab tiefere Einblicke in über den Eintritt seines Vaters in die Rote Hilfe in einem Interview mit der Zeit (2019, S. 13): „Mein Vater hatte, nachdem er aus dem Heim draußen war, die Nähe zur Roten Hilfe gesucht. Diese Gruppe wurde über die Stuttgarter Kanzlei des Anwalts Klaus Croissant organisiert und setzte sich für eine Erleichterung der Haftbedin- gungen von RAF-Terroristen ein. […] Die Kanzlei [war] aber auch eine Art Re- cruiting-Agentur für den RAF-Nachwuchs. Mein Vater wurde zum Vermittler zwischen den Gefangenen in Stammheim und den RAF-Leuten draußen. Er hat regelmäßig Kassiber, also schriftliche Mitteilungen der Gefangenen, aus der Haft- anstalt herausgeschmuggelt“. Im selben Interview spricht Speitel über die Radikalisierung seiner Mutter in der Roten Hilfe (ebd., S. 13): „Ja, die Rote Hilfe und die Kommune, das waren die beiden Orte, an denen sich meine Mutter radikalisiert hat. […] Ich erinnere mich, wie in diesen Diskussions- runden einzelne Leute unter Druck gerieten und irgendwann wie zum Befreiungs- schlag sagten: Ich gehe jetzt in den Untergrund! Es erhöhte den Gruppendruck noch, dass die meisten mit ihren Familien gebrochen hatten“. Auch aus diesem Interview geht hervor, dass eine teilweise unkontrollierbare Gruppen- dynamik Menschen, die teilweise schon extremistische Tendenzen aufweisen, radikali- siert und in den Untergrund treibt. Auch der Bruch mit der Familie und deren Substituti- on durch die Gruppe wird angesprochen. Selbst eine Anwaltskanzlei diente in jener Zeit als Ort der Radikalisierung und Rekrutierung. Die Radikalisierten arbeiteten den inhaf- tierten Terrorist/innen zu, erleichterten so deren Agitation und ermöglichten das Auf- rechterhalten terroristischer Aktivitäten trotz Inhaftierung.

32 5.4 Pädagog/innen des Proletariats: Die Heimkampagne Der allmähliche Zerfall der Student/innenbewegung und der Außerparlamentarischen Opposition (APO) brachte die angehenden Terrorist/innen der Baader-Meinhof-Gruppe dazu, sich ein anderes politisches Betätigungsfeld zu suchen. Pädagogikstudent/innen in Frankfurt am Main nahmen sich vermehrt Heimkindern an. Sie kritisierten die erzieheri- schen Methoden in Kinderheimen und brachten die Zöglinge gegen die ihnen zugemute- ten Umstände und gegen die Leitungen der Erziehungsheime auf. Die Terrorist/innen schlossen sich den Pädagogikstudent/innen an und fanden damit ihr neues Betätigungs- feld, die Sozialpädagogik. Im Jahr 1969, kurz nach ihrer Freilassung, fuhren die drei späteren Terrorist/innen Baader, Ensslin und Proll zum Erziehungsheim Staffelberg in Nordhessen, wo 150 Lehrlinge lebten. Die drei brachten Fahnen und Spruchbänder mit und protestierten mit Hilfe von Megaphonen. Bei einer darauffolgenden erzwungenen Versammlung diskutierten sie mit den Heimzöglingen und der Heimleitung über Verän- derungen. Die Diskussion drehte sich vor allem um die von den Erzieher/innen verhäng- ten Strafen, die Verletzung des Briefgeheimnisses durch selbige sowie das Verbot von Mädchenbesuchen. Als Folge gründete sich im Heim eine „Basisgruppe“, der sich bald darauf vierzig Lehrlinge anschlossen. Über dreißig von ihnen kamen schließlich in Wohnungen, Wohngemeinschaften sowie Kommunen unter. Baader und Ensslin verhal- fen ihnen durch Verhandlungen mit dem Frankfurter Jugendamtsleiter dazu, der Ensslin ein echtes pädagogisches Interesse an den Jugendlichen attestierte. Einige der Jugendli- chen plünderten Wohnungen, andere wiederum fanden Arbeit. Einige gingen auf den Strich (vgl. Peters 2004, S. 123-124). Der Terrorist , der aktiv an der Heimkampagne mitwirkte, dazu später: „[Einige] sind in den Bahnhof gerannt und ha- ben wieder die Schwulen geklatscht, was sie schon vorher gemacht hatten und weshalb sie auch ins Heim gekommen waren“ (zit.n. Peters 2004, S. 124-125). Baader und Ensslin übernahmen schnell die Leitung der Heimkampagne. Sie besetzten u.a. das Büro des Frankfurter Jugendamtsleiters, gingen zu Demos, verteilten Flugblät- ter und gingen zu Partys. Baader las den Jugendlichen im Park aus der Mao-Bibel vor. Die späteren Terrorist/innen sammelten bei Linken und Liberalen Geld für ihre Heim- zöglinge – und zahlten ihnen fünf Mark am Tag aus. Vom Rest der Spenden lebten sie selbst. Rund 40 Jugendliche schlossen sich der Heimkampagne an, darunter viele, die aus anderen Heimen abgehauen waren. Einer dieser Lehrlinge war der damals 17-jähri-

33 ge Peter-Jürgen Boock, einer der führenden Kräfte der Zweiten Generation der RAF (vgl. Peters 2004, S. 125-126). „Für Baader und Ensslin geht es bei dem 'Ausflug in die Sozialarbeit' darum, 'revolutio- näres Potential' zu gewinnen, Jugendliche für die politische Arbeit zu rekrutieren“ (ebd., S. 125). Viele Jugendliche gewannen dabei eine Perspektive für ihr weiteres Leben. Sie waren fasziniert von Baaders und Ensslins Radikalität (vgl. ebd., S. 129). Auch Mäd- chenwohnheime wurden von den RAF-Mitgliedern aufgesucht. So holte Ulrike Meinhof die 19-jährige Irene Goergens aus einem Erziehungsheim in Berlin-Tegel. Die Jugendli- che kümmerte sich um die beiden Kinder der Terroristin und half bei den Dreharbeiten zum Film „Bambule“ mit (vgl. ebd., S. 169).

5.4.1 Der Film „Bambule“ Auch Ulrike Meinhof war mit dem Thema Heimerziehung beschäftigt. Sie besuchte Er- ziehungsheime und sprach dort mit den Pädagog/innen und den Zöglingen. Zu diesem Thema schrieb sie auch seit 1969 an einem Fernsehdrehbuch im Auftrag des SWR. Der Film sollte „Bambule“ heißen – laut Duden (2019) bedeutet das „in Form von Krawal- len geäußerter Protest besonders von Häftlingen“. Für die Heimkinder wandte sie viel Zeit auf – für die eigenen weniger, denn sie reiste viel (vgl. Peters 2004, S. 160-161). Fürsorgekinder sollten im Heim, am Drehort Berlin, eine Bambule veranstalten. Die Be- teiligten hofften, dass der Film eine Mobilisierung entfalten und Kinder aus anderen Heimen zu Krawallen anstiften könnte. Doch daraus wurde nichts, denn die Ausstrah- lung des Films wurde nach der Baader-Befreiung abgesagt (vgl. ebd., S. 186).

5.5 Persönliche und private Ereignisse, die Radikalisierung auslösen Viele Menschen, die das Alleinsein nicht ertragen oder Beziehungsprobleme haben, die eine schwierige Kindheit erfahren haben oder mit sonstigen Schwierigkeiten des Lebens klarkommen müssen, handeln irrational, begehen Fehler, aber nicht jeder verübt deswe- gen Terroranschläge (vgl. Röhl 2018, S. 386). Wie erlebt ein siebenjähriges Kind den unmittelbaren Gang in den Untergrund seiner Mutter? Das beschreibt Grischa Speitel, Sohn der RAF-Terroristin Angelika Speitel im Zeit-Interview mit Oliver Geyer (2019, S. 13):

34 „[...] es war 1977. Ich war sieben. Sie [Angelika Speitel, Anm. d. Verf.] kam eines Abends in mein Zimmer. Sie sagte, sie muss jetzt weg, kämpfen. Aber sie hat mich beruhigt, lange werde es nicht dauern. Ich habe weiter in meinem Bilder- buch geblättert. Für mich war das nichts Besonderes, sie war öfter für ein paar Tage weg […].“ Über die Radikalisierung seiner Mutter sagt Speitel (Geyer 2019, S. 13): „Ihr war es politisch deutlich ernster als meinem Vater. Sie hatte sich schon vor- her in der Welthungerhilfe engagiert. [...] Meine Mutter hat im wahrsten Sinne des Wortes mitgelitten mit den Leidenden der Welt. […] Sie wollte den anderen und vor allem meinem Vater beweisen, dass sie auch etwas hinkriegt im Leben“.

5.5.1 Die Radikalisierung von Ulrike Meinhof Um den Radikalisierungsprozess von Terrorist/innen anschaulicher darzustellen, wird im Folgenden das Radikalisieren der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof anhand von per- sönlichen und privaten Ereignissen beschrieben. Sie war Gründungsmitglied der Rote Armee Fraktion, die, vor der offiziellen Verkündung des Namens und des Logos mit der Maschinenpistole vor einem kommunistischen roten Stern, Baader-Meinhof-Gruppe ge- nannt wurde. Meinhof war zuvor als Journalistin bei der Zeitschrift konkret zu einer Be- rühmtheit der linken Öffentlichkeit in Westdeutschland geworden. Bei ihr war die akti- ve Mitwirkung an der Befreiung Andreas Baaders am 14. Mai 1970 mit ihrem Sprung aus dem Fenster, bei dem sie den anderen beteiligten Terrorist/innen folgte, gleichzeitig der Sprung in die Illegalität. Dieses Ereignis markierte zugleich die Geburtsstunde der Baader-Meinhof-Gruppe. Die Illegalität griff tief in das Leben der Einzelnen ein. Gleichzeitig schweißte sie zusammen, aus Vereinzelung wurde Gemeinschaft, sie be- wirkte Solidarität. Die Radikalisierung Meinhofs kann auf zwei ursächliche Ereignisse zurückgeführt werden: Ihre Gehirnoperation mit den nicht abschätzbaren Konsequenzen einerseits, die Trennung von ihrem Mann, dem Herausgeber von konkret, Klaus Rainer Röhl und dem daraus folgenden Umzug nach Berlin andererseits. Ihr erfolgreiches Da- sein als Kolumnistin für die Zeitschrift konkret gab sie freiwillig auf. Auch die daraus resultierende finanzielle Unsicherheit musste zur Radikalisierung führen (vgl. Peters 2004, S. 189-190). Anzeichen dafür gab es genug, so z.B. die Rede an der Freien Uni- versität nach dem Attentat auf Dutschke, von der folgendes Zitat überliefert ist: „Zündet

35 man ein Auto an, dann ist das eine strafbare Handlung. Zündet man Hunderte von Autos an, dann ist das eine politische Aktion“ (zit.n. Peters 2004, S. 190). Kurz vor der Baa- der-Befreiung setzte Meinhof einige politische Aktionen. Sie besetzte mit 150 Jugendli- chen eine Möbelfabrik und forderte, dass aus der Produktionsstätte ein Jugendzentrum wird. Das Gelände wurde schließlich von der Polizei geräumt. Über ihre Radikalisie- rung urteilte später der Politologe und Jurist Jürgen Seifert, damaliger SDS-Vorsitzen- der und Wegbegleiter, dass Meinhof Härte zeigen wollte und in ihren Argumentationen stets einen Absolutheitsanspruch erhob. Ihre Tochter Bettina Röhl sah den Gang in den Untergrund ihrer sozial engagierten Art geschuldet, ohne Rücksicht darauf, wie es ihr bei all dem persönlich verschuldeten Leid selbst ging (vgl. Peters 2004, S. 191-192). Das Ziel der Baader-Befreiung beschrieben die Mitglieder der RAF in der Agitations- zeitschrift Agit 883 so: „Die Klassenkämpfe entfalten Das Proletariat organisieren Mit dem bewaffneten Widerstand beginnen Die Rote Armee aufbauen!“ (zit.n. Peters 2004, S. 193). Auf einem Tonband, das von der Zeitschrift Der Spiegel veröffentlicht wurde, gab Meinhof die Linie vor, die die Radikalisierung der Gruppe durch die Ankündigung von Morden unzweifelhaft darlegte: „Wir sehen aber auch, dass eben diese Intellektuellen mit ihren theoretischen Konzepten soweit sind, zu wissen, dass Bewaffnung notwendig ist und dass die Revolution nicht gemacht werden wird, ohne dass sich die Revolutionäre bewaffnen (Meinhof 1970, S. 74). Im selben Artikel machte Meinhof (1970, S. 75) klar, dass künftig auch von der Schusswaffe gebrauch ge- macht werden kann: „ […] und wir sagen, natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sa- gen, der Typ in der Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen […] und natürlich kann geschossen werden“. Gegen die landläufige Meinung, Ulrike Meinhof wäre unbeabsichtigt in den Untergrund gegangen und der Sprung aus dem Fenster während der Baader-Befreiung 1970 gemeinsam mit den anderen Attentäter/innen wäre versehentlich passiert, sprach sich die Tochter von Meinhof, Bettina Röhl, aus. Ihr erzählte die damals wichtigste Bezugsperson ihrer Mut- ter, die spätere RAF-Terroristin Monika Berberich, in einem Interview im Jahre 1994: „Meinhof sollte und wollte mit abtauchen. Genauso sei es auch geplant gewesen“ (Röhl

36 2018, S. 309). Anscheinend wollte sie ihr legales Leben hinter sich lassen, sechs Jahre bevor sie auch ihr illegales beendete (vgl. ebd., S. 309). „Frei davon, die Journalistin Meinhof zu sein, frei von bürgerlicher Reputation, dem Zwang, Geld zu verdienen, ir- gendein geordnetes Leben zu führen, einen Vermieter zu haben, ein zugelassenes Auto zu haben. Kein Telefon, kein Finanzamt, keine Rechnungen, keine Partys, kein Small Talk, keine Arbeit. Und keine Kinder“ (ebd., S. 309-310). Die Flucht vor den Sach- zwängen des Lebens übte auf viele Terrorist/innen einen großen Reiz aus. Die große Revolution ermöglichte es, aus dem Alltag auszubrechen und die täglichen Probleme zu vergessen. Aufgrund ihres Alters (sie war bei Gründung der RAF 36 Jahre alt), ihres Bekanntheitsgrades und ihres Berufs war Meinhof eine Außenseiterin unter den Terro- rist/innen. Sie vermochte diesen Umstand durch die Aufmerksamkeit um ihre Person zu kaschieren. Sie war sich um ihre private und öffentliche Wirksamkeit bewusst. Diese Öffentlichkeit fragte sich zunehmend, warum Meinhof als sensible, intelligente und pri- vilegierte Frau eine terroristische Laufbahn einschlug. Viele hegten den Wunsch, dass sie durch die Eigenschaften, die man Meinhof zuschrieb, genau wusste, was sie tat. Sie hofften, sie hätte den Weg zur absoluten Gerechtigkeit gefunden (vgl. ebd., S. 386-387). In der öffentlichen Meinung wurde Meinhof nur eine passive Rolle ihrer eigenen Radi- kalisierung zugedacht, schuld waren die anderen: „Der frühe Tod von Meinhofs Vater, der Krieg, der Tod von Meinhofs Mutter, als sie 14 war, die böse Ziehmutter Riemeck […], Röhl, die undankbaren Kinder, der böse Baader, die böse Ensslin und natürlich die bösen Verhältnisse, der böse Staat, der böse Westen, der böse Kapitalismus“ (ebd., S. 387). Umso mehr versuchte sie, dazuzugehören und tauchte deshalb gemeinsam mit den anderen unter. Sie sehnte sich nach der Nähe einer Gruppe, nach solidarisch-famili- ärem Zusammenhalt sowie das durch die Illegalität verursachte Wir-Gefühl. Zudem war Meinhof wichtig, die Revolution in Form von Anschlägen auch zu leben, nicht nur dar- über zu berichten. Während viele Mitglieder anderer Terrororganisationen Anschläge und Sabotageakte in aller Heimlichkeit verübten, konspirativ, ohne erkannt zu werden, hatte man bei den meisten RAF-Terrorist/innen Namen und Hintergründe parat (vgl. ebd., S. 310-311). Zusammenfassend lassen sich folgende Ursachen der Radikalisierung von Meinhof fest- stellen: die Trennung von ihrem Mann, die Kündigung ihrer Arbeit als Journalistin und die daraus folgenden finanziellen Schwierigkeiten, ihre schwerwiegenden gesundheitli-

37 chen Probleme und die daraus resultierende Gehirnoperation, Gruppendruck verbunden mit dem Gefühl der Solidarität, eine Befreiung von den Sorgen des Alltags im Sinne ei- nes Entledigens der Kinder, ein soziales, auf die Gesamtgesellschaft bezogenes Denken und der frühe Tod ihrer Eltern. Die Radikalisierung zeigte sich schon davor mit dem Verfassen von Kolumnen mit extremistischem Inhalt, die das Anzünden von Fahrzeu- gen guthieß und den Schusswaffengebrauch legitimierte sowie die Teilnahme an Aktio- nen im echten Leben wie Demonstrationen, Streiks, Besetzungen von Fabriken oder Ju- gendheimen.

5.6 Auslösende Faktoren der Radikalisierung heute Bei einer qualitativen Studie des deutschen Bundeskriminalamts zu Biographien von Extremist/innen und Terrorist/innen aus dem Jahr 2010 wird der Prozess der Radikali- sierung erforscht. Danach tragen die Radikalisierung und die damit verbundene Grup- pendynamik – die Einstellungen, Verhaltensweisen und Identitätskonzepte eindeutig vorgibt – dem stark geäußerten Verlangen nach Ordnung, Orientierung und Strukturen Rechnung. Doch nicht nur diese äußeren Faktoren waren für die Radikalisierung der be- fragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen maßgeblich, sondern auch aus intrinsi- scher Motivation herrührende Gesichtspunkte wie Abenteuerlust, Risikofreudigkeit und ein eklatanter Hang zur Selbstdarstellung. Es ist kaum ein einzelner Punkt zu erkennen, an dem man den Beitritt zur Gruppe festmachen könnte. Vielmehr steckt ein Prozess da- hinter. Der endgültige Einstieg in die Gruppe ist in einer Lebensphase zu verorten, in der sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen orientierungslos und einsam gefühlt haben. Vor allem das Zusammentreffen mehrerer unglücklicher Ereignisse und die da- durch ausgelösten psychischen Abläufe und Gefühlslagen können als Auslöser des Wi- derstands eines Einzelnen verstanden werden. Für welches Milieu sich die angehenden Extremist/innen und Terrorist/innen entscheiden, also sozialrevolutionärer Terrorismus bzw. Linksextremismus, Rechtsextremismus oder islamistischer Terrorismus, hängt ei- nerseits vom Zufall ab, andererseits von der Verfügbarkeit des revolutionären Umfelds (vgl. Lützinger 2010, S. 69-71). Beispielsweise würde es einem radikalen Islamisten vergleichsweise leicht fallen, eine revolutionäre Situation und eine Veranlassung, eine Idee, für die es sich zu kämpfen lohnen würde, vorzufinden – einfach aufgrund der Existenz des Islamischen Staates (obwohl dieser mittlerweile fast gänzlich bekämpft ist)

38 und seinen Ideen, für die sich manche Radikale begeistern ließen. Anders bei deutsch- sprachigen Rechtsextremen. Bei welcher Gruppierung, abgesehen von einzelnen Bur- schenschaften oder AfD/FPÖ-Gruppierungen, die rechtsextreme Tendenzen aufweisen, könnten sie andocken? Und vor allem: Welcher großen Idee könnten sie anhängen? Und die extreme Linke in einer annähernd ideologiefreien, spätkapitalistischen Gesell- schaft Mitteleuropas? Der Kommunismus bzw. real existierende Sozialismus ist in Eu- ropa gescheitert. Dessen große Idee verfängt bei der Bevölkerung nicht mehr. Eine Ge- sellschaft, die ihre Kinder zu Egoismus und Individualismus heranzieht, sieht keine so- zialistische, kommunistische Weltanschauung als Perspektive. Es gibt keine sozialrevo- lutionäre Organisation auf unserem Kontinent, die RAF hat sich 1998 selbst aufgelöst.

Doch politische oder religiöse Überzeugungen sind beim Einstieg in die Gleichaltrigen- gruppen ohnehin kaum maßgebend, wie die Studie zu Extremismus und Terrorismus des Bundeskriminalamts nahelegt. Zum Zeitpunkt der Befragung war die Suche nach sozialer Stütze, Empathie und Struktur entscheidend. Zunächst stand für die Jugendli- chen und jungen Erwachsenen die Erlebnisorientierung im Vordergrund. Erst nach eini- ger Zeit in der Gruppe wurden ihre Einstellungen und Argumentationen politischer. An- ders stellt sich die Situation bei jenen dar, die erst nach dem 28. Lebensjahr den Einstieg in eine radikale Gruppierung fanden (vgl. Lützinger 2010, S. 71). „Bei ihnen waren zum Zeitpunkt der Kontaktanbahnung zu entsprechenden Szenebezügen durchaus klare (po- litische) Konzepte oder Absichten erkennbar“ (ebd., S. 71).

Auch von vielen ehemaligen Terrorist/innen wird die Gruppendynamik als ausschlagge- bend für die eigene Radikalisierung angesehen. So beschrieb Hans-Joachim Klein, Ter- rorist der Revolutionären Zellen (RZ), die Faktoren, die sein terroristisches Potential ausschöpfen ließen: Heimerziehung, Schulschwierigkeiten, gescheiterte Ausbildung und Straffälligkeit in der Jugend. Eine gestörte soziale Entwicklung in der Kindheit und Ju- gend wurde durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und die stabilisierte emotionale Bindung an diese etwas kompensiert. Auch sein Mangel an Bildung wurde durch die vielen Diskussionen, Erklärungen und Weltdeutungen innerhalb der Revolutionären Zellen ausgeglichen. Volker Speitel und Michael Bommi Baumann stießen aufgrund ih- rer Orientierungslosigkeit und dem Druck des alltäglichen Lebens zur RAF bzw. zur

39 Bewegung 2. Juni. In den Terrororganisationen fanden sie Perspektiven, Halt und ge- ordnete Abläufe. Zudem herrschte in den Gruppen ein vereinfachtes Weltbild vor, das Orientierung bot. Viele Radikale hatten das Gefühl, mit dem Status als Kämpfer/in einer politischen Organisation etwas erreicht zu haben – nach Erfahrungen des Scheiterns in der bisherigen Lebensbiographie mit abgebrochenen Ausbildungen und Arbeitsverhält- nissen, Drogenkonsum und Straffälligkeit (vgl. Süllwold 1981, S. 87-88).

5.7 Biographische Auffälligkeiten von Terrorist/innen, die eine Radikalisierung begünstigen Studien lassen erkennen, dass biographische Auffälligkeiten von Terrorist/innen offen- bar eine Radikalisierung begünstigen. Wichtige Radikalisierungsfaktoren sind Ideologie und Biographie des Individuums. Vor allem bei Rechtsextremist/innen gehen der Radi- kalisierung familiäre Gewalterfahrungen, gescheiterte Schul- und Berufsbiographien, Umgang mit einer bereits radikalisierten Gleichaltrigengruppe oder Hafterfahrung vor- aus (vgl. van Hüllen 2017, S. 98).

Eine Studie des Bundeskriminalamts zu Biographien von islamistischen Extremist/in- nen und Terrorist/innen legt nahe, dass der häufige Konsum von Alkohol und Drogen eine Rolle bei der Radikalisierung spielt (vgl. Lützinger 2010, S. 58), anders als bei Ter- rorist/innen, die sich dem sozialrevolutionären Terrorismus verschrieben haben, siehe unten. Darüber hinaus kamen die meisten befragten islamistischen Extremist/innen und Terrorist/innen aus prekären Familienverhältnissen, wo dysfunktionale Bewältigungs- strategien vorherrschten. Dadurch waren die Befragten auf sich selbst gestellt. Die schwierigen familiären Rahmenbedingungen führten in weiterer Folge zu schulischen Problemen oder sozialer Ausgrenzung. Meist war eine emotionale Trennung von der Familie die Folge. Das Wegbrechen des sicheren Hafens Familie führte zum Wunsch, diese Leere zu füllen. An die Stelle der nahen Verwandtschaft trat die Gleichaltrigen- gruppe (vgl. ebd., S. 67-68). „Mangels erlebter Geborgenheit und Orientierung im El- ternhaus war die engere Clique für die Befragten das einzig verfügbare soziale Stützsys- tem“ (ebd., S. 68). In logischer Folge machte sie dies anfällig für gruppendynamische Prozesse. So bekamen die jungen Extremist/innen und Terrorist/innen eine neue soziale Identität, die langsam in Begriff war, ihre Persönlichkeit und die damit verbundenen

40 schwierigen Verhältnisse im Elternhaus in den Hintergrund zu drängen, was wiederum die Radikalisierung innerhalb der Gruppe begünstigte. Die schwierige Kindheit und die familiären Zerwürfnisse unterscheiden sich zwar von der Durchschnittsbevölkerung, nicht jedoch von jenen anderer delinquenter Jugendlicher, die keinen Radikalisierungs- prozess hin zu Extremismus und Terrorismus durchlaufen haben (vgl. ebd., S. 68).

Die Studie des Bundeskriminalamts legt nahe, dass Radikalisierungsprozesse häufig auf schwierige Familienverhältnisse zurückzuführen sind. Dies gilt insbesondere bei rechts- extremen und islamistischen Gewalttaten, lässt sich aber bezüglich linksradikaler oder kommunistischer Führungsfiguren des 20. Jahrhunderts nicht bestätigen. Zwar ist eine Häufigkeit gestörter Familienverhältnisse bei einigen Staatslenkern auffällig. So hatte Stalin einen gewalttätigen Vater, Lenin hatte den Tod des Vaters sowie die Hinrichtung seines Bruders in seiner Jugend zu verkraften und János Kádár, Generalsekretär der Un- garischen Sozialistischen Arbeiterpartei, war ein uneheliches Kind. Und doch trifft diese Theorie auf viele andere kommunistische Staatslenker wie Walter Ulbricht, Erich Hone- cker, Josip Broz Tito, Enver Hoxha oder Nicolae Ceaușescu nicht zu (vgl. Miliopoulus 2017, S. 110). Trotzdem sagt die Tatsache, dass man nur von einem Elternteil großgezo- gen wurde oder die Eltern nicht verheiratet waren, nur bedingt etwas darüber aus, wie liebevoll man von diesen erzogen wurde. Umgekehrt können auch auf den ersten Blick gewöhnliche Familienbiographien von Kälte, Ablehnung oder Gewalt in der Kindheit geprägt sein. Staatslenker, erst recht diktatorische, geben kaum Informationen über ihre Kindheit preis – und wenn, sind diese oft geschönt.

Während die biographischen Verläufe linker Extremist/innen, Terrorist/innen und Staatsoberhäupter ambivalent sind, geht der Trend bei jenen im rechtsextremen Spek- trum in eine eindeutige Richtung. Faschistische und nationalsozialistische Führungsfi- guren scheinen häufig unter schwierigen Bindungsverhältnissen, auf die Kindheit zu- rückzuführen, gelitten zu haben. So hatten sowohl Adolf Hitler als auch Joachim von Ribbentrop gewalttätige Väter, Benito Mussolini war schulisch auffällig, Hermann Gö- ring lebte in offener Beziehung. Gegenbeispiele gibt es aber auch hier: Heinrich Himm- ler wuchs genauso unter geordneten Familienverhältnissen auf wie etwa Arthur Seyß- Inquart (vgl. Miliopoulos 2017, S. 111-112).

41 Bei einer gemeinsamen Analyse des Bundeskriminalamts (BKA), des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) sowie des Hessischen Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus über Radikalisierungshintergründe und deren Verläufe von IS-An- hänger/innen, die von Deutschland aus islamistischer Motivation nach Syrien oder in den Irak ausgereist sind oder dies aktiv versucht haben, wurden von 2012 bis 2016 Bio- graphien von 784 IS-Kämpfer/innen ausgewertet. Von diesen waren 79% männlich. Die IS-Anhänger/innen waren durchschnittlich im Alter von 26 Jahren ausgereist, die Al- tersspanne reichte aber von 13 bis 62 Jahren. Die größte Altersgruppe stellten die 22- bis 25-Jährigen dar. Weniger als die Hälfte war zum Zeitpunkt der Ausreise alleinste- hend (44%), 28% waren nach deutschem, 22% nach islamischem Recht verheiratet. Zu- dem hatten 290 der 784 Ausreisenden Kinder. Von den nach deutschem Recht verheira- teten Ehepartner/innen waren nur 4% nicht-muslimischer Herkunft. 61% der IS-Anhän- ger/innen wurden in Deutschland geboren. 62% sind vor ihrem 21. Geburtstag nach Deutschland gekommen, weshalb die politische Sozialisation augenscheinlich in der Bundesrepublik stattfinden musste. Ebenfalls 62% besaßen die deutsche Staatsbürger- schaft, 19% die türkische und 7% die marokkanische. Zusammenfassend hatten 81% der Ausgereisten Migrationshintergrund (vgl. BKA et al. 2016, S. 12-16).

Bei Linksextremist/innen fallen besonders viele Brüche der Sozialisierung im Jugendal- ter auf. Vor allem unvollständige Elternhäuser traten bei Terrorist/innen der RAF und der Bewegung 2. Juni in Erscheinung. 25% von ihnen waren nach dem 14. Lebensjahr Scheidungskinder, verglichen mit 13% in der Gesamtbevölkerung im Jahr 1979. 5% der Linksterrorist/innen waren Vollwaisen, 15% sind ohne Vater, 6% ohne die Mutter auf- gewachsen oder haben einen Elternteil während der Jugend verloren (vgl. Schmidtchen 1981, S. 29). Wendet man den Blick von den Herkunftsfamilien hin zu den selbst ge- gründeten, fällt auf, dass jede/r zweite Linksterrorist/in verheiratet war oder sich in einer festen Beziehung befand (vgl. ebd., S. 45). Die Terrorist/innen der Brigate Rosse stammten meist aus katholischem oder kommu- nistischem Elternhaus und sind der Arbeiter/innenklasse zuzuordnen. Ähnlich wie die Extremist/innen der RAF studierten auch die meisten Brigadist/innen, anders als jene arbeiteten letztere hingegen häufig nebenbei in der Fabrik, um sich über Wasser halten zu können. Renato Curcio, einer der drei Gründer/innen der Roten Brigaden, wuchs in

42 einem katholischen Milieu auf, mit ehemaligen Partisanen in der Familie. Später stu- dierte er in Trento Soziologie und engagierte sich ab 1967 politisch in der Student/in- nenbewegung. Auch seine spätere Ehefrau Mara Cagol stammte aus einem ähnlichen Umfeld. Ein weiterer Gründer der Brigate Rosse, Alberto Franceschini, entsprang einer kommunistischen Arbeiterfamilie. Die erste Generation der Terrorist/innen kam aus dem industrialisierten Norden Italiens. Obwohl spätere Generationen der Brigadist/in- nen aus dem Süden stammten und auch dort Anschläge verübten, blieb der Norden Itali- ens stets das Haupteinsatzgebiet (vgl. Holzmeier/Mayer 2008, S. 283-284).

Der sozialrevolutionäre Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland hat eine so- ziostrukturelle Besonderheit: einen hohen Frauenanteil. 39% der Terrorist/innen der Be- wegung 2. Juni und 34% der RAF waren Frauen. Bei letztgenannter Terrororganisation waren sogar zwei der drei Führungsfiguren der ersten Generation, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin, weiblich. Auch in der Bewegung 2. Juni nahmen Frauen Führungsposi- tionen ein, so z.B. Inge Viett und Ina Siepmann (vgl. Korndörfer 2008, S. 243).

5.8 Radikalisierung heute: Internet und soziale Medien Die Radikalisierungsprozesse sind durch die neuen Medien, die dafür zur Verfügung stehen, nicht mehr einwandfrei mit jenen der 1970er- oder 1980er-Jahre zu vergleichen. Radikalisierung findet heute oft durch das Internet, soziale Medien und diverse Apps statt. Obwohl eine Selbstradikalisierung ausschließlich durch das Internet eher unwahr- scheinlich ist, spielen soziale Medien bei der Begleitung und Intensivierung radikalen Gedankenguts eine große Rolle (vgl. Schmitt et al. 2017, S. 196). Die sozialen Medien üben allerdings eher eine Begleitfunktion bei der Radikalisierung aus. Der Gruppendruck ist auch heute noch von Bedeutung. „Der Übergang vom tatwil- ligen Extremisten zum Terroristen [erfolgte] ungeplant und unvorhersehbar. Als zentra- le, treibende Kräfte wirkten gruppendynamische Prozesse […] oder aber unvorherseh- bare Ereignisse […]“, so Lützinger (2010, S. 72) in ihrer qualitativen Studie zu Biogra- phien von Extremist/innen und Terrorist/innen. Demnach liegen eine schwierige persön- liche Lebenssituation sowie der Einstieg in eine radikale Gruppe und die dort stattfin- dende Ideologisierung zeitlich eng beieinander, was auf einen dynamischen Radikalisie- rungsprozess hindeutet. Bis zum nächsten Schritt, dem Herbeiführen eines Terroran-

43 schlags, vergeht dann allerdings wiederum viel Zeit. Nicht alle untersuchten Gruppen- mitglieder unterstützten das Planen von Attentaten, viele machten aus Loyalität mit an- deren Mitgliedern, zu denen sie eine persönliche Beziehung aufgebaut hatten, mit (vgl. Lützinger 2010, S. 72). Die forensische Psychiaterin Nahlah Saimeh (2019) sagt in einem Interview für eine Dokumentation des ZDF: „Es gibt einen Anlass, den nimmt man sich selber als Recht- fertigungsstrategie, um seine eigenen Hemmungen, die man noch hat gegen eine ge- walttätige kriminelle Handlungsbereitschaft im Grunde zu überwinden und zu sagen 'Na wenn das so ist, dann breche ich mit einem bürgerlichen Konsens und dann schließe ich mich einem gewalttätigen Kampf an'“.

Im 21. Jahrhundert spielt das Internet eine besonders große Rolle bei der Radikalisie- rung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Hier können verfassungsfeindliche Botschaften gesendet, extremistische Ideologien verbreitet und zu Straftaten aufgerufen werden. Im deutschsprachigen Raum sind insbesondere rechtsextreme und islamistische Botschaften häufig. Die Sender/innen versuchen, unabhängig von ihrer ideologischen Ausrichtung, eine emotionale Verbindung mit den Inhalten herzustellen und die Grup- penidentität zu stärken. Mit Abstiegsängsten der Adressat/innen wird gespielt und Ge- walt verharmlost. Dank des Internets können große Personengruppen ohne viel Auf- wand erreicht werden, die Sender/innen können anonym agieren. In unserem Zeitalter wachsen Jugendliche und junge Erwachsene mit dem Internet auf. Zusammen mit den Unsicherheiten und den erst in der Entwicklung befindlichen Identitäten und Werten macht sie das für Propaganda jeglicher Richtung empfänglich. Die Überzeugungen von Extremist/innen werden dabei als sinnstiftend und strukturgebend vermittelt. Vor allem die (vermeintlich) sozialen Netzwerke wie Facebook, Youtube oder Instagram sind im Nutzungsverhalten Jugendlicher und junger Erwachsener omnipräsent und eignen sich daher ausdrücklich für die Verbreitung extremistischer Propaganda. Diese wird nicht nur empfangen, sondern auch geteilt und damit weiterverbreitet (vgl. Schmitt/Ernst/ Frischlich/Rieger 2017, S. 171-174). Wenn sich Jugendliche und junge Erwachsene im Internet über politische Themen in- formieren, bewegen sie sich in Sphären, die ihre bereits ausgebildeten Überzeugungen bestätigen und festigen. Sie sind in Diskussionsforen unterwegs, deren Inhalte mit ihren

44 persönlichen Ideologien übereinstimmen bzw. sich ähneln. Abweichende Perspektiven könnten ihre eigene Position bedrohen und Unsicherheit hervorrufen. Das Internet fun- giert dabei als Echokammer und Filterblase. Letztere wird vor allem durch die zuneh- mende Personalisierung des Internets hervorgerufen (vgl. Schmitt et al., S. 184-185). Die rechtsextremistische Propaganda im Internet ist hochprofessionell. Die Optik wirkt dynamisch, ist auf Jugendliche ausgerichtet und weist Bezüge zu Pop- und Jugendkultur auf. Vor allem seit dem Zuzug hunderttausender Migrant/innen, vorwiegend muslimi- scher Prägung, in den letzten Jahren ist die Agitation gegen Asylwerber/innen und Mi- grant/innen anschlussfähig geworden. Die Angst vor Islamisierung und Überfremdung dominiert die Debatten in einschlägigen Foren ebenso wie Verschwörungstheorien. Dar- über hinaus werden Aufrufe zu Beteiligungen an Freizeitaktivitäten und politischen Schulungen angeboten, die ein Lebensgefühl, Gemeinschaft und Gruppenzugehörigkeit vermitteln sollen. Die rechte Identitäre Bewegung ist ein Beispiel für die Übernahme linken, alternativen Auftretens und dem damit verbundenen jungen Image. Sie ist zwar rechtsradikal, gibt sich allerdings gemäßigt (vgl. Schmitt et al. 2017, S. 174-177).

Auch im islamistischen Milieu findet Radikalisierung heute meist durch das Internet und soziale Medien statt. Hierbei geht es vorwiegend um die Herausbildung einer kol- lektiven Identität. Die Abgrenzung zur Fremdgruppe wird durch die Schaffung von Feindbildern und das Schüren von Feindseligkeiten gegenüber den Un- oder Anders- gläubigen erwirkt. Diskriminierungserfahrungen werden in den sozialen Medien geteilt und damit drängen sich die islamistischen Extremist/innen selbst in eine Opferrolle, aus der sie durch terroristische Aktivitäten ausbrechen wollen. Überdies existieren jihadisti- sche propagandistische Onlinemagazine und jene, die vom IS herausgegeben werden – auch auf Deutsch, Englisch oder Türkisch. Die islamistische Propaganda arbeitet mit ähnlichen Mitteln wie die rechtsextreme: Auch sie arbeiten mit Begriffen aus der Ju- gend- und Popkultur und gestalten Aufrufe zur Beteiligung an Freizeitaktivitäten wie bspw. Konzerte für Syrien. Auch Ratgeberformate auf Youtube, betrieben von Influ- encern, zählen zur Propagandamaschine. In diesen Sendungen werden alltäglich rele- vante Fragestellungen der Nutzer/innen beantwortet. Die in diesen Videos zirkulieren- den strengen Verhaltensvorschriften sollen den Zuschauer/innen Orientierung und Si- cherheit geben. Dies ufert bisweilen ins echte Leben aus. Im Jahr 2014 wurde im nord-

45 rhein-westfälischen Wuppertal von radikalen Salafisten eine Scharia-Polizei gegründet. Es werden auch viele Videoreportagen aus den IS-Kampfgebieten hochgeladen und ver- breitet. Zwar verklären diese oft das Alltagsleben in den Kriegsgebieten, trotzdem wer- den Schlachtungen von Menschen triumphierend dargestellt und Selbstmordatten- täter/innen glorifiziert. Darstellungen von Anschlägen gegen Muslime in der westlichen Welt, wie gerade in Christchurch in Neuseeland oder das Anzünden von Flüchtlingshei- men durch Rechtsextremist/innen, bedienen einerseits den muslimischen Opfermythos, andererseits sollen sie den Wunsch nach Vergeltung schüren (vgl. Schmitt et al., S. 178-181).

5.9 Orte der Radikalisierung Radikalisierung findet nicht nur virtuell in sozialen Medien oder im echten Leben in to- talen Institutionen wie Gefängnissen und extremistischen Organisationen wie dem Sozi- alistischen Patientenkollektiv oder der Roten Hilfe statt, sondern ganze Städte und Stadtteile können davon betroffen sein oder ein Radikalisierung förderndes Umfeld dar- stellen. Wie in Kapitel 6.1 noch beschrieben werden wird, trifft dies beim sozialrevolu- tionären Terrorismus beispielsweise auf Heidelberg zu, der Student/innenstadt, in der besonders viele RAF-Terrorist/innen extremistisch sozialisiert wurden, oder auch auf- grund ihrer besonderen Lage auf Westberlin, in der sich nach den dort stattfindenden Protesten in den Jahren nach 1967 und 1968 die Mitglieder der Bewegung 2. Juni radi- kalisierten.

Noch offensichtlicher tritt das Phänomen der Konzentration der Radikalisierung auf be- stimmte Orte oder Gebiete bei islamistisch motiviertem Terrorismus zutage. Bei einem Zusammenwirken von sozialer und wirtschaftlicher Exklusion, Herkunft und radikaler Auslegung des Islam auf engem Raum, können ganze Stadtviertel radikalisierte Biotope darstellen. Als Beispiele dienen Lyon und seine Vororte in Frankreich. Die Umgebung von Lyon war der Ausgangspunkt eines Protestmarschs von Zugewanderten aus den Maghrebstaaten in den 1980er-Jahren für gleiche Bürgerrechte. Das Scheitern der Pro- teste führte zu Radikalisierung. Zudem dient Lyon als Drehscheibe zwischen Paris, Marseille und der Schweiz. Doch die Gegend um Lyon ist nicht die einzige Region Frankreichs mit islamistischen Tendenzen. Lille und vor allem der Vorort Roubaix gel-

46 ten als Geburtsstätten des Dschihadismus in der Grande Nation. Radikale aus der Regi- on verübten einige Anschläge. Die Attentäter haben sich in einer Moschee radikalisiert. In Großbritannien ist der südliche Londoner Stadtteil Brixton bekannt für die radikale Rekrutierung afrikanischer bzw. karibischer Bewohner/innen (vgl. Khosrokhavar 2016, S. 107-109). Das Gefängnis als totale Institution bietet einen perfekten Nährboden für Radikalisie- rung. Inhaftierte sind Verurteilte oder sich in Untersuchungshaft befindliche Menschen, die sich in einer ausweglosen Zwangsgemeinschaft befinden. Die Gefängnisinsassen sind häufig frustriert und wirtschaftlich abgehängt. Diese Eigenschaften machen sie für radikale Ideen zugänglich. Vor allem psychisch labile Menschen erliegen der Versu- chung der Radikalisierung. Psychische Störungen finden sich allerdings nicht nur bei den Radikalisierten, sondern auch bei den Radikalisierern. Allein aufgrund des hohen Anteils muslimischer Insassen in französischen Gefängnissen (ungefähr die Hälfte der Inhaftierten sind Anhänger/innen des Islam, obwohl der Anteil an Muslimen in Frank- reichs Bevölkerung nur 8% beträgt), fruchtet dort die islamistische Radikalisierung. Auch die Haftbedingungen spielen bei der Radikalisierung im Gefängnis eine Rolle. Je besser die Haftbedingungen sind (Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung und zur Re- ligionsausübung, keine Überbelegung, liberale Besuchsordnung), desto weniger an- schlussfähig sind radikale Ideen. Viele muslimische Gefängnisinsassen fühlen sich auf- grund ihrer Religion gegenüber einsitzenden Christ/innen benachteiligt (vgl. Khosrok- havar 2016, S. 183-188). In Gefängnissen sitzen auch Menschen ein, die wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurden. Draußen, in Freiheit, ist es wesent- lich schwieriger, mit Terrorist/innen in Kontakt zu treten – dazu muss man in der Regel selbst schon untergetaucht sein. Ist man allerdings schon in Haft, durchläuft man den Radikalisierungsprozess oft zum Selbstzweck des Ruhms, um sich Prestige und Anse- hen innerhalb der Insassen zu verschaffen. Die radikalen Anführer/innen setzen oft poli- tische Themen in einen religiösen Kontext. So entsteht der politische Islam innerhalb der Gefängnismauern. Die Radikalisierer sind mitunter charismatische Persönlichkeiten, die auf frustrierte Gefangene treffen, die zu Radikalisierten werden, indem ein/e Schul- dige/r für das eigene Scheitern gefunden wird – sei es der Westen, der französische Staat, Ungläubige oder ähnliches (vgl. Khosrokhavar, S. 193-195).

47 Das Gefängnis als totale Institution ist nicht nur ein Ort der Radikalisierung, sondern auch einer der Deradikalisierung. Mit dieser sollen Gewaltunterbrechung und das Aus- üben neuer Straftaten vermieden und im Idealfall eine Resozialisierung erreicht werden. Die aktuell größte Herausforderung in diesem Bereich ist die Arbeit mit IS- Rückkehrer/innen, die in den Gefängnissen Westeuropas einsitzen (vgl. Ceylan/Kiefer 2018, S. 10).

Wendet man den Blick von den Gefängnissen Frankreichs nach Italien und geht ge- danklich einige Jahrzehnte zurück, rücken andere Orte der Radikalisierung wie Gewerk- schaften in den Blickpunkt. Die Gründungsmitglieder der italienischen Brigate Rosse waren schon zuvor in linksextremen Gruppierungen und radikalen Fraktionen der Ge- werkschaften aktiv. Diese Einrichtungen waren teils paramilitärisch aufgebaut. Die Ter- rorist/innen haben also vor Gründung der Brigate Rosse bereits mit Waffengewalt ver- sucht, politische Ziele durchzusetzen. Das Abtauchen in die Illegalität, zudem begleitet von einem gewalttätigen sozialen Umfeld, war dann kein großer Schritt mehr. Die han- delnden Akteur/innen hatten zu dieser Zeit bereits ein Gruppenzugehörigkeitsgefühl eta- bliert und Freundschaften geschlossen (vgl. Holzmeier/Mayer 2008, S. 283).

48 6 Bildung und Terrorismus Bildung kann für Radikalisierung und für Deradikalisierung gleichermaßen sorgen – oder sie kann Radikalisierung im besten Fall sogar verhindern. In jedem Fall hat der Bildungsgrad Einfluss auf terroristische Aktivitäten. Linksterrorist/innen haben in der Regel ein hohes Bildungsniveau (gilt besonders für jene der RAF, eingeschränkt für jene der Bewegung 2. Juni), während islamistische und rechtsextreme Terrorist/innen eher bildungsfern sind, wie in diesem Kapitel beschrieben wird.

6.1 Bildungsbiographien der RAF-Terrorist/innen In einer im Jahr 1979 vom deutschen Bundesministerium des Innern sowie den Innen- ministerien der Bundesländer der BRD durchgeführten Lebenslaufanalyse wurden Da- ten von 250 Terrorist/innen analysiert, die wegen einer Straftat nach dem deutschen §129a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) gesucht, angeklagt oder verurteilt wurden. Von den 250 Untersuchten waren 227 dem Umfeld der RAF und der Bewe- gung 2. Juni, wenige auch den Revolutionären Zellen zuzurechnen. 67% der Linksterro- rist/innen waren Männer (vgl. Schmidtchen 1981, S. 19-24). „Die Linksterroristen ha- ben […] ein überdurchschnittlich hohes Bildungsniveau“ (ebd., S. 24). Fast jeder Zwei- te, also 47%, hat die Matura und in weiterer Folge eine Universität besucht. Zu jener Zeit waren nur 19% der Bevölkerung an einer Hochschule inskribiert. Nur 35% der Ter- rorist/innen der RAF und der Bewegung 2. Juni waren voll berufstätig. Teilzeitbeschäf- tigung und Arbeitslosigkeit waren auffallend häufig, wenige befanden sich in Ausbil- dung, die Erwerbsbiographie war also mangelhaft. Die erreichte berufliche Stellung bei Eintritt in eine terroristische Organisation war bei den Untersuchten niedriger als bei der Durchschnittsbevölkerung. Der Zeitabschnitt zwischen dem Ende der Ausbildung und der Ausübung eines Berufs scheint eine kritische Phase zu sein, vor allem dann, wenn der Übergang nicht in absehbarer Zeit gelingt. Dann kommt es vermehrt zu prekären Arbeitsverhältnissen, Teilzeitbeschäftigung oder im schlimmsten Fall zu Arbeitslosig- keit. Ein kritisches Stadium, geprägt von psychischer Instabilität, folgt. Die negativen Erfahrungen in der kapitalistischen Arbeitswelt Westeuropas müssen kompensiert wer- den. Daher sind terroristische Ideen eines Umsturzes, die beim Anschluss an eine Grup- pe erhöhtes Selbstbewusstsein hervorrufen, in dieser kritischen Phase besonders an- schlussfähig (vgl. ebd., S. 24-26). „Die berufliche Stellung der Väter bestimmt im allge-

49 meinen die Bildungschancen und die berufliche Position der Kinder“ (ebd., S. 26). Da- her war bei vielen Terrorist/innen der RAF und der Bewegung 2. Juni ein längerer Bil- dungsweg möglich. Sie kamen in der Regel aus Familien mit einem hohen Bildungs- grad. Jedoch scheiterten die von den Eltern vorgelebten Bildungsbiographien häufig bei ihren eigenen Kindern, da viele die Ausbildung nicht abschlossen (vgl. ebd., S. 26). Ein Blick auf die Studienrichtungen der Akademiker/innen unter den Terrorist/innen zeigt, dass das mit 26% am häufigsten gewählte Studium Erziehungswissenschaften war, gefolgt von Sprach- und Kulturwissenschaften mit 24%. Ein Fünftel hat Soziologie studiert, 15% Rechtswissenschaften und je 14% Psychologie und Naturwissenschaften. Besonders interessant ist dabei die Betrachtung der Unterschiede zur Vergleichsgruppe. Von dieser haben nur 6% Soziologie studiert, 6% Rechtswissenschaften und 4% Psy- chologie, während 21% der Vergleichsgruppe, aber nur 1% der Terrorist/innen Ingeni- eurwissenschaften studiert haben. Auffällig ist die Wahl der Studienorte. Knapp zwei Drittel der Terrorist/innen haben in Berlin und Heidelberg, den Heimatorten von Bewe- gung 2. Juni und SPK, studiert, während von der gleichaltrigen Akademiker/innengene- ration nur 9% in den beiden Städten studierten (vgl. Schmidtchen 1981, S. 39-43).

Gudrun Ensslin, eine der drei Führungsfiguren der RAF, brach ein Studium an der Uni- versität ab, besuchte eine Pädagogische Hochschule und schloss ein dortiges Studium ab, um später erneut an der Universität ein Doktorat anzustreben. Allerdings konnte sie ihre Dissertation nicht in der dafür vorgesehenen Zeit fertigstellen. Diese Tatsache führ- te gemeinsam mit der Trennung von ihrem Verlobten und dem gemeinsamen Kind zu einer gefährlichen Mischung, die eskalierte und zu Radikalisierung führte. Die zweite wichtige Führungsfigur der RAF, Andreas Baader, hatte die Schule abgebrochen und ging bis zu seinem 26. Lebensjahr, den Beginn seiner in Radikalisierung mündender po- litischen Tätigkeit, keiner geregelten Erwerbsarbeit nach (vgl. Süllwold 1981, S. 90).

Im Gegensatz zu den RAF-Terrorist/innen, die großteils aus dem akademischen Milieu stammten, waren die Protagonist/innen der Bewegung 2. Juni stärker im proletarischen Umfeld verankert. Michael „Bommi“ Baumann brach z.B. seine Lehre als Betonbauer ab, Ralf Reinders schloss eine solche als Drucker ab. Inge Viett verdiente ihr Geld u.a. als Stripteasetänzerin. Sie kamen allesamt, auch wie , aus dem

50 Arbeiter/innenmilieu. Andererseits hatten auch Mitglieder wie Fritz Teufel zumindest zeitweise studiert (vgl. Korndörfer 2008, S. 242).

Die französische sozialrevolutionäre Terrororganisation Action Directe rekrutierte ihre Mitglieder aus studentischen Kreisen, aber auch aus der Arbeiter/innenschicht. Sie wa- ren grundsätzlich gut gebildet und relativ jung. Jean-Marc Rouillan und Nathalie Méni- gon, die beiden in einer Partnerschaft lebenden Führungsfiguren der AD, studierten in Toulouse. Zudem war der Anteil der Frauen in der Vereinigung hoch (vgl. Gursch 2008, S. 184).

6.2 Bildungsbiographien der IS-Terrorist/innen Die groß angelegte Studie des BKA, BfV und des Landes Hessen über in den Kampf des IS Ziehende aus dem Jahr 2016 lässt einige Schlüsse über die Bildungs- und Er- werbsbiographien der Terrorist/innen zu. 166 der 784 ermittelten IS-Kämpfer/innen wa- ren zum Zeitpunkt ihrer Ausreise ins Kalifat arbeitslos, 116 befanden sich in Ausbil- dung, 111 waren berufstätig, 94 besuchten gerade die Universität. 72 Untersuchte waren zum Zeitpunkt ihrer Ausreise Schüler/innen, davon besuchte ein Viertel ein Gymnasi- um. Von den IS-Anhänger/innen, die die Schule schon abgeschlossen hatten (289 Un- tersuchte), hatten 36% die Matura, 23% einen Realschulabschluss (mittlere Reife), 27% einen Haupt- oder Volksschulabschluss, 7% einen sonstigen und weitere 7% keinen Schulabschluss. Von 116 Untersuchten liegen Informationen zu ihrer Ausbildung vor. Danach haben 42% ihre Ausbildung abgeschlossen, 32% haben diese abgebrochen und 26% befanden sich zum Zeitpunkt ihrer Ausreise noch in der Lehre. Bei 94 Ausgereis- ten, das sind immerhin 12%, liegen Informationen bezüglich eines aufgenommenen Stu- diums vor. Davon haben 10% ihr Studium abgeschlossen, 28% haben es abgebrochen und 63% befanden sich bei ihrer Ausreise in Richtung Islamischer Staat noch im Studi- um (vgl. BKA et al. 2016, S. 16-17). Islamistisch motivierte Terrorist/innen sind also wesentlich weniger gebildet als sozialrevolutionäre Terrorist/innen.

51 6.3 Radikalisierungsprävention durch die Erwachsenen- und Weiterbildung Radikalisierungsprävention strebt das Verhindern von Radikalisierungsprozessen an. Ist es dafür schon zu spät, wird darauf abgezielt, den Verlauf zumindest zu unterbrechen oder – wie bei Straffälligen – umzukehren. Hierbei spricht man von Deradikalisierung (vgl. Ceylan/Kiefer 2018, S. 8).

Allgemein kann die Radikalisierungsprävention aus drei Teilen bestehend angesehen werden: „Primärprävention zielte dann auf die Vorsorge gegen die Entstehung von Extre- mismus, und ihre Zielgruppe wäre generell die Gesellschaft, besonders natürlich die bevorzugten Rekrutierungsobjekte von Extremismus, also im weitesten Sinne junge Menschen mit einer gewissen Affinität für antidemokratisches Ideengut. Se- kundärprävention wäre demnach die Fokussierung der Arbeit auf extremismusaf- fine Milieus und Zielgruppen; Tertiärprävention entspräche übertragen auf die Arbeit gegen Extremismus am ehesten den Aussteigerprogrammen und der Arbeit mit weltanschaulich gefestigten und organisatorisch gebundenen Extremisten“ (van Hüllen 2017, S. 77-78). Die primäre oder universelle Radikalisierungsprävention „[...] will erwünschte Haltun- gen stärken, zur Ausbildung individueller Ressourcen beitragen und Lebensbedingun- gen in allen Bereichen stabilisieren“ (Ceylan/Kiefer 2018, S. 9). Ein in Deutschland eta- bliertes Projekt, das diesem Bereich zugeordnet werden kann, ist das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, an dem 2000 Schulen teilnehmen. Die sekun- däre oder selektive Radikalisierungsprävention kann zielgruppenspezifisch und sozial- raumorientiert agieren, beispielsweise in Brüssel-Molenbeek, da in diesem begrenzten Lebensraum vermehrt Radikalisierungsprozesse festzustellen sind (vgl. ebd., S. 9). „Eine individuelle Gefährdung ist dann gegeben, wenn Jugendliche mehrere indizierte Faktoren (Diskriminierung, prekäre Lebenslage usw.) aufweisen und mit Meinungsäu- ßerungen z.B. Verständnis oder Sympathie für neosalafistische Positionen zum Aus- druck bringen“ (ebd., S. 10). Tertiäre oder indizierte Prävention hat vor allem Gewalt- unterbrechung und Deradikalisierung zum Ziel (vgl. ebd., S. 10).

52 Problematisch ist die Frage, wann Prävention zu Gesinnungskontrolle wird. Wo hört Meinungsfreiheit auf? Schließlich liegen bei Primär- und Sekundärprävention (noch) keine strafrechtlich relevanten Handlungen vor (vgl. van Hüllen 2017, S. 84). Die Ex- tremismusprävention kann nicht nur in die drei oben erwähnten Schritte eingeteilt wer- den, sondern auch in drei Ebenen: Eine Makroebene, die Fernziele und Grundsatzfragen im Sinne einer ideologischen Verortung und Weltbilder wie Kommunismus oder eine ethnisch homogene Volksgemeinschaft einschließt; eine Mesoebene, die betroffene Zielgruppen und Organisationsformen wie Kader oder terroristische Zellen direkt an- spricht sowie eine Mikroebene, bei des es um einzelne Extremist/innen geht, um indivi- duelle Biographien und die Prävention als Ausstiegshilfe sowie als Deradikalisierungs- programm (vgl. van Hüllen 2017, S. 89). Auf der Makroebene bietet sich Extremismusprävention besonders im Sinne von politi- scher Aufklärung an. Sie ist an breite Bevölkerungsschichten gerichtet, die in der Regel aber nicht unmittelbar von Radikalisierung betroffen sind. Prävention auf der Mesoebe- ne spricht extremismusaffine Jugendliche und junge Erwachsene direkt an, die abzudrif- ten drohen, jedoch noch nicht strukturell in terroristischen Organisationen verankert sind. Methodisch ist die Anwendung des Lernens aus der Geschichte vorteilhaft. Es geht um Widersprüche zwischen den angestrebten Utopien und dem Handeln der Ak- teur/innen. Darüber hinaus sind die Mittel zur Zielerreichung sowie die dafür notwendi- gen Strategien und Taktiken relevant (vgl. ebd., S. 90-93). Viele marxistisch-leninisti- sche Gruppierungen sehnen sich nach einer Wiedergeburt des Kommunismus, einem Wiederaufflammen sozialistischer Ideologien in Europa. Hierzu ließe sich ein histori- scher Vergleich aufstellen, der die Utopien mit dem real existierenden Sozialismus in Form der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) oder der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR) mit all den Nachteilen der Regime wie der eingeschränkten Reise- und Mei- nungsfreiheit vergleicht. Schließlich versucht man auf der Mikroebene, sich dem Einzel- schicksal zu widmen und die höchste Radikalisierungsstufe in Form eines Terroraktes zu verhindern. Man bemüht sich, Individuen von der konkreten Tat abzubringen. Bera- tungsstellen unterstützen Familien, deren Mitglieder extremistische Tendenzen, vor al- lem islamistischer Art, aufweisen und agieren so als Präventionsinstitutionen. Vor allem

53 für Rechts- und Linksextremismusprävention gibt es Aussteigerprogramme (vgl. van Hüllen 2017, S. 97). Inhaltlich könnte die Extremismusprävention darauf fokussieren, dass Lernende Kom- munikations- und Diskurskompetenz sowie politische Analyse- und Beurteilungskom- petenz entwickeln. Zunächst geht es darum, aktuelle politische Themen aufzuarbeiten und zu diskutieren, um sie dann in einem zweiten Schritt mit historischen, ideologi- schen und politiktheoretischen Überlegungen in Zusammenhang zu bringen. Dabei gilt es, drei politisch extreme Richtungen zu beleuchten: den Marxismus-Leninismus, den Nationalsozialismus sowie den religiösen Fundamentalismus. So könnte man ein Bei- spiel (einen Zeitungsbericht) linksextremistischer Gewalt heranziehen und diesen mit einer Statistik zu linksextremistisch motivierten Straftaten vergleichen. Genauso könnte man bei der Analyse rechtsextremistischer Gewalt vorgehen. Zusätzlich wäre es noch möglich, die Rede eines/einer FPÖ-Abgeordneten im Nationalrat oder eines/einer AfD- Abgeordneten im Bundestag zu deuten. Bei der Analyse des religiösen Fundamentalis- mus eignet es sich besonders gut, salafistische Aussteigerbiographien zu untersuchen (vgl. Deichmann 2017, S. 148-162).

Der extremistischen Propaganda, die vor allem aus rechtsextremistischen und islamisti- schen Inhalten besteht, kann Einhalt geboten werden. Um dies zu erreichen, gibt es Prä- ventionsmöglichkeiten, von denen Schmitt et al. (vgl. 2017, S. 191-195) drei wesentli- che erarbeitet haben: die Löschung oder Sperrung extremistischer Inhalte, die Verbrei- tung von Gegenbotschaften sowie die Medienkompetenzförderung. Bei der ersten Mög- lichkeit, der Löschung oder Sperrung extremistischer Inhalte, stellt die schiere Masse der Inhalte eine große Herausforderung dar. Trotzdem müssen Plattformbetreiber/innen dafür sorgen, verfassungsfeindliche oder strafrechtlich relevante Inhalte zu löschen. Da- bei ist es aber immer eine Gratwanderung zwischen Meinungsfreiheit und demokrati- scher Diskussionskultur einerseits und dem Schutz vor extremistischer Propaganda an- dererseits. Gegenüber diesem negativen Ansatz der Prävention ist jener der Verbreitung von Gegenbotschaften ein positiver. Dahinter stecken meist zivilgesellschaftliche oder politische Organisationen, die Filme, Musikvideos oder Kampagnen produzieren oder Vorträge halten. Inhaltlich geht es vor allem darum, rechtsextremem und islamistischem Gedankengut ein pluralistisches Gesellschaftsbild entgegenzusetzen. Weitere Aktivitä-

54 ten sind direkte Auseinandersetzungen mit Propagandamaterialien, mit deren Inhalten die Nutzer/innen konfrontiert und diese entlarvt werden. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob es nicht besser ist, proaktiv zu agieren anstatt nur (auf Hassbotschaften von Extremist/innen) zu reagieren. Der dritte Ansatz ist die Förderung der Medienkompe- tenz. Hierbei wird auf Konfrontation und Auseinandersetzung mit Propagandamateriali- en gesetzt. Zielgruppe sind vor allem Lehrer/innen. Für sie werden Unterrichtsmethoden und Praxisbeispiele aus der schulischen und außerschulischen politischen Bildung auf- bereitet. Bei dieser Methode besteht der Vorteil darin, dass Lernende nicht mit den Pro- pagandabotschaften alleingelassen werden, sondern sie von Lehrenden bei der kriti- schen Beurteilung der Inhalte begleitet werden.

Das österreichische Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung listet auf seiner Homepage in der Kategorie „Jugend und Extremismen“ Beratungsmöglich- keiten sowie Web- und Literaturtipps auf. So wird auf die Beratungsstelle Extremismus, das Zentrum polis – Politik Lernen in der Schule, die Schulpsychologie Bildungsbera- tung, das Demokratiezentrum Wien oder die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung verwie- sen (vgl. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2019). Die ös- terreichische Beratungsstelle Extremismus bietet Vorträge, Workshops und Trainings für Schulen, soziale und arbeitsmarktpolitische Einrichtungen in Form von Basis- und Aufbaumodulen an. Die Ziele des Weiterbildungsangebots sind: „Sensibilisierung durch Information, Reflexion und Dialog; Demokratieförderung; Prävention von Extremis- men; Förderung der eigenen Handlungsfähigkeit in der Praxis; Vermittlung von praxis- orientierten Interventionsmöglichkeiten“ (Beratungsstelle Extremismus 2019). In Deutschland bietet beispielsweise der Deutsche Bildungsserver unter der Kategorie Ter- rorismus Link- und Medientipps für den Unterricht und Hintergrundinformationen an (vgl. Deutscher Bildungsserver 2019).

55 6.4 Praxis der Radikalisierungsprävention in einer Weiterbildungsinstitution Nachdem die Radikalisierungsprävention durch die Erwachsenen- und Weiterbildung vorhin theoretisch beschrieben wurde und ihre inhaltlichen Schwerpunkte dargelegt wurden, folgt nun der praktische Abschnitt der konkreten Umsetzung in die Praxis durch ein Unternehmen. Dazu wurde ein Expert/inneninterview mit einer Personalent- wicklerin der betreffenden Institution geführt. Bei der Einrichtung handelt es sich um eine große Weiterbildungsinstitution in Österreich. Die Interviewte bat um Wahrung der Anonymität, da es sich um unternehmensinterne Informationen handelt. Daher wird we- der die Einrichtung noch die Interviewpartnerin namentlich genannt. Das Interview wurde am 17. April 2019 durchgeführt.

Kohne: Welche Weiterbildungsangebote bietet die Einrichtung zu den Themenbereichen Extremismusprävention, Radikalisierungsprävention und Terrorismus an? Personalentwicklerin: Im Weiterbildungsangebot [der Einrichtung] finden bzw. fanden sich unterschiedliche Angebote zu den Themen Extremismus- und Radikalisierungsprä- vention. Wir versuchen dabei auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren (so z.B. im Jahr 2016/17 über den IS, 2017/18 Extremismus allgemein und 2018/19 Radikalisierung als gesellschaftliches Phänomen), zusätzlich dazu bieten wir allgemeine Veranstaltungen zum Umgang im Arbeitsalltag an (in Form eines Notfallplans etc.). Außerhalb der inter- nen Weiterbildung gibt es zusätzliche Maßnahmen (z.B. Ankerpersonen für Radikalisie- rungsprävention pro Standort), die zusätzliche Angebote setzen.

Wer leitet diese Weiterbildungsveranstaltungen? Die Veranstaltungen werden sowohl intern, als auch von externen Expert/innen geleitet.

Wer kann an diesen internen Weiterbildungen teilnehmen? Teilnehmen können alle Mitarbeiter/innen der Einrichtung, unabhängig ob angestellt oder freier Dienstnehmer/freie Dienstnehmerin.

Wieviele Teilnehmer/innen gibt es jährlich? Es nehmen zwischen 30-60 Teilnehmer/innen jährlich teil.

56 Ist die Teilnahme an den Weiterbildungsveranstaltungen zu diesen Themenbereichen für Mitarbeiter/innen oder Lehrende in gewissen Bereichen verpflichtend? Verpflichtungen in dem Sinn sind mir nicht bekannt.

Welchen Umfang haben die Weiterbildungsveranstaltungen? Die Veranstaltungen sind zwischen 4 – 12 Unterrichtseinheiten.

Seit wann bietet die Einrichtung Weiterbildungsveranstaltungen zu diesen Themenbe- reichen an? Veranstaltungen bieten wir seit 2015/16 an.

Aus dem Interview geht hervor, dass möglichst viel thematische Abwechslung gegeben ist. Die unterschiedlichen Schwerpunkte bewirken aber auch, dass Mitarbeiter/innen, die erst später in das Unternehmen eintreten, keine Möglichkeit eines Nachholens verpass- ter Kurseinheiten haben. Die Erwähnung eines Notfallplans und einer Ankerperson, die pro Standort für Radikalisierungsprävention zuständig ist, zeugt von sehr konkreten, an- lassbezogenen Maßnahmen in einem Unternehmen im Gegensatz zu den im Theorieteil dargelegten eher abstrakten Möglichkeiten der Extremismusprävention. Dass es laut In- terview auch interne Expert/innen in diesem Bereich gibt und man Weiterbildungsver- anstaltungen in einer solchen Größenordnung überhaupt anbietet, zeugt davon, dass das Thema Radikalisierungsprävention für diese Einrichtung eine große Bedeutung hat. Trotzdem ist die Zahl der Teilnehmer/innen relativ gering. Veranstaltungen zu diesem Themenkomplex werden erst seit 2015 angeboten. Dies ist wahrscheinlich als Reaktion auf die vermehrten Anschläge des IS in Europa, die in diesem Zeitraum begannen, zu- rückzuführen.

Dass Weiterbildungsveranstaltungen zu Radikalisierungsprävention nötig sind, zeigt das folgende Kapitel, das durchaus vorhandenes terroristisches Potential junger Erwachse- ner zutage fördert.

57 7 Analyse der Befragungsergebnisse Die Befragung zur vorliegenden Masterarbeit wurde über das Internetportal umfrageon- line.com, dessen kostenlose Benutzung einen E-Mail-Account einer kooperierenden Hochschule voraussetzt, durchgeführt. Ziel war es, 100 bis 120 junge Erwachsene zwi- schen 18 und 30 zum Themenkomplex Radikalisierung und terroristisches Potential junger Erwachsener zu befragen. Die Umfrage war von 29. März bis 12. April 2019 on- line, also zwei Wochen lang. Der Link dazu wurde auf verschiedenen Kanälen im Inter- net beworben, so auf meinem Instagram-Account und auf meinem Facebook-Profil. Auf dieser Plattform haben den Link einerseits Freund/innen, andererseits diverse Seiten und Gruppen wie Sportvereine geteilt, in denen ich aktiv bin. Auch die Funktion in Uni Graz Online, mit der man ein Mail an alle Teilnehmer/innen einer Lehrveranstaltung schicken kann, war sehr hilfreich. Darüber hinaus gab es eine Woche lang einen Aus- hang am schwarzen Brett meines Wohnhauses. Die Mehrfachteilnahme einzelner Be- fragter konnte durch eine Einstellung, durch die die Browser-Session-ID gesperrt und Cookies gesetzt wurden, vermieden werden, was durch eine probeweise versuchte zwei- te Teilnahme eines Freundes, die scheiterte, auch nachgewiesen werden konnte.

Insgesamt haben 248 Menschen die Umfrage begonnen, 206 haben sie abgeschlossen. 180 Teilnehmer/innen gehören meiner Zielgruppe, den 18- bis 30-Jährigen, an. Von die- sen haben 147 den Fragebogen beendet. Auf die letztgenannte Zahl wird sich die Aus- wertung fokussieren.

Das erste Ausschlusskriterium waren nun jene Teilnehmer/innen, die den Fragebogen nicht bis zum Schluss ausgefüllt haben. Alle Antworten dieser 46 Befragten wurden nach genauerer Ursachenforschung des Abbruchs gelöscht und nicht zur weiteren Aus- wertung herangezogen.

7.1 Abbruchgründe Bemerkenswert ist die hohe Zahl an Abbrüchen, obwohl bei der Datenerhebung auf die Anonymität in der Auswertung hingewiesen wurde. Von den 248 Teilnehmer/innen ins- gesamt (180 der Zielgruppe, Zahlen jeweils in Klammer) haben alle die Einstiegsfragen nach Alter, Geschlecht, beruflicher Tätigkeit, Bildungsabschluss, Familienstand, Staats-

58 bürgerschaft und Wohnort beantwortet. Der größte Rückgang folgte bei der Frage nach der Einstellung zu bestimmten Organisationen, Ländern und Flüchtlingspolitik. 28 (25 der Zielgruppe) Befragte haben bis zu dieser Einschätzung abgebrochen. 214 (152) Teil- nehmer/innen haben schließlich die folgenden Fragen nach der Bekanntheit von Terror- organisationen, Weiterbildungsveranstaltungen und gesellschaftlichen und politischen Ereignissen, die Protest oder Widerstand hervorrufen, ausgefüllt. Den letzten Bereich stellten Aussagen dar, die die Teilnehmer/innen auf einer Skala von 1 bis 4 bewerten sollten, was 204 (147) von ihnen auch umsetzten. Aus meiner Zielgruppe haben 33 Personen den Fragebogen vorzeitig abgebrochen. Da mich die Gründe dafür interessieren, habe ich diese zu analysieren versucht. Zunächst fällt auf, dass insbesondere 18-24-Jährige, also Jüngere (17 der 33) die Befragung abge- brochen haben. Beim höchsten Bildungsabschluss fällt auf, dass wesentlich mehr Teil- nehmer/innen mit Matura und weniger mit einem Studienabschluss die Befragung vor- zeitig abgebrochen haben als diejenigen, die sie beendet haben. Dies hängt aber wahr- scheinlich mit dem jüngeren Alter der Abbrechenden zusammen und gleicht sich somit wieder aus. Schließlich sticht bei der politischen Strömung heraus, dass besonders viele Liberale den Fragebogen beendet haben, während Kommunist/innen und Menschen ohne politische Orientierung eher abgebrochen haben.

7.2 Einstiegsfragen Soziodemographische Daten wie Alter, Geschlecht, Beruf, Bildung, Staatsbürgerschaft und Wohnort bildeten den Einstieg in den Fragebogen. Die Frage nach Religionszuge- hörigkeit wurde bewusst nicht gestellt, da ich der Ansicht bin, dass Kategorisierung in dieser Hinsicht viel verfälschen kann, da Terrorismus in Europa heutzutage hauptsäch- lich als islamistisch geprägt angesehen wird, der Schwerpunkt der Arbeit aber auf sozi- alrevolutionärem Terrorismus liegt.

Alter Das wichtigste Kriterium für die Verwertungsmöglichkeit eines ausgefüllten Fragebo- gens lag in der Themenwahl und schließlich dem Titel der Masterarbeit begründet, aus dem junge Erwachsene als Zielgruppe der Arbeit hervorgehen. Daher wird gleich beim Einstieg nach dem Alter des Teilnehmers/der Teilnehmerin gefragt. Dazu wurden Kate-

59 gorien gebildet. Ziel war es, möglichst viele 18- bis 30-Jährige zu erreichen, was letzt- endlich auch gelang. Darüber hinaus gab es jeweils eine eigene Kategorie für Unter-18- Jährige, 31-36-Jährige und Über-36-Jährige.

Alter

n = 147

18-24 44% 25-30

56%

Abbildung 1: Alter

Die Altersgruppen verteilten sich nun folgendermaßen: 32% sind zwischen 18 und 24, 40% zwischen 25 und 30 Jahre alt. Das bedeutet, dass 72% der Befragten meiner Ziel- gruppe entsprechen, das sind 147 Teilnehmer/innen in absoluten Zahlen. 12% sind zwi- schen 31 und 36, 14% sind älter als 36 und 2% jünger als 18 Jahre alt. Die drei letztge- nannten Gruppen werden für die weitere Auswertung nicht berücksichtigt.

Geschlecht Mehr als die Hälfte der Befragten ist männlich (77 von 147), 68 sind weiblich und 2 ha- ben die Option „andere“ gewählt und sich als „genderfluid“ bzw. „männlich-transgen- der“ bezeichnet.

60 Aktuelle berufliche Tätigkeit

Aktuelle berufliche Tätigkeit

2% 2% 6% n = 147 2% 2% Schüler/in Lehrling Student/in befristetes Arbeitsverhältnis 32% unbefristetes Arbeitsverhältnis selbstständig arbeitslos andere 49%

5%

Abbildung 2: Aktuelle berufliche Tätigkeit

Bei der Frage nach der gegenwärtigen Berufstätigkeit gab fast die Hälfte der Befragten an, Student/in zu sein (49%). Insgesamt waren 39% unselbstständig berufstätig (davon 32% in einem unbefristeten, 5% in einem befristeten Arbeitsverhältnis und 2% in einer Lehre), 6% waren Schüler/innen und jeweils 2% waren selbstständig, arbeitslos oder ga- ben sonstige Tätigkeiten wie Zivildienst an. Da knapp die Hälfte der Befragten studieren, sind die Studienrichtungen von Interesse. 21 von 72 studieren Lehramt, das sind 29%. Damit ist dieses Studium das meistgenann- te, vor Pädagogik/Erziehungswissenschaft mit 9 und Naturwissenschaften mit 7 Nen- nungen. Jeweils 5 Befragte studieren Psychologie und Geisteswissenschaften, 4 Wirt- schaftswissenschaften, 3 jeweils Sprach- und Kulturwissenschaften, Kunst, IT/Medien oder ein technisches Studium. Soziale Arbeit, Soziologie/Politikwissenschaften absol- vieren jeweils 2 Student/innen, eine/r jeweils Rechtswissenschaften und Medizin. 3 Be- fragte haben keine näheren Angaben zu ihrem Studium gemacht.

61 Die Berufssparten der Befragten haben eine größere Streuung als ihre Studienrichtun- gen. Von den 56 Berufstätigen ist die relative Mehrheit von 8 Angestellten im Gesund- heitsbereich tätig. Das gleiche Phänomen wie bei den Studiengängen ist bei den ausge- übten Berufen zu erkennen: (künftige) Sozialpädagog/innen und Sozialarbeiter/innen sind (mit 7 Befragten) ebenso überrepräsentiert wie (angehende) Lehrer/innen (5). Ebenfalls erwähnenswert sind 5 Befragte, die in projektbezogenen Bereichen arbeiten und jeweils 4 in den Berufsgruppen Verkehr & Tourismus, IT & Medien sowie Büroan- gestellte. Der Rest verteilt sich auf verschiedene Bereiche des Arbeitswesens.

Höchster Bildungsabschluss

Höchster Bildungsabschluss

n = 147 7% 6% Pflichtschule Lehre 42% Matura/Abitur Studium

45%

Abbildung 3: Höchster Bildungsabschluss

Für den möglichen Zusammenhang zwischen Bildung und terroristischem Potential ist es wichtig, die höchste abgeschlossene Bildung zu erfragen. Der hohe Anteil an Stu- dent/innen spiegelt sich auch bei der Frage nach dem höchsten Bildungsabschluss wi- der. 42% der Befragten haben bereits ein Studium abgeschlossen, 45% haben die Matu- ra als höchste abgeschlossene Bildung. 6% haben mit einer Lehre abgeschlossen, 7% die Pflichtschule.

62 Familienstand

Familienstand

n = 147 3% alleinstehend in Partnerschaft lebend verheiratet/in eingetragener 40% Partnerschaft lebend 57%

Abbildung 4: Familienstand

Der Familienstand ist insofern relevant, als eine eigene Vermutung lautete, dass Allein- stehende ein größeres terroristisches Potential haben als Menschen, die in einer Bezie- hung leben. Eine deutliche Mehrheit von 57% ist alleinstehend, wobei sich dabei die Al- tersklassen stark unterscheiden. Während 66% der jüngeren Befragten (18-24) alleinste- hend sind, beträgt dieser Anteil bei den älteren (25-30) genau 50%. In einer Partner- schaft leben 40% und 3% haben ihre Partnerschaft eintragen lassen bzw. sind verheira- tet, wobei dies ausschließlich auf die älteren Befragten zutrifft.

Staatsbürgerschaft

Staatsbürgerschaft

n = 147 Österreich Deutschland 1% 1% 1% 1% 1% 1% 2% Italien Tschechien 20% Litauen Kroatien Serbien Kasachstan Niederlande 73%

Abbildung 5: Staatsbürgerschaft. Summe 101% entsteht aufgrund von Rundungen.

63 Eine große Herausforderung stellte die Absicht dar, möglichst viele Menschen aus ver- schiedenen Ländern zu befragen. Dies ist schon allein aufgrund der Sprachbarriere schwierig, denn der Fragebogen war nur auf Deutsch verfügbar. Immerhin ist es gelun- gen, relativ viele Deutsche im Ergebnis abbilden zu können, die sich durch Kontakte, die ich aufgrund meines Auslandssemesters in Köln geknüpft habe, ergeben haben. So besitzen 20% der an der Erhebung Teilnehmenden die deutsche Staatsbürgerschaft. Dar- über hinaus gaben 3 Befragte an, die italienische Staatsbürgerschaft zu besitzen, 2 die tschechische und jeweils eine/r die litauische, kroatische, serbische, kasachische sowie niederländische Staatsangehörigkeit. Die überwiegende Mehrheit von 73% sind aller- dings Österreicher/innen.

Wohnort

Wohnort

n = 147

Belgrad Prag Niedersachsen Bremen Schleswig-Holstein Rheinland-Pfalz Sachsen Berlin Mecklenburg-Vorpommern NRW Tirol Vorarlberg Burgenland Niederösterreich Oberösterreich Salzburg Kärnten Wien Steiermark 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40%

Abbildung 6: Wohnort

64 Noch stärker zeigt sich die Österreich- und Deutschlandzentrierung bei der Frage nach dem Bundesland, das den Lebensmittelpunkt darstellt. 1 Befragte/r gab an, in Belgrad zu leben und 2 in Prag, der Rest verteilt sich auf die beiden deutschsprachigen Länder Deutschland (31) und Österreich (113). Hier gelang es, Teilnehmer/innen aus allen Bun- desländern zu erreichen, wobei die Steiermark als Studienort mit 53 ausgefüllten Frage- bögen und Wien als Wohnort mit 38 die Hauptquellen darstellten. Mit dabei waren 7 Befragte aus Kärnten, 6 aus Salzburg, 3 aus Oberösterreich, 2 jeweils aus Niederöster- reich und dem Burgenland und je eine/r aus Vorarlberg und Tirol. In Deutschland kon- zentrierte sich die Antworthäufigkeit ebenfalls auf zwei Bundesländer, Nordrhein-West- falen mit 15 und Mecklenburg-Vorpommern in der ehemaligen Deutschen Demokrati- schen Republik mit 10 Teilnehmer/innen. Jeweils ein/e Befragte/r kam aus Sachsen, Berlin, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen und Rheinland-Pfalz.

Mangelnde Repräsentativität Nach Auswertung der gesamten Anzahl an Teilnehmer/innen und einzelner einleitender Fragen wird klar, dass die Befragung nicht repräsentativ ist. 147 Menschen haben an der Umfrage teilgenommen, das ist eine um mehrere Hundert zu geringe Anzahl, um eine Repräsentativität zu gewährleisten. Darüber hinaus ist die geringe Fallzahl an arbeitslo- sen Menschen und an Lehrlingen problematisch, wobei bei Letzteren die ausgewählte Alterskohorte hinderlich ist. Vor allem aber spiegelt die höchste abgeschlossene Bil- dung nicht die Gesamtbevölkerung wider. Spätestens bei der Auswertung der politi- schen Orientierung der Befragten wird klar, dass diese nicht repräsentativ sein kann. Insgesamt kann von einem linksliberalen studentischen Umfeld gesprochen werden, in- nerhalb dessen sich die Befragung abspielte – ein grundsätzliches Problem der Sozial- und Bildungswissenschaften. Die Aussagen der Befragten können somit nicht auf die Gesamtbevölkerung übertragen werden.

65 7.3 Einschätzungen Teilnahme an Kundgebungen

Teilnahme an Kundgebungen

n = 147

andere

ja, an einem Streik

ja, an einer Demonstration

nein

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60%

Abbildung 7: Teilnahme an Kundgebungen

Von den 147 Befragten, deren Ergebnisse ausgewertet wurden, gaben 44% an, noch nie an einer Demonstration oder sonstigen Kundgebung teilgenommen zu haben, was im Umkehrschluss eine Teilnahmequote von 56% ergibt. Bei ermöglichten Mehrfachnen- nungen kam heraus, dass 54% der Antwortgebenden bereits an einer Demonstration partizipiert haben, 14% an einem Streik und 4% füllten das offene Feld „andere“ mit Besetzung, Blockade, Mahnwache und Regenbogenparade aus.

Information über politische Ereignisse Die Frage „Wie informieren Sie sich über politische Ereignisse?“ ermöglichte Mehr- fachnennungen. Die wichtigste politische Informationsquelle sind mit 79% Zeitungen und Zeitschriften mit deren Onlineausgaben vor sozialen Netzwerken mit 69%, wobei Facebook, Twitter und Instagram explizit genannt wurden. Knapp dahinter rangieren Fernsehen und Radio mit 66% sowie Freund/innen und Bekannte mit 65%. Mit großem Abstand folgen sonstige Internetquellen, die 44% benutzen, Familie und ähnliche Le- bensformen, über die 42% der Befragten informiert werden. Eine geringe Rolle spielen

66 Bücher mit 21% und Youtube mit 19%. Eine Person gab an, sich gar nicht über politi- sche Ereignisse zu informieren.

Politische Ausrichtung

Politische Ausrichtung

n = 147 3% 15% Kommunismus 18% Sozialdemokratie Grün Liberal 1% Konservativ 3% Rechts keiner 29% andere 14%

18%

Abbildung 8: Politische Ausrichtung

Die Frage nach der politischen Strömung war von großer Relevanz, da eine weit links oder weit rechts stehende politische Überzeugung möglicherweise ein extremistischeres Antwortverhalten im Laufe der Befragung aufweisen könnte. Es zeigt sich eine eher lin- ke Orientierung der Befragten. 29% gaben Sozialdemokratie/Mitte-Links (mit SPÖ und SPD als diese Richtung weitgehend repräsentierende Parteien) als ihre favorisierte poli- tische Strömung an, 18% Grüne, 15% Kommunismus/Links (KPÖ, Die Linke), 14% Li- beralismus (Neos, FDP), 3% Konservativ (ÖVP, CDU) sowie 1% Rechts (FPÖ, AfD). Weitere 3% gaben eine andere politische Strömung an, beispielsweise eine Mischung, Anarchismus oder „alles außer Rechts“. 18% der Befragten fühlen sich schließlich kei- ner politischen Strömung zugehörig. Daraus lässt sich eine starke Politisierung junger Erwachsener schließen, denn immer- hin fühlen sich 82% einer politischen Richtung zugehörig. Diese politische Gewichtung macht eine Auswertung des Fragebogens umso spannender. Sozialdemokratie, Grüne sowie Liberale sind unter den Befragten überrepräsentiert, Konservatismus und rechte

67 Ideologie stark unterrepräsentiert. Die unverhältnismäßig zahlreich vertretenen kommu- nistischen bzw. linken Ideen (wenn man die Menschen, die sich keiner politischen Strö- mung zuordnen wollen, weglässt, würden KPÖ und Linke sogar auf einen Wert von 19% kommen, obwohl die KPÖ nichtmal im Nationalrat vertreten ist) sind vor allem auf Deutsche zurückzuführen, denn fast die Hälfte der Linken haben angegeben, deut- sche Staatsbürger/innen zu sein.

7.4 Einstellungen

Abbildung 9: Einstellungen zu Staaten, Institutionen und brisanten politischen Themen

Die Abfrage der Standpunkte gegenüber bestimmten Ländern und Institutionen war in Bezug auf die starke Ablehnung der USA und der NATO von sozialrevolutionären Ter- rororganisationen von Interesse. Die Frage nach der Einstellung zu bestimmten Staaten, Einrichtungen und einer hochpolitischen Frage brachte wie bereits erwähnt viele zum Abbruch der Befragung. Diejenigen, die eine Beurteilung vornahmen, lieferten teils er- wartbare, teils unerwartete Ergebnisse. So überrascht die nahezu uneingeschränkt positi- ve Bewertung der EU ebenso wie die starke Ablehnung Russlands. Zu den Details: Mit Abstand am positivsten wird die EU gesehen, 39% stehen ihr sehr, 52% eher positiv ge- genüber. Nur 8% bzw. 1% nehmen eine eher bzw. sehr negative Haltung gegenüber die- ser Institution ein. Das arithmetische Mittel liegt bei 1,71. Sehr spannend wird es, wenn man sich die Korrelation von politischer Strömung und Einstellung zu Ländern und In- stitutionen ansieht. So wird die EU von Kommunist/innen mit einem Mittelwert von

68 2,18 wesentlich schlechter bewertet als von den Liberalen, die eine fast uneingeschränkt positive Sicht auf die EU haben (arithmetisches Mittel von 1,38). Die zweite Institution, die überwiegend positiv vernommen wird, ist die NATO mit ei- nem Mittelwert von 2,39. Diese wird nur von Linken mehrheitlich abgelehnt (Mittel- wert 2,91), von allen anderen aber positiv gesehen. Die übrigen abgefragten Länder bzw. politischen Entscheidungen werden überwiegend negativ beurteilt. So wie die Flüchtlingspolitik, die einen Mittelwert von 2,61 hat. Sie wird von 8% sehr und von 36% eher positiv, von 43% eher und von 13% sehr negativ beurteilt. Zustimmung findet die Flüchtlingspolitik nur bei Linken, am negativsten wird sie von Konservativen und Rechten gesehen. Die USA und China stoßen mit einem arithmetischen Mittel von 2,86 bzw. 2,90 annä- hernd gleichermaßen auf Ablehnung, wobei bei den USA ein gravierender Unterschied im Antwortverhalten zwischen Linken und Rechten gegeben ist. Während Konservati- ve/Rechte mit einem Mittelwert von 2,20 und Liberale mit 2,48 den Vereinigten Staaten positiv gegenüberstehen, fällt die Ablehnung des großen politischen Feindes unter Kommunist/innen und Linken mit einem Mittelwert von 3,27 sehr deutlich aus. Umge- kehrt erstaunt es, dass Russland unabhängig von jeglicher politischer Strömung glei- chermaßen negativ angesehen wird. Das arithmetische Mittel beträgt 3,10, insgesamt stehen nur 15% dem größten Staat der Welt positiv gegenüber, während 60% ein eher negatives und ein Viertel ein sehr negatives Bild darüber haben.

Über Terrorismus lernen Die Frage „Wie viel haben Sie in der Schule über Terrorismus gelernt?“ war eine offene und zudem die einzige, die nicht gezwungenermaßen beantwortet werden musste. Trotz- dem haben sich 125 Teilnehmer/innen dazu geäußert. Von diesen hat mehr als die Hälf- te angegeben, während ihrer Schulzeit nichts über Terrorismus oder Radikalisierung ge- lernt zu haben. Bei 48 Befragten war den schriftlichen Darlegungen zu entnehmen, dass sie wenig darüber gelernt haben, bei 12 war es viel. Ein Fünftel der Teilnehmer/innen hat die Fächer erwähnt, in denen über Terrorismus gesprochen wurde. Davon entfällt die Hälfte auf Geschichte. Anderen Fächern kommt eine geringe Bedeutung zu. Jeweils dreimal wurde Politik und Religion, zweimal Geographie genannt. Eine Nennung ent- fällt jeweils auf Deutsch, Englisch, Italienisch und Ethik.

69 Viele Mitwirkende haben sich zu den Themen geäußert, über die im Unterricht gespro- chen wurde. Mit großem Abstand wurde der 11. September 2001 mit 14 Nennungen am meisten behandelt. Jeweils 6 Befragte gaben an, in der Schule über Radikalisierung be- zogen auf den Nationalsozialismus, über islamistischen Terrorismus sowie über die RAF, die einen großen Teil der vorliegenden Arbeit einnimmt, gelernt zu haben. Bei 3 Befragten war die Irish Republican Army (IRA) Teil des Unterrichtsstoffs, bei jeweils zwei die Geschehnisse im Nahen Osten sowie Radikalisierung im Allgemeinen. Eine Nennung erfuhren Rechtsradikalismus, Franz Fuchs, der Befreiungsausschuss Südtirol, die baskische Separatistenorganisation, die italienischen Brigate Rosse (im Italienisch- unterricht) sowie der arabische Terror in Wien in den 1970er- und 1980er-Jahren.

Bekanntheit von Terrororganisationen

Abbildung 10: Bekanntheit von Terrororganisationen

Ob man in der Schule über Terrorismus lernt oder nicht, entscheidet auch darüber, wel- che Terrororganisationen man kennt. Es stellt aber nicht das einzige Kriterium dar, man kann sich auch aus privatem Interesse über terroristische Gruppierungen informieren oder sie sind ohnehin in den Medien omnipräsent (wie gegenwärtig der IS oder einst Al Kaida). Die beiden Letztgenannten sind auch die bekanntesten Terrororganisationen. 99% der Befragten kennen den Islamischen Staat, 97% Al Kaida. Die für diese Master- arbeit besonders relevanten sozialrevolutionären terroristischen Organisationen sind für

70 weit weniger Menschen ein Begriff. Während die RAF (Rote Armee Fraktion) noch ei- nen Bekanntheitsgrad von 69% aufweist, liegt dieser bei den anderen deutschen linksex- tremistischen Terrorgruppen Bewegung 2. Juni (10%) und Revolutionäre Zellen (9%) im untersten Bereich. Die an den Zahlen der Todesopfer gemessene brutalste sozialre- volutionäre Terrororganisation Europas, die Brigate Rosse (Rote Brigaden) aus Italien kennen 27%, während ihr französisches Pendant, die Action Directe, auf einen Bekannt- heitsgrad von nur 5% kommt. Knapp mehr als die Hälfte (52%) weiß um die Bekannt- heit des deutschen NSU (Nationalsozialistischer Untergrund). Über ethno-nationalen Terrorismus wissen die Menschen relativ gut Bescheid: 54% kennen die IRA (Irish Re- publican Army) und 40% die ETA (Baskenland und Freiheit). Darüber hinaus haben 11 Befragte ins Feld „andere“ weitere ihnen bekannte Terrororganisationen geschrieben. Genannt wurden Hamas, Hisbollah, Boko Haram, die österreichische VAPO (Volks- treue außerparlamentarische Opposition) und Befreiungsausschuss Südtirol. Ein Teil- nehmer nannte auch die NATO.

Weiterbildungsteilnahme Um einen Bezug zur Erwachsenenbildung und deren Wirkung auf einen möglichen Ra- dikalisierungsverlauf oder eine Verhinderung derselben herzustellen, wurden die Teil- nehmer/innen gefragt, ob sie radikalisierungsbezogene Weiterbildungsveranstaltungen besucht haben. 8% (11 in absoluten Zahlen) der Befragten haben im Zuge ihrer berufli- chen Tätigkeit oder ihrer Ausbildung an Weiterbildungsveranstaltungen zum Thema Radikalisierung, 5% (8 Personen) an Präventionsprogrammen darüber teilgenommen. Von den 11 Erstgenannten haben 5 auch an Präventionsprogrammen teilgenommen. Insgesamt ergibt sich eine Gesamtzahl von 14 Teilnehmer/innen an Weiterbildungsver- anstaltungen oder Präventionsprogrammen zum Thema Radikalisierung. Von den 11 Weiterbildungsteilnehmer/innen leben 8 in Österreich und 3 in Deutschland. 7 von ih- nen haben während ihres (Lehramts-)Studiums themenbezogene Fortbildungen besucht, 4 im beruflichen Kontext als Büro- und Tourismuskaufmann bzw. als Sozialarbeiter (al- lesamt männlich). Bei der Frage nach den Präventionsprogrammen gibt es (abgesehen von der geringeren Anzahl) diesbezüglich keine Abweichungen. Hier sieht man ein gro- ßes Potential, dem die Erwachsenenbildung Rechnung tragen könnte.

71 Protest gegen gesellschaftspolitische Ereignisse

Abbildung 11: Protest gegen gesellschaftspolitische Ereignisse

Der hohe Politisierungsgrad der Teilnehmer/innen zeigt sich noch stärker bei der Frage nach gesellschaftlichen oder politischen Ereignissen, die eintreten müssten, damit sie protestieren würden. Dabei geben 10% an, dass es für sie keine Begebenheit gibt, gegen die es sich zu protestieren lohne. Da Mehrfachnennungen möglich waren, haben viele von anderen Auslösern für einen Protest Gebrauch gemacht. 82% würden bei antidemo- kratischen Vorhaben der Regierung protestieren, 73%, wenn die Bundesregierung es beabsichtigen würde, das Land, in dem die Befragten leben, aus der EU zu führen. Die- jenigen, die diese Antwortmöglichkeit gewählt haben, haben eine noch positivere Ein- stellung gegenüber der Europäischen Union als der Durchschnitt der Befragten. Knapp die Hälfte würde protestieren, wenn die Regierenden turbokapitalistische Vorhaben pla- nen. Diese Auswahl wurde überdurchschnittlich häufig von den Grünen und Linken na- hestehenden Teilnehmer/innen getroffen. Ein Drittel würde an einer Demonstration teil- nehmen, wenn davor ein Terroranschlag gegen eine politische Gruppierung, der sich die Befragten zugehörig fühlen, stattgefunden hätte. Anlass für diese Frage war vor allem der Anschlag des Rechtsextremisten Anders Behring Breivik auf Mitglieder der Jugend- organisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Norwegen 2011, bei der 77 Menschen getötet wurden. Auch bei dieser Antwortmöglichkeit waren Linke/Kommu- nist/innen stark überrepräsentiert, was auf einen hohen Politisierungsgrad hindeuten kann. 29% würden schließlich bei einem Terroranschlag gegen eine religiöse oder sons- tige wichtige Einrichtung protestieren. 14% haben andere gesellschaftliche oder politi- sche Gründe angegeben, gegen die es sich zu protestieren lohnen würde. Mehrfach ge-

72 nannt wurden die Zurücknahme von Minderheiten-, Frauen-, Homosexuellen- und Men- schenrechten sowie Umweltzerstörung und die Machtergreifung rechter Parteien bzw. Terroranschläge von rechts. Weitere Nennungen bezogen sich auf den Freihandelspakt TTIP, die NATO, Privatisierungsabsichten, einen Putsch oder Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich.

Widerstand gegen gesellschaftspolitische Ereignisse Neben der Abfrage von Gründen, die Menschen zu Protesten motivieren würden, wur- den auch jene erhoben, die Leute so bewegen würden, dass sie Widerstand leisten wür- den. Dabei war eine scharfe Trennung zwischen den Begriffen Protest und Widerstand notwendig. Diese Unterscheidung wurde im Fragebogen mit folgenden Hinweisen ver- sehen: Protest bedeutet eine meist spontane und temperamentvolle Bekundung des Missfallens, der Ablehnung. Protest läuft meist legal und gewaltfrei ab. Widerstand be- deutet aktives oppositionelles Handeln gegenüber der Regierung bzw. herrschenden Verhältnissen oder Verweigerung des Gehorsams. Wie erwartet war die Bereitschaft, Widerstand zu leisten, geringer als jene zu protestie- ren. 18% sahen keine potentiellen gesellschaftspolitischen Ereignisse, die sie dazu brin- gen würden, sich zu widersetzen. Die einzelnen Antwortmöglichkeiten wurden jeweils von 12% (Antidemokratische Vorhaben der Regierung und Terroranschlag gegen nahe- stehende politische Organisation) bis 22% (Turbokapitalistische Vorhaben der Regie- rung) und 26% (EU-Austritt) weniger ausgewählt als bei der vorigen Frage, wobei sich die Reihenfolge der Häufigkeit nicht änderte. Dies bedeutet, dass zwar bei einem beab- sichtigten EU-Austritt drei Viertel der Befragten protestieren würden, aber weniger als die Hälfte würde Widerstand leisten. 10% der Befragten haben von der Möglichkeit Ge- brauch gemacht, das Zusatzfeld „andere“ zu füllen. Hierbei wurden von jenen, die schon bei der vorigen Frage dieses Feld ausgefüllt haben, die selben Gründe angegeben. Die Ausnahme stellten zwei Befragte dar, die angaben, bei einem Verbot einheimischer Religion und Kultur Widerstand zu leisten bzw. bei antidemokratischen, turbokapitalis- tischen Vorhaben der Regierung und einem solchen, die EU zu verlassen.

73 Mittel zur Durchsetzung von Anliegen

Abbildung 12: Mittel zur Durchsetzung von Anliegen

Protest und Widerstand können bestimmte Wirkungen entfalten, setzten aber voraus, dass von Anderen bereits Handlungen gesetzt wurden, die einem nicht passen, da sie eine Reaktion darauf darstellen. Eine positivere Herangehensweise ist der Versuch, die eigenen Anliegen durchzusetzen. Welche Mittel Menschen dazu für geeignet halten, war Gegenstand dieser Frage, bei der Mehrfachnennungen möglich waren. 84% halten es für dienlich, an einer Protestkundgebung teilzunehmen. Nahezu zwei Drittel sehen es als zweckmäßig an, einem Verein oder einer Gruppe beizutreten und etwas mehr als die Hälfte würde einer Widerstandsbewegung beitreten. Wesentlich mehr organisatorischen Aufwand bedeutet es natürlich, einen Verein/eine Gruppe bzw. eine Widerstandsbewe- gung zu gründen. Dies schlägt sich auch im Antwortverhalten nieder: 25% bzw. 16% ziehen diese beiden Möglichkeiten in Betracht. 37% der Befragten halten es für sinn- voll, ein politisches Amt zu bekleiden, um mittels demokratischer Mehrheiten das eige- ne Begehren durchzusetzen. Nicht zu verachten sind jene 8% der Befragten, die Selbst- justiz als geeignetes Mittel zum Durchsetzen ihrer Anliegen sehen. Auffallend ist, dass vor allem Männer, Alleinstehende und Kommunist/innen diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Ebenfalls 8% geben andere Maßnahmen an, mit denen sie sich die Durchsetzung ihrer Anliegen vorstellen können, die teilweise Selbstjustiz in ihrer Radikalität in nichts nach- stehen. 2 von ihnen gaben „keine“ zur Antwort. Andere Ideen waren: auswandern, Auf-

74 kleber, Aufrufe in sozialen Medien, Aufklärung sowie persönliche Einflussnahme auf Mitmenschen durch Gespräche und Diskussion, Volksbegehren und Petitionen unter- zeichnen bis hin zu radikaleren Maßnahmen wie Gegenpropaganda machen, Gewalt, um sich selbst oder andere zu schützen und bewaffneter Widerstand oder Bombenterror.

7.5 Bewertung von Aussagen

Abbildung 13: Bewertung von Aussagen 1. Teil

Am Ende des Fragebogens wurden einige Aussagen getroffen, die die Befragten auf ei- ner Skala von 1 bis 4 bewerten sollen, wobei 1 für „stimme sehr zu“ und 4 für „stimme gar nicht zu“ steht. Für die vorliegende Masterarbeit, die von einem polarisierenden Thema handelt, macht eine polarisierendere vierteilige Skala aus meiner Sicht mehr Sinn, weil es Befragte zu einer Entscheidung zwingt. Für viele Teilnehmer/innen mag es schwer sein, sich bei einzelnen Fragen zwischen Zustimmung und Ablehnung zu ent- scheiden. Da die Befragten jedoch, wie die Ergebnisse zeigen, relativ politisiert sind und sich einige mit dem Themenbereich befasst haben, sollte eine Auswahl möglich sein. Es erleichtert jedenfalls die Interpretation der Ergebnisse, da eine oft vorhandene Tendenz zur Mitte vermieden wird und klarere Aussagen getroffen werden können. Es wurden Aussagen gewählt, die die Lebenszufriedenheit widerspiegeln und Ängste, Sor-

75 gen oder Wut über gesellschaftliche und politische Zustände erfragen sollen. Zudem wollte ich herausfinden, ob Aussagen, die von Linksterrorist/innen der 1970er-Jahre ge- tätigt wurden, heute noch anschlussfähig sind. Zum Schluss soll durch teilweise provo- kante Aussagen das terroristische Potential junger Erwachsener ergründet werden.

Lebenszufriedenheit Zunächst ging es darum, die Lebenszufriedenheit der jungen Erwachsenen zu eruieren, um begünstigende Faktoren einer möglichen Radikalisierung zu erforschen. Die erste und dritte Aussage dienten als Kontrollfragen, um sicherzustellen, dass die Teil- nehmer/innen den Fragebogen wahrheitsgemäß beantworten. Diese beiden Aussagen weisen ein sehr ähnliches Antwortverhalten auf. Das arithmetische Mittel beträgt bei der ersten Frage 1,66, bei der zweiten 1,71. 46% stimmen der Aussage sehr zu, dass sie mit ihrer momentanen Lebenssituation zufrieden sind, 43% stimmen eher zu, 10% stimmen eher nicht zu und knapp 1% stimmt gar nicht zu. Die Aussage „Ich bin ein glücklicher Mensch“ bejahen 39% sehr, 51% eher, 9% eher nicht und wieder 1% gar nicht. Insge- samt lässt sich daraus eine Lebenszufriedenheit von 89% bzw. 90% ableiten, 10% sind mit ihrem Leben eher unzufrieden. Dabei darf das Phänomen der sozialen Erwünscht- heit nicht in Vergessenheit geraten, da diese gerade bei den Themen Radikalisierung und Terrorismus eine große Rolle spielen, da diese Betätigungsfelder gesellschaftlich natürlich nicht erwünscht sind. Zudem ist es in Zeiten von Instagram und sonstigen Ap- plikationen üblich geworden, das eigene Leben positiver darzustellen, als es ist. Die bei der Umfrage für die vorliegende Masterarbeit erhobenen Werte ähneln jener der öster- reichischen Jugendwertestudie, die im Folgenden erläutert wird.

Die österreichische Jugendwertestudie von 2011, bei der 1.500 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 29 Jahren einer Repräsentativbefragung unterzogen wurden, weist eine hohe Lebenszufriedenheit auf. Auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 für „überhaupt nicht zufrieden“ und 10 für „völlig zufrieden“ steht, verorten sich 60% der 20-29-Jährigen zwischen 8 und 10, was von einer hohen Lebenszufriedenheit zeugt. Von allen Befragten sind 88% im zufriedenen Bereich angesiedelt, 12% im unzufriede- nen (vgl. Institut für Jugendkulturforschung 2012, S. 25-26). Die hohe Lebenszufrieden- heit korrespondiert mit einem optimistischen Blick in die Zukunft. Zwei Drittel sind

76 eher zuversichtlich, was ihre persönliche Zukunft betrifft. Ein Drittel sieht das Kom- mende gemischt und nur 4% sehen pessimistisch in die künftige Zeit. Die eigene Le- benszufriedenheit korrespondiert also mit den positiven Zukunftserwartungen. Bei der Befragung gilt: je älter, desto optimistischer: 64% der 20-24-Jährigen, aber 69% der 25- 29-Jährigen sind eher zuversichtlich. Auch der Bildungsabschluss korrespondiert mit der Erwartung auf das Kommende: je höher die Bildung desto optimistischer die Zu- kunftsaussichten. Zwei Drittel der Befragten mit Matura oder Studium blicken positiv in die Zukunft, bei jenen ohne Matura sind es nur 60% (vgl. Institut für Jugendkulturfor- schung 2012, S. 26-27).

Auch die jungen Erwachsenen, die im Zuge dieser Masterarbeit befragt wurden, blicken optimistisch in die Zukunft. Den Aussagen „Ich mache mir Sorgen um meine berufliche (private) Zukunft“ stimmten 25% überhaupt nicht und 33% (36% bei der privaten Zu- kunft) eher nicht zu. 24% (27%) konnten sich mit der Aussage eher und 18 (12%) sehr identifizieren. Die Ergebnisse sind nicht ganz so eindeutig positiv wie bei der Jugend- wertestudie. Dies kann u.a. auch auf die relativ weite Skala mit einer Tendenz zur Mitte bei der Jugendwertestudie im Vergleich zur engen Skala bei der vorliegenden Radikali- sierungsumfrage zurückzuführen sein. Auch hier gilt: Je älter desto optimistischer. Während 34% der 18-24-Jährigen der Aussage „Ich mache mir Sorgen um meine priva- te Zukunft“ eher nicht und 20% gar nicht zustimmen, sind es bei den 25-30-Jährigen 38% bzw. 29%

Im Gegensatz zu den optimistischen Zukunftsaussichten für das eigene Leben, sind jene für die Entwicklung der Gesellschaft wesentlich negativer. Bei der gesamten Skalenbe- wertung gab es nur einen einzigen Wert, der von niemandem angeklickt wurde: „stim- me gar nicht zu“ bei der Aussage „Ich mache mir Sorgen um die Zukunft der Gesell- schaft“. Jeweils 45,5% stimmen sehr bzw. eher zu. Nur 9% scheint die Zukunft der Ge- sellschaft wenig Sorgen zu bereiten. Dies ist noch wesentlich pessimistischer als bei der österreichischen Jugendwertestudie 2011, wie der folgende Absatz zeigt. Einschränkend muss gesagt werden, dass seither viele Jahre vergangen sind, sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen teilweise geändert haben und die Tendenz zur Mitte wieder eine Rolle spielen kann. Die Ergebnisse im Detail:

77 33% der Jugendlichen und jungen Erwachsenen geben bei der Jugendwertestudie an, pessimistisch in die Zukunft zu blicken. 45% sehen das Kommende gemischt und nur 22% haben eine positive Vorstellung vom künftigen Leben der Gesellschaft. Wodurch ist das zu erklären? Der Gesellschaftspessimismus ist bedingt durch den hohen Indivi- dualisierungsgrad der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, der westlichen, kapitalis- tischen Gesellschaften inhärent ist (vgl. Institut für Jugendkulturforschung 2012, S. 29). Und so glauben die Einwohner/innen dieser Staaten an das Individuum. An eine vom US-amerikanischen Kapitalismus übernommene Ideologie, in der der/die Einzelne als Teil einer Leistungsgesellschaft zählt, nicht die Gesellschaft an sich. Da dieses Weltbild von Europäer/innen übernommen wurde, glaubt der/die Einzelne nicht mehr an die Ge- staltungskraft einer Gesamtgesellschaft und deren Institutionen, sondern nur noch an seine/ihre eigene. Das Zurückdrängen des Staates und dessen Institutionen führt dazu, dass Menschen vermehrt auf sich allein gestellt sind und dadurch oft Zweckoptimismus verbreiten. „Da man nicht mehr annimmt, von den gesellschaftlichen Institutionen Hil- festellungen in der Bewältigung des eigenen Lebens zu erhalten, ist man zwangsläufig auf ein großes Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit angewiesen, die verhindert, dass der gesamtgesellschaftliche Zukunftspessimismus in Resignation umschlägt“ (In- stitut für Jugendkulturforschung 2012, S. 29).

Sorgen junger Erwachsener Bei meiner Befragung habe ich die Sorge über die Zukunft und Gegenwart der Gesell- schaft in Kategorien unterteilt, die eine Rolle spielen könnten, um jene Faktoren heraus- zufinden, die Menschen am ehesten radikalisieren könnten, weil sie sie am stärksten be- wegen. Grundsätzlich wurden die Aussagen so aufbereitet: „[Thema x] bereitet mir Sor- gen“ und die Befragten konnten in der gleichen Likert-Skala wie bei den Aussagen davor aus einer Skala von 1 bis 4, von „stimme sehr zu“ bis „stimme gar nicht zu“ wäh- len. Der Themenkomplex, der die Menschen mit Abstand am meisten bewegt, ist Um- welt und Klimaschutz. Fast zwei Drittel der Befragten (65%) machen sich große Sorgen um den Zustand der Umwelt, weitere 28% stimmen der Aussage eher zu. Nur 6% stim- men der Aussage eher nicht und 1% gar nicht zu. Das arithmetische Mittel liegt bei 1,42.

78 Am zweitmeisten Sorgen bereitet den Befragten (bei einem Mittelwert von 2,02) der US-amerikanische Imperialismus. 26% stimmen der Aussage sehr (vor allem Kommu- nist/innen) und 49% eher zu. 22% machen sich weniger und 3% gar keine Sorgen. Da- hinter folgt mit dem arithmetischen Mittel von 2,31 die russische Aggressionspolitik, die zwar nur von 16% (vorwiegend von Sozialdemokrat/innen) mit großem, aber mit ei- ner Mehrheit von 44% eher mit Argwohn betrachtet wird. 35% stimmen der Aussage über die Sorge nach der russischen Politik eher nicht und 5% gar nicht zu. Dies steht et- was in Widerspruch zur vorherigen Abfrage nach der Einstellung zu Russland und den USA. Daraus lässt sich schließen, dass die Menschen ein grundsätzlich positiveres Bild von den USA als von Russland haben, die aktuelle Politik der Vereinigten Staaten aber vehementer abgelehnt wird als jene des Nachfolgestaats der UdSSR.

Die anderen drei Themenbereiche erregen für die Befragten mehrheitlich keine Besorg- nis. Die Aussage „Die zunehmende wirtschaftliche Vormachtstellung Chinas bereitet mir Sorgen“ hat einen Mittelwert von 2,55 (2,5 wäre die Hälfte, somit überwiegen die positiven Antworten leicht), „Islamisierung bereitet mir Sorgen“ weist ein arithmeti- sches Mittel von 2,67 (58% machen sich keine/wenig Sorgen darüber, 42% etwas/sehr viel) auf. Am besten scheinen die Befragten mit Digitalisierung umgehen zu können. Der Mittelwert von 2,73 ist sicher auch auf das Alter der Befragten zurückzuführen. Ins- gesamt ist zu sagen, dass die Aussagen Islamisierung, russische Aggressionspolitik oder US-amerikanischer Imperialismus tendenziös formuliert wurden, weil es von vornherein suggeriert, dass die russische Außenpolitik für den/die Beobachter/in aggressiv vorgeht bzw. weil Islamisierung ein negativ besetztes Wort ist. Eine Zuspitzung der Formulie- rung war aber durchaus beabsichtigt, um eine stärkere Positionierung der Befragten zu erreichen.

Komplexität der Weltordnung Die Aussage „Die vorherrschende politische Weltordnung ist mir zu komplex“ wurde ambivalent beantwortet. 48% stimmen zu, 52% lehnen sie ab. Sie wurde deshalb in den Fragebogen miteinbezogen, da terroristische Gruppierungen durch Vereinfachungen der durchaus oft schwer durchschaubaren politischen Ordnung Halt und Orientierung ge- ben. Extreme Parteien und extremistische Gruppierungen sind erfolgreich darin, auf

79 vielschichtige Fragestellungen einfache Antworten zu geben. Vor allem 18-24-jährige Befragte stimmen der Aussage sehr zu.

Wut über herrschende Verhältnisse Die nächsten beiden Aussagen beschäftigen sich mit der Wut über gesellschaftliche Zu- stände. 30% der Befragten stimmen der Aussage „Wenn meine Wut überhand nimmt, bin ich bereit, gegen die herrschenden Verhältnisse zu protestieren“ sehr zu, 48% eher, 18% eher nicht und 4% gar nicht. Das Ergebnis zeigt also ein hohes Protestpotential der Befragten. Bei der zweiten Aussage wird „protestieren“ durch „Widerstand leisten“ er- setzt, was die nächste Steigerungsstufe bedeutet. Trotzdem würde eine deutliche Mehr- heit der Befragten (11% stimmen sehr zu, 45% eher) Widerstand leisten, wenn sich aus- reichend Wut über herrschende Verhältnisse aufstaut. Die Minderheit von 44% kann sich nicht vorstellen, sich der Herrschaft – in welcher Form auch immer – zu widerset- zen. Die Teilnehmer/innen scheinen zwar bereit zu sein zu protestieren bzw. Widerstand zu leisten, sollte ihre Wut überhand nehmen. Bisweilen scheint das aber mehrheitlich nicht der Fall zu sein. Der etwas weiter unten stehenden Aussage „Ich finde keine Mög- lichkeit, meiner Wut gegenüber den herrschenden Verhältnissen Ausdruck zu verleihen“ stimmen nur 5% sehr und 22% eher zu. Sie wird von 38% eher und von weiteren 35% entschieden abgelehnt. Das bedeutet, dass die Befragten andere Wege und Mittel finden, ihre Wut – sollten sie überhaupt welche hegen – zu artikulieren, zu kompensieren oder rauszulassen.

Abbildung 14: Bewertung von Aussagen 2. Teil

80 Bewertung von Aussagen von Terrorist/innen Nach den relativ harmlosen Thesen können nun etwas provokantere, teilweise von Ter- rorist/innen oder Terrororganisationen übernommene Aussagen auf ihre Anschlussfä- higkeit in der heutigen Zeit hin überprüft werden. Die Aussage „Es ist immer noch bes- ser, ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben“ wird der RAF-Terro- ristin Ulrike Meinhof zugeschrieben. Sie rechtfertigt damit in einer Agitationsschrift die Warenhausbrandstiftung von Andreas Baader und Gudrun Ensslin, den ersten Anschlag der beiden RAF-Terrorist/innen. Schon aus der heute eher unüblichen Bezeichnung Wa- renhaus lässt sich schließen, dass das Thema nicht mehr aktuell ist – aber die spannende Frage ist ja, ob das Thema wieder zeitgemäß werden kann. Die Antwort ist: wohl kaum. Mit einem Mittelwert von 3,64 auf einer Skala von 1 bis 4 gibt es nur eine Aussage, die noch stärker abgelehnt wurde. Trotzdem ist es erstaunlich, dass 2% dieser Aussage sehr und 4% eher zustimmen – allen voran Kommunist/innen und Sozialdemokrat/innen. 21% stimmen eher nicht und 73% gar nicht zu.

Mehr Akzeptanz erhält die Aussage der belgischen Terrorismusorganisation Kämpfende Kommunistische Zellen (CCC) „Wahlen sind nur ein Instrument, mit dessen Hilfe sich die Diktatur der Ausbeuter das Alibi des repräsentativen Charakters gibt“. 7% gehen sehr, 12% eher konform, 37% eher nicht und 44% gar nicht. Interessanterweise haben bei der Zustimmung zu diesem Zitat diejenigen, die sich selbst keiner politischen Rich- tung zuordnen, die relative Mehrheit, was auf vorhandene Politikverdrossenheit schlie- ßen lässt.

Überraschend viel Zuspruch wird der nächsten Äußerung zuteil, die wiederum von Ulri- ke Meinhof getätigt wurde. In einem privaten Brief an ihre Kinder Regine und Bettina Röhl, die sie mit dem Gang in den Untergrund verlassen hat, schreibt sie im August 1972: „Es ist überhaupt besser, wütend als traurig zu sein“ (zit. n. Röhl 2018, S. 522). Wut ist anscheinend für 5% der Befragten viel, für ein knappes Drittel eher besser als Trauer. 39% teilen diese Auffassung eher nicht, 24% gar nicht. Die Aussage stößt vor allem bei Linken auf große Gegenliebe und bei Befragten, die keiner politischen Rich- tung zuzuordnen sind, findet sie eher Widerhall. Daraus kann geschlossen werden, dass die Frage für viele nicht politisch interpretiert wird, sondern vielmehr eine Bewälti-

81 gungsstrategie für vorangegangene Enttäuschungen darstellt. Denn dass die Aussage von Ulrike Meinhof stammt, dürften nur die Wenigsten wissen. Allerdings beziehen sich einige vorangegangene Aussagen auf Wut im politischen Sinne, deshalb kann auch diese politisch aufgefasst werden. Ob Wut für die eigene Psyche oder für das gesamtge- sellschaftliche Wohl besser als Trauer ist, bleibt hingegen offen.

Die nun folgende Aussage ist provokant gewählt, wie auch aus Rückmeldungen hervor- gegangen ist. Extremistisches Denken kann meines Erachtens aber nur zum Vorschein gebracht werden, wenn es auch unverblümt angesprochen wird. „Es ist schade, dass die RAF (Rote Armee Fraktion) nicht mehr existiert“. Zur Auswertung der Frage wurden nur jene 101 Teilnehmer/innen herangezogen, die bei Frage 14 („Welche Terrororgani- sationen kennen Sie?“) angaben, die RAF zu kennen. Trotz der Radikalität dieser Aus- sage stimmten dieser jeweils 3% sehr und eher zu. Es ist durchaus aufschlussreich, sich die soziodemographischen Daten sowie das Antwortverhalten jener 6 Personen (ent- spricht weitgehend der Prozentzahl), die es schade finden, dass die RAF als Terrororga- nisation nicht mehr besteht, genauer anzusehen. Es sind vor allem ältere (25 bis 30-jäh- rige) Befragte und Männer, die sich wünschen, dass die sozialrevolutionäre Terrororga- nisation noch bestehen würde. 4 von ihnen haben bereits ein Studium absolviert, jeweils eine/r hat die Matura bzw. eine abgeschlossene Pflichtschule. 4 leben in Österreich, 2 in Deutschland. Besonders spannend ist die politische Ausrichtung dieser Teilnehmer/in- nen: 4 von ihnen sind Kommunist/innen bzw. Linke, eine/r bezeichnet sich als sozialde- mokratisch und eine/r als rechts – und das, obwohl insgesamt niemand sonst diese poli- tische Orientierung angab. Warum jemand vom gegensätzlichen politischen Rand links- extremistischen Terrorismus gutheißt, bleibt offen. Keine großen Abweichungen gegen- über dem Gesamterhebungsumfang gibt es bezüglich Beziehungsstatus oder Lebenszu- friedenheit, umso mehr jedoch bei der Einstellung zu den USA und zur NATO, die bei- de durchwegs als negativ wahrgenommen werden. 3 der Befragten würden zu Selbstjus- tiz greifen, was von durchaus vorhandenem terroristischen Potential zeugt. Schließlich bleibt noch ein spannender Aspekt, der für die Erwachsenenbildung von Relevanz ist. 2 Befragte, die es schade finden, dass die RAF nicht länger existiert, haben bereits an Weiterbildungs- bzw. Präventionsveranstaltungen zum Thema Radikalisierung teilge-

82 nommen. Man kann also nicht behaupten, dass diese Personen nicht um die Bedeutung der Aussage Bescheid wissen.

Persönliches extremistisches Umfeld Die folgenden drei Aussagen betreffen unmittelbar das persönliche Umfeld bzw. die ei- gene Person. „Wenn ein Freund/eine Freundin eine Terrororganisation, deren politischer Anspruch mir zusagt, unterstützen würde, würde ich das gutheißen“. Diese Äußerung impliziert, dass es eine Terrororganisation gibt, die der/die Teilnehmer/in zumindest po- litisch gut findet. Diese Unterstellung kann man als dreist bezeichnen, jedoch kann, wie im vorigen Absatz eingangs beschrieben, die Fragestellung dazu dienen, terroristisches Potential zum Vorschein zu bringen. Diese Aussage fand annähernd gleich wenig Zu- stimmung wie die vorige über die RAF. 1% stimmt sehr, 8% eher, 20% eher nicht und 71% überhaupt nicht zu, was ein arithmetisches Mittel von 3,62 ergibt.

Äußerst spannend ist die Interpretation der Aussage, die Befragte in einen Loyalitäts- konflikt zu bringen vermag. „Wenn sich ein Freund/eine Freundin radikalisieren würde, würde ich mit ihm/ihr brechen“. Diese Vorstellung billigt der Großteil (60%) der Teil- nehmer/innen. 27% stimmen sehr zu, ein Drittel ist eher dafür. Wiederum 27% lehnen die Aussage eher und 12% sehr ab.

Wenn man bedenkt, dass es bei der vorliegenden Umfrage um Radikalisierung und Ter- rorismus geht, sind die Reaktionen auf nachstehende Aussage bemerkenswert. Dem im Konjunktiv formulierten Gedanken „Würde es zu einer revolutionären Situation kom- men, wäre ich gerne dabei“ stimmen 5% sehr und ganze 33% eher, 37% eher nicht und 25% gar nicht zu. Dabei hängt es sicher davon ab, wer die revolutionäre Situation her- beiführt und wie sehr sich das politische Umfeld in der Zwischenzeit verändert. Aber dass fast 40% der Befragten offen für einen revolutionären Umsturz sind, ist bemer- kenswert. Männer, Schüler/innen, Kommunist/innen sowie Rechte scheinen diesbezüg- lich besonders aufgeschlossen.

83 Anziehungskraft von Terrorismus Die Anziehungskraft terroristischen Lebens im Untergrund ist unter den Befragten nicht besonders stark ausgeprägt. Die Aussagen „Die Vorstellung vom Leben im Untergrund übt auf mich eine Faszination aus“ und „Politisch motivierte kriminelle Taten üben auf mich eine Faszination aus“ werden von einer eindeutigen Mehrheit von 87% bzw. 88% abgelehnt, jeweils mehr als zwei Drittel stimmen gar nicht zu.

Die letzte Aussage war eine eindeutige Bekundung: „Ich lehne politische Gewalt ab.“ Dieser Ablehnung wird mehrheitlich eindeutig zugestimmt: 63% sehr, 27% eher, 6% eher nicht und 4% gar nicht. Vice versa bedeutet das allerdings, dass 10% der befragten 18-30-Jährigen politische Gewalt befürworten oder zumindest dulden würden. Von die- sen 15 Personen (=10%) waren jeweils 10 älter (25 bis 30 Jahre alt), männlichen Ge- schlechts, alleinstehend und kommunistisch/links orientiert. 6 von ihnen haben eine sehr negative Einstellung der NATO gegenüber, 5 eine eher negative.

7.6 Interpretation der Ergebnisse Da die Auswertung der Befragung einige spannende Ergebnisse hervorgebracht hat, gilt es diese nun zu interpretieren. Zunächst geht es um einen Konnex zwischen Radikalisie- rung und Weiterbildung, dann werden die Schritte vom Protest zum Widerstand erläu- tert. Letzterer setzt das Vorhandensein einer revolutionären Situation voraus. Diese ist jedoch zum aktuellen Zeitpunkt nicht absehbar, wie sodann beschrieben wird. Schließ- lich wird das Vorhandensein terroristischen Potentials unter den Befragten dargelegt.

7.6.1 Nutzen von Weiterbildungsteilnahme Um den Nutzen einer Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen zum Thema Radi- kalisierung im beruflichen Kontext zu erforschen, wurden die Ergebnisse jener Befrag- ten, die an einer solchen Weiterbildung teilgenommen haben, mit den Resultaten aller Befragten verglichen. Ein Ergebnis ist die gefühlte geringere Komplexität der politi- schen Weltordnung im Vergleich zur Grundgesamtheit. Darüber hinaus machen sich Weiterbildungsteilnehmer/innen weniger Sorgen um ihre berufliche als um ihre private Zukunft, was ansonsten umgekehrt der Fall ist. Ebenfalls weniger sorgen sie sich um die Entwicklung der Gesellschaft.

84 Sehr spannend sind die Abweichungen bei der Abfrage der Sorgen über gegenwärtige politische Themen. Während den Weiterbildungsteilnehmer/innen Islamisierung, Digi- talisierung sowie Klimawandel durchwegs weniger Sorgen bereiten, sind die geopoliti- schen Bestrebungen der drei großen abgefragten Staaten durchaus sorgenbehaftet: Die russische Aggressionspolitik, der US-amerikanische Imperialismus und die zunehmende wirtschaftliche Vormachtstellung Chinas bereiten den Weiterbildungsteilnehmer/innen größere Sorgen als der Grundgesamtheit, wobei bei fast allen Aussagen der Mittelwert um ca. 0,3 abweicht. Die Vorstellung vom Leben im Untergrund übt auf die Weiterbil- dungsteilnehmer/innen eine noch geringere Faszination aus als auf alle Befragten insge- samt. Den größten Unterschied im Antwortverhalten der beiden verglichenen Gruppen gibt es bei der letzten Aussage „Ich lehne politische Gewalt ab.“ Während die Ableh- nung bei allen Befragten mit einem Mittelwert von 1,51 sehr stark ist, ist sie bei Weiter- bildungsteilnehmer/innen mit einem arithmetischen Mittel von 1,91 wesentlich schwä- cher ausgeprägt. Demnach befürworten 3 von 11 Weiterbildungsteilnehmer/innen politi- sche Gewalt, 2 davon sogar sehr. Somit ist festzustellen, dass Weiterbildungsteilnehmer/innen politisch besser aufgeklärt sind und ihnen zwar geopolitische Agenden mehr, ansonsten aber vieles weniger Sorgen bereitet als dem Durchschnitt. Bei allen anderen Aussagen sind die Abweichungen zu gering, um mit mehr Weiterbildung argumentieren zu können. Im Gegenteil, denn poli- tische Gewalt wird von Weiterbildungsteilnehmer/innen eher befürwortet als vom Durchschnitt der Befragten.

7.6.2 Die Schritte vom Protest zum Widerstand Mehr als die Hälfte der Befragten hat schon einmal an Kundgebungen wie Demonstrati- onen, Streiks oder Blockaden teilgenommen, was man unter Protest subsumieren kann. Das Protestpotential ist allerdings wesentlich höher, denn nur 10% der Teilnehmer/in- nen können sich keine gesellschaftlichen oder politischen Ereignisse vorstellen, die ein- treten müssten, damit sie dagegen protestieren würden. Die Schwelle zum Widerstand scheint dann keine große mehr zu sein, denn nur für 18% ist es nicht vorstellbar, Wider- stand zu leisten. Mehr als zwei Drittel der Befragten würden bei antidemokratischen Vorhaben der Regierenden Widerstand leisten. Eine Auflehnung gegenüber der Staats- gewalt wäre auch bei einem beabsichtigten EU-Austritt sowie bei turbokapitalistischen

85 Vorhaben wahrscheinlich. Über die Hälfte der Befragten sagt aus, dass sie bereit wären, gegen die herrschenden Verhältnisse Widerstand zu leisten, würde ihre Wut überhand nehmen. Gemeinsam mit der außerordentlich großen Bereitschaft für die Mitwirkung an einer revolutionären Situation lassen sich drei Faktoren für den Schritt vom Protest zum Widerstand festmachen: Erstens ein umstrittenes gesellschaftliches oder politisches Er- eignis; zweitens dessen Auslösen individueller oder kollektiver Wut und drittens das Vorhandensein einer revolutionären Situation. Die begleitenden Umstände dieser Radikalisierung vom Protest zum Widerstand sind in erster Linie in der Gruppendynamik zu verorten. Auch viele ehemalige Terrorist/innen sehen diese als auslösenden Faktor für die eigene Radikalisierung, wie in Kapitel 5.6 beschrieben. Individuell gefährdet sind Jugendliche und junge Erwachsene besonders dann, wenn mehrere Faktoren wie Diskriminierungserfahrungen oder eine prekäre Le- benssituation vorherrschen.

7.6.3 Das Fehlen einer revolutionären Situation Gegenwärtig fehlt es in Europa an einer revolutionären Situation, sieht man von den Protesten in Frankreich und von den antidemokratischen Tendenzen in Polen und Un- garn ab. Die Entwicklung in diesen Staaten lässt sich nicht prognostizieren. Doch wann kann man die gegenwärtig vorherrschende Gesellschaftsordnung eines Landes als Ge- waltsystem definieren? Die Definition obliegt einer Protest- oder Widerstandsbewe- gung, möglicherweise unterstützt von Medien oder einflussreichen berühmten Persön- lichkeiten. Die Gesellschaftsordnung muss so negativ und brutal dargestellt werden, dass sich Widerstandsbewegungen daraus ein Widerstandsrecht herleiten können. Doch solange die Mehrheitsbevölkerung nicht gleich denkt und eventuell radikales, antidemo- kratisches, autoritäres Auftreten der Staatsführung nicht als die demokratische Staats- verfassung gefährdend ansieht, ist ein revolutionärer Umsturz zum Scheitern verurteilt. Dessen Gelingen setzt laut Marx aber eine revolutionäre Situation oder ein spürbares Scheitern des Kapitalismus voraus. Versuchen Revolutionäre/Revolutionärinnen, eine solche Situation herbeizuführen (vgl. Eckert 2012, S. 239-240), kann dies allerdings zu einem gegenteiligen Effekt, der Solidarisierung mit den staatlichen Institutionen, füh- ren, weshalb Terrorismus als revolutionäre Strategie in Deutschland, wie bereits in Ka- pitel 5.1 dargestellt wurde, schon einmal gescheitert ist.

86 7.6.4 Terroristisches Potential Ziel der vorliegenden Masterarbeit ist es unter anderem, die Merkmale radikalisierungs- gefährdeter Menschen herauszufinden und die Kennzeichen terroristischen Potentials junger Erwachsener zu entschlüsseln. Die Erstellung von Kriterien für terroristisches Potential beziehen sich in erster Linie auf sozialrevolutionären Terrorismus, da Aussa- gen über die RAF und politische Gewalt im Vordergrund stehen, die Befragten mehr- heitlich politisch links stehen und die Religion der Teilnehmer/innen bewusst nicht er- fragt wurde.

Die selbst erstellten Kriterien für latentes terroristisches Potential werden nachfolgend aufgezählt. Die Häufigkeit der Nennungen (in absoluten Zahlen) stehen in Klammer hinter den jeweiligen Bestandteilen des Kriterienkatalogs. Die Antwortmöglichkeiten „stimme sehr zu“ und „stimme eher zu“ wurden jeweils zusammengefasst. Die Befrag- ten haben latentes terroristisches Potential, wenn sie Selbstjustiz (12 Nennungen) als le- gitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Anliegen für geeignet halten und/oder wenn sie folgenden Aussagen zustimmen: 1. Es ist schade, dass die RAF nicht mehr existiert. (6; nur jene Befragte, die die RAF auch kennen) 2. Wenn ein Freund/eine Freundin eine Terrororganisation, deren politischer An- spruch mir zusagt, unterstützen würde, würde ich das gutheißen. (13) 3. Würde es zu einer revolutionären Situation kommen, wäre ich gerne dabei. (57) 4. Die Vorstellung vom Leben im Untergrund übt auf mich eine Faszination aus. (19) 5. Politisch motivierte kriminelle Taten üben auf mich eine Faszination aus. (17) Ein weiteres Kriterium ist die Nichtablehnung politischer Gewalt. (15)

Von allen 147 Befragten gibt es eine Person, die alle aufgestellten Kriterien für terroris- tisches Potential erfüllt. Lässt man ein Kriterium weg, das Gutheißen der Unterstützung einer Terrororganisation eines befreundeten Menschen, kommen zwei weitere Befragte dazu, die alle anderen Aussagen unterstützen. Darüber hinaus gibt es eine Person, zwar nicht Selbstjustiz als geeignetes Mittel zur Durchsetzung ihrer Anliegen ansieht, son- dern bewaffneten Widerstand oder Bombenterror, wie sie bei der offenen Frage anmerk-

87 te. Diese vier Befragten weisen ein eminent großes terroristisches Potential auf. Doch auch die Tatsache, dass insgesamt 6 Teilnehmer/innen der meines Erachtens provokan- testen, eindeutigsten Aussage „Es ist schade, dass die RAF nicht mehr existiert“ zustim- men, deutet auf ein eklatantes terroristisches Potential hin. Auch die 12 Befragten, die Selbstjustiz legitimieren und die 13 Personen, die es billigen, wenn ein Freund/eine Freundin eine Terrororganisation unterstützen würde, haben extremistische Tendenzen. Als ebenso radikal ist die Einstellung jener 15 Teilnehmer/innen anzusehen, die politi- sche Gewalt nicht ablehnen, de facto also gutheißen. 19 Befragte fasziniert die Vorstel- lung vom Leben im Untergrund, auf 17 üben politisch motivierte kriminelle Taten eine Faszination aus. Zu den letzten beiden Zustimmungsraten muss einschränkend ange- merkt werden, dass eine Faszination für ein konspiratives Leben, die Anziehungskraft von kriminellen Taten, von etwas Verbotenem nicht unbedingt ein Gutheißen oder gar ein aktives Mitwirken bedeuten muss. So kann beispielsweise die Vorstellung von ei- nem Leben im Untergrund eine fesselnde Wirkung auf jemanden haben, ohne dass die- se/r selbst den Gang in den Untergrund konkret beabsichtigt. Nichtsdestotrotz übte, wie schon im Kapitel über die Radikalisierung von Ulrike Meinhof beschrieben, die Flucht vor den Sachzwängen des Lebens auf viele sozialrevolutionäre Terrorist/innen einen großen Reiz aus. Somit bietet die Vorstellung von einer Revolution die Möglichkeit, aus dem Alltag auszubrechen und die täglichen Probleme zu vergessen. Die im Vergleich zu den anderen Kriterien geringe Anzahl an RAF-Sympathisant/innen lässt sich auch da- durch erklären, dass einige Befragte zwar terroristisches Potential haben, jedoch nicht auf sozialrevolutionären Terrorismus bezogen, sondern möglicherweise auf andere Ar- ten wie ethno-nationalen oder islamistischen Terrorismus. Zudem kennen viele die Rote Armee Fraktion nicht oder finden die Ideen veraltet, in der heutigen Zeit nicht mehr an- schlussfähig oder schlicht nicht gut.

Wer sind nun die Menschen mit terroristischem Potential? Sieht man sich das Antwort- verhalten bei den einzelnen Kriterien für terroristisches Potential an, sind Unterschiede bei den soziodemographischen Merkmalen der Teilnehmer/innen sichtbar. Erstes Kriterium: Selbstjustiz. Vor allem Männer, Alleinstehende und Kommunist/innen bzw. Linke ziehen Selbstjustiz als Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer Interessen in Be- tracht.

88 Zweites Kriterium: Positive Einstellung gegenüber der RAF. Es sind vor allem ältere (25 bis 30-jährige) Befragte und Männer, die sich wünschen, dass die sozialrevolutionä- re Terrororganisation noch bestehen würde. Auch Menschen, die bereits ein Studium abgeschlossen haben, sowie Kommunist/innen bzw. Linke und Rechte haben eine ten- denziell positivere Einstellung gegenüber der RAF. Die USA und die NATO werden von den RAF-Sympathisant/innen durchwegs als negativ wahrgenommen, 3 von ihnen würden zu Selbstjustiz greifen. Drittes Kriterium: Gutheißen der Unterstützung einer Terrororganisation: Von den 13 Befragten, die dieser Aussage zustimmten, waren vor allem Ältere (10), Männer (9), Ar- beitende (8), Alleinstehende (9) überrepräsentiert sowie Menschen, die den USA und der NATO besonders negativ gegenüberstehen. Viertes Kriterium: Teilnahme an revolutionärer Situation: Besonders Männer, Schüler/innen, Kommunist/innen sowie Rechte wären gerne dabei, würde es zu einer re- volutionären Situation kommen. Fünftes Kriterium: Faszination für das Leben im Untergrund: Auf 19 Teilnehmer/innen übt das Leben im Untergrund eine gewisse Faszination aus. Dabei sind vor allem Schü- ler/innen überrepräsentiert (3), Alleinstehende (13) sowie Menschen mit einer Staats- bürgerschaft eines nicht-deutschsprachigen Landes (4 von insgesamt 10 ausländischen Staatsangehörigen). Ebenfalls unverhältnismäßig häufig kommen wieder Linke und auch Grüne vor sowie Befragte, die die NATO und vor allem die USA ablehnen. Sechstes Kriterium: Faszination für politisch motivierte kriminelle Taten: Von den 17 Befragten, die dieser Aussage sehr oder eher zustimmen, sind 12 Männer, 11 Alleinste- hende, 2 Arbeitssuchende (von insgesamt nur 3), 4 mit einer Staatsbürgerschaft eines nicht-deutschsprachigen Landes, 7 Linke und Kommunist/innen sowie 14 bzw. 15 Be- fragte, die die NATO bzw. USA missbilligen. Siebtes Kriterium: Duldung politischer Gewalt: Bei jenen Teilnehmer/innen, die politi- sche Gewalt nicht ablehnen, sind Ältere, Männer, Alleinstehende sowie Kommunist/in- nen bzw. Linke ebenso überrepräsentiert wie jene, die eine negative Einstellung gegen- über der NATO haben.

Von den 7 angeführten Kriterien erfüllen Kommunist/innen und Linke sowie Männer 6, Befragte, die die NATO ablehnen 5 und jene, die die USA ablehnen 4, genauso viele

89 wie Alleinstehende. Menschen, die diese Merkmale aufweisen, sind besonders anfällig für radikale Ideen und terroristische Vorgehensweisen. 3 Kriterien werden von älteren, also 25-30-jährigen Befragten erfüllt. Ebenfalls häufiger treten Schüler/innen und Rech- te als Anhänger/innen extremistischen Gedankenguts hervor. Die bei Befragten mit terroristischem Potential besonders hervorstechende Ablehnung der NATO und der USA ist typisch für Menschen mit linksextremistischer Weltan- schauung. Auch die Terrorist/innen der RAF und der Brigate Rosse zeigten offen ihre Missbilligung des US-amerikanischen Imperialismus sowie der NATO. Während die Hälfte aller Mitglieder sozialrevolutionärer Terrororganisationen in den 1970er-Jahren in einer festen Beziehung oder verheiratet war, fällt heute der hohe Anteil an Alleinste- henden unter jungen Erwachsenen mit terroristischem Potential auf.

Insgesamt weisen nach Auswertung der Kriterien vier Befragte großes terroristisches Potential auf. Jedem einzelnen Kriterium entsprechen zwischen 12 und 19 Befragte, sieht man von den beiden Ausreißern mit 6 bzw. 57 Teilnehmer/innen ab. Deshalb kann man davon ausgehen, dass es nach Abzug der vier Befragten mit großem terroristischen Potential darüber hinaus noch 8-10 Teilnehmer/innen mit geringem, latentem terroristi- schen Potential gibt, da sie bei der Bewertung von Aussagen über extremistische Ten- denzen verfügen.

90 8 Fazit Sozialrevolutionärer Terrorismus will, wie eingangs beschrieben, eine gewaltsame Ver- änderung der politischen Ordnung und begründet dies mit einer sozialen oder ökonomi- schen Schieflage, die nur durch Terrorismus ausgeräumt werden kann, da die Herr- schenden nicht an einer Änderung des kapitalistischen Systems interessiert sind. In den 1970er-Jahren, als die Machthabenden von sozialrevolutionären Terrorist/innen be- kämpft wurden, waren zwei Drittel von ihnen Männer. Auch bei der durchgeführten Be- fragung ergab sich bei den Teilnehmer/innen mit terroristischem Potential ein höherer Männeranteil. Sozialrevolutionäre Terrorist/innen waren überdurchschnittlich gebildet, islamistische und rechtsextreme sind hingegen eher bildungsfern. Bildung kann für Ra- dikalisierung und für Deradikalisierung gleichermaßen sorgen – im besten Fall kann sie Radikalisierung sogar verhindern, auch wenn die Befragung bei den wenigen Teilneh- mer/innen an Weiterbildungsveranstaltungen teilweise extremistischere Tendenzen of- fenlegte.

Damit aus diesen extremistischen Tendenzen konkrete terroristische Handlungen wer- den, müssen die durchführenden Terrorist/innen bestimmte charakterliche Eigenschaf- ten besitzen. In der Regel sind es unsichere Menschen in einer prekären Lebenslage, sich oft in einer kritischen Lebensphase zwischen Studium und erfolgloser Arbeitssuche befindend. Nicht nur der Zeitpunkt fällt bei der Radikalisierung ins Gewicht, sondern auch vorherrschende soziale Gegebenheiten sowie charakterliche und intellektuelle Vor- aussetzungen, die oft von einer heiklen Abfolge von Einstellungsänderungen begleitet werden. Nicht zuletzt spielt der Zufall eine Rolle.

Die Radikalisierung von jungen Erwachsenen setzt drei Umstände voraus, die den Weg vom Protest zum Widerstand markieren: eine als kontrovers eingeschätzte gesellschafts- politische Situation, die Wut der zu Radikalisierenden, die dadurch angefacht wird so- wie das Vorhandensein einer revolutionären Situation. Dieser Umstand ist ein besonders entscheidender für die Radikalisierung. 4 von 10 Befragten wären gerne dabei, würde es zu einer revolutionären Situation kommen. Diese außerordentlich große Befürwortung ist bemerkenswert. Anscheinend trifft das in der Einleitung Erwähnte zu: Sozialrevolu- tionärer Terrorismus ist out. Eine Revolution ist nicht angesagt. Doch wie schnell kön-

91 nen sich die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse ändern? Augenscheinlich braucht es also nur eine revolutionäre Situation, die von Menschen mit terroristischem Potential, von denen es ja offenbar einige gibt, herbeigeführt wird, um die Massen anzu- stecken und die gesellschaftlichen sowie politischen Verhältnisse zu verändern. Terro- ristisches Potential zu haben, bedeutet nicht zwangsläufig, dass Menschen, denen dieses inhärent ist, deswegen gleich Terroranschläge verüben müssen. Kommt es zu einer re- volutionären Situation, werden sie ihr terroristisches Potential allerdings vermutlich ausschöpfen.

Um eine revolutionäre Situation zu verhindern, ist es angebracht, sich die auslösenden Faktoren für Anschläge sozialrevolutionärer Terrororganisationen zu vergegenwärtigen. Ende der 1960er-Jahre demonstrierten deutsche Student/innen unter anderem gegen die Unterdrückung bestimmter Völker, den US-amerikanischen Imperialismus, den Viet- namkrieg oder die Vätergeneration und der ihr zugeschriebenen Nichtaufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur. In den 1970er-Jahren protestierten italienische Arbei- ter/innen gegen die desolaten Arbeitsbedingungen in der Industrie und Student/innen gegen ihren Status als intellektuelles Proletariat. In der heutigen Zeit, in der prekäre Ar- beitsverhältnisse, befristete Verträge, ein Drücken des Lohnniveaus und Altersarmut überhand nehmen, ist es ratsam, diesen Auswüchsen politisch entgegenzuwirken. Denn schon damals hat alles mit Protesten begonnen.

Die Befragung hat ergeben, dass die Teilnehmer/innen durchaus politisch sind, denn mehr als die Hälfte hat bereits an Kundgebungen teilgenommen. Ebenfalls über 50% der Befragten gaben an, in der Schule nichts über Terrorismus gelernt zu haben. Daraus geht der Wunsch hervor, während der schulischen Laufbahn mehr über diesen Themen- komplex zu erfahren. Darüber hinaus sind den Teilnehmer/innen vor allem islamistische Terrororganisationen ein Begriff, weniger jedoch sozialrevolutionäre.

Um dem Titel der vorliegenden Arbeit gerecht zu werden, sei die überraschendste Er- kenntnis der Untersuchung zum Schluss angeführt. 12 bis 14 potentielle Terrorist/innen bei insgesamt 147 Teilnehmer/innen ergeben unter jungen Erwachsenen ein terroristi- sches Potential von 8-9%. Diese Zahl bezieht sich nur auf die Befragten und kann auf-

92 grund der nicht repräsentativen Anzahl an ausgefüllten Fragebögen nicht auf die Ge- samtbevölkerung hochgerechnet werden. Trotz alledem ist die Anzahl für mich überra- schend hoch. Dies stellt die Gesellschaft im Allgemeinen und den Bildungsbereich im Besonderen vor Herausforderungen. Die Erwachsenenbildung kann extremistischen Tendenzen durchaus entgegenwirken. Es bestehen weitreichende Möglichkeiten für die Weiterbildung, hier intensiv tätig zu werden. Wenn man bedenkt, dass nur 8% der Be- fragten an Weiterbildungsveranstaltungen zum Thema Radikalisierung teilgenommen haben, drängt sich verstärkte Initiative in diesem Bereich förmlich auf. Obwohl die Be- fragungsergebnisse zeigen, dass mehr Information über Radikalisierung auch zum ge- genteiligen Effekt einer Begeisterung für extremistische oder sozialrevolutionäre Ideen und zu einer Befürwortung politischer Gewalt führen kann, ist eine themenbezogene Fortbildung schon alleine der besseren politischen Aufklärung wegen sinnvoll. Diese kann sich an breite Bevölkerungsschichten richten, die in der Regel aber nicht unmittel- bar radikalisierungsgefährdet sind. Schwieriger wird es, gefährdete Jugendliche mit ei- nem Hang zu Extremismus direkt anzusprechen. In diesem Bereich wäre es Aufgabe der Erwachsenenbildung, Weiterbildungsveranstaltungen für Lehrer/innen oder Sozialarbei- ter/innen, die an Orten mit erhöhtem Radikalisierungsaufkommen wie Gefängnissen tä- tig sind, anzubieten.

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99 10 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Alter S. 60 Abbildung 2 Aktuelle berufliche Tätigkeit S. 61 Abbildung 3 Höchster Bildungsabschluss S. 62 Abbildung 4 Familienstand S. 63 Abbildung 5 Staatsbürgerschaft S. 63 Abbildung 6 Wohnort S. 64 Abbildung 7 Teilnahme an Kundgebungen S. 66 Abbildung 8 Politische Ausrichtung S. 67 Abbildung 9 Einstellungen zu Staaten, Institutionen und brisanten politi- S. 68 schen Themen Abbildung 10 Bekanntheit von Terrororganisationen S. 70 Abbildung 11 Protest gegen gesellschaftspolitische Ereignisse S. 72 Abbildung 12 Mittel zur Durchsetzung von Anliegen S. 74 Abbildung 13 Bewertung von Aussagen 1. Teil S. 75 Abbildung 14 Bewertung von Aussagen 2. Teil S. 80

100 11 Anhang

Fragebogen

Anmerkung: Da die Befragung online durchgeführt wurde, ist auch das Design des Fragebogens anders. Dies ist nur die verschriftliche Version.

Mein Name ist Gerald Kohne. Ich studiere Weiterbildung, ein Masterstudium von Pädagogik, an der Universität Graz. Im Zuge meiner Masterarbeit mit dem Titel "Vom Protest zum Widerstand. Radikalisierung und terroristisches Potential junger Erwachsener" möchte ich herausfinden, wie Radikalisierung vonstatten geht und welche Faktoren und Einstellungen damit einhergehen.

Dieser Fragebogen dient ausschließlich statistischen Zwecken. Aus diesem Grund bitte ich Sie, die Fragen ehrlich und nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten. Ihre Antworten sind anonym, werden streng vertraulich behandelt und keinem Dritten zugänglich gemacht.

Einstieg

Zum Einstieg einige Fragen zu Ihrer Person.

Alter: jünger als 18 18-24 25-30 31-36 älter als 36

Geschlecht: männlich weiblich sonstiges:______

Aktuelle berufliche Tätigkeit: Schüler/in Lehrling Student/in in einem befristeten Arbeitsverhältnis in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis selbstständig arbeitslos sonstiges:______

Gegenwärtige berufliche Tätigkeit bzw. aktuelles Studium: ______

Höchster Bildungsabschluss: Pflichtschule Lehre Matura/Abitur Studium

101 Familienstand: alleinstehend in Partnerschaft lebend verheiratet/in eingetragener Partnerschaft lebend

Staatsbürgerschaft: ______

Bundesland, das Ihren Lebensmittelpunkt darstellt: ______

Hauptteil

Haben Sie schon einmal an folgenden Kundgebungen teilgenommen? (Mehrfachnennungen möglich) nein ja, an einer Demonstration ja, an einem Streik ja, an einer sonstigen Kundgebung (z.B. Uni-Besetzung): ______

Wie informieren Sie sich über politische Ereignisse? (Mehrfachnennungen möglich) Zeitungen/Zeitschriften (und deren Onlineausgaben) Bücher soziale Netzwerke (Facebook, Instagram, Twitter) YouTube sonstige Internetquellen Freund/innen und Bekannte Familie und ähnliche Lebensformen Fernsehen/Radio

Welcher politischen Strömung fühlen Sie sich am ehesten zugehörig? Kommunismus/Links (KPÖ, Die Linke) Sozialdemokratie/Mitte-Links (SPÖ, SPD) Liberalismus/Mitte (Neos, FDP) Grüne (Die Grünen, Liste Jetzt) Konservatismus/Mitte-Rechts (ÖVP, CDU/CSU) Rechts (FPÖ, AfD) sonstiger: ______keiner

Wie ist Ihre Einstellung zu... (Skala von 1-4; 1=sehr positiv / 2=eher positiv / 3=eher negativ / 4=sehr negativ) NATO / USA / Europäische Union / China / Russland / Flüchtlingspolitik

Wie viel haben Sie über Terrorismus in der Schule gelernt? Ich bitte Sie um eine kurze Einschätzung, ob Sie in der Schule etwas über Terrorismus gelernt haben und wenn ja, wie umfangreich das Gelernte war und um welchen Themenbereich (auch z.B. Radikalisierung) es sich gehandelt hat. (offene Frage) ______

Welche Terrororganisationen kennen Sie? (bitte ankreuzen, Mehrfachnennungen möglich) Revolutionäre Zellen Bewegung 2. Juni RAF (Rote Armee Fraktion) Islamischer Staat (IS) Brigate Rosse (Rote Brigaden) Action Directe Al Kaida NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) IRA (Irish Republican Army) ETA (Baskenland und Freiheit) sonstige: ______

Haben Sie im Zuge Ihrer beruflichen Tätigkeit oder Ihrer Ausbildung an Weiterbildungsveranstaltungen zum Thema Radikalisierung teilgenommen?

102 Ja Nein

Haben Sie im Zuge Ihrer beruflichen Tätigkeit oder Ihrer Ausbildung an Präventionsprogrammen zum Thema Radikalisierung teilgenommen? Ja Nein

Welche gesellschaftlichen oder politischen Ereignisse müssten eintreten, damit Sie protestieren würden? Hinweis: Protest bedeutet eine meist spontane und temperamentvolle Bekundung des Missfallens, der Ablehnung. Protest läuft meist legal und gewaltfrei ab. Terroranschlag gegen (religiöse) Einrichtung Terroranschlag gegen politische Gruppierung, der Sie sich zugehörig fühlen Antidemokratische Vorhaben der Regierung Turbokapitalistische Vorhaben der Regierung Regierung beabsichtigt, das Land aus der EU zu führen keine sonstige: ______

Welche gesellschaftlichen oder politischen Ereignisse müssten eintreten, damit Sie Widerstand leisten würden? Hinweis: Widerstand bedeutet aktives oppositionelles Handeln gegenüber der Regierung bzw. herrschenden Verhältnissen oder Verweigerung des Gehorsams. Terroranschlag gegen (religiöse) Einrichtung Terroranschlag gegen politische Gruppierung, der Sie sich zugehörig fühlen Antidemokratische Vorhaben der Regierung Turbokapitalistische Vorhaben der Regierung Regierung beabsichtigt, das Land aus der EU zu führen keine sonstige: ______

Welche Mittel halten Sie zum Durchsetzen Ihrer Anliegen für geeignet? an einer Protestkundgebung teilnehmen einem Verein/einer Gruppe beitreten einen Verein/eine Gruppe gründen einer Widerstandsbewegung beitreten eine Widerstandsbewegung gründen ein politisches Amt bekleiden Selbstjustiz sonstige:______

Fast geschafft! Zum Schluss folgen noch einige Aussagen, die Sie bitte auf einer Skala von 1 (=stimme sehr zu) bis 4 (=stimme gar nicht zu) bewerten.

103 Aussagen: Wie sehr unterstützen Sie folgende Aussagen? (Skala 1-4)

„Ich bin mit meiner momentanen Lebenssituation zufrieden.“ „Die vorherrschende politische Weltordnung ist mir zu komplex“.

„Ich bin ein glücklicher Mensch.“ „Ich mache mir Sorgen um meine berufliche / private Zukunft.“ „Ich mache mir Sorgen um die Zukunft der Gesellschaft.“ „Islamisierung bereitet mir Sorgen.“ „Digitalisierung bereitet mir Sorgen.“ „Der Zustand der Umwelt bereitet mir Sorgen.“ „Die russische Aggressionspolitik bereitet mir Sorgen.“ „Der US-amerikanische Imperialismus bereitet mir Sorgen.“ „Die zunehmende wirtschaftliche Vormachtstellung Chinas bereitet mir Sorgen.“ „Wenn meine Wut überhand nimmt, bin ich bereit, gegen die herrschenden Verhältnisse zu protestieren.“ „Wenn meine Wut überhand nimmt, bin ich bereit, gegen die herrschenden Verhältnisse Widerstand zu leisten.“ „Es ist besser, wütend als traurig zu sein.“

„Es ist immer noch besser, ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben.“

„Wahlen sind nur ein Instrument, mit dessen Hilfe sich die Diktatur der Ausbeuter das Alibi des repräsentativen Charakters gibt.“

„Ich finde keine Möglichkeit, meiner Wut gegenüber den herrschenden Verhältnissen Ausdruck zu verleihen“

„Es ist schade, dass die RAF (Rote Armee Fraktion) nicht mehr existiert“ „Wenn ein Freund/eine Freundin eine Terrororganisation, deren politischer Anspruch mir zusagt, unterstützen würde, würde ich das gutheißen.“ „Wenn sich ein Freund/eine Freundin radikalisieren würde, würde ich mit ihm/ihr brechen.“ „Würde es zu einer revolutionären Situation kommen, wäre ich gerne dabei.“ „Die Vorstellung vom Leben im Untergrund übt auf mich eine Faszination aus.“

„Politisch motivierte kriminelle Taten üben auf mich eine Faszination aus.“

„Ich lehne politische Gewalt ab.“

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