SONNTAG, 25. JANUAR 2015 / NR. 22 294 STADTLEBEN DER TAGESSPIEGEL 11 Ein Reflex, der Leben heißt

eig ihm die Zunge, zeig allen Früher spielte er ganze Nächte durch, die Zunge. Der Fotograf senkt Bob Rutman ist Pionier der Multimedia-Performance, er hat in sein Genre begründet heute dauert ein Gig eine halbe Stunde. die Kamera, ernsthaft bitte, Fuck that. keine Grimassen, kommen Sie. und mit selbstgebauten Instrumenten weltweit Musikgeschichte geschrieben. Der Auftritt in der Kirche ist zehn Mi- Aber Bob Rutman lässt die Heute ist er 83, tritt für 100 Euro auf und weiß nicht, ob sich jemand an sein Werk erinnern wird. nuten alt und Bob in seinem Element. Er ZungeZ kreisen, leckt sich über die Lip- hat einfach begonnen, wider den Hinweis pen, rollt die Augen. Der Fotograf schüt- Dies ist die Geschichte von einem, der Subkultur blieb, weil er immer Subkultur bleiben wollte. des Organisators, man müsse erst mal telt den Kopf und packt ein. Rutman alle Gäste, die über das Gelände streu- grinst ein schiefes Grinsen. Ernsthaft? Von einem, der im Zweifel dagegen war. Und deshalb für sich blieb nen, informieren. Ihm wollte das nicht Für eine Lokalzeitung? Fuck that. Er hat einleuchten. Er improvisiert, es gibt kein sein Leben lang nicht nach ihren Regeln Konzept, keine Dramaturgie, Rutman gespielt, er wird jetzt nicht damit anfan- Von Moritz Herrmann spielt im Moment, überlässt sich seinen gen. Reflexen. Robert Rutman, der Musiker, Maler Worauf also, zur Hölle, warten? und Installateur, Klangsucher und Stim- Er fidelte den Bogen aus Angelsehne in mungsfinder, Bildhauer, Bildzerstörer, die Bow Chime und fing an, rechts unten, die Legende der Berliner Subkultur, ist ganz tief, bedrohlich, jetzt bearbeitet er 83 Jahre alt. die Mitte, die höher klingt und sanfter. Er Ein sonniger Sonntag in der Haupt- ruht in sich selbst, hypnotisch in sein stadtmitte. Bob Rutman soll in der St. Eli- Spiel versenkt, ein waches Träumen. Der sabeth-Kirche auftreten. Er verspätet Kopf folgt den Händen und nicht umge- sich, was die Helfershelfer der Kirche zu kehrt. Vielleicht ist das die eigentliche nervösem Flüstern veranlasst. Als er end- Kunst: als Spielender nicht zu wissen, lich kommt, von der Invalidenstraße her was als Nächstes kommt. Chaos zulas- und schwer auf seinen Gehstock gestützt, sen. Bereit sein, Kontrolle abzugeben. erkennen sie ihn nicht. Sie haben ihn alt Er spielt im Stehen, manchmal beob- erwartet, aber vielleicht nicht so alt. achtet er die italienische Tänzerin, die Die Trachtenjacke, der graue Bart, die sich zu seiner Musik verrenkt. Man sieht Dreiviertelglatze. Beige Hosenträger ihm an, dass sie nicht alles richtig macht. überspannen den Bauch. Die Zeit hat sei- Sie ist jung, sie wirbelt durch das Publi- nen Rücken gerundet. Rutman trägt ein kum, sie will sich zeigen. Nach der Perfor- Tarnfarbenhemd, er könnte nicht auffal- mance wird sie Visitenkarten verteilen. lender gekleidet sein. Nichts bewegt ihn Rutman schweigt und spielt. weg von der Bank, die er vor der Kirche Es gibt Künstler, die ihr Werk erklären, eingenommen hat, nichts, nur das: Bob, und solche, die ihr Werk verklären. Rut- sie wollen dein Instrument aufbauen. man gehört in keine Kategorie. Hat er Was? Sie? Für mich? Fuck that. Bleibendes geschaffen? In seinen Gagen Seine Instrumente baut er immer noch ist eine Antwort darauf nicht zu messen, selbst auf. 100 Euro bekommt er von der Kirche. Rutman humpelt in die Kirche. Man kann die Menschen fragen, mit de- Schritt für Schritt. nen Rutman kollaboriert hat. Sehr, sehr langsam. Heike Saborowski hat Rutmans Bilder Er gilt als Pionier der Multimedia-Per- in ihrer Galerie Gesellschaft ausgestellt. formance, als Pate der Subkultur. Rutman Sie sagt: „Bob ist schwierig, aber man hat Instrumente erfunden, die das Klang- kann mit ihm arbeiten. Ich zeige nicht spektrum erweitert haben, aber nie Main- stream wurden. Kunst kennt keine Pensionierung, kein Der Auftritt endet, wie er Altenteil, nicht die bildliche Kunst und nicht die Musik. Rutman weiß das, er angefangen hat: einfach so spielt und spielt, meist vor sehr viel jünge- rem Publikum, in Clubs, Bars und Gale- rien. Wer Rutman beobachtet, sieht ei- nur Kunst, die sich definitiv verkauft. nen Mann, der mit sich, seiner Kunst und Schön und interessant muss Kunst sein, dem Platz ringt, den diese einnehmen und das ist sie bei Bob.“ soll, aber vielleicht nicht einnehmen Jacalyn Carley, Buchautorin und Cho- wird. Es geht um die einfache, um die reografin, realisierte 1992 mit Rutman hochkomplizierte Frage: Was bleibt von das Performance-Projekt X. Sie glaubt, mir, wenn ich gehe? mit mehr Konsequenz hätte er noch viel Rutman liebt, was er macht, aber er bekannter werden können. „Man muss mag das Vorher und das Nachher nicht, das durchhalten, über Jahrzehnte hin- nicht mehr. Den Aufwand, die Mühen, weg. Aber das war Bobs Sache eben nie – die Wege, den Smalltalk. Das ganze er ist ein Multitalent. Er wiederholt sich Drumherum. Fuck that. In einem späte- nicht gern, bricht lieber auf zu neuen ren Gespräch wird er sagen: „Ich habe gar Ufern.“ keine Lust mehr. Ich will nur noch zu Thorsten Heinze, Pantomime und Be- Hause bleiben und den ganzen Tag fernse- gründer der Seven Star Gallery, kennt hen.“ Und dann, Minuten später, relativie- Rutman seit sieben Jahren. Im Frühjahr ren: „Mein Leben war eine einzige Ur- richtete er dem Freund eine große Retro- laubsfahrt. Ich genieße es. Ich hoffe im- spektive aus. „Bob ist Subkultur geblie- mer noch, dass ich eines Tages entdeckt ben, weil er nie mehr sein wollte als Sub- werde.“ kultur. Er macht Musik, die keine Worte braucht, sie gleitet und ist leicht und frei, man wird gesteuert wie in einem Kanal. Er hört keine Musik mehr – Bob spricht mit dem Herzen und das geht nur unter dem Radar.“ außer seiner eigenen Im Underground muss Rutman nichts mehr beweisen. Hier hat er sein Genre begründet, hier spielt er an verrückten Ta- Es ist das Hadern und Hoffen eines gen auf Gummihühnchen, auf Spielzeug- Mannes, der mehr erreicht hat als an- ukulelen. Hier ist er wer. Seine Freunde dere, aber immer noch nicht genug für nennen ihn General, sie suchen seine sich selbst. Nähe. Und manchmal kommen Wild- Sein Steel Cello, ein zwei Meter hohes Stilecht und echt. Sandalen, Tarnfleck, Trachtenjacke – er könnte nicht auffallender gekleidet sein. Bob Rutman hat sich noch nie um Konventionen geschert – und er fängtauch fremde. Am Nachmittag in der Wohnung Monstrum, schrieb Musikgeschichte. jetzt nicht an, da er keinen Tag jünger aussieht als 83 Jahre. Fotos: Sarah Swantje Fischer klopft es plötzlich gegen die Tür, ein mit- 1966 hat er es in seiner Galerie in Soho telalter Mann begrüßt Rutman wie einen entworfen. Das Steel Cello klang anders Buddy. Er hat ein Magazin mitgebracht, als alles Bisherdagewesene, antikisch schön. Er sollte way more popular sein, blasen. In Zeitlupe in die Hocke. Er wirkt stellt. Je länger ein Gespräch mit Rutman er erzählt wie wild von allem, von Bresch- und industriell zugleich, wie ein Sound aber ist es nicht unmöglich, mit dieser keinen Tag jünger als 83. dauert, desto öfter sagt er fuck. new und Honecker, vom besseren Früher aus einer Parallelwelt. Wie Vergangen- Musik bekannter zu werden? Es ist so Aber als der Bogen da ist und Rutman Seine Wohnung in Mitte ist ein Kuriosi- und schlechteren Heute, bis Rutman heit und Zukunft in einem Raum. Es weit weg vom Pop der Charts, von Bey- sich einzuspielen beginnt, da passiert et- tätenkabinett. Drei Zimmer, sechzig Qua- fragt: „Ganz ehrlich: Wer bist du noch- klang, wie Bob Rutman klingen wollte. oncé und Lady Gaga. was. Da wächst der Greis, er verwandelt dratmeter, aber keiner davon frei. Über- mal?“ Der Unverstandene, er konnte seinen So dunkel, so düster. sich. Die Kirchenapsis ist – wie hoch? all Bilder, Drucke, Farben, Taschen, Nip- So war es häufig. Kopf vertonen. Vorher hatte er einen Rutman wurde in die Dämmerung ge- Fünfzehn Meter? Zweiundzwanzig Me- pes. Dazwischen die Instrumente, die er Die Menschen suchten seine Nähe und Stock gegen Zäune geprügelt und dem boren. Berlin, 1931. Sieben Jahre später ter? – und unten, vor dem Altar und dem erfunden hat: Stahlcello, Buzz Chime, trugen ihm Projekte an, die vielleicht was Hall gelauscht. Mit dem Steel Cello En- flüchtete die jüdische Mutter mit dem Kreuze, an dem Jesu hängt, steht gebeugt Bow Chime, Funnymusik, so nennt er wurden oder gar nichts, er verdiente da- semble tourte er um die Welt. Später Bub nach Polen, nach England, in die der alte Mann und seine Augen, die vor- sein Werk, und dann das Styrophon, aus bei wenig Geld, hatte manchmal eine stellte das das USA. Heute lebt Rutman auch von der her müde waren und dunkel, sie leuchten Styropor, für die Gänsehautmusik. gute Zeit, aber am nächsten Morgen Metallsegel aus, der Sammler Erich Marx Entschädigungsrente, die exilierten Ju- auf einmal, es klingt sehr kitschig, aber Rutman heiratete eine Frau, die er wachte er alleine auf. Dann war wieder kaufte es für seine Sammlung. den gezahlt wird. sie leuchten. heute für verrückt hält, sie bekamen ei- Alltag. Längst wird es von der nächsten Gene- Militärdienst in Heilbronn, schon wie- Bob Rutman kann sich über viele nen Sohn, von dem er heute enttäuscht Bei ihm heißt Alltag: um halb sechs auf- ration adaptiert, verkabelt, digitalisiert. der Deutschland. Kunststudium in New Dinge aufregen. Über Berlin-Mitte. Über ist. Er hat sich mit engsten Freunden über- stehen, halb neun Gratiskaffee im St. Sie wollen es spielen wie er, aber nie- York und in Mexiko City. Die eigene Gale- Amerika. Über Blixa Bargeld, der ihn worfen, aber mit den Wirten im Kiez Oberholz, danach TV,am Abend ein Gra- mand spielt das Steel Cello wie Bob Rut- rie, die Insolvenz, die Avantgarde. Ein Le- nicht bezahlen wollte, als er bei einer ge- kommt er aus. Ärzte schnitten ihm einen tismahl im White Trash, dann TV, dann man. ben wie seine Musik, nicht zu fassen, ma- meinsamen Tour mit den Einstürzenden Tumor aus der Blase, Rutman sagt, er Bett, dann Schlaf. Rutman führt immer „Meine Instrumente sind einzigartig. ximaler Mäander. Eine Biografie braucht Neubauten frenetischeren Applaus be- könne okay pissen, das sei doch schon noch ein Leben, das viel aufregender ist Aber ich weiß nicht, ob sich irgendein kam als die Band, und der sich nie wieder was. Er hat zwei Schlaganfälle überstan- als das Gleichaltriger, aber mit denen ver- Idiot an sie erinnern wird, wenn ich tot gemeldet hat bei ihm. Seine Mutter den, er hat keine Angst vor dem Tod. „Ich gleicht er sich nicht. Er ist kein Rentner, bin. Ich sollte viel bekannter sein.“ Bahnt sich ein Durchbruch an, wollte, dass er Anwalt wird oder Doktor. komme vermutlich in die Hölle, aber da er hat im Palais des Beaux Arts in Brüssel So sieht Rutman das heute. Sie zahlte ihm Klavierstunden, die er fuß- sind sowieso meine ganzen Leute.“ ausgestellt und im Washingtoner Smith- Er hatte nie Vorbilder. Die Beatles wa- folgt der Dämpfer. Immer ballspielend schwänzte. Er will keine Auftritte mehr spielen, sonian. Er hat für geschau- ren nur nett, die Stones langweilig. Fuck Im Zweifel war er dagegen, egal gegen sagt er. Aber er sagt sie auch nicht ab. spielert. that. Und in der Kunst: Picasso und Ma- was. Nie. Vielleicht ist die Wahrheit: Er Sein Auftritt in der Kirche endet, wie tisse, wenn überhaupt. „Ich bin kein Weg- Brüche, bei Rutman sind es Schluchten. Mit 18 Jahren zog Rutman zu Hause braucht die Konzerte. Mehr, als er selbst er angefangen hat: einfach so. Mitten im bereiter“, sagt Bob Rutman, der heute Wie wild waren die Sechziger? „Ich kann aus und in die Welt der Kunst ein, um ahnt. Klangnebel zieht Rutman den Bogen aus keine Musik mehr hört außer seiner eige- mich nicht erinnern.“ glücklich zu werden. Heute, 65 Jahre da- Er wird bald noch in der 1000Bar auf- der Saite, hält inne bis zum Ersterben des nen. Wenn überhaupt. In ihren Berichten nennen ihn die nach, kann er sich nicht entscheiden, ob treten. Die hippen, jungen Leute, sie wer- letzten Tons, Schluss. Mitten im Applaus An diesem Sonntag in Berlin spielt Rut- Schreiber einen Beatnik, Hippie, Hipster, ihm das gelungen ist. den ihm lauschen, diesem interessanten will er von der Bühne gehen, aber die man die Bow Chime. Einen Blechtep- Pimp oder Bohemian. I was all of these Bahnte sich ein Durchbruch an, folgte Fossil, fasziniert von seinem Lebenswan- Tänzerin zieht ihn zurück vor die Menge. pich, der sich um einen eisernen Dreifuß things, sagt Rutman. Fuck that. Wen inte- ein Dämpfer, da konnte Rutman die Uhr del, mit dem sie nur kokettieren. Sie wer- Eine Verbeugung, eine zweite. biegt, auf Bauchnabelhöhe an beiden En- ressiert das. Gone. Vergangenheit. Er nach stellen. Rutman sollte im Berghain den sich in seiner Gegenwart und zu sei- Sie genießt das. den verschraubt. An einer Mittelschiene lacht ein Lachen, das zuerst heiter klingt, als Support der großartigen Swans spie- ner Musik arty fühlen. Nach dem letzten Nach dem Auftritt sitzt Rutman in der auf unterschiedlichen Höhen werden aber hinten raus, am Ende, bitter und len, im Publikum standen Hunderte, aber Ton werden sie ihn umringen und ihre Garderobe der Kirche. Er löffelt Kürbis- fünf Messingstäbe eingeöst, für die Reso- hart. der Verstärker streikte. Derzeit stellt ihn Fragen stellen, und er wird ihnen einsil- suppe aus einer Schale, als ihm ein blon- nanzen, und wenn der Bogen über diese Kurz vor Konzertbeginn fehlt der Strei- die Zhong Gallery aus, in Berlin und in big antworten oder gar nicht, so läuft das der Knabe ans Knie tippt. Der Junge trägt Stäbe fidelt und das Blech diese Klänge cherbogen. Ohne Bogen kein Bob, ohne Peking. Aber sie verkaufen keine Bilder jedes Mal. eine Gitarre und grinst. „Kannst du denn zurückwirft, klingt es wie der apokalypti- Bob kein Auftritt. Ein Helfer radelt los. oder unterschlagen ihm die Verkäufe. Warum fünf Messingstäbe? Gitarre spielen?“, fragt Rutman, 83 Jahre sche Gesang tibetischer Mönche. Jeden Handgriff hat Rutman überwacht Und so weiter. Früher hat er, als ihn nie- Sein Spielzeug. Wenn Bob Rutman auftritt, Warum Berlin? alt. Der Junge schüttelt den Kopf. Bob Rutman macht Musik, zu der Wälder beim Aufbau, mitgeschraubt, den Imbus mand ausstellen wollte, seine eigene Gale- ruht er in sich. Die Hände sagen dem Kopf, Warum diese Musik? Rutman grinst jetzt auch. „Dann mach we- dunkeln und Hirsche fliehen. Schrecklich in der zitternden Hand, die Backen aufge- rie aufgemacht und sich selbst ausge- was zu tun ist – und womit. Rutman sagt dann, warum nicht. nigstens Krach damit.“